Carl Duisberg

Chemiker und Industrieller (1861-1935)

Helmut Vogt (Bonn)

Carl Duisberg, Porträtfoto. (Privatbesitz)

Or­ga­ni­sa­ti­ons­ta­lent und stra­te­gi­sches Den­ken lie­ßen Duis­berg bis 1914 vom ein­fa­chen Bay­er-Che­mi­ker zum pro­mi­nen­tes­ten Ver­tre­ter der er­folgs­ge­wohn­ten deut­schen Che­mie- und Phar­ma­in­dus­trie auf­stei­gen. In der Wei­ma­rer Re­pu­blik voll­ende­te er die Kon­zen­tra­ti­on des In­dus­trie­zweigs und wid­me­te sich ver­stärkt eh­ren­amt­li­chen Auf­ga­ben als Ver­bands­füh­rer so­wie in der Wis­sen­schafts- und Stu­di­en­för­de­rung.

Fried­rich Carl Duis­berg wur­de am 29.9.1861 in Bar­men (heu­te Stadt Wup­per­tal) ge­bo­ren. Die Fa­mi­lie war evan­ge­lisch. So­wohl sein Va­ter Carl (1827-1896) als auch sei­ne Mut­ter Wil­hel­mi­ne, ge­bo­re­ne Wes­kott (1832-1920), ge­hör­ten dem ört­li­chen Band­wir­ker­ge­wer­be an. Mit müt­ter­li­cher Hil­fe ge­lang es dem ein­zi­gen Sohn aus die­ser Fa­mi­li­en­tra­di­ti­on aus­zu­bre­chen. Nach Ober­re­al­schu­le (Ab­itur 1878) und acht Mo­na­ten Fach­un­ter­richt an der El­ber­fel­der Ge­wer­be­schu­le schrieb er sich 1879 mit den Fä­chern Fach Che­mie, Geo­lo­gie und Na­tio­nal­öko­no­mie an der Uni­ve­ri­tät Göt­tin­gen ein, wech­sel­te dann nach Je­na, wo für die Pro­mo­ti­on kein La­ti­num ver­langt wur­de. 1882 schloss er sein Stu­di­um mit ei­ner Ar­beit über Ace­tes­si­ges­ter ab.

 

Auf ei­ne vor­über­ge­hen­de Tä­tig­keit als schlecht be­zahl­ter Pri­va­t­as­sis­tent folg­te der Mi­li­tär­dienst. Der Ein­jäh­rig-Frei­wil­li­ge beim Ers­ten Baye­ri­schen Leib­re­gi­ment in Mün­chen konn­te ne­ben sei­nen Dienst­pflich­ten am In­sti­tut des Che­mi­kers und spä­te­ren No­bel­preis­trä­gers Adolf von Ba­ey­er (1835-1917) mit­ar­bei­ten. Der ei­gent­li­che Be­rufs­an­fang führ­te den Leut­nant der Re­ser­ve ins Wup­per­tal zu­rück, wo Carl Rumpff (1839-1889), Lei­ter der El­ber­fel­der Far­ben­fa­bri­ken, jun­ge Che­mi­ker such­te: Das Un­ter­neh­men litt an den Fol­gen der Grün­der­kri­se und be­nö­tig­te drin­gend neue, markt­fä­hi­ge Pro­duk­te. Duis­berg nahm zu­nächst ei­nen For­schungs­auf­trag an der Reichs­uni­ver­si­tät Straß­burg wahr. Kurz nach sei­ner Fest­an­stel­lung an sei­nem 23. Ge­burts­tag wur­de das ers­te Pa­tent auf sei­nen Na­men an­ge­mel­det. Be­reits 1888 er­hielt der jun­ge La­bor­lei­ter als ers­ter Nicht­kauf­mann bei Bay­er Pro­ku­ra. Im sel­ben Jahr hei­ra­tet er Jo­han­na See­bohm (1864-1945), die Nich­te des Vor­stands­vor­sit­zen­den Carl Rumpff. Dem Paar wur­den drei Söh­ne und ei­ne Toch­ter ge­bo­ren.

