„Duisburg - Die Rhein- und Ruhr-Stadt“. Stadtbild und Stadtplanung unter Karl Jarres in Duisburg 1918/1919-1933

Alexander Olenik (Bonn)

Blick vom Innenhafen auf Liebfrauenkirche, Salvatorkirche und Rathaus, undatiert. (Stadtarchiv Duisburg)

1. Einleitung

Die­ser Bei­trag be­schäf­tigt sich mit der Stadt Duis­burg und Ober­bür­ger­meis­ter Dr. Karl Jar­res, ins­be­son­de­re mit des­sen Stadt­ent­wick­lungs­po­li­tik. Die ­Un­ter­su­chung ba­siert vor al­lem auf Jar­res’ Hand­ak­ten und den jähr­li­chen Ver­wal­tungs­be­rich­ten der Stadt. Letz­te­re sind vor al­lem als zeit­ge­nös­si­sche, nur ein bis zwei Jah­re ver­zö­ger­te Si­tua­ti­ons­be­schrei­bun­gen der Stadt auf­schluss­reich. Karl Jar­res war an de­ren Ab­fas­sung in sei­ner Ei­gen­schaft als Ober­bür­ger­meis­ter und Kul­tur­de­zer­nent be­tei­ligt. In sei­nen per­sön­li­chen Hand­ak­ten fin­det sich wie­der­um Schrift­gut, in de­nen die Sicht des Ober­bür­ger­meis­ters auf die Stadt be­zie­hungs­wei­se auf Vor­stel­lun­gen von der Stadt zum Aus­druck kommt.

Die Ana­ly­se der Duis­bur­ger Stadt­ent­wick­lungs­po­li­tik un­ter Karl Jar­res er­folgt in vier Schrit­ten: Vor der Dar­stel­lung der Aus­gangs­la­ge nach dem Ers­ten Welt­krieg soll auf die all­ge­mei­nen Be­din­gun­gen des Ober­bür­ger­meis­ter­am­tes und der Stadt­pla­nung in der Wei­ma­rer ein­ge­gan­gen wer­den. Dar­aus ent­wi­ckelt sich die Fra­ge nach Jar­res’ per­sön­li­chen Vor­stel­lun­gen zur Fort­ent­wick­lung der In­dus­trie­stadt hin­sicht­lich des Stadt­bil­des und der da­für nö­ti­gen Stadt­pla­nung. Ab­schlie­ßend wird de­ren Um­set­zung be­trach­tet. Ei­ne um­fas­sen­de Ana­ly­se von Karl Jar­res’ Wir­ken in den Jah­ren 1914 bis 1933 - ei­ner er­eig­nis- und kri­sen­rei­chen Zeit der Duis­bur­ger und deut­schen Ge­schich­te - ist hier nicht zu leis­ten. 

2. Die Vorbedingungen: Oberbürgermeisteramt und Stadtplanung in der Weimarer Republik

„Die Ober­bür­ger­meis­ter des heu­ti­gen Deutsch­lands sind in Wirk­lich­keit ne­ben den Gro­ß­in­dus­tri­el­len die Kö­ni­ge der Ge­gen­wart.“[1] Die­se gern zi­tier­te Ta­ge­buch­no­tiz von Jar­res’ Par­tei­freund Gus­tav Stre­se­mann (1878-1929) vom 16.5.1925 gibt ei­ne ers­te zeit­ge­nös­si­sche Be­wer­tung von der star­ken Stel­lung des Ober­bür­ger­meis­ters in der Wei­ma­rer Re­pu­blik.

Im Kai­ser­reich wa­ren in­fol­ge der In­dus­tria­li­sie­rung die Be­völ­ke­rungs­zah­len der Städ­te sprung­haft an­ge­stie­gen. Die da­mit kor­re­spon­die­ren­den wach­sen­den An­for­de­run­gen an die städ­ti­schen Ver­wal­tun­gen wur­den von den (Ober-)Bür­ger­meis­tern – nicht von den Ge­mein­de­par­la­men­ten – per­sön­lich be­ar­bei­tet und ko­or­di­niert. Ne­ben ih­rer Ver­wal­tungs­funk­ti­on re­prä­sen­tier­ten die Ober­bür­ger­meis­ter des Kai­ser­reichs so­wohl das Stadt­bür­ger­tum als auch die preu­ßisch-deut­sche Mon­ar­chie und fun­gie­ren so­mit als „Klam­mer zwi­schen der li­be­ra­len Ge­sell­schaft und dem ‚star­ken’ Staa­t“[2].

