Saarbrücken im Ersten Weltkrieg

Peter Burg (Münster)

Erbauungsschrift, herausgegeben vom Bistum Trier 1914/1915. (Bildarchiv des Historisches Museums Saar)

1. Einleitung

Als der Ers­te Welt­krieg aus­brach, be­sa­ß Saar­brü­cken  ­ge­ra­de ein­mal fünf Jah­re den Sta­tus ei­ner Groß­stadt. Grund­la­ge da­für war die Ver­ei­ni­gung der drei bis da­hin selbst­stän­di­gen Städ­te Saar­brü­cken, St. Jo­hann und Mal­statt-Bur­bach durch ei­nen Ver­trag, der mit Wir­kung vom 1.4.1909 in Kraft trat. Die Ein­woh­ner­zahl der neu­en Stadt Saar­brü­cken, die den Na­men der frü­he­ren Re­si­denz­stadt (fort­an Alt-Saar­brü­cken) über­nahm, be­lief sich auf rund 105.000 und war da­mit die fünft­grö­ß­te links­rhei­ni­sche deut­sche Groß­stadt und ei­ne der 50 Groß­städ­te mit mehr als 100.000 Ein­woh­nern im Deut­schen Reich. Zum Bür­ger­meis­ter (ab 1910 mit dem Ti­tel Ober­bür­ger­meis­ter) wur­de der aus Wies­ba­den stam­men­de Ju­rist Emil Man­gold (1867-1945) ge­wählt. Wie sei­ne un­mit­tel­ba­ren Amts­vor­gän­ger stamm­te er nicht aus der orts­an­säs­si­gen Be­völ­ke­rung. Ei­ne ‚im­por­tier­te Bü­ro­kra­tie‘ war in der Rhein­pro­vinz gang und gä­be. Man­gold blieb bis zu Be­ginn der Völ­ker­bund­zeit im März 1919 im Amt. Sei­ne zehn­jäh­ri­ge Amts­zeit ver­teil­te sich je zur Hälf­te auf Frie­dens- und Kriegs­jah­re. Er wur­de nach Kriegs­en­de von der fran­zö­si­schen Mi­li­tär­ver­wal­tung ent­las­sen und im April 1919 aus dem Saar­ge­biet aus­ge­wie­sen. Ab 1929 leb­te er mit sei­ner Fa­mi­lie in Kas­sel, wo er 1945 ver­starb.

 

2. Militär und städtische Gesellschaft

Man­gold traf in Saar­brü­cken ei­ne städ­ti­sche Ge­sell­schaft an, in der das Mi­li­tä­ri­sche ei­nen ho­hen Stel­len­wert be­saß. Die­ses ge­wann nicht nur ideo­lo­gisch, son­dern auch rea­li­ter an Be­deu­tung, denn die preu­ßi­sche Re­gie­rung bau­te hier sei­ne Ver­tei­di­gung ge­gen po­ten­ti­el­le An­grif­fe aus dem Wes­ten aus. Die 1912 er­folg­te Ein­rich­tung des stell­ver­tre­ten­den Ge­ne­ral­kom­man­dos des 21. Ar­mee­korps in Saar­brü­cken wer­te­te die Stadt in ih­rer Be­deu­tung auf und brach­te ei­nen Pres­ti­ge­ge­winn. Sie stell­te ei­ne Etap­pe und ei­nen Bau­stein auf dem Weg zur Lan­des­haupt­stadt dar. Sol­da­ten ge­hör­ten zum Stadt­bild, ins­be­son­de­re in den äl­te­ren Stadt­tei­len. In Alt-Saar­brü­cken war ein In­fan­te­rie­re­gi­ment sta­tio­niert, in St. Jo­hann be­fand sich ein Ula­nen­quar­tier auf und in St. Ar­nu­al die Un­ter­kunft von Ar­til­le­ris­ten. Im Jah­re 1913 er­hiel­ten die Ula­nen auf dem Schloss­platz zur Er­in­ne­rung an ih­re Leis­tun­gen im Krieg 1870/1871 ein ei­ge­nes Denk­mal. Zu die­sem Zeit­punkt, ein Jahr vor Kriegs­aus­bruch, glie­der­te sich das Saar­brü­cker Mi­li­tär in 171 Of­fi­zie­re, 104 Mi­li­tär­be­am­te, 601 Un­ter­of­fi­zie­re, 3.553 Ge­mei­ne, de­nen 2.159 Mi­li­tär­pfer­de zur Ver­fü­gung stan­den.

Offiziersfrauen aus Saarbrücken besuchen ihre Ehemänner im Feldlager der 3. Eskadron des 7. Ulanen-Regiments, Juli 1914. (Bildarchiv des Historisches Museums Saar)

 

Sol­da­ten und Of­fi­zie­re führ­ten kein Le­ben im Ghet­to, son­dern gin­gen ei­ne Sym­bio­se mit der städ­ti­schen Be­völ­ke­rung ein. Ge­mein­sam er­leb­ten sie den Zap­fen­streich auf dem Lud­wigs­platz; Mi­li­tär­kon­zer­te auf dem Neu­markt, im Lud­wigs­park oder im Volks­gar­ten er­freu­ten sich gro­ßer Be­liebt­heit und zo­gen die Mas­sen an. Zi­vi­lis­ten mar­schier­ten bei Um­zü­gen hin­ter Ula­nen- und Dra­go­n­er­ka­pel­len durch die Stadt. Bei­de ge­sell­schaft­li­chen Grup­pen tra­fen sich in den Ver­samm­lun­gen der zahl­rei­chen Krie­ger- und Sol­da­ten­ver­ei­ne und bei der Be­er­di­gung ei­nes Ka­me­ra­den. In der ex­klu­si­ven Ca­si­no­ge­sell­schaft be­geg­ne­ten sich die städ­ti­sche und die mi­li­tä­ri­sche Eli­te bei ge­mein­sa­men Es­sen und zur Pfle­ge von Ge­sel­lig­keit und Kon­ver­sa­ti­on. Kriegs­ve­te­ra­nen wur­den zu Vor­trä­gen vor Schul­klas­sen ein­ge­la­den. Ge­mein­sa­me Sonn­tags­aus­flü­ge führ­ten zu Stät­ten der Er­in­ne­rung, zu na­tio­na­len Denk­mä­lern und zu he­roi­sier­ten Schlacht­fel­dern wie dem Spi­che­rer Berg vor den To­ren der Stadt, der zur tou­ris­ti­schen Haupt­at­trak­ti­on ge­wor­den war. Das war der „Geist von 1914“ (Rein­hard Rü­rup), der beim Aus­bruch des Ers­ten Welt­krie­ges herrsch­te.

Artilleriekaserne auf dem Wackenberg in Saarbrücken kurz nach dem Bau, 1913. (Bildarchiv des Historisches Museums Saar)

 

3. Das Augusterlebnis

Der Mi­li­ta­ri­sie­rung des Den­kens im Wil­hel­mi­ni­schen Na­tio­na­lis­mus schlug sich in der Auf­nah­me der kai­ser­li­chen Kriegs­er­klä­rung an Russ­land am 1.8.1914 nie­der, die den Auf­takt zu ei­nem Welt­krieg mit 17 Mil­lio­nen To­ten bil­de­te. Ein kol­lek­ti­ver Ju­bel do­mi­nier­te über al­le Be­den­ken. Am 1.8.1914 ver­sam­mel­ten sich vor der dem Ver­lags­haus der Saar­brü­cker Zei­tung meh­re­re 1.000 Bür­ger in der Er­war­tung der neu­es­ten Nach­rich­ten aus Ber­lin. Nach dem Be­ginn des ös­ter­rei­chisch-ser­bi­schen Krie­ges, den das At­ten­tat vom 28.6.1914 auf den Kron­prin­zen Franz Fer­di­nand und sei­ne Ehe­frau aus­lös­te, und die rus­si­sche Ge­ne­ral­mo­bil­ma­chung vom 30. Ju­li sah sich die deut­sche Re­gie­rung in ei­nem Zug­zwang. Um 17.45 Uhr wur­de die Ent­schei­dung, die deut­sche Kriegs­er­klä­rung an Russ­land be­kannt ge­ge­ben. Die ers­te Re­ak­ti­on der Zu­schau­er war ein erns­tes Schwei­gen, dann folg­ten ein Hoch auf Deutsch­land und be­geis­ter­ter Ju­bel.

