Das Werksgasthaus der Gutehoffnungshütte in Oberhausen

Daniel Sobanski (Herne)

Postkarte des Werksgasthauses. (Sammlung Erich Stöck, Oberhausen)

1. Einleitung

Das ehe­ma­li­ge Werks­gast­haus der Gu­te­hoff­nungs­hüt­te (GHH) ist Be­stand­teil ei­nes En­sem­bles his­to­ri­scher Ge­bäu­de in der Neu­en Mit­te Ober­hau­sen, die frü­her zu ei­nem der grö­ß­ten Hüt­ten­wer­ke des Ruhr­ge­biets ge­hör­ten. Als Teil des Tech­no­lo­gie­zen­trum Um­welt­schutz hat das Werks­gast­haus ei­ne nach­in­dus­tri­el­le Fol­ge­nut­zung er­fah­ren.[1]

Zu die­sem En­sem­ble er­hal­te­ner Ge­bäu­de zäh­len au­ßer­dem die Haupt­ver­wal­tungs­ge­bäu­de I und II (1875), das Haupt­la­ger­haus von Pe­ter-Beh­rens (1868-1940) samt Haupt­ver­wal­tung III (1925), der Was­ser­turm (1897), die Tur­bi­nen­hal­le und das Werks­tor der Ei­sen­hüt­te Ober­hau­sen II (1909 und 1930), der Ga­so­me­ter (1929), das Pfört­ner­haus von Ze­che Ober­hau­sen (1911/1912) so­wie die Be­am­ten­sied­lung Gra­fen­busch (1910-1923).[2] 

Das Werks­gast­haus der Gu­te­hoff­nungs­hüt­te ist ei­nes der we­ni­gen gut er­hal­te­nen Ge­bäu­de sei­ner Art im Ruhr­ge­biet. Es ist dar­über hin­aus ein Bau­werk mit ei­ner in­ter­es­san­ten Ge­schich­te, ge­wis­ser­ma­ßen ein Spie­gel für die so­zi­al­ge­schicht­li­chen Ent­wick­lun­gen in der Schwer­in­dus­trie im Ruhr­ge­biet. Am Bei­spiel des Werks­gast­hau­ses lässt sich auf­zeich­nen, wie sich Hier­ar­chi­en, Kon­flik­te und po­li­ti­sche Ein­flüs­se in ei­nem Gro­ß­un­ter­neh­men wan­del­ten.

2. Die GHH im Überblick

Die Gu­te­hoff­nungs­hüt­te war das ers­te schwer­in­dus­tri­el­le Un­ter­neh­men des Ruhr­ge­biets. Sie geht zu­rück auf die drei ers­ten Hoch­ofen­wer­ke St. An­t­o­ny-Hüt­te, ge­grün­det 1785, Gu­te Hoff­nung 1780 und Neu-Es­sen 1792. Un­ter Lei­tung der Ruhr­or­ter Kauf­leu­te Fran­z und Ger­har­d Ha­ni­el, des Ko­blen­zer Hüt­ten­meis­ters Gott­lob Ja­co­bi (1770-1823) und des Es­se­ner Bür­ger­meis­ters Hein­rich Huys­sen (1779-1870) wur­den die drei Wer­ke 1808/1810 in ei­nem Un­ter­neh­men ver­eint. Die Ei­sen­hüt­te Gu­te Hoff­nung in Ober­hau­sen-Sterk­ra­de ent­wi­ckel­te sich zum Zen­trum für Ma­schi­nen­bau und Stahl­bau.

Die Ei­sen- und Stahl­er­zeu­gung wur­de ab 1835 an ei­nen neu­en Stand­ort an der Em­scher an­ge­sie­delt. Auf das ers­te Pud­del- und Walz­werk – die al­te Walz – folg­ten die Ei­sen­hüt­ten Ober­hau­sen I und II (1855 und 1907), das Stahl- und Walz­werk Neu-Ober­hau­sen (1901) so­wie vie­le wei­te­re Werks­an­la­gen. Im Jahr 1873 fie­len zwei rich­tungs­wei­sen­de Ent­schei­dun­gen: Die al­te Hüt­ten­ge­werk­schaft Ja­co­bi, Ha­ni­el und Huys­sen wur­de in den Gu­te­hoff­nungs­hüt­te Ac­ti­en­ver­ein um­ge­wan­delt, die Zen­tra­le des Un­ter­neh­mens von Sterk­ra­de (heu­te Stadt Ober­hau­sen) zum Hüt­ten­werk an der Em­scher in Alt-Ober­hau­sen um­ge­sie­delt. Die Ge­mein­de Ober­hau­sen war erst elf Jah­re zu­vor über­haupt ge­bil­det wor­den. So ent­stan­den in der auf­stre­ben­den Ge­mein­de die zen­tra­len Ver­wal­tungs­ge­bäu­de ei­nes ex­pan­die­ren­den Kon­zerns.[3] Bis zum Ers­ten Welt­krieg ver­grö­ßer­te die GHH ih­re Pro­duk­ti­ons­ka­pa­zi­tä­ten kon­ti­nu­ier­lich. In den 1920er Jah­ren avan­cier­te der Stahl­gi­gant durch Über­nah­men und Be­tei­li­gun­gen zum Gro­ß­kon­zern, zu dem solch be­deu­ten­de Un­ter­neh­men ge­hör­ten wie die Deut­sche Werft oder die MAN.

Nach dem Zwei­ten Welt­krieg kam es zu ein­schnei­den­den Ver­än­de­run­gen. Durch die Ent­flech­tungs­po­li­tik der Al­li­ier­ten wur­den aus dem al­ten Kon­zern drei ge­trenn­te Un­ter­neh­men: Berg­bau-AG Neue Hoff­nung (Ze­chen), Hüt­ten­werk Ober­hau­sen AG (Hoch­öfen und Stahl­wer­ke in Ober­hau­sen) und Gu­te­hoff­nungs­hüt­te (Ma­schi­nen- und Stahl­bau in Sterk­ra­de).[4] Im Zu­ge des Struk­tur­wan­dels ka­men die Ze­chen zur Ruhr­koh­le, die Hüt­ten­wer­ke zum Thys­sen­kon­zern und die GHH ver­schmolz mit ih­rem frü­he­ren Toch­ter­un­ter­neh­men MAN. Die Stahl­er­zeu­gung in Ober­hau­sen en­de­te mit der Still­le­gung des Elek­tro­stahl­werks im Jahr 1997.[5] 