 

Auch nach der Re­vo­lu­ti­on 1918/1919 blieb die Po­si­ti­on des Ober­bür­ger­meis­ters auf kom­mu­na­ler Ebe­ne wie ge­gen­über Län­dern und Reich na­he­zu un­ver­än­dert. Je­doch wan­del­te sich die Zu­sam­men­set­zung der Stadt­ver­ord­ne­ten­ver­samm­lun­gen: Die bür­ger­li­chen Ho­no­ra­tio­ren  des Drei­klas­sen­wahl­rechts wur­den von Frak­tio­nen aus Par­tei­po­li­ti­kern, die nach dem all­ge­mei­nen und glei­chen Wahl­recht er­mit­telt wur­den, ab­ge­löst. Die rhei­ni­sche Bür­ger­meis­ter­ver­fas­sung blieb je­doch un­an­ge­tas­tet. Die vor­der­grün­di­gen Er­geb­nis­se der Re­vo­lu­ti­on be­grenz­ten sich auf die po­li­ti­sche Struk­tur des kom­mu­na­len Sys­tems.

Den­noch wur­de die Kom­mu­nal­po­li­tik der Ober­bür­ger­meis­ter durch die Kri­sen und Pro­ble­me der Nach­kriegs­zeit ver­än­dert. Die schwie­ri­ge Haus­halts­la­ge der Kom­mu­nen und die ein­ge­schränk­te kom­mu­na­le Selbst­ver­wal­tung, ins­be­son­de­re hin­sicht­lich der Fi­nanz­au­to­no­mie, ver­eng­ten den Hand­lungs­spiel­raum kom­mu­na­ler Po­li­tik. Auf der an­de­ren Sei­te muss­ten sich die Kom­mu­nen um ei­ne fort­schritt­li­che und kos­ten­in­ten­si­ve Stadt­ent­wick­lungs­po­li­tik be­mü­hen.

Duisburg, Luftbild vom Binnenhafen (Westteil). (Bundesarchiv, Bild 102-00659A)

 

Das Kern­stück der kom­mu­na­len Stadt­ent­wick­lung und Stadt­pla­nung in der Wei­ma­rer Zeit war der Woh­nungs­bau. Es fehl­te in den Städ­ten aus­rei­chen­der Wohn­raum, da in den Kriegs­jah­ren von öf­fent­li­cher und pri­va­ter Sei­te nicht in­ves­tiert wor­den war. In der Nach­kriegs­zeit kris­tal­li­sier­te sich her­aus, dass die Kom­mu­nen den pri­va­ten Woh­nungs­bau för­dern und zum Teil er­set­zen muss­ten. Die Geld­wert­sta­bi­li­sie­rung, der Da­wes-Plan  und die Ein­füh­rung der Haus­zins­steu­er führ­ten zu ei­nem An­stieg des Woh­nungs­baus nach 1924, der von ver­schie­de­nen städ­te­bau­li­chen Dis­kus­sio­nen be­glei­tet wur­de. Die Fi­nan­zie­rung städ­ti­scher Aus­ga­ben, zum Bei­spiel mit Hil­fe aus­län­di­scher Kre­di­te, wur­de in­fol­ge der Welt­wirt­schafts­kri­se er­schwert. Reich und Län­der ver­lang­ten von den Kom­mu­nen Spar­dis­zi­plin. Folg­lich re­du­zier­ten sich die städ­ti­schen In­ves­ti­tio­nen wäh­rend des kon­junk­tu­rel­len Ab­schwungs ge­gen­über den ge­setz­li­chen So­zi­al­leis­tun­gen. Wolf­gang Heindl spricht ab dem Jahr 1930 von ei­nem kom­mu­na­len „Wohl­fahrts­haus­hal­t“[3]. Der Ober­bür­ger­meis­ter war auch in der Wei­ma­rer Re­pu­bli­k das Lei­tungs­or­gan der Stadt­ver­wal­tung und der kom­mu­na­len Le­gis­la­ti­ve. Ent­spre­chend die­ser Dop­pel­funk­ti­on gin­gen von ihm und sei­nem Mit­ar­bei­ter­kreis ma­ß­geb­lich An­stoß und Pla­nung der Stadt­ent­wick­lung aus.

In der Dickelsbachsiedlung, ca. 1926/27. (Stadtarchiv Duisburg)

 

3. Die Ausgangslage: Die Stadt Duisburg 1918/1919

Dr. Karl Jar­res hat­te sein Am­t  als Duis­bur­ger Ober­bür­ger­meis­ter am 1.7.1914 im Al­ter von 40 Jah­ren an­ge­tre­ten. Die Stadt setz­te sich da­mals aus dem süd­lich der Ruhr ge­le­ge­nen Alt-Duis­burg mit der En­kla­ve Wan­heim-An­ger­hau­sen und der 1905 ein­ge­mein­de­ten Ha­fen­stadt Ruhr­ort, so­wie dem 1910 ein­ge­mein­de­ten In­dus­trie­dorf Mei­de­rich zu­sam­men. Der Aus­bruch des Ers­ten Welt­krie­ges ver­wehr­te Jar­res in die­sen Jah­ren die Mög­lich­keit, wirt­schaft­li­che, kul­tu­rel­le oder so­zia­le Ak­zen­te zu set­zen. Das Ziel der Stadt­ver­wal­tung in den vier Kriegs­jah­ren war es, die Ver­sor­gung der Stadt und ih­rer Be­völ­ke­rung auf­recht­zu­er­hal­ten und si­cher­zu­stel­len. Dass das ge­lang, wur­de Jar­res par­tei­über­grei­fend be­schei­nigt.

