Gertrude Förstel

Sängerin, Gesangspädagogin (1880-1950)

Karsten Lehl (Düsseldorf)

Gertrude Foerstel, 1902. (Sport und Salon, 17. Mai 1902)

Ger­tru­de Förs­tel war ei­ne So­pra­nis­tin, die als Opern- und Kon­zert­sän­ge­rin zwi­schen 1900 und 1930 in­ter­na­tio­na­le Er­fol­ge fei­er­te. Vor al­lem als In­ter­pre­tin der Wer­ke Gus­tav Mah­lers (1860–1911) setz­te sie Maß­stä­be. Als Pro­fes­so­rin der Staat­li­chen Mu­sik­hoch­schu­le Köln wur­de sie zur ge­such­ten Päd­ago­gin.

Ger­tru­de Förs­tel (auch Ger­trud, Fo­ers­tel oder Förstl) wur­de am 21.12.1880 in Leip­zig ge­bo­ren. Sie war ei­nes von min­des­tens sie­ben Kin­dern von Edu­ard Förs­tel (1854–1940), ei­nes Vio­li­nis­ten des Leip­zi­ger Ge­wand­haus­or­ches­ters. Da die Künst­le­rin zeit­le­bens ihr Pri­vat­le­ben vor der Öf­fent­lich­keit weit­ge­hend ab­ge­schirmt hat, sind An­ga­ben über ih­re Fa­mi­lie und ih­ren Wer­de­gang nur schwer zu fin­den und oft wi­der­sprüch­lich.

Nicht nur Ger­tru­de, son­dern auch ih­re Ge­schwis­ter zeig­ten mu­si­ka­li­sches Ta­lent: Ed­mund Fo­ers­tel (1878–1934) war ab 1907 Kon­zert­meis­ter des Chi­ca­go Sym­pho­ny Or­ches­tra, Lud­wig Fo­ers­tel (1882–1938) zu­nächst in Bres­lau, dann in den USA als Cel­list und Päd­ago­ge tä­tig, Ger­hard Fo­ers­tel (1891–1949) wur­de Vio­li­nist im Los An­ge­les Phil­har­mo­nic Or­ches­tra. Han­na und Lis­beth Förs­tel wa­ren als Lai­en­sän­ge­rin­nen so be­gabt, dass sie bei Wohl­tä­tig­keits­ver­an­stal­tun­gen mit ih­rer Schwes­ter Ger­tru­de im Trio auf­tre­ten konn­ten.

Ger­tru­de Förs­tels Mu­sik­be­geis­te­rung war schon in jun­gen Jah­ren be­mer­kens­wert. Zu­nächst schien es, als wür­de Ger­tru­de Förs­tel ei­ne Kar­rie­re als Pia­nis­tin an­stre­ben. Be­reits als Elf­jäh­ri­ge hat­te sie am Leip­zi­ger Kon­ser­va­to­ri­um in Wolf­gang Ama­de­us Mo­zarts (1756-1791) Trio in Es-Dur am 31.5.1892 ih­ren ers­ten öf­fent­li­chen Auf­tritt. Sechs Mo­na­te spä­ter prä­sen­tier­te sie den ers­ten Satz des C-Dur-Kon­zerts von Lud­wig van Beet­ho­ven. In den kom­men­den Jah­ren fand sich ihr Na­me re­gel­mä­ßig in der lo­ka­len Pres­se. Da Förs­tel auch ger­ne sang, lag es na­he, dass sie als Kla­vier­be­glei­te­rin tä­tig wur­de: So be­glei­te­te sie et­wa ih­re Ju­gend­freun­din An­na Har­tung am 30.1.1897, als die­se bei ei­ner Fei­er zum 100. Ge­burts­tag Franz Schu­berts (1797-1828) ei­ni­ge Schu­bert-Lie­der vor­trug.

Am 12.3.1897 leg­te sie am Leip­zi­ger Kon­ser­va­to­ri­um Prü­fun­gen als Pia­nis­tin wie als Sän­ge­rin ab. Bei ih­rer Ge­sangs­prü­fung wur­de sie von Edu­ard Mö­ri­cke (1877–1929) be­glei­tet, der auch spä­ter als Ka­pell­meis­ter der Deut­schen Oper Ber­lin und Chef­di­ri­gent der Dresd­ner Phil­har­mo­nie mit ihr mu­si­zier­te.

