Das Siebengebirge in der NS-Zeit

Ansgar S. Klein (Bonn)

'Machtergreifung' vor dem Königswinterer Rathaus, März 1933. (Archiv Heimatverein Siebengebirge)

1. Machtergreifung

Die na­tio­nal­so­zia­lis­ti­sche Pro­pa­gan­da hat den 30.1.1933, der Tag an dem der Füh­rer der NS­DAP, Adolf Hit­ler (1889-1945), zum Kanz­ler des Deut­schen Rei­ches er­nannt wur­de, als den „Tag der Macht­er­grei­fung“ ver­klärt. Da­mit soll­te die In­itia­ti­ve und Dy­na­mik des Vor­gangs, die der Par­tei und vor al­lem die ih­res Füh­rers her­aus­ge­stellt wer­den. Bis heu­te wird die­sem Tag – wohl­ge­merkt zu Recht – ei­ne be­son­de­re Rol­le zu­ge­mes­sen, schlie­ß­lich lei­te­te der an ihm er­folg­te letz­te Re­gie­rungs­wech­sel der von Wirt­schafts- und Ver­fas­sungs­kri­se be­droh­ten Wei­ma­rer Re­pu­blik ei­ne von ei­nem gro­ßen Teil der Ak­teu­re nicht oder viel­mehr nicht so ge­woll­ten Dik­ta­tur ein. Wenn auch die For­schung mitt­ler­wei­le die „Macht­er­grei­fun­g“ als ei­nen ste­ti­gen Pro­zess der Mach­te­r­obe­rung und -si­che­rung be­trach­tet, so mar­kiert der 30.1.1933 im öf­fent­li­chen Be­wusst­sein doch den Be­ginn der na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Herr­schaft in Deutsch­land.

Die Er­eig­nis­se der so ge­nann­ten „Gro­ßen Po­li­ti­k“ sind be­kannt; aber wie sah es in der Re­gi­on des Sie­ben­ge­bir­ges mit sei­nen knapp 32.000 Ein­woh­nern in zwei Städ­ten und acht Ge­mein­den aus? Wirt­schaft­lich ge­se­hen be­fand sich die Stadt Hon­nef (seit 1960 Stadt Bad Hon­nef) in der Wei­ma­rer Zeit in ei­ner „Struk­tur­kri­se“: Der Stadt der Rent­ner, die in der In­fla­ti­on von 1923 ihr Geld ver­lo­ren hat­ten, fiel es schwer, sich neue wirt­schaft­li­che Mög­lich­kei­ten zu schaf­fen. Ge­räusch- und ge­ruchs­ar­me In­dus­trie soll­ten dem Er­ho­lungs­ort ein zwei­tes Stand­bein ge­ben: Mö­bel- und Kon­ser­ven­fa­bri­ken, Elek­tro­in­dus­trie. Der Stadt Kö­nigs­win­ter, de­ren wirt­schaft­li­che Grund­la­ge im­mer we­ni­ger auf Wein­bau und Stein­bruch, son­dern mehr auf (Mas­sen-)Tou­ris­mus be­ruh­te, ging es nicht viel bes­ser. Im Amt Ober­kas­sel (seit 1969 Stadt Bonn) be­stan­den zwar In­dus­trie­be­trie­be, a­ber auch ih­re Si­tua­ti­on war nicht die bes­te. Im „struk­tur­schwa­chen“ Amt Ober­pleis (seit 1969 Stadt Kö­nigs­win­ter), das von der Land­wirt­schaft ge­prägt war, gab es wäh­rend der gan­zen Wei­ma­rer Zeit ei­nen ste­ten So­ckel an Er­werbs­lo­sen.

 

Die po­li­ti­sche Si­tua­ti­on in den Kom­mu­nen stell­te sich wie folgt dar: Das tra­di­tio­nell sehr star­ke Zen­trum do­mi­nier­te zwar wei­ter­hin, aber nicht mehr so un­an­ge­foch­ten; das bür­ger­li­che La­ger zer­fiel lang­sam aber si­cher in vie­le klei­ne In­ter­es­sen­grup­pen und -grüpp­chen. Die So­zi­al­de­mo­kra­ten hat­ten sich nicht rich­tig eta­blie­ren kön­nen und wur­den zu­dem von den sich als Bür­ger­schreck ge­bär­den­den Kom­mu­nis­ten weit­ge­hend ver­drängt.

Die NS­DAP war bis 1930 ei­ne po­li­tisch un­be­deu­ten­de Par­tei am rech­ten Rand. Die ers­ten Na­tio­nal­so­zia­lis­ten im Sie­ben­ge­bir­ge ka­men von aus­wärts hier­her: En­de April 1922 nahm die Köl­ner Orts­grup­pe an der Gau­ta­gung des „Deutsch-Völ­ki­schen Schutz- und Trutz­bun­des“ auf der In­sel Gra­fen­werth teil, im Ju­ni des­sel­ben Jah­res fei­er­ten Na­tio­nal­so­zia­lis­ten und Deutsch­völ­ki­sche die Sonn­wend­fei­er auf der Ro­senau.

Wäh­rend Hit­ler ei­ner­seits die NS­DAP als ein­zi­ge rech­te Par­tei eta­blier­te, dien­te er sich an­de­rer­seits den bür­ger­li­chen Krei­sen an. Zu die­sem Zweck traf er sich mit Ver­tre­tern der Wirt­schaft un­ter an­de­rem 1926 in Kö­nigs­win­ter. Da Hit­ler noch das Re­den auf öf­fent­li­chen Ver­samm­lun­gen ver­bo­ten war, muss­te er in­ner­halb ei­ner ge­schlos­se­nen Ge­sell­schaft spre­chen. Die Aus­füh­run­gen sei­nes Vor­tra­ges zur „Deut­schen Wirt­schafts- und So­zi­al­po­li­ti­k“ sind nicht über­lie­fert, wohl aber ein Fo­to, das Hit­ler und Heß auf der Kö­nigs­win­te­rer Fäh­re zeigt.

Die ers­te öf­fent­li­che Ver­samm­lung der NS­DAP in der Re­gi­on fand am 20.10.1928 in Hon­nef statt, als der für Bonn und den Sieg­kreis zu­stän­di­ge „Kreis­lei­ter“ Wil­helm Ger­ling (ge­bo­ren 1882) hier­her kam. Es gab zu die­sem Zeit­punkt schon ei­ni­ge An­hän­ger der Par­tei in der Stadt und so er­folg­te die Grün­dung ei­nes Stütz­punk­tes. Zur Grün­dung ei­ner Orts­grup­pe hat­te die Mit­glie­der­zahl wohl noch nicht ge­reicht, da­für wur­den 15 Par­tei­ge­nos­sen be­nö­tigt.

Für das dar­auf fol­gen­de Jahr las­sen sich elf Ver­an­stal­tungs­ter­mi­ne er­mit­teln. Die ver­stärk­ten Ak­ti­vi­tä­ten der Na­tio­nal­so­zia­lis­ten im ge­sam­ten Rhein­land be­un­ru­hig­ten die Be­hör­den. Der Land­rat hat­te da­her 1929 Be­richt zu er­stat­ten. Er mel­de­te, dass im Sieg­kreis be­reits neun Orts­grup­pen be­stün­den, die 197 Mit­glie­der auf­zu­wei­sen hät­ten, dar­un­ter in Hon­nef 22, in Rhön­dorf 14, in Kö­nigs­win­ter 21 und in Ober­pleis 17, ins­ge­samt 74. Die Zah­len sind mit Skep­sis zu be­trach­ten. Die Ge­schichts­schrei­bung der Par­tei sprach spä­ter da­von, dass En­de 1929 im Sieg­kreis ei­ne ein­zi­ge Orts­grup­pe in Her­chen be­stan­den ha­be und es ins­ge­samt 17 Par­tei­mit­glie­der gab. Der Land­rat sah zu­min­dest kei­ne Ge­fahr und gab fol­gen­de Pro­gno­se ab: Es ist nicht da­mit zu rech­nen, daß im Sieg­krei­se auf die Dau­er von der NS­DAP ein nen­nens­wer­ter Er­folg er­reicht wird, je­doch wird ei­ne sorg­fäl­ti­ge Über­wa­chung auch in Zu­kunft not­wen­dig sein.

Ei­ne be­deu­ten­de Ver­samm­lung fand am 4.10.1929 in Hon­nef statt, die zu­sam­men mit dem Stahl­helm ein­be­ru­fen wur­de. Die Rechts­grup­pie­run­gen hat­ten sich ge­gen den Young-Plan, der die Re­pa­ra­ti­ons­zah­lun­gen re­geln soll­te, zu­sam­men­ge­schlos­sen. Für die Na­tio­nal­so­zia­lis­ten be­deu­te­te dies, dass sie ei­nen Fuß in das bür­ger­li­che La­ger be­ka­men. Sie wa­ren jetzt nicht mehr die Au­ßen­sei­ter, mit de­nen nie­mand et­was zu tun ha­ben woll­te.

Im sel­ben Mo­nat fand die Grün­dung ei­ner Orts­grup­pe statt. Ers­ter Orts­grup­pen­lei­ter wur­de Mi­cha­el Schild. Im Ok­to­ber 1930 ent­stand die Orts­grup­pe Ober­kas­sel, ihr Lei­ter war Theo­dor Bra­schoß. Ob­wohl für den sel­ben Mo­nat an­ge­kün­digt, er­folg­te die Grün­dung der Orts­grup­pe Kö­nigs­win­ter erst im Ju­li 1932, Lei­ter war Lud­wig But­tlar. Mög­lich­wei­se war zu­nächst nur ein Stütz­punkt ein­ge­rich­tet wor­den, so wie es im No­vem­ber 1930 für Ober­pleis an­ge­kün­digt wor­den war. Der Stütz­punkt Ober­pleis blieb mit der Orts­grup­pe Ober­kas­sel ver­bun­den und erst nach der Macht­über­nah­me er­hielt Ober­pleis ei­ne ei­ge­ne Orts­grup­pe, de­ren Lei­ter Lud­wig Zaun war.

Die Na­tio­nal­so­zia­lis­ten stell­ten für die Kom­mu­nal­wahl im No­vem­ber 1929 in Hon­nef und Ober­kas­sel ei­ge­ne Lis­ten auf. Wäh­rend sie in grö­ße­ren Städ­ten wie Bonn und Ko­blenz in die Stadt­rä­te ge­lang­ten, blieb das Wahl­er­geb­nis im Sie­ben­ge­bir­ge für sie je­doch recht ma­ger: 61 be­zie­hungs­wei­se 35 Stim­men und kei­nen Sitz.

Im Ver­lauf des nächs­ten Jah­res in­ten­si­vier­ten sie ih­re Ver­samm­lungs­tä­tig­keit: 37 Ver­an­stal­tun­gen wa­ren an­ge­kün­digt. Ih­re Pro­pa­gan­da rich­te­te sich ge­gen das „Wei­ma­rer Sys­te­m“, wie sie den re­pu­bli­ka­ni­schen Par­la­men­ta­ris­mus nann­ten, das sie ab­schaf­fen woll­ten. Da­bei pro­fi­tier­ten sie zu­neh­mend von der Welt­wirt­schafts­kri­se, die in Deutsch­land zu stei­gen­der Ar­beits­lo­sig­keit führ­te. Die da­mit ent­ste­hen­de Exis­tenz­be­dro­hung führ­te zur Ab­wen­dung von den de­mo­kra­ti­schen und zum Zu­lauf zu den ra­di­ka­len Par­tei­en von rechts und links, die als Sam­mel­be­cken des Pro­tes­tes fun­gier­ten. Ge­walt­tä­ti­ge Zu­sam­men­stös­se ih­rer An­hän­ger häuf­ten sich. Im Mai 1930 kam es in Hon­nef im Ver­lauf ei­ner Ver­an­stal­tung zu ei­ner Schie­ße­rei, bei der acht Men­schen ver­letzt wur­den.

In der Reichs­tags­wahl vom Sep­tem­ber 1930 ge­lang der NS­DAP der Durch­bruch von der un­be­deu­ten­den Split­ter­par­tei zur Mas­sen­par­tei: im Reich er­höh­te sich ihr Stim­men­an­teil von 2,6 auf 18,3 Pro­zent, in Hon­nef von un­ter 1 auf 16,6 Pro­zent, in Kö­nigs­win­ter auf 14,7 Pro­zent, in Ober­kas­sel auf 10,7 Pro­zent und in Ober­pleis auf 12,3 Pro­zent!