Bin­nen we­ni­ger Ta­ge brei­te­te sich der Krieg in Eu­ro­pa wie ein Flä­chen­brand aus: Deutsch­land er­klär­te Frank­reich den Krieg und be­zog Bel­gi­en in den Kon­flikt ein, Groß­bri­tan­ni­en trat mit ei­ner Kriegs­er­klä­rung an Deutsch­land in das kon­ti­nen­ta­le Rin­gen ein. Die Saar­brü­cker Be­völ­ke­rung war sich durch­aus be­wusst, dass har­te Zei­ten auf sie zu­kom­men wür­den. An­ge­sichts der sich zu­spit­zen­den in­ter­na­tio­na­len La­ge hat­ten sie sich schon im Ju­li auf die All­tags­pro­ble­me des Krie­ges ein­ge­stellt. In den Spar­kas­sen stan­den die Men­schen Schlan­ge, um Geld ab­zu­he­ben, ein Run auf die Le­bens­mit­tel­ge­schäf­te führ­te zum Leer­kauf der Re­ga­le. Die Men­schen deck­ten sich vor al­lem mit lang halt­ba­ren Le­bens­mit­tel ein: Reis, Erb­sen, Lin­sen und Mehl. In­fol­ge der star­ken Nach­fra­ge stie­gen die Wa­ren­prei­se schlag­ar­tig.

Text der Ansprache von Kaiser Wilhelm II 'An das deutsche Volk' vom 4. August 1914.

 

Wo­chen­lang be­glei­te­te der Ju­bel der Men­schen die an die West­front zie­hen­den Trup­pen. Sie wur­den mit Ge­schen­ken der un­ter­schied­lichs­ten Art, so ge­nann­ten ‚Lie­bes­ga­ben‘ über­häuft. In­fol­ge der Hoch­stim­mung mel­de­ten sich jun­ge Män­ner scha­ren­wei­se zum Ein­satz an der Front. Der An­drang der Frei­wil­li­gen war in Saar­brü­cken so groß, dass das In­fan­te­rie­re­gi­ment Nr. 70 be­reits we­ni­ge Ta­ge nach Kriegs­aus­bruch, am 5.8.1914 kei­ne wei­te­ren Mel­dun­gen mehr ent­ge­gen nahm. Der Geist des Über­schwangs er­fass­te vor al­lem das Bil­dungs­bür­ger­tum, das sich von ei­ner Auf­bruch­stim­mung tra­gen ließ. Es hoff­te auf ei­nen Ab­bau alt­über­kom­me­ner tra­di­tio­nel­ler stän­di­scher Schran­ken.

In­tel­lek­tu­el­le, Schrift­stel­ler, Jour­na­lis­ten ar­ti­ku­lier­ten öf­fent­lich ih­re Be­geis­te­rung. Mit sei­nem ho­hen bür­ger­li­chen An­teil re­agier­ten die Saar­brü­cker of­fen­si­ver als die Men­schen der Ar­bei­ter­städ­te und auch die bäu­er­li­che Be­völ­ke­rung auf dem Lan­de. Die Er­war­tung ei­ner neu­en Zeit und Ge­sell­schaft er­fass­te auch Grup­pen, die im Wil­hel­mi­ni­schen Reich als in­ne­re Fein­de gal­ten. So­zi­al­de­mo­kra­ten und Ju­den such­ten an­ge­sichts der gro­ßen mi­li­tä­ri­schen Be­dro­hung zu be­wei­sen, dass sie „von ech­tem Pa­trio­tis­mus und Op­fer­sinn durch­glüht wa­ren“. [1]

Eisernes Kreuz vor der Saarbrücker Bergwerksdirektion, 1915.

 

4. Die Kirchen im Krieg

Na­ti­on und Mi­li­tär wur­den im Wil­hel­mi­ni­schen Reich im Kon­text des ge­stei­ger­ten Na­tio­na­lis­mus mit ei­ner re­li­giö­sen Au­ra um­ge­ben. Die kirch­li­che Ein­seg­nung der Krie­ger­denk­mä­ler war da­für sym­pto­ma­tisch. Der Se­gen der Kir­che wur­de auch bei Kriegs­be­ginn er­teilt. In der Lud­wigs­kir­che fan­den sich am 1.8.1914 un­ter An­we­sen­heit des preu­ßi­schen Kron­prin­zen 2.000 Men­schen ein. Der evan­ge­li­sche Pfar­rer Ju­li­us Ebe­ling sprach von zwei See­len, die in der mensch­li­chen Brust in Kon­flikt la­gen: „Die ei­ne weint um un­se­re Män­ner, Söh­ne, Brü­der, aber die an­de­re jauchzt und ist stolz, auf dem Al­tar des Va­ter­lan­des op­fern zu dür­fen.“ Der Kriegs­be­ginn be­wirk­te ein sprung­haf­tes An­stei­gen der Re­li­gio­si­tät, Kir­chen spra­chen schon von ei­nem „deut­schen Pfings­ten“.[2]  Wie schon lan­ge nicht mehr ström­ten die Men­schen in die Kir­chen, um die Sa­kra­men­te zu emp­fan­gen. Die­se Stim­mung blieb aber wäh­rend der lan­gen Dau­er des Krie­ges nicht be­ste­hen, son­dern ‚nor­ma­li­sier­te‘ sich.

Feldgottesdienst an der Westfront, 1915. (Bildarchiv des Historisches Museums Saar)

 

Das Ver­ständ­nis des Krie­ges als Ver­tei­di­gungs­krieg gab die­sem ei­ne mo­ra­li­sche Le­gi­ti­mie­rung und mach­te den Weg frei für ei­ne re­li­giö­se Mo­ti­va­ti­on, die al­le per­sön­li­chen Kräf­te frei­setz­te. Die Evan­ge­li­sche wie die Ka­tho­li­sche Kir­che un­ter­stütz­ten die Po­li­tik der deut­schen  Reichs­re­gie­rung in Wort und Tat. Ho­he Wür­den­trä­ger mach­ten kei­nen Hehl aus ih­rem na­tio­na­len Be­kennt­nis. Erst in den letz­ten bei­den Kriegs­jah­ren ka­men ver­ein­zelt kri­ti­sche Stim­men auf, die aber nur ei­ne sehr ver­hal­te­ne Re­so­nanz beim Kir­chen­volk her­vor­rief. Die Päps­te Pi­us X. (Pon­ti­fi­kat 1903-1914) und Be­ne­dikt XV. (Pon­ti­fi­kat 1914-1922) drück­ten zwar ih­ren „tie­fen Kum­mer“ über den un­heil­vol­len Krieg aus, doch die Stim­men aus Rom wur­den von den Mäch­ten über­hört.

Der Staat band die Kir­chen in die Or­ga­ni­sa­ti­on der Kriegs­wirt­schaft ein. Sie wa­ren an der Samm­lung von Be­klei­dungs­stü­cken und an der staat­li­chen Gold­samm­lung be­tei­ligt, war­ben auf der Kan­zel, in Ver­ei­nen und in Schu­len für die Zeich­nung von Kriegs­an­lei­hen und be­tei­lig­ten sich mit ei­ge­nen fi­nan­zi­el­len Mit­tel an der Kriegs­fi­nan­zie­rung. Der Staat konn­te auf die Kir­chen zäh­len, wenn es dar­um ging, ge­gen die auf­kom­men­de Kriegs­mü­dig­keit an­zu­ge­hen. Die na­tio­na­le Ein­bin­dung der Kir­chen über­dau­er­te den Ers­ten Welt­krieg. Der Tod von Mil­lio­nen Men­schen wur­de auch nach­träg­lich noch ver­klärt. Die Ka­tho­li­sche Kir­che be­grü­ß­te En­de 1918 die heim­keh­ren­den Sol­da­ten: „Ihr kehrt heim. Nicht als Be­sieg­te <… > Eu­er Hel­den­schild ist blank, Eu­re Eh­re un­ver­sehrt!“ Und der Prä­ses der rhei­ni­schen Pro­vin­zi­al­syn­ode, Walt­her Wolff, frag­te rhe­to­risch auf ei­ner Trau­er­fei­er 1920: „War es nicht ein für­neh­mes Ster­ben, in Sturm und Sieg, in Aus­har­ren und Zu­rück­wei­chen?“.[3] 

Papst Pius X., 1903, Original: Library of Congress.

 

5. Kriegswirtschaft

Die Be­woh­ner Saar­brü­ckens wur­den schnell mit der Kriegs­wirk­lich­keit kon­fron­tiert. Durch ih­re stra­te­gi­sche La­ge war die Stadt ei­ne wich­ti­ge Nach­schub­ba­sis für die West­front, zum zwei­ten stand sie im Zen­trum des saar­län­di­schen Mon­tan­re­viers. Der Saar­brü­cker Bahn­hof war bei Kriegs­be­ginn so­fort für den Gü­ter- und Zi­vil­ver­kehr ge­sperrt wor­den. Die Er­schwe­rung des Han­dels führ­te zu Um­satz­ein­bu­ßen, des­glei­chen der Ent­zug von Ar­beits­kräf­ten für den Dienst an der Front. En­de Au­gust 1914 mel­de­ten 112 Saar­brü­cker Fir­men, sie hät­ten 1.552 Ent­las­sun­gen vor­neh­men müs­sen. Durch die Um­stel­lung der Frie­dens- auf die Kriegs­wirt­schaft trat ei­ne An­pas­sungs­kri­se ein, bei der es Ge­win­ner und Ver­lie­rer gab. Ge­win­ner wa­ren z.B. die Stahl­bau­fir­ma Sei­bert, die sich auf Stahl­hal­len für Zep­pe­line spe­zia­li­sier­te. Er­hard & Seh­mer pro­du­zier­ten Press­gas­mi­nen­wer­fer. Die Bürs­ten­fa­brik Tia­tor stell­te Gra­nat­bürs­ten her.

