Eine Rheinprovinz, zwei Länder und die Frage der Länderneugliederung nach 1945

Beate Dorfey (Koblenz)

Abgrenzung der britischen und französischen Besatzungs- und Einflußzonen, 12. April 1945.

1. Entscheidung in London

Wäh­rend noch die US-Trup­pen un­auf­halt­sam Rich­tung Rhein vor­mar­schier­ten und ei­ne links­rhei­ni­sche Stadt nach der an­de­ren be­frei­ten, fiel im Fe­bru­ar 1945 im Lon­do­ner For­eign Of­fice ei­ne fol­gen­rei­che Ent­schei­dung: Frank­reich müs­se un­ter al­len Um­stän­den ein Mit­spra­che­recht im Ruhr­ge­biet vor­ent­hal­ten wer­den, gleich­zei­tig aber müs­se man den For­de­run­gen der Fran­zo­sen nach ei­ner ei­ge­nen Be­sat­zungs­zo­ne Rech­nung tra­gen.[1] Die Lö­sung lie­ge al­so fol­ge­rich­tig in der Tei­lung der Rhein­pro­vinz. Der nörd­li­che Teil, die Re­gie­rungs­be­zir­ke Köln, Aa­chen un­d Düs­sel­dorf soll­ten fort­an zur bri­ti­schen Zo­ne ge­hö­ren, der süd­li­che Teil, die Re­gie­rungs­be­zir­ke Ko­blenz und Trier, die fran­zö­si­sche Be­sat­zungs­zo­ne bil­den.[2] Der Vingst­bach wur­de nach 2.000 Jah­ren wie­der zum Grenz­fluss.

 

Al­li­ier­te In­ter­es­sen be­stimm­ten die­se Ent­schei­dung, nicht die Be­dürf­nis­se und Wün­sche der deut­schen Be­völ­ke­rung vor Ort. Die Tei­lung der Rhein­pro­vinz sei, so der bri­ti­sche Oberst Bar­ra­clough auf Nach­fra­ge, „one of the in­e­vi­ta­ble re­sults of the de­feat of Ger­many“ [3], die hin­ge­nom­men wer­den müs­se. Die­se ver­meint­lich har­te Hal­tung kann und darf nicht ver­wun­dern, schlie­ß­lich hat­te Deutsch­land erst we­ni­ge Jah­re zu­vor die Welt mit ei­nem ver­hee­ren­den Ver­nich­tungs­krieg über­zo­gen und Mil­lio­nen Men­schen Leid, Tod und Zer­stö­rung ge­bracht. Doch es wa­ren nicht ein­fach klein­li­che Ra­che­ge­lüs­te, die letzt­lich zu die­ser Ent­schei­dung führ­ten. Groß­bri­tan­ni­en streb­te nach ei­ner sta­bi­len und lang­fris­ti­gen Frie­dens­ord­nung in Eu­ro­pa und war weit­sich­tig ge­nug zu er­ken­nen, dass die­se nur ge­mein­sam mit Frank­reich er­reicht wer­den könn­te. Da­her war Lon­don zu­nächst viel ge­neig­ter als Wa­shing­ton, die Wün­sche und For­de­run­gen Frank­reichs an­zu­er­ken­nen und zu un­ter­stüt­zen. Die fran­zö­si­sche For­de­rung nach ei­ner ei­ge­nen Be­sat­zungs­zo­ne stieß in Lon­don auf Ver­ständ­nis, wäh­rend es Wa­shing­ton und Mos­kau zu­nächst rund­weg ab­lehn­ten. Doch die Gro­ßzü­gig­keit und das Ent­ge­gen­kom­men der Bri­ten fand stets ein jä­hes En­de, wenn es um das Ruhr­ge­biet ging. Von An­fang an stand das Ruhr­ge­biet im Fo­kus der bri­ti­schen Auf­merk­sam­keit. Groß­bri­tan­ni­en wünsch­te die al­lei­ni­ge Be­stim­mungs­ge­walt über die­sen Kern­raum deut­scher Wirt­schafts­kraft und war nicht be­reit, die Ver­fü­gungs­ge­walt mit ir­gend­je­man­dem zu tei­len. Die Res­sour­cen der Ruhr soll­ten aus­schlie­ß­lich Groß­bri­tan­ni­en zur Ver­fü­gung ste­hen, da moch­te Charles de Gaul­le (1890-1970) for­dern, was im­mer er woll­te.

Die Militärregierung mit Gouverneur H. de Boislambert bei der Einführung von Dr. Boden in das Oberpräsidium der Provinz Rheinland-Hessen-Nassau, 2.1.1946.

 

Und die Be­gehr­lich­kei­ten Frank­reichs Rich­tung Ruhr­ge­biet wa­ren groß und führ­ten im­mer wie­der zu er­heb­li­chen Miss­stim­mun­gen zwi­schen Pa­ris und Lon­don. Da­bei ging es Frank­reich vor al­lem um ei­nes: die Wie­der­her­stel­lung sei­ner „gran­deur“ nach der als über­aus schmach­voll und de­mü­ti­gend emp­fun­de­nen Nie­der­la­ge ge­gen die Wehr­macht und die an­schlie­ßen­de Be­sat­zung. Frank­reich sehn­te sich nach ei­nem gleich­be­rech­tig­ten Platz am Tisch der Sie­ger­mäch­te, ei­nem Dia­log auf Au­gen­hö­he. Da­für war es be­reit, so­gar auf den Zu­gang zum Ruhr­ge­biet zu ver­zich­ten.

Die Tei­lung der Rhein­pro­vinz war nichts an­de­res als ein po­li­ti­scher Kom­pro­miss zwi­schen Lon­don und Pa­ris. Mos­kau und Wa­shing­ton hiel­ten sich in der Dis­kus­si­on auf­fal­lend zu­rück, und doch wa­ren es die Ame­ri­ka­ner, die zu­nächst das Ge­sche­hen im Rhein­land be­stimm­ten, was der Tat­sa­che ge­schul­det ist, dass sie die ers­ten al­li­ier­ten Trup­pen vor Ort stell­ten, da Bri­ten und Fran­zo­sen noch nicht vor­be­rei­tet wa­ren, ih­re Zo­nen zu über­neh­men.

Dr. Wilhelm Boden, Porträtfoto, 1950.

 

2. Amerikaner am Rhein

Kaum wa­ren die Kriegs­hand­lun­gen be­en­det, gin­gen die US-Trup­pen zur Ver­wal­tung der so­eben er­ober­ten Be­rei­che über. Doch rasch zeig­te sich: So rich­tig dar­auf vor­be­rei­tet wa­ren sie auch nicht. Stets war die Ein­set­zung von po­li­tisch un­be­las­te­ten Spit­zen­be­am­ten der ers­te Schritt, ge­folgt von der suk­zes­si­ven Wie­der­her­stel­lung der Ver­wal­tungs­struk­tu­ren, um die Ver­sor­gung der not­lei­den­den Be­völ­ke­rung mit dem Nö­tigs­ten zu ge­währ­leis­ten. Doch nicht über­all voll­zog sich der Wie­der­auf­bau gleich zü­gig: In Trier war mit Wil­helm Stein­lein (1901-1974) am 20.3.1945 der Pos­ten des Re­gie­rungs­prä­si­den­ten be­setzt wor­den, den die­ser bis 1958 in­ne­hat­te, wäh­rend in Ko­blenz erst mit dem vier­ten Amts­in­ha­ber Wil­helm Bo­den (1890-1961) ab Ju­ni 1945 ein plan­vol­ler Wie­der­auf­bau be­gin­nen konn­te.[4]

Karte 1 des 'Fuchs-Memorandums', 28.6.1945.

 

Schnell wuchs je­doch die Er­kennt­nis, dass klein­tei­li­ge re­gio­na­le Ein­hei­ten die schwer­wie­gen­den Ver­sor­gungs­pro­ble­me nicht wür­den lö­sen kön­nen. Zen­tra­le Ver­wal­tungs­ein­rich­tun­gen soll­ten ei­ne bes­se­re Ko­or­di­na­ti­on eben­so ge­währ­leis­ten, wie den Per­so­nal­be­darf der ame­ri­ka­ni­schen Be­sat­zungs­macht be­gren­zen. Am 30.4.1945 schu­fen die Ame­ri­ka­ner da­her den „Mi­li­tär­di­strikt Rhein­pro­vin­z“, an des­sen Spit­ze sie Dr. Hans Fuchs be­rie­fen, den ehe­ma­li­gen und 1933 aus dem Am­t  ent­fern­ten Ober­prä­si­den­ten der Rhein­pro­vinz, der seit dem 1.4.1945 als Re­gie­rungs­prä­si­dent in Ko­blenz tä­tig war. Sei­ne Zu­stän­dig­keit soll­te sich nicht nur auf die Rhein­pro­vinz er­stre­cken, son­dern auch auf Rhein­pfalz, Rhein­hes­sen und das Saar­land. Par­al­lel und in Kon­kur­renz da­zu bil­de­ten die Ame­ri­ka­ner je­doch ei­ne wei­te­re Ver­wal­tungs­ein­heit un­ter der Lei­tung von Her­mann Hei­me­rich (1885-1963), den „Mi­li­tär­re­gie­rungs­be­zirk West­mark-Süd­hes­sen“, der zu­dem am 25.5.1945 um die Re­gie­rungs­be­zir­ke Ko­blenz und Trier er­wei­tert und in „Mit­tel­rhein-Saar“ um­be­nannt wur­de.

Karte 2 des 'Fuchs-Memorandums', 28.6.1945.

