Albert Hackenberg

Evangelischer Pfarrer, Landtagsabgeordneter und rheinischer Präses (1852-1912)

Erik Zimmermann (Hottenbach)

Porträtfotografie von Albert Hackenberg. (Pfarrarchiv Hottenbach)

Al­bert Ha­cken­berg ge­hör­te zu den be­kann­tes­ten Ver­tre­tern der rhei­ni­schen Kir­che im Kai­ser­reich. Von 1905 bis 1912 war er Prä­ses der evan­ge­li­schen Kir­che der Rhein­pro­vinz und ver­mit­tel­te im Rich­tungs­streit zwi­schen mo­der­nen und kon­ser­va­ti­ven Krei­sen. Als na­tio­nal­li­be­ra­ler Ab­ge­ord­ne­ter ver­trat Ha­cken­berg von 1898 bis 1912 den Wahl­kreis Sim­mern-Kreuz­nach-Zell in Ber­lin. Als Füh­rer des Evan­ge­li­schen Bun­des schärf­te er das Pro­fil des rhei­ni­schen Pro­tes­tan­tis­mus.

Al­bert Pe­ter Ha­cken­berg wur­de am 11.1.1852 in Len­nep (heu­te Stadt Rem­scheid) ge­bo­ren. Sei­ne El­tern wa­ren der Kauf­mann und Pro­ku­rist Al­bert Ha­cken­berg (1822-1866) und Ju­lia­ne ge­bo­re­ne von Pol­heim (1823-1914). Vom Va­ter erb­te Ha­cken­berg das Pflicht­be­wusst­sein, von der Mut­ter die freund­li­che Warm­her­zig­keit und den rhei­ni­schen Froh­sinn. Nach dem frü­hen Tod des Va­ters wur­de der Len­ne­per Pfar­rer und spä­te­re Prä­ses Fried­rich Everts­busch (1813-1888) sein vä­ter­li­cher Men­tor. Auf Everts­busch ge­hen Ha­cken­bergs Lie­be zur rhei­ni­schen Kir­che und der Wunsch, Prä­ses zu wer­den, zu­rück. Ha­cken­berg be­such­te die Schu­len in Len­nep, Lipp­stadt und – aus ge­sund­heit­li­chen Grün­den – Bad Kreuz­nach. Dort lern­te er sei­ne spä­te­re Ehe­frau Eli­sa­beth Ost (1858-1910) ken­nen. 1881 hei­ra­te­te das Ehe­paar. Aus der Ehe gin­gen zwei Töch­ter her­vor: Ju­lia­na Eli­sa­beth (1882), die im ers­ten Le­bens­jahr ver­starb, und Frie­da (1888-1938). Ab 1872 stu­dier­te Ha­cken­berg Evan­ge­li­sche Theo­lo­gie in Er­lan­gen, Ber­lin und Bonn. An das ers­te theo­lo­gi­sche Ex­amen 1876 und die Mi­li­tär­zeit als Ein­jäh­rig-Frei­wil­li­ger in Ber­lin schloss sich im April 1878 das Vi­ka­ri­at an. Ha­cken­berg wur­de in das klei­ne Huns­rück­dorf Hot­ten­bach ge­schickt, um den kran­ken Pfarr­stel­len­in­ha­ber zu un­ter­stüt­zen. Nach des­sen Tod 1879 be­stürm­te ihn die Ge­mein­de, in Hot­ten­bach zu blei­ben. Ha­cken­berg gab dem Drän­gen nach. Nach be­stan­de­nem zwei­tem Ex­amen wur­de er am 1.7.1879 in sein Amt ein­ge­führt. 

 

Der jun­ge Pfar­rer mach­te das Dorf schnell im Rhein­land be­kannt: Ha­cken­berg über­nahm die Lei­tung des Hot­ten­ba­cher Ge­sang­ver­eins und führ­te zahl­rei­che welt­li­che und geist­li­che Kon­zer­te durch. Hö­he­punkt wa­ren 1888 und 1889 die Auf­füh­rung der Mat­thä­us-Pas­si­on von Hein­rich Schütz (1585-1672). Die Zei­tun­gen der Rhein­pro­vinz fei­er­ten Hot­ten­bach als „Ober­am­mer­gau des Hoch­wald­s“. Ha­cken­berg setz­te sich für den Fort­schritt in der bäu­er­li­chen Welt ein: Er hol­te 1880 die Post, 1884 das Te­le­fon nach Hot­ten­bach und grün­de­te 1894 ei­ne Orts­grup­pe des Huns­rücker Bau­ern­ver­eins. Ha­cken­berg war ein glän­zen­der Or­ga­ni­sa­tor. Er warb für die ge­nos­sen­schaft­li­che Idee, rief 1896 ei­ne Spar- und Dar­le­hens­kas­se und 1898 ei­ne Mol­ke­rei ins Le­ben.