Der ver­lo­re­ne Krieg, die po­li­ti­sche Re­vo­lu­ti­on und ih­re links- wie rechts­ra­di­ka­len Fol­ge­er­schei­nun­gen stell­ten eben­so wie die fran­zö­sisch-bel­gi­sche Be­set­zung Duis­burgs und das da­mit ein­her­ge­hen­de se­pa­ra­tis­ti­sche In­ter­mez­zo, die Stadt­füh­rung - ne­ben ih­rer so­zia­len Ver­pflich­tung - vor zum Teil un­lös­ba­re Pro­ble­me. So ver­wun­dert es nicht, dass es Karl Jar­res erst lang­sam ge­lang, sei­ne ge­schäfts­ord­nungs­mä­ßig star­ke Stel­lung aus­zu­spie­len.

Karl Jarres, 1925. (Bundesarchiv, Bild 102-01175)

 

In Duis­burg - wie auch in den an­de­ren deut­schen Groß­städ­ten - be­stand ein gro­ßer Nach­hol­be­darf in der Schaf­fung von Woh­nungs­raum. Dar­über hin­aus war die In­fra­struk­tur in wei­ten Tei­len der Stadt noch nicht auf die enor­me In­dus­trie- und Be­völ­ke­rungs­dich­te aus­ge­rich­tet. So wa­ren zum Bei­spiel die Stadt­tei­le nörd­lich der Ruhr schlecht an die In­nen­stadt an­ge­bun­den. Dem Woh­nungs­man­gel be­geg­ne­te die Stadt­ver­wal­tung in den Jah­ren bis 1924 so­wohl mit ver­mehr­tem Ei­gen­bau als auch För­de­rung von ge­nos­sen­schaft­li­chem Woh­nungs­bau. Die Duis­bur­ger „Ge­mein­nüt­zi­ge Bau­ge­sell­schaf­t“ wur­de so­gar kom­mu­na­li­siert. Ver­kehrs­tech­ni­sche Maß­nah­men wa­ren schon un­ter Jar­res’ Vor­gän­ger, Ober­bür­ger­meis­ter Carl Lehr, ent­wi­ckelt, aber in­fol­ge des Krie­ges nicht wei­ter­ver­folgt wor­den. Die ers­te Pha­se von Jar­res’ Wir­ken in Duis­burg en­de­te je­doch am 17.2.1923 mit sei­ner Aus­wei­sung aus dem Sank­ti­ons­ge­biet. Erst am 2.2.1925 konn­te er sein Amt wie­der an­tre­ten. Wäh­rend sei­ner Ab­we­sen­heit hielt er Kon­takt zu sei­nem Ver­tre­ter Ot­to Mai­weg (1871-1962) und an­de­ren Ver­wal­tungs­mit­glie­dern.

4. Der Protagonist: Karl Jarres’ Vision von Duisburg

Karl Jar­res hat­te oh­ne ein aus­ge­fer­tig­tes kul­tur­po­li­ti­sches oder stadt­pla­ne­ri­sches Pro­gramm das Amt des Ober­bür­ger­meis­ters an­ge­tre­ten. Gleich­wohl ge­wann in sei­nen Re­den und Schrif­ten ein Stadt­bild Kon­tu­ren, das er in der Wei­ma­rer Re­pu­blik ver­such­te um­zu­set­zen. Da­zu sei be­merkt, dass Jar­res sein Amt in Duis­burg als Le­bens­auf­ga­be ver­stand.