Johanna Duisberg, Porträtfoto. (Privatbesitz)

 

Ein Vier­tel­jahr­hun­dert spä­ter stand Duis­berg als Ge­ne­ral­di­rek­tor von Bay­er an der Spit­ze ei­nes gründ­lich ver­än­der­ten Un­ter­neh­mens. Aus dem hand­werk­lich ge­präg­ten Far­ben­her­stel­ler im Wup­per­tal war ein Welt­kon­zern mit ei­ner brei­ten Pro­dukt­pa­let­te und fast 8.000 Mit­ar­bei­tern ge­wor­den. Grund­la­gen die­ses Auf­stiegs wa­ren pro­fi­ta­ble Farb­stof­fer­fin­dun­gen, ei­ne en­ge Ver­zah­nung von For­schung und Pro­duk­ti­on, ei­ne er­folg­rei­che Pa­tent­po­li­tik, vor al­lem die durch per­sön­li­che Freund­schaft un­ter­stütz­te Zu­sam­men­ar­beit mit Fried­rich Bay­er (1851-1920), dem Sohn des gleich­na­mi­gen Fir­men­grün­ders und dem kauf­män­ni­schen Lei­ter Hen­ry Theo­dor von Böt­tin­ger (1848-1920). In Duis­bergs Res­sort fiel die Auf­nah­me der Arz­nei­mit­tel­her­stel­lung und die Ent­schei­dung für die Ei­gen­pro­duk­ti­on von Grund­che­mi­ka­li­en. Zur höchs­ten Ent­fal­tung ge­lang­ten sei­ne Vor­aus­sicht und sein pla­ne­ri­sches Ta­lent bei Ent­wick­lung und Aus­bau des neu­en Stand­or­tes Le­ver­ku­sen.

Geburtshaus von Carl Duisberg in Barmen. (Privatbesitz)

 

Ei­ne wei­te­re Aus­deh­nung des Un­ter­neh­mens war im en­gen Wup­per­tal nicht mög­lich, aber an­ge­sichts des welt­wirt­schaft­li­chen Wachs­tums in den bei­den letz­ten Frie­dens­jahr­zehn­ten zwin­gend. Ab 1895 ent­stand bei Wies­dorf (nörd­lich von Mül­heim am Rhein) auf un­er­schlos­se­nem Ge­län­de aus dem Be­sitz des Apo­the­kers Carl Le­ver­kus ein neu­es Werk für die Haupt­pro­duk­ti­on. In sei­ner weg­wei­sen­den Denk­schrift ent­warf Duis­berg das Grund­sche­ma ei­nes fle­xi­blen, er­wei­te­rungs­fä­hi­gen che­mi­schen Groß­be­trie­bes. Ob­wohl for­mell nur ein­fa­ches Vor­stands­mit­glied, lei­te­te er nach 1900 prak­tisch den Kon­zern. Die Pracht der 1912 nach sei­ner Er­nen­nung zum Ge­ne­ral­di­rek­tor er­rich­te­ten Dienst­vil­la spie­gelt die ho­he Stel­lung des Haus­herrn wi­der. Wohn­lu­xus, auf­wän­di­ge Fest­lich­kei­ten und teu­re Fe­ri­en­rei­sen konn­te sich die Fa­mi­lie eben­so leis­ten wie die gro­ßzü­gi­ge Do­tie­rung zahl­rei­cher Stif­tun­gen: Der In­dus­tri­el­le ver­steu­er­te al­lein 1911 über ei­ne hal­be Mil­li­on Gold­mark aus Ge­halt, Tan­tie­men und Wert­pa­pier­ein­künf­ten.