Der Theo­lo­ge, der ur­sprüng­lich Päd­ago­ge wer­den woll­te, war ein gro­ßer Leh­rer­freund. Für Ha­cken­berg ver­folg­ten Kir­che und Schu­le das glei­che Ziel: die sitt­lich-re­li­giö­se Bil­dung der Mensch­heit. 1885 wur­de Ha­cken­berg zum Kreis­schul­in­spek­tor be­ru­fen. Da­mit war er für rund 25 Volks­schu­len zu­stän­dig. Ha­cken­berg ließ den Leh­rern sei­ner In­spek­ti­on viel Frei­raum, bil­de­te sie wei­ter und emp­fahl be­gab­te Päd­ago­gen für hö­he­re Leh­rer­stel­len. Am 1.8.1904 wur­de die neue Hot­ten­ba­cher Kir­che ein­ge­weiht. Er­bau­er war der ers­te Lei­ter des pro­vin­zi­al­kirch­li­chen Bau­am­tes Au­gust Senz (1862-1912). Ha­cken­berg ver­wirk­lich­te hier die Grund­sät­ze des Wies­ba­de­ner Pro­gramms für den evan­ge­li­schen Kir­chen­bau. Das Got­tes­haus er­in­nert dar­an, dass er ein über die Gren­zen des Rhein­lands be­deu­ten­der Kan­zel­red­ner war.

Seit 1884 ge­hör­te Ha­cken­berg der rhei­ni­schen Pro­vin­zi­al­syn­ode an. Er ar­bei­te­te dort an dem neu­en Evan­ge­li­schen Ge­sang­buch für Rhein­land und West­fa­len mit, das zu gro­ßen Tei­len im Hot­ten­ba­cher Pfarr­haus ent­stand. Dank Ha­cken­bergs kauf­män­ni­scher Be­ga­bung wur­de es ein enor­mer Ver­kaufs­er­folg: Von sei­ner Ein­füh­rung 1893/1894 bis 1911 wur­de ein Re­kord­ge­winn von 1.120.000 Mark er­zielt. Für die Ar­beit am Ge­sang­buch ver­lieh die Uni­ver­stät Bonn Ha­cken­berg 1902 die Eh­ren­dok­tor­wür­de. Als frucht­bar er­wies sich die Zu­sam­men­ar­beit mit dem Kom­po­nis­ten Max Bruch (1838-1920): 1897 schrieb Ha­cken­berg den Text zu des­sen Ora­to­ri­um Gus­tav Adolf (Opus 73).

1887 wur­de Ha­cken­berg bei der Grün­dung des Evan­ge­li­schen Bun­des für die Rhein­pro­vinz in den Vor­stand ge­wählt. 1894 über­nahm er den Vor­sitz des mit­glie­der­stärks­ten und ein­fluss­rei­chen rhei­ni­schen Haupt­ver­eins. Dar­über hin­aus ge­hör­te er dem Zen­tral­vor­stand des Ge­samt­bun­des an. Der Evan­ge­li­sche Bund war die grö­ß­te In­ter­es­sen­ver­tre­tung des Pro­tes­tan­tis­mus im Kai­ser­reich. Der Bund setz­te sich al­lem für die Wah­rung der evan­ge­li­schen In­ter­es­sen ge­gen­über dem po­li­ti­schen Ka­tho­li­zis­mus ein. Als pro­mi­nen­ter Red­ner des Ver­eins zog Ha­cken­berg die Kri­tik ul­tra­mon­ta­ner Krei­se auf sich. 1909 gab er das Amt als rhei­ni­scher Vor­sit­zen­der ab und wur­de Eh­ren­vor­sit­zen­der. 1890 be­rief man Ha­cken­berg in die Ge­ne­ral­syn­ode der preu­ßi­schen Lan­des­kir­che in Ber­lin. Schon bald ge­hör­te er dem Vor­stand an. Für sei­ne Ver­diens­te um die Re­form der preu­ßi­schen Agen­de wur­de Ha­cken­berg 1895 der Ro­te Ad­ler­or­den ver­lie­hen.