Der Maß­stab sei­nes kom­mu­nal­po­li­ti­schen Han­delns war sei­ne wirt­schafts­li­be­ra­le Grund­hal­tung, wes­halb der Schwer­punkt sei­ner kom­mu­na­len Ar­beit auch auf der re­gio­na­len Wirt­schafts­po­li­tik lag. Er ver­stand die Duis­bur­ger In­dus­trie als „Werk­stät­ten des Wie­der­auf­bau­es“[4]  in Deutsch­land nach dem Welt­krieg. Folg­lich rich­te­te er die Stadt­ent­wick­lung an ei­ner Auf­wer­tung des Stand­orts Duis­burg aus. In ei­nem Bei­trag für die „Köl­ni­sche Zei­tun­g“, des­sen Über­schrift „Duis­burg, die Rhein- und Ruhr-Stadt“ auch für die­sen Auf­satz ti­tel­ge­bend ist, ver­wies Jar­res auf die un­güns­ti­gen Ent­wick­lungs­strän­ge in Duis­burgs Ver­gan­gen­heit und Ge­gen­wart. Von der Rhein­ver­la­ge­rung im Mit­tel­al­ter bis zur Be­sat­zungs­zeit ent­warf er dem Le­ser ei­ne leid­ge­prüf­te Stadt­ge­schich­te. Jar­res kri­ti­sier­te, dass Duis­burg ge­gen­über sei­nen Nach­bar­städ­ten zu we­nig An­er­ken­nung er­fah­re. Die Stadt wür­de von au­ßen nur als Ar­bei­ter­stadt wahr­ge­nom­men.

Posadowskiplatz, undatiert. (Stadtarchiv Duisburg)

 

Die wirt­schafts­af­fi­ne Stand­ort­po­li­tik wur­de flan­kiert von ei­ner auf per­sön­li­chen Vor­lie­ben be­ru­hen­de Kul­tur­po­li­tik so­wie ei­nem Aus­bau der Frei­zeit- und Sport­an­la­gen. Der Aus­bau des kul­tu­rel­len An­ge­bots - wo­bei hier­mit aus­drück­lich die Hoch­kul­tur ge­meint war - soll­te der Auf­wer­tung Duis­burgs die­nen, denn „das Image ei­ner Stadt [...] hat zu­gleich so­zi­al-in­te­gra­ti­ven Cha­rak­ter und ei­nen öko­no­mi­schen ‚Fir­men­wert’“[5]. War das kul­tu­rel­le An­ge­bot schicht­spe­zi­fisch aus­ge­legt, in­ten­dier­te Karl Jar­res mit dem Aus­bau der Grün- und Sport­flä­chen ge­sund­heits­po­li­ti­sche Zie­le für brei­te Be­völ­ke­rungs­krei­se. Da­mit ein­her ging die Woh­nungs­bau­för­de­rung, wo je­doch kei­ne ei­ge­ne spe­zi­fi­sche Stra­te­gie er­kenn­bar war. Jar­res war sich be­wusst, dass ei­ne kom­mu­na­le So­zi­al­po­li­tik auf die Steu­er­ein­nah­men aus der Wirt­schaft an­ge­wie­sen blieb. So hielt er mit den Ver­tre­tern der Wirt­schaft stets Rück­spra­che.

Die Aus­deh­nung des Duis­bur­ger Stadt­ge­biets auf die Nach­bar­ge­mein­den war wäh­rend sei­ner ge­sam­ten Amts­zeit ein Haupt­an­lie­gen des Ober­bür­ger­meis­ters. Schon un­mit­tel­bar nach Kriegs­en­de hat­te er sei­ne Ein­ge­mein­dungs­vor­schlä­ge, die al­le sei­ne nach­fol­gen­den Be­mü­hun­gen kenn­zeich­ne­ten, for­mu­liert: Nach Nor­den (Stadt Ham­born), Wes­ten (Land­kreis Mo­ers) und Sü­den (Land­kreis Düs­sel­dorf) sah Jar­res im Rah­men der Stadt Duis­burg Aus­deh­nungs­po­ten­ti­al. Jar­res’ Ziel war der Brü­cken­schlag über den Rhein durch die Ein­ge­mein­dung der Stadt Hom­berg und der Ge­mein­de Rhein­hau­sen. Dar­über hin­aus war er dem Vor­schlag ei­nes Zu­sam­men­schlus­ses der west­li­chen Städ­te des Ruhr­ge­biets, der in den 1920er Jah­ren aus Wirt­schafts­krei­sen ein­ge­bracht wur­de, nicht ab­ge­neigt, sah er doch in Duis­burg den his­to­ri­schen Kern ei­ner so ge­nann­ten Ruhr­mün­dungs­stadt.