Ob­wohl Ger­tru­de Förs­tel nach ih­rem pro­fes­sio­nel­len De­büt in Wer­dau (Land­kreis Zwi­ckau) wei­ter ei­ne Kar­rie­re als Pia­nis­tin ver­folg­te, blieb sie auch dem Ge­sang treu und bes­ser­te da­mit ih­re Ein­künf­te auf. So sang sie für ei­ne Mo­nats­ga­ge von 15 Mark im Chor der Leip­zi­ger Syn­ago­ge, ob­wohl sie kei­ne Jü­din war. Dort hör­te sie der pen­sio­nier­te Opern­sän­ger Adolf Per­luß (1858–1911) und pries sie dem Pra­ger Opern­di­rek­tor An­ge­lo Neu­mann (1838–1910) als gro­ßes Ta­lent an. Neu­mann, der ein au­ßer­or­dent­li­ches Ge­spür für jun­ge mu­si­ka­li­sche Hoch­be­ga­bun­gen hat­te, kam 1899 zu ei­nem Kon­zert des Syn­ago­gen­chors nach Leip­zig, in dem Förs­tel ein So­lo sang und en­ga­gier­te sie so­fort für sein Deut­sches Thea­ter. Zur Be­din­gung mach­te er ein Jahr kon­zen­trier­ter Vor­be­rei­tung auf die An­for­de­run­gen der Büh­ne, wes­halb Ger­tru­de Förs­tel bis zum Som­mer 1900 auf Neu­manns Kos­ten Un­ter­richt in Ber­lin bei Sel­ma Nick­lass-Kemp­ner (1850–1928) nahm, ei­ne der bes­ten deut­schen Ge­sangs­päd­ago­gin­nen ih­rer Zeit.

In mu­si­ka­li­schen Krei­sen gin­gen bald Ge­rüch­te über ei­ne Sen­sa­ti­on um, die sich in Prag an­bahn­te. Nach den ers­ten Büh­nen­pro­ben, aber so­gar noch vor ih­rem ers­ten Auf­tritt, er­hielt Förs­tel An­ge­bo­te für Auf­trit­te bei den Ber­li­ner Phil­har­mo­ni­schen Kon­zer­ten und den Leip­zi­ger Ge­wand­haus­kon­zer­ten. Über­dies war sie in Prag auch im zwei­ten Phil­har­mo­ni­schen Kon­zert der Sai­son 1900/1901 als Pia­nis­tin ver­pflich­tet. Die 19-jäh­ri­ge Sän­ge­rin de­bü­tier­te am 1.9.1900 als Ami­na in Vin­cen­zo Bel­li­nis (1801-1835) „La Son­nam­bu­la“ mit nach­hal­ti­gem Er­folg. Be­reits ei­nen Mo­nat spä­ter war sie für Prags grö­ß­te deutsch­spra­chi­ge Zei­tung „un­se­re neue Di­va“.

Die­se Er­fol­ge sporn­ten ih­ren Ar­beits­ei­fer erst recht an. Ihr Ar­beits­pen­sum in den kom­men­den Jah­ren war enorm. In den sechs Jah­ren in Prag prä­sen­tier­te sich die Sän­ge­rin in min­des­tens 50 Rol­len, die na­he­zu aus­nahms­los gro­ßen Zu­spruch er­fuh­ren, le­dig­lich in Ope­ret­ten­rol­len wur­de sie bis­wei­len als zu ernst emp­fun­den. Vor al­lem in tech­nisch und mu­si­ka­lisch an­spruchs­vol­len Par­ti­en war die jun­ge Sän­ge­rin ei­ne wich­ti­ge Kraft, die bei zahl­rei­chen Ur­auf­füh­run­gen mit­wirk­te.  

Be­deut­sam war et­wa die Pre­mie­re der Oper „Tief­lan­d“ von Eu­gen d’Al­bert (1864–1932) am 15.11.1903, wo sie die Rol­le der Nu­ri sang. Da­ne­ben er­prob­te sie sich als Kon­zert­so­lis­tin und trat ge­le­gent­lich noch als Pia­nis­tin in Er­schei­nung – bis­wei­len mit dem Di­ri­gen­ten und Kom­po­nis­ten Leo Blech (1871–1958) an zwei Kla­vie­ren – und di­ri­gier­te am 19.11.1905 so­gar das Pra­ger Opern­or­ches­ter. Es war ab­zu­se­hen, dass ein zwar künst­le­risch ex­zel­len­tes, aber den­noch nur mit­tel­gro­ßes Haus wie die Deut­sche Oper in Prag ei­ne Künst­le­rin die­ses For­mats nicht dau­er­haft wür­de hal­ten kön­nen.