3. Baugeschichte des Werkgasthauses

Zur Ver­kös­ti­gung der lei­ten­den An­ge­stell­ten so­wie zur Be­wir­tung von Kun­den und Ge­schäfts­part­nern be­nö­tig­te die GHH ein re­prä­sen­ta­ti­ves Ge­bäu­de in ih­rer Kon­zern­zen­tra­le. In der Nä­he des Was­ser­turms gab es für die­sen Zweck ein Ver­eins­haus. Um 1913 fiel die Ent­schei­dung zur Er­rich­tung ei­nes Nach­fol­ge­baus, da das bis­he­ri­ge Ca­si­no den An­sprü­chen des auf­stre­ben­den Kon­zerns an Platz und Re­prä­sen­ta­ti­on nicht mehr ge­nüg­te. Mit dem Ent­wurf zu ei­nem Neu­bau wur­de der Stutt­gar­ter Ar­chi­tekt Carl Wei­g­le (1849-1931 oder 1932) be­auf­tragt[6].  Wei­g­le kon­zi­pier­te das Ka­si­no­ge­bäu­de im neo­ba­ro­cken Stil[7]. Für den Bau wur­den ei­ni­ge Stra­ßen ver­legt, da­mit „es dem Be­schau­er von al­len Sei­ten ein in der Mas­sen­ver­tei­lung glück­lich ge­lös­tes Bild zeigt.“ Ein 60 Zen­ti­me­ter ho­her Stahl­be­ton­so­ckel schütz­te die Mau­ern vor Berg­schä­den[8] . Das Trag­werk wur­de – zum Auf­trag­ge­ber pas­send – aus 1.200 Ton­nen Stahl er­rich­tet, die Zwi­schen­de­cken wur­den schall­dämp­fend kon­stru­iert, um die Frem­den­zim­mer in den Ober­ge­schos­sen vor Lärm aus dem dar­un­ter lie­gen­den Ver­an­stal­tungs­aal zu schüt­zen[9].

Den Bau der Stahl­trag­wer­ke über­nahm die Duis­bur­ger AG für Ei­sen-In­dus­trie und Brü­cken­bau vor­mals Jo­hann Cas­par Harkort.[10] Dass hier ei­ne Fremd­fir­ma be­auf­tragt wur­de, ist durch­aus er­wäh­nens­wert. Im­mer­hin ver­füg­te die GHH selbst über ei­ne ei­ge­ne Ab­tei­lung für Brü­cken­bau und Stahl­hoch­bau in Ober­hau­sen-Sterk­ra­de. Das Stahl­ge­rüst ei­nes an­de­ren re­prä­sen­ta­ti­ven Ge­bäu­des, des Haupt­la­ger­hau­ses von 1925, wur­de von die­sem Be­trieb ge­lie­fert, was die GHH auch für die Ei­gen­wer­bung in Sze­ne setz­te.[11] Ei­ne mög­li­che Er­klä­rung dürf­te ei­ne ho­he Aus­las­tung der ei­ge­nen Be­trie­be ge­we­sen sein, so dass die­ser Auf­trag fremd­ver­ge­ben wer­den muss­te. Das Roh­ma­te­ri­al für J.C. Harkorts Stahl­trä­ger hat­te in­des das Ober­hau­se­ner Stahl­werk der GHH her­ge­stellt.[12] 

Die Fer­tig­stel­lung er­folg­te im Lau­fe des Jah­res 1913.[13] Ein eher an­ek­do­ti­scher Be­richt ist in der Nie­der­rhei­ni­schen Ar­bei­ter-Zei­tung über­lie­fert, wo Vor­wür­fe über die Ar­beits­be­din­gun­gen auf der Bau­stel­le er­ho­ben wer­den, ins­be­son­de­re über den Zu­stand der Toi­let­ten.[14] Die ers­te öf­fent­li­che Ver­an­stal­tung zur Ein­wei­hung der Büh­ne im gro­ßen Saal war ei­ne Auf­füh­rung des sei­ner­zeit be­kann­ten Thea­ter­stücks „Schnei­der Wib­bel“ von Hans Mül­ler Schlös­ser (1884-1956) am 18.7.1914.[15] 

4. Beamten-Casino

Wie schon die Be­zeich­nung Be­am­ten­ge­sell­schafts­haus zeigt, war das Ge­bäu­de den hö­he­ren Rän­gen in der be­trieb­li­chen Hier­ar­chie vor­be­hal­ten. Die ein­zi­ge Aus­nah­me bil­de­ten aus­wär­ti­ge Mit­glie­der der Ge­sell­schaft „Ver­ein“.[16] Da­bei han­del­te sich um ei­ne der bür­ger­li­chen Ge­sell­schaf­ten, in der sich die Ho­no­ra­tio­ren der Stadt or­ga­ni­sier­ten.[17] 

Werksgasthaus mit Rondell, Juli 1929. (LVR-Industriemuseum)

 

Die­ser Zweck spie­gelt sich auch in der recht kom­for­ta­blen Aus­stat­tung des Werks­gast­hau­ses wi­der. Ne­ben dem gro­ßen Saal, der von vorn­her­ein für Ver­an­stal­tun­gen vor­ge­se­hen war, hat­te das Werks­gast­haus ei­nen Spei­se­saal und meh­re­re se­pa­ra­te Ess­zim­mer so­wie ei­nen Büf­fet­raum. Wei­te­re An­nehm­lich­kei­ten bo­ten ein Win­ter­gar­ten, Ke­gel­bah­nen, Bil­lard-, Bier- und Le­se­zim­mer. Dem Auf­sichts­rat war ein ei­ge­ner Raum samt Vor­zim­mer vor­be­hal­ten. Für Gäs­te, die mit dem Au­to an­reis­ten, gab es zu­dem ei­nen Auf­ent­halts­raum für de­ren Chauf­feu­re. Gäs­te­zim­mer be­fan­den sich in den obe­ren Stock­wer­ken.[18] 

Den all­täg­li­chen Be­trieb des Werks­gast­hau­ses führ­te ein „Oe­co­no­m“ auf ei­ge­ne Rech­nung mit ei­ge­nem Per­so­nal und ei­ge­ner Aus­stat­tung. Die­ser war kein An­ge­stell­ter der GHH, son­dern ein selbst­stän­di­ger Gast­wirt. Ein Mit­ar­bei­ter der GHH fun­gier­te als Ver­bin­dung zum Un­ter­neh­men und teil­te ent­spre­chen­de Wün­sche, Be­stel­lun­gen, Zim­mer­re­ser­vie­rung usw. mit.