Die Wahl­for­schung hat her­aus­ge­fun­den, dass es der Par­tei vor al­lem ge­lun­gen war, Nicht­wäh­ler zu mo­bi­li­sie­ren. Nach die­sem Wahl­sieg tra­ten vie­le in die NS­DAP ein, Mit­tel­ständ­ler vor al­lem, die an­ge­sichts der Kri­se um ih­re Exis­tenz fürch­te­ten und von den eta­blier­ten Par­tei­en ent­täuscht wa­ren.

So wie der Kauf­mann Hein­rich Behr, der seit Sep­tem­ber 1930 die Orts­grup­pe Hon­nef lei­te­te. Behr war in der so ge­nann­ten „Kampf­zeit“ ein äu­ßerst ak­ti­ver Na­tio­nal­so­zia­list. Dy­na­misch und agil war er stän­dig im Ein­satz, or­ga­ni­sier­te Ver­samm­lun­gen in Hon­nef und Um­ge­bung, 41 Ver­an­stal­tun­gen wa­ren es 1931 im Sie­ben­ge­bir­ge, jetzt auch in klei­nen Or­ten wie Eu­den­bach und Quir­ren­bach. Die über­hitz­te po­li­ti­sche At­mo­sphä­re führ­te auch zu phy­si­scher Ge­walt: Im Ja­nu­ar 1932 kam es in Ober­kas­sel zu ei­ner Schie­ße­rei, im März in Hon­nef.

Vor dem Hin­ter­grund der sich ste­tig ver­schlech­tern­den Wirt­schafts­la­ge wähl­ten im­mer mehr Men­schen die NS­DAP. In der Reichs­tags­wahl im Ju­li 1932 er­hielt sie 37,3 Pro­zent, im Wahl­kreis Köln-Aa­chen wa­ren es nur 20,2 Pro­zent, in Hon­nef je­doch 25,8 Pro­zent, in Kö­nigs­win­ter 21,1 Pro­zent, in Ober­kas­sel 16,2 Pro­zent und in Ober­pleis 9,9 Pro­zent. Im No­vem­ber sank ihr Stim­men­an­teil auf 33,1 Pro­zent im Reich, 17,5 Pro­zent im Wahl­kreis Köln-Aa­chen und im Sieg­kreis 18,3 Pro­zent. In Hon­nef 18,4 Pro­zent, Kö­nigs­win­ter 14,8 Pro­zent, Ober­kas­sel 11,7 Pro­zent und Ober­pleis 8,1 Pro­zent. Of­fen­bar wa­ren der ra­di­ka­len Par­tei Schran­ken ge­setzt.

Der 30.1.1933 be­wirk­te in der Pro­vinz kei­ne gro­ßen Ver­än­de­run­gen. In Hon­nef kam es ei­nen Tag spä­ter zu ei­nem sym­bo­li­schen Akt: die Orts­grup­pe hiss­te ei­ne Ha­ken­kreuz­fah­ne an ei­nem ei­gens da­für auf­ge­stell­ten Mast auf dem Markt­platz. Orts­grup­pen­lei­ter Behr ge­wann sei­ne ers­te Macht­pro­be ge­gen Bür­ger­meis­ter Reu­mont: der oh­ne Ge­neh­mi­gung er­rich­te­te Mast blieb ste­hen, die Fah­ne durf­te wei­ter über dem Markt we­hen.

Pro­vo­ka­tiv führ­te ein an­ge­kün­dig­te Um­zug durch Sel­hof, wo vie­le Kom­mu­nis­ten wohn­ten. Wie­der­um ei­nen Tag spä­ter schoss ein SA-Mann – an­geb­lich aus Not­wehr - auf ei­nen Kom­mu­nis­ten. Dies führ­te da­zu, dass die Woh­nun­gen der kom­mu­nis­ti­schen Funk­tio­nä­re nach Waf­fen, aber auch nach „Zer­set­zungs­ma­te­ri­al“ durch­sucht wur­den.

Um ih­re Herr­schaft zu le­gi­ti­mie­ren, lie­ßen die neu­en Macht­ha­ber al­le par­la­men­ta­ri­schen Ver­tre­tun­gen auf­lö­sen und schrie­ben Neu­wah­len aus. In dem nun ein­set­zen­den Wahl­kampf hat­ten die Rechts­par­tei­en den Vor­teil, dass sie sich nun auf die staat­li­chen Or­ga­ne stüt­zen konn­ten, ins­be­son­de­re auf die Po­li­zei, der SA, SS und Stahl­helm als Hilfs­po­li­zei zur Sei­te ge­stellt wur­den, so dass die Par­tei­trup­pe nun ih­ren Ter­ror ge­gen Kom­mu­nis­ten und an­de­re im halb-staat­li­chen Ge­wand durch­füh­ren konn­te. Die Zei­tun­gen be­rich­te­ten je­den Tag von ge­walt­tä­ti­gen Zu­sam­men­stö­ßen. Im Sie­ben­ge­bir­ge blieb es ru­hig. Die Auf­stel­lung ei­ner Hilfs­po­li­zei war nicht nö­tig.

Der Reichs­tags­brand am Abend des 27.2.1933 än­der­te al­les. Er bot den Na­tio­nal­so­zia­lis­ten die will­kom­me­ne Be­grün­dung, sys­te­ma­tisch ge­gen die Kom­mu­nis­ten vor­zu­ge­hen. Die Not­ver­ord­nung des Reichs­prä­si­den­ten, die am fol­gen­den Tag er­las­sen wur­de, setz­te die ver­fas­sungs­recht­li­chen Grund­rech­te au­ßer Kraft und bil­de­te die Grund­la­ge für die sich an­bah­nen­de Dik­ta­tur.

Adolf Hitler und Rudolf Heß auf der Königswinterer Fähre, 1926. (Archiv Heimatverein Siebengebirge)

 

Es kam zu Ver­haf­tun­gen der Kom­mu­nis­ten: in Hon­nef, ih­rer Hoch­burg, wa­ren es schlie­ß­lich 21 Per­so­nen, dar­un­ter die Stadt­rä­te Kirch­hof und Mundorf, in Kö­nigs­win­ter-Stadt 17, dar­un­ter die Stadt­rä­te We­ber, Reu­ter und Lam­berz, im Amt Kö­nigs­win­ter acht, im Amt Ober­kas­sel zwölf und im Amt Ober­pleis drei, zu­sam­men 57 Per­so­nen.
Bei der un­ter die­sen Um­stän­den durch­ge­führ­ten Reichs­tags­wahl am 5.3.1933 er­hielt die NS­DAP 43,9 Pro­zent der ab­ge­ge­be­nen Stim­men. Ih­re Hoff­nung auf ei­ne al­lei­ni­ge ab­so­lu­te Mehr­heit hat­te sich nicht er­füllt. Im Wahl­kreis Köln-Aa­chen er­hielt sie 30,2 Pro­zent, im Sieg­kreis 29,6 Pro­zent, in Hon­nef 33,1 Pro­zent, im Amt Kö­nigs­win­ter 30,7 Pro­zent (in der Stadt 35,4 Pro­zent), im Amt Ober­kas­sel 25,2 Pro­zent und im Amt Ober­pleis 23,6 Pro­zent.

Die Er­obe­rung der lo­ka­len Rat­häu­ser war für die Na­tio­nal­so­zia­lis­ten in greif­ba­re Nä­he ge­rückt. Ih­re An­sprü­che drück­ten sich über­all durch den Ver­such aus, die Ha­ken­kreuz­fah­ne an ex­po­nier­ter Stel­le zu his­sen, ins­be­son­de­re auf dem Rat­haus. Die­se Macht­pro­be und De­mons­tra­ti­on des Um­stur­zes der po­li­ti­schen Ver­hält­nis­se fiel in den meis­ten Fäl­len zu­guns­ten der Na­tio­nal­so­zia­lis­ten aus. Nur we­ni­ge Bür­ger­meis­ter hin­der­ten sie dar­an, doch schlie­ß­lich sank­tio­nier­te Gö­ring die­se Vor­komm­nis­se. In Hon­nef wur­de dar­auf­hin am 7. März die Ha­ken­kreuz­fah­ne auf dem Rat­haus ge­hisst, zwei Ta­ge spä­ter auch auf dem Ge­bäu­de der Reichs­post.

Die SA trat im­mer her­ri­scher auf: Vor der Eha­pe-Fi­lia­le hat­te sie ein Pla­kat auf­ge­stellt und wohl auch Män­ner pos­tiert, die et­wai­ge Kun­den ab­schre­cken soll­ten. Als sich ei­ne grö­ße­re Men­ge Men­schen vor dem Ge­schäft ver­sam­mel­te, schritt Land­jä­ger­meis­ter Schnei­der mit den Wor­ten „Die SA ha­be die Stra­ße nicht zu be­herr­schen” ein. Die­se be­ant­wor­te­ten am Abend die Maß­nah­me des Staa­tes wie­der­um mit der Be­set­zung des Rat­hau­ses und dem An­spruch, sie sei­en bes­ser in der La­ge für Ru­he und Ord­nung zu sor­gen.

Nur ei­ne Wo­che nach der Reichs­tags­wahl, am 12.3.1933, fan­den die Kom­mu­nal­wah­len statt. In Hon­nef ge­wann die NS­DAP sechs von 20 Sit­zen, in Kö­nigs­win­ter fünf von 16 Sit­zen, im Amt ei­nen von zehn, in Ober­kas­sel drei von 15, Ober­pleis zwei von zehn Sit­zen. Das war zwar ein Wahl­er­folg, aber es war nicht die an­ge­streb­te Mehr­heit.

Trotz die­ses Wahl­er­geb­nis­ses folg­te be­reits am nächs­ten Tag die Macht­über­nah­me in den Kom­mu­nen. In Hon­nef be­dräng­te Orts­grup­pen­lei­ter Behr Bür­ger­meis­ter Reu­mont, der „auf hö­he­re An­ord­nung mit so­for­ti­ger Wir­kung be­ur­laub­t“ wur­de. In Ober­kas­sel ge­schah das glei­che mit dem Amts­bür­ger­meis­ter Ri­chard Nü­cker. Im Ton mil­der, aber eben­so kon­se­quent ging es in Kö­nig­win­ter zu: Bür­ger­meis­ter Jo­sef Cle­ver be­an­trag­te sei­ne Pen­sio­nie­rung. Le­dig­lich in Ober­pleis konn­te sich Amts­bür­ger­meis­ter Ru­dolf Hahn noch ei­ni­ge Wo­chen hal­ten, be­vor auch er nach zer­mür­ben­den Vor­wür­fen be­ur­laubt wur­de.

Den Sieg der Na­tio­nal­so­zia­lis­ten lie­ßen die Na­tio­nal­so­zia­lis­ten so­gleich mit ei­nem er­neu­ten His­sen der Ha­ken­kreuz­fah­ne auf dem Rat­haus sym­bo­lisch un­ter­strei­chen. Ein Ein­trag in der Sel­ho­fer Schul­chro­nik vom 14.3.1933 ver­deut­licht den ein­ge­tre­te­nen Wan­del: „Heu­te wur­de auf dem Schul­ho­fe ei­ne schwarz-weiß-ro­te und ei­ne Fah­ne mit dem Ha­ken­kreuz, der Par­tei­flag­ge der NS­DAP, auf An­ord­nung der Reichs­re­gie­rung ge­hisst. Die bis­he­ri­ge Fah­ne schwarz-rot-gold nahm der Ar­bei­ter mit zum Bür­ger­meis­ter­am­te.“

Wei­te­re un­lieb­sa­me Be­am­te wur­den so­fort be­ur­laubt: in Hon­nef der Rent­meis­ter Hil­len, zwei Po­li­zis­ten, de­nen der Kom­mu­nist Wa­scher ent­wischt war, und der Land­jä­ger­meis­ter Schnei­der, in Kö­nigs­win­ter der Syn­di­kus Lied­gens und der Rent­meis­ter Stein­hau­er, in Ober­kas­sel der Se­kre­tär Hörsch, der Po­li­zist Schlüs­sel und der Rent­meis­ter Schä­fer. Ei­ni­ge durf­ten ih­re Stel­len be­hal­ten. Die Dro­hung aber wirk­te nach, der Ter­ror der SA tat sein Üb­ri­ges: in Hon­nef ver­schlepp­te sie Al­bert Leo­pold und Bank­di­rek­tor Ro­ther in ihr Stamm­lo­kal und miss­han­del­te sie.