Karl Pregizer, unter Jarres Oberbaurat und Beigeordneter der Stadt Duisburg, undatiert. (Stadtarchiv Duisburg)

 

Im Bal­lungs­raum Rhein-Ruhr­ge­biet wa­ren das per­sön­li­che An­se­hen des Ober­bür­ger­meis­ters und die Au­ßen­wir­kung der Stadt ein nicht zu un­ter­schät­zen­der Fak­tor. Die Stadt­ent­wick­lung wur­de als Pres­ti­ge­an­ge­le­gen­heit ver­stan­den, so auch von Karl Jar­res. Die Stadt­ver­wal­tung ar­bei­te­te dem­ge­mäß an dem „Her­aus­ar­bei­ten ei­nes der Be­deu­tung und den Auf­ga­ben der Stadt ent­spre­chen­den Stadt­bil­des durch Er­rich­tung von Mo­nu­men­tal­bau­ten“[6] mit de­ren Ein­ma­lig­keit, Re­prä­sen­ta­ti­vi­tät und Wie­der­er­ken­nungs­wert für die Stadt ge­wor­ben wer­den soll­te. So wur­den in Fach­zeit­schrif­ten der re­ge Bau­be­trieb und die er­streb­ten Pla­nun­gen an­ge­prie­sen.

5. Die Umsetzung: Stadtbau und Stadtkultur

Die Stadt­ver­wal­tung gab in Karl Jar­res’ Amts­zeit An­stoß zu ei­ner Viel­zahl städ­te­bau­li­cher Vor­ha­ben, die im In­ter­es­se des Ober­bür­ger­meis­ters und sei­ner Pla­nung wa­ren. Da­bei war der fi­nan­zi­el­le Spiel­raum durch ex­ter­ne Ein­flüs­se streng li­mi­tiert, höchs­tens im Jahr­fünft der Jah­re 1924 bis 1929 war die Fi­nan­zie­rung meh­re­rer Gro­ß­pro­jek­te mit Hil­fe aus­län­di­scher und in­län­di­scher Kre­di­te mög­lich. Mit Hil­fe der In­fla­ti­on  konn­te die Stadt ih­re in­län­di­schen Kriegs- und Nach­kriegs­schul­den be­glei­chen und war En­de 1923 kurz­fris­tig fast schul­den­frei. Doch wur­den 1931 in­fol­ge der Welt­wirt­schafts­kri­se Neu­bau­pro­jek­te von der Reichs­re­gie­rung per Not­ver­ord­nung un­ter­sagt.

Duisburger Stadion, circa 1928. (Stadtarchiv Duisburg)

 

Ne­ben den Aus­ga­ben für den Woh­nungs­neu­bau, der auch in der Ver­wal­tungs­struk­tur durch die Ein­rich­tung ei­nes Woh­nungs­bau­am­tes im Jah­re 1922 auf­ge­wer­tet wur­de, ver­folg­te die Stadt­ver­wal­tung über die Wei­ma­rer Jah­re meh­re­re Pro­jek­te von über­re­gio­na­ler Di­men­si­on. Der Bau des We­dau­sta­di­ons auf dem ehe­ma­li­gen Krupp-Ge­län­de im Duis­bur­ger Süd­os­ten wur­de schon im Jah­re 1919 be­gon­nen und war - zu­sam­men mit dem städ­ti­schen An­kauf von pri­va­ten Grün­flä­chen be­zie­hungs­wei­se Park­an­la­gen im Stadt­ge­biet (zum Bei­spiel dem Bö­nin­ger-Ge­län­de in Duis­burg-Hoch­feld) - ein ge­sund­heits­po­li­ti­sches Bau­pro­jekt „im In­ter­es­se der Volks­ge­sund­heit“[7]. Dem glei­chen Ziel folg­te die kom­mu­na­le Ver­kehrs­po­li­tik „die so­wohl in ver­kehrs­tech­ni­scher als auch in hy­gie­ni­scher Hin­sicht al­len An­for­de­run­gen des Groß­stadt­ver­kehrs ge­nü­gen“[8] soll­te. Wei­te­re Neu­bau­ten kon­zen­trier­ten sich um die neue in­nen­städ­ti­sche Mit­te am Kö­nigs­platz. Hier bau­te die Stadt in Ei­gen­re­gie ein neu­es Ver­wal­tungs­haus (das so ge­nann­te. Stadt­haus) und das re­prä­sen­ta­ti­ve Ho­tel „Duis­bur­ger Hof“. Auf dem Platz wur­de 1927 Wil­helm Lehm­brucks „Kni­en­de“ aus­ge­stellt.

Schwimmstadion Wedau, eröffnet 1926, undatiert. (Stadtarchiv Duisburg)

 

Als wei­te­res Gro­ß­pro­jekt galt der neue Haupt­bahn­hof, wel­cher 1928 be­gon­nen, erst 1934 fer­tig­ge­stellt wer­den konn­te, aber auch wäh­rend der Kri­sen­jah­re wei­ter­ge­baut wur­de. Die Stadt ließ die Bau­stel­le ent­ge­gen der For­de­rung der Kom­mu­nal­auf­sicht nicht still­le­gen Mit dem neu­en Bahn­hofs­ge­bäu­de soll­te die städ­ti­sche In­fra­struk­tur wie­der an das Fern­ver­kehrs­netz an­ge­schlos­sen wer­den. Groß­bau­stel­len dien­ten über die Wei­ma­rer Jah­re hin­weg als Be­schäf­ti­gungs­pro­gramm für Er­werbs­lo­se, die zum Bei­spiel beim Bau des Sta­di­ons, der Re­gat­ta­bahn oder beim Haupt­bahn­hofs­neu­bau zum Ein­satz ka­men. Die Stadt leg­te im Fe­bru­ar 1933 - noch oh­ne na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Ein­fluss - ein in­fra­struk­tu­rel­les Ar­beits­be­schaf­fungs­pro­gramm auf.

