Der Heimatforscher Professor Dr. Dr. h.c. Albert Steeger (1885–1958) und seine Rolle im Nationalsozialismus

Alexander Friedman (Düsseldorf)

Porträtfoto von Albert Steeger. (LVR-Fachbereich Kommunikation)

Am 15. März 2008 wür­dig­te die West­deut­sche Zei­tung „den wohl letz­ten Uni­ver­sal­ge­lehr­ten vom Nie­der­rhein“, „der sich auf al­len Ge­bie­ten der Volks- und Hei­mat­kun­de aus­kann­te“, der „der ge­sam­ten Land­schaft sei­nen Stem­pel auf­ge­drück­t“ und „wis­sen­schaft­li­che Tex­te über die Geo­lo­gie, die Bo­ta­nik und über Sied­lungs­ge­schich­te“ ver­fasst ha­be, „die grö­ß­ten­teils auch noch heu­te gel­ten“. Ge­meint war der 50 Jah­re zu­vor ver­stor­be­ne, aus Lob­be­rich stam­men­de Wis­sen­schaft­ler Al­bert Stee­ger (1885–1958), der die Ent­wick­lung der Hei­mat­for­schung in Kre­feld vor und nach 1945 ma­ß­geb­lich ge­prägt und bei der Er­rich­tung des Ar­chäo­lo­gi­schen Mu­se­ums des Mu­se­ums­zen­trums Burg Linn (frü­her Nie­der­rhei­ni­sches Land­schafts­mu­se­um, 1952) die ma­ß­geb­li­che Rol­le ge­spielt hat­te.[1] Die er­wähn­te Pu­bli­ka­ti­on des WZ-Kul­tur-Re­dak­teurs Heinz-J. In­gen­pahs be­stä­tig­te den aus­ge­zeich­ne­ten Ruf des Hei­mat­for­schers Stee­ger in Kre­feld: Sei­nen Na­men tra­gen so­wohl ei­ne Stra­ße (seit 1966 die frü­he­re Greif­fen­berg­stra­ße) als auch die Hei­mat­schu­le bei Burg Linn (seit 1958). Die Stadt­spar­kas­se Kre­feld gab 1986 ei­ne Al­bert-Stee­ger-Ge­denk­me­dail­le her­aus. Seit 1958 bzw. 1960 ver­leiht der Kre­fel­der Ver­ein Nie­der­rhein e.V. die Al­bert-Stee­ger-Pla­ket­te für be­son­de­re Ver­diens­te auf dem Ge­biet der Hei­mat­kul­tur­pfle­ge. Hin­zu kommt der Al­bert-Stee­ger-Preis (frü­her Al­bert-Stee­ger-Sti­pen­di­um), mit dem der Land­schafts­ver­band Rhein­land seit Mit­te der 1950er Jah­re be­son­ders qua­li­fi­zier­te wis­sen­schaft­li­che Ar­bei­ten zu The­men Rhei­ni­cher Lan­des­kun­de aus­zeich­net.[2]

Die Ge­schich­te die­ses Prei­ses geht auf die In­itia­ti­ve des Mu­se­ums­pfle­gers des Land­schafts­ver­ban­des Rhein­land Dr. Karl Vog­ler (1907–1981) zu­rück, der sich für sei­nen Kol­le­gen Stee­ger stark ge­macht hat und den Vor­sit­zen­den des Fach­aus­schus­ses für land­schaft­li­che Kul­tur­pfle­ge in der Land­schafts­ver­samm­lung Rhein­land, Fried­rich-Wil­helm Gol­den­bo­gen (1914–1982) und den Lan­des­di­rek­tor des Land­schafts­ver­ban­des Udo Klau­sa (1910–1998) für das Stee­ger-Sti­pen­di­um ge­win­nen konn­te.[3] Letz­te­res wur­de zum 70. Ju­bi­lä­um des Hei­mat­for­schers ge­stif­tet und wür­dig­te des­sen gro­ße „Ver­diens­te um die land­schaft­li­che Kul­tur­pfle­ge“ und um „die rhei­ni­sche Lan­des­kun­de“.[4] 

In den nächs­ten Jahr­zehn­ten be­stimm­te der apo­lo­ge­ti­sche Duk­tus die Aus­ein­an­der­set­zung mit Al­bert Stee­ger. So wur­de er in der neu­en Fas­sung der Grund­sät­ze für die Ver­lei­hung des Stee­ger-Prei­ses (1974) zu­recht als her­aus­ra­gen­der For­scher, Wis­sen­schaft­ler und Hei­mat­pfle­ger cha­rak­te­ri­siert, wäh­rend man sei­ne Tä­tig­keit im Na­tio­nal­so­zia­lis­mus nicht ein­mal er­wähn­te.[5] Sie­ben Jah­re spä­ter zeich­ne­te der Ge­ne­ral­di­rek­tor der Mu­se­en der Stadt Köln, der an­ge­se­he­ne Mit­tel­al­ter­ar­chäo­lo­ge Prof. Dr. Hu­go Bor­ger (1925–2004) ein „um­fas­sen­des Le­bens­bil­d“ des ihm per­sön­lich sehr gut be­kann­ten Hei­mat­for­schers, der „die Viel­schich­tig­keit nie­der­rhei­ni­scher Kul­tur in sei­ner Per­son ver­kör­per­t“ ha­be. Stee­gers Tä­tig­keit in der NS-Zeit wur­de aber le­dig­lich bei­läu­fig the­ma­ti­siert und et­wa sei­ne NS­DAP-Mit­glied­schaft so­wie die Ver­bin­dung zur na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Stadt­ver­wal­tung aus­ge­blen­det.[6] Nicht zu­letzt von Bor­gers Dar­stel­lung be­ein­flusst, gin­gen die His­to­ri­ker Dr. Chris­toph Reich­mann[7] und Dr. Ste­phan Laux[8] in den frü­hen 2000er Jah­ren so­wie spä­ter auch Dr. Arie Nab­rings von Stee­gers Dis­tanz zum NS-Re­gime aus.

In den spä­ten 2010er Jah­ren stell­te der Lei­ter des LVR-Frei­licht­mu­se­ums in Lind­lar Mi­cha­el Kamp die­ses wohl­wol­len­de Stee­ger-Bild in Fra­ge. Kamp sam­mel­te zahl­rei­che Quel­len über Stee­ger im Stadt­ar­chiv Kre­feld[9], im Lan­des­ar­chiv NRW (Ab­tei­lung Rhein­land in Duis­burg)[10], im Mu­se­um Burg Linn[11] so­wie im Ar­chiv des Land­schafts­ver­ban­des Rhein­land[12] und stieß die Auf­ar­bei­tung sei­ner Le­bens­ge­schich­te durch den LVR an. In die­sem Kon­text ist die vor­lie­gen­de bio­gra­phi­sche Stu­die ent­stan­den, in der das von Kamp und vom Ver­fas­ser selbst auf­ge­spür­te um­fang­rei­che Quel­len­ma­te­ri­al sys­te­ma­tisch aus­ge­wer­tet wur­de.

