Gerdy Troost

Innenarchitektin (1904-2003)

Timo Nüßlein (Wien)

'Bildnis Gerdy Troost', Gemälde von Paul Ludwig Troost, entstanden Anfang der 1930er Jahre. (Kroll, Bruno: Deutsche Maler der Gegenwart, 1937, S. 135)

Im „Drit­ten Reich“ ist Ger­dy Troost ei­ne der engs­ten und ein­fluss­reichs­ten Be­ra­te­rin­nen Hit­lers in Fra­gen von Kunst und Kul­tur. Für Hit­ler be­sorgt sie fe­der­füh­rend auch meh­re­re In­nen­ein­rich­tun­gen, die ei­ne enor­me Wir­kung auf die ge­ho­be­ne In­nen­ar­chi­tek­tur wäh­rend des Na­tio­nal­so­zia­lis­mus in Deutsch­land ha­ben.

So­phie Ger­har­di­ne Wil­hel­mi­ne An­d­re­sen, bes­ser be­kannt als Ger­dy Troost, wur­de am 3.3.1904 in Stutt­gart ge­bo­ren. Ih­re El­tern wa­ren der Mö­bel­fa­bri­kant Jo­han­nes Adolf Ger­hard (ge­bo­ren 1877) und Ma­ria Lui­se An­d­re­sen, ge­bo­re­ne Mül­ler. Die Fa­mi­lie war pro­tes­tan­tisch. Der 1909 ge­bo­re­ne Bru­der Frie­del kam 1935 bei ei­nem Mo­tor­rad­un­fall ums Le­ben.

Die Schul­zeit ver­brach­te Ger­dy Troost in Düs­sel­dorf, wo sie von 1910 bis 1920 die Hö­he­re Mäd­chen­schu­le be­such­te. Im An­schluss zog sie nach Bre­men, wo sie im el­ter­li­chen Ein­rich­tungs­be­trieb, den Deut­schen Holz­kunst­werk­stät­ten, in nicht nä­her be­kann­ter Funk­ti­on mit­ar­bei­te­te. Hier lern­te sie 1923 den 26 Jah­re äl­te­ren Ar­chi­tek­ten Paul Lud­wig Troost ken­nen, der bei den Holz­kunst­werk­stät­ten Schiffs­ein­rich­tun­gen für den Nord­deut­schen Lloyd aus­füh­ren ließ. 1924 zog Ger­dy zu ihm nach Mün­chen, im dar­auf­fol­gen­den Jahr hei­ra­te­te das Paar. Fort­an ar­bei­te­te sie im Ate­lier ih­res Man­nes mit, dis­ku­tier­te mit ihm sei­ne Ge­stal­tungs­ide­en und be­glei­te­te ihn auf Dienst­rei­sen.

Nach­dem ihr Mann ab Sep­tem­ber 1930 Auf­trä­ge von Adolf Hit­ler (1889-1945) er­hielt, lern­te Ger­dy Troost den Par­tei­füh­rer per­sön­lich ken­nen und war so­fort ein­ge­nom­men von sei­ner „ge­nia­len Per­sön­lich­keit“. Als glü­hen­de An­hän­ge­rin Hit­lers, die sie zeit­le­bens blei­ben soll­te, trat sie im Au­gust 1932 der NS­DAP bei.

 

Ei­nen mas­si­ven Ein­schritt be­deu­te­te für Ger­dy Troost der Tod ih­res Man­nes am 21.1.1934. Auf Ver­an­las­sung Hit­lers über­nahm sie, die sich bis da­hin be­wusst im Schat­ten ih­res Man­nes ge­hal­ten hat­te, die Lei­tung von des­sen Ar­chi­tek­tur­bü­ro, un­ter­stützt von Troosts äl­tes­tem Mit­ar­bei­ter Leon­hard Gall (1884–1952). Dass Hit­ler der 30 Jah­re jun­gen Frau sei­nes Ar­chi­tek­ten, die zu­dem nie ei­ne or­dent­li­che künst­le­ri­sche oder kauf­män­ni­sche Aus­bil­dung ab­sol­viert hat­te, die Ver­ant­wor­tung für sei­ne wich­tigs­ten Bau­pro­jek­te über­trug, ist ein er­staun­li­cher Vor­gang, der nä­he­rer Er­klä­rung be­darf.