Wohnhaus von Carl Duisberg in Elberfeld. (Privatbesitz)

 

Den Ers­ten Welt­krieg hat Duis­berg we­der ge­wollt noch vor­aus­ge­se­hen. Ex­port­ver­bo­te lie­ßen den Ab­satz der Far­ben­fa­bri­ken zu­sam­men­bre­chen, so dass selbst ei­ne durch Ein­be­ru­fun­gen stark re­du­zier­te Be­leg­schaft un­ter­be­schäf­tigt war. Erst die Pro­duk­ti­on von Spreng­mit­teln, nach ei­ni­gem Zö­gern auf­ge­nom­men, je­doch wirt­schaft­lich un­gleich be­deu­ten­der als die 1914 be­gon­ne­ne Her­stel­lung von Gift­gas, führ­te 1915 zu­rück zur Voll­be­schäf­ti­gung. Wenn Duis­berg sich über die Be­lan­ge sei­ner Fir­ma hin­aus in der Or­ga­ni­sa­ti­on der deut­schen Kriegs­wirt­schaft (Hin­den­burg-Pro­gramm) en­ga­gier­te und die kon­se­quen­te Füh­rung des Kamp­fes ein­schlie­ß­lich der Wie­der­auf­nah­me des un­ein­ge­schränk­ten U-Boot-Krie­ges for­der­te, so tat er dies vor al­lem aus tie­fem Res­sen­ti­ment ge­gen­über ei­nem bri­ti­schen Geg­ner, dem er klein­li­che öko­no­mi­sche Mo­ti­ve für den Kriegs­ein­tritt un­ter­stell­te.

Die Elberfelder Farbenfabriken, 1907. (Privatbesitz)

Wohnhaus von Carl Duisberg in Leverkusen. (Privatbesitz)

 

No­vem­ber­re­vo­lu­ti­on und Waf­fen­still­stand 1918 lös­ten in Le­ver­ku­sen kei­ne Schock­star­re aus. Nach ei­ge­ner Aus­sa­ge voll­zog Duis­berg “als Nicht­po­li­ti­ker und Op­por­tu­nist ei­nen gro­ßen Sprung nach links” und ver­such­te, durch Ko­ope­ra­ti­on mit der er­stark­ten Ar­bei­ter­schaft das Werk aus den Wir­ren des Um­bruchs her­aus­zu­hal­ten. Die frü­he Ein­füh­rung des Neun­stun­den­ta­ges bei Bay­er und ei­ne gro­ßzü­gi­ge be­trieb­li­che So­zi­al­po­li­tik mach­ten die­sen Kurs­wech­sel glaub­haft. Auch im Reichs­ver­band der deut­schen In­dus­trie, dem er von 1925 bis 1931 vor­stand, för­der­te er ei­ne An­nä­he­rung an Po­si­tio­nen der SPD und der Frei­en Ge­werk­schaf­ten. Per­sön­lich ten­dier­te er zum kon­ser­va­ti­ven Mi­lieu. Ver­su­che der wirt­schafts­freund­li­chen Deut­schen Volks­par­tei, sich den pro­fi­lier­ten In­dus­tri­el­len po­li­tisch zu ver­pflich­ten, wehr­te er wie­der­holt ab. Aus der Zu­sam­men­ar­beit mit Paul von Hin­den­burg (1847-1934) im Welt­krieg er­wuchs sein En­ga­ge­ment für den spä­te­ren Reichs­prä­si­den­ten, zu­nächst bei der Geld­samm­lung für den Er­werb des Gu­tes Neu­deck, 1932 als Ko­or­di­na­tor der in­dus­tri­el­len Wahl­kampf­spen­den für die Wie­der­wahl zum Staats­ober­haupt.

Duis­bergs Rück­zug aus der ope­ra­ti­ven Lei­tung fiel zeit­lich mit dem Auf­ge­hen “s­ei­nes” Un­ter­neh­mens in der 1925 ge­grün­de­ten I.G. Far­ben­in­dus­trie AG zu­sam­men, de­ren ers­ter Auf­sichts­rats­vor­sit­zen­der er wur­de. Das Pro­jekt ei­nes Zu­sam­men­schlus­ses der deut­schen Gro­ßche­mie hat­te der In­dus­tri­el­le seit der Jahr­hun­dert­wen­de ver­folgt und in meh­re­ren Etap­pen ver­wirk­licht. Seit An­fang 1905 ar­bei­te­ten im “Drei­bund” die Fir­men BASF, Bay­er und AG­FA eng zu­sam­men, tra­ten nach au­ßen ein­heit­lich auf und ver­teil­ten die Ge­win­ne im Ver­hält­nis 43 Pro­zent zu 43 Pro­zent zu 14 Pro­zent. 1916 kam es un­ter dem Druck des Krie­ges und der Sor­ge um die an­ge­stamm­ten Ex­port­märk­te zur Er­wei­te­rung des Kar­tells un­ter dem Na­men “In­ter­es­sen­ge­mein­schaft der deut­schen Teer­far­ben­fa­bri­ken”.