Vie­le brauch­ten gar nicht ein­ge­schüch­tert zu wer­den. Nach den März­wah­len strö­men neue Mit­glie­der in Mas­sen in die Par­tei. Die­se ver­kün­de­te ei­nen Auf­nah­me­stopp, reichs­weit stan­den zu die­sem Zeit­punkt ei­nem al­ten Par­tei­ge­nos­sen zwei neue ge­gen­über. Als Par­tei­funk­tio­nä­re ga­ben al­ler­dings die „al­ten Kämp­fer“ den Ton an: in Hon­nef Hein­rich Behr und spä­ter Ju­li­us Köl­ker, in Kö­nigs­win­ter zu­nächst Lud­wig But­tlar, dann Bru­no Fried­richs und Au­gust Mül­ler, in Ober­kas­sel Theo­dor Bra­schoß und in Ober­pleis Lud­wig Zaun und Chris­ti­an Schnei­der.

Dem fei­er­li­chen ers­ten Zu­sam­men­tritt des neu­en Reichs­ta­ges folg­ten bald im glei­chen Stil die ers­ten Sit­zun­gen der neu ge­wähl­ten Kom­mu­nal­par­la­men­te; die be­reits hef­tig ver­folg­ten Kom­mu­nis­ten blie­ben ab­we­send und die SA nahm be­droh­lich im Raum Auf­stel­lung.

Ei­ne der ers­ten Hand­lun­gen der neu­en Bür­ger­meis­ter und Ge­mein­de­rä­te war meist die Er­nen­nung Hit­lers zum Eh­ren­bür­ger, so in Hon­nef, Ober­pleis, Stiel­dorf und Kö­nigs­win­ter, das zwei­te wa­ren Stra­ßen­um­be­nen­nun­gen.

Die bür­ger­li­chen Krei­se wa­ren in ei­ner na­tio­na­len Auf­bruch­stim­mung. Die na­tio­nal­so­zia­lis­ti­sche Pro­pa­gan­da ei­nes Jo­seph Go­eb­bels gau­kel­te ih­nen am „Tag von Pots­dam“ (21.3.1933) vor, dass das neue Deutsch­land un­ter Adolf Hit­ler in der Nach­fol­ge des al­ten Preu­ßen stand. Nur drei Ta­ge spä­ter stimm­ten al­le Par­tei­en au­ßer der SPD dem „Er­mäch­ti­gungs­ge­setz“ zu. Im Lau­fe der nächs­ten vier Mo­na­te er­folg­te der Pro­zess der Ver­ein­nah­mung der bür­ger­li­chen Par­tei­en durch die Na­tio­nal­so­zia­lis­ten, der durch ei­nen ho­hen Grad von An­pas­sungs­be­reit­schaft auf der ei­nen und durch per­ma­nen­ten Druck von der an­de­ren Sei­te ge­kenn­zeich­net war. Ih­re Ver­tre­ter ver­si­cher­ten der NS­DAP ih­re Mit­ar­beit, tra­ten der NS-Frak­ti­on als Hos­pi­tan­ten bei oder er­klär­ten ih­re Ab­sicht in die Par­tei ein­zu­tre­ten. Nur ei­ni­ge we­ni­ge zo­gen sich zu­rück. So­mit galt der la­pi­da­re Satz, der sich im Pro­to­koll­buch des Kö­nigs­win­te­rer Stadt­ra­tes im Ju­li 1933 fin­det, letzt­lich für al­le Ge­mein­den: „Die Stadt­ver­ord­ne­ten-Ver­samm­lung Kö­nigs­win­ter setzt sich in­fol­ge ei­ner Er­klä­rung der bür­ger­li­chen Par­tei­en nun­mehr nur aus Na­tio­nal­so­zia­lis­ten zu­sam­men.”

Winzerfest in Königswinter, nach 1933. (Archiv Heimatverein Siebengebirge)

 

2. Verfolgung und Widerstand

Ih­re po­li­ti­schen Geg­ner hat­ten die Na­tio­nal­so­zia­lis­ten schnell im Griff. Die sich re­vo­lu­tio­när ge­ben­den Kom­mu­nis­ten war­te­ten 1933 ver­geb­lich auf ein Zei­chen ih­rer Füh­rung. Die füh­ren­den Hon­ne­fer Kom­mu­nis­ten, dar­un­ter der Reichs­tags­ab­ge­ord­ne­te Wil­helm Pinne­cke (1897-1938), wa­ren un­ter­ge­taucht, ins Aus­land ge­flo­hen: Ru­dolf Wa­scher, Jo­hann Ka­chel, Franz und Ja­kob Koch. Die zu­rück­ge­blie­be­nen Kom­mu­nis­ten ka­men in Schutz­haft (57). Wäh­rend die meis­ten im Lau­fe der nächs­ten Wo­chen wie­der frei­ge­las­sen wur­den, blie­ben die Funk­tio­nä­re in Haft. Sie wur­den im Som­mer 1933 in das Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger Bör­ger­moor trans­por­tiert. En­de 1933 ka­men die ers­ten, Mit­te 1934 die letz­ten von ih­nen nach Hau­se zu­rück. Zur sel­ben Zeit fand vor dem Son­der­ge­richt in Hamm ei­ne Rei­he von Pro­zes­sen ge­gen Kom­mu­nis­ten aus der Re­gi­on statt, in de­nen ih­nen ihr Ein­tre­ten für die Zie­le der KPD, den re­vo­lu­tio­nä­ren Um­sturz, vor­ge­wor­fen wur­de. Vie­le er­hiel­ten Haft­stra­fen.

Wa­ren sie ent­las­sen, blei­ben sie un­ter stän­di­ger Be­ob­ach­tung. 1935 wur­den die Kom­mu­nis­ten Alois Hae­ner und Wil­helm Kröll we­gen Ab­hö­rens des Sen­ders Mos­kau ver­haf­tet. Wäh­rend Kröll frei­ge­spro­chen wur­de, er­hielt Hae­ner zwei Jah­re Zucht­haus. An Wi­der­stand war nicht zu den­ken. Trotz­dem wa­ren es Kom­mu­nis­ten aus Bonn, Beu­el und Ober­kas­sel, die selbst her­ge­stell­te Flug­blät­ter aus­leg­ten. Im Som­mer 1935 wur­den sie ver­haf­tet und zu lan­gen Haft­stra­fen ver­ur­teilt. Da­mit war die KPD end­gül­tig zer­schla­gen.

Die na­tio­nal­so­zia­lis­ti­sche Herr­schaft war von der Macht­über­nah­me an durch Ter­ror und Ver­fol­gung ge­kenn­zeich­net. Das Re­gime be­an­spruch­te die to­ta­le Macht­aus­übung und nutz­te al­le ihm zur Ver­fü­gung ste­hen­den Mit­tel und schuf sich zu­sätz­lich ei­ge­ne. Durch den Zu­griff auf die Po­li­zei und die dar­auf­hin er­fol­gen­de Ver­klam­me­rung von SS und Po­li­zei wur­de ein In­stru­ment ge­schaf­fen, das zur sys­te­ma­ti­schen Ver­fol­gung freie Hand be­kam. Die neu ge­schaf­fe­ne Ge­hei­me Staats­po­li­zei (Ge­sta­po) ent­wi­ckel­te sich durch das ste­te Zu­rück­drän­gen der Jus­tiz zur selbst­stän­di­gen Voll­stre­cke­rin der von der Staats­füh­rung vor­ge­ge­be­nen ras­sen­staat­li­chen Vor­stel­lun­gen.

Karl Bendig, 1933-1934 und 1935-1942 in Haft, danach in Schutzhaft und ins Konzentrationslager Oranienburg deportiert, dort 1942 verstorben. (Privatbesitz)

 

Wenn auch die im­mer wie­der pro­pa­gier­te und idea­li­sier­te „Volks­ge­mein­schaft” nicht wirk­lich er­reicht wer­den konn­te, so kann aber um­ge­kehrt auch nicht – wie in der äl­te­ren For­schung et­was un­glück­lich for­mu­liert – von ei­ner „Volks­op­po­si­ti­on” ge­spro­chen wer­den. Un­ter die­sem Be­griff wur­de das Ver­hal­ten von Ein­zel­per­so­nen zu­sam­men­ge­fasst, die durch kri­ti­sche Äu­ße­run­gen in Op­po­si­ti­on ge­gen das Re­gime ge­rie­ten. In ei­nem Staat, der na­he­zu je­den Le­bens­be­reich kon­trol­lier­te und durch­drang, konn­ten Un­muts­äu­ße­run­gen gleich wel­cher Art gra­vie­ren­de Kon­se­quen­zen nach sich zie­hen. Men­schen, die sich im All­tag ein­fach Luft ma­chen woll­ten und de­nun­ziert wur­den, sa­hen sich dem Ver­fol­gungs­ap­pa­rat ei­nes Re­gimes ge­gen­über, das sich von sol­chen Äu­ße­run­gen be­droht fühl­te und mit al­ler Här­te da­ge­gen vor­ging. Die Macht­ha­ber präg­ten da­für die Be­grif­fe wie „Mies­ma­cher­tum”, „Heim­tü­cke” un­d  „Volks­schäd­ling”.

Al­le die­se Vor­fäl­le ha­ben ge­mein­sam, dass sie nicht im­mer grund­sätz­li­che Kri­tik am Na­tio­nal­so­zia­lis­mus oder an staat­li­chen Maß­nah­men mit dem Zweck der Be­sei­ti­gung des Re­gimes sind. Ih­re Mel­dung kann als Zu­fall an­ge­se­hen wer­den. Ob­wohl den meis­ten Men­schen im „Drit­ten Reich“ be­wusst war, dass sie nicht mit je­dem über al­les spre­chen durf­ten, ka­men den­noch im­mer wie­der un­be­dach­te Äu­ße­run­gen in Ge­gen­wart von Frem­den vor. Öf­ter noch wa­ren es Be­kann­te und Nach­barn, die aus den ver­schie­dens­ten Mo­ti­ven zur De­nun­zia­ti­on schrit­ten, nicht sel­ten hat­ten die­se ei­nen pri­va­ten Kon­flikt als Hin­ter­grund.

Ge­gen die­se Art von Op­po­si­ti­on ging der na­tio­nal­so­zia­lis­ti­sche Staat auf drei­er­lei Art vor: zum ei­nen durch rück­sichts­lo­se Ver­fol­gung und An­dro­hung har­ter Stra­fen, des Wei­te­ren durch För­de­rung des De­nun­zi­an­ten­tums und schlie­ß­lich durch die öf­fent­li­che An­pran­ge­rung der Ab­ge­ur­teil­ten zur Ab­schre­ckung.

Die Er­mitt­lun­gen über­nahm in den al­ler­meis­ten Fäl­len die Ge­sta­po, die als der In­be­griff für Ter­ror und Un­ter­drü­ckung galt. Die neue­ren For­schun­gen über „My­thos und Rea­li­tät” der Ge­sta­po ha­ben je­doch ge­zeigt, dass das – auch in der For­schung – bis­lang vor­herr­schen­de Bild von ei­ner äu­ßerst ef­fek­ti­ven und om­ni­prä­sen­ten Über­wa­chungs­or­ga­ni­sa­ti­on so nicht auf­recht er­hal­ten wer­den kann und ei­ner Kor­rek­tur be­darf. Die weit ver­brei­te­te und tra­dier­te An­sicht be­ruh­te auf dem von der Lei­tung der Ge­sta­po ge­för­der­ten Selbst­bild, das zur Ein­schüch­te­rung der po­li­ti­schen Geg­ner be­stimmt war so­wie aus den un­mit­tel­ba­ren Er­fah­run­gen der Ver­folg­ten. Die Ge­hei­me Staats­po­li­zei selbst be­schäf­tig­te nicht vie­le haupt­amt­li­che Mit­ar­bei­ter. Sie pro­fi­tier­te viel­mehr von den vie­len De­nun­zi­an­ten in der Be­völ­ke­rung. Al­lein ihr Ruf als all­wis­sen­de und all­mäch­ti­ge Be­hör­de sorg­te für ein la­ten­tes Kli­ma der Be­dro­hung.