Wäh­rend sich die For­schung bis­lang vor al­lem auf Stee­gers wis­sen­schaft­li­che bzw. hei­ma­this­to­ri­sche Tä­tig­keit vor und nach 1933 kon­zen­trier­te, nimmt sich die vor­lie­gen­de Stu­die ge­zielt des na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Ab­schnitts sei­ner Bio­gra­phie an. Be­strebt die eher des­pa­ra­ten Quel­len zu er­fas­sen und zu ana­ly­sie­ren, setz­te sich der Ver­fas­ser die­ses Bei­trags be­son­ders mit Stee­gers Ab­hand­lun­gen aus der NS-Zeit und da­bei spe­zi­ell mit den Fest­schrif­ten zu den Aus­stel­lun­gen „2000 Jah­re ger­ma­ni­sches Bau­ern­tum am lin­ken Nie­der­rhein“ (1935) und „Burg und Stadt am Nie­der­rhein. 1000 Jah­re deut­sches Hand­wer­k“ (1938) aus­ein­an­der. Die bis­her in den For­schungs­pu­bli­ka­tio­nen über Stee­ger kaum be­ach­te­ten ein­schlä­gi­gen Pres­se­pu­bli­ka­tio­nen aus der Vor- und Nach­kriegs­zeit, wel­che Stee­gers Rol­le im Na­tio­nal­so­zia­lis­mus ver­an­schau­li­chen und so­mit be­son­de­re Auf­merk­sam­keit ver­die­nen, wur­den ana­ly­siert. Die am­bi­va­len­te Ge­schich­te von Stee­gers NS­DAP-Par­tei­mit­glied­schaft und Eh­ren­pro­mo­ti­on an der Rhei­ni­schen Fried­rich-Wil­helms-Uni­ver­si­tät Bonn (1943) wur­de an­hand von Quel­len aus dem Bun­des­ar­chiv und Bon­ner Uni-Ar­chiv re­kon­stru­iert. Er­wäh­nens­wert sind au­ßer­dem In­ven­ta­re aus dem Mu­se­um Burg Linn und meh­re­re Quel­len aus dem Ar­chiv des Land­schafts­ver­ban­des Rhein­land: et­wa Do­ku­men­te aus dem Nach­lass des Ar­chäo­lo­gen Prof. Dr. Franz Oel­mann (1883–1963) so­wie Ak­ten aus dem Be­stand des Hei­mat­mu­se­ums Kre­feld.  Bei sei­nen Re­cher­chen pro­fi­tier­te der Ver­fas­ser ma­ß­geb­lich von der fach­li­chen Un­ter­stüt­zung durch Ru­dolf Kahl­feld (Ar­chiv des LVR), Dr. Chris­toph Dau­ter­mann und Bo­ris Schuf­fels (Burg Linn) so­wie Dr. Tho­mas P. Be­cker (Uni­ver­si­täts­ar­chiv Bonn).  
Blieb Al­bert Stee­ger im Na­tio­nal­so­zia­lis­mus „sach­lich und frei von je­der Ideo­lo­gie“, wäh­rend die Macht­ha­ber sei­ne For­schung auf­grif­fen und ver­such­ten, die­se für ih­re Zwe­cke zu miss­brau­chen (Hu­go Bor­ger)[13]?  War er  viel­leicht ein „au­gen­schein­lich po­li­tisch nicht In­vol­vier­ter“ (Ste­phan Laux)[14]  oder viel­mehr  ein vor­sich­ti­ger „Mit­läu­fer“, der sich den Um­stän­den der na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Dik­ta­tur an­ge­passt hat, die güns­ti­ge po­li­ti­sche Kon­junk­tur in den 1930er Jah­ren nutz­te, um sei­ne am­bi­tio­nier­ten Pro­jek­te vor­an­zu­trei­ben und „zwei­fels­oh­ne mit den Er­geb­nis­sen sei­ner Ar­beit das Re­gime und sei­ne Ideo­lo­gie nach­hal­tig ge­stärk­t“[15] hat (Mi­cha­el Kamp)? Oder han­delt sich im Fall Stee­ger gar um ei­nen, vom völ­ki­schen, ras­sis­ti­schen und an­ti­se­mi­ti­schen Ge­dan­ken­gut be­ein­fluss­ten „brau­nen Hei­mat­for­scher“, der sei­ne NS-Ver­stri­ckung nach 1945 er­folg­reich ver­tu­schen und in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land Fuß fas­sen konn­te?  Die­se bri­san­ten Fra­gen ste­hen im Mit­tel­punkt der vor­lie­gen­den Un­ter­su­chung. Zu­nächst wer­den Stee­gers Tä­tig­keit im „Drit­ten Reich“ und sei­ne Rol­le in NS-Or­ga­ni­sa­tio­nen ana­ly­siert. An­schlie­ßend wird ins­be­son­de­re auf die von ihm kon­zi­pier­ten Aus­stel­lun­gen „2000 Jah­re ger­ma­ni­sches Bau­ern­tum am lin­ken Nie­der­rhein“ (1935) und „Burg und Stadt am Nie­der­rhein“ (1938) ein­ge­gan­gen.

Albert Steeger im „Dritten Reich“

Als die Na­tio­nal­so­zia­lis­ten am 30. Ja­nu­ar 1933 in Ber­lin die Macht über­nah­men, war Al­bert Stee­ger in Kre­feld als Schul­lei­ter der 1875 ge­grün­de­ten Ma­ri­an­ne-Rho­di­us-Re­al­schu­le für Mäd­chen be­reits gut be­kannt: In der Fa­mi­lie des We­be­rei­di­rek­tors Kon­rad Stee­ger und sei­ner Ehe­frau Ma­ria ge­bo­ren, schloss er 1905 das kö­nig­li­che Leh­rer­se­mi­nar in Kem­pen ab und war in den nächs­ten Jah­ren in Nieu­kerk, Ba­erl und Meer­beck im Schul­dienst tä­tig. 1912 wech­sel­te Stee­ger an die Ma­ri­an­ne-Rho­di­us-Schu­le, nahm am Ers­ten Welt­krieg teil und ab­sol­vier­te an­schlie­ßend sein Hoch­schul­stu­di­um in Köln (Geo­gra­phie) und Bonn (Geo­lo­gie). 1923 an der Uni­ver­si­tät zu Köln mit ei­ner na­tur­wis­sen­schaft­li­chen Dis­ser­ta­ti­on über „Das gla­cia­le Di­luvi­um des Nie­der­rhei­ni­schen Tief­lan­des und sei­ne Be­zie­hun­gen zum nie­der­län­di­schen und nord­deut­schen Di­luvi­um“ pro­mo­viert, über­nahm der fünf­fa­che Fa­mi­li­en­va­ter – 1916 hei­ra­te­te er Ka­tha­ri­na Ca­pell; aus der Ehe gin­gen drei Söh­ne und zwei Töch­ter her­vor –  1926 die Lei­tung der Ma­ri­an­ne-Rho­di­us-Schu­le und setz­te gleich­zei­tig sei­ne wis­sen­schaft­li­che For­schung im Raum Kre­feld fort. Der Schul­rek­tor be­fass­te sich da­bei mit di­ver­sen bio­lo­gi­schen, bo­ta­ni­schen und geo­lo­gi­schen The­men und nahm sich ins­be­son­de­re der Ar­chäo­lo­gie und Sied­lungs­ge­schich­te des lin­ken Nie­der­rheins an. Ab 1934 kon­zen­trier­te sich Al­bert Stee­ger auf die Aus­gra­bun­gen im rö­mi­schen Kas­tell Gel­du­ba (Kre­feld-Gel­lep).[16] 