 

Da­mit war die Ver­wir­rung in Ko­blenz und Trier per­fekt. Schul­de­te man nun dem „Mi­li­tär­di­strikt Rhein­pro­vin­z“ Ge­folg­schaft oder „Mit­tel­rhein-Saar“? Fuchs oder Hei­me­rich? In Trier ent­schied man sich schnell für die al­te Ver­bun­den­heit mit der Rhein­pro­vinz und be­gann, ge­mein­sam mit Fuchs Plä­ne zum Ver­wal­tungs­aus­bau zu schmie­den.[5] Doch nicht nur die deut­schen Be­hör­den wa­ren ver­wirrt, auch die Ame­ri­ka­ner selbst schie­nen ver­un­si­chert. Man wis­se ja noch nicht ein­mal, ob und wann die Fran­zo­sen ih­re Zo­ne ei­gent­lich über­neh­men woll­ten, klag­te ein ame­ri­ka­ni­scher Ver­bin­dungs­of­fi­zier ge­gen­über dem bri­ti­schen Oberst John Bar­ra­clough (1918-2008), man sei nur si­cher, dass kei­ne ame­ri­ka­ni­sche Ein­heit jetzt auch noch in KölnAa­chen o­der Düs­sel­dorf Kon­troll­funk­tio­nen über­neh­men wer­de, und er schloss mit sei­nem Be­dau­ern für Fuchs, der es in Kür­ze mit gleich zwei Be­sat­zungs­mäch­ten in sei­nem Ter­ri­to­ri­um zu tun be­kä­me.[6]

Der­weil be­schloss Stein­lein in Trier, nicht län­ger zu war­ten und statt­des­sen Fak­ten zu schaf­fen. „Die bis­he­ri­ge Rhein­pro­vinz, wel­che aus den fünf Re­gie­rungs­be­zir­ken Aa­chen, Düs­sel­dorf, Köln, Ko­blenz und Trier ge­bil­det wur­de, ist um drei wei­te­re Re­gie­rungs­be­zir­ke, näm­lich Saar­brü­cken, Mainz und Lud­wigs­ha­fen er­wei­tert und in zwei Tei­le ge­teilt wor­den, wel­che den Be­sat­zungs­zo­nen der bei­den ame­ri­ka­ni­schen Ar­mee­korps, näm­lich des 22. und des 23. Ar­mee­korps, ent­spre­chen. Bei­de wer­den je­doch un­ter Ober­prä­si­dent  Fuchs zu­sam­men­ge­fasst, so dass er als höchs­te In­stanz für das Rhein­land, Saar­ge­biet und Rhein­pfalz an­zu­se­hen ist.“[7]

Karte 3 des 'Fuchs-Memorandums', 28.6.1945.

 

Und auch Hans Fuchs be­wahr­te sich nach au­ßen den Glau­ben an sei­ne fort­dau­ern­de Zu­stän­dig­keit für die ge­sam­te Re­gi­on. Selbst nach­dem die Bri­ten am 20.6.1945 bei der Über­nah­me ih­rer Zo­ne sei­ne Be­hör­de in „Ober­prä­si­di­um der Nord-Rhein­pro­vin­z“ um­be­nannt und da­mit ei­ne Be­schrän­kung sei­ner Zu­stän­dig­keit an­ge­deu­tet hat­ten, in­for­mier­te Fuchs sei­ne Ab­tei­lungs­lei­ter noch über die Not­wen­dig­keit des Fort­be­stands der en­gen Ar­beits­be­zie­hun­gen zu den Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen der Süd-Rhein­pro­vinz und von sei­ner Ab­sicht, Dienst­rei­sen dort­hin in gro­ßzü­gi­gem Ma­ße zu be­wil­li­gen.[8]

Doch of­fen­kun­dig war Fuchs zu die­sem Zeit­punkt be­reits klar, dass die Tei­lung der Rhein­pro­vinz durch ei­ne Be­sat­zungs­zo­nen­gren­ze mehr war als ei­ne Li­nie auf ei­ner Kar­te. Er ahn­te wohl schon, dass die­se Be­sat­zungs­zo­nen­gren­ze ei­ne un­durch­läs­si­ge Gren­ze bil­den wür­de, die jeg­li­chen Per­so­nen- und Wa­ren­ver­kehr, Aus­tausch und Kom­mu­ni­ka­ti­on un­ter­bin­den und die fran­zö­si­sche Zo­ne her­me­tisch nach au­ßen ab­rie­geln wür­de. Nur in die­sem Geist ist sein lei­den­schaft­li­ches Plä­doy­er für den Er­halt der Rhein­pro­vinz und die Rück­nah­me der Tei­lung zu ver­ste­hen, das er am 28.6.1945 in Form ei­nes Me­mo­ran­dums der bri­ti­schen Mi­li­tär­re­gie­rung vor­leg­te.

Karte 4 des 'Fuchs-Memorandums', 28.6.1945.

 

„130 Jah­re engs­ter Ver­wal­tungs­ge­mein­schaft ha­ben die fünf rhei­ni­schen Re­gie­rungs­be­zir­ke Düs­sel­dorf, Köln, Aa­chen, Ko­blenz und Trier zu ei­nem ein­heit­li­chen Gan­zen ver­schmol­zen, des­sen Zer­rei­ßung schon in nor­ma­len Frie­dens­zei­ten die Le­bens­fä­hig­keit der ein­zel­nen Tei­le schwer ge­fähr­det ha­ben wür­de. Ein we­sent­li­cher Grund für die wirt­schaft­li­che Blü­te des Rhein­lands lag von je­her in dem ge­sun­den wirt­schaft­li­chen Aus­tausch zwi­schen dem über­wie­gend in­dus­tri­el­len Nord­teil und dem vor­herr­schend land­wirt­schaft­li­chen Süd­teil der Pro­vinz. Nach den im Lau­fe des Krie­ges er­folg­ten Zer­stö­run­gen in den In­dus­trie­be­zir­ken der nörd­li­chen Be­zir­ke Düs­sel­dorf, Köln und Aa­chen sind die­se, un­ter den heu­ti­gen Um­stän­den auf län­ge­re Zeit auf sich al­lei­ne ge­stellt, tat­säch­lich le­bens­un­fä­hig.“

Wohl­ge­merkt: Köln, Aa­chen und Düs­sel­dorf über­le­ben nicht oh­ne Ko­blenz und Trier – und nicht um­ge­kehrt! Sorg­fäl­tig aus­ge­wähl­te Kar­ten mit Dia­gram­men un­ter­mau­ern die­se heu­te be­fremd­lich an­mu­ten­de The­se. Da­bei ziel­te Fuchs na­tür­lich ganz auf die Ver­sor­gung ab, die nicht mehr ge­währ­leis­tet sei, wenn die land­wirt­schaft­li­chen Er­zeug­nis­se des Sü­dens nicht mehr dem Nor­den zur Ver­fü­gung stün­den. Un­ru­hen droh­ten, das nack­te Cha­os: „Wenn schon dem ar­beits­fä­hi­gen Teil der jetzt im rhei­ni­schen In­dus­trie­ge­biet noch bzw. wie­der zu­sam­men­ge­ball­ten Be­völ­ke­rung kei­ne aus­rei­chen­den Le­bens­mög­lich­kei­ten ge­ge­ben wer­den kann, so bil­den die hier an­säs­si­gen Mas­sen der Kriegs­in­va­li­den und an­de­rer ganz oder teil­wei­se Ar­beits­un­fä­hi­ger ei­ne be­son­ders gro­ße so­zia­le und po­li­ti­sche Ge­fahr.“ Sein flam­men­der Ap­pell en­det mit den Wor­ten: „Die Rhein­pro­vinz im Gan­zen könn­te sich trotz der furcht­ba­ren Ver­hee­run­gen, die das Kriegs­ge­sche­hen ge­ra­de hier hin­ter­las­sen hat, wie­der zu er­träg­li­chen Le­bens­mög­lich­kei­ten durch­ar­bei­ten, ih­re end­gül­ti­ge Zer­schla­gung be­deu­tet für die Teil­ge­bie­te Siech­tum und Tod.“[9]

Karte 5 des 'Fuchs-Memorandums', 28.6.1945.

 

Doch al­le die­se Be­mü­hun­gen wa­ren um­sonst: Lon­don und Pa­ris hat­ten sich an­ders ent­schie­den. Am 10.7.1945 über­nah­men die Fran­zo­sen nach ei­ni­gen Ver­zö­ge­run­gen ih­re Be­sat­zungs­zo­ne und un­ter­ban­den so­fort jeg­li­chen frei­en Per­so­nen- und Wa­ren­ver­kehr. Nun schien kein Weg mehr zu­rück zu füh­ren zu den alt­her­ge­brach­ten Ver­wal­tungs­ein­hei­ten.

3. Neubeginn mit neuen Ländern

Doch wie soll­te es nun, da die Zo­nen­gren­zen fest­ge­legt und die Be­sat­zungs­zeit be­gon­nen hat­te, wei­ter­ge­hen? Die deut­sche Sei­te zeig­te sich tief ent­täuscht von der Tei­lung der Rhein­pro­vinz und klag­te bei­der­seits der Zo­nen­gren­ze, oh­ne je­doch wirk­lich Ge­hör zu fin­den. Der­weil strit­ten sich Lon­don und Pa­ris er­bit­tert über die po­li­ti­sche Zu­kunft des Rhein­lands. „Rhen­a­ni­a“, ein von Deutsch­land ge­trenn­ter ei­gen­stän­di­ger Staat be­ste­hend aus West­fa­len, dem Rhein­land und dem Saar­ge­biet droh­te die Al­li­ier­ten zu spal­ten. Für Frank­reich war nur ein sol­cher ei­gen­stän­di­ger Staat ei­ne wirk­sa­me Ga­ran­tie vor neu­er­li­cher deut­scher Ag­gres­si­on, wäh­rend Groß­bri­tan­ni­en in der in­ter­na­tio­na­len Auf­sicht über die­se Re­gi­on das Ein­falls­tor für die „Rus­sen am Rhein“ sah, was un­ter al­len Um­stän­den zu ver­hin­dern war. Denn viel mehr noch als man fran­zö­si­schen Ein­fluss an der Ruhr fürch­te­te, war den Bri­ten dar­an ge­le­gen, der So­wjet­uni­on den Zu­gang zu den Res­sour­cen der Ruhr zu ver­sper­ren und de­ren Ein­fluss auf die west­li­chen Be­sat­zungs­zo­nen so ge­ring wie ir­gend mög­lich zu hal­ten.

Karte 6 des 'Fuchs-Memorandums', 28.6.1945.