Die Er­mitt­lun­gen im Sieg­kreis wur­den von der Staats­po­li­zei­stel­le (Sta­po) Köln durch­ge­führt. Die­se hat­te im­mer et­wa 75 Be­am­te. In den Klein­städ­ten und Dör­fern des Re­gie­rungs­be­zirks Köln, der in den Zu­stän­dig­keits­be­reich der Sta­po Köln fiel, gab es über­haupt kei­ne Ge­sta­po-Be­am­te.

Klein­städ­te und Äm­ter wie die im Sie­ben­ge­bir­ge be­sa­ßen ei­ne kom­mu­na­le Po­li­zei, de­ren Lei­ter der Bür­ger­meis­ter war. Für die rund 32.000 Ein­woh­ner des Sie­ben­ge­bir­ges wa­ren es 1932 ge­ra­de mal 17 Po­li­zis­ten und sechs Flur­hü­ter. Bis in die 1940er Jah­re ka­men in den bei­den Städ­ten sie­ben wei­te­re hin­zu.

Zu­stän­dig für die Ab­ur­tei­lung von De­lik­ten, die sich ge­gen den Staat rich­te­ten, wa­ren ab 1933 die Son­der­ge­rich­te. In den rund 50.000 er­hal­te­nen Ak­ten des Köl­ner Son­der­ge­rich­tes fin­den sich die Na­men von 118 Per­so­nen aus dem Sie­ben­ge­birgs­raum. Die meis­ten Fäl­le fie­len un­ter das so ge­nann­te Heim­tü­cke-Ge­setz: er­mit­telt wur­de we­gen staats­feind­li­cher Äu­ße­run­gen (27), Be­lei­di­gun­gen (18), Ver­ächt­lich­ma­chung (5), Heim­tü­cke­ver­ge­hen (2) und Mies­ma­che­rei (2).

Ei­ni­ge Bei­spie­le: Der Hon­ne­fer Kauf­mann Sass äu­ßer­te sich 1934 in ei­nem Ge­schäft kri­tisch über das Vor­ge­hen des Re­gimes ge­gen Röhm und die SA, wur­de dar­auf­hin ver­haf­tet, aber bald wie­der frei­ge­las­sen. Der Ober­kas­se­ler Ver­le­ger Jo­han­nes Düp­pen kri­ti­sier­te 1934 im Fri­seur­la­den die Un­ter­drü­ckung der Pres­se, das Ver­fah­ren wur­de ein­ge­stellt. 1941 ver­lang­te er in sei­nem Stamm­lo­kal das Ra­dio aus zu ma­chen, als dort der Chef­kom­men­ta­tor der Reichs­re­gie­rung sprach. Der An­zei­ge folg­te die Ver­haf­tung, nur un­ter Mü­hen ge­lang es sei­nem An­walt, das Ver­fah­ren zur Ein­stel­lung zu brin­gen.

Die ein­zi­gen un­ab­hän­gi­gen In­sti­tu­tio­nen, die üb­rig blie­ben, wa­ren die bei­den Kir­chen. Im Sie­ben­ge­bir­ge wa­ren 89 Pro­zent der Be­völ­ke­rung Ka­tho­li­ken, 10,4 Pro­zent Pro­tes­tan­ten. Die we­nig eu­pho­ri­sche und eher zu­rück­hal­ten­de Ein­stel­lung der ka­tho­li­schen Be­völ­ke­rung ge­gen­über der NS­DAP be­ruh­te auf der be­reits vor 1933 er­folg­ten Ab­leh­nung aus welt­an­schau­li­chen Grün­den. Die Kir­che such­te - im Be­stre­ben sich der all­ge­mei­nen Gleich­schal­tung zu ent­zie­hen - das Ar­ran­ge­ment mit dem NS-Staat durch den Ab­schluss des Reichs­kon­kor­da­tes. Doch was von ka­tho­li­scher Sei­te als recht­li­che Si­che­rung ih­rer In­sti­tu­tio­nen und Or­ga­ni­sa­tio­nen ge­dacht war, er­wies sich in der Fol­ge­zeit als Il­lu­si­on im to­ta­li­tä­ren Staat, so dass die Kir­che im Vor­feld, das die Ver­bän­de und Ver­ei­ne bil­de­ten, kämp­fen muss­te. Die ka­tho­li­schen Jung­män­ner­ver­ei­ne ver­lo­ren im­mer mehr Mit­glie­der an die HJ, die Zu­sam­men­stö­ße pro­vo­zier­te. Erst wur­de ih­nen das öf­fent­li­che Auf­tre­ten ver­bo­ten, dann wur­den die Ver­ei­ne selbst ver­bo­ten. Na­he­zu je­der Geist­li­che im Sie­ben­ge­birgs­raum hat­te Zu­sam­men­stö­ße mit der po­li­ti­schen Po­li­zei. Als be­son­ders re­ni­tent galt der für die Ju­gend­ar­beit zu­stän­di­ge Hon­ne­fer Ka­plan Si­mons, des­sen Ein­stel­lung zum Re­gime Bür­ger­meis­ter Behr als „of­fen ab­leh­nen­d“ be­schrieb. Der Rhön­dor­fer Pfar­rer Cont­zen wur­de von der Ge­sta­po we­gen Kan­zel­miss­brauchs und Nicht­his­sens der Fah­ne ver­warnt.

Der Fröm­mig­keit ta­ten die­se Ge­scheh­nis­se kei­nen Ab­bruch, Pro­zes­sio­nen und tra­di­tio­nel­le Wall­fahr­ten hat­ten ho­he Teil­neh­mer­zah­len. Sie wa­ren De­mons­tra­tio­nen für den Glau­ben, den die Men­schen be­droht sa­hen. Es gab trotz ei­ner re­gel­rech­ten Kam­pa­gne der Par­tei kaum Kir­chen­aus­trit­te im De­ka­nat Kö­nigs­win­ter (0,14-0,21 Pro­zent).

Die an­fäng­li­che Be­grü­ßung der na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Macht­über­nah­me und die Be­reit­schaft am Auf­bau ei­ner au­to­ri­tä­ren, na­tio­na­len und an­ti­kom­mu­nis­ti­schen Herr­schaft mit­zu­wir­ken, war bei wei­ten Krei­sen der pro­tes­tan­ti­schen Be­völ­ke­rung mit der Hoff­nung ver­bun­den ge­we­sen, an der na­tio­na­len Auf­bruch­stim­mung teil­zu­ha­ben und das Ge­mein­de­le­ben neu zu ge­stal­ten. Aus die­sem Grun­de schlos­sen sich vie­le Pro­tes­tan­ten den „Deut­schen Chris­ten“ an, die ei­ne gleich­ge­schal­te­te na­tio­na­le Kir­che pro­pa­gier­ten. Für das sich eta­blie­ren­de NS-Re­gime stell­ten sie zu die­sem Zeit­punkt ei­ne Stüt­ze dar, so dass kei­ne Ver­an­las­sung zu Ge­walt­maß­nah­men ge­gen Per­so­nen und Or­ga­ni­sa­tio­nen der evan­ge­li­schen Kir­che be­stand. Nach ei­ner Re­de des Ber­li­ner Gau­ob­manns im No­vem­ber 1933 ver­lo­ren sie aber den al­ler­grö­ß­ten Teil ih­rer An­hän­ger­schaft. Statt­des­sen wand­ten sich die meis­ten Pro­tes­tan­ten un­ter der Füh­rung ih­rer Pfar­rer der „Be­ken­nen­den Kir­che“ zu und stell­ten sich auch dem To­ta­li­täts­an­spruch des NS-Re­gimes ent­ge­gen. Sie leis­te­te kei­nen Wi­der­stand in dem Sin­ne, dass sie auf ei­nen po­li­ti­schen Um­sturz ziel­te, aber sie un­ter­warf sich auch nicht wil­len­los dem Staat. Pfar­rer Jos­ten wur­de so­gar für kur­ze Zeit in Haft ge­nom­men. Al­le drei Pfar­rer wei­ger­ten sich 1938, den ge­for­der­ten Eid auf den „Füh­rer“ ab­zu­le­gen und zähl­ten des­halb zu den „ra­di­ka­len Be­kennt­nis­pfar­rern“. Die Ge­sta­po über­wach­te ih­re Pre­dig­ten und Ver­an­stal­tun­gen, ver­bot die Ver­brei­tung von Flug­blät­tern, Ver­samm­lun­gen und Re­den. Die Ar­beit der Be­kennt­nis­pfar­rer hat­te oft il­le­ga­len und kon­spi­ra­ti­ven Cha­rak­ter, um die in­ter­ne Kom­mu­ni­ka­ti­on und die Ver­bin­dung zu an­de­ren Be­ken­nen­den Ge­mein­den auf­recht zu er­hal­ten.

Ein or­ga­ni­sier­ter Wi­der­stand mit der Ziel­rich­tung des po­li­ti­schen Um­stur­zes und der Be­sei­ti­gung des na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Re­gimes wie ihn die Kom­mu­nis­ten noch in den ers­ten Jah­ren ver­such­ten, kann im Sie­ben­ge­bir­ge nicht fest­ge­stellt wer­den. Der Wi­der­stand Ein­zel­ner, oh­ne Un­ter­stüt­zung durch ei­ne Or­ga­ni­sa­ti­on, muss um­so hö­her be­wer­tet wer­den.

In­so­fern stellt der Fall des Kauf­manns Franz Zeitz ei­ne Aus­nah­me dar. Zeitz be­trieb ei­ne Spi­ri­tuo­sen­gro­ßhand­lung in Dort­mund, die er 1934 nach Hon­nef ver­leg­te. Ob Zeitz be­reits vor der Macht­über­nah­me ein Geg­ner des Na­tio­nal­so­zia­lis­mus war oder erst im Lau­fe der Zeit da­zu wur­de, bleibt of­fen. Mög­li­cher­wei­se war der Krieg ein aus­lö­sen­des Mo­ment für sein Han­deln. Zeitz brach­te an ver­schie­de­nen Or­ten, un­ter an­de­rem in Bad Go­des­berg, Meh­lem und Ro­lands­eck, selbstan­ge­fer­tig­te Schrei­ben ge­gen das NS-Re­gime zum Aus­hang. Die öf­fent­li­che Ak­ti­on blieb nicht oh­ne Fol­gen: Am 18.12.1940 ver­haf­te­te ihn die Ge­sta­po. Wahr­schein­lich brach­te sie ihn zu­nächst in die Bon­ner Au­ßen­dienst­stel­le, denn erst acht Ta­ge spä­ter er­folg­te die Ein­lie­fe­rung in das Bon­ner Ge­fäng­nis. Die Fa­mi­li­en­an­ge­hö­ri­gen durf­ten den In­haf­tier­ten nicht be­su­chen. Ei­ne Wo­che spä­ter, am 2.1.1941, starb Zeitz. Of­fi­zi­ell hat­te er sich selbst ge­tö­tet, doch sei­ne Wit­we be­zwei­fel­te dies. An­ge­sichts der oft bru­ta­len Ver­hör­me­tho­den der Ge­sta­po ist so­wohl das Ein­tre­ten des To­des als Fol­ge von Miss­hand­lun­gen als auch der Frei­tod als Aus­weg vor wei­te­ren Quä­le­rei­en denk­bar. Sei­ne ein­sa­me Tat ist in Ver­ges­sen­heit ge­ra­ten, sein Mut soll­te aber ge­wür­digt wer­den.

Die neu­en Ver­ord­nun­gen und Ein­schrän­kun­gen nach Kriegs­aus­bruch be­tra­fen haupt­säch­lich den wirt­schaft­li­chen Be­reich. Ih­re Durch­set­zung führ­te zur Ver­fol­gung von re­la­tiv ge­rin­gen Tat­be­stän­den, die aber in den Au­gen von Staat und Par­tei als staats­ge­fähr­dend ein­ge­stuft und dem­entspre­chend hart be­straft wur­den. Wäh­rend der grö­ß­te Teil der Er­mitt­lun­gen un­ter die Be­stim­mun­gen des Kriegs­wirt­schafts­ge­set­zes fiel, ge­riet ein Ehe­paar in den Ver­dacht des Ab­hö­rens aus­län­di­scher Sen­der. Dies stand seit dem ers­ten Kriegs­tag un­ter Stra­fe. Droh­te bei blo­ßem Zu­hö­ren be­reits ei­ne Zucht­haus­stra­fe, so konn­te das Ver­brei­ten des Ge­hör­ten mit dem To­de be­straft wer­den. Zur Ab­schre­ckung fin­den sich in den lo­ka­len Zei­tun­gen im­mer wie­der Mel­dun­gen über Ver­ur­tei­lun­gen von vier bis fünf Jah­ren Zucht­haus.