Noch im Früh­jahr 1933 ge­hör­te der ka­tho­lisch ge­präg­te Rek­tor der Zen­trums­par­tei an. Trotz­dem konn­te Stee­ger sich schnell mit den neu­en „brau­nen Macht­ha­bern“ ar­ran­gie­ren: 1933 schloss er sich der Na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Kriegs­ver­sor­gung (NS­KOV) an; als Leh­rer trat er in den NS-Leh­rer­bund und als Kriegs­ve­te­ran in den NS-Reichs­krie­ger­bund ein. Im Zu­ge der Ent­na­zi­fi­zie­rung (März 1948) gab Stee­ger die Mit­glied­schaft in die­sen – eher „harm­lo­sen“ – NS-Or­ga­ni­sa­tio­nen kom­men­tar­los zu.[17] We­sent­lich bri­san­ter wa­ren hin­ge­gen sei­ne NS­DAP-Ver­gan­gen­heit und die Mit­wir­kung im völ­kisch und ras­sis­tisch ge­präg­ten Reichs­ko­lo­ni­al­bund. Wann er­hielt Al­bert Stee­ger tat­säch­lich sein brau­nes Par­tei­buch? Im März 1948 er­klär­te Stee­ger dem Ent­na­zi­fi­zie­rungs­aus­schuss, er – eins­ti­ges Zen­trums­mit­glied – sei tat­säch­lich erst An­fang 1934 in die NS­DAP auf­ge­nom­men wor­den. Sein Par­tei­ein­tritt sei aber „oh­ne Rück­fra­ge“ auf den 1. Mai 1933 zu­rück­da­tiert wor­den. War­um? Die Ant­wort auf die­se Fra­ge blieb Stee­ger 1948 schul­dig, wo­bei er auf ei­nen Brand in sei­nem Haus von 1943 ver­wies, bei dem „al­le Un­ter­la­gen“ ver­lo­ren ge­gan­gen sei­en.[18] 

Stee­gers Dar­stel­lung ist we­nig glaub­wür­dig und ver­folg­te eher das Ziel, nicht als „März­ge­fal­le­ner“, der nach der Reichs­tags­wahl am 5. März 1933 zur NS­DAP über­ge­lau­fen ist, wahr­ge­nom­men zu wer­den. Be­strebt, den gro­ßen An­sturm von „März­ge­fal­le­nen“ (Op­por­tu­nis­ten und frü­he­ren po­li­ti­schen Geg­nern) zu brem­sen, ver­häng­te der „Reichs­schatz­meis­ter der NS­DA­P“ Franz Xa­ver Schwarz (1875–1947) am 19. April 1933 ei­ne Auf­nah­me­sper­re, die am 1. Mai in Kraft trat, zu­nächst ver­schärft, erst 1937 ge­lo­ckert und zwei Jah­re spä­ter auf­ge­ho­ben wur­de. Als Aus­nah­men gal­ten HJ-Mit­glie­der un­ter 18 Jah­ren, Mit­glie­der der Na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Be­triebs­zel­len­or­ga­ni­sa­ti­on (NS­BO) so­wie SA- und SS-Mit­glie­der.[19] Da der 47-jäh­ri­ge Schul­rek­tor we­der HJ- bzw. NS­BO-, ge­schwei­ge denn SA- oder SS-Mit­glied war, war sei­ne Be­haup­tung aus dem Jahr 1948 wohl ir­re­füh­rend. Tat­säch­lich er­hielt der Kre­fel­der Hei­mat­for­scher die NS­DAP-Mit­glieds­num­mer 3.475.356.[20] Zum Ver­gleich: der spä­te­re SS-Bri­ga­de­füh­rer Wal­ter Schel­len­berg (1910–1952, NS­DAP-Par­tei­mit­glied ab dem 1. April 1933)[21] und der Un­ter­neh­mer Hans Bahl­sen (1901–1959, NS­DAP-Mit­glied ab dem 1. Mai 1933)[22] er­hiel­ten die Num­mer 3.504.508 bzw. 3.555.351. So war Stee­ger wohl un­ter et­wa 1.300.000 Deut­schen, die am 1. Mai 1933 „Par­tei­ge­nos­sen“ ge­wor­den sind.[23] Ge­gen Stee­gers Ver­si­on des spä­te­ren NS­DAP-Par­tei­ein­tritts spricht fer­ner sei­ne Selbst­aus­kunft über die Zen­trumpar­tei (1948): letz­te­re ha­be er näm­lich be­reits im Früh­jahr 1933 – d.h. noch von der of­fi­zi­el­len Selbst­auf­lö­sung die­ser Par­tei An­fang Ju­li 1933 – ver­las­sen.[24] 