 

Nach lan­gen in­ter­nen De­bat­ten im For­eign Of­fice zeich­ne­te sich ab En­de 1945 ab, dass mehr­heit­lich so­wohl ei­ne Ab­spal­tung des Ruhr­ge­biets und der links­rhei­ni­schen Ter­ri­to­ri­en von Rest-Deutsch­land als auch ei­ne in­ter­na­tio­na­le Kon­trol­le der Ruhr als viel zu ge­fähr­lich ein­ge­stuft wur­den und die Ge­fahr ei­ner kom­mu­nis­ti­schen Ein­fluss­nah­me in ganz Deutsch­land her­auf­be­schwo­ren. So­wohl die bri­ti­sche Kon­troll­kom­mis­si­on als auch die Deutsch­land­ab­tei­lung des For­eign Of­fice er­kann­ten im Win­ter 1945/1946, dass wohl nur die Bil­dung ei­nes Lan­des in­ner­halb der bri­ti­schen Zo­ne nach dem Vor­bild der ame­ri­ka­ni­schen Län­der­grün­dun­gen in der ame­ri­ka­ni­schen Zo­ne dau­er­haft die Rus­sen vom Rhein fern­hal­ten und da­mit den kom­mu­nis­ti­schen Ein­fluss auf Ost­eu­ro­pa und die so­wje­ti­sche Be­sat­zungs­zo­ne be­schrän­ken wür­de. Doch wie soll­te ein sol­ches Land aus­se­hen? Das Ruhr­ge­biet als ei­ge­nes Land? Die­se Lö­sung wur­de rasch als zu un­aus­ge­wo­gen und zu klein­tei­lig ver­wor­fen. Ei­ne gro­ße Lö­sung be­ste­hend aus Rhein­land und West­fa­len und Tei­len Han­no­vers, Lip­pe, Braun­schweigs – kur­zer­hand die gan­ze bri­ti­sche Zo­ne mit Aus­nah­me des äu­ßers­ten Nor­dens? Auch die­se Va­ri­an­te muss­te ver­wor­fen wer­den. Am 21.6.1946 fiel nach lan­gen De­bat­ten in Lon­don die Ent­schei­dung zur Bil­dung ei­nes Lan­des be­ste­hend aus der Nord-Rhein­pro­vinz und West­fa­len.

Karte 7 des 'Fuchs-Memorandums', 28.6.1945.

 

Die Grün­dung des Lan­des Nord­rhein-West­fa­len war ganz al­lein ei­ne bri­ti­sche Ent­schei­dung, er­wach­sen aus der Aus­ein­an­der­set­zung mit Frank­reich über die Zu­kunft des Ruhr­ge­biets und des Rhein­lands ins­ge­samt, be­ein­flusst von dem Vor­bild der Län­der­grün­dun­gen in der ame­ri­ka­ni­schen Be­sat­zungs­zo­ne, durch­ge­führt mit dem Ziel, den kom­mu­nis­ti­schen Ein­fluss ein­zu­schrän­ken. Den­noch greift es zu kurz, ei­ne deut­sche Ein­fluss­nah­me gänz­lich aus­zu­schlie­ßen. Tat­säch­lich ha­ben sich zahl­rei­che deut­sche Po­li­ti­ker, al­len vor­an der Amts­nach­fol­ger von Fuchs als Ober­prä­si­dent der Rhein­pro­vinz, Ro­bert Lehr, im­mer wie­der in Stel­lung­nah­men und Me­mo­ran­den mit der zu­künf­ti­gen Glie­de­rung der Re­gi­on be­fasst, wie die gro­ße Men­ge sol­cher Pa­pie­re in den Un­ter­la­gen der Kon­troll­kom­mis­si­on be­legt. Zu­min­dest auf de­ren nicht ganz un­be­deu­ten­des Vo­tum dür­fen sie di­rek­ten Ein­fluss ge­habt ha­ben. Eben­so un­be­streit­bar ist je­doch die Tat­sa­che, dass letzt­lich die Ent­schei­dung in Lon­don ganz oh­ne deut­sche Be­tei­li­gung fiel.

Karte 8 des 'Fuchs-Memorandums', 28.6.1945.

 

Da­bei ge­fiel der über­wie­gen­den Mehr­heit der deut­schen Po­li­ti­ker die Ver­ei­ni­gung von Rhein­land und West­fa­len, wo­bei der Pro­vinz West­fa­len die un­dank­ba­re Rol­le der Kom­pen­sa­ti­on für die ver­lo­re­ne Süd-Rhein­pro­vinz zu­kam. Zwar wur­den Män­ner wie Lehr, Lan­des­rat Dr. Wil­helm Kitz (1890-1956) oder Bru­no Kuske nicht mü­de, in ih­ren Aus­füh­run­gen im­mer wie­der die Ein­glie­de­rung auch der süd­li­chen Rhein­pro­vinz zu for­dern und ei­ne Rück­nah­me der Tei­lung an­zu­mah­nen, doch trotz al­lem Ein­satz für die Wie­der­ver­ei­ni­gung der Rhein­pro­vinz war auch ih­nen der Ver­bleib der Re­gi­on in der Zu­ge­hö­rig­keit zu Deutsch­land wich­ti­ger. Und na­tür­lich die Ver­ei­ni­gung mit ei­ner agra­risch aus­ge­rich­te­ten Pro­vinz zum Zwe­cke der Sta­bi­li­täts­för­de­rung des neu­en Ge­bil­des. Der Ver­lust der Süd-Rhein­pro­vinz war be­dau­er­lich und ein mög­lichst schnell zu be­he­ben­der Feh­ler, aber nicht so gra­vie­rend, dass er die­se Zu­kunfts­per­spek­ti­ve der Re­gi­on ge­fähr­den soll­te.[10]

Karte 9 des 'Fuchs-Memorandums', 28.6.1945.

 

Wie be­wusst sich die deut­sche Sei­te der emo­tio­na­len Im­pli­ka­tio­nen die­ser An­ge­le­gen­heit je­doch war, zeigt die durch­aus lei­den­schaft­lich ge­führ­te Dis­kus­si­on um den Na­men des neu­en Lan­des. „Land Rhein­lan­d“ oder „Land Nord-Rhein­lan­d“ oder doch „Land Nie­der­rhein“? Am En­de ob­sieg­te der Vor­schla­g Kon­rad Ade­nau­ers, als ers­ten Vor­schlag „Land Rhein­lan­d“ ein­zu­brin­gen, erst da­nach sei die Va­ri­an­te „Land Nord-Rhein­lan­d“ und als letz­te Mög­lich­keit „Land Nie­der­rhein“ vor­zu­schla­gen. „Land Rhein­lan­d“ do­ku­men­tier­te den Wunsch nach Zu­sam­men­ge­hö­rig­keit des gan­zen Rhein­lands, ein­schlie­ß­lich der süd­li­chen Pro­vinz­tei­le, „Land Nord-Rhein­lan­d“ wur­de als Ma­ni­fes­ta­ti­on der Tei­lung an­ge­se­hen.[11] We­nig über­ra­schend er­klär­te die bri­ti­sche Mi­li­tär­re­gie­rung je­doch „Land Rhein­lan­d“ un­ver­züg­lich für „ru­led out of cour­t“, so dass Lehr schwe­ren Her­zens „Land Nord-Rhein­lan­d“ zu­stim­men muss­te.[12]

So lässt sich die mehr­heit­li­che deut­sche Hal­tung zur Grün­dung des Lan­des Nord­rhein-West­fa­lens am tref­fends­ten mit den Wor­ten Kon­rad Ade­nau­ers um­schrei­ben, der auf ei­ner Re­de vor dem Lan­des­vor­stand der CDU in Köln am 24.7.1946 wie folgt um­riss: „Eins müs­sen wir in die­sem Au­gen­blick ver­lan­gen, wo fest­steht, dass das Land Nord­rhein-West­fa­len ge­bil­det wird – und ich hof­fe, dass Sie dem zu­stim­men -, dass wir ei­nen ent­spre­chen­den Be­schluss ver­öf­fent­li­chen, und zwar das Ver­lan­gen, dass die Süd-Rhein­pro­vinz wie­der zu uns kommt. Die Be­zir­ke Ko­blenz und Trier sind kul­tu­rell, tra­di­tio­nell, wirt­schaft­lich, mensch­lich so fest mit uns ver­bun­den, dass wir un­ter al­len Um­stän­den in die­sem Au­gen­blick er­klä­ren müs­sen: Wir er­bli­cken in der Bil­dung des Lan­des Nord­rhein-West­fa­len nicht die Ent­wick­lung als ab­ge­schlos­sen, son­dern wir müs­sen dar­auf be­ste­hen, dass die Süd-Rhein­pro­vinz wie­der hin­zu­kommt.“ Wann auch im­mer.[13]

Vorschlag zur Neugliederung der britisch besetzten Zone, 19.6.1946.

 