Von vor­ne­her­ein aus­ge­grenzt aus der „Volks­ge­mein­schaft” wa­ren aus ideo­lo­gi­schen Grün­den be­stimm­te Per­so­nen­grup­pen, die sich be­wusst der Ver­ein­nah­mung ent­zo­gen oder oh­ne ei­ge­nes Ver­schul­den durch das na­tio­nal­so­zia­lis­ti­sche Ras­ter fie­len und des­halb die Ver­fol­gung durch ein­schrän­ken­de Maß­nah­men des Staa­tes bis hin zur phy­si­schen Ver­nich­tung zu er­lei­den hat­ten. Zu den ver­folg­ten Grup­pen zähl­ten die po­li­tisch-ideo­lo­gi­schen Geg­ner wie Kom­mu­nis­ten, So­zi­al­de­mo­kra­ten und Ge­werk­schaf­ter, die re­li­gi­ös-welt­an­schau­li­che Kon­kur­renz der ka­tho­li­schen Kir­che, der Be­ken­nen­den Kir­che und der Zeu­gen Je­ho­vas, so­wie al­ter­na­ti­ve Ju­gend­be­we­gun­gen wie die Edel­wei­ßpi­ra­ten. Par­al­lel da­zu fand die ras­sen­ideo­lo­gisch mo­ti­vier­te Ver­fol­gung von Erb- und psy­chisch Kran­ken, geis­tig Be­hin­der­ten, Ju­den, Zi­geu­nern und Ho­mo­se­xu­el­len statt. Aber auch „Aso­zia­le” und „Ge­wohn­heits­ver­bre­cher” zähl­ten zu ih­ren Op­fern. Sie al­le gal­ten als min­der­wer­tig und stan­den dem Ziel ei­ner uni­for­mier­ten „Volks­ge­mein­schaft” im We­ge.

Zu den ras­sen­ideo­lo­gi­schen Vor­stel­lun­gen der Na­tio­nal­so­zia­lis­ten ge­hör­te die durch „Erb­ge­sund­heits­pfle­ge” ge­för­der­te Rein­hal­tung der „ari­schen Ras­se”. Das „Ge­setz zur Ver­hü­tung erb­kran­ken Nach­wuch­ses” schuf die Grund­la­ge für die Ver­fol­gung von kör­per­lich und geis­tig Be­hin­der­ten. Im Kreis­ar­chiv in Sieg­burg sind in den Ak­ten des für den Kreis zu­stän­di­gen Ge­sund­heits­am­tes von 1934 bis 1943 gut 2.400 Fäl­le do­ku­men­tiert, in de­nen Men­schen in das Ver­fah­ren ge­rie­ten, das zur Ste­ri­li­sa­ti­on füh­ren konn­te. Die Ste­ri­li­sa­ti­on war aber nur der ers­te Schritt. Kran­ke, die in den Heil- und Pfle­ge­an­stal­ten ver­sorgt wur­den, wa­ren ih­rer An­sicht nach für das Volks­wohl nutz­los. Un­ter dem Deck­man­tel des Kriegs ging das Re­gime da­zu über, ein Eu­tha­na­sie-Pro­gramm ein­zu­lei­ten und „le­bens­un­wer­tes Le­ben” zu ver­nich­ten.

Knapp 2.000 Ge­set­ze, Ver­ord­nun­gen und Richt­li­ni­en wur­den zwi­schen 1933 und 1945 in Deutsch­land er­las­sen und do­ku­men­tie­ren das Aus­maß des „Son­der­rech­tes für die Ju­den im NS-Staa­t“. Ei­ni­ge Schlag­lich­ter: Be­reits im März 1933 kam es im Sieg­kreis zu Ex­zes­sen: in Sieg­burg und in Hon­nef wur­den Ju­den miss­han­delt. In den an­de­ren Or­ten des Sie­ben­ge­bir­ges blieb es ru­hig. Am 1.4.1933 muss­ten die Ju­den den Boy­kott ih­rer Ge­schäf­te er­le­ben. Ob­wohl es zu­nächst noch kei­ne sys­te­ma­ti­sche wirt­schaft­li­che Ver­drän­gung gab, muss­ten vie­le jü­di­sche Ge­schäfts­leu­te bald auf­ge­ben. 1935 schlos­sen die Metz­ge­rei­en Leo­pold in Hon­nef und Le­vy in Ober­dol­len­dorf, 1936 die Mö­bel­fa­brik Salm in Hon­nef, 1937 das Schuh­ge­schäft Cahn in Kö­nigs­win­ter und die Metz­ge­rei Wolff in Ober­dol­len­dorf, 1938 die Metz­ge­rei von Her­mann Leo­pold. Im Ju­li 1938 ent­zo­gen die Be­hör­den Ju­den die Wan­der­ge­wer­be­schei­ne; hier traf es Marx in Ober­dol­len­dorf und Cohn in Ober­pleis. Im sel­ben Jahr brann­ten am 10. No­vem­ber die Syn­ago­gen in Hon­nef und Ober­dol­len­dorf. Dies nahm die Re­gie­rung zum An­lass, die Ju­den mit ei­ner „Süh­neleis­tun­g“ fi­nan­zi­ell aus­zu­neh­men, vor al­lem aber sie end­gül­tig aus der Wirt­schaft zu ver­drän­gen, in­dem sie ih­nen je­de ge­werb­li­che Tä­tig­keit ver­bot. Jetzt schlos­sen auch die Metz­ge­rei Leo­pold in Kö­nigs­win­ter und die Pen­si­on Marx in Ober­dol­len­dorf.

Ludwig Klaes, 1933-1934 und 1935-1940 in Haft, seit 1943 in einer Bewährungseinheit der Wehrmacht, seit 1944 auf der Krim vermisst. (Privatbesitz)

 

Nach Kriegs­aus­bruch ver­schärf­ten sich die Maß­nah­men ge­gen die Ju­den, die ge­blie­ben wa­ren: Aus­geh­ver­bo­te, 1941 die Zu­sam­men­le­gung in nur von Ju­den be­wohn­ten Häu­sern, die Ein­wei­sung in ein La­ger in Much und schlie­ß­lich der Ab­trans­port im Som­mer 1942 nach Os­ten, zur Er­mor­dung. Ih­ren Be­sitz si­cher­te sich der Staat.

Aus­ge­nom­men wa­ren zu­nächst nur Ju­den, die mit ei­nem Ari­er ver­hei­ra­tet wa­ren, und die so ge­nann­ten Misch­lin­ge. Bei ih­nen war ein El­tern­teil oder ein Gro­ß­el­tern­teil jü­disch ge­we­sen. Im Sep­tem­ber 1944 soll­ten die­se zum Ar­beits­ein­satz für die Rüs­tungs­in­dus­trie her­an­ge­zo­gen wer­den. In Hon­nef kam es zu ei­ner Ver­zweif­lungs­tat. Das zu­ge­zo­ge­ne Ehe­paar Ernst Au­gust und Ali­ce Mül­ler er­hielt die Auf­for­de­rung, sich mit dem Not­wen­digs­ten bei der Po­li­zei zu mel­den. Die 72-jäh­ri­ge Frau be­ging dar­auf­hin Selbst­mord. Hed­wig Bretz, die Frau des Kunst­ma­lers, flüch­te­te zu Be­kann­ten. In Kö­nigs­win­ter warn­te der Po­li­zist Ma­thi­as Dux die Fa­mi­lie Kern, wor­auf Frau Kern flüch­te­te. In Ober­dol­len­dorf in­for­mier­te der Po­li­zist Hu­bert Mül­ler die Fa­mi­lie Steeg. Doch Mar­tha Steeg und ihr Sohn Gün­ther flo­hen nicht. Am nächs­ten Tag brach­te die Po­li­zei sie in ei­nem Last­wa­gen über Sieg­burg in das La­ger Köln-Mün­gers­dorf. Da Gün­ther Steeg zu jung zum Ar­bei­ten war, durf­te er wie­der nach Hau­se. Mar­tha Steeg muss­te in den Hen­schel-Wer­ken in Hes­sisch-Lich­ten­au ar­bei­ten. Von dort floh sie und ver­steck­te sich mit ih­rem Sohn bei ei­ner Freun­din der Fa­mi­lie in Nie­der­dol­len­dorf. Erst das Kriegs­en­de be­rei­te­te den Ver­fol­gun­gen und da­mit den Ängs­ten ein En­de.

3. Zwangsarbeiter

Der Krieg war das Ziel Hit­lers. Von An­fang an wa­ren al­le Vor­be­rei­tun­gen auf ei­ne künf­ti­ge mi­li­tä­ri­sche Aus­ein­an­der­set­zung ge­rich­tet. Die Rüs­tung hat­te Vor­rang vor al­lem. Be­reits vor Kriegs­aus­bruch herrscht im Deut­schen Reich Voll­be­schäf­ti­gung, Fach­ar­bei­ter wur­den drin­gend ge­sucht.

Als Er­satz für die ein­ge­zo­ge­nen Män­ner wur­den Frau­en dienst­ver­pflich­tet. En­de 1939 wa­ren in Ober­kas­sel et­wa 100 Frau­en aus dem Mo­sel­raum ein­quar­tiert, die von hier aus zur Ar­beit in den Spreng­stoff­wer­ken in Trois­dorf fuh­ren. Rüs­tungs­be­trie­be be­ka­men Frau­en zu­ge­wie­sen. Pri­vat­un­ter­neh­men muss­ten selbst um Ar­beits­kräf­te wer­ben. Al­ler­dings ver­such­ten im­mer mehr Frau­en, sich der Dienst­pflicht zu ent­zie­hen. Dar­über be­klag­te sich der Kö­nigs­win­te­rer Bür­ger­meis­ter 1943: Über den Ar­beits­ein­satz der Frau­en wer­den im­mer wie­der Kla­gen laut über Man­gel an Ar­beits­wil­len, un­be­grün­de­te Krank­mel­dun­gen und un­ent­schul­dig­tes Feh­len.

Stolperstein für Karoline Levy geborene Glaser in der Mühlenstraße in Königswinter-Oberdollendorf. Die Witwe von Bernhard Levy (1856-1937) wurde 1942 in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert, wo sie kurze Zeit später starb, Foto: Ansgar S. Klein.

 

So zö­ger­lich die deut­sche Füh­rung beim Her­an­zie­hen von Frau­en zur Ar­beit in den Be­trie­ben war, so wil­lig wand­te sie sich den „Fremd­ar­bei­tern“ zu: Kriegs­ge­fan­ge­nen und aus­län­di­schen Zi­vil­ar­bei­tern. Sie ar­bei­te­ten im Sie­ben­ge­bir­ge in der Land­wirt­schaft und in der In­dus­trie, aber auch in Kran­ken­häu­sern, Kin­der­hei­men und in Pri­vat­haus­hal­ten. Sie wa­ren über­all prä­sent und konn­ten im All­tag nicht über­se­hen wer­den.

Er­fah­rung mit aus­län­di­schen Ar­bei­tern hat­te die deut­sche Wirt­schaft be­reits ge­sam­melt: im Ers­ten Welt­krieg hat­ten Kriegs­ge­fan­ge­ne in den Wer­ken in Nie­der­dol­len­dorf ge­ar­bei­tet, an­de­re in Ober­pleis und It­ten­bach in der Land­wirt­schaft. 1938 wa­ren es Ita­lie­ner, die in den Stein­brü­chen aus­hal­fen.