Mit Ei­sen und Stahl, Koh­le und Koks lie­fer­te die In­dus­trie der Saar die wich­tigs­ten Grund­stof­fe für die deut­sche Rüs­tungs­pro­duk­ti­on. Die Krieg­s­amts­stel­len (KAST) ent­schie­den über die Wich­tig­keit ei­ner Pro­duk­ti­on. An der Saar gab es fünf Ei­sen­hüt­ten mit 31 Hoch­öfen, die 1913 1.375.000 Ton­nen Roh­ei­sen er­zeug­ten. Mit ei­ner Fer­ti­gung für das Mi­li­tär war vor der Reichs­grün­dung bis Kriegs­aus­bruch nur die Dil­lin­ger Hüt­te her­vor­ge­tre­ten, die Pan­zer­plat­ten für die deut­sche Ma­ri­ne her­stell­te.

Die Stein­koh­len­för­de­rung er­folg­te in zwölf preu­ßi­schen und in zwei baye­ri­schen Staats­gru­ben, dar­über hin­aus gab es in Preu­ßen, Bay­ern und im Reichs­land El­sass-Loth­rin­gen fünf Pri­vat­gru­ben. Die Roh­för­de­rung der staat­li­chen preu­ßi­schen Koh­len­gru­ben im Saar­brü­cker Um­land be­trug in Mil­lio­nen Ton­nen: 1913 13,1; 1914 8,6; 1915 8,3; 1917 10,0. Die Zif­fern zei­gen den kriegs­be­ding­ten Rück­gang. Bei den Saar­hüt­ten ging die Pro­duk­ti­on von Roh­ei­sen 1914/1915 ge­gen­über 1913 um 51,3 Pro­zent zu­rück, in Loth­rin­gen und Lu­xem­burg um  57,75 Pro­zent. Der An­teil der Saar­hüt­ten an der deut­schen Roh­ei­sen- be­zie­hungs­wei­se Stahl­pro­duk­ti­on re­la­ti­viert ih­re Be­deu­tung. Er be­trug bei Roh­ei­sen 6,40 Pro­zent, bei Gie­ße­rei-Roh­ei­sen 3,77 Pro­zent; bei Tho­mas-Roh­ei­sen 9,26 Pro­zent; bei Fluss­stahl 7,40 Pro­zent. Durch die Mas­sen­fer­ti­gung der End­pro­duk­te war die Saar­in­dus­trie viel­fach nur Zu­lie­fe­rer. Nach ei­ge­ner Dar­stel­lung lie­fer­te das Hüt­ten­un­ter­neh­men Röch­ling et­wa 80 bis 90 Pro­zent des Roh­ma­te­ri­als für die Stahl­hel­me der Reichs­wehr.

Papst Benedikt XV., Porträtfoto, 1915, Original: Library of Congress.

 

Die gra­vie­rends­te un­mit­tel­ba­re Fol­ge des Kriegs­aus­bruchs war ei­ne ho­he Mas­sen­ar­beits­lo­sig­keit. Sie trat ein, ob­wohl vie­le wehr- und ar­beits­fä­hi­ge Män­ner an die Front ein­be­ru­fen und zu Ver­tei­di­gungs­sar­bei­ten in Metz frei­ge­stellt wor­den wa­ren. Der Ver­lust an Ar­bei­tern hat­te ei­ne Ket­ten­wir­kung; er zwang Be­trie­be zur Schlie­ßung und das hat­te wie­der­um die Ent­las­sung der an­de­ren Ar­bei­ter zur Fol­ge. Das Hüt­ten­un­ter­neh­men Stumm in Neun­kir­chen ver­min­der­te die Be­leg­schaft von 6.000 auf 2.500, die Bur­ba­cher Hüt­te von 5.000 auf 1.000, die Dil­lin­ger Hüt­te von 6500 auf 3.000 und die Hal­ber­ger Hüt­te von 4.500 auf 1.500. Die Pro­duk­ti­on der staat­li­chen Gru­ben be­lief sich in die­sen ers­ten Kriegs­mo­na­ten auf 15 Pro­zent der nor­ma­len För­de­rung, die Be­leg­schaft muss­te von 52.000 auf 14.000 Mann zu­rück­ge­fah­ren wer­den.

Haupt­grund der Ar­beits­lo­sig­keit war die Un­ter­bre­chung des Gü­ter­ver­kehrs, vor al­lem der Erz­zu­fuhr, zu Guns­ten der Mi­li­tär­trans­por­te. Von den Ent­las­sun­gen wa­ren in ers­ter Li­nie die Frau­en be­trof­fen. Täg­lich mel­de­ten sich hun­der­te von Ar­beits­lo­sen zur Ver­mitt­lung und such­ten ei­ne Be­schäf­ti­gung et­wa bei Ern­tear­bei­ten. Der Land­kreis und die Stadt Saar­brü­cken lit­ten am stärks­ten un­ter der An­pas­sungs­kri­se, da sich hier die gro­ß­in­dus­tri­el­len Be­trie­be kon­zen­trier­ten und die Sper­rung des zi­vi­len Per­so­nen- und Gü­ter­ver­kehrs am Ver­kehrs­kno­ten­punkt be­son­ders aus­wirk­te. Mit­te Sep­tem­ber  wur­den die Be­schrän­kun­gen für den zi­vi­len Ver­kehr je­doch grö­ß­ten­teils auf­ge­ho­ben und Mit­te Ok­to­ber ver­mehr­ten sich die Hee­res­auf­trä­ge an die Saar­in­dus­trie. Die La­ge am Ar­beits­markt ent­spann­te sich da­durch wie­der. 

Erbeutete französische Kanonen aus der Schlacht von Lagarde/Lothringen auf dem Saarbrücker Neumarkt, Ende August 1914. (Landesarchiv Saar)

 

Die zum Mi­li­tär­dienst ein­ge­zo­ge­nen Sol­da­ten, die als Ar­beits­kräf­te aus­fie­len, wur­den im wei­te­ren Ver­lauf des Krie­ges zum Teil durch Kriegs­ge­fan­ge­ne er­setzt. Im Ers­ten Welt­krieg gab es in Deutsch­land rund 2,5 Mil­lio­nen Kriegs­ge­fan­ge­ne. Am 10.10.1918 be­fan­den sich im west­li­chen Preu­ßen 25.032 Rus­sen, 2.926 Ita­lie­ner, 203 Eng­län­der, 121 Fran­zo­sen, 286 An­ge­hö­ri­ger an­de­rer Na­tio­nen. 96 eng­li­sche Of­fi­zie­re wur­den in Saar­brü­cken fest­ge­hal­ten. Schwer­punk­te der Be­schäf­ti­gung von Kriegs­ge­fan­ge­nen wa­ren Berg­bau und Hüt­ten­in­dus­trie, da­ne­ben Land- und Forst­wirt­schaft. Auf der bei Saar­brü­cken ge­le­ge­nen Ko­ke­rei Hei­nitz wa­ren zum Bei­spiel am 22.3.1915 50 Rus­sen be­schäf­tigt. 1916 er­folg­te ei­ne Be­darfs­mel­dung der Berg­werks­di­rek­ti­on, die ei­ne Er­hö­hung der ar­beits­fä­hi­gen Kriegs­ge­fan­ge­nen von  3.500 auf 7.000 für er­for­der­lich hielt. Am Jah­res­en­de be­schäf­tig­te der Saar­berg­bau 6.500 Ge­fan­ge­ne. Die Mi­li­tär­ver­wal­tung leg­te Wert dar­auf, dass die Aus­nut­zung der Ar­beits­kraft hu­ma­ni­tä­re Gren­zen nicht über­schritt. Das war ein we­sent­li­cher Un­ter­schied zur to­ta­len Ver­skla­vung der Zwangs­ar­bei­ter im Drit­ten Reich.

Bombentrichter in Saarbrücken, August 1915.

 

6. Lebensmittelversorgung

Die Ver­sor­gung des saar­län­di­schen Bal­lungs­rau­mes mit Le­bens­mit­teln war schon in Frie­dens­zei­ten schwie­rig. Das In­dus­trie­ge­biet zähl­te zu den Reichs­tei­len, de­nen im Ju­li 1914 aus dem Aus­land be­schaff­tes Ge­trei­de zu­ge­wie­sen wur­de, um die Er­näh­rung wäh­rend der ers­ten Kriegs­wo­chen si­cher­zu­stel­len. En­de Ju­li 1914 er­folg­te ei­ne Be­stands­auf­nah­me der Vor­rä­te an Vieh, Fut­ter- und Le­bens­mit­teln. Von Kriegs­be­ginn an grif­fen die Be­hör­den re­gu­lie­rend in die Ver­sor­gungs­ver­hält­nis­se ein. Die Land­rä­te setz­ten Höchst­prei­se für die wich­tigs­ten Le­bens­mit­tel fest.