Nach sei­ner Rück­kehr aus der Reichs­po­li­tik im Ja­nu­ar 1925 en­ga­gier­te sich Jar­res ver­stärkt für die Ein­ge­mein­dungs­wün­sche Duis­burgs und such­te die In­itia­ti­ve ge­gen­über der preu­ßi­schen Re­gie­rung. Wie ge­zeigt, hat­te sich Jar­res weit­rei­chen­de Zie­le ge­steckt und mit Nach­druck ver­folgt. Die Stadt­ver­wal­tung warb mit der wirt­schaft­li­chen Sta­bi­li­tät und Stär­ke Duis­burgs und schuf Vor­leis­tun­gen für die ver­kehrs­tech­ni­sche Ver­knüp­fung der neu­en Ge­bie­te mit Alt-Duis­burg. Den­noch muss­ten Duis­burg und Karl Jar­res sich mit ei­ner Kom­pro­miss­lö­sung zu­frie­den­ge­ben. Das im Jah­re 1929 er­las­se­ne Ge­setz über die kom­mu­na­le Neu­glie­de­rung  des rhei­nisch-west­fä­li­schen In­dus­trie­ge­biets ver­grö­ßer­te das Duis­bur­ger Stadt­ge­biet um die Stadt Ham­born und Tei­le des Land­krei­ses Dins­la­ken im Nor­den so­wie Tei­le des Land­krei­ses Düs­sel­dorf süd­lich der bis­he­ri­gen Stadt­gren­ze. Die An­glie­de­rung links­rhei­ni­scher Ge­bie­te an Duis­burg wur­de dar­in nicht voll­zo­gen.

Tonhallengarten mit Lehmbruck-Figur 'Die Kniende', undatiert. (Stadtarchiv Duisburg)

 

Der Aus­bau des Kul­tur­le­bens in der Stadt wur­de schon 1921 in An­griff ge­nom­men. Die Opernehe mit Düs­sel­dorf wur­de auf­ge­löst und statt­des­sen ei­ne Ver­bin­dung mit Bo­chum ein­ge­gan­gen. Un­ter ih­rem In­ten­dan­ten Dr. Sa­la­din Schmitt (1883-1951) zähl­te sie zu den be­deu­tends­ten Spiel­stät­ten in Deutsch­land. Karl Jar­res war über die gan­zen Jah­re hin­weg Kul­tur­de­zer­nent der Stadt und der an­spruchs­vol­le För­de­rer (mit ei­ge­ner Lo­ge, kei­ne Ope­ret­ten­auf­füh­run­gen) von Oper und Thea­ter. Dass Duis­burg „in den Zwan­zi­ger­jah­ren das ‚Bay­reuth des Nie­der­rheins’ ge­nann­t“[9] wur­de, un­ter­strich den da­ma­li­gen kul­tu­rel­len Stel­len­wert der Stadt in Deutsch­land. Jar­res war in der Welt­wirt­schafts­kri­se auch nicht be­reit, die Kul­tur­stät­ten als Spar­maß­nah­me zu schlie­ßen. Jar­res ver­wahr­te sich ge­gen den Vor­wurf, Kul­tur­po­li­tik sei ei­ne „Lu­xus­aus­ga­be“. In die­ser sah er viel­mehr ei­ne so­zi­al­po­li­ti­sche Zu­kunfts­in­ves­ti­ti­on.

Trotz der in­ten­si­ven Stand­ort­po­li­tik konn­te die Stadt­ver­wal­tung kei­ne neu­en Groß­fir­men in ihr Stadt­ge­biet lo­cken. Viel­mehr ver­lor sie durch die Fu­sio­nen in der Schwer­in­dus­trie, vor al­lem durch die Bil­dung der Ver­ei­nig­ten Stahl­wer­ke AG, die hö­he­ren Be­am­ten und Ver­wal­tungs­sit­ze an die Nach­bar­städ­te. Hier zeig­te sich, dass Duis­burg den Rück­stand an Pres­ti­ge und Wert­schät­zung als Wohn­stadt in den Amts­zei­ten von Jar­res nicht hat­te auf­ho­len kön­nen. Vor al­lem hin­sicht­lich der Au­ßen­wahr­neh­mung blieb das Stadt­bild der Ar­bei­ter- und In­dus­trie­stadt trotz der Stadt­ent­wick­lungs­po­li­tik un­ter Karl Jar­res er­hal­ten.