Die wäh­rend des Zwei­ten Welt­krie­ges prak­ti­zier­te Aus­nut­zung der aus­län­di­schen Ar­bei­ter, die aus ganz Eu­ro­pa, vor al­lem aus der So­wjet­uni­on, nach Deutsch­land ge­holt wur­den, un­ter­schied sich aber deut­lich in der An­zahl und der Be­hand­lung. Ih­re Be­schäf­ti­gung lässt sich grob in zwei Pha­sen un­ter­tei­len: Die ers­te dau­er­te von Kriegs­be­ginn bis et­wa An­fang 1942, die zwei­te bis zum Kriegs­en­de. In der ers­ten Pha­se ka­men pol­ni­sche und fran­zö­si­sche Kriegs­ge­fan­ge­ne so­wie pol­ni­sche, fran­zö­si­sche, bel­gi­sche und nie­der­län­di­sche Zi­vil­ar­bei­ter ins Sie­ben­ge­bir­ge. Letz­te­re wa­ren in ih­ren Hei­mat­län­dern an­ge­wor­be­ne Frei­wil­li­ge und Kriegs­ge­fan­ge­ne, die ih­ren Sta­tus in den ei­nes Zi­vil­ar­bei­ters um­wan­del­ten, um Er­leich­te­run­gen zu er­hal­ten. Prak­tisch seit Kriegs­be­ginn wa­ren pol­ni­sche Zi­vil­ar­bei­ter für den Ein­satz in Deutsch­land an­ge­wor­ben, spä­tes­tens seit März 1940 aber auch zwangs­wei­se ins Reich de­por­tiert wor­den. Sie soll­ten haupt­säch­lich in der Land­wirt­schaft ar­bei­ten. Die zwei­te Pha­se, die durch ei­ne Ver­schär­fung des Ar­beits­ein­sat­zes ge­kenn­zeich­net ist, be­gann nach dem Schei­tern des deut­schen Blitz­krie­ges in der So­wjet­uni­on im Win­ter 1941/1942. Im­mer mehr Wehr­pflich­ti­ge wur­den der Wirt­schaft ent­zo­gen. Durch die gleich­zei­ti­ge An­kur­be­lung der Rüs­tungs­in­dus­trie stieg der Be­darf an Ar­beits­kräf­ten enorm an. Trotz ideo­lo­gi­scher und Si­cher­heits­be­den­ken ent­schied sich die Reichs­füh­rung für den Ein­satz von so­wje­ti­schen Kriegs­ge­fan­ge­nen und Zi­vil­ar­bei­tern, den so ge­nann­ten Ost­ar­bei­tern.

Der mit einem 'P' gekennzeichnete polnische Zwangsarbeiter Jan Kujek auf einem landwirtschaftlichen Betrieb in Königswinter-Ruttscheid, Foto: Siebengebirgsmuseum Königswinter. (Privatbesitz)

 

Die ge­naue Zahl der Fremd­ar­bei­ter wird we­gen der schlech­ten Quel­len­la­ge für die Re­gi­on nicht zu be­zif­fern sein, aber ih­re Be­deu­tung für die Wirt­schaft war emi­nent, so das Ar­beits­amt 1941: Der Aus­län­der­ein­satz stellt in wei­tem Um­fan­ge das ent­schei­den­de Kräf­te­re­ser­voir dar. Fast sämt­li­che Wirt­schafts­zwei­ge des Sieg­krei­ses ha­ben An­trä­ge auf Ver­mitt­lung von aus­län­di­schen Ar­beits­kräf­ten ge­stellt. Im Som­mer 1943 wa­ren rund 9.000, im Ju­ni 1944 10.586 „Fremd­ar­bei­ter“ im Sieg­kreis – oh­ne Kriegs­ge­fan­ge­ne und Häft­lin­ge!

Die Mel­dun­gen von Zah­len­ma­te­ri­al über Fremd­ar­bei­ter durch die Fir­men und die Ver­wal­tun­gen nach dem Krieg sind kri­tisch zu be­trach­ten, kön­nen aber durch­aus als ein Mi­ni­mal­wert ge­se­hen wer­den. In den Hon­ne­fer Kon­ser­ven­fa­bri­ken Wei­ers­haus und Mundt wa­ren nach die­sen An­ga­ben 80 be­zie­hungs­wei­se 55 Zi­vil­ar­bei­ter be­schäf­tigt. Die Lem­merz­wer­ke in Kö­nigs­win­ter mel­de­ten, dass in ih­rem La­ger et­wa 150 Ost­ar­bei­ter und 80 fran­zö­si­sche Kriegs­ge­fan­ge­ne un­ter­ge­bracht wa­ren. Im La­ger auf dem Win­ter­müh­len­hof leb­ten zu­nächst 30 bis 35 pol­ni­sche Kriegs­ge­fan­ge­ne, dann ei­ne glei­che An­zahl von fran­zö­si­schen Kriegs­ge­fan­ge­nen. Die Stadt­ver­wal­tung Kö­nigs­win­ter ver­zeich­ne­te ab Mai 1942 noch Ukrai­ne­rin­nen auf dem Win­ter­müh­len­hof. In Nie­der­dol­len­dorf wa­ren bei den Di­dier­wer­ken 180 und auf dem Rhei­ni­schen Vul­kan 60 Zi­vil­ar­bei­ter be­schäf­tigt wor­den.

Grabstein eines Zwangsarbeiters unter den Kriegsgräbern auf dem Friedhof Königswinter-Niederdollendorf, Foto: Ansgar S. Klein.

 

Zu­sam­men­ge­rech­net er­gibt das min­des­tens 710 Fremd­ar­bei­ter. Bei die­ser Auf­stel­lung ist zu be­rück­sich­ti­gen, dass nicht al­le Un­ter­neh­men auf­ge­führt sind. Die Kö­nigs­win­te­rer La­ger der Trois­dor­fer Dy­na­mit AG mit na­he­zu 400 Zi­vil­ar­bei­te­rin­nen (1941-1943) und der Fir­ma Ae­ro-Stahl mit min­des­tens 200-300, mög­li­cher­wei­se auch 400 Ar­bei­tern (1944-1945), müs­sen noch er­gänzt wer­den, so dass sich die Zahl al­lein da­durch schon ver­dop­pelt. Klei­ne­re Fir­men, Be­trie­be und Pri­vat­haus­hal­te feh­len an die­ser Stel­le ganz. Wei­ter­hin muss von ei­ner ge­wis­sen Fluk­tua­ti­on aus­ge­gan­gen wer­den, wenn bei­spiels­wei­se fran­zö­si­sche Kriegs­ge­fan­ge­ne durch rus­si­sche er­setzt wur­den oder Rüs­tungs­be­trie­be mit Rück­sicht auf die Dring­lich­keit Ar­beits­kräf­te aus der Land­wirt­schaft zu­ge­wie­sen be­ka­men, die zum Teil an­schlie­ßend wie­der für die Ern­te zu­rück­gin­gen. In Ober­pleis wur­den im April 1945 rund 200 in der Land­wirt­schaft be­schäf­tig­te Aus­län­der „ab­trans­por­tiert”. Als Mi­ni­mal­zah­len sind für Hon­nef 262, Kö­nigs­win­ter 890, Ober­kas­sel 428 und Ober­pleis 281 an­zu­set­zen, so dass ins­ge­samt min­des­tens 1.861 Fremd­ar­bei­ter im Sie­ben­ge­birgs­raum be­schäf­tigt wa­ren. Die tat­säch­li­che Zahl lag si­cher­lich bei wei­tem hö­her.

Die Or­ga­ni­sa­ti­on des „Aus­län­der­ein­sat­zes” lag in den Hän­den der Ar­beits­ver­wal­tung, das hei­ßt der Ar­beits­äm­ter. Sie war­ben in Po­len und in den be­setz­ten west­li­chen Ge­bie­ten, um Ar­beits­kräf­te per Ver­trag nach Deutsch­land zu ho­len. Sie hat­ten zu­nächst Er­folg, aber nach schlech­ten Er­fah­run­gen sank die Be­reit­schaft zu­se­hends und führ­te 1942 zur Ein­füh­rung ei­ner all­ge­mei­nen Dienst­ver­pflich­tung. Im glei­chen Jahr er­hielt der Thü­rin­ger Gau­lei­ter Fritz Sau­ckel (1894-1946) als Ge­ne­ral­be­voll­mäch­tig­ter für den Ar­beits­ein­satz weit­ge­hen­de Voll­mach­ten, um Fremd­ar­bei­ter aus den be­setz­ten Ge­bie­ten auch zwangs­wei­se nach Deutsch­land zu brin­gen. Da­mit zeig­te sich hier wie­der das für den NS-Staat ty­pi­sche Ne­ben­ein­an­der von staat­li­cher Ver­wal­tung und Par­tei, de­nen be­wusst über­schnei­den­de Kom­pe­tenz­be­rei­che zu­ge­ord­net wur­den.

Die Fir­men vor Ort konn­ten beim Ar­beits­amt in Sieg­burg ih­ren Be­darf an­mel­den und be­ka­men dann Ar­beits­kräf­te zu­ge­wie­sen. Grö­ße­re Be­trie­be wa­ren be­reit und fä­hig, ei­ge­ne La­ger zur Un­ter­brin­gung ein­zu­rich­ten, für klei­ne­re Be­trie­be konn­ten die Ge­mein­den Sam­mel­un­ter­künf­te ein­rich­ten.

Das Barackenlager der Firma Aero-Stahl bei den so genannten Ofenkaulen, Zeichnung des ehemaligen italienischen Zwangsarbeiters Fernando Ronchetti bei einem Besuch in Königswinter, 1991. (Siebengebirgsmuseum Königswinter)

 

Bei der An­kunft in der je­wei­li­gen Ge­mein­de wur­den die Aus­län­der von den Mel­de­stel­len re­gis­triert. Für die Über­wa­chung war die Po­li­zei zu­stän­dig. Die Be­stra­fung und Dis­zi­pli­nie­rung der Po­len und Ost­ar­bei­ter über­nahm die Ge­sta­po. Das Wirt­schafts­amt or­ga­ni­sier­te die Ver­sor­gung. In den Be­trie­ben hat­te die DAF die Be­treu­ung der aus­län­di­schen Ar­beits­kräf­te zu über­neh­men. Die Kriegs­ge­fan­ge­nen be­fan­den sich im Ge­wahr­sam der Wehr­macht und wur­den auch von ihr be­wacht.

Die Le­bens­be­din­gun­gen der Fremd­ar­bei­ter un­ter­schie­den sich ge­ne­rell nach der „Ras­se­zu­ge­hö­rig­keit”. West­ar­bei­ter ge­nos­sen grö­ße­re Frei­zü­gig­kei­ten und wur­den in der Re­gel bes­ser be­han­delt als Ost­ar­bei­ter. Un­ter­ge­bracht wa­ren die Fremd­ar­bei­ter in La­gern und Pri­vat­un­ter­künf­ten. West­ar­bei­tern war es oft er­laubt, in pri­va­ten Quar­tie­ren zu woh­nen. Ihr All­tag war kei­nen Re­geln un­ter­wor­fen. Sie konn­ten sich frei be­we­gen. Die meis­ten West­ar­bei­ter wa­ren aber auch in La­gern un­ter­ge­bracht, so zum Bei­spiel in Kö­nigs­win­ter im Düs­sel­dor­fer Hof. Po­len und Ost­ar­bei­ter leb­ten grund­sätz­lich in La­gern. Dies dien­te ei­ner­seits zur Über­wa­chung und Kon­trol­le, an­de­rer­seits soll­te auf die­se Wei­se ein Kon­takt mit der Be­völ­ke­rung ver­mie­den wer­den. Die Or­ga­ni­sa­ti­on die­ser La­ger lag in den Hän­den der Fir­men, die da­für den so ge­nann­ten Werk­schutz ein­setz­ten. Die Kriegs­ge­fan­ge­nen wa­ren eben­falls in La­gern un­ter­ge­bracht. Über die hy­gie­ni­schen Zu­stän­de in den La­gern las­sen sich kei­ne An­ga­ben ma­chen., in vie­len La­gern in Deutsch­land wa­ren sie sehr schlecht, so dass sich Un­ge­zie­fer und Krank­hei­ten ver­brei­te­ten. Die dienst­ver­pflich­te­ten Rüs­tungs­ar­bei­te­rin­nen der Trois­dor­fer Dy­na­mit AG nutz­ten die öf­fent­li­che Ba­de­an­stalt.

Den Fremd­ar­bei­tern fehl­te es oft an Klei­dung, vor al­lem aber an Schuh­werk. Der Kö­nigs­win­te­rer Bür­ger­meis­ter be­rich­te­te 1942, dass den Ar­bei­tern bei der An­wer­bung ge­sagt wur­de, sie be­kä­men Schu­he und Klei­dung. Da aber in Deutsch­land Man­gel ge­ra­de bei Schu­hen herrsch­te, war die Si­tua­ti­on hier für die aus­län­di­schen Ar­beits­kräf­te teil­wei­se ka­ta­stro­phal. Die Ar­bei­te­rin­nen, die im Düs­sel­dor­fer Hof un­ter­ge­bracht wa­ren, fuh­ren in Pan­tof­feln zu ih­ren Ar­beits­stel­len nach Trois­dorf. Ein Au­gen­zeu­ge be­rich­te­te, dass die in den Ba­salt­wer­ken im Raum Ober­pleis ein­ge­setz­ten Rus­sen so­gar im Win­ter oh­ne Schu­he zur Ar­beit gin­gen.