Auch be­müh­ten sich die saar­län­di­schen Krei­se und die Stadt Saar­brü­cken um ei­ne Vor­rats­hal­tung, be­schaff­ten Le­bens­mit­tel, ins­be­son­de­re Mehl und Kar­tof­feln, um sie zum Selbst­kos­ten­preis ab­zu­ge­ben. Al­ler­dings tra­ten Ein­käu­fer des Hee­res in den länd­li­chen Ge­bie­ten der Krei­se St. Wen­del und Saar­louis zu den Le­bens- und Fut­ter­mit­tel­be­schaf­fern der Kom­mu­nal­ver­bän­de in Kon­kur­renz, was die Prei­se hoch trieb.

Gleich­zei­tig mit der kom­mu­na­len Da­seins­für­sor­ge be­gann das eh­ren­amt­li­che En­ga­ge­ment zur Ver­sor­gung der be­dürf­ti­gen Be­völ­ke­rung. Be­reits im Au­gust 1914 er­rich­te­ten die Frau­en­ver­ei­ne in Saar­brü­cken vier Volks­kü­chen. Die­se wur­den zu ei­ner Dau­er­ein­rich­tung. In ers­ter Li­nie dien­ten die 1914 von der Stadt ein­ge­rich­te­ten Le­bens­mit­tel­la­ger der Ver­sor­gung eben die­ser Kü­chen, die zwi­schen dem 15. Au­gust und dem 30.11.1914 be­reits 448.000 Es­sens­ra­tio­nen zu je ei­nem Li­ter aus­teil­ten. 

Durch die Knapp­heit der le­bens­not­wen­di­gen Gü­ter und die Fest­set­zung von Höchst­prei­sen wur­den Schleich­han­del und Schwar­zer Markt zu ei­ner Dau­e­r­er­schei­nung des Krie­ges. Im preu­ßi­schen Teil des Saar­ge­bie­tes wa­ren die Prei­se hö­her als in der be­nach­bar­ten baye­ri­schen Pfalz. Der Un­ter­schied stell­te ei­ne Ein­la­dung zum Schmug­gel dar. Die Prei­se bei nicht zen­tral be­wirt­schaf­te­ten Le­bens­mit­teln la­gen ein Jahr nach Kriegs­aus­bruch durch­weg 100 Pro­zent über de­nen vom Ju­li 1914. Die Ver­diens­te konn­ten mit den Preis­stei­ge­run­gen nicht mit­hal­ten.  Die Kauf­kraft wur­de im Krieg ein­schnei­dend ge­rin­ger, was vor al­lem die Be­zie­her von fes­ten Ge­häl­tern traf, Rent­ner und ver­wit­we­te Frau­en, klei­ne An­ge­stell­te und Be­am­te.

Der Be­zug land­wirt­schaft­li­cher Pro­duk­te aus Nach­bar­re­gio­nen ver­lief nicht rei­bungs­los. Die reichs­wei­te Le­bens­mit­tel­knapp­heit er­for­der­te über­re­gio­na­le Maß­nah­men und Re­ge­lun­gen. Mit der wach­sen­den Man­gel­ver­wal­tung nah­men je­doch auch die Pro­ble­me ei­ner Kom­pe­tenz­ab­gren­zung der Be­hör­den zu.  In Saar­brü­cken kam es am 8.11.1915 zur Grün­dung von Le­bens­mit­te­läm­tern, um die Ver­tei­lungs- und Zu­stän­dig­keits­pro­ble­me ad­mi­nis­tra­tiv bes­ser in den Griff zu be­kom­men. Es er­folg­ten Ab­spra­chen mit re­gio­na­len Ver­bän­den und Reichs­äm­tern. Für Schwer­ar­bei­ter wa­ren Son­der­re­ge­lun­gen zu be­ach­ten. Die Ver­pfle­gung der  Berg- und Hüt­ten­ar­bei­ter des Saar­re­viers er­folg­te gro­ßen­teils auf der Ba­sis ei­ner Selbst­ver­wal­tung. Die Son­der­stel­lung er­klärt sich zum Teil aus ih­rer Be­deu­tung für den Krieg, zum Teil aus ih­rer ge­wach­se­nen gu­ten Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on. Die wö­chent­li­che Brot­zu­tei­lung für Berg­leu­te war mit zehn Pfund mehr als dop­pelt so hoch wie die durch­schnitt­li­che. Berg­leu­te mit ei­nem land­wirt­schaft­li­chen Ne­ben­be­trieb, auf dem Lan­de die Re­gel, wur­den mit Fut­ter­mit­teln und Kunst­dün­gern aus den Be­stän­den der Berg­werks­di­rek­ti­on be­lie­fert. Ih­re Pri­vi­le­gie­rung wur­de von der üb­ri­gen Ge­sell­schaft arg­wöh­nisch re­gis­triert.

Bekanntmachung über die Ausgabe von Brotkarten, 1916. (Landesarchiv Saar)

 

Den Kom­mu­nal­ver­bän­den fiel in Be­zug auf die Ver­wal­tung der Ge­trei­de­vor­rä­te die Ver­tei­lung von Mehl an Bä­cker und die Über­wa­chung des Brot­ba­ckens und Brot­ver­brauchs zu. Da­zu wur­den bis März 1915 Brot­kar­ten ein­ge­führt. Seit dem Spät­herbst 1914 wur­de das Brot in der Stadt Saar­brü­cken aus den ei­ge­nen Mehl­be­stän­den in ei­ner an­ge­mie­te­ten Bä­cke­rei her­ge­stellt. Es be­stand nur noch zu  40 Pro­zent aus Wei­zen­mehl, an­sons­ten aus  Rog­gen­mehl, seit dem 1.12.1914 wa­ren 15 Pro­zent fri­sche Kar­tof­feln bei­ge­mischt. An­fang Ja­nu­ar 1915 wur­de ei­ne min­des­tens zehn­pro­zen­ti­ge Kar­tof­fel­bei­ga­be beim Brot­ba­cken ver­ord­net. Kar­tof­feln ge­hör­ten al­ler­dings sehr schnell zu den knap­pen Gü­tern. Pro Per­son und Wo­che wur­den vier Pfund die­ses Misch­brots zu­ge­teilt. Ge­gen Kriegs­en­de stieg der Zu­satz von Kar­tof­feln, die Mehl­mi­schung be­stand nur noch aus Rog­gen und Gers­te, teils aus Mais. Ein Brot von 1.750 Gramm be­stand zu 1.150 Gramm aus Mehl, al­so zu 65 Pro­zent.

Weil die Kar­tof­fel­be­stän­de reichs­weit dras­tisch zu­rück­gin­gen, wur­de im Früh­jahr 1915 ei­ne Reichs­kar­tof­fel­stel­le ge­grün­det. Die Kom­mu­nal­ver­bän­de er­hiel­ten Quo­ten aus Lie­fer­ge­bie­ten zu­ge­wie­sen. Da­durch, dass Saar­brü­cken im Mai 1915 in­fol­ge ei­ner Fehl­kal­ku­la­ti­on auf zen­tra­le Zu­wei­sun­gen ver­zich­tet hat­te, trat im Ju­li 1915 ein Kar­tof­fel­not­stand ein. Im April 1916 wa­ren über­haupt kei­ne Kar­tof­feln mehr zu be­kom­men. Deutsch­land steu­er­te 1916/1917 auf die schlimms­te Ver­sor­gungs­kri­se der Kriegs­jah­re zu, die Fäu­le bei den Win­ter­kar­tof­feln ver­nich­te­te die Ern­te. Die Käl­te­pe­ri­ode dau­er­te län­ger als üb­lich. Im Ok­to­ber 1916 stan­den in Saar­brü­cken nur noch sie­ben Pfund Kar­tof­feln pro Per­son wö­chent­lich zur Ver­fü­gung. Weiß- und Rot­kraut so­wie Möh­ren dien­ten als Er­satz, da­zu Kohl- oder Steck­rü­ben. Statt der vor­ge­se­he­nen 406.000 Zent­ner Kar­tof­feln für den Zeit­raum vom 15.8.1916 bis zum 15.4.1917 stan­den 211.300 zur Ver­fü­gung.