Der Dienst­ver­trag des Oe­co­no­men ver­deut­licht, wie sich die Hier­ar­chie in­ner­halb der obe­ren Eta­ge des Un­ter­neh­mens im Be­trieb des Werks­gast­hau­ses nie­der­schlug. Die Auf­ga­be des Ge­schäfts­füh­rers war zum ei­nen die Zu­be­rei­tung ei­nes Mit­tag- und Abend­es­sens für die Be­am­ten, das so­ge­nann­te Abon­nen­ten-Es­sen, das, wie in mo­der­nen Kan­ti­nen, vor­be­rei­te­te Ta­ges­ge­rich­te um­fass­te. Das Abon­nen­ten-Es­sen soll­te zum Selbst­kos­ten­preis ge­reicht wer­den, ein­schlie­ß­lich ei­nes Kos­ten­zu­schus­ses der GHH. Zum an­de­ren muss­te ein à-la-car­te-Me­nü für Gäs­te an­ge­bo­ten wer­den, be­ste­hend aus Sup­pe, Bra­ten, But­ter und Brot. Für Ta­gungs­gäs­te soll­te „ein­fa­che­res Es­sen“ an­ge­bo­ten wer­den. Den An­kauf und Aus­schank von Wein und Spi­ri­tuo­sen be­hielt sich die GHH selbst vor. Der Oe­co­nom stell­te nicht nur sein ei­ge­nes Per­so­nal an, son­dern muss­te auch Ge­schirr und an­de­res Ma­te­ri­al an­schaf­fen. Die GHH hielt da­ge­gen das gu­te Ge­schirr für Vor­stän­de und be­son­de­re Gäs­te selbst vor. Es wur­de dem Be­trei­ber nur für die Vor­be­rei­tung von be­son­de­ren Ver­an­stal­tun­gen aus­ge­hän­digt.[19] 

Da über­rascht es nicht, dass die all­täg­li­che Ver­pfle­gung der Be­am­ten nicht die höchs­te Prio­ri­tät zu ge­nie­ßen schien. Über die Qua­li­tät des Es­sens kam es häu­fig zu Kla­gen, die die Ver­wal­tung der GHH sich da­mit er­klär­te, dass die Kö­che lie­ber á-la-car­te-Ge­rich­te zu­be­rei­te­ten. Da die Be­trei­ber des Werks­gast­hau­ses am Abon­nen­ten-Es­sen nichts ver­dien­ten, ist dies be­triebs­wirt­schaft­lich nicht ganz un­ver­ständ­lich. Die GHH zog aus den Be­schwer­den die Kon­se­quenz, ih­re Zu­schüs­se für das Abon­nen­ten-Es­sen von der Zahl der ser­vier­ten Ge­de­cke ab­hän­gig zu ma­chen.[20] Aber auch für die Ver­wal­tung der GHH hat­te die Be­wir­tung von Gäs­ten of­fen­bar grö­ße­res Ge­wicht. Dar­auf weist zu­min­dest der Plan hin, das Abon­nen­ten-Es­sen in das al­te Ver­eins­haus zu ver­le­gen, um im Werks­gast­haus aus­rei­chend Raum für an­de­re Gäs­te zu ha­ben.[21] 

Speisesaal des Werkgasthauses, März 1936. (LVR-Industriemuseum)

 

Im All­tag führ­te die Auf­tei­lung des An­ge­bots zwi­schen ein­fa­chen Be­am­ten und der Chef­eta­ge durch­aus zu Kon­flik­ten. Aus der Be­am­ten­schaft wur­den Be­schwer­den über den Lei­ter des Werks­gast­hau­ses laut. Des­sen Er­klä­rung zu Fol­ge lag der Grund für die Kla­gen dar­in, dass er den Be­am­ten be­stimm­te Wei­ne ver­wei­gert hat­te. Man­che Trop­fen wa­ren näm­lich den Mit­glie­dern des Vor­stands vor­be­hal­ten und durf­ten nicht an die Be­am­ten aus­ge­schenkt wer­den.[22] Die Aus­wahl der Wei­ne für den Aus­schank im Ca­si­no war üb­ri­gens Chef­sa­che. Ei­ne Lis­te der Teil­neh­mer ei­ner Wein­pro­be im Werks­gast­haus zeigt mit Na­men wie Reusch, Kel­ler­mann und Di­ckert­mann so et­was wie ein Who‘s who der GHH-Spit­ze.[23] 

Ob sie nun be­rech­tigt wa­ren oder nicht – die häu­fi­gen Be­schwer­den führ­ten letz­lich da­zu, dass die GHH das al­te Be­triebs­mo­dell auf­gab und die Lei­tung des Werks­gast­hau­ses ei­nem neu­en, fest an­ge­stell­ten Ge­schäfts­füh­rer über­trug.[24] Al­ler­dings war das Werk­gast­haus von vorn­her­ein nicht bloß als ge­ho­be­nes Be­triebs­re­stau­rant ge­dacht, son­dern auch als Ver­an­stal­tungs- und Ta­gungs­ort. Zu den hoch­ran­gigs­ten Gäs­ten, die ins Werks­gast­hau­ses ge­la­den wur­den, zähl­ten die in der Ruhr­la­de or­ga­ni­sier­ten füh­ren­den In­dus­tri­el­len des Ruhr­ge­biets.[25] 

Die ge­bo­te­nen Frei­zeit­ver­an­stal­tun­gen wer­fen ein Licht auf den Le­bens­stil ge­ho­be­ner Krei­se. Zu de­ren klas­si­schen Frei­zeit­ak­ti­vi­tä­ten zähl­ten Kon­zer­te und Vor­trä­ge für die klas­si­sche Bil­dung. Für mu­si­ka­li­sche Un­ter­hal­tung sorg­te schon der un­ter­neh­mens­ei­ge­ne Sän­ger­bund, zum Teil zu­sam­men mit ex­ter­nen Künst­lern. Aber auch die Be­am­ten wur­den zu wis­sen­schaft­li­chen Vor­trä­gen ge­la­den, wie die Be­kannt­ma­chung ei­nes Re­fe­rats über „Bild­funk und elek­tri­sches Fern­se­hen“ zeigt.[26] Nicht zu ver­ges­sen sind die Kar­ne­vals­fei­ern, für die der gro­ße Saal auf­wen­dig her­ge­rich­tet wur­de.

Reusch-Abend, 1935. (LVR-Industriemuseum)

 

Of­fen­bar spiel­te das Werks­gast­haus auch ei­ne Rol­le für die Stadt­ge­sell­schaft Alt-Ober­hau­sens. In Er­man­ge­lung ei­nes gro­ßen Fest­saals – die meis­ten Fei­ern der städ­ti­schen Ho­no­ra­tio­ren fan­den in Gast­stät­ten mit nur be­schränk­ten Räum­lich­kei­ten statt[27] – mie­te­ten auch Ver­ei­ne und Ver­bän­de die Sä­le an. Über­lie­fert sind zum Bei­spiel ei­ne Ta­gung des Ver­bands deut­scher In­ge­nieu­re und ein Tref­fen der Ver­ei­ni­gung der Po­li­zei-Of­fi­zie­re Preu­ßens.[28] Man­chen Ver­ei­nen kam of­fen­bar zu­gu­te, dass ih­re Mit­glie­der Be­am­te der GHH wa­ren.[29] Zu den pro­mi­nen­tes­ten Gäs­ten zähl­te die Ober­hau­se­ner Un­ter­neh­mer­gat­tin Mar­tha Gril­lo, die ih­re Sil­ber­hoch­zeit im Werks­gast­haus­saal be­ge­hen woll­te.[30] Ei­ni­ge Da­men der hö­he­ren Ge­sell­schaft nut­zen das Gast­haus zu­dem für ei­nen Kurs in rhyth­mi­scher Gym­nas­tik.[31] 