Die Wahl in den preu­ßi­schen Land­tag 1898 be­deu­te­te für den rhei­ni­schen Pfar­rer ei­nen tie­fen Ein­schnitt in sei­ner bis­he­ri­gen Amts­tä­tig­keit. Er war nun häu­fig zwi­schen Hot­ten­bach und Ber­lin un­ter­wegs. Die Ge­mein­de­ar­beit muss­te er sei­nen Vi­ka­ren über­las­sen. Die­se wur­den als Ha­cken­berg-Schu­le be­zeich­net, weil sie tief von sei­ner Per­sön­lich­keit und Lehr­ga­be ge­prägt wa­ren. Ha­cken­bergs No­mi­nie­rung ver­lief je­doch al­les an­de­re als glatt: Der Wahl­kreis Kreuz­nach-Sim­mern-Zell war ei­ne Do­mä­ne der Na­tio­nal­li­be­ra­len. Den Ton gab der Huns­rücker Bau­ern­ver­ein an, dem Ha­cken­bergs Ein­satz für die In­ter­es­sen der Bau­ern auf­ge­fal­len war. Das stieß auf Wi­der­stand der Kreuz­nach­er Li­be­ra­len. Doch bei Ha­cken­bergs Jung­fern­re­de schlug das an­fäng­li­che Miss­trau­en in Be­geis­te­rung um.

Ha­cken­berg wur­de der Schul­ex­per­te und kul­tur­po­li­ti­sche Spre­cher der Na­tio­nal­li­be­ra­len Par­tei. Er setz­te sich für die Ver­bes­se­rung der Leh­rer­ge­häl­ter ein. 1904 war er am Zu­stan­de­kom­men des Schul­kom­pro­mis­ses zwi­schen Kon­ser­va­ti­ven und Na­tio­nal­li­be­ra­len be­tei­ligt. Da­durch wur­de die Schul­un­ter­hal­tung neu ge­re­gelt, aber auch der Vor­rang der Be­kennt­nis­schu­le fest­ge­schrie­ben, was man­che li­be­ra­le Par­tei­freun­de Ha­cken­berg übel nah­men. Auch zu kirch­li­chen The­men nahm er Stel­lung und trug mit ei­ner viel be­ach­te­ten Re­de zur Frei­ga­be der Feu­er­be­stat­tung in Preu­ßen bei. Schlie­ß­lich trat er für die Er­schlie­ßung des Huns­rücks durch den Bau von Ei­sen­bah­nen ein. Ha­cken­bergs rhe­to­risch glän­zen­de und hu­mor­vol­le Re­den ge­hör­ten zu den Hö­he­punk­ten im Reichs­tag. Sei­ne vor­neh­me Art und Mensch­lich­keit be­ein­druck­ten selbst den po­li­ti­schen Geg­ner: Ha­cken­berg war der ers­te bür­ger­li­che Po­li­ti­ker, dem der so­zi­al­de­mo­kra­ti­sche „Vor­wärts“ ei­nen eh­ren­den Nach­ruf wid­me­te.

1905 wähl­te die rhei­ni­sche Pro­vin­zi­al­syn­ode Ha­cken­berg zum Prä­ses. Es war das höchs­te Wahl­amt, das die rhei­ni­sche Kir­che zu ver­ge­ben hat­te. Da­mit ging Ha­cken­bergs Le­bens­wunsch in Er­fül­lung. Doch das Ab­stim­mungs­er­geb­nis war ent­täu­schend. Der Fall des Köl­ner Pfar­rers Carl Ja­tho (1851-1913) hat­te sei­ne Schat­ten vor­aus­ge­wor­fen. In der evan­ge­li­schen Kir­che stan­den sich Kon­ser­va­ti­ve und Li­be­ra­le un­ver­söhn­lich ge­gen­über. Ha­cken­berg ge­lang es zwar, die zer­strit­te­nen La­ger zu ei­nen, doch bei der an­schlie­ßen­den Prä­ses­wahl kam es zum Eklat: Die Kon­ser­va­ti­ven straf­ten Ha­cken­berg für sei­ne ver­mit­teln­de Hal­tung im Fall Ja­tho ab. Der Fall Ja­tho über­schat­te­te Ha­cken­bergs ge­sam­te Amts­zeit. 1911 wur­de Ja­tho sei­nes Am­tes ent­ho­ben. Grund­la­ge war das so­ge­nann­te Irr­leh­re­ge­setz, an dem Ha­cken­berg auf der Ge­ne­ral­syn­ode selbst mit­ge­ar­bei­tet hat­te. Ha­cken­berg be­dau­er­te die­sen Schritt, hielt ihn aber zur Wah­rung der kirch­li­chen Ein­heit für un­um­gäng­lich.