Die Stadt be­stell­te zur Mil­de­rung des Er­näh­rungs­not­stan­des 80.000 Zent­ner Steck­rü­ben, er­hielt aber nur 8.000. Im Au­gust 1917 er­folg­te dann ei­ne reich­li­che, aber sehr ver­teu­er­te Zu­fuhr von Kar­tof­feln. Die  Prei­se führ­ten im Sep­tem­ber 1917 im Raum Neun­kir­chen/Sulz­bach zu ei­nem Mas­sen­streik von 20.000 Berg­leu­ten. Die ka­ta­stro­pha­le Er­näh­rung ging an die Sub­stanz der Leis­tungs­fä­hig­keit der Men­schen. Durch die man­gel­haf­te Er­näh­rung wa­ren bei Krank­hei­ten wie Tu­ber­ku­lo­se, Lun­gen­ent­zün­dung und In­flu­en­za schwe­re Schä­den zu be­fürch­ten. Die Kran­ken brauch­ten ei­ne län­ge­re Ge­ne­sungs­zeit, äl­te­re Men­schen er­lit­ten ei­nen Kräf­te­ver­fall mit viel­fach töd­li­chem Aus­gang. Bei Frau­en tra­ten in Fol­ge der Über­an­stren­gun­gen kör­per­li­cher und psy­chi­scher Art ver­mehrt Blut­ar­mut und Ner­ven­schwä­che auf.

Bekanntmachung über die Ausgabe von Brotkarten, 1916. (Landesarchiv Saar)

 

Ab Ju­li 1915 be­müh­te sich Saar­brü­cken um ei­ne Ver­bes­se­rung der Fleisch­ver­sor­gung. Hier­bei kam der Stadt ei­ne Mi­li­tär­be­hör­de, die Stel­le des Kriegs­aus­schus­ses für Kon­su­min­ter­es­sen, zu Hil­fe. Sie mach­te den Ober­bür­ger­meis­ter Man­gold dar­auf auf­merk­sam, dass St. Ing­bert schon seit März 1915 Ab­fäl­le der Etap­pen­schläch­te­rei­en der Ar­mee­ab­tei­lung Fal­ken­hau­sen im loth­rin­gi­schen Saar­burg und Mör­chin­gen be­zog. Saar­brü­cken wur­de in die Ver­sor­gung ein­be­zo­gen und konn­te bis 1917 so­gar die Be­lie­fe­rung an­de­rer Ge­mein­den ver­mit­teln. Dann nahm das Mi­li­tär das Fleisch für ei­ge­ne Zwe­cke in An­spruch. Die von der Kom­mu­nal­ver­wal­tung fest­ge­leg­ten Ra­tio­nen fie­len vom Au­gust 1917 bis zum Som­mer 1918 bei Fleisch von 200 Gramm auf 120 Gramm und bei Wurst von 100 Gramm auf 30 Gramm. Die Stadt grün­de­te ei­ge­ne Fleisch­fa­bri­ken und för­der­te die Pro­duk­ti­on von Nähr­he­fe als Flei­scher­satz. Ab Früh­jahr 1917 wur­de mit der Ein­kaufs­ge­sell­schaft Rhein-Mo­sel wie­der ein neu­er Fleischlie­fe­rant ge­won­nen.

Hilf­reich er­wies sich die An­we­sen­heit des stell­ver­tre­ten­den Ge­ne­ral­kom­man­dos des 21. Ar­mee­korps. Dank des­sen Hil­fe konn­ten im Som­mer 1916 13.000 Li­ter Milch aus Loth­rin­gen be­zo­gen wer­den. Im April 1916 litt die Stadt un­ter dem Man­gel an But­ter und Fett. In­fol­ge der schlech­ten Milch­ver­sor­gung ka­men bald nur noch Klein­kin­der und Schwer­kran­ke in den Ge­nuss von täg­li­chen Zu­tei­lun­gen. Die Ver­sor­gung mit Fett, Milch und Milch­er­zeug­nis­sen war ei­ne der ers­ten For­de­run­gen des Saar­brü­cker Kreis­arz­tes, die die­ser nach Kriegs­en­de der fran­zö­si­schen Be­sat­zungs­macht vor­trug.

Rot-Kreuz-Station in Saarbrücken, 1916. (Landesarchiv Saar)

 

7. Die Heimatfront

Die Saar­re­gi­on blieb im Ers­ten Welt­krieg stets mehr als 50 Ki­lo­me­ter von der Front ent­fernt, doch der All­tag rück­te den Krieg all­ge­gen­wär­tig ins Be­wusst­sein. Ei­nen mi­li­tä­ri­schen Be­zug wie­sen die Schau­fens­ter­de­ko­ra­tio­nen auf, Schü­ler mit Sam­mel­büch­sen ap­pel­lier­ten auf den Stra­ßen an die Spen­den­be­reit­schaft zur Un­ter­stüt­zung der Front­sol­da­ten, auf der Post sta­pel­ten sich für Sol­da­ten be­stimm­te Pa­ke­te, Kriegs­kü­chen ver­teil­ten Es­sen an die Men­ge der Be­dürf­ti­gen, La­za­ret­te wa­ren vol­ler Ver­wun­de­ter, In­va­li­den und Kriegs­ver­sehr­te be­geg­ne­ten al­lent­hal­ben, des­glei­chen in Schwarz ge­klei­de­te Krie­ger­wit­wen. Das war das Bild im Schei­tel­punkt des Krie­ges. Am An­fang hat al­les an­ders aus­ge­se­hen.

Beim Aus­zug der hei­mi­schen Re­gi­men­ter in Rich­tung Metz wur­den ent­lang der Saar­brü­cker Vor­stadt­stra­ße Ti­sche mit Er­fri­schun­gen für die Sol­da­ten auf­ge­stellt, an den Bahn­hö­fen die durch­rei­sen­den Trup­pen mit Le­bens­mit­teln und Ta­bak über­häuft. Die Saar­brü­cker Stadt­ver­ord­ne­ten­ver­samm­lung be­wil­lig­te für die zwei­te Kriegs­weih­nacht im Jah­re 1915 15.000 Mark für Lie­bes­ga­ben, 3.000 Mark für war­me Woll­sa­chen. In Klas­sen­räu­men und Wohn­stu­ben strick­ten Frau­en und Mäd­chen un­er­müd­lich. Ein re­ger Brief­wech­sel herrsch­te zwi­schen der Front und der Hei­mat. Die von der Front ein­ge­gan­ge­nen Dank­schrei­ben wur­den stolz ver­brei­tet. Ge­le­gent­lich war die Mas­sen­wohl­tä­tig­keit rich­tungs­los und ging an den Be­dürf­nis­sen vor­bei. Das al­les wan­del­te sich mit der wach­sen­den Not­la­ge an der Front wie in der Hei­mat.

Wäscheabteilung des Zentral-Depots für Liebesgaben in der Saarbrücker Bergschule.

 

Die Er­fas­sung und Aus­nut­zung al­ler Res­sour­cen wur­de zu ei­ner bit­te­ren Not­wen­dig­keit. Sym­pto­ma­tisch ist ein An­schlag mit dem Wort­laut: „Sam­melt Obst­ker­ne zur  Öl­ge­win­nung! Je­der Kern ist wich­tig! Je­der samm­le!“.[4]  Aus spon­ta­nen Lie­bes­ga­ben wur­de ei­ne to­ta­le Er­satz­stoff- und Wie­der­ver­wer­tungs­ge­sell­schaft. Or­ga­ni­sa­to­ren wa­ren vor al­lem die Frau­en­ver­ei­ne und die Schul­be­hör­den. Schu­len wur­den im Lau­fe des Krie­ges zu­neh­mend mit Hilfs­diens­ten be­las­tet. Be­reits an der „Reichs­woll­wo­che“ im Ja­nu­ar 1915, die ein „sehr gu­tes Re­sul­ta­t“ in Saar­brü­cken zei­tig­te, war die äl­te­re Schul­ju­gend be­tei­ligt. Woll­sa­chen wur­den in den städ­ti­schen Turn­hal­len auf Ver­an­las­sung des Va­ter­län­di­schen Frau­en­ver­eins von Krie­ger­frau­en ge­gen Lohn zu De­cken, Wes­ten und an­de­ren Ar­ti­keln für den Hee­res­be­darf um­ge­ar­bei­tet. Zur Ko­or­di­nie­rung war in der Fürs­ten­stra­ße im Ju­ni 1917 ei­ne zen­tra­le Sam­mel­stel­le ein­ge­rich­tet wor­den, der im Kreis Saar­brü­cken 63 Orts­tei­le an­ge­glie­dert wa­ren. Obst­ker­ne, Laub, Wild­ge­mü­se, Wald­früch­te, Haa­re, Gum­mi, Kno­chen und Alt­wa­ren wur­den auf die­sem We­ge ge­sam­melt. In der Saar­brü­cker Sam­mel­stel­le la­ger­ten im No­vem­ber 1917 un­ter an­de­rem cir­ca 200 Zent­ner Ei­cheln, 400 Ki­lo­gramm Tee­blät­ter, 200 Zent­ner Kas­ta­ni­en und ein mit Brenn­nes­sels­ten­geln ge­füll­ter Wag­gon.