5. Propagandabühne

Die Macht­über­nah­me der Na­tio­nal­so­zia­lis­ten hat­te Aus­wir­kun­gen auf das Werks­gast­haus. Ob­wohl der Ge­ne­ral­di­rek­tor der GHH, Paul Reusch (1868-1956), ei­ne am­bi­va­len­te Hal­tung zu den neu­en Macht­ha­bern ein­nahm[32], setz­ten sich im Un­ter­neh­men die na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Ri­tua­le der „na­tio­na­len Ar­beit“ durch. Um die al­ten Kon­flik­te zwi­schen Ar­beit­neh­mern und Un­ter­neh­mens­lei­tung zu über­de­cken, ze­le­brier­te man in Ober­hau­sen wie an­dern­orts auch ei­ne kon­stru­ier­te Werks­ge­mein­schaft.[33] Das Werks­gast­haus wur­de zum Schau­platz sol­cher Ri­tua­le. Das wich­tigs­te Ri­tu­al war die jähr­li­che Eh­rung der Ju­bi­la­re, wo­mit das Un­ter­neh­men lang­jäh­ri­ge Treue be­lohn­te. Im Jahr 1934 wur­de erst­mal ein zen­tra­ler Fest­akt für die Ju­bi­la­re al­ler Ab­tei­lun­gen in der Haupt­ver­wal­tung ab­ge­hal­ten und ei­ne Fei­er im gro­ßen Saal des Werks­gast­hau­ses aus­ge­rich­tet.[34] Zu­vor war nur ein er­le­se­ner Kreis der we­ni­gen Ar­bei­ter und An­ge­stell­ten, die ein 50-jäh­ri­ges Be­triebs­ju­bi­lä­um fei­ern konn­ten, in den Ge­nuss ei­ner Fei­er im ex­klu­si­ven Werks­gast­haus ge­kom­men.[35] Di­rek­tor Her­mann Kel­ler­mann (1875-1965) ord­ne­te das neue Ri­tu­al der gro­ßen Ju­bi­lar­eh­rung in­des in die Tra­di­ti­on des ei­ge­nen Un­ter­neh­mens ein, in­dem er her­vor­hob, dass es bis 1913 zen­tra­le Ju­bi­lar­fei­ern ge­ge­ben ha­be und die GHH die­sen Brauch wie­der auf­neh­me.[36] So drück­te er mehr oder we­ni­ger deut­lich aus, dass die Hal­tung zur Ar­beit ei­ne Ge­mein­sam­keit zum na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schem Re­gime dar­stel­le.

Ein an­de­res, be­deu­ten­de­res Ri­tu­al war der „Tag der Na­tio­na­len Ar­beit“ am 1. Mai. Die­ser wur­de in den ein­zel­nen Ab­tei­lun­gen mit Auf­mär­schen und Re­den be­gan­gen. Das Werks­gast­haus öff­ne­te am Abend sei­ne Tü­ren für die Be­leg­schaft des Hoch­ofen­be­triebs. An­de­re Ab­tei­lun­gen fei­er­ten in ver­schie­de­nen Gast­häu­sern.[37] 

Im Au­ßen­be­reich des Ge­bäu­des er­rich­te­te die GHH ein Denk­mal für die im Ers­ten Welt­krieg ge­fal­le­nen Un­ter­neh­mens­an­ge­hö­ri­gen. Das Mahn­mal wur­de am 6.5.1934 ein­ge­weiht. Ne­ben Di­rek­tor Kel­ler­mann hielt der Ob­mann der „Na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Be­triebs­zel­len Or­ga­ni­sa­ti­on“ (NS­BO) Jür­gens ei­ne Re­de. Schlie­ß­lich san­gen die rund 1.500 ver­sam­mel­ten Per­so­nen die Na­tio­nal­hym­ne und das „Horst-Wes­sel-Lie­d“.[38] Auf den ers­ten Blick er­scheint dies wie ei­ne gut in­sze­nier­te Pro­pa­gan­da­fei­er, die die Loya­li­tät der GHH zu Va­ter­land und Par­tei öf­fent­lich sicht­bar ma­chen soll­te. Schaut man sich die Zu­sam­men­hän­ge ge­nau­er an, zeigt sich ein dif­fe­ren­zier­te­res Bild.

Die GHH plan­te schon wäh­rend des Ers­ten Welt­krie­ges, Mit­te 1916, den Bau von Denk­mä­lern für die Ge­fal­le­nen. Zu­nächst wa­ren zwei Mo­nu­men­te ge­plant, eins auf Ei­sen­hüt­te Ober­hau­sen II und eins in der Sied­lung Ja­co­bi-Schäch­te.[39] Die kon­kre­ten Pla­nun­gen für das Mahn­mal am Werks­gast­haus be­gan­nen 1930. Für die Ge­stal­tung wur­de ein reichs­wei­ter Künst­ler­wett­be­werb aus­ge­schrie­ben. Die Wahl fiel auf den Mün­che­ner Bild­hau­er Pro­fes­sor Fritz Behn (1878-1970).[40] Aus der Pla­nung der Ein­wei­hungs­fei­er am 6. Mai 1934 wird der Ver­such der Ver­ant­wort­li­chen deut­lich, sich der spe­zi­fisch na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Fest- und Auf­marsch­kul­tur zu­min­dest zum Teil zu ent­zie­hen. In ei­ner in­ter­nen Kor­re­spon­denz ord­ne­te Di­rek­tor Kel­ler­mann zu­nächst an, nur An­ge­hö­ri­ge des Un­ter­neh­mens zur Fei­er ein­zu­la­den und Be­hör­den und Par­tei­or­ga­ni­sa­tio­nen nicht da­zu zu bit­ten. Er for­mu­lier­te Be­den­ken, dass, so­bald Po­li­ti­ker und Ver­tre­ter der Na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Be­triebs­zel­len Or­ga­ni­sa­tio­nen ein­ge­la­den wür­den, auch die SA, die Hit­ler-Ju­gend, der Stahl­helm usw. Ver­tre­ter ent­sen­den wür­den und so der Cha­rak­ter der Ge­denk­fei­er ver­lo­ren gin­ge.[41] Hin­ter die­ser Zu­rück­hal­tung ge­gen die Be­tei­li­gung der NS-Or­ga­ni­sa­tio­nen stand Paul Reusch, der Kel­ler­mann die Pla­nung der Ein­wei­hungs­fei­er bis ins kleins­te De­tail dik­tier­te. Dass schlie­ß­lich doch zu­min­dest die NS­BO ei­ne tra­gen­de Rol­le bei der Ver­an­stal­tung spiel­te, er­weckt den Ein­druck ei­ner Kom­pro­miss­lö­sung, die ei­nen dro­hen­den Eklat mit lo­ka­len Par­tei­funk­tio­nä­ren ge­ra­de noch ver­hin­der­te.[42]  Da­mit un­ter­strich die Ein­wei­hungs­fei­er des Eh­ren­mals am Werks­gast­haus die am­bi­va­len­te Hal­tung der GHH ge­gen­über den Na­tio­nal­so­zia­lis­ten: Ei­ner­seits teil­te man die na­tio­na­le Ge­sin­nung und die Glo­ri­fi­zie­rung der To­ten des Ers­ten Welt­kriegs, an­de­rer­seits hielt man ei­ne ge­wis­se Dis­tanz zu den Ri­tua­len der Na­tio­nal­so­zia­lis­ten.