Im Hin­blick auf den im Ju­ni 1933 ge­grün­de­ten, vom Reichs­statt­hal­ter in Bay­ern Franz Rit­ter von Epp (1868–1947) ge­lei­te­ten Reichs­ko­lo­ni­al­bund be­schränk­te sich Al­bert Stee­ger 1948 auf die la­pi­da­re Be­mer­kung, er sei die­ser NS-Or­ga­ni­sa­ti­on auf An­wei­sung der Stadt­ver­wal­tung Kre­feld bei­ge­tre­ten und le­dig­lich vier Jahr Mit­glied ge­we­sen.[25] Wann trat er aber in den Reichs­ko­lo­ni­al­bund ein? Und wes­halb for­der­te die Kre­fel­der Stadt­ver­wal­tung ei­nen Hei­mat­for­scher, der bis­lang kei­ne Be­rüh­run­gen mit der Ko­lo­ni­al­pro­ble­ma­tik hat­te, auf, sich aus­ge­rech­net im Reichs­ko­lo­ni­al­bund zu en­ga­gie­ren? Auch die­se Ant­wort blieb aus. Zur Kre­fel­der na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Stadt­ver­wal­tung pfleg­te Stee­ger be­reits in den frü­hen 1930er Jah­ren ei­ne en­ge Be­zie­hung. Sei­ne Aus­gra­bun­gen in Gel­lep und sein Aus­stel­lungs­pro­jekt „2000 Jah­re ger­ma­ni­sches Bau­ern­tum am lin­ken Nie­der­rhein“ (Kai­ser-Wil­helm-Mu­se­um in Kre­feld, vom 27 Ok­to­ber bis zum 30. No­vem­ber 1935) wur­den von der Stadt Kre­feld un­ter­stützt, wo­bei der na­tio­nal­so­zia­lis­ti­sche Ober­bür­ger­meis­ter, SA-Ober­sturm­bann­füh­rer Dr. Alois Heuyng (1890–1973) Mit­te der 1930er Jah­re von sei­nem „un­er­müd­li­chen und un­ei­gen­nüt­zi­gen fach­kun­di­gen Hel­fer“ Stee­ger an­ge­tan war[26] und ihn 1936 für die Stadt ge­wann: Der Wis­sen­schaft­ler ver­ließ den Schul­dienst und wur­de mit der  Lei­tung der Hei­mat­for­schung in Kre­feld be­traut. In die­ser Funk­ti­on war Stee­ger für die Ein­rich­tung ei­nes Hei­mat­hau­ses des Nie­der­rheins am Nord­wall (1938 bis 1943) zu­stän­dig, in dem die von ihm ku­ra­tier­te Aus­stel­lung „Burg und Stadt am Nie­der­rhein – 1000 Jah­re deut­sches Hand­wer­k“ im Som­mer und Sep­tem­ber 1938 ge­zeigt wur­de.[27] 

Als Hei­mat­for­scher und Mu­se­ums­pfle­ger be­geis­ter­te sich Stee­ger für das Kon­zept ei­nes Frei­licht­mu­se­ums, das er un­be­dingt in Kre­feld er­rich­ten woll­te.  Wäh­rend die Kre­fel­der Stadt­ver­wal­tung sich für die­ses am­bi­tio­nier­te Pro­jekt auf­ge­schlos­sen zeig­te, such­te Stee­ger  ge­zielt die Un­ter­stüt­zung des Lan­des­haupt­man­nes der Rhein­pro­vinz, SA-Ober­grup­pen­füh­rers Hein­rich Haa­ke (1892–1945) und vor al­lem sei­nes Lan­des­ra­tes und Lei­ters der Kul­tur­ab­tei­lung, Kunst­his­to­ri­kers und NS­DAP-Mit­glieds ab 1927, Hans Joa­chim Apf­fel­sta­edt (1902–1944), wo­bei die­se ra­di­ka­len Na­tio­nal­so­zia­lis­ten wie­der­um ih­re wohl­wol­len­de Hal­tung si­gna­li­sier­ten.[28] 
Die Kre­fel­der Stadt­ver­wal­tung un­ter­stütz­te 1938 Stee­gers Stu­di­en­rei­sen nach Skan­di­na­vi­en (Dä­ne­mark, Nor­we­gen, Schwe­den, Finn­land),[29] wo die ers­ten Frei­licht­mu­se­en be­reits vor dem Ers­ten Welt­krieg ent­stan­den wa­ren.[30] In den 1930er Jah­ren und in den frü­he­ren 1940er Jah­ren hielt sich der Hei­mat­for­scher au­ßer­dem in Bel­gi­en und vor al­lem in den Nie­der­lan­den auf, wo er nach ei­ge­nen An­ga­ben geo­lo­gisch-agro­no­mi­sche und ar­chäo­lo­gi­sche Stu­di­en so­wie Bau­ern­haus­stu­di­en be­trie­ben ha­be, Mo­del­le von Städ­ten und Bur­gen ha­be an­fer­ti­gen und „an­ti­ke häus­li­che Ge­rä­te“ und „nie­der­rhei­ni­sche Kar­ten“ für sei­ne Kre­fel­der Pro­jek­te an­kau­fen las­sen.[31] Die im Mu­se­um Burg Linn er­hal­ten ge­blie­be­nen In­ven­ta­re be­stä­ti­gen sei­ne re­ge An­kaufs­tä­tig­keit im deutsch-nie­der­län­di­schen Grenz­raum (Ven­lo, Ro­er­mond) vor und nach der deut­schen Ok­ku­pa­ti­on des Kö­nig­reichs der Nie­der­lan­de im Mai 1940.[32] Da et­li­che Ge­gen­stän­de in den be­setz­ten Ge­bie­ten er­wor­ben wor­den wa­ren, stellt sich ei­ne wich­ti­ge  Fra­ge, ob sie zum Teil aus de­m  Be­sitz jü­di­scher Men­schen bzw. aus dem kon­fis­zier­ten Be­sit­ze von Re­gime­geg­nern stam­men kön­nen? Die­se bri­san­te Fra­ge lässt sich im Rah­men der vor­lie­gen­den Stu­die nicht be­ant­wor­ten und bleibt ein De­si­de­rat der wei­te­ren kri­ti­schen Stee­ger-For­schung.

Unter der Schirmherrschaft von Reichsleiter Rosenberg: Steegers wissenschaftliche Tätigkeit und Ausstellungen