Die Le­bens­mit­tel­ver­sor­gung der ei­ge­nen Be­völ­ke­rung zu si­chern, um das Re­gime zu stüt­zen, war ei­ne Leh­re, wel­che die Na­tio­nal­so­zia­lis­ten aus dem Ers­ten Welt­krieg ge­zo­gen hat­ten. Die Be­wirt­schaf­tung setz­te mit Kriegs­be­ginn ein und sorg­te da­für, dass die Deut­schen wäh­rend des gan­zen Krie­ges nicht hun­gern muss­ten. Bei den aus­län­di­schen Ar­beits­kräf­ten gab es Ab­stu­fun­gen bei der Zu­tei­lung. Die pri­vat un­ter­ge­brach­ten Fremd­ar­bei­ter be­ka­men Le­bens­mit­tel­kar­ten, die den deut­schen Ra­tio­nen ent­spra­chen. In den La­gern gab es Ge­mein­schafts­kü­chen. Kriegs­ge­fan­ge­ne er­hiel­ten le­dig­lich zwei Drit­tel der Ra­tio­nen.

So­wje­ti­sche Kriegs­ge­fan­ge­ne und Ost­ar­bei­ter be­ka­men noch we­ni­ger. Ih­re Ver­pfle­gung soll­te le­dig­lich den Ar­beits­ein­satz si­cher­stel­len. Der Zu­stand der so­wje­ti­schen Kriegs­ge­fan­ge­nen, die der deut­schen Wehr­macht zu Tau­sen­den in die Hän­de ge­fal­len wa­ren und als „min­der­wer­tig” be­han­delt wur­den, war ka­ta­stro­phal, vie­le wa­ren so ent­kräf­tet, dass sie nicht ar­bei­ten konn­ten. Der Kreis­wirt­schafts­be­ra­ter der NS­DAP, selbst Un­ter­neh­mer, be­rich­te­te 1941, dass die Ar­beits­leis­tun­gen der so­wje­ti­schen Kriegs­ge­fan­ge­nen „ganz er­heb­lich” hin­ter den­je­ni­gen an­de­rer Kriegs­ge­fan­ge­ner zu­rück­stan­den. Er führ­te dies auf die be­deu­tend nied­ri­ge­re Zu­tei­lung von Nah­rungs­mit­teln zu­rück: Soll­ten nicht Grün­de der Ver­gel­tung oder sonst zwin­gen­de die Min­der­zu­tei­lung er­for­dern, so dürf­te je­den­falls ei­ne bes­se­re Ver­sor­gung der rus­si­schen Kriegs­ge­fan­ge­nen un­be­dingt im In­ter­es­se des Ar­beits­ein­sat­zes ge­le­gen sein. Ei­ne Ver­bes­se­rung der Ver­sor­gung soll­te al­so nicht aus hu­ma­ni­tä­ren Grün­den statt­fin­den, son­dern nur, um die Ar­beits­kraft zu er­hal­ten. Tat­säch­lich wur­den nun Ver­pfle­gungs­sät­ze fest­ge­legt, die ein Über­le­ben er­mög­lich­ten. Aber im April 1942 wa­ren die Er­näh­rungs­äm­ter ge­zwun­gen, die Ra­tio­nen für die deut­sche Be­völ­ke­rung zu sen­ken. Dies hat­te zur Fol­ge, dass die Ver­pfle­gung der so­wje­ti­schen Fremd­ar­bei­ter zu­sätz­lich sank.

All­ge­mein war aber die Ver­sor­gungs­la­ge für die Fremd­ar­bei­ter in der Re­gi­on un­zu­rei­chend. Im Som­mer häuf­ten sich die Obst­dieb­stäh­le. Meh­rer Zeit­zeu­gen be­rich­ten, dass die rus­si­schen Kriegs­ge­fan­ge­nen Spiel­sa­chen aus Holz schnitz­ten und sie bei Kin­dern ge­gen Brot ein­tausch­ten. Der Zu­stand der Ost­ar­bei­ter und der so­wje­ti­schen Kriegs­ge­fan­ge­nen er­reg­te oft das Mit­leid der Deut­schen, ins­be­son­de­re von Frau­en. Kon­tak­te aber wur­den ver­folgt und be­straft. We­gen Brot­ab­ga­be an Ost­ar­bei­ter wur­de die in Kö­nigs­win­ter woh­nen­de Händ­le­rin Pau­la He­cker 1944 in Bonn zu 500 Reichs­mark oder 50 Ta­gen Ge­fäng­nis ver­ur­teilt, ihr Ehe­mann eben­falls.

Da die West­ar­bei­ter wie ih­re deut­schen Kol­le­gen kran­ken­ver­si­chert wur­den, war de­ren me­di­zi­ni­sche Ver­sor­gung ge­si­chert. Po­len und Ost­ar­bei­ter hin­ge­gen hat­ten, ob­wohl der Un­ter­neh­mer ei­nen ge­rin­gen Be­trag an die Kran­ken­kas­se zahl­te, kei­nen An­spruch auf Lohn­fort­zah­lung. Sie er­hiel­ten le­dig­lich wei­ter­hin freie Un­ter­kunft und Ver­pfle­gung. Die so­wje­ti­schen Kriegs­ge­fan­ge­nen wa­ren krank­heits­an­fäl­li­ger als al­le an­de­ren, was mit der schlech­te­ren Ver­sor­gung zu­sam­men­hing. Im April 1943 be­rich­te­te der Amts­bür­ger­meis­ter von Ober­kas­sel: Von 150 Kriegs­ge­fan­ge­nen, die die Fir­ma Rhei­ni­scher Vul­kan hat, be­fin­den sich zur Zeit noch 80 im Be­trie­be. Die in Ab­gang ge­kom­me­nen 70 Kriegs­ge­fan­ge­nen wa­ren im we­sent­li­chen krank und zum Teil auch von An­fang an nicht ein­satz­fä­hig. Zum Teil wa­ren sie aber auch der Ar­beit in ei­nem In­dus­trie­be­trie­be nicht ge­wach­sen. Be­grün­det wird die Krank­heits­an­fäl­lig­keit nach Ur­teil der be­tref­fen­den Ärz­te auf Män­gel in der Er­näh­rung.

Wa­ren Ost­ar­bei­te­rin­nen schwan­ger, wenn sie in Deutsch­land ein­tra­fen, wur­den sie an­fangs zu­rück­trans­por­tiert, ab 1943 lie­ßen die Be­hör­den Ab­trei­bun­gen zu. Vie­le brach­ten ih­re Kin­der in Deutsch­land zur Welt. Min­des­tens vier las­sen sich für die hie­si­ge Re­gi­on nach­wei­sen, zwei da­von ver­star­ben noch im ers­ten Le­bens­jahr.

Die häu­figs­ten To­des­ur­sa­chen der aus­län­di­schen Ar­beits­kräf­te wa­ren Tu­ber­ku­lo­se und Lun­gen­ent­zün­dung, her­vor­ge­ru­fen durch man­geln­de Ver­pfle­gung und feh­len­de me­di­zi­ni­sche Be­treu­ung, ins­be­son­de­re bei den aus dem Os­ten stam­men­den Fremd­ar­bei­tern. Ein Rus­se wur­de 1942 auf der Flucht er­schos­sen, fünf star­ben bei Bom­ben­an­grif­fen, vie­le in den Kriegs­hand­lun­gen im März 1945. Ins­ge­samt kön­nen 34 To­te nach­ge­wie­sen wer­den, et­wa 2 Pro­zent.

Hin­sicht­lich der Be­we­gungs­frei­heit gab es ver­schie­de­ne Ab­stu­fun­gen. West­ar­bei­ter und Ar­beits­kräf­te aus den mit Deutsch­land ver­bün­de­ten Staa­ten durf­ten sich frei be­we­gen. Die Be­stim­mun­gen für pol­ni­sche Ar­beits­kräf­te und Ost­ar­bei­ter wa­ren be­deu­tend stren­ger. Die Po­len durf­ten nicht in Ki­nos, Thea­ter, Gast­stät­ten und Kir­chen ge­hen. Eben­so war es ih­nen un­ter­sagt, den Stadt- be­zie­hungs­wei­se Amts­be­zirk zu ver­las­sen. Zur Kenn­zeich­nung hat­ten sie ein „P” auf der Brust zu tra­gen. Bei den Ost­ar­bei­tern war der Aus­gang noch stär­ker re­gle­men­tiert. Sie durf­ten nur in Grup­pen und mit deut­scher Be­glei­tung Aus­flü­ge ma­chen. Um als Ost­ar­bei­ter er­kannt zu wer­den, hat­ten sie das „Ost-Ab­zei­chen” auf der Brust zu tra­gen. Ab En­de 1942 griff die Po­li­zei mehr­fach Ost­ar­bei­ter auf, die sich oh­ne deut­sche Be­glei­tung in Kö­nigs­win­ter be­weg­ten. Die Be­völ­ke­rung wur­de durch die Pres­se auf die Ver­hal­tens­re­geln auf­merk­sam ge­macht.

Ar­bei­ter aus den ver­bün­de­ten Staa­ten und West­ar­bei­ter wa­ren un­ter den­sel­ben Be­din­gun­gen wie ih­re deut­schen Kol­le­gen be­schäf­tigt: Sie er­hiel­ten Ta­rif­löh­ne und zahl­ten die­sel­ben Ab­ga­ben, wa­ren kran­ken- und so­zi­al­ver­si­chert.

Pol­ni­schen Ar­beits­kräf­ten wur­de bei der An­kunft ein Merk­blatt ver­le­sen, das ih­re Pflich­ten ent­hielt und mit har­ten Stra­fen im Fal­le des Ver­sto­ßes droh­te. Die Be­zah­lung er­folg­te nicht nach den für Deut­sche gül­ti­gen Ta­ri­fen, son­dern die Löh­ne wa­ren deut­lich nied­ri­ger und gal­ten auch für die in der In­dus­trie ar­bei­ten­den Po­len. Da­mit die Ar­beits­kraft für die Be­trie­be nicht zu bil­lig wur­de und die­se die deut­schen durch pol­ni­sche Ar­beits­kräf­te er­setz­ten, wur­de 1940 ei­ne Son­der­steu­er in Hö­he von 15 Pro­zent als „So­zi­al­aus­gleichs­ab­ga­be” er­ho­ben. Son­der­zah­lun­gen und Ur­laub (au­ßer in Not­fäl­len) er­hiel­ten die Po­len nicht.

Die Ar­beits­be­din­gun­gen für Ost­ar­bei­ter wa­ren un­ter ras­sen­ideo­lo­gi­schen Ge­sichts­punk­ten ge­stal­tet wor­den. Da von den „bol­sche­wis­ti­schen Un­ter­men­schen” kein Spe­zi­al­wis­sen er­war­tet wur­de, soll­ten sie le­dig­lich für schwe­re und schmut­zi­ge Hilfs­ar­bei­ten ein­ge­setzt wer­den. Von den in Deutsch­land an­sons­ten gel­ten­den ar­beits­recht­li­chen Be­stim­mun­gen für Ar­beits­zeit, Ta­rif­löh­ne und Ar­beits­schutz wa­ren Ost­ar­bei­ter weit­ge­hend aus­ge­schlos­sen, ih­re Kran­ken­ver­sor­gung war not­dürf­tig. Sie zahl­ten zu­nächst kei­ne Lohn­steu­er, da sie kei­nen Lohn, son­dern nur ein „Ent­gelt” be­ka­men. Die Ar­beit­ge­ber hat­ten ei­ne Son­der­steu­er, die „Ost­ar­bei­ter­ab­ga­be”, zu zah­len.