Bau­lich wur­den in den 1930er Jah­ren, al­so nach rund 20 Jah­ren Be­trieb, die ers­ten In­stand­set­zun­gen not­wen­dig. Zum Teil wa­ren sie wohl auf nor­ma­len Ver­schleiß, zum Teil aber auch auf ge­wach­se­ne An­sprü­che zu­rück­zu­füh­ren. So er­hiel­ten die Frem­den­zim­mer in den obe­ren Eta­gen um 1930 ein­ge­bau­te Ba­de­räu­me.[43] Zur Hei­zung wur­de ei­ne Lei­tung für Ab­wär­me aus dem Walz­werk Ober­hau­sen ge­legt.[44] Au­ßer­dem er­hielt das Werks­gast­haus ei­ne Kli­ma­an­la­ge, die al­ler­dings zu­nächst nicht be­nutzt wer­den konn­te, weil der Luft­zug Ge­ne­ral­di­rek­tor Paul Reusch miss­fiel.[45] Die an­de­ren Maß­nah­men be­tra­fen vor al­lem die Er­neue­rung von An­stri­chen, Holz­ver­tä­fe­lun­gen und Ähn­li­chem.[46] 

6. Kriegsschäden

Die ers­ten Aus­wir­kun­gen des Zwei­ten Welt­krie­ges zeig­ten sich be­reits 1940, als die Zäu­ne um das Ge­län­de de­mon­tiert wer­den muss­ten, um das Me­tall für die Rüs­tungs­in­dus­trie zu re­cy­celn.[47] Im wei­te­ren Ver­lauf des Krie­ges wur­de dem Werks­gast­haus sei­ne La­ge zum Ver­häng­nis. Un­mit­tel­bar ne­ben dem Ka­si­no­ge­bäu­de er­streck­ten sich die Werks­an­la­gen der GHH, die ein wich­ti­ges Ziel al­li­ier­ter Bom­ber bil­de­ten. Das konn­te das Werks­gast­haus nicht un­be­scha­det über­ste­hen. Im wei­te­ren Schick­sal des Werks­gast­hau­ses spie­geln sich die ty­pi­schen Wir­ren der letz­ten Kriegs­ta­ge und der Nach­kriegs­zeit. Ge­mes­sen an der Men­ge über­lie­fer­ter Do­ku­men­te schei­nen die Ver­lus­te an Le­bens­mit­teln, Wein, Schnaps, Zi­gar­ren, Ge­schirr und Mö­beln schwe­rer ge­wo­gen zu ha­ben als die Schä­den durch Bom­ben. Ein mehr­sei­ti­ges Do­ku­ment lis­tet sämt­li­che Ver­lus­te auf. So wur­de ein Be­stand an Wein und Spi­ri­tuo­sen zum Bei­spiel von deut­schen Sol­da­ten re­qui­riert, an­de­re „Plün­de­run­gen“ wur­den den ehe­ma­li­gen Zwangs­ar­bei­tern zu­ge­schrie­ben.[48] Gleich nach Kriegs­en­de wur­den die schlimms­ten Schä­den am Ge­bäu­de be­sei­tigt, um es vor Wit­te­rungs­ein­flüs­sen zu schüt­zen.[49] 

1946 wur­den im Werks­gast­haus zu­nächst eng­li­sche Sol­da­ten ein­quar­tiert.[50] Ein Ver­such, das Ge­bäu­de zur vor­über­ge­hen­den Un­ter­brin­gung von su­den­ten­deut­schen Ar­bei­tern zu nut­zen, blieb in­des er­folg­los.[51] Nach dem Ab­zug der Sol­da­ten nahm die GHH auf Bit­te der Mi­li­tär­re­gie­rung die „Ju­gend-Ver­ei­ni­gung Ober­hau­sen“ im Werks­gast­haus auf.[52] Das zeigt, dass im zer­stör­ten Ober­hau­sen Man­gel an Räum­lich­kei­ten herrsch­te, wes­halb die GHH ih­re Sä­le auch an an­de­re Grup­pen ver­mie­te­te. Im gro­ßen Saal des Werks­gast­hau­ses fan­den 1947 un­ter an­de­rem ei­ne Turn­meis­ter­schaft, ein neu­apos­to­li­scher Got­tes­dienst, ein Box­kampf und ei­ne Ver­samm­lung der KPD statt.[53] 

7. Unter neuer Leitung

Nach dem Zwei­ten Welt­krieg ord­ne­ten die Al­li­ier­ten die Schwer­in­dus­trie des Ruhr­ge­biets neu. In den deut­schen Gro­ß­kon­zer­nen sa­hen sie die ge­sell­schaft­li­che Ba­sis und be­reit­wil­li­ge Un­ter­stüt­zer der na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Macht­über­nah­me. Um die Kon­zen­tra­ti­on öko­no­mi­scher Macht in we­ni­gen Hän­den zu bre­chen, wur­den die al­ten Kon­zer­ne in ein­zel­ne Ge­sell­schaf­ten auf­ge­spal­ten. Durch die so­ge­nann­te Ent­flech­tung ka­men die Hoch­öfen und Stahl­wer­ke der GHH zur neu­ge­grün­de­ten Hüt­ten­werk Ober­hau­sen AG (HO­AG). Da­mit wech­sel­te auch das Werks­gast­haus an der Es­se­ner Stra­ße den Be­sit­zer.

In ei­ner zen­tra­len ge­sell­schaft­li­chen Fra­ge er­schei­nen HO­AG und GHH wie Ge­gen­po­le. Bei der HO­AG wur­de mit Ar­beits­di­rek­tor Karl Stroh­men­ger ein Ge­werk­schaf­ter zur füh­ren­den Per­sön­lich­keit. Stroh­men­ger trieb bei der HO­AG die Mon­tan­mit­be­stim­mung vor­an. Sein „Ge­gen­spie­ler“ bei der GHH in Sterk­ra­de wur­de Her­mann Reusch (1896-1971), Sohn und Nach­fol­ger von Paul Reusch. Her­mann Reusch kämpf­te ver­geb­lich erst ge­gen die Ent­flech­tung des GHH-Kon­zerns dann ge­gen die Mon­tan­mit­be­stim­mung.[54] 