Im Ok­to­ber 1943 er­hielt der pro­mo­vier­te Geo­lo­ge Stee­ger die Eh­ren­dok­tor­wür­de sei­ner Al­ma Ma­ter, der Rhei­ni­schen Fried­rich-Wil­helms-Uni­ver­si­tät Bonn. Als Spi­ri­tus Rec­tor der Eh­ren­pro­mo­ti­on fun­gier­te der Di­rek­tor am Geo­gra­phi­schen In­sti­tut, Pro­fes­sor Dr. Carl Theo­dor Troll (1899–1975). In sei­nem Schrei­ben an den Rek­tor der Uni­ver­si­tät, den Mi­ne­ra­lo­gen und Pe­tro­lo­gen Karl F. Chu­do­ba (1898–1976) schlug Troll am 23. Ok­to­ber 1942 vor, das kor­re­spon­die­ren­de Mit­glied des Ar­chäo­lo­gi­schen In­sti­tuts des Deut­schen Rei­ches (ab 1938) und den  „Pfle­ger für kul­tur­ge­schicht­li­che Bo­den­fun­de“ für den Stadt­kreis Kre­feld-Uer­din­gen, die Land­krei­se Kem­pen-Kre­feld und Gel­dern so­wie die Ge­mein­den Kamp-Lint­fort und Ka­pel­len so­wie das Amt Vluyn im Kreis Mo­ers, Stee­ger „an­läss­lich der 125-Jahr­fei­er der Uni­ver­si­tät Bonn, in An­er­ken­nung sei­ner ganz be­son­de­ren Leis­tun­gen auf dem Ge­bie­te der nie­der­rhei­ni­schen Hei­mat­for­schun­g  in Na­tur- und kul­tur­kund­li­cher Hin­sicht den Dok­tor phil. eh­ren­hal­ber zu ver­lei­hen.“[33] Trolls Vor­schlag wur­de u.a. vom Lei­ter des Deut­schen In­sti­tuts in Bel­gi­en, Pro­fes­sor Dr. Kurt Ta­cken­berg (1899–1992), vom Di­rek­tor der Ab­tei­lung Deut­sche Volks­kun­de des Ger­ma­ni­schen Se­mi­nars der Reichs­uni­ver­si­tät Straß­burg, Pro­fes­sor Dr.  Adolf Bach (1890–1972) und vom Lan­des­haupt­mann der Rhein­pro­vinz Haa­ke En­de 1942 be­für­wor­tet.[34] Be­mer­kens­wert ist da­bei, dass we­der das NS­DAP-Mit­glied ab 1933, Ger­ma­nist Bach noch der SS-na­he Prä­his­to­ri­ker Ta­cken­berg oder der NS-Funk­tio­när Haa­ke Stee­gers Nä­he zum Na­tio­nal­so­zia­lis­mus the­ma­ti­sier­ten und auch nicht auf sei­ne Aus­stel­lun­gen ex­pli­zit ein­gin­gen. Man kon­zen­trier­te sich viel­mehr auf wis­sen­schaft­li­che Leis­tun­gen des Kre­fel­ders. So hielt et­wa Bach ihn für „ei­ne re­prä­sen­ta­ti­ve Er­schei­nung auf dem Ge­bie­te der nie­der­rhei­ni­schen Hei­mat­for­schun­g“.[35] 

Die­se Bon­ner Eh­ren­pro­mo­ti­on, die Stee­gers wis­sen­schaft­li­che Kar­rie­re im „Drit­ten Reich“ krön­te, lässt sich al­so pri­mär auf Stee­gers be­acht­li­che For­schungs­leis­tun­gen zu­rück­füh­ren. Al­lein zwi­schen 1933 und 1942 er­schie­nen mehr als 30 Pu­bli­ka­tio­nen, in de­nen sich der Ver­fas­ser – so Stee­ger im Jahr 1948 – „aus­schlie­ß­lich auf Spe­zi­al­fra­gen zur Geo­gra­phie, Geo­lo­gie, Ar­chäo­lo­gie und Sied­lungs­ge­schich­te des lin­ken Nie­der­rhein­s“ kon­zen­triert ha­be. Er ha­be dar­über hin­aus Vor­trä­ge „vor­nehm­lich in na­tur­wis­sen­schaft­li­chen, ar­chäo­lo­gi­schen, his­to­ri­schen und hei­mat­kund­li­chen Ge­sell­schaf­ten und Ver­ei­nen“ ge­hal­ten, eben­so auf Orts­grup­pen- bzw. Zel­len­a­ben­den der NS­DAP (vier­mal) und im NS-Leh­rer­bund (fünf­mal) ge­spro­chen.[36] 

Die Aus­wer­tung sei­ner Ab­hand­lun­gen be­stä­tigt ins­ge­samt die­se Dar­stel­lung. Ob­gleich Stee­ger sich nicht als „brau­ner Hei­mat­for­scher“ oder als Hit­lers be­geis­ter­ter An­hän­ger her­vor­ge­tan hat, war ihm die völ­ki­sche Rhe­to­rik je­doch nicht fremd. Mit dem Na­tio­nal­so­zia­lis­mus ver­traut und des­sen Ideo­lo­gie be­wusst, hat er sich und sei­ne For­schung zu­dem von der NS­DAP in­stru­men­ta­li­sie­ren las­sen. Ei­ni­ge Bei­spie­le soll­ten die­se Ten­denz ver­an­schau­li­chen. Sei­nem Ent­na­zi­fi­zie­rungs­an­trag füg­te Al­bert Stee­ger 1948 „ein 1942 auf­ge­stell­tes Ver­zeich­nis der wich­tigs­ten wis­sen­schaft­li­chen Ver­öf­fent­li­chun­gen“ bei. Das Ver­zeich­nis ent­hält ins­ge­samt 53 Pu­bli­ka­tio­nen, die zwi­schen 1913 und 1942 er­schie­nen sind, mehr als ein Drit­tel da­von (18) im Jahr­buch des Kre­fel­der Ver­eins für Hei­mat­kun­de e.V. Die Hei­mat. Al­ler­dings nahm Stee­ger ei­ne Hei­mat-Pu­bli­ka­ti­on in sein Ver­zeich­nis nicht auf: Ge­meint ist der im ers­ten Heft des Jah­res 1934 ver­öf­fent­lich­te kur­ze Bei­trag „Das Ha­ken­kreuz auf früh­ge­schicht­li­chen Fun­den des Nie­der­rhein­s“, der in 1981 von Gi­se­la Hü­ckels zu­sam­men­ge­stell­ten „Ver­zeich­nis der Ver­öf­fent­li­chun­gen von Al­bert Stee­ger“ er­wähnt wird[37] und u.a. im Nach­lass des Ar­chäo­lo­gen, Di­rek­tors des Rhei­ni­schen Lan­des­mu­se­ums Bon­n ­Pro­fes­sor Dr. Franz Oel­mann im Ar­chiv des Land­schafts­ver­ban­des Rhein­land zu fin­den ist.[38] Die­ser Fund ist nicht über­ra­schend: Oel­mann und Stee­ger ar­bei­te­ten schon vor 1933 eng zu­sam­men. Im No­vem­ber 1942 lob­te Oel­mann den Hei­mat­for­scher und be­für­wor­te­te ent­schlos­sen die Ver­lei­hung der Eh­ren­dok­tor­wür­de an Stee­ger: „Herr Stee­ger ist m.E. ein Ver­tre­ter der Hei­mat­for­schung im bes­ten Sin­ne, die ihr Ziel in mög­lichst all­sei­ti­gem Ver­ständ­nis des hei­mat­li­chen Rau­mes sieht, die trotz schein­ba­rer Be­schrän­kun­g  in ih­rer Art doch wie­der sehr um­fas­send ist und nicht so­wohl ei­ne be­son­de­re Wei­te des Geis­tes als auch stren­ge wis­sen­schaft­li­che Dis­zi­plin ver­langt, um nicht den Ge­fah­ren des Di­let­tan­tis­mus zu er­lie­gen.“[39]

