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Anna Schumacher, genannt Aennchen, war eine berühmte Godesberger Gastwirtin zur Zeit des Kaiserreichs und wird als Lindenwirtin in zahlreichen Gedichten und Liedern besungen.
Anna „Aennchen" Schumacher wurde am 22.1.1860 als Tochter einer Gastwirtsfamilie in Bad Godesberg bei Bonn (seit 1969 ein Bonner Stadtbezirk) geboren. Bereits mit 18 Jahren musste sie 1878 nach dem Tod ihres Vaters Wilhelm Schumacher entgegen ihrem Wunsch, Lehrerin zu werden, die heimische Gastwirtschaft „Gasthof zum Godesberg" übernehmen.
Das benachbarte Bonn war zu dieser Zeit mit der Rheinischen Friedrich-Wilhelms Universität ein bedeutender preußischer Hochschulstandort und eine Hochburg des studentischen Korporationswesen im Deutschen Reich. Immerhin waren mehr als 50 Verbindungen, Burschenschaften und Corps in den letzten Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg an der Bonner Universität aktiv gemeldet.
Wegen der für einen Couleurbummel (Wanderung mit anschließendem Besuch eines Wirtshauses mit Band und Mütze) günstigen Lage der Gastwirtschaft am Fuße des Godesbergs, aber auch aufgrund des offenen und vom rheinischen Frohsinn geprägten Wesens Aennchens wurde ihr Lokal schnell zur beliebtesten Studentenkneipe im Rheinland und darüber hinaus. Aennchen Schumacher hatte einen Sinn für studentisches Leben und Liedgut. Zugleich zeichnete sie eine ihr eigene natürliche Autorität aus. Mehr als 400 Studenten, meist Korporierte aus allen Dachverbänden, fanden sich täglich bei der Wirtin in Godesberg ein, um dort zu verweilen, aber auch um die typischen studentischen Kneipen zu schlagen und akademische Kommerse zu feiern. Dieser Zustand des friedlichen Beisammenseins sonst verfeindeter Verbände war weitläufig als „Bad Godesberger Burgfrieden" bekannt. Aennchen wurde so als „echte Studentenmutter" über Bonn hinaus bekannt und reichsweit populär.
Postkarten, die um 1900 in Australien oder Russland lediglich an „Aennchen Deutschland" adressiert waren, kam stets in Bad Godesberg bei Aennchen Schumacher an. Eine der wohl berühmtesten Postkarten der deutschen Postgeschichte erreichte die Lindenwirtin 1902 aus der deutschen Kolonie Kiautschou in China. Offiziere der kaiserlichen Marine gaben als Adresse nur ein kleines „n" und Deutschland an. Die wohl kürzeste Anschrift, die jemals für eine Postkarte verwendet wurde, genügte, um die Karte nach Europa ans Ziel ihrer Bestimmung zu bringen, nämlich in den Gasthof „Zur Lindenwirtin", wie Aennchen ihren Betrieb ab 1891 nannte. Dieser Name ging auf eine bekannte Studentenweise des Dichters Rudolf Baumbach (1840-1905) zurück, die von allen Korporationen gesungen wurde, dem Lied „Die Lindenwirtin", bekannter unter dem Namen „Kein Tropfen im Becher mehr":
Keinen Tropfen im Becher mehr
und der Beutel schlaff und leer,
lechzend Herz und Zunge,
Angetan hat's mir der Wein,
deiner Äuglein heller Schein,
I: Lindenwirtin, du junge! :I
Zu Ehren der Godesberger Lindenwirtin wurde später eine weitere Strophe hinzugefügt, die wie folgt lautete:
Wißt ihr, wer die Wirtin war,
schwarz das Auge, schwarz das Haar?
Aennchen war's, die Feine.
Wißt ihr, wo die Linde stand,
jedem Burschen wohlbekannt?
I: Zu Godesberg am Rheine! :I
Nach dem Absingen der allgemeinen Strophen sowie der Aennchen-Strophe folgte meist das Singen der jeweiligen Fakultätsstrophen, die grundsätzlich die Beziehung der Lindenwirtin zu den einzelnen Fakultäten, beziehungsweise ihren Studenten zum Thema hatte. Aennchen Schumacher interessierte sich für die Bräuche und Lieder der Studenten und schrieb all jene Weisen auf, die im Wirtshaus gesungen wurden. 1903 brachte sie ihr erstes kleines Kommersbuch heraus, welches 1924 in erweiterter Form als „Aennchens Liederbuch" firmierte.
Zu ihrem 75. Geburtstag erhielt die Lindenwirtin mehr als 5.000 Grußkarten. Auch der abgedankte Kaiser Wilhelm II. gratulierte ihr aus Haus Doorn, von ihrer Heimatstadt Bad Godesberg erhielt sie die Ehrenbürgerwürde. Reichsweit wurde von dem Fest über den Deutschlandsender sowie über die Reichssender Köln, München, Frankfurt, Breslau und Hamburg berichtet. Die berühmte und bis heute besungene Wirtin starb am 26.2.1935 in Bad Godesberg, kurz nach den Feierlichkeiten; ihr Grab befindet sich auf dem Godesberger Burgfriedhof.
Literatur
Niesen, Josef, Bonner Personenlexikon, Bonn 2007, S. 288-289.
Ruland, Wilhelm, Ännchen von Godesberg. Ein Rheinlands-Sang aus unseren Tagen, 3. Auflage, Koblenz 1900.
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Rönz, Helmut, Aennchen Schumacher, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/aennchen-schumacher/DE-2086/lido/57c94c72e6c1b4.26439072 (abgerufen am 24.04.2024)