Die Nut­zung des Werks­gast­hau­ses durch den Be­triebs­rat zeigt ex­em­pla­risch, wel­chen Stand die Ar­beit­neh­mer­ver­tre­tung bei der HO­AG im Ge­gen­satz zu GHH hat­te. Dass im Saal des Werks­gast­hau­ses Be­triebs­ver­samm­lun­gen ab­ge­hal­ten wur­den, er­scheint im Ver­gleich zur frü­he­ren Be­deu­tung des Ge­bäu­des schon auf­fal­lend. Im Fe­bru­ar 1951 aber wur­de das frü­he­re Be­am­ten-Ka­si­no Ort ei­ner sym­bol­träch­ti­ge­ren Ver­an­stal­tung. Nach dem To­de des Ge­werk­schaf­ters und Ar­chi­tek­ten der Mit­be­stim­mung Hans Böck­ler (1875-1951) wur­de im gro­ßen Saal an Stel­le der Be­leg­schafts­ver­samm­lung ei­ne Trau­er­fei­er für den „Ar­bei­ter­füh­rer“ ab­ge­hal­ten. Im Vor­jahr hat­te Hans Böck­ler noch ei­ne Press­kon­fe­renz im Ober­hau­se­ner Werks­gast­haus ge­ge­ben.[55] 

Dekoration des großen Saales für die Karnevalsfeier, 1935. (LVR-Industriemuseum)

 

Deut­lich wird der Be­deu­tungs­wan­del des Ge­bäu­des auch dar­an, dass 1953 die Bü­ros der Be­triebs­kran­ken­kas­se im Werks­gast­haus un­ter­ge­bracht wur­den. So fand ei­ne Ein­rich­tung der be­trieb­li­chen So­zi­al­für­sor­ge Ein­gang in das frü­her ex­klu­si­ve Ka­si­no­ge­bäu­de.[56] 

Über die of­fi­zi­el­len Ver­an­stal­tun­gen hin­aus wur­de das Werks­gast­haus zum Ort vie­ler Frei­zeit­ak­ti­vi­tä­ten der Be­leg­schaft. An ers­ter Stel­le ste­hen hier die Wunsch­kon­zer­te des Werks­or­ches­ters und die Auf­trit­te des Sän­ger­bun­des.[57] Au­ßer­dem sah der gro­ße Saal Vor­stel­lun­gen der Büh­nen­grup­pe der HO­AG, Tanz­aben­de und Kar­ne­vals­fei­ern für die Be­leg­schaft so­wie Be­triebs­fei­ern an­läss­lich von Ju­bi­lä­en ein­zel­ner Ab­tei­lun­gen oder Frei­zeit­grup­pen.[58] Die be­deu­tends­ten Ver­an­stal­tun­gen im gro­ßen Saal des Werks­gast­hau­ses blie­ben je­doch die all­jähr­li­chen Ju­bi­lar­fei­ern.[59] 

Das Werks­gast­haus öff­ne­te sich nicht nur der Be­leg­schaft, son­dern auch der ge­sam­ten Stadt­ge­sell­schaft. Noch im­mer fehl­te ein aus­rei­chend gro­ßer öf­fent­li­cher Ver­an­stal­tungs­saal – die heu­ti­ge Lui­se-Al­bertz-Hal­le wur­de erst 1962 ge­baut. So dien­te der Saal des Gast­hau­ses auch als Büh­ne für Thea­ter­vor­stel­lun­gen und an­de­re öf­fent­li­che Ver­an­stal­tun­gen. Zum Bei­spiel gas­tier­ten die Ruhr­fest­spie­le mit ei­ner Auf­füh­rung von „Na­than der Wei­se“ oder der „Ne­ger­bas­sis­t“ Ken­neth Spen­cer (1913-1964) mit ei­nem Wohl­tä­tig­keits­kon­zert zu Guns­ten des Ro­ten Kreu­zes.[60] 

Bauarbeiten an der Fassade, 1953, Foto: Ruth Gläser. (Stadtarchiv Oberhausen)

 

Auch bau­lich wur­den das Werks­gast­haus und die Um­ge­bung die­sen Zwe­cken an­ge­passt. Um Gro­ß­ver­an­stal­tun­gen und Kon­zer­te bes­ser aus­rich­ten zu kön­nen, wur­de der Saal um­ge­stal­tet. Die De­cke wur­de da­zu zwei Me­ter ab­ge­senkt und mit Akus­tik-Plat­ten ver­klei­det. Die Wän­de er­hiel­ten ei­nen schall­schlu­cken­den Putz und wur­den bis zu ei­ner ge­wis­sen Hö­he mit „afri­ka­ni­schem Birn­baum-Hol­z“ ver­klei­det.[61] Im Au­ßen­be­reich er­hielt das Gast­haus ei­nen Park mit Ro­sen­gar­ten, Ter­ra­ri­um für Rep­ti­li­en und Teich.[62] Der Park dien­te re­gel­mä­ßig als Spiel­ort für Kon­zer­te des Werks­or­ches­ters für die Be­leg­schaft.[63] Als al­ler­dings ab 1957 der neue Hoch­ofen A ge­baut wur­de, muss­te das Werks­gast­haus ei­nen gro­ßen Teil der Park­flä­che an die Ei­sen­hüt­te Ober­hau­sen II ab­tre­ten.[64] 

Die grö­ß­te Ver­än­de­rung dürf­te je­doch die Nut­zung des gro­ßen Saa­les für das täg­li­che Mit­tag­es­sen der Be­leg­schafts­mit­glie­der sein. Das An­ge­bot des Werks­gast­hau­ses rich­te­te sich ab den 1950er Jah­ren aus­drück­lich an al­le An­ge­stell­ten „vom Bü­ro­lehr­ling bis zum Vor­stands­mit­glie­d“. Das Es­sen kos­te­te nun nur noch 1 DM.[65] In den 1920er Jah­ren hat­te der Preis für ein Abon­nen­ten-Mit­tag­es­sen zum Bei­spiel bei 7 Mark ge­le­gen.[66] 

Werksgasthaus während des Baus des Hochofens A, 1958. (Historischer Verein Oberhausen-Ost)

 

Ne­ben den vie­len Ver­an­stal­tun­gen für die Be­leg­schaft be­hielt das Werks­gast­haus je­doch sei­ne Be­deu­tung für die Un­ter­neh­mens­füh­rung. Am deut­lichs­ten wird dies an den jähr­li­chen Haupt­ver­samm­lun­gen, an de­nen vie­le pro­mi­nen­te Ver­tre­ter der Schwer­in­dus­trie teil­nah­men.[67] Au­ßer­dem blieb das Werks­gast­haus der Ort für die Be­wir­tung wich­ti­ger Gäs­te des Un­ter­neh­mens. Im An­schluss an ei­ne Be­sich­ti­gung der Werks­an­la­gen bot es das pas­sen­de Am­bi­en­te für Ge­sprä­che und ge­schäft­li­che Ver­hand­lun­gen. Hier spie­gelt sich wie­der­um die all­ge­mei­ne his­to­ri­sche Ent­wick­lung wi­der. So ka­men zum Bei­spiel Ver­tre­ter nun­mehr un­ab­hän­gi­ger ehe­ma­li­ger eu­ro­päi­scher Ko­lo­ni­en nach Eu­ro­pa, um ge­schäft­li­che Kon­tak­te zu knüp­fen und die In­dus­tria­li­sie­rung ih­rer Län­der zu för­dern. So be­rich­tet die Werks­zeit­schrift „Echo der Ar­beit“ et­wa über den Be­such von Kö­ni­gen der As­han­ti aus Gha­na.[68] 