Un­ter den zahl­rei­chen ge­mein­nüt­zi­gen Pro­jek­ten, die Duis­berg au­ßer­halb sei­ner un­ter­neh­me­ri­schen Ver­ant­wor­tung in­iti­ier­te oder för­der­te, sind be­son­ders sein Ein­satz für das Deut­sche Mu­se­um in Mün­chen, des­sen Vor­stands­rat er von 1912 bis 1916 lei­te­te, und sein Mit­wir­ken an der Grün­dung der “Not­ge­mein­schaft der deut­schen Wis­sen­schaft” (1920) so­wie ei­ner Dar­lehns­kas­se für die deut­sche Stu­den­ten­schaft her­vor­zu­he­ben. Acht deut­sche Uni­ver­si­tä­ten, un­ter ih­nen Bonn (1919) und Köln (1921), ver­lie­hen ihm die Eh­ren­dok­tor­wür­de. Aus An­lass des 70. Ge­burts­ta­ges rich­te­ten so­wohl die I.G. Far­ben AG als auch der Reichs­ver­band der Deut­schen In­dus­trie gro­ße Fei­ern aus. Carl Duis­berg starb am 19.3.1935 in Le­ver­ku­sen. Die Bei­set­zung am Ran­de ei­nes Parks ge­gen­über dem Werks­ge­län­de fand drei Ta­ge spä­ter un­ter gro­ßer öf­fent­li­cher Be­tei­li­gung statt.

Quellen

Duis­berg, Carl, Mei­ne Le­bens­er­in­ne­run­gen, Leip­zig 1933.
Küh­len, Kor­du­la (Be­arb.), Carl Duis­berg (1861-1935). Brie­fe ei­nes In­dus­tri­el­len, Mün­chen 2012.

Literatur

Flecht­ner, Hans-Joa­chim, Carl Duis­berg. Ei­ne Bio­gra­phie, Düs­sel­dorf 1981.
Grei­ling, Wal­ter, Duis­berg, Fried­rich Carl, in: Neue Deut­sche Bio­gra­phie 4, 1959, S. 181-182. 
Plum­pe, Wer­ner, Carl Duis­berg und der Ers­te Welt­krieg, in: Gil­gen, Da­vid u.a. (Hg.), Deutsch­land als Mo­dell? Rhei­ni­scher Ka­pi­ta­lis­mus und Glo­ba­li­sie­rung seit dem 19. Jahr­hun­dert, Bonn 2010, S. 171-193.
Portz, Tho­mas, Gro­ß­in­dus­trie, Kriegs­ziel­be­we­gung und OHL, Sieg­frie­den und Kanz­ler­sturz: Carl Duis­berg und die deut­sche Au­ßen­po­li­tik im Ers­ten Welt­krieg, Lauf a.d. Peg­nitz 2000.
vom Berg, Carl, Ge­schich­te der Fa­mi­lie Duis­berg, Düs­sel­dorf 1933.

Online

In­for­ma­tio­nen zu­ ­Carl Duis­ber­g auf der Home­page der Bay­er AG. [On­line]

Gesamtansicht der Farbenfabriken Leverkusen, 1913. (Privatbesitz)

 
Zitationshinweis

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Vogt, Helmut, Carl Duisberg, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/carl-duisberg/DE-2086/lido/57c698f6ce4650.37086121 (abgerufen am 20.04.2024)