Vor­aus­set­zung da­für dürf­te zum ei­nen ge­we­sen sein, dass Ger­dy Troost wäh­rend der gut drei­jäh­ri­gen Zu­sam­men­ar­beit ih­res Man­nes mit Hit­ler eben­falls des­sen Ver­trau­en ge­win­nen konn­te. Zum an­de­rem dürf­te Hit­ler, der seit sei­ner Wie­ner Zeit ei­ne star­ke Ab­nei­gung ge­gen Aka­de­mi­en und Uni­ver­si­tä­ten heg­te, die feh­len­de fach­li­che Aus­bil­dung der Troost-Wit­we nicht als Nach­teil, son­dern eher mit Sym­pa­thie be­trach­tet ha­ben, da sich Ger­dy Troost ih­re Fach­kennt­nis­se eben­so au­to­di­dak­tisch an­ge­eig­net hat­te wie er selbst. Aus­schlag­ge­bend war schlie­ß­lich, dass Ger­dy Troost nach dem Tod ih­res Man­nes mit be­acht­li­chem Selbst­be­wusst­sein als des­sen künst­le­ri­sche Erb­ver­wal­te­rin auf­trat und für sich in An­spruch nahm, die ein­zi­ge zu sein, die sich in die künst­le­ri­schen In­ten­tio­nen Paul Lud­wig Troosts ein­füh­len kön­ne. Nach we­ni­gen Wo­chen konn­te sie auch Hit­ler da­von über­zeu­gen, dass nur sie ei­ne Fer­tig­stel­lung je­ner Bau­ten im Geis­te ih­res Man­nes ge­währ­leis­ten kön­ne, wor­auf­hin sie im Fe­bru­ar 1934 den ent­spre­chen­den Auf­trag er­hielt.

Gerdy Troost und Leonhard Gall beim Richtfest des 'Hauses der Deutschen Kunst' in München, 26.6.1935. (Nüßlein, Timo: Paul Ludwig Troost 1879-1934 (Hitlers Architekten. Historisch-kritische Monographien zur Regimearchitektur im Nationalsozialismus, hrsg. v. Winfried Nerdinger u. Raphael Rosenberg, Bd.1), Wien/Köln/Weimar 2012)

 

In der Tat ge­lang es Ger­dy Troost und Gall bis 1937, die Münch­ner Bau­ten ih­res Man­nes – die Par­tei­bau­ten am Kö­nigs­platz und das „Haus der Deut­schen Kunst“ – zu Hit­lers völ­li­ger Zu­frie­den­heit fer­tig­zu­stel­len und ein­zu­rich­ten. Dar­über hin­aus wur­de das „Ate­lier Troos­t“, wie sich die Bü­ro­ge­mein­schaft ab 1934 be­zeich­ne­te, von Hit­ler mit wei­te­ren re­prä­sen­ta­ti­ven Ein­rich­tungs­auf­trä­gen be­traut, et­wa für des­sen Pri­vat­woh­nung und das Prinz-Carl-Pa­lais in Mün­chen, den „Berg­hof“ auf dem Ober­salz­berg so­wie die Al­te Reichs­kanz­lei in Ber­lin. Im Ate­lier Troost ge­stal­te­te sich die Ar­beits­tei­lung der­art, dass Leon­hard Gall den Ent­wurf von Mö­bel so­wie die tech­nisch-kon­struk­ti­ve Um­set­zung ver­ant­wor­te­te, wäh­rend Ger­dy Troost die farb­li­che Ge­stal­tung der Räu­me und die Aus­schmü­ckung mit Kunst­wer­ken vor­nahm.

Ne­ben den ar­chi­tek­to­ni­schen Ar­bei­ten be­auf­trag­ten Hit­ler und an­de­re füh­ren­de Na­tio­nal­so­zia­lis­ten Ger­dy Troost noch mit der Her­stel­lung von Klein­kunst­ob­jek­ten zur per­sön­li­chen Ver­wen­dung oder zu Ge­schenk­zwe­cken. Da­zu zähl­ten bei­spiels­wei­se Schmuck­kas­set­ten, Te­le­fon­bucht­ru­hen, Schreib­map­pen so­wie pracht­vol­le Buch­ein­bän­de. Die Aus­füh­rung je­ner Ar­bei­ten er­folg­te in der Re­gel durch die Kunst­buch­bin­de­rin Frie­da Thiersch (1889–1947), die Gra­fi­ke­rin Fran­zis­ka Ko­bell (?–?) und die Gold­schmie­de und Bild­haue­rei der Brü­der Franz (1897–1961) und Her­mann Wan­din­ger (1897–1976).