In der er­wähn­ten Hei­mat-Aus­ga­be stand das Ha­ken­kreuz im Mit­tel­punkt. Be­strebt sei­ne Loya­li­tät zu be­wei­sen, setz­te sich das frisch­ge­ba­cke­ne NS­DAP-Mit­glied Stee­ger mit der Früh­ge­schich­te die­ses Sym­bols am Nie­der­rhein aus­ein­an­der und pries es als „Wahr­zeich­nen des neu­en Deutsch­land­s“.[40] 
Ließ Stee­ger den bri­san­ten Bei­trag nach dem Krieg aus sei­ner Pu­bli­ka­ti­ons­lis­te ab­sicht­lich ent­fer­nen? Wohl nicht. Der Hei­mat­for­scher hielt die­se Ver­öf­fent­li­chung of­fen­bar für nicht be­son­ders wich­tig: Je­den­falls taucht sie nicht ein­mal in Stee­gers „Schrif­ten­ver­zeich­nis“ auf, das der Bon­ner Geo­graph Troll sei­nem Eh­ren­pro­mo­ti­ons­vor­schlag En­de Ok­to­ber 1942 bei­ge­fügt hat­te.[41] 
Am 24. Fe­bru­ar 1938 trat Stee­ger in der Stadt­hal­le El­ber­feld auf. Vom Ber­gi­schen Ge­schichts­ver­ein ein­ge­la­den, re­fe­rier­te er über die Aus­gra­bun­gen in Gel­lep, wo 1936 ein rö­misch-frän­ki­sches Grä­ber­feld ent­deckt wor­den war. Der in der „Kunst- und Hei­mat­zeit­schrift für das Ber­gi­sche Lan­d“ Ber­gi­sche Hei­mat im Ja­nu­ar 1939 ver­öf­fent­lich­te Be­richt über die­se Ver­an­stal­tung legt na­he, dass der Gast aus Kre­feld sei­ne For­schungs­er­geb­nis­se eher sach­lich dar­stell­te, wäh­rend die Gast­ge­ber Stee­gers Vor­trag nutz­ten, um die Ger­ma­nen im Geis­te der NS-Ideo­lo­gie zu ver­herr­li­chen: So hielt der Wup­per­ta­ler Schrift­stel­ler und Hei­mat­for­scher Fried­rich Kerst (1870–1961) sei­nem Kol­le­gen Stee­ger zu­gu­te, „ei­ne ent­wi­ckel­te, auch künst­le­ri­sche Kul­tur der Ger­ma­nen“ im 5. Jahr­hun­dert be­stä­tigt zu ha­ben, „die als bar­ba­risch ver­schrie­en wa­ren, aber Din­ge schu­fen, die frü­her als rö­mi­sche Ar­beit an­ge­se­hen wur­den“.[42] Der Wup­per­ta­ler NS­DAP-Kreis­lei­ter und zu­gleich Lei­ter des Ber­gi­schen Ge­schichts­ver­ein­s  Al­fred Straß­weg (1902–1997) lob­te Stee­ger, der ei­nen „wert­vol­len Bei­trag zur Er­kennt­nis“ ge­leis­tet ha­be, „dass wir auf un­se­re ger­ma­ni­sche Kul­tur stolz sein kön­nen“; sei­ne  For­schun­gen „er­leich­tern uns, die Schmä­hun­gen zu­rück­zu­wei­sen, die uns ei­ne bar­ba­ri­sche Ver­gan­gen­heit vor­wer­fen wol­len.“[43]

Knapp zwei­ein­halb Jah­re vor sei­nem Vor­trag in El­ber­feld hat­te Al­bert Stee­ger durch die Aus­stel­lung „2000 Jah­re ger­ma­ni­sches Bau­ern­tum am lin­ken Nie­der­rhein" (1935) auf sich auf­merk­sam ge­macht.  Be­reits im Vor­feld die­ser „Hei­mat­schau“ wies die Es­se­ner Na­tio­nal-Zei­tung auf die welt­an­schau­li­che Di­men­si­on der Aus­stel­lung hin: „So dient die Aus­stel­lung auch dem Wol­len un­se­rer na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Re­gie­rung, dem Vol­ke ein­zu­prä­gen, daß der Bau­er der Grund­pfei­ler ge­sun­den Volks­tums ist…“[44] 
Der Kre­fel­der Ober­bür­ger­meis­ter Heuyng er­war­te­te von Stee­ger ei­ne Aus­stel­lung, die „für die Ver­brei­tung und Ver­tie­fung der na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Welt­an­schau­un­g“ und ins­be­son­de­re „der Idee von Blut und Bo­den her­vor­ra­gen­de Diens­te“ leis­ten wür­de.[45] Und der Hei­mat­for­scher scheint die In­ten­ti­on der „brau­nen Macht­ha­ber“ ver­in­ner­licht zu ha­ben: die er­hal­te­nen Nie­der­schrif­ten der Sit­zun­gen des Vor­be­rei­tungs­aus­schus­ses zei­gen, dass Stee­ger die von der Stadt­ver­wal­tung an­ge­streb­te in­ten­si­ve pro­pa­gan­dis­ti­sche Aus­schlach­tung der Aus­stel­lung nicht nur ak­zep­tier­te, son­dern die­se viel­mehr be­für­wor­te­te und sei­ne Fach­kennt­nis­se der NS-Pro­pa­gan­da zur Ver­fü­gung stell­te.[46]

Die Aus­stel­lung be­stand aus zwei ein­füh­ren­den (I, II) und 19 Haupt­ab­tei­lun­gen (III bis XXI), in de­nen u.a. die „na­tio­nal­so­zia­lis­ti­sche Auf­bau­ar­beit“ (XX) und die „na­tio­nal­so­zia­lis­ti­sche Agrar­po­li­ti­k“ (XXI) be­han­delt wur­den. Die Haupt­ab­tei­lun­gen XX und XI wur­den je­doch nicht von Stee­ger, son­dern von der Lan­des­bau­ern­schaft Rhein­land vor­be­rei­tet.[47] In der 1935 er­schie­nen Fest­schrift stell­te Stee­ger die Aus­stel­lung vor, füg­te zwei Hit­ler-Zi­ta­te ein und be­dien­te sich da­bei na­tio­nal­so­zia­lis­ti­scher Ar­gu­men­ta­ti­ons­mus­ter so­wie völ­kisch ge­färb­ter Spra­che.[48] Im Hin­blick auf die Haupt­ab­tei­lung IV „Die rö­mi­sche Be­sat­zung und Ko­lo­ni­sa­ti­on am lin­ken Nie­der­rhein und die ger­ma­ni­schen Bau­ern“ hob der Hei­mat­for­scher zum Bei­spiel her­vor: „Das rö­mi­sche Welt­reich glaub­te sich durch die land­su­chen­den ger­ma­ni­schen Bau­ern­völ­ker be­droht und such­te die Ge­fahr am Rhein zu ban­nen. Das ger­ma­ni­sche Bau­ern­tum des lin­ken Nie­der­rheins wird durch die rö­mi­sche Be­sat­zung bis ins In­ners­te ge­trof­fen. Ab­ge­schnit­ten von den rechts­rhei­ni­schen Stam­mes­ge­nos­sen und von ei­ner Durch­set­zung durch ein wah­res Völ­ker- und Ras­sen­ge­misch be­droht, kämpft es ei­nen ver­zwei­fel­ten Kampf um sein völ­ki­sches Da­sein. […] Mehr als 400 Jah­re bleibt der lin­ke Nie­der­rhein be­setzt. Ger­ma­ni­ens Söh­ne müs­sen zu Tau­sen­den rö­mi­sche Kriegs­diens­te tun. Ein ge­wal­ti­ges rö­mi­sches Ko­lo­ni­sa­ti­ons­werk be­engt den Le­bens­raum des ger­ma­ni­schen Bau­ern am lin­ken Nie­der­rhein.“[49] 