In ei­nem Ab­wärts­trend be­fand sich im Lau­fe der Jah­re der Zu­spruch der Be­völ­ke­rung zur Zeich­nung von Kriegs­an­lei­hen, zu der die Re­gie­rung in Ber­lin erst­mals im Herbst 1914 auf­rief. Sie spann­te zur Wer­bung al­le Staats­die­ner ein, ins­be­son­de­re die Leh­rer, die mit der brei­ten Be­völ­ke­rung in stän­di­ger Be­rüh­rung stan­den, die Ver­hält­nis­se vor Ort kann­ten und die Schü­ler als Mul­ti­pli­ka­to­ren ein­setz­ten. In der Saar­brü­cker Ober­re­al­schu­le war­ben 278 Schü­ler 41.600 Mark ein, ein Er­folg, der am 25.9.1914 im kai­ser­li­chen Auf­trag ge­fei­ert wur­de. Im Ja­nu­ar 1917 wur­de ein „Aus­schuss für Auf­klä­rungs­ar­beit für Kriegs­an­lei­hen in Saar­brü­cken“ un­ter Vor­sitz des Ober­bür­ger­meis­ters Man­gold ge­grün­det, der mit al­len Mit­teln ei­ne er­folg­rei­che Zeich­nung er­rei­chen woll­te. Im Zu­sam­men­hang mit der Zeich­nung der neun­ten Kriegs­an­lei­he, üb­ten die Be­hör­den mas­si­ven Druck aus, um das mitt­ler­wei­le un­be­lieb­te In­stru­ment der Kriegs­fi­nan­zie­rung  z­um Er­folg zu füh­ren.

Mit ver­gleich­bar star­ker In­ten­si­tät be­trieb die Re­gie­rung die Gold­samm­lun­gen, im Mai 1915 un­ter dem Mot­to „Va­ter­lands­dan­k“. An der Or­ga­ni­sa­ti­on be­tei­lig­ten sich die Stadt­ver­wal­tung, die Saar­brü­cker Frau­en­ver­bän­de und die Ju­gend­hil­fe. 20.000 Flug­blät­ter wur­den zu Wer­be­zwe­cken ver­teilt. Der ‚Gold­fluss‘ ließ den­noch be­reits im Som­mer 1915 er­heb­lich zu wün­schen üb­rig. Spen­den bil­de­ten den ge­rin­ge­ren Teil in der Ab­schöp­fung der Gold­re­ser­ven, im grö­ße­ren Um­fang fand ei­ne Tausch­ak­ti­on Gold ge­gen Pa­pier­geld statt. In der Öf­fent­lich­keit an­ge­se­he­ne Per­sön­lich­kei­ten wur­den für Haus­be­su­che ge­won­nen, um die pri­va­ten Gold­schät­ze aus­zu­he­ben.

Kindervolksküche, 1915, Lithographie von Max Liebermann.

 

Ein Rück­griff auf den Bei­stand der Kir­chen durf­te nicht feh­len. Das Kon­sis­to­ri­um in Ko­blenz und der Bi­schof von Trier er­hiel­ten den Auf­trag, von der Kan­zel her­ab zu wer­ben und wer­ben zu las­sen. Die Schü­ler­schaft der Kö­nig­li­chen Ober­re­al­schu­le Saar­brü­cken tat sich auch hier her­vor und konn­te bis März 1916 Gold im Wert von 68.225 Mark mit Hil­fe ih­rer El­tern zu­sam­men­tra­gen. Sie er­hiel­ten amt­li­cher­seits ei­ne Kar­te mit der Auf­schrift: „Konnt‘ ich auch nicht Waf­fen tra­gen, half‘ ich doch die Fein­de schla­gen“.[5]  Im Mai 1916 wur­den reichs­weit Gold­an­kaufs­stel­len ein­ge­rich­tet. Zen­tra­le An­nah­me­stel­len an der Saar  be­fan­den sich in Saar­brü­cken, Saar­louis, Ott­wei­ler und St. Wen­del. In der Rhein­pro­vinz wur­de im De­zem­ber 1917 ei­gens ei­ne Gold­an­kaufs­wo­che aus­ge­ru­fen.

An der Hei­mat­front rag­te das Wir­ken der Frau­en­ver­ei­ne in sei­ner Be­deu­tung her­aus. Im Jah­re 1918 zähl­te der Ver­band deut­scher Haus­frau­en­ver­ei­ne 1.800 Mit­glie­der. In Saar­brü­cken ar­bei­te­ten sie eng mit der Stadt zu­sam­men. Sie wa­ren ein­ge­spannt in die Kriegs­ideo­lo­gie und pro­kla­mier­ten Durch­hal­te­pa­ro­len. In Vor­trä­gen über die sitt­li­chen Auf­ga­ben, die sich in der Kriegs­zeit stell­ten, ga­ben sie ih­rem Den­ken und Han­deln, dem Spa­ren, Sam­meln und Spen­den, wo­für sie Not, Ent­beh­rung und zu­sätz­li­che Ar­beit auf sich nah­men,  ei­ne mo­ra­li­sche Wür­di­gung.

Der Va­ter­län­di­sche Frau­en­ver­ein, der Ka­tho­li­sche Frau­en-Stadt­ver­band und der Saar­brü­cker Haus­frau­en­ver­ein be­sa­ßen zu­sam­men mehr als 12.000 Mit­glie­der. Die vom Va­ter­län­di­schen Frau­en­ver­ein ge­sam­mel­ten Lie­bes­ga­ben (Ma­trat­zen, Woll­sa­chen, Ta­bak­wa­ren) wur­den ge­zielt zu den Saar­brü­cker Stamm­re­gi­men­tern an die Front ge­sandt. Zu Hau­se nahm er sich der Ver­sor­gung der Ver­wun­de­ten, Ar­men und Be­dürf­ti­gen an und en­ga­gier­te sich im Sa­ni­täts­dienst. Seit 1914 be­trieb er vier Volks­kü­chen.

Der Saar­brü­cker Haus­frau­en­ver­ein er­griff 1915 die In­itia­ti­ve für ei­ne Er­zie­hung zur Selbst­hil­fe in Form ei­ner Er­näh­rungs­be­ra­tung, der Durch­füh­rung von Schnei­der­kur­sen und der Ver­tei­lung von städ­ti­schem Acker- und Gar­ten­land, das für den  Klein­gar­ten­bau zum Zwe­cke ei­ner Selbst­ver­sor­gung mit Nah­rungs­mit­teln zur Ver­fü­gung ge­stellt wur­de. Auf ei­ne reichs­wei­te Re­so­nanz stieß ein Flug­blatt, wor­in der Ver­ein ei­ne Hil­fe­stel­lung für das Re­pa­rie­ren al­ter und die Her­stel­lung neu­er Schu­he bot. Im Steck­rü­ben­win­ter 1916/1917 or­ga­ni­sier­te der Ver­ein ei­ne Koch­vor­füh­rung so­wie ei­ne Aus­stel­lung un­ter dem Mot­to „Kohl­rü­ben statt Kar­tof­feln“, die ei­nen gro­ßen Zu­lauf ver­zeich­ne­ten. Kriegs­koch­bü­cher und Haus­hal­tungs­schu­len klär­ten die Haus­frau­en hin­sicht­lich der Zu­be­rei­tung fett-, milch-, ei­er- und mehl­frei­er Kost auf.

Erbauungsschrift, herausgegeben vom Bistum Trier 1914/1915. (Bildarchiv des Historisches Museums Saar)

 

Die Mo­bi­li­sie­rung der Zi­vil­be­völ­ke­rung an der Hei­mat­front er­folg­te be­reits früh, bald nach der mi­li­tä­ri­schen Mo­bil­ma­chung. Am 3.8.1914 er­ging ein Auf­ruf zur Teil­nah­me an der na­tio­na­len Ar­beit. In­nen­mi­nis­ter Fried­rich Wil­helm von Loe­bell (1855-1931) ließ im Ja­nu­ar 1915 ei­nen of­fe­nen Brief pu­bli­zie­ren, in dem er pro­kla­mier­te: „Es gilt, je­den Haus­halt in den Kriegs­zu­stand zu ver­set­zen“.[6]  Der Brief wur­de in der Saar­brü­cker Zei­tung ab­ge­druckt. Was bei den Sol­da­ten To­des­mut und Tap­fer­keit vor dem Feind war, soll­te zu Hau­se ei­ne Ent­spre­chung in Spar­sam­keit und Ent­sa­gung fin­den.

Un­zäh­li­ge Leis­tun­gen wur­den an der Hei­mat­front frei­wil­lig oder eh­ren­amt­lich er­bracht. Die männ­li­che Ju­gend wur­de ein­ge­setzt für Bo­ten­gän­ge, für Hand­lan­ger­tä­tig­kei­ten bei der Milch­aus­ga­be und in Sup­pen­kü­chen, die ei­ner eh­ren­amt­li­chen Lei­tung un­ter­stan­den. Un­be­zahl­te Kräf­te über­nah­men Ver­wal­tungs­auf­ga­ben wie die Ver­tei­lung der Le­bens­mit­tel­kar­ten. Eh­ren­amt­lich wur­den Kin­der in Be­wahr­an­stal­ten ver­sorgt. Zur Ern­tear­beit wur­den Schü­ler der Saar­brü­cker Gym­na­si­en ein­ge­setzt, Ko­lon­nen von je acht bis zehn Mann aufs Land ge­schickt. Von den drei Saar­brü­cker Gym­na­si­en wur­den im Som­mer 1917 rund 350 Schü­ler in den Kreis Bern­kas­tel-Ku­es be­or­dert, wo sie im Wein­bau und in der Land­wirt­schaft mit­hal­fen. Wie die Schü­ler wa­ren auch die Leh­rer und Leh­re­rin­nen mit zu­sätz­li­chen Auf­ga­ben au­ßer­or­dent­lich hoch be­las­tet. 