Albert Speer (ganz links), Gerdy Troost (Mitte) und Adolf Hitler (zweiter von rechts) auf der Baustelle des 'Hauses der Deutschen Kunst', um 1935. (Nüßlein, Timo: Paul Ludwig Troost 1879-1934 (Hitlers Architekten. Historisch-kritische Monographien zur Regimearchitektur im Nationalsozialismus, hrsg. v. Winfried Nerdinger u. Raphael Rosenberg, Bd.1), Wien/Köln/Weimar 2012)

 

Da­ne­ben über­nah­men Ger­dy Troost und die ihr zu­ar­bei­ten­den Werk­stät­ten 1937 im Auf­trag Hit­lers die Pro­duk­ti­on der hö­her­ran­gi­gen Ver­lei­hungs­ur­kun­den des Deut­schen Rei­ches mit­samt der da­zu­ge­hö­ri­gen Auf­be­wah­rungs­map­pen und –kas­set­ten. Nach der Auf­lö­sung des Ate­liers Troost An­fang 1939 war die se­ri­en­mä­ßi­ge Fer­ti­gung der Ur­kun­den Ger­dy Troosts Haupt­tä­tig­keits­feld: Nach Aus­bruch des Zwei­ten Welt­kriegs fie­len die hö­her­wer­ti­gen Mi­li­tär­ur­kun­den, vor al­lem für das Rit­ter­kreuz des Ei­ser­nen Kreu­zes, un­ter ih­re Re­gie. Cha­rak­te­ris­tisch wa­ren für die un­ter Ger­dy Troost pro­du­zier­ten Klein­kunst­ob­jek­te und Ur­kun­den ei­ne „grie­chi­sch“ an­mu­ten­de Ge­stal­tung und die Ver­wen­dung kost­bars­ter Ma­te­ria­li­en.

We­gen der kunst­hand­werk­li­chen und ar­chi­tek­to­ni­schen Ar­bei­ten stand Ger­dy Troost in re­gel­mä­ßi­gen Kon­takt mit Hit­ler. Auch sonst schätz­te der Dik­ta­tor ih­ren Rat und be­such­te sie häu­fig im Ate­lier, um künst­le­ri­sche oder kul­tur­po­li­ti­sche Fra­gen zu er­ör­tern oder ih­re Mei­nung ein­zu­ho­len. Dank ih­rer Ver­trau­ens­stel­lung bei Hit­ler konn­te Ger­dy Troost auch oh­ne ein of­fi­zi­el­les Amt, ei­nen er­heb­li­chen Ein­fluss auf künst­le­ri­sche und kul­tur­po­li­ti­sche Fra­gen, vor al­lem in Mün­chen, aus­üben. Dies be­traf ins­be­son­de­re ih­re Tä­tig­keit als Ju­ro­rin bei der Aus­wahl der Wer­ke für die Kunst- und Ar­chi­tek­tur­aus­stel­lun­gen im „Haus der Deut­schen Kunst“ oder auch ih­re Tä­tig­keit im „Kunst­aus­schus­s“ der Ba­va­ria-Film­kunst GmbH (ab 1938), der als Zen­sur­gre­mi­um Film­pro­duk­tio­nen vor der Ver­öf­fent­li­chung be­gut­ach­te­te.

Besichtigung des Hauses der Deutschen Kunst durch Adolf Hitler. Daneben Gerdy Troost, Adolf Ziegler und Joseph Goebbels am 5.5.1937. (Bundesarchiv, Bild 183-1992-0410-546 / CC-BY-SA 3.0)

 

1938 und 1943 gab sie im Gau­ver­lag zwei Bän­de „Das Bau­en im Neu­en Reich“ her­aus, die zu den auf­la­gen­stärks­ten Ar­chi­tek­tur­pu­bli­ka­tio­nen des Na­tio­nal­so­zia­lis­mus zäh­len. Die Tex­te zu bei­den Bän­den stam­men von dem NS-Pu­bli­zis­ten Kurt Tramp­ler (1904–1969). Wäh­rend der ers­te Band das gan­ze Spek­trum der staat­li­chen Re­prä­sen­ta­ti­ons­ar­chi­tek­tur zeigt, the­ma­ti­siert der zwei­te Band die Ar­chi­tek­tur im Krieg, wes­halb über­wie­gend Rüs­tungs- und In­dus­trie­bau­ten so­wie Denk­mal­ent­wür­fe prä­sen­tiert wer­den.