In der Haupt­ab­tei­lung XVI („Al­te Bau­er­ge­schlech­ter am Nie­der­rhein“) schreck­te Stee­ger vor der be­rüch­tig­ten Blut-und-Bo­den-Ideo­lo­gie nicht zu­rück: Der nie­der­rhei­ni­sche Bau­er ha­be „eher als der Städ­ter […] die Ver­bun­den­heit von Ras­se, Blut und Bo­den er­kann­t“. Die­ser „na­tur­fro­he, hei­mat­stol­ze Bau­er des Nie­der­rhein­s“ –  so der Hei­mat­for­scher in der Haupt­ab­tei­lung XVIII („Land­wirt­schaft und Na­tur­schut­z“) – wür­de „sei­ne Pap­peln, sei­nen Ei­chen­kampf, sein Feld­ge­büsch und sei­nen Feld­rain er­hal­ten und schüt­zen.“[50] An­ge­sichts die­ser Be­son­der­hei­ten er­scheint es we­nig über­ra­schend, dass Stee­gers Fach­kom­pe­tenz in der Pres­se her­vor­ge­ho­ben wur­de[51] und dass hoch­ran­gi­ge Na­tio­nal­so­zia­lis­ten die Aus­stel­lung be­geis­tert lob­ten und – wie der NS­DAP-Gau­lei­ter von Düs­sel­dorf Fried­rich Karl Flo­ri­an (1894–1975) bei der Er­öff­nungs­fei­er am 27. Ok­to­ber[52] oder Lan­des­haupt­mann Haa­ke in der Na­tio­nal-Zei­tung[53] – die Eta­blie­rung des „Drit­ten Rei­ches“ aus der Ge­schich­te der Ger­ma­nen ab­lei­te­ten.

1938 wur­de die Fest­schrift zur Aus­stel­lung „Burg und Stadt am Nie­der­rhein – 1000 Jah­re deut­sches Hand­wer­k“ ver­öf­fent­licht, in der der für das Aus­stel­lungs­pro­jekt zu­stän­di­ge Hei­mat­for­scher Stee­ger gleich fünf Ab­hand­lun­gen pu­bli­zier­te. Wäh­rend ein­zel­ne Auf­sät­ze in der Fest­schrift völ­kisch be­ein­flusst sind, ist dies bei Stee­gers Bei­trä­gen nicht der Fall.[54] D­a­bei hät­te man ge­ra­de in die­ser Fest­schrift ei­ne sol­che „völ­ki­sche For­schun­g“ er­war­ten kön­nen, denn als Schirm­herr der Aus­stel­lung fun­gier­te der Chef­ideo­lo­ge der NS­DAP, der „Be­auf­trag­te des Füh­rers für die Über­wa­chung der ge­sam­ten geis­ti­gen und welt­an­schau­li­chen Schu­lung und Er­zie­hung der NS­DA­P“ Reichs­lei­ter Al­fred Ro­sen­berg (1893–1946). Die be­sag­te Aus­stel­lung galt be­reits En­de April 1938 als „Ro­sen­bergs Pro­jek­t“. So hob die Düs­sel­dor­fer Rhei­ni­sche Lan­des­zei­tung am 29. April her­vor: „In den ers­ten Ta­gen des Ju­ni wird Reichs­lei­ter Ro­sen­berg die gro­ße hei­mat­ge­schicht­li­che Schau, die zu­gleich ei­ne be­tont po­li­tisch-welt­an­schau­li­che No­te ha­ben wird, er­öff­nen.“[55]

Am 3. Ju­ni 1938 kam Ro­sen­berg tat­säch­lich nach Kre­feld und pries die Aus­stel­lung als ei­ne Ver­an­stal­tung, die „ein tie­fes Be­wusst­wer­den der schöp­fe­ri­schen Kräf­te ei­ner star­ken Ver­gan­gen­heit“ be­deu­te[56] und „ein Stück deut­schen Le­bens mit sei­ner Viel­fäl­tig­keit und schöp­fe­ri­schen Kraft zei­gen und da­mit den Men­schen von heu­te wie­der stär­ker als bis­her mit dem Schaf­fen­den der Ver­gan­gen­heit ver­bin­den“ soll­te.[57] NS­DAP-Gau­lei­ter Flo­ri­an ei­fer­te Ro­sen­berg nach: Die Kre­fel­der Aus­stel­lung leis­te ei­nen „Bei­trag zur deut­schen Kul­tur­pfle­ge und zu wei­te­rer Fes­ti­gung des wie­der­er­stark­ten deut­schen Le­bens­ge­fühl­s“.[58] Der Kre­fel­der Ober­bür­ger­meis­ter Heuyng nutz­te die wohl­wol­len­de Hal­tung Ro­sen­bergs und Flo­ri­ans, um sich als För­de­rer der Hei­mat­for­schung zu pro­fi­lie­ren, und wür­dig­te gleich­zei­tig Stee­ger, dem er die Auf­merk­sam­keit der NS-Pro­mi­nenz ver­dan­ke: „Und wenn noch ei­ner der füh­ren­den Geis­ter der na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Idee wie Reichs­lei­ter Al­fred Ro­sen­berg die Schirm­herr­schaft über­nimmt, dann ist die­ser Vor­gang für die­je­ni­gen, die die Aus­stel­lung aus­rich­te­ten, nicht nur die Be­stä­ti­gung da­für, dass die sich auf dem rich­ti­gen We­ge be­fin­den, son­dern auch schöns­te Krö­nung ih­res Wol­lens und Stre­bens. Tief dank­bar bin ich al­len, die uns hal­fen. Di­rek­tor Dr. Stee­ger drü­cke ich be­son­ders herz­lich die Hand.“[59]