Saladin Schmitt, Intendant des Stadttheaters Duisburg, Porträtfoto, undatiert. (Stadtarchiv Duisburg)

 

6. Das Erreichte: Ein Fazit

Am 16.5.1933 muss­te Karl Jar­res auf Druck der Na­tio­nal­so­zia­lis­ten sein Ober­bür­ger­meis­ter­amt nie­der­le­gen. Doch schon vor der Kanz­ler­schaft Adolf Hit­lers (1889-1945) war das ein­mü­ti­ge Re­gie­ren von Ober­bür­ger­meis­ter und Stadt­ver­ord­ne­ten­ver­samm­lung in Duis­burg ste­tig er­schwert wor­den. Die Wah­len zum preu­ßi­schen Land­tag so­wie zum Reichs­tag  im Jahr 1932 hat­ten auch in Duis­burg-Ham­born ei­ne Mehr­heit aus KPD und NS­DAP zur Fol­ge. In der seit 1929 am­tie­ren­den Stadt­ver­ord­ne­ten­ver­samm­lung be­stimm­ten noch die ge­mä­ßig­ten Frak­tio­nen die Mehr­heits­ver­hält­nis­se. Aber auch das von SPD und Zen­trums­par­tei do­mi­nier­te Ge­mein­de­par­la­ment ver­wei­ger­te Jar­res ab 1931 im­mer wie­der die Zu­sam­men­ar­beit, so dass die er­for­der­li­chen Be­schlüs­se, bei­spiels­wei­se die Zwangs­ein­füh­rung neu­er Steu­ern, nur über den Re­gie­rungs­prä­si­den­ten in Kraft tre­ten konn­ten. Jar­res schaff­te es nicht mehr, sich un­ein­ge­schränkt als über­par­tei­li­cher Ver­mitt­ler zu ge­rie­ren.

Schon un­ter Jar­res’ Vor­gän­ger Carl Lehr wur­den mit dem Neu­bau des Rat­hau­ses und der spen­den­fi­nan­zier­ten Er­rich­tung des Stadt­thea­ters groß­städ­ti­sche Ak­zen­te ge­setzt. In den Jah­ren 1919 bis 1933 gab ne­ben wei­te­ren städ­te­bau­li­chen Ein­zel­pro­jek­ten auch ganz­heit­li­che Ent­wick­lun­gen. Die Stadt be­trieb ei­nen plan­mä­ßi­gen Wohn­bau mit der Schaf­fung neu­er Sied­lun­gen, er­rich­te­te Grün- und Sport­an­la­gen und for­cier­te den Er­werb ei­nes neu­en In­dus­trie- und Wohn­ge­biets über Grund­stücks­er­werb und Ein­ge­mein­dung.

Ansicht der Böninger-Mühle, undatiert. (Stadtarchiv Duisburg)

 

Jar­res’ Be­mü­hen galt da­bei pri­mär der Schaf­fung ei­nes neu­en, dif­fe­ren­zier­te­ren Stadt­bil­des. Jen­seits des Images als Ar­bei­ter- und In­dus­trie­stadt warb er für die Kul­tur- und Wohn­stadt Duis­burg. So schrieb er 1928: „Rüs­tig schrei­tet die Stadt als Schritt­ma­che­rin der Wirt­schaft des In­dus­trie­ge­biets vor­wärts, und auch ih­re Leis­tun­gen auf dem Ge­bie­te der deut­schen Kul­tur fin­den mit Recht weit­hin Be­ach­tung.“[10] Das kul­tu­rel­le An­ge­bot der Stadt galt ihm als wich­ti­ger Wer­be­fak­tor. Es zeig­te sich, dass Karl Jar­res ein Kon­zept für die Stadt be­saß und mit Nach­druck für des­sen Um­set­zung agi­tier­te.

Die Bau­ten und Schöp­fun­gen aus der Wei­ma­rer Re­pu­blik prä­gen noch heu­te das Duis­bur­ger Stadt­bild und ha­ben zum Teil über­re­gio­na­le Be­deu­tung er­langt (so der Sport­park We­dau). Doch über wei­te Stre­cken – auch be­dingt durch die schwe­ren Start­be­din­gun­gen nach dem Ers­ten Welt­krieg – ge­lan­gen Karl Jar­res nur Teil­er­fol­ge. Das Aus­se­hen und der Ruf der Stadt wur­den be­hut­sam ver­bes­sert, aber der gro­ße Wurf in ei­nem Atem­zug mit den rhei­ni­schen Zen­tren Düs­sel­dorf und Köln ge­nannt zu wer­den, wur­de nur sei­ner Per­son, aber nicht der Stadt Duis­burg zu­teil.