Zum En­de der 1960er Jah­re er­leb­te das Werks­gast­haus ei­nen zu­neh­men­den Be­deu­tungs­ver­lust. Der Pro­zess be­gann mit der Ver­le­gung der Haupt­ver­samm­lun­gen von der Es­se­ner Stra­ße in die neue Ober­hau­se­ner Stadt­hal­le ab dem Jahr 1963.[69] An­schlie­ßend wan­der­ten auch die Gro­ß­ver­an­stal­tun­gen von der und für die Be­leg­schaft in der Stadt­hal­le ab. Am En­de des Jahr­zehnts wur­den so­wohl die Ju­bi­lar­eh­run­gen als auch die Be­leg­schafts­ver­samm­lun­gen in den städ­ti­schen Sä­len ab­ge­hal­ten.[70] Auch klei­ne­re Zu­sam­men­künf­te, wie die der Schwer­be­hin­der­ten, fan­den nicht mehr not­wen­di­ger­wei­se im gro­ßen Saal an der Es­se­ner Stra­ße statt.[71] Selbst die Kar­ne­va­lis­ten von Grün-Weiß HO­AG tra­fen sich in der Stadt­hal­le.[72] 

8. Thyssen Niederrhein

En­de der 1960er Jah­re wur­den die ers­ten An­zei­chen der Kri­se der Ei­sen- und Stahl­in­dus­trie des Ruhr­ge­biets deut­lich. Im Zu­ge die­ser Kri­se voll­zog sich ein um­fang­rei­cher Kon­zen­tra­ti­ons­pro­zess, in des­sen Ver­lauf auch die Hüt­ten­wer­ke Ober­hau­sen AG in ei­nen Gro­ß­kon­zern ein­ge­glie­dert wur­den. Der Pro­zess be­gann mit der Über­nah­me der Ak­ti­en­mehr­heit durch die Au­gust-Thys­sen-Hüt­te 1968[73]. Im fol­gen­den Jahr sah das Werks­gast­haus noch ein­mal ei­ne Haupt­ver­samm­lung der Ak­tio­nä­re. Mög­lich­wei­se ge­nüg­te der Saal des Werks­gast­hau­ses wie­der, weil mit dem En­ga­ge­ment Thys­sens die Zahl der in­di­vi­du­el­len An­teils­eig­ner zu­rück­ge­gan­gen war. Bei die­ser Haupt­ver­samm­lung im Werks­gast­haus fiel der Be­schluss zur voll­stän­di­gen Über­nah­me der HO­AG in den Thys­sen-Kon­zern[74]. 1971 wur­de die HO­AG mit ei­ner an­de­ren Thys­sen-Toch­ter der Nie­der­rhei­ni­schen Hüt­te zur Thys­sen Nie­der­rhein AG ver­schmol­zen[75].

Delegation aus Ghana, 1959. (Sammlung Ursula Vermeltfoort, Eindhoven Niederlande)

 

Mit der Über­nah­me setz­te sich der Be­deu­tungs­ver­lust des Werks­gast­hau­ses fort. Nach der Ein­glie­de­rung in den Thys­sen-Kon­zern wur­den die zen­tra­len Ent­schei­dun­gen nicht mehr an der Es­se­ner Stra­ße ge­trof­fen, so dass das Werks­gast­haus nicht mehr die ers­te Adres­se für Ak­tio­närs­ver­samm­lun­gen oder Ge­schäfts­ver­hand­lun­gen war. In Kon­se­quenz dar­aus wur­de das Werks­gast­haus im Jahr 1970 um­ge­baut[76]. Nach Ent­wurf durch den Es­se­ner Ar­chi­tek­ten Ar­thur Zil­ges er­folg­te ei­ne um­fang­rei­che Um­ge­stal­tung der his­to­ri­schen Räu­me. Nach drei­mo­na­ti­gem Um­bau wur­de aus dem gro­ßen Saal ei­ne Selbst­be­die­nungs­kan­ti­ne. In den Saal wur­de ei­ne Zwi­schen­de­cke ein­ge­zo­gen, an den Sei­ten wur­den Es­sens­aus­ga­be, Ge­trän­ke­au­to­ma­ten und ein Trans­port­band für ge­brauch­tes Ge­schirr un­ter­ge­bracht. Die Werks­zeit­schrift be­rich­te­te: „Durch ei­ne bes­se­re räum­li­che Auf­tei­lung des gro­ßen Saals sind 260 Sitz­plät­ze ge­schaf­fen wor­den“. Tat­säch­lich wur­den die Ti­sche wohl ein­fach nur en­ger auf­ge­stellt[77].

Mit bis zu 1.200 Mahl­zei­ten pro Tag war das Werks­gast­haus nun vor al­lem Gro­ß­kan­ti­ne[78]. Für an­de­re Ver­an­stal­tun­gen war das Ge­bäu­de nicht mehr ge­eig­net, was sich bei­spiel­haft am Werks­or­ches­ter zeigt. Hat­te es in den 1960er Jah­ren noch re­gel­mä­ßig gro­ße Kon­zer­te der werks­ei­ge­nen Mu­si­ker im gro­ßen Saal ge­ge­ben, konn­ten sie jetzt le­dig­lich ei­ni­ge Ne­ben­räu­me für Pro­ben nut­zen. Gro­ße Auf­trit­te blie­ben dem Or­ches­ter ver­sagt, da es die Saal­mie­te für die Stadt­hal­le nicht auf­brin­gen konn­te[79].

9. Strukturwandel

Auch nach der Über­nah­me durch Thys­sen setz­te sich der Nie­der­gang der Ober­hau­se­ner Hüt­ten­wer­ke fort. An­fang der 1990er Jah­re war ein Gro­ß­teil der Werks­an­la­gen still­ge­legt. Da­mit stand die Stadt Ober­hau­sen vor der Her­aus­for­de­rung, ei­ne neue Nut­zung für das frei ge­wor­de­ne Ge­län­de des Hüt­ten­werks zu fin­den und gleich­zei­tig den gra­vie­ren­den Fol­gen der De­indus­tria­li­sie­rung für den Ar­beits­markt zu be­geg­nen.

Auf dem ehe­ma­li­gen Werks­ge­län­de ent­stand zwi­schen 1994 und 1996 die Neue Mit­te Ober­hau­sen mit dem über­re­gio­nal be­kann­ten Frei­zeit- und Ein­kaufs­zen­trum Cen­trO. Die Stadt ver­folg­te al­ler­dings den An­spruch ei­nes nach­hal­ti­gen Stadt­ent­wick­lungs­kon­zepts, das mehr als ei­ne Shop­ping-Mall um­fas­sen soll­te. Als Stand­ort für klei­ne und mitt­le­re Un­ter­neh­men im Dienst­leis­tungs- und Tech­no­lo­gie­sek­tor nahm das Werks­gast­haus ei­ne zen­tra­le Rol­le in die­sem Kon­zept ein[80].