Wäh­rend die Bil­dung des Lan­des Nord­rhein-West­fa­len al­so letzt­lich kon­sens­fä­hig war, hat­te es die süd­li­che Rhein­pro­vinz un­ter fran­zö­si­scher Be­sat­zung deut­lich schwe­rer. Frank­reich hat­te sei­ne Zo­ne am 10.7.1945 über­nom­men und sich zu­gleich dar­an ge­macht, die noch von den Ame­ri­ka­nern auf­ge­bau­ten Struk­tu­ren ab­zu­lö­sen. Hier ge­stal­te­te sich die Aus­gangs­si­tua­ti­on je­doch weit­aus schwie­ri­ger. Tat­säch­lich be­stand der Nord­teil der fran­zö­si­schen Zo­ne, das spä­te­re Land Rhein­land-Pfalz, aus ei­nem Fli­cken­tep­pich aus preu­ßi­schen, baye­ri­schen und hes­si­schen Rest­ge­bie­ten. Ei­ne dem Ruhr­ge­biet ver­gleich­ba­re über­grei­fen­de Klam­mer fehl­te völ­lig. Von An­fang an war Frank­reich be­strebt, ei­gen­stän­di­ges Han­deln in der Re­gi­on zu de­mons­trie­ren und zu­gleich der in der Be­völ­ke­rung spür­ba­ren Ab­nei­gung ge­gen die fran­zö­si­schen Be­sat­zungs­trup­pen ent­ge­gen­zu­wir­ken.[14] In ei­nem ers­ten Schritt wur­de un­ver­züg­lich „Mit­tel­rhein-Saar“ am 28.7.1945 auf­ge­löst und als Nach­fol­ge­be­hör­de auf Drän­gen der Re­gie­rungs­prä­si­den­ten von Ko­blenz, Wil­helm Bo­den, und Trier, Stein­lein, ei­ne neue über­grei­fen­de Ver­wal­tungs­ein­heit ein­ge­rich­tet, die den Na­men „Rhen­a­nie-Hes­se-Nas­sau“ trug und aus der Süd-Rhein­pro­vinz so­wie den vier nas­saui­schen Krei­sen be­stand. Ei­nen Ober­prä­si­den­ten in Ge­stalt von Wil­helm Bo­den er­hielt die­se Be­hör­de je­doch erst im Ok­to­ber 1945, was der Aver­si­on Frank­reichs ge­gen­über deut­schen Zen­tral­be­hör­den ge­schul­det war und auch be­reits im Al­li­ier­ten Kon­troll­rat spür­bar wur­de.[15] Mit dem zur glei­chen Zeit er­rich­te­ten Ober­prä­si­di­um Hes­sen-Pfalz war nun zwar das ad­mi­nis­tra­ti­ve Ge­rüst zur Bil­dung ei­nes Lan­des ge­ge­ben, doch zö­ger­te Pa­ris, die­sen Schritt zu tun. Nach wie vor sah man sich als „Sie­ger 2. Klas­se“, am Tisch der Al­li­ier­ten ge­dul­det, aber nicht ge­hört, und war dar­um be­strebt, sei­ne For­de­run­gen mit be­son­de­rem Nach­druck zu ver­tre­ten. Ne­ben der Wie­der­her­stel­lung sei­ner „gran­deur“ war die Be­frie­di­gung sei­nes aus­ge­präg­ten Si­cher­heits­be­dürf­nis­ses der Kern der fran­zö­si­schen Deutsch­land­po­li­tik. Nie wie­der soll­te Frank­reich Op­fer deut­scher Ag­gres­si­on wer­den, und de Gaul­le sah als ein­zi­ge Ga­ran­tie hier­für die Zer­schla­gung des Deut­schen Rei­ches, die Ab­tren­nung des Rhein­lands und die Bil­dung ei­nes ei­gen­stän­di­gen, fran­zö­sisch do­mi­nier­ten links­rhei­ni­schen Staats an. Deut­sche Zen­tral­be­hör­den kon­ter­ka­rier­ten nach An­sicht der fran­zö­si­schen Re­gie­rung die­se Plä­ne und wa­ren nur der ers­te Schritt zu ei­nem Wie­der­er­star­ken Deutsch­lands und da­mit neu­er­li­cher Ag­gres­si­on ge­gen Frank­reich. Ähn­lich wie in der bri­ti­schen Zo­ne gin­gen auch in der fran­zö­si­schen die ent­schei­den­den Im­pul­se zur Grün­dung ei­nes Lan­des von den „Män­nern vor Or­t“, den Mi­li­tär­gou­ver­neu­ren aus. So­wohl der Mi­li­tär­gou­ver­neur von Hes­sen-Pfalz, Jean-Clau­de Bou­ley, wie auch der von Rhein­land-Hes­sen-Nas­sau, Pier­re Ma­rie Ko­enig (1898-1970), for­der­ten En­de 1945/An­fang 1946 die Bil­dung von Län­dern in der fran­zö­si­schen Zo­ne. An­ders als Bou­ley vo­tier­te Ko­enig je­doch ganz im Sin­ne de Gaulles nur des­halb da­für, da die­se Lö­sung am bes­ten dem fran­zö­si­schen Wunsch nach De­zen­tra­li­sa­ti­on und Los­lö­sung von Ber­lin Rech­nung trü­ge.[16] Sein Land soll­te au­to­nom sein, al­les an­de­re „…ris­quait au con­trai­re d’abou­tir à un mes­comp­te dans les ter­ri­toires de la ri­ve gau­che du Rhin, et de com­pro­mett­re not­re po­li­tique Rhen­ans.“[17]

Doch nach dem Rück­tritt de Gaulles stand Ko­enig mit sei­ner Po­si­ti­on re­la­tiv al­lein. Der Quai d’Or­say er­kann­te im Früh­jahr des Jah­res 1946 im­mer deut­li­cher, dass nur ei­ne en­ge­re Zu­sam­men­ar­beit mit den bei­den an­de­ren West­al­li­ier­ten ge­eig­net war, Frank­reich Ein­fluss und Mit­spra­che be­züg­lich der zu­künf­ti­gen Ent­wick­lung Deutsch­lands zu si­chern. Gaul­lis­ti­sche Ma­xi­mal­for­de­run­gen wa­ren da we­nig hilf­reich. Im Mai 1946 wur­de Ko­enig aus dem Quai d’Or­say mit­ge­teilt, dass man be­ab­sich­ti­ge ein Land zu grün­den, wohl mit ei­ni­gen wirt­schaft­li­chen und mi­li­tä­ri­schen Son­der­ver­pflich­tun­gen, aber kei­nes­wegs au­to­nom, son­dern als Glied­staat ei­nes künf­ti­gen deut­schen Staa­tes.[18] Ko­enig tob­te. Und star­te­te ei­nen letz­ten Ver­such, in­dem er statt des ge­plan­ten Mainz nun Ko­blenz als neue Haupt­stadt ins Spiel brach­te. „Le choix de cet­te vil­le, dic­té en par­tie par des con­side­ra­ti­ons ma­te­ri­el­le, cor­re­spond es­sen­ti­el­le­ment à l’idée de ré­ser­ver l’ave­nir po­li­tique: Co­blence, en ef­fet, peut à not­re zo­ne, et mar­quer une pre­miè­re etap­pe vers la réa­li­sa­ti­on d’un grand Etat Fédé­ral rhen­an s’eten­dant vers le Nord.“[19]

Karte der Oberpräsidien. Gebiet des Landes Rheinland-Pfalz unter französischer Besatzung. Vor der Gründung von Rheinland-Pfalz waren von der französischen Besatzung die Verwaltungsgebiete Oberpräsidium Rheinland-Hessen-Nassau und Oberregierungspräsidium Hessen-Pfalz eingerichtet worden, diese bildeten gemeinsam das am 30. August 1946 gegründete Land.

 

Ko­enigs Wi­der­stand ver­zö­ger­te den Ent­schei­dungs­pro­zess in Pa­ris er­heb­lich. Erst am 12.8.1946 war man so weit: Ein Tref­fen mit Ko­enig in Pa­ris soll­te den Weg frei ma­chen, doch nur in der Haupt­stadt­fra­ge wur­de letzt­lich Klar­heit er­zielt: Mainz soll­te es sein, nicht Ko­blenz, wo­mit al­len Am­bi­tio­nen Ko­enigs ei­ner Aus­wei­tung der fran­zö­si­schen Zo­ne nach Nor­den end­gül­tig ei­ne Ab­sa­ge er­teilt wur­de – was im Hin­blick auf Groß­bri­tan­ni­en im Üb­ri­gen auch über­fäl­lig war. An­sons­ten war man sich aber be­wusst, dass es für die­ses neue Land recht schwie­rig sein wür­de, ein „cont­re-po­ids aux 11 mil­li­ons de la Rhen­a­nie anglai­se“ zu bil­den. Da nun schnell et­was zu ge­sche­hen ha­be in die­ser An­ge­le­gen­heit, müs­se man jetzt zur Län­der­bil­dung schrei­ten.[20]

Am 30.8.1946 er­hielt Wil­helm Bo­den aus der Hand von Het­tier de Bo­is­lam­bert (1906-1986) die Ver­ord­nung Nr. 57 von Ge­ne­ral Ko­enig, in der die­ser die Bil­dung ei­nes Lan­des Rhein­land-Pfalz be­fahl. Da­mit war Rhein­land-Pfalz ge­nau wie Nord­rhein-West­fa­len ei­ne al­li­ier­te Grün­dung. Nur dass die­se Grün­dung auf deut­scher Sei­te kei­ner woll­te. Im bes­ten Fall nahm man von ihr kaum No­tiz, wie nicht nur ein Blick in die Pres­se be­legt, son­dern auch ei­ne Durch­sicht der La­ge­be­rich­te der Land­rä­te von Rhein­land-Hes­sen-Nas­sau, de­nen die Lan­des­grün­dung kaum ei­nen Halb­satz wert war.[21]

Ordonnance No. 57, Schaffung des Landes Rheinland-Pfalz durch den französischen Oberbefehlshaber General Pierre Koenig, 30.8.1946.

 

Im Re­gel­fall do­mi­nier­ten wei­ter­hin die Kla­gen über den Ver­lust der Nord-Rhein­pro­vinz und die Un­ter­bin­dung des frei­en Per­so­nen- und Wa­ren­ver­kehrs. Le­dig­lich der „Rhei­ni­sche Mer­kur“ wag­te es, in sei­nem Bei­trag zur Lan­des­grün­dung dar­auf hin­zu­wei­sen, dass die viel­fach pos­tu­lier­ten Tren­nungs­li­ni­en zwi­schen den Ge­biets­tei­len des neu­en Lan­des doch eben­so künst­lich sei­en wie die Zo­nen­gren­ze. Vor der Lan­des­re­gie­rung von Rhein­land-Pfalz lag al­so noch ein har­tes Stück Ar­beit.

Es kann vor die­sem Hin­ter­grund nur als aus­ge­spro­chen ge­schickt be­zeich­net wer­den, dass man die ers­te freie Wahl im Land am 18.5.1947 zu­gleich als Volks­ab­stim­mung zur Ver­fas­sung des Lan­des nutz­te. Die hier, wenn auch nur mit knap­per Mehr­heit er­ziel­te de­mo­kra­ti­sche Le­gi­ti­ma­ti­on der Ver­fas­sung und da­mit des Lan­des selbst, soll­te in den fol­gen­den Jah­ren un­end­lich hilf­reich wer­den zum Er­halt die­ses Lan­des, dem mehr als an­de­ren der Ma­kel des „Land aus der Re­tor­te“ an­hing und des­sen frü­he Jah­re stets vom Da­mo­kles­schwert der Auf­lö­sung be­stimmt wa­ren.

Stimmzettel für die erste Landtagswahl am 18.5.1947.