Quellen

Ar­ti­kel für die „Köl­ni­sche Zei­tun­g“: Duis­burg, die Rhein- und Ruhr-Stadt (Stadt­ar­chiv Duis­burg 150/60). Ar­ti­kel für die „Deut­sche All­ge­mei­ne Zei­tun­g“: Zur Rhei­ni­schen Jahr­tau­send­fei­er (Stadt­ar­chiv Duis­burg 150/60).
Bern­hard, Hen­ry (Hg.), Gus­tav Stre­se­mann. Ver­mächt­nis, Band 2: Lo­car­no und Genf, Ber­lin 1932.
Brief an Herrn Ge­heim­rat Emil Kir­dorf vom 24.12.1925 (Stadt­ar­chiv Duis­burg 150/70).
Brief an Herrn Ge­ne­ral­di­rek­tor Vög­ler vom 30.12.1925 (Stadt­ar­chiv Duis­burg 150/70).
Jar­res, Karl (Hg.), Duis­burg 925-1925. Die Ju­bel­fei­er 1925, [Duis­burg 1925].
Pro­to­kol­le der Stadt­ver­ord­ne­ten­ver­samm­lung 1919-1921 (Stadt­ar­chiv Duis­burg 100A/1/11).
Städ­ti­sche Hoch­bau­ver­wal­tung Duis­burg (Hg.), Duis­burg (Deutsch­lands Städ­te­bau), 2. Auf­la­ge, Ber­lin 1925.
Städ­ti­sches Sta­tis­ti­sches Am­t ­Duis­burg (Hg.), Be­richt über die Ver­wal­tung und den Stand der Ge­mein­de-An­ge­le­gen­hei­ten der Stadt Duis­burg in den Rech­nungs­jah­ren 1912 bis 1924 (1. April 1912 bis 31. März 1925), Duis­burg [1928].
Städ­ti­sches Sta­tis­ti­sches Am­t ­Duis­burg (Hg.), Ver­wal­tungs­be­richt der Stadt Duis­burg für 1927, Duis­burg [1929].

Literatur

Dün­ne­ba­cke, Paul-Heinz, Karl Jar­res im Kai­ser­reich und in den ers­ten Jah­ren der Wei­ma­rer Re­pu­blik
Heindl, Wolf­gang, Die Haus­hal­te von Reich, Län­dern und Ge­mein­den in Deutsch­land von 1925 ­bis 1933. Öf­fent­li­che Haus­hal­te und Kri­sen­ver­schär­fung, Frank­furt a. M. [u. a.] 1984.
Hof­mann, Wolf­gang, Zwi­schen Rat­haus und Reichs­kanz­lei. Die Ober­bür­ger­meis­ter in der Kom­mu­nal- und Staats­po­li­tik des Deut­schen Rei­ches von 1890 bis 1933, Stutt­gart 1974.
Käh­ler, Gert, Nicht nur Neu­es Bau­en! Stadt­bau, Woh­nung, Ar­chi­tek­tur, in: Käh­ler, Gert. (Hg.), Ge­schich­te des Woh­nens, Band 4: 1918-1945. Re­form, Re­ak­ti­on, Zer­stö­rung, Lud­wigs­burg/Stutt­gart 1996, S. 303-452.
Kru­se-Jar­res, Jür­gen D., Karl Jar­res. Ein be­weg­tes Po­li­ti­kerle­ben – vom Kai­ser­reich zur Bun­des­re­pu­blik, Mün­chen 2006.
von Ro­den, Gün­ter, Ge­schich­te der Stadt Duis­burg, Band 2: Die Orts­tei­le von den An­fän­gen. Die Ge­samt­stadt seit 1905, Duis­burg 1974.
Weiß, Lo­thar, Rhei­ni­sche Groß­städ­te wäh­rend der Welt­wirt­schafts­kri­se (1929-1933). Kom­mu­na­le Fi­nanz- und So­zi­al­po­li­tik im Ver­gleich, Köln/Wei­mar/Wien 1999.

Hotel Duisburger Hof, undatiert. (Stadtarchiv Duisburg)

 
Zitationshinweis

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Olenik, Alexander, „Duisburg - Die Rhein- und Ruhr-Stadt“. Stadtbild und Stadtplanung unter Karl Jarres in Duisburg 1918/1919-1933, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/Themen/duisburg---die-rhein--und-ruhr-stadt.-stadtbild-und-stadtplanung-unter-karl-jarres-in-duisburg-19181919-1933/DE-2086/lido/578e17abb05538.63182436 (abgerufen am 28.03.2024)