Im Rah­men der In­ter­na­tio­na­len Bau­aus­stel­lung Em­scher Park (IBA) plan­te die Stadt Ober­hau­sen die Grün­dung des Tech­no­lo­gie­zen­trums Um­welt­schutz (TZU). Für die­se Um­nut­zung wur­de nach Ent­wurf der fran­zö­si­schen Ar­chi­tek­ten Reich und Ro­bert in Zu­sam­men­ar­beit mit dem Ober­hau­se­ner Bü­ro Dratz & Dratz nicht nur das his­to­ri­sche Werks­gast­haus sa­niert, son­dern auch meh­re­re Neu­bau­ten er­rich­tet[81]. Das TZU um­fasst heu­te drei Ge­bäu­de mit rund 15.000 Qua­drat­me­tern Bü­ro- und Ver­an­stal­tungs­flä­che, da­von 3.000 Qua­drat­me­ter im his­to­ri­schen Werks­gast­haus. Zur­zeit sind dort über 50 Un­ter­neh­men an­ge­sie­delt[82].

Die 100-jäh­ri­ge Ge­schich­te die­ses In­dus­trie­denk­mals spie­gelt die wech­sel­vol­len his­to­ri­schen und ge­sell­schaft­li­chen Ent­wick­lun­gen wi­der. Ur­sprüng­lich ge­baut für die obe­ren Eta­gen und be­deu­ten­den Gäs­te ei­nes der grö­ß­ten Kon­zer­ne der Schwer­in­dus­trie, ma­ni­fes­tie­ren sich in der Nut­zung des Werks­gast­hau­ses die po­li­ti­schen und so­zia­len Um­brü­che – über den Pro­pa­gan­da­be­trieb der NS-Zeit und den hoff­nungs­vol­len Auf­schwung in der Zeit von Wirt­schafts­wun­der und Mon­tan­mit­be­stim­mung bis zum Nie­der­gang der Stahl­in­dus­trie in Ober­hau­sen. Schlie­ß­lich aber wur­de das al­te Ka­si­no zu ei­nem po­si­ti­ven Bei­spiel für Struk­tur­wan­del und für ver­ant­wor­tungs­vol­len Um­gang mit ei­nem be­son­de­ren Denk­mal. Heu­te liegt die­ses in­dus­tri­el­le Schmuck­stück an ei­ner der meist be­fah­ren Kreu­zun­gen Ober­hau­sens und ne­ben ei­ner der meist be­such­ten Shop­ping-Malls des Lan­des. Es bil­det den Auf­takt der „Al­lee der In­dus­trie­kul­tur“. So steht zu hof­fen, dass der äs­the­ti­sche und his­to­ri­sche Wert die­ses Bau­werks in das all­ge­mei­ne Be­wusst­sein vor­dringt.

Quellen

Rhei­nisch-West­fä­li­sches Wirt­schafts­ar­chiv zu Köln (RW­WA)
Werks­gast­haus 1912, 130-3001012/12a
Werks­gast­haus 1913-1916, 130-3001012/13
Öko­nom Fa­bri­ci­us. Werks­gast­haus, 1913 – 1933, 130-3001012/76
Krie­ger-Eh­ren­mal am Werks­gast­haus, 1918 – 1934, 130-400109/13
Werks­gast­haus. All­ge­mei­ne An­ge­le­gen­hei­ten. Band II, 1929 – 1930, 130-400109/53
Werks­gast­haus-Um­bau, 1937 – 1941, 130-400109/125 

Literatur

Kur­siv = Kurz­zi­tier­wei­se
 

_ Bähr_, Jo­han­nes, GHH und M.A.N. in der Wei­ma­rer Re­pu­blik, im Na­tio­nal­so­zia­lis­mus und in der Nach­kriegs­zeit (1920-1960), in: Bähr/Ban­ken/Flem­ming, S. 231-371.

_ Ban­ken_, Ralf, Die Gu­te­hoff­nungs­hüt­te: Vom Ei­sen­werk zum Kon­zern (1758-1920), in: Bähr/Ban­ken/Flem­ming, S. 15-131. 

_ Bähr_, Jo­han­nes/Ban­ken, Ralf/Flem­ming, Tho­mas, Die MAN. Ei­ne deut­sche In­dus­trie­ge­schich­te, 3., ak­tua­li­sier­te Auf­la­ge, Mün­chen 2010.

_ Bruch_, Clau­dia, La­ger­ge­bäu­de Gu­te­hoff­nungs­hüt­te Ober­hau­sen, Mün­chen 2002.

_ Dell­wig_, Ma­gnus/Rich­ter, Ernst-Joa­chim, Wirt­schaft im Wan­del. Ober­hau­sen 1960–2010, in: Dell­wig, Ma­gnus/Lan­ger, Pe­ter (Hg.), Ober­hau­sen. Ei­ne Stadt­ge­schich­te im Ruhr­ge­biet, Band 4, Müns­ter 2012, S. 53-139, 667-668.

_ Ka­wohl_, Hel­mut, „Schnei­der Wib­bel“ zur Er­öff­nung. Vor 100 Jah­ren wur­de das ehe­ma­li­ge Werks­gast­haus der Gu­te­hoff­nungs­hüt­te ge­baut, in: Jahr­buch Ober­hau­sen 2013, Ober­hau­sen 2012, S. 33-37.

_ Lan­ger_, Pe­ter, Macht und Ver­ant­wor­tung. Der Ruhr­ba­ron Paul Reusch, Es­sen 2012.

_ Lan­ger_, Pe­ter, Die Na­tio­nal­so­zia­lis­ti­sche Herr­schaft. Ober­hau­sen zwi­schen 1933 und 1939, in: Dell­wig, Ma­gnus/Lan­ger, Pe­ter (Hg.), Ober­hau­sen. Ei­ne Stadt­ge­schich­te im Ruhr­ge­biet, Band 3, Müns­ter 2012, S. 145-310, 448-458.

_ Reif_, Heinz, Die ver­spä­te­te Stadt. In­dus­tria­li­sie­rung, städ­ti­scher Raum und Po­li­tik in Ober­hau­sen 1846–1929, 2 Bän­de, Köln [u.a.] 1992.

Umbau des großen Saales zur Kantine, 1970, Foto: Ruth Gläser. (Stadtarchiv Oberhausen)

 
Anmerkungen
Zitationshinweis

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Sobanski, Daniel, Das Werksgasthaus der Gutehoffnungshütte in Oberhausen, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/Themen/das-werksgasthaus-der-gutehoffnungshuette-in-oberhausen/DE-2086/lido/5f61bef827fcf7.96090359 (abgerufen am 25.04.2024)