Im Be­trieb hat­ten die Ost­ar­bei­ter den An­ord­nun­gen des deut­schen Per­so­nals zu ge­hor­chen. Grö­ße­re Un­ter­neh­men be­sa­ßen ei­nen Werk­schutz, der die Über­wa­chung und Kon­trol­le über­nahm. Der Be­triebs­füh­rer und die Wach­leu­te konn­ten Be­stra­fun­gen vor­neh­men wie Aus­gangs­sper­re, Stu­ben­dienst oder Straf­ar­beit. Miss­hand­lun­gen von Fremd­ar­bei­tern wa­ren of­fi­zi­ell un­ter­sagt, ka­men aber im­mer wie­der vor. Für das Sie­ben­ge­bir­ge gibt es ver­ein­zel­te Hin­wei­se dar­auf.

Die Nie­der­la­ge von Sta­lin­grad im Fe­bru­ar 1943 be­wirk­te ei­ne Ver­än­de­rung bei der Be­hand­lung der Ar­beits­kräf­te aus dem Os­ten. Sie stan­den nicht mehr un­be­grenzt zur Ver­fü­gung. Zu­dem hat­ten vie­le Be­triebs­füh­rer er­kannt, dass un­ter ih­nen qua­li­fi­zier­te Fach­kräf­te wa­ren. Es kam zu leich­ten Ver­bes­se­run­gen in der Ver­sor­gung und zur Lo­cke­rung der stren­gen Be­stim­mun­gen. Ob­wohl jetzt auch die Pro­pa­gan­da ih­ren – un­frei­wil­li­gen – Bei­trag zum „Kampf Eu­ro­pas ge­gen den Bol­sche­wis­mus” wür­dig­te, blieb das All­tags­le­ben der Ost­ar­bei­ter doch wei­ter­hin von Re­pres­si­on und Ras­sis­mus be­stimmt. 1944 wur­den sie so­zi­al­ver­si­che­rungs- und lohn­steu­er­pflich­tig, der Ar­beit­ge­ber zahl­te statt der „Ost­ar­bei­ter­ab­ga­be” wie bei den pol­ni­schen Ar­beits­kräf­ten nun die „So­zi­al­aus­gleichs­ab­ga­be.”

In den Be­trie­ben wa­ren der Be­triebs­füh­rer, al­so der Un­ter­neh­mer, und der Werk­schutz für die Ein­hal­tung der Ar­beits­be­stim­mun­gen und die Dis­zi­pli­nie­rung der Fremd­ar­bei­ter zu­stän­dig. Au­ßer­halb der Be­trie­be kon­trol­lier­te die Po­li­zei die Aus­län­der und ver­folg­te Ver­stö­ße ge­gen die zahl­rei­chen Be­stim­mun­gen und Ge­set­ze. Han­del­te es sich um West­ar­bei­ter, wur­de Kla­ge vor ei­nem Ge­richt er­ho­ben, bei Ost­ar­bei­tern über­nahm die Ge­sta­po die Be­stra­fung selbst. Aus dem Sie­ben­ge­bir­ge ist kein Fall be­kannt, in dem ge­gen ei­nen Fremd­ar­bei­ter die To­des­stra­fe aus­ge­spro­chen wur­de. Die Ta­ge­bü­cher der Po­li­zei­wa­che Kö­nigs­win­ter von 1940 bis 1944 ver­zeich­nen Ver­stö­ße von 248 Fremd­ar­bei­tern.

Meist wa­ren sie bei Kon­trol­len auf­ge­fal­len. Da Kö­nigs­win­ter mit dem Dra­chen­fels ein be­lieb­tes Aus­flugs­ziel war, Po­len und Ost­ar­bei­ter aber den Orts­be­zirk nicht oh­ne Ge­neh­mi­gung ver­las­sen durf­ten, war dies be­reits ei­ne Über­tre­tung der Be­stim­mun­gen. Oft­mals wur­den die Fremd­ar­bei­ter nach der Auf­nah­me der Per­so­na­li­en ent­las­sen, manch­mal hol­te ein La­ger­auf­se­her oder der Werk­schutz sie ab. Ver­mut­lich in­for­mier­te die Kom­mu­nal­po­li­zei den Be­triebs­füh­rer und die Sta­po, in de­ren Zu­stän­dig­keit die Ost­ar­bei­ter la­gen. Die­se ver­füg­ten dann über die Maß­nah­men der Be­stra­fung.

Al­len „Ar­beits­un­wil­li­gen” – und dies galt auch für die deut­schen Be­schäf­tig­ten – droh­te die Ein­wei­sung in ein „Ar­beits­er­zie­hungs­la­ger” (AEL),  das die Ge­sta­po im In­ter­es­se der Un­ter­neh­men als un­bü­ro­kra­ti­sches In­stru­ment be­nutz­te, um wi­der­spens­ti­ge Ar­bei­ter zu dis­zi­pli­nie­ren. Für die Ein­wei­sung ge­nüg­te ein An­trag der Sta­pos­tel­le. Die Haft­zeit, im Schnitt sechs bis acht Wo­chen, galt nicht als Vor­stra­fe. Die Un­ter­neh­men be­vor­zug­ten die Ein­wei­sung in ein sol­ches La­ger, da ih­nen die Ar­beits­kraft im Un­ter­schied zur „Schutz­haft” nach dem Auf­ent­halt in ei­nem AEL wie­der zur Ver­fü­gung stand, und rich­te­ten so­gar ei­ge­ne Er­zie­hungs­la­ger ein.

Nach der deut­schen Nie­der­la­ge von Sta­lin­grad än­der­te sich die Stim­mung bei den Fremd­ar­bei­tern spür­bar. Das konn­te der Amts­bür­ger­meis­ter von Ober­kas­sel be­reits im Fe­bru­ar 1943 fest­stel­len: In der letz­ten Zeit ist ver­schie­dent­lich die Be­ob­ach­tung ge­macht wor­den, daß fran­zö­si­sche Kriegs­ge­fan­ge­ne und aus­län­di­sche Ar­bei­ter in man­chen Fäl­len ein sehr re­ni­ten­tes We­sen an den Tag leg­ten. In den Be­trie­ben kom­men Kriegs­ge­fan­ge­ne und aus­län­di­sche Ar­bei­ter häu­fig nur wi­der­wil­lig den An­ord­nun­gen nach, wo­durch Be­triebs­stö­run­gen un­ver­meid­lich sind. Die Ein­stel­lung der ge­nann­ten Ar­bei­ter scheint auf die au­gen­blick­li­chen Ver­hält­nis­se an der Ost­front zu­rück­zu­füh­ren zu sein.

Weil im­mer mehr Fa­bri­ken in den Groß­städ­ten durch die sich stei­gern­den Luft­an­grif­fe ab 1942 be­schä­digt oder zer­stört wa­ren, konn­ten die dort ein­ge­setz­ten Fremd­ar­bei­ter nicht mehr be­schäf­tigt wer­den. Sie wur­den zu­nächst an­de­ren Fa­bri­ken im Um­land zu­ge­wie­sen, wie der Land­rat 1943 be­rich­te­te: Ein gros­ser Teil der durch den Bom­ben­an­griff auf Köln frei­ge­wor­de­nen Ost­ar­bei­ter wur­de dem Sieg­kreis zum Ein­satz über­wie­sen. Hier­von sind die meis­ten Ost­ar­bei­ter flüch­tig.

Die „Flucht” von der Ar­beits­stät­te be­zie­hungs­wei­se aus dem La­ger galt als „Ar­beits­ver­trags­bruch“. Bei Zi­vil­ar­bei­tern aus dem Wes­ten sank­tio­nier­te die Jus­tiz dies mit Ge­fäng­nis­haft bis zu drei Mo­na­ten, für die Ost­ar­bei­ter war die Ge­sta­po zu­stän­dig. Dies nahm ge­gen En­de des Krie­ges der­ar­ti­ge Aus­ma­ße an, dass die Ge­sta­po of­fen­bar haupt­säch­lich da­mit be­schäf­tigt war. Im Som­mer 1944 be­rich­tet der Ober­plei­ser Amts­bür­ger­meis­ter: In letz­ter Zeit wer­den in den land­wirt­schaft­li­chen Be­trie­ben vie­le aus­län­di­sche Ar­beits­kräf­te flüch­tig. Dem­nach ver­lie­ßen nicht nur die in der In­dus­trie un­ter schwie­rigs­ten Be­din­gun­gen tä­ti­gen Fremd­ar­bei­ter ih­re Ar­beits­stel­len, son­dern auch die­je­ni­gen, die in der Land­wirt­schaft im All­ge­mei­nen un­ter bes­se­ren Le­bens- und Ar­beits­be­din­gun­gen be­schäf­tigt wa­ren.

Vor dem Her­an­na­hen der Front wur­den die Fremd­ar­bei­ter­la­ger eva­ku­iert, da­mit die In­sas­sen nicht den Ame­ri­ka­nern in die Hän­de fie­len. Sie muss­ten zu Fuß nach Os­ten lau­fen. Vie­le die­ser Mär­sche be­deu­te­ten für die durch man­geln­de Ver­sor­gung und Ar­beits­last er­schöpf­ten Fremd­ar­bei­ter ei­ne wei­te­re Stra­pa­ze. Un­ter­wegs wur­den sie von den deut­schen Wach­mann­schaf­ten rück­sichts­los an­ge­trie­ben, den Tod der Ar­bei­ter be­wusst in Kauf neh­mend. Die Ar­bei­ter der Fir­ma Ae­ro-Stahl wur­den am Abend des 10.3.1945 von Sol­da­ten mit Hun­den in den Wald ge­trie­ben. Von Ae­gi­dien­berg wur­den 600 rus­si­sche Zi­vil­ar­bei­ter, die im Saal Giers­hau­sen un­ter­ge­bracht wa­ren, wei­ter nach Os­ten ge­bracht. Wo­her sie stamm­ten, ist nicht be­kannt. Vie­len Fremd­ar­bei­tern ge­lang wäh­rend die­ser Eva­ku­ie­run­gen die Flucht. Mit dem Ein­marsch der Ame­ri­ka­ner in die Or­te des Sie­ben­ge­bir­ges kam für die Fremd­ar­bei­ter die lang er­sehn­te Be­frei­ung.

Am 21.3.1945 war der ge­sam­te Sie­ben­ge­birgs­raum von ame­ri­ka­ni­schen Kampf­trup­pen be­setzt, die na­tio­nal­so­zia­lis­ti­sche Dik­ta­tur in der Re­gi­on be­en­det.

Quellen

Ein­schlä­gi­ge Quel­len zur The­ma­tik fin­den sich vor al­lem in den Stadt­ar­chi­ven Bad Hon­nef, Kö­nigs­win­ter, Bonn, im Ar­chiv des Rhein-Sieg-Krei­ses, im Lan­des­ar­chiv Nord­rhein-West­fa­len, Ab­tei­lung Rhein­land so­wie im Lan­des­haupt­ar­chiv Ko­blenz.

Literatur

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Rey, Man­fred van, Die jü­di­schen Bür­ger von Ober­kas­sel, in: Bon­ner Ge­schichts­blät­ter 36 (1984), S. 291-334.
Rey, Man­fred van, Ju­den in Kö­nigs­win­ter, in: Un­wie­der­bring­lich vor­bei. Ge­schich­te und Kul­tur der Ju­den an Sieg und Rhein. 10 Jah­re Ge­denk­stät­te „Land­ju­den an der Sieg”, hg. v. Clau­dia Ma­ria Arndt, Sieg­burg 2005, S. 170-177.
Rey, Man­fred van, Le­ben und Ster­ben un­se­rer jü­di­schen Mit­bür­ger in Kö­nigs­win­ter. Ein Buch des Ge­den­kens, Kö­nigs­win­ter 1985.
Rey, Man­fred van, Zur Ge­schich­te der jü­di­schen Ein­woh­ner Kö­nigs­win­ters, in: Ju­den an Rhein und Sieg, S. 320-327 (zi­tiert: Rey, Ein­woh­ner).
Wef­fer, Ralf/Wef­fer, Dirk, All­tag und Wi­der­stand im Sie­ben­ge­bir­ge in den Jah­ren 1933 bis 1938, Ma­schi­nen­schrift, Bonn 1981.

Displaced Persons Camp in Oberkassel, 1946. (Stadtarchiv und Stadthistorische Bibliothek Bonn)

 
Zitationshinweis

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Klein, Ansgar S., Das Siebengebirge in der NS-Zeit, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/Themen/das-siebengebirge-in-der-ns-zeit/DE-2086/lido/57d12a61912d75.55474022 (abgerufen am 28.03.2024)