8. Die Jugend im Krieg

Für die Gym­na­si­en dien­ten die  Zah­len der Frei­wil­li­gen­mel­dun­gen im Au­gust 1914 als Er­folgs­maß­stab der va­ter­län­di­schen Er­zie­hung. Der Rek­tor des – hu­ma­nis­ti­schen – Lud­wigs­gym­na­si­ums er­klär­te stolz, dass die Gym­na­si­en trotz der Ver­mitt­lung al­ter Spra­chen „ech­te deut­sche Jüng­lin­ge er­zo­gen hat­ten, ei­ne von ho­hem Idea­lis­mus be­seel­te, wehr­fä­hi­ge Ju­gend“. Von den 194 Schü­lern der Ober­klas­sen sei­ner Schu­le hat­ten sich 92 frei­wil­lig zum Kriegs­dienst ge­mel­det. In den vier Pri­men lag die Quo­te En­de Sep­tem­ber 1914 mit 58 von 67 Schü­lern bei rund 87 Pro­zent. Die Ober­pri­ma der Ober­re­al­schu­le Saar­brü­cken trat ge­schlos­sen den Wehr­dienst an. Die Ju­gend be­fand sich im Au­gust 1914 schich­ten­über­grei­fend in ei­nem na­tio­na­len Rausch. Vie­le der über­wie­gend ju­gend­li­chen Kriegs­frei­wil­li­gen ver­lo­ren al­ler­dings durch die Kon­fron­ta­ti­on mit dem Mas­sen­tod des „in­dus­tria­li­sier­ten“ Krie­ges schnell ih­re Il­lu­sio­nen.[7] 

Friedrich Wilhelm von Loebell, 1931. (Bundesarchiv, Bild 102-12673)

 

Nach der Auf­nah­me der Kampf­hand­lun­gen wei­te­te sich die Kriegs­er­zie­hung vor al­lem au­ßer­halb der Schu­le im Be­reich der Ju­gend­pfle­ge aus. Ideo­lo­gi­sche Speer­spit­ze der pa­ra­mi­li­tä­ri­schen In­dok­tri­na­ti­on wur­de der im No­vem­ber 1911 ge­grün­de­te Jung­deutsch­land­bund, der engs­te Be­zie­hun­gen zur Ar­mee un­ter­hielt. An­fang 1914 zähl­te er cir­ca 750.000 Mit­glie­der. Die Ju­gend­wehr wur­de zum „Zu­kunfts­heer“, wie es in ei­nem Ju­gend­wehr­lied hieß. Sie lehn­te sich stark an die ört­li­chen Ver­ei­ne an. Nur in den vier städ­ti­schen Saar­brü­cker Kom­pa­ni­en hat­ten die Schü­ler im Herbst 1914 das Über­ge­wicht. In den üb­ri­gen preu­ßi­schen Saar­krei­sen stell­ten jun­ge Ar­bei­ter über 70 Pro­zent der Ju­gend­wehr­mit­glie­der. In­fol­ge lan­ger Ar­beits­zei­ten war die re­gel­mä­ßi­ge Teil­nah­me vie­ler jun­ger Berg­leu­te von An­fang an nicht mög­lich. Die Ju­gend­wehr­übun­gen lie­fen ge­ne­ral­stabs­mä­ßig ab. Am 8.11.1914 fand ei­ne Heer­schau der Ju­gend­kom­pa­ni­en aus Saar­brü­cken mit cir­ca 3.000 Ju­gend­li­chen statt, bei der die Schlacht am Spi­che­rer Berg nach­ge­stellt wur­de. Auf­wand und Teil­neh­mer­zahl die­ser Übun­gen brö­ckel­ten im Ver­lauf des Krie­ges zwar ab, die staat­li­che För­de­rung mi­li­tä­ri­schen Nach­wuchs­ein­rich­tung blieb je­doch bis Kriegs­en­de er­hal­ten.

Un­ter­richts­or­ga­ni­sa­ti­on und Un­ter­richts­in­halt der Schu­len pass­ten sich den Zeit­läuf­ten an. Seit De­zem­ber 1914 ver­stan­den sich Ge­schich­te und Erd­kun­de als Ge­gen­warts­un­ter­richt und soll­ten Sie­ges­zu­ver­sicht und Durch­hal­te­wil­len auf­recht­er­hal­ten. Über die Kin­der soll­ten die El­tern er­reicht und mo­ti­viert wer­den. Ele­men­te der Re­form­päd­ago­gik dräng­ten den alt­über­kom­me­nen Schuldrill zu­rück. Die Zög­lin­ge soll­ten Stun­den der hei­li­gen Er­he­bung und in­ne­ren Freu­de er­le­ben statt Prü­gel und Zu­recht­wei­sun­gen. Fä­cher­über­grei­fen­de The­men ka­men zur Spra­che, et­wa In­for­ma­tio­nen über die Be­deu­tung des Gold­gel­des für das Va­ter­land. ‚Kriegs­stun­den‘ be­han­del­ten in pro­pa­gan­dis­ti­scher Wei­se ein­mal pro Wo­che die ak­tu­el­le mi­li­tä­ri­sche La­ge.

Ge­gen En­de des Krie­ges häuf­ten sich die Un­ter­richts­aus­fäl­le. An der Saar­brü­cker Ober­re­al­schu­le er­hielt die Ein­zie­hung der Ober­stu­fe zum land­wirt­schaft­li­chen Dienst Vor­rang. Die Volks­schu­len lit­ten un­ter dem Ader­lass, den die Ein­be­ru­fung der Leh­rer zum Mi­li­tär­dienst ver­ur­sach­te. Sie­ben Leh­rer der Evan­ge­li­schen Kna­ben­schu­le in Alt-Saar­brü­cken wur­den ein­be­ru­fen. Im Ja­nu­ar 1915 muss­ten 20 Klas­sen von zwölf Leh­rern be­treut wer­den. Ein­zel­ne Schu­len mel­de­ten ei­ne Ver­wil­de­rung der Jun­gen. Als Ur­sa­che wur­de das Feh­len des Va­ters als Er­zie­her an­ge­se­hen. Ein Bur­ba­cher Schul­lei­ter er­kann­te im De­zem­ber 1916 je­doch ein Warn­zei­chen, als er ei­ne phy­si­sche und psy­chi­sche Er­schöp­fung sei­ner Schü­ler kon­sta­tier­te und vor ei­ner Über­sät­ti­gung mit Kriegs­the­men warn­te.

Anfertigen von Liebesgaben im Schulunterricht, Handarbeitsschule Maybach. (Stadtarchiv Friedrichsthal)

 

9. Der Luftkrieg

Ob­wohl Saar­brü­cken im Ers­ten Welt­krieg mehr als 50 Ki­lo­me­ter von der Front ent­fernt lag, war es von mi­li­tä­ri­schen An­grif­fen be­droht. Der tech­ni­sche Fort­schritt er­mög­lich­te At­ta­cken aus der Luft. Wie­der­hol­te Luft­an­grif­fe führ­ten zu ei­nem haut­na­hen Er­le­ben der Schre­cken des mo­der­nen Krie­ges auch sei­tens der zi­vi­len Be­völ­ke­rung, denn Bom­ben fie­len auch auf Wohn­ge­bie­te. Am 9.8.1915 kreis­te zum ers­ten Mal ein feind­li­ches Flug­ge­schwa­der über der Stadt. In­fol­ge der stau­nen­den Neu­gier der Be­woh­ner ka­men da­bei 13 Men­schen ums Le­ben und vie­le wur­den ver­letzt, weil sie ver­säum­ten, sich in Si­cher­heit zu brin­gen. An­grif­fe und Alar­mie­run­gen wur­den seit 1916 häu­fi­ger und er­zeug­ten ei­ne ner­vö­se Span­nung in der Stadt. Die Men­schen ver­brach­ten oft gan­ze Näch­te in Luft­schutz­bun­kern. Auf­klä­rungs­kam­pa­gnen und Luft­schutz­übun­gen soll­ten die Ge­fah­ren mi­ni­mie­ren.