Auf­grund ih­rer viel­fäl­ti­gen Tä­tig­kei­ten war Ger­dy Troost ne­ben Wi­ni­f­red Wag­ner (1897–1980) und Le­ni Rie­fen­stahl (1902–2003) ei­ne der füh­ren­den Frau­en im na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Kul­tur­be­trieb. Ih­re Ver­diens­te um die Ar­chi­tek­tur und Kul­tur des NS-Re­gimes ho­no­rier­te Hit­ler 1937 mit der Ver­lei­hung des Pro­fes­so­ren-Ti­tels und 1943 des Gol­de­nen Par­tei­ab­zei­chens der NS­DAP.

Un­ge­ach­tet ih­rer ein­fluss­rei­chen Stel­lung im na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Kul­tur­be­trieb wur­de Ger­dy Troost nach Kriegs­en­de in ih­rem Ent­na­zi­fi­zie­rungs­ver­fah­ren als „Min­der­be­las­te­te“ ein­ge­stuft und mit vor­über­ge­hen­dem Be­rufs­ver­bot be­legt. Zu­rück­ge­zo­gen von der Öf­fent­lich­keit, ver­such­te sie in der Bun­des­re­pu­blik als Ein­rich­tungs­be­ra­te­rin wie­der Fuß zu fas­sen, je­doch mit nur ge­rin­gem Er­folg. Sie starb am 30.1.2003 in Bad Rei­chen­hall.

Werke

[Her­aus­ge­ber­schaft] Das Bau­en im Neu­en Reich, 2 Bän­de, Bay­reuth 1938/1943. [Di­ver­se Auf­la­gen]

Werke als Innenarchitektin

In­nen­ein­rich­tung „Füh­rer­bau“, Mün­chen, 1934–1937
In­nen­ein­rich­tung „Ver­wal­tungs­bau“, Mün­chen, 1934–1937
In­nen­ein­rich­tung „Haus der Deut­schen Kunst“, Mün­chen, 1934–1937
In­nen­ein­rich­tung der Pri­vat­woh­nung Hit­lers, Mün­chen, 1935/36
In­nen­ein­rich­tung der Pri­vat­woh­nung Eva Brauns, Mün­chen, 1935/36
In­nen­ein­rich­tung des Berg­hofs, Ober­salz­berg bei Berch­tes­ga­den, 1935/36
In­nen­ein­rich­tung des Prinz-Carl-Pa­lais, Mün­chen, 1936/37
In­nen­ein­rich­tung der Kaul­bach-Vil­la als Dienst­sitz von Gau­lei­ter Adolf Wag­ner, Mün­chen, 1937 

Literatur

Brantl, Sa­bi­ne, Haus der Kunst, Mün­chen. Ein Ort und sei­ne Ge­schich­te im Na­tio­nal­so­zia­lis­mus, Mün­chen 2007.
Dör­hö­fer, Kers­tin, Pio­nie­rin­nen der Ar­chi­tek­tur, Tü­bin­gen/Ber­lin 2004, S. 146–149.
Lau­ter­bach, Iris/Ro­se­feldt, Ju­li­an/Stein­le, Pie­ro (Hg.), Bü­ro­kra­tie und Kult. Das Par­tei­zen­trum der NS­DAP am Kö­nigs­platz in Mün­chen. Ge­schich­te und Re­zep­ti­on, Mün­chen 1995.
Nü­ß­lein, Ti­mo, Ger­dy Troost – Ur­kun­den und kunst­hand­werk­li­che Ar­bei­ten 1937–1945, in: Mi­li­ta­ria. Fach­jour­nal für Aus­zeich­nun­gen, Uni­for­mie­rung, Mi­li­tär- und Zeit­ge­schich­te 34/Heft 4 (2011), S. 128–136.
Nü­ß­lein, Ti­mo, Paul Lud­wig Troost. 1878–1934, Wien/Köln/Wei­mar 2012, S. 174–183.
Schad, Mar­tha, Sie lieb­ten den Füh­rer. Wie Frau­en Hit­ler ver­ehr­ten, Mün­chen 2009, S. 150–184.
Stein­kamp, Mai­ke, Fo­to­gra­fier­te Welt­an­schau­ung. Ger­dy Troosts Das Bau­en im Neu­en Reich (1938), in: Ar­chi­tek­tur im Buch, hg. v. Bur­cu Do­gra­maci und Si­mo­ne Förs­ter, Dres­den 2010, S. 155–168. 

Cover des Buches 'Das Bauen im Neuen Reich', erster Band, 1938 herausgegeben von Gerdy Troost.

 
Zitationshinweis

Bitte geben Sie beim Zitieren dieses Beitrags die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Nüßlein, Timo, Gerdy Troost, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/gerdy-troost/DE-2086/lido/5b3b3f2b0772c5.88610785 (abgerufen am 19.03.2024)