Ha­cken­berg starb am Vor­abend des Re­for­ma­ti­ons­ta­ges, am 30.10.1912. Er wur­de 60 Jah­re alt. Die zahl­rei­chen aus­wär­ti­gen Ver­pflich­tun­gen, die vie­len Rei­sen und die schwe­ren Zi­gar­ren ver­schlim­mer­ten sei­ne er­erb­te Herz­schwä­che. Sei­ne Ehe­frau war be­reits 1910 ge­stor­ben. Für das klei­ne Huns­rück­dorf war die Be­er­di­gung des rhei­ni­schen Prä­ses ein Jahr­hun­dert­er­eig­nis. Es wur­den über 2.000 Trau­er­gäs­te ge­zählt. Al­les, was im Rhein­land Rang und Na­men hat­te, war ver­sam­melt, um dem „Hoch­wald­kö­ni­g“, wie man Ha­cken­berg ehr­furchts­voll nann­te, die letz­te Eh­re zu er­wei­sen. Das schlich­te Grab der Ehe­leu­te Ha­cken­berg auf dem Dorf­fried­hof ist bis heu­te er­hal­ten.

Auch Jah­re nach Ha­cken­bergs Tod war die Er­in­ne­rung an ihn un­ge­bro­chen. 1922 schrieb sein Nach­fol­ger im Prä­se­s­amt, Walt­her Wolff (1870-1931), Ha­cken­berg sei die be­deu­tends­te Ver­kör­pe­rung des rhei­ni­schen Pro­tes­tan­tis­mus ge­we­sen, ein her­vor­ra­gen­der Füh­rer, um­fas­send ge­bil­det, glän­zend in De­bat­te und Ver­hand­lungs­füh­rung. Wolff kam zu dem Schluss: Ha­cken­berg „ge­hört zu den Na­men, die im Rhein­land nicht leicht ver­ges­sen wer­den und das We­sen des rhei­ni­schen Pro­tes­tan­tis­mus in sei­nen Grund­zü­gen und be­stimm­ten Aus­strah­lun­gen deut­lich ver­kör­pern.“

Nachlass

Ha­cken­bergs Nach­lass wird im Ar­chiv der Evan­ge­li­schen Kir­che im Rhein­land auf­be­wahrt. Das da­zu ge­hö­ri­ge Find­buch ist on­line ein­seh­bar. [On­line]

Werke

Stel­lung und Be­deu­tung der Volks­schu­le im Kul­tur­le­ben der Ge­gen­wart, Neu­wied 1884.

Hand­buch zum Evan­ge­li­schen Ge­sang­buch für Rhein­land und West­fa­len, Dort­mund 1894.

Am hei­li­gen Abend. Ein Weih­nachts­spiel für gro­ße und klei­ne Kin­der, Dort­mund 1896.

Al­te lie­be Mär­chen und gu­te neue Mär. Noch ein Weih­nachts­spiel, Dort­mund 1909. 

Literatur

Wol­fes, Mat­thi­as, Ha­cken­berg, Al­bert, in: Bio­gra­phisch-Bi­blio­gra­phi­sches Kir­chen­le­xi­kon (BBKL) 17 (2000), Sp. 551-553.

Zim­mer­mann, Erik, Al­bert Ha­cken­berg (1852-1912). Ein rhei­ni­scher Prä­ses (Schrif­ten­rei­he des Ver­eins für Rhei­ni­sche Kir­chen­ge­schich­te, Bd. 170), Bonn 2006. 

Zim­mer­mann, Erik, Prä­ses D. Al­bert Ha­cken­berg (1852-1912) – Land­pfar­rer, Kir­chen­mann, Po­li­ti­ker, in: Mo­nats­hef­te für evan­ge­li­sche Kir­chen­ge­schich­te des Rhein­lan­des 51 (2002), S. 273-296. 

Titelbild des Weihnachtsspiels "Am heiligen Abend", welches von Hackenberg im Jahr 1896 verfasst wurde. (Archiv der Evangelischen Kirche im Rheinland/Gemeinfrei)

 
Zitationshinweis

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Zimmermann, Erik, Albert Hackenberg, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/albert-hackenberg/DE-2086/lido/6124c0177a2764.73663455 (abgerufen am 16.04.2024)