Plakat mit Verhaltensregeln bei Luftangriffen, 1918. (Stadtarchiv Saarbrücken, Pl 4173)

 

Der Gro­ß­raum Saar­brü­cken ge­hör­te im Ers­ten Welt­krieg zu den be­vor­zug­ten Zie­len von Luft­an­grif­fen der En­ten­te­mäch­te. Zwi­schen 1915 und 1918 war er Hun­der­ten von An­grif­fen aus­ge­setzt, die zahl­rei­che To­te und Ver­letz­te zur Fol­ge hat­ten und gro­ßen Sach­scha­den an­rich­te­ten. Die an­grei­fen­den Flug­zeu­ge war­fen vor­wie­gend Split­ter­bom­ben ab. Ei­ne Ge­fahr ging auch von der ei­ge­nen Ab­wehr aus, von den Ge­schos­sen der Flug­ab­wehr­ge­schüt­ze, die ihr Ziel ver­fehl­ten. In den bei­den letz­ten Kriegs­jah­ren es­ka­lier­te der Luft­krieg. Ar­bei­ter, de­ren Werks­woh­nun­gen in der Um­ge­bung der Be­trie­be la­gen, sa­hen sich be­son­ders der von oben kom­men­den Ge­fahr aus­ge­setzt. In Gro­ß­un­ter­neh­men er­höh­te sich die Zahl der Un­fäl­le, denn die Be­leg­schaf­ten muss­ten sich in ver­dun­kel­ten Werks­hal­len auf den Weg zu den Schutz­räu­men be­ge­ben.

Der Luft­krieg der En­tente galt vor­nehm­lich der Rüs­tungs­pro­duk­ti­on und mach­te ein­schlä­gi­ge Fa­bri­ken zu be­vor­zug­ten Zie­len, des Wei­te­ren galt er der Stö­rung be­zie­hungs­wei­se Zer­stö­rung der Ei­sen­bahn­ver­bin­dun­gen. Saar­brü­cken war als Durch­gangs­sta­ti­on für Front­sol­da­ten, für in die Hei­mat zu­rück­ge­schick­te Ver­wun­de­te, für Kriegs­ma­te­ri­al und für Le­bens­mit­tel stän­dig ei­ner gro­ßen Ge­fahr aus­ge­setzt. Bei ei­nem An­griff auf den Saar­brü­cker Haupt­bahn­hof im Mai 1918 wur­den über 60 Men­schen ver­letzt oder ge­tö­tet und meh­re­re Zü­ge zer­stört. Bei der Mehr­zahl der Op­fer han­del­te es sich um Sol­da­ten, die auf dem Weg zur Front wa­ren. Nach Luft­an­grif­fen kam es in Ge­schäfts­vier­teln wie­der­holt zu Plün­de­run­gen, Auf­räu­mungs­ar­bei­ten wur­den durch Blind­gän­ger er­schwert. 

Fliegerschäden im Ersten Weltkrieg in der Türkenstraße in Saarbrücken, 17. Juni 1917. (Landesarchiv Saar)

 

10. Kriegsende

Trotz des rie­si­gen Lei­des, den der Krieg über die Men­schen ge­bracht hat­te, wirk­te die Nach­richt von der deut­schen Ka­pi­tu­la­ti­on wie al­lent­hal­ben im Deut­schen Reich auch in Saar­brü­cken wie ein Trau­ma. Man klam­mer­te sich an den My­thos des im Fel­de un­be­sieg­ten Hee­res. Den letz­ten deut­schen Sol­da­ten, die am 21.11.1918 durch die Stadt zo­gen, wur­de mit Fah­nen, Gir­lan­den und Eh­ren­pfor­ten ei­ne Ku­lis­se ge­bo­ten, die ei­ne tie­fe Re­ve­renz zum Aus­druck brach­te und zum Be­stand­teil der ge­schicht­li­chen Er­in­ne­rung wur­de.

Den Schre­cken des Krie­ges kaum ent­ron­nen, brach­te die Wen­de zum Frie­den für Saar­brü­cken ei­ne neue un­er­war­te­te Här­te, von der das Reich wei­test­ge­hend ver­schont blieb. Denn am 22.11.1918 rück­te das fran­zö­si­sche Mi­li­tär in die Stadt ein, um die Ver­wal­tungs­ho­heit und Exe­ku­tiv­macht zu über­neh­men – ein Vor­griff auf die Sou­ve­rä­ni­täts­über­nah­me durch den Völ­ker­bund, die der Ver­sailler Ver­trag, der am 10.1.1920 in Kraft trat, be­sie­gel­te. Die Be­sat­zung durch ei­ne feind­li­che Macht ver­stärk­te die Wun­den und die Lei­den, die der ver­lo­re­ne Krieg ge­schla­gen hat­te. Zu ei­nem kon­struk­ti­ven Um­gang mit den Leh­ren, die sich aus dem Ers­ten Welt­krieg zie­hen lie­ßen, war die zeit­ge­nös­si­sche Be­völ­ke­rung der saar­län­di­schen Groß­stadt, die nun zu ei­nem Re­gie­rungs- und Ver­wal­tungs­zen­trum im Völ­ker­bund­ge­biet auf­stieg, (noch) nicht in der La­ge. 

Literatur

Bur­gard, Paul/Lins­may­er, Lud­wig, Von der Ver­ei­ni­gung der Saar­städ­te zum Ab­stim­mungs­kampf (1909-1935), in: Wit­ten­brock, Rolf (Hg.), Ge­schich­te der Stadt Saar­brü­cken, Band 2: Von der Zeit des stür­mi­schen Wachs­tums bis zur Ge­gen­wart, Saar­brü­cken 1999, S. 131-242.
Klein, Hanns, Das stell­ver­tre­ten­de Ge­ne­ral­kom­man­do des XXI./XVI. Ar­mee­korps (Saar­brü­cken) als Or­gan der Mi­li­tär­ver­wal­tung im Ers­ten Welt­krieg, in: Herr­mann, Hans-Wal­ter (Hg.), Das Saar­re­vier zwi­schen Reichs­grün­dung und Kriegs­en­de (1871-1918). Re­fe­ra­te ei­nes Kol­lo­qui­ums in Dil­lin­gen am 29./30. Sep­tem­ber 1988, ,Saar­brü­cken 1990, S. 148-184.
Rü­rup, Rein­hard, Der „Geist von 1914“ in Deutsch­land. Kriegs­be­geis­te­rung und Ideo­lo­gi­sie­rung des Krie­ges im Ers­ten Welt­krieg, in: Hüp­p­auf, Bernd (Hg.), An­sich­ten vom Krieg. Ver­glei­chen­de Stu­di­en zum Ers­ten Welt­krieg in Li­te­ra­tur und Ge­sell­schaft, Kö­nig­stein 1984, S. 1-30.
Stadt­ver­band Saar­brü­cken, Re­gio­nal­ge­schicht­li­ches Mu­se­um (Hg.), „Als der Krieg über uns ge­kom­men war.“ Die Saar­re­gi­on und der Ers­te Welt­krieg. Ka­ta­log zur Aus­stel­lung des Re­gio­nal­ge­schicht­li­chen Mu­se­ums im Saar­brü­cker Schloß, Saar­brü­cken 1993, dar­in:
Geh­len, Ri­ta, Ein ei­nig Volk von Brü­dern? Das „Au­gus­t­er­leb­nis“ der Men­schen an der Saar, S. 39-51.
Möh­ler, Rai­ner, „Ihr kämpft für uns, wir be­ten für Euch!“ Die evan­ge­li­sche und ka­tho­li­sche Kir­che im Saar­re­vier und der Ers­te Welt­krieg, S. 52-65.
Schwarz, Hans, Krieg an der Hei­mat­front. Zu den Aus­wir­kun­gen des Luft­krie­ges auf den Gro­ß­raum Saar­brü­cken, S. 66-73.
Nim­mes­gern, Su­san­ne, „Konnt‘ ich auch nicht Waf­fen­tra­gen, half ich doch die Fein­de schla­gen“. Kriegs­all­tag an der Hei­mat­front, S. 81-93.
Heck­mann, Ger­hard, Das zwei­te Heer des Kai­sers. Schu­le und Ju­gend im Krieg, S. 141-155.
Ja­co­by, Fritz, Kom­mu­na­le Er­näh­rungs­wirt­schaft im Krie­ge. Das Bei­spiel Saar­brü­cken, S. 156-171.
Plet­ten­berg, In­ge, „Ei­ne Schrau­be oh­ne En­de“. Die Saar-In­dus­trie in der deut­schen Kriegs­pro­duk­ti­on 1914-1918, S. 172-189.
Ames, Ger­hard, „Ein un­ge­heu­rer Fak­tor ist der Berg­mann im Krie­ge …“ Die Saar­berg­leu­te und der Ers­te Welt­krieg, S. 195-205.
Lau­fer, Wolf­gang, Kriegs­ge­fan­ge­ne im preu­ßi­schen Saar­berg­bau, S. 206-221.

Bekanntmachung des Arbeiter- und Soldatenrates vom 9. November 1918 in Saarbrücken. (Stadtarchiv Saarbrücken, PL 65)

 
Zitationshinweis

Bitte geben Sie beim Zitieren dieses Beitrags die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Burg, Peter, Saarbrücken im Ersten Weltkrieg, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/Themen/saarbruecken-im-ersten-weltkrieg/DE-2086/lido/57d1376cb16501.46058993 (abgerufen am 24.04.2024)