 

An­ders als Nord­rhein-West­fa­len konn­te Rhein­land-Pfalz nach dem 18.5.1947 dar­auf ver­wei­sen, dass die­ses Land über ei­ne de­mo­kra­tisch le­gi­ti­mier­te Ver­fas­sung ver­füg­te, die – ganz dem Wil­len der Lan­des­re­gie­rung ent­spre­chend – da­zu an­ge­tan war, das Land zu sta­bi­li­sie­ren und zu kon­so­li­die­ren.[22] Auch wenn das Vo­tum für das jun­ge Land an je­nem Mai­tag 1947 al­les an­de­re als über­zeu­gend war[23], es ge­nüg­te, um aus Be­sat­zungs­gren­zen end­gül­tig Län­der­gren­zen zu ma­chen und so­mit ei­nem Pro­vi­so­ri­um, das aus be­sat­zungs­tech­ni­schen Be­dürf­nis­sen her­aus ent­stan­den war, ei­ne neue recht­li­che und po­li­ti­sche Ba­sis zu ge­ben, die zu­dem auch noch ein­deu­tig auf ein zu bil­den­des deut­sches Staats­we­sen ver­wies.

Stimmzettel für die Volksabstimmung über die Verfassung und die Schulartikel am 18.5.1947.

 

4. Weststaatsgründung contra Neugliederung

Im Som­mer 1946 hat­ten die drei West­al­li­ier­ten in ih­ren Be­sat­zungs­zo­nen Län­der ge­bil­det und da­mit ein deut­li­ches Si­gnal ge­sen­det zur Bil­dung ei­nes deut­schen Staa­tes. Der Blick der deut­schen Sei­te war so ein­deu­tig nach vor­ne in Rich­tung Wie­der­her­stel­lung ei­nes deut­schen Staa­tes ge­rich­tet, dass sich das Land Rhein­land-Pfalz in der Prä­am­bel  sei­ner am 18.5.1947 durch Volks­ent­scheid an­ge­nom­me­nen Ver­fas­sung be­reits als „Glied­staa­t“ ei­nes künf­ti­gen deut­schen Staa­tes de­fi­nier­te. Doch der Weg da­hin war noch weit. Nicht nur die So­wjet­uni­on, auch Frank­reich be­harr­te auf sei­nem Wi­der­stand ge­gen deut­sche Zen­tral­in­stan­zen und ei­nen deut­schen Staat. Die USA und Groß­bri­tan­ni­en hin­ge­gen sa­hen in ei­nem nach dem Vor­bild west­li­cher De­mo­kra­ti­en ge­form­ten deut­schen Staat ein Boll­werk ge­gen den vor­drin­gen­den Kom­mu­nis­mus, in dem man mehr und mehr die grö­ße­re Ge­fahr er­kann­te.

Wahlplakate für die Volksabstimmung über die Verfassung, 1947.

 

Es war letzt­lich wohl eher der öko­no­mi­sche Druck als die po­li­ti­sche Über­zeu­gung, die Frank­reich zum Ein­len­ken zwang. Deut­sche Be­sat­zung und Kriegs­zer­stö­run­gen hat­ten die fran­zö­si­sche Wirt­schaft rui­niert und das Land von den Hilfs­lie­fe­run­gen der USA ab­hän­gig ge­macht, die im­mer deut­li­cher mach­ten, dass sie im Ge­gen­zug für ih­re ma­te­ri­el­le Hil­fe po­li­ti­sches Ent­ge­gen­kom­men er­war­te­ten.[24] 

[25]: Vgl. Rolf Stei­nin­ger, Die Ruhr­fra­ge 1945/46 und die Ent­ste­hung des Lan­des Nord­rhein-West­fa­len. Bri­ti­sche, fran­zö­si­sche und ame­ri­ka­ni­sche Ak­ten, ein­ge­lei­tet und be­ar­bei­tet von Rolf Stei­nin­ger, Düs­sel­dorf 1988, S. 28-33.

Die Lon­do­ner Sechs­mäch­te­kon­fe­renz im Früh­jahr 1948 brach­te den Durch­bruch, wenn auch nach zä­hen Ver­hand­lun­gen. In­dem es die Kri­tik an der Künst­lich­keit der west­deut­schen Län­der, vor al­lem aber von Rhein­land-Pfalz auf­griff und ei­ne um­fas­sen­de Neu­glie­de­rung for­der­te, hat­te Frank­reich ge­hofft, doch noch sei­nen Ein­fluss­be­reich aus­wei­ten zu kön­nen, was aber auf den er­bit­ter­ten Wi­der­stand der Bri­ten stieß. In Ein­klang mit den USA emp­fand man in Lon­don die For­de­rung nach ei­ner Neu­glie­de­rung als un­er­wünsch­te Ver­zö­ge­rung des Pro­zes­ses zur Bil­dung ei­nes west­deut­schen Staa­tes und war zu­dem be­sorgt, qua­si in letz­ter Se­kun­de doch noch die Fran­zo­sen an der Ruhr zu ha­ben. Groß­bri­tan­ni­en be­stand da­her dar­auf, Nord­rhein-West­fa­len in sei­nem ter­ri­to­ria­len Be­stand un­an­ge­tas­tet zu las­sen und von jeg­li­chen Neu­glie­de­rungs­fra­gen aus­zu­klam­mern. Was wie­der­um Frank­reich ver­an­lass­te, ei­ne Be­stands­ga­ran­tie für Rhein­land-Pfalz zu for­dern, um nicht das ein­zi­ge Land zu ver­lie­ren, das voll­stän­dig in der fran­zö­si­schen Zo­ne lag und da­mit als po­li­ti­sches Faust­pfand galt.

Aufruf der CDU zur Volksabstimmung über die Verfassung, 1947.

 

Die west­li­chen Sie­ger­mäch­te ei­nig­ten sich am 12.5.1948 dar­auf, die Mi­nis­ter­prä­si­den­ten der Län­der in ih­ren Zo­nen auf­zu­for­dern, die Bil­dung ei­nes west­deut­schen Staa­tes vor­zu­be­rei­ten, ih­re Vor­be­hal­te zur Neu­glie­de­rung der Län­der je­doch zu­nächst tun­lichst zu ver­schwei­gen.[26] Statt­des­sen über­reich­ten sie den Mi­nis­ter­prä­si­den­ten die „Frank­fur­ter Do­ku­men­te“, die ne­ben der West­staats­bil­dung auch die Dis­kus­si­on über ei­ne mög­li­che Neu­glie­de­rung der Län­der er­laub­ten.[27]

So­gleich schlos­sen sich die Re­gie­run­gen von Nord­rhein-West­fa­len und Rhein­land-Pfalz zu ei­ner Art „Zweck­bünd­nis“ zu­sam­men, um ge­mein­sam für ei­ne Ver­schie­bung der Neu­glie­de­rungs­dis­kus­si­on ein­zu­tre­ten. Ein ko­or­di­nier­tes Vor­ge­hen schien um­so er­for­der­li­cher, als der Vor­sit­zen­de des mit der Fra­ge der Neu­glie­de­rung be­fass­ten Län­der­grenz­aus­schus­ses der Mi­nis­ter­prä­si­den­ten­kon­fe­renz, der schles­wig-hol­stei­ni­sche Mi­nis­ter­prä­si­dent Her­mann Lü­de­mann (1880-1959), mit Vor­schlä­gen an die Öf­fent­lich­keit trat, die auf ei­ne Auf­lö­sung von Rhein­land-Pfalz und ra­di­ka­le Um­struk­tu­rie­rung von Nord­rhein-West­fa­len hin­aus­lie­fen. Die Ar­gu­men­ta­ti­on bei­der Lan­des­re­gie­run­gen ge­gen die Neu­glie­de­rung er­wies sich als stich­hal­tig und über­zeu­gend: In der jet­zi­gen Si­tua­ti­on ge­nie­ße die Bil­dung ei­nes de­mo­kra­ti­schen west­deut­schen Staa­tes ab­so­lu­te Prio­ri­tät und dür­fe nicht durch ei­ne Län­der­neu­glie­de­rung ge­fähr­det wer­den, die die ge­ra­de erst ge­schaf­fe­nen Struk­tu­ren wie­der auf­lö­se und neue In­sta­bi­li­tät her­auf­be­schwö­re, zu­mal die­se Län­der­neu­glie­de­rung nicht in deut­scher Sou­ve­rä­ni­tät und Ver­ant­wort­lich­keit, son­dern nur un­ter der Auf­sicht und Ein­fluss­nah­me der Al­li­ier­ten er­fol­gen kön­ne. Auch wenn die De­fi­zi­te man­cher der neu­en Län­der noch so groß sei­en und ih­re Künst­lich­keit un­be­streit­bar, so dür­fe die gro­ße Auf­ga­be der West­staats­bil­dung kei­nes­falls solch un­ter­ge­ord­ne­ten Fra­ge­stel­lun­gen ge­op­fert wer­den.[28]

Ministerpräsident Altmeier am Rednerpult im Landtag im Koblenzer Rathaus, Juli 1947.

 

Doch so strin­gent die Ar­gu­men­ta­ti­on der bei­den Lan­des­re­gie­run­gen auch war, es war er­neut die Sor­ge vor der fran­zö­si­schen Rhein­land-Po­li­tik, die je­de Dis­kus­si­on über ei­ne Neu­glie­de­rung von Rhein­land-Pfalz und Nord­rhein-West­fa­len 1948 be­en­de­te. Der rhein­land-pfäl­zi­schen Lan­des­re­gie­rung war im Som­mer 1948 just je­nes Do­ku­ment der Lon­do­ner Sechs­mäch­te­kon­fe­renz vom 12.5.1948 in die Hän­de ge­spielt wor­den, al­ler­dings „er­gänz­t“ um ei­ni­ge Zu­sät­ze, die so nicht in Lon­don for­mu­liert wor­den wa­ren. Ins­be­son­de­re der Satz, Frank­reich wür­de ei­ner Auf­lö­sung von Rhein­land-Pfalz nur dann zu­stim­men, wenn gleich­zei­tig die al­te Rhein­pro­vinz wie­der­er­rich­tet und als neu­es Land un­ter fran­zö­si­sche Be­sat­zungs­herr­schaft ge­stellt wür­de, war da­zu an­ge­tan, all die Ängs­te über ei­ne fran­zö­si­sche An­ne­xi­on des Rhein­lands wie­der auf­le­ben zu las­sen. Der nord­rhein-west­fä­li­sche Mi­nis­ter­prä­si­den­t Karl Ar­nold über­nahm es klu­ger­wei­se, die am 31.8.1948 in Nie­der­wald ver­sam­mel­ten Mi­nis­ter­prä­si­den­ten über die dro­hen­de Ge­fahr zu un­ter­rich­ten: „Wir al­le wis­sen, dass es ei­ne fran­zö­si­sche Rhein­land­po­li­tik ge­ge­ben hat. Die­se be­steht auch heu­te noch. Ich will hier jetzt ganz of­fen er­klä­ren, dass ich mich nicht da­zu her­ge­ben wer­de, die­ser Po­li­tik ir­gend­wie ei­ne deut­sche Un­ter­stüt­zung zu ge­ben. Aus die­sem Grund ist es po­li­tisch von ent­schei­den­der Wich­tig­keit, dass die­se an­der­wei­ti­gen Pro­ble­me [ge­meint ist die Län­der­neu­glie­de­rung, B.D.] zu­rück­ge­stellt wer­den.“[29] Da­mit war die Neu­glie­de­rungs­de­bat­te für 1948 ein­ge­stellt und der Län­der­grenz­aus­schuss wur­de auf­ge­löst. Doch die De­bat­te selbst je­doch war nicht be­en­det, sie war nur ver­scho­ben. So we­nig, wie sich die Al­li­ier­ten hat­ten dar­über ver­stän­di­gen kön­nen, war es den deut­schen Mi­nis­ter­prä­si­den­ten mög­lich ge­we­sen, Ei­ni­gung in der Fra­ge der zu­künf­ti­gen Ge­stalt der deut­schen Län­der zu er­zie­len. An­de­re Fra­gen ge­nos­sen bei al­len Be­tei­lig­ten Prio­ri­tät: die Grün­dung der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land, der Er­halt Nord­rhein-West­fa­lens, die Ab­wehr fran­zö­si­scher Rhein­land­plä­ne.