Ausblick

Durch den Ent­na­zi­fi­zie­rungs­aus­schuss im März 1948 als „Mit­läu­fer“ ein­ge­stuft, konn­te Al­bert Stee­ger sei­ne Kar­rie­re in der Bun­des­re­pu­blik fort­set­zen.[60] In den spä­ten 1940er Jah­ren stieg er zum Mu­se­ums­lei­ter der Stadt Kre­feld auf und war 1952 bei der Ein­rich­tung des Land­schafts­mu­se­ums fe­der­füh­rend. Wie schon in der NS-Zeit setz­te er sich un­er­müd­lich für das Pro­jekt ei­nes rhei­ni­schen Frei­licht­mu­se­ums in Kre­feld ein, das je­doch nicht um­ge­setzt wur­de.[61] 

Im „Drit­ten Reich“ als re­nom­mier­ter Hei­mat­for­scher an­er­kannt, ge­noss der „sehr ver­dienst­vol­le Mu­se­ums­di­rek­tor“[62] S­tee­ger in der Bun­des­re­pu­blik der 1950er Jah­re gro­ßes An­se­hen: 1954 wur­de er mit dem Gro­ßen Ver­dienst­kreuz des Ver­dienst­or­dens der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land aus­ge­zeich­net.   Die fei­er­li­che Ze­re­mo­nie fand am 3. No­vem­ber im Ma­ri­an­ne-Rho­di­us-Zim­mer des Jagd­schlos­ses der Lin­ner Burg statt. An­we­send war u.a. Stee­gers al­ter Be­kann­ter aus der Vor­kriegs­zeit Dr. Karl Vog­ler. Noch 1938 hat­te Vog­ler – da­mals Mu­se­ums­pfle­ger der Rhein­pro­vinz – den Ku­ra­tor der Aus­stel­lung „Burg und Stadt am Nie­der­rhein – 1000 Jah­re deut­sches Hand­wer­k“, Stee­ger, als ei­ne Per­sön­lich­keit ge­lobt, „de­ren ord­nen­der und ge­stal­ten­der Geist nicht al­lein Li­nie in das Gan­ze zu brin­gen ver­mag, son­dern dem es auch ge­lingt, aus der Ge­samt­über­sicht her­aus die Er­kennt­nis­se klar zu ent­wi­ckeln und in ih­rer Pro­blem­stel­lung zu um­rei­ßen.“[63] Kur­ze Zeit spä­ter setz­ten sich Stee­ger und Vog­ler für die Er­rich­tung ei­nes Frei­licht­mu­se­ums in Kre­feld ein.[64] 1954 ver­trat Vog­ler bei der fei­er­li­chen Ze­re­mo­nie in Kre­feld als Kul­tur­re­fe­rent für die „Land­schaft­li­che Kul­tur­pfle­ge“ den vor kur­zem ge­grün­de­ten Land­schafts­ver­band Rhein­land und gab zu Pro­to­koll, „seit vie­len Jah­ren mit der Ar­beit Dr. Stee­gers eng ver­bun­den“ zu sein.[65] Die Neue Rhein Zei­tung, die ei­nen Be­richt über die Ze­re­mo­nie im Jagd­schloss ver­öf­fent­lich­te, fei­er­te Mit­te der 1950er Jah­re den „ver­dien­ten nie­der­rhei­ni­schen Wis­sen­schaft­ler“ Stee­ger[66] und leis­te­te so­mit ei­nen Bei­trag zur Ent­ste­hung des My­thos Stee­ger in Kre­feld. Gleich­zei­tig blen­de­te sie je­doch den na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Ab­schnitt sei­nes er­eig­nis­rei­chen Le­bens aus.

Die vor­lie­gen­de Stu­die zeigt aber, dass die NS-Epi­so­de ei­ne be­son­ders wich­ti­ge Etap­pe sei­nes Le­bens dar­stellt. Bor­gers un­kri­ti­sche Dar­stel­lung des „sach­li­chen und frei­en von je­der Ideo­lo­gie For­scher­s“ lässt sich nicht be­stä­ti­gen. Als „au­gen­schein­lich po­li­tisch nicht In­vol­vier­ter“ (Laux) kann Stee­ger wie­der­um nicht cha­rak­te­ri­siert wer­den. Ob­schon sich Al­bert Stee­ger im „Drit­ten Reich“ nicht als über­zeug­ter Na­tio­nal­so­zia­list oder „brau­ner Hei­mat­for­scher“ pro­fi­liert hat, war sei­ne Dis­tanz zum Na­tio­nal­so­zia­lis­mus je­doch deut­lich kür­zer, als Stee­ger dies in den spä­ten 1940er Jah­ren sug­ge­riert hat und wie es lan­ge Zeit in der For­schung an­ge­nom­men wur­de. Denn der Hei­mat­for­scher agier­te prag­ma­tisch, ja op­por­tu­nis­tisch und ließ sich be­wusst auf die Zu­sam­men­ar­beit mit dem NS-Re­gime ein. Schon früh trat er in die NS­DAP ein und ge­hör­te zum ras­sis­ti­schen Reichs­ko­lo­ni­al­bund. Ob­gleich Stee­ger sehr vor­sich­tig agier­te, die völ­ki­sche Rhe­to­rik nach Mög­lich­keit ver­mied und sich auf die Hei­mat­for­schung kon­zen­trier­te, pro­fi­tier­te er von ei­ner güns­ti­gen po­li­ti­schen Kon­junk­tur, ei­nem ho­hen Stel­len­wert „ger­ma­ni­scher The­men“ im Na­tio­nal­so­zia­lis­mus und ihm ge­gen­über wohl­wol­lend ge­sinn­ten NS-Funk­tio­nä­ren wie Heuyng, Flo­ri­an und spä­ter Ro­sen­berg, die das Pro­pa­gan­d­a­po­ten­ti­al sei­ner For­schungs­pro­jek­te er­kann­ten und letz­te­re un­ter­stüt­zen, um das völ­ki­sche Ge­dan­ken­gut zu ver­brei­ten. So­mit kann die Ein­schät­zung Mi­cha­el Kamps als Er­geb­nis von des­sen am An­fang die­ses Bei­trags er­wähn­ten Stu­di­en als zu­tref­fend be­zeich­net wer­den: Durch sei­ne For­schung hat Al­bert Stee­ger zur ideo­lo­gi­schen Kon­so­li­die­rung des NS-Re­gimes am Nie­der­rein nach­hal­tig bei­ge­tra­gen. 

 
Anmerkungen
Zitationshinweis

Bitte geben Sie beim Zitieren dieses Beitrags die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Friedman, Alexander, Der Heimatforscher Professor Dr. Dr. h.c. Albert Steeger (1885–1958) und seine Rolle im Nationalsozialismus, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/Themen/der-heimatforscher-professor-dr.-dr.-h.c.-albert-steeger-1885%25E2%2580%25931958-und-seine-rolle-im-nationalsozialismus-/DE-2086/lido/60d04454df2696.84718577 (abgerufen am 19.04.2024)