Doch zu­min­dest der deut­schen Sei­te war schmerz­haft be­wusst, dass hier ein Pro­blem lag, das man nur ver­scho­ben hat­te und des­sen Lö­sung an­ste­hen wür­de, frü­her oder spä­ter. So war es nur fol­ge­rich­tig, die Neu­glie­de­rung als ei­nen Auf­trag für künf­ti­ge Bun­des­re­gie­run­gen im Grund­ge­setz als Ar­ti­kel 29 vor­zu­se­hen.

Rhein­land-Pfalz und Nord­rhein-West­fa­len ge­wan­nen durch die Ver­schie­bung Zeit. Zeit, ih­re Stra­te­gi­en und Zie­le zu über­den­ken und zu for­mu­lie­ren. Es ist in­ter­es­sant zu be­ob­ach­ten, wie nun die We­ge aus­ein­an­der­ge­hen. Hat­te man sich 1948 noch ge­mein­sam ge­gen die an­de­ren Mi­nis­ter­prä­si­den­ten ge­stellt, ent­wi­ckel­ten sich da­nach ers­te Ri­va­li­tä­ten. Ge­tra­gen von der Ge­wiss­heit, dass der Be­stand Nord­rhein-West­fa­lens von nie­man­dem mehr ernst­haft in Fra­ge ge­stellt wur­de, wur­den – aus­ge­hend von der Wirt­schaft – die Stim­men im Rhein­land wie­der lau­ter, die ei­ne Ver­ei­ni­gung mit der süd­li­chen Rhein­pro­vinz for­der­ten – na­tür­lich im Sin­ne ei­ner An­glie­de­rung an Nord­rhein-West­fa­len.[30]

Dr. Alois Zimmer am Rednerpult im Landtag im Koblenzer Rathaus, dahinter die Regierungsbank, Juli 1947.

 

Rhein­land-Pfalz hin­ge­gen be­fand sich in ei­ner deut­lich ge­fähr­li­che­ren Si­tua­ti­on. Mehr hin­ge­nom­men als ge­liebt von sei­ner Be­völ­ke­rung galt sei­ne Le­bens­fä­hig­keit als frag­wür­dig. Hat­te die rhein­land-pfäl­zi­sche Lan­des­re­gie­rung dem bis­her noch Rech­nung ge­tra­gen, in­dem sie auch im­mer die Künst­lich­keit des Lan­des an­er­kann­te und auf sei­nen Pro­vi­so­ri­um­s­cha­rak­ter ver­wies, än­der­te sich nach 1948 die Stra­te­gie deut­lich. An die Stel­le der Zu­ge­ständ­nis­se an die weit­ver­brei­te­ten Ge­füh­le tra­di­tio­nel­ler Ver­bun­den­heit trat nun ein ak­ti­ves und selbst­be­wuss­tes En­ga­ge­ment für das neue Land, ei­ne Her­vor­he­bung sei­ner Chan­cen und Mög­lich­kei­ten bei gleich­zei­ti­ger Ent­my­tho­lo­gi­sie­rung ver­gan­ge­ner ter­ri­to­ria­ler Ein­hei­ten. Rhein­land-Pfalz mach­te von nun an Wer­bung für sich selbst.

Der Landtag im Koblenzer Görreshaus, 1948.

 

5. Erfolgreicher Überlebenskampf: Zwei Länder behaupten sich

Wie sehr die Neu­glie­de­rungs­fra­ge nur auf­ge­scho­ben, aber kei­nes­wegs auf­ge­ho­ben war, wur­de be­reits im Herbst 1949 deut­lich. Ge­mäß Ver­fas­sungs­auf­trag des Grund­ge­set­zes in Ar­ti­kel 29 rich­te­te der Deut­sche Bun­des­tag  ei­nen „Aus­schuss für die in­ner­ge­biet­li­che Neu­ord­nun­g“ un­ter dem Vor­sitz des FDP-Ab­ge­ord­ne­ten Au­gust-Mar­tin Eu­ler (1908-1966) ein, in dem Rhein­land-Pfalz aus­ge­rech­net von ei­nem der pro­mi­nen­tes­ten An­hän­ger ei­ner Wie­der­ver­ei­ni­gung der Rhein­pro­vinz ver­tre­ten wur­de, dem Witt­li­cher Bür­ger­meis­ter Mat­thi­as Mehs (1893-1976), der zu­vor be­reits häu­fig Vor­stö­ße in die­se Rich­tung un­ter­nom­men hat­te.[31] Ent­spre­chend fie­len die Vor­schlä­ge die­ser Kom­mis­si­on aus: Rhein­land-Pfalz soll­te auf­ge­löst und sei­ne Ge­biets­tei­le ih­ren ur­sprüng­li­chen ter­ri­to­ria­len Ein­hei­ten zu­ge­ord­net oder als Gan­zes mit Hes­sen ver­ei­nigt wer­den.

Für die Lan­des­re­gie­rung in Rhein­land-Pfalz war die­ses Vo­tum ein be­denk­li­cher Rück­schlag all ih­rer Be­mü­hun­gen, das Land zu kon­so­li­die­ren und zu ei­ni­gen. Zwar hat­te die 1951 er­folg­te Ver­le­gung des Sit­zes der Lan­des­re­gie­rung von Ko­blenz nach Mainz, wie be­reits in der Ver­ord­nung Nr. 57 vom 30.8.1946 vor­ge­se­hen[32], durch­aus den Zu­sam­men­halt des Lan­des ge­för­dert, doch nach wie vor wa­ren in al­len Ge­biets­tei­len zahl­rei­che und lau­te Stim­men ge­gen die­ses Land und für ei­ne Rück­kehr zu den al­ten Ver­wal­tungs­ein­hei­ten zu ver­neh­men.

Westliche Besatzungszonen. Vorschlag zur Neugliederung der Länder von A. Weitzel in der Fassung von 1948.

 

Im nörd­li­chen Raum von Rhein­land-Pfalz war es vor al­lem der Trie­rer Be­zirk, der un­ver­min­dert an sei­ner Ver­bun­den­heit mit dem Nord­teil der Rhein­pro­vinz, ins­be­son­de­re mit Köln, fest­hielt, wäh­rend Ko­blenz – nicht zu­letzt auf­grund der Tat­sa­che, dass hier eben bis 1951 der Sitz der Lan­des­re­gie­rung war – viel eher be­reit war, sich auf die neu­en Ge­ge­ben­hei­ten ein­zu­las­sen. Deut­lich wur­de dies be­reits 1948, als die In­dus­trie- und Han­dels­kam­mer Köln ein um­fang­rei­ches Me­mo­ran­dum vor­be­rei­te­te, in wel­chem sach­lich-ar­gu­men­ta­tiv die wirt­schaft­li­che Not­wen­dig­keit ei­ner An­glie­de­rung von Ko­blenz und Trier an Nord­rhein-West­fa­len dar­ge­legt und be­grün­det wur­de. Zog die Ko­blen­zer IHK ih­re Un­ter­stüt­zung für die­ses Pro­jekt nach an­fäng­li­cher Be­geis­te­rung mit der Be­grün­dung zu­rück, man über­be­to­ne hier die Le­bens­un­fä­hig­keit von Rhein­land-Pfalz und wür­di­ge die Ei­gen­stän­dig­keit und Be­deu­tung des Ko­blen­zer Rau­mes zu we­nig, blieb die Kam­mer in Trier bei ih­rer vor­be­halt­lo­sen Be­für­wor­tung des Un­ter­neh­mens.[33]

Westliche Besatzungszonen. Vorschlag zur Neugliederung der Länder von Prof. Dr. E. Scheu in der Fassung von 1948.

 

Das Vo­tum der so­ge­nann­ten Eu­ler-Kom­mis­si­on war Was­ser auf die Müh­len die­ser Ar­gu­men­ta­ti­on. Doch wie­der­um er­hielt Rhein­land-Pfalz Un­ter­stüt­zung vom nord­rhein-west­fä­li­schen Mi­nis­ter­prä­si­den­ten Ar­nold, der ein Auf­flam­men der Dis­kus­si­on über die mög­li­che Über­grö­ße Nord­rhein-West­fa­lens be­fürch­te­te. Und so­gar Bun­des­kanz­ler Kon­rad Ade­nau­er ent­pupp­te sich nun als Geg­ner der Plä­ne Eu­lers, al­ler­dings weil er den Ver­lust der vier rhein­land-pfäl­zi­schen Stim­men im Bun­des­rat fürch­te­te, die ihm die Mehr­heit in die­sem Gre­mi­um si­cher­ten.[34]

So nahm im April 1952 ei­ne kon­kur­rie­ren­de Sach­ver­stän­di­gen­kom­mis­si­on un­ter dem Vor­sitz des ehe­ma­li­gen Reichs­kanz­ler­s Hans Lu­ther s­ei­ne Ar­beit auf, die zu­neh­mend den Eu­ler-Aus­schuss und sei­ne Er­geb­nis­se ver­dräng­te. Gut­ach­ten und Be­rei­sun­gen der be­trof­fe­nen Lan­des­tei­le soll­ten ei­ne wis­sen­schaft­lich fun­dier­te Ent­schei­dungs­ba­sis bil­den, ei­ne hoch­ka­rä­ti­ge Be­set­zung mit Fach­leu­ten ei­ne sys­te­ma­ti­sche Auf­ar­bei­tung der Fra­ge er­lau­ben. Die­ses Mal war Rhein­land-Pfalz bes­ser vor­be­rei­tet und ent­sand­te ei­ne nam­haf­te De­le­ga­ti­on von Fach­leu­ten, an­ge­führt von kei­nem Ge­rin­ge­ren als dem als „Va­ter der rhein­land-pfäl­zi­schen Ver­fas­sun­g“ be­zeich­ne­ten Jus­tiz­mi­nis­ter Adolf Süs­te­rhenn (1905-1974). Die­ser plan­te die rhein­land-pfäl­zi­sche Ver­tei­di­gungs­stra­te­gie ge­ra­de­zu ge­ne­ral­stabs­mä­ßig. Er ko­or­di­nier­te und be­stimm­te al­le Ak­ti­vi­tä­ten, bei ihm lie­fen al­le Fä­den zu­sam­men. Im Mit­tel­punkt der Be­mü­hun­gen stand die Er­stel­lung ei­nes Lan­des­gut­ach­tens, das die Le­bens­fä­hig­keit und Aus­ge­wo­gen­heit des Lan­des un­ter Be­weis stel­len soll­te. His­to­risch-volks­kund­lich-kul­tur­ge­schicht­li­che, raum­pla­ne­risch-geo­gra­fi­sche, wirt­schafts- und ver­kehrs­tech­ni­sche so­wie staats- und ver­fas­sungs­recht­li­che Fra­gen soll­ten ein­flie­ßen und die Not­wen­dig­keit des Er­halts des Lan­des be­le­gen.[35]

Westliche Besatzungszonen. Vorschlag zur Neugliederung der Länder im 'Tagesspiegel' Nr. 55, 7.7.1948.

 

Auch in Nord­rhein-West­fa­len wur­de an ei­nem ähn­li­chen Gut­ach­ten ge­ar­bei­tet, und auch hier stand der Er­halt des Lan­des im Mit­tel­punkt al­ler Be­stre­bun­gen. Doch ge­ra­de der Köl­ner Raum üb­te hin­sicht­lich ei­ner An­glie­de­rung von Ko­blenz und Trier so er­heb­li­chen Druck auf die Lan­des­re­gie­rung aus, dass man sich in Düs­sel­dorf de­ren Ar­gu­men­ta­ti­on kaum noch ver­schlie­ßen konn­te. Die im Früh­jahr 1953 durch­ge­führ­te Be­rei­sung des Lan­des durch die Lu­ther-Kom­mis­si­on ver­stärk­te die­sen Ein­druck. Auf ih­rer Sta­ti­on in Köln er­fuh­ren die De­le­gier­ten in ein­drucks­vol­ler Wei­se, wie sehr man sich hier die Rück­kehr von Ko­blenz und Trier wünsch­te. Das Gut­ach­ten der IHK Köln von 1948 lie­fer­te da­für die Ar­gu­men­te, die im Kern dar­auf hin­aus­lie­fen, dass Ko­blenz und Trier nur in Ver­bin­dung mit dem „rei­chen Bru­der im Nor­den“ die nö­ti­ge För­de­rung für ihr Über­le­ben er­hal­ten könn­ten, ei­ne För­de­rung, die man dort von Rhein­land-Pfalz nie er­war­ten kön­ne, „da dem Land die fi­nan­zi­el­len Mög­lich­kei­ten zu ei­ner Un­ter­stüt­zung feh­len“.[36] 

Be­sorgt stell­te Süs­te­rhenn fest, dass die Re­den in Köln wohl gro­ßen Ein­druck bei der Kom­mis­si­on hin­ter­las­sen hät­ten, auch wenn er sich nach Kräf­ten be­müht ha­be, die­sen Ein­druck zu kon­ter­ka­rie­ren, in­dem er die Be­haup­tung, die Wes­ter­wäl­der Stein­krü­ge dien­ten in ers­ter Li­nie Aus­schank von west­fä­li­schem Schnaps mit dem Hin­weis ge­kon­tert hat­te, sie wür­den auch im Münch­ner Hof­bräu­haus zum Ein­satz kom­men und sei­en da­mit als Be­leg für die en­ge Ver­bun­den­heit und Ver­flech­tung gänz­lich un­taug­lich. Doch Süs­te­rhenns Be­sorg­nis be­zog sich nicht nur auf An­grif­fe von au­ßen, son­dern auch von in­nen. „Es wird näm­lich not­wen­dig sein, ge­ra­de von Mainz aus die Ein­heit­lich­keit der Be­trach­tungs­wei­se der Pro­ble­me des Lan­des Rhein­land-Pfalz stark her­aus­zu­stel­len, da ja die Ge­fahr be­steht, dass in den ein­zel­nen Lan­des­tei­len bei der Be­rei­sung dem Neu­glie­de­rungs­aus­schuss sehr di­ver­gie­ren­de Auf­fas­sun­gen vor­ge­tra­gen wer­den.“ So müs­se un­be­dingt auf je­der Sta­ti­on der Be­rei­sung ein Mit­glied des Ka­bi­netts an­we­send sein und die Re­fe­ra­te ent­spre­chend den Vor­ga­ben ab­ge­stimmt sein. Rhein­land-Pfalz wer­de sich, so sein Ein­druck, „au­ßer­or­dent­lich an­stren­gen“ müs­sen, sei­ne Exis­tenz­be­rech­ti­gung zu be­wei­sen.[37]

Westliche Besatzungszonen. Vorschlag zur Neugliederung der Länder des Schleswig-Holsteinischen Ministerpräsidenten Hermann Lüdemann, 27.8.1948.

 

Oh­ne­hin schon äu­ßerst be­sorgt und be­un­ru­higt ob der Er­eig­nis­se muss­te das Er­schei­nen ei­ner Ka­ri­ka­tur in den „Ruhr-Nach­rich­ten“ am 9.12.1953 auf die rhein­land-pfäl­zi­sche Lan­des­re­gie­rung wie ein Schock wir­ken. Aus­ge­rech­net der nord­rhein-west­fä­li­sche Mi­nis­ter­prä­si­dent Ar­nold, bis­lang stets ein treu­er, wenn auch nicht ganz un­ei­gen­nüt­zi­ger Un­ter­stüt­zer des Lan­des Rhein­land-Pfalz in sei­nem Be­stre­ben zur Ab­wehr jeg­li­cher Neu­glie­de­rungs­ver­su­che, wur­de por­trä­tiert wie er mit den Wor­ten „Die schei­nen mir aber über­reif zu sein!“ über den (Lan­des­gren­zen)Zaun nach den Äp­feln Ko­blenz und Trier am rhein­land-pfäl­zi­schen Baum griff.[38]

Die nun an­ste­hen­de Be­rei­sung von Rhein­land-Pfalz soll­te nach dem Wil­len sei­ner Lan­des­re­gie­rung das Blatt wen­den. Der Er­öff­nungs­ver­an­stal­tung in Mainz kam da­bei pro­gram­ma­ti­scher Cha­rak­ter zu. Al­le Red­ner be­ton­ten ein­mü­tig – wie zu­vor ver­ein­bart – die Not­wen­dig­keit des Er­halts des Lan­des, das trotz al­ler er­kenn­ba­rer und nicht zu leug­nen­der struk­tu­rel­ler De­fi­zi­te le­bens- und leis­tungs­fä­hig sei. Die viel be­schwo­re­ne Ein­heit der Rhein­pro­vinz soll­te als My­thos  ent­larvt und da­ge­gen die Ei­gen­stän­dig­keit des Ko­blen­zer und Trie­rer Rau­mes ge­stellt wer­den. Im Ge­gen­teil, in der preu­ßi­schen Rhein­pro­vinz sei­en die­se Ge­bie­te ver­nach­läs­sigt wor­den und er­füh­ren erst jetzt die För­de­rung und Un­ter­stüt­zung, die sie bräuch­ten. Nach­drück­lich dis­tan­zier­ten sich al­le Red­ner auch von Frank­reich und sei­ner Rhein­land­po­li­tik und be­ton­ten statt­des­sen den fö­de­ra­ti­ven Cha­rak­ter des Lan­des, das sich lan­ge vor Grün­dung der Bun­des­re­pu­blik nach Aus­weis sei­ner Prä­am­bel be­reits als Teil ei­nes fö­de­ra­ti­ven deut­schen Staa­tes ver­stan­den ha­be. Und schlie­ß­lich kom­me dem Land Rhein­land-Pfalz ei­ne be­son­de­re Be­deu­tung im Hin­blick auf die Rück­kehr des Saar­lan­des in das deut­sche Staats­we­sen zu, da es als di­rek­ter Nach­bar zu­gleich be­son­de­rer An­sprech­part­ner für das Saar­ge­biet sei. In sei­ner kur­zen Ge­schich­te sei das Land zu ei­ner Ein­heit zu­sam­men­ge­wach­sen, die auf zahl­rei­chen Ge­mein­sam­kei­ten ba­sie­re: „Die Ge­mein­sam­keit des his­to­ri­schen Schick­sals im Ge­samt­ab­lauf un­se­rer deut­schen Ge­schich­te, die Ge­mein­sam­keit der Land­schaft, die Ge­mein­sam­keit des­sel­ben frän­ki­schen Stam­mes und der Le­bens­art der Be­woh­ner die­ses Rau­mes, die Ge­mein­sam­keit der so­zia­len, wirt­schaft­li­chen und land­wirt­schaft­li­chen Struk­tu­ren mit ih­rer Ten­denz zum bo­den­ver­wur­zel­ten Klein- und Mit­tel­be­trieb, Ge­mein­sam­kei­ten, die letzt­end­lich das Fun­da­ment da­für dar­stel­len, dass aus dem Cha­os des Zu­sam­men­bruchs ein frei­heit­li­ches de­mo­kra­ti­sches Staats­we­sen auf­ge­baut und funk­ti­ons­fä­hig ge­macht wur­de.“[39]

Wäh­rend auf der nächs­ten Sta­ti­on der Be­rei­sung, Ko­blenz, al­les er­war­tungs­ge­mäß nach Wunsch ver­lief und die dor­ti­gen Red­ner die Ver­nach­läs­si­gung der süd­li­chen Rhein­pro­vinz durch den Nor­den in den Mit­tel­punkt ih­rer Aus­füh­run­gen stell­ten, ge­stal­te­te sich die Durch­set­zung der Vor­ga­ben in Trier durch­aus schwie­ri­ger. Das Er­geb­nis war ein Kom­pro­miss: Der Trie­rer Bür­ger­meis­ter Zenz durf­te ei­ner­seits die en­gen Ver­flech­tun­gen mit dem Köl­ner Raum be­nen­nen, muss­te aber gleich­zei­tig die Dis­tanz zum rest­li­chen Nord­rhein her­aus­stel­len.[40] Auf die­se Wei­se war es mög­lich, ge­fahr­los die Ver­bun­den­heit mit Nord­rhein aus­zu­drü­cken, denn ein An­schluss nur an den Köl­ner Raum war na­tür­lich völ­lig il­lu­so­risch, so dass die Grund­rich­tung der rhein­land-pfäl­zi­schen Po­li­tik nicht tan­giert wur­de.

In der Lu­ther-Kom­mis­si­on wur­de nun laut dar­über nach­ge­dacht, dass ei­ne Wie­der­ver­ei­ni­gung der Rhein­pro­vinz und da­mit die Be­rück­sich­ti­gung die­ses viel­fach vor­ge­tra­ge­nen Wun­sches der Be­völ­ke­rung nur dann zu rea­li­sie­ren sei, wenn man das Land Nord­rhein-West­fa­len auf­lö­se und die dann wie­der­ver­ei­nig­te Rhein­pro­vinz und die Pro­vinz zu ei­ge­nen Län­dern ma­che, um nicht durch ein über­gro­ßes Nord­rhein-West­fa­len das in­ne­re Gleich­ge­wicht der Bun­des­re­pu­blik zu ge­fähr­den. Wie nicht an­ders zu er­war­ten, führ­te dies zur so­for­ti­gen Ein­stel­lung der Ar­bei­ten der Lu­ther-Kom­mis­si­on. Mit ei­nem Fe­der­strich er­klär­te Bun­des­kanz­ler Ade­nau­er die Ar­beit für be­en­det.[41] Es gä­be Wich­ti­ge­res zu tun für die jun­ge Bun­des­re­pu­blik, so die la­pi­da­re, aber nicht ganz fal­sche Er­klä­rung. Die Rück­kehr des Saar­lan­des, der Na­to-Bei­tritt der Bun­des­re­pu­blik und die Wie­der­be­waff­nung – das wa­ren die gro­ßen The­men der Zeit. We­gen Ko­blenz und Trier die Sta­bi­li­tät und Hand­lungs­fä­hig­keit der Bun­des­re­pu­blik ris­kie­ren? Das ging Kon­rad Ade­nau­er dann doch ent­schie­den zu weit.

Trotz­dem war da im­mer noch der Ver­fas­sungs­auf­trag von Ar­ti­kel 29, der auch durch die Be­en­di­gung der Ar­beit der Lu­ther-Kom­mis­si­on nicht ver­schwand und die Bun­des­re­gie­rung zum Er­lass ei­nes Ge­set­zes zur Durch­füh­rung von Volks­be­geh­ren zur Län­der­neu­glie­de­rung zwang, wenn ent­spre­chen­de An­trä­ge vor­lä­gen.[42] In Rhein­land-Pfalz la­gen kurz dar­auf gleich fünf An­trä­ge, von de­nen sich gleich zwei auf die Pfalz (An­glie­de­rung an Bay­ern und An­glie­de­rung an Ba­den), ei­ner auf Rhein­hes­sen (An­glie­de­rung an Hes­sen), ei­ner auf Mon­ta­baur (An­glie­de­rung an Hes­sen) und ei­ner er­war­tungs­ge­mäß auf Ko­blenz und Trier be­zog und die An­glie­de­rung an Nord­rhein-West­fa­len zur Ab­stim­mung stell­te.

Karikatur 'Die scheinen mir aber überreif zu sein', Ruhr-Nachrichten, 9.12.1953.

 

Es folg­te in den kom­men­den Mo­na­ten ein zum Teil er­bit­tert ge­führ­ter Wahl­kampf in Ko­blenz und Trier zwi­schen dem der Lan­des­re­gie­rung na­he­ste­hen­den und da­mit den Er­halt des Lan­des for­dern­den „Bund Rhein­land-Pfal­z“ und der „Ver­ei­ni­gung Rhein­lan­d“, der grö­ß­ten für den An­schluss an Nord­rhein-West­fa­len ein­tre­ten­den In­ter­es­sens­ver­tre­tung der Be­für­wor­ter.[43] Als am 12.5.1956 die Er­geb­nis­se be­kannt ge­ge­ben wur­den, hat­te sich ei­ne aus­rei­chen­de Mehr­heit in Ko­blenz und Trier – er­war­tungs­ge­mäß in Trier deut­li­cher als in Ko­blenz – für ei­nen An­schluss der bei­den Be­zir­ke an Nord­rhein-West­fa­len aus­ge­spro­chen, wo­bei aus­rei­chen­de Mehr­heit in die­sem Fall hei­ßt: über 10 Pro­zent der Be­völ­ke­rung.[44] Da­mit hät­ten nun ei­gent­lich die nächs­ten Schrit­te ein­ge­lei­tet wer­den müs­sen – doch er­neut wur­den die be­reits ge­nann­ten drän­gen­den na­tio­na­len wie in­ter­na­tio­na­len Pro­ble­me von weit­aus grö­ße­rer Reich­wei­te und Be­deu­tung ins Feld ge­führt, die es er­for­der­lich mach­ten, mit den nächs­ten Schritt noch et­was ab­zu­war­ten. Das Ab­war­ten dau­er­te dann bis 1975. Erst dann wur­den die ei­gent­lich vor­ge­schrie­ben Volks­ab­stim­mun­gen in den Ge­biets­tei­len, in de­nen 1956 die er­for­der­li­che Mehr­heit er­reicht wor­den war, durch­ge­führt mit dem we­nig über­ra­schen­den Er­geb­nis, dass sich nie­mand mehr für die­se Fra­ge in­ter­es­sier­te.

Zwei Flugblätter zum Volksbegehren 1956.

 

Die Tei­lung der Rhein­pro­vinz war ei­ne Ent­schei­dung der bei­den Be­sat­zungs­mäch­te Groß­bri­tan­ni­en und Frank­reich. Sie ent­sprang de­ren po­li­ti­schen Be­dürf­nis­sen und war de­ren po­li­ti­schen Zie­len ge­schul­det. Sie stieß zwar auf deut­scher Sei­te auf viel Kri­tik und noch mehr Be­dau­ern, hat­te aber letzt­lich nie ei­ne Chan­ce, rück­gän­gig ge­macht zu wer­den. Stets stan­den als wich­ti­ger und drän­gen­der emp­fun­de­ne Pro­ble­me dem im Weg. Na­he­zu 70 Jah­re spä­ter er­scheint sie aber auch als wich­ti­ge Wei­chen­stel­lung für den er­folg­rei­chen Wie­der­auf­bau ei­ner Re­gi­on durch die Grün­dung zwei­er leis­tungs­star­ker Län­der, die so sonst viel­leicht nie ent­stan­den wä­ren. Seit der Auf­he­bung der Be­sat­zungs­zo­nen­gren­ze wird die Gren­ze zwi­schen bei­den Län­dern üb­ri­gens täg­lich von Tau­sen­den von Men­schen und Gü­tern wie­der über­quert, als hät­te es sie nie ge­ge­ben.

Quellen

Brom­mer, Pe­ter, Quel­len zur Ge­schich­te von Rhein­land-Pfalz wäh­rend der fran­zö­si­schen Be­sat­zung: März 1945 bis Au­gust 1949, Mainz 1985.
Höl­scher, Wolf­gang, Nord­rhein-West­fa­len. Deut­sche Quel­len zur Ent­ste­hungs­ge­schich­te des Lan­des, Düs­sel­dorf 1988.

Literatur

Böhn, Ge­org F., Wie­der­auf­bau der Ver­wal­tung, in: Rhein­land-Pfalz ent­steht, hg. v. Franz-Jo­sef Heyen, Bop­pard 1984, S. 1- 30.
Dor­f­ey, Bea­te, Die Tei­lung der Rhein­pro­vinz und die Ver­su­che zu ih­rer Wie­der­ver­ei­ni­gung (1945-1956). Das Rhein­land zwi­schen Tra­di­ti­on und Neu­ori­en­tie­rung, Köln 1993.
Hu­de­mann, Rai­ner, Lan­des­grün­dung und Ver­fas­sung­ge­bung im Span­nungs­feld von Be­sat­zungs­macht und deut­scher Po­li­tik, in: Bei­trä­ge zu 50 Jah­ren Ge­schich­te des Lan­des Rhein­land-Pfalz, Ko­blenz 1997, S. 61-88.
Küp­pers, Hein­rich, Staats­auf­bau zwi­schen Bruch und Tra­di­ti­on. Ge­schich­te des Lan­des Rhein­land-Pfalz 1946-1955, Mainz 1990.
Ro­meyk, Horst, We­der Ver­grö­ße­rung noch Tei­lung. Nord­rhein-West­fa­len und die Neu­glie­de­rung des Bun­des­ge­bie­tes, in: Ge­schich­te im Wes­ten 4 (1988), S. 216-232.
Sprin­g­o­rum, Ul­rich, Ent­ste­hung und Auf­bau der Ver­wal­tung in Rhein­land-Pfalz nach dem 2. Welt­krieg (1945-1947), Ber­lin 1982. 

Amtliche Bekanntmachung der Stadt Ludwigshafen über die Auslage von Eintragungslisten zum Volksbegehren, Plakat, 1956.

 
Anmerkungen
Zitationshinweis

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Dorfey, Beate, Eine Rheinprovinz, zwei Länder und die Frage der Länderneugliederung nach 1945, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/Themen/eine-rheinprovinz-zwei-laender-und-die-frage-der-laenderneugliederung-nach-1945/DE-2086/lido/5acb422626fb41.78727119 (abgerufen am 29.03.2024)