 

Seit 1904 hat­te sich Ger­tru­de Förs­tel in Gast­spie­len an grö­ße­ren Häu­sern vor­ge­stellt und trat schlie­ß­lich im April 1905 ein drei Vor­stel­lun­gen um­fas­sen­des Gast­spiel auf En­ga­ge­ment an der Wie­ner Hof­oper an. Be­reits nach der zwei­ten Vor­stel­lung un­ter­zeich­ne­te Di­rek­tor Gus­tav Mah­ler den Ver­trag, da der Er­folg beim Pu­bli­kum bis da­hin be­reits al­le Er­war­tun­gen über­trof­fen hat­te. Mit Ab­lauf der Spiel­zeit ließ der Pra­ger Di­rek­tor Neu­mann die So­pra­nis­tin nicht nur vor­zei­tig ge­hen, son­dern un­ter­stütz­te sie auch bei der Aus­hand­lung ei­nes güns­ti­gen Ver­tra­ges in Wien, wo sie zu­nächst bis 1908 mit ei­nem Jah­res­ge­halt von 20.000 Kro­nen ver­pflich­tet wur­de.

In Wien er­fuhr die Sän­ge­rin bald, dass Gunst bei Pres­se und Pu­bli­kum nicht im­mer mit­ein­an­der ver­knüpft wa­ren. Gus­tav Mah­ler schätz­te den so ar­beits­wil­li­gen wie ta­len­tier­ten Neu­zu­gang of­fen­sicht­lich hoch, auch das Pu­bli­kum war von dem silb­rig glän­zen­den So­pran wie der „äthe­ri­schen Schön­heit“ der Förs­tel ent­zückt. Da aber Gus­tav Mah­ler durch sei­ne kon­se­quen­ten Be­mü­hun­gen, das Star­we­sen aus sei­nem Opern­haus zu ver­ban­nen und durch ein viel­sei­tig ein­setz­ba­res, kol­le­gia­les En­sem­ble zu er­set­zen, ein­fluss­rei­che Ver­tre­ter der Pres­se ge­gen sich auf­ge­bracht hat­te, blie­ben auch sei­ne be­vor­zug­ten Kräf­te von An­grif­fen nicht ver­schont. Ins­be­son­de­re Ju­li­us Korn­gold (1860-1945) von der viel ge­le­se­nen „Neu­en Frei­en Pres­se“ fiel re­gel­mä­ßig durch ab­wei­chen­de, durch­wegs fros­ti­ge Be­ur­tei­lun­gen der Leis­tun­gen Förs­tels auf. Die­se je­doch be­wun­der­te Mah­ler und hielt in un­ver­brüch­li­cher Treue zu ihm, auch nach­dem er En­de Mai 1907, er­mü­det von end­lo­sen Aus­ein­an­der­set­zun­gen mit Per­so­nal und Ver­wal­tungs­be­am­ten, sei­ne Di­rek­ti­on nie­der­ge­legt hat­te. Nach sei­nem Tod 1911 er­in­ner­te sich Ger­tru­de Förs­tel in ei­nem Nach­ruf: „Aber es gibt Men­schen, die sich auch am hei­ligs­ten Feu­er ih­re täg­li­che Mahl­zeit gar­ko­chen wol­len. Das sind die­je­ni­gen, die in Mah­ler ei­nen Des­po­ten sa­hen. Ich selbst ha­be ihn nie an­ders ken­nen ge­lernt als lie­bens­wür­dig, zu­vor­kom­mend und vor al­lem für je­des ent­ge­gen­ge­brach­te Ver­ständ­nis un­end­lich dank­bar.“

Gertrude Förstel, Rollenporträt, 1908, Foto: Carl Pietzner. (Theatermuseum, Wien, FS_PK168528alt)

 

Im Herbst 1907 sang Ger­tru­de Förs­tel bei ei­ner Wie­ner Auf­füh­rung von Mah­lers 2. Sym­pho­nie das So­pran­so­lo un­ter der Lei­tung des Kom­po­nis­ten und po­si­tio­nier­te sich da­mit ein­deu­tig. Ei­ni­ge Zei­tun­gen gin­gen dar­auf­hin fest da­von aus, dass die Sän­ge­rin von dem neu­en Di­rek­tor Fe­lix von Wein­gart­ner (1863–1942) nicht wei­ter­be­schäf­tigt wer­den wür­de. Die­ser aber hielt ih­re künst­le­ri­schen Qua­li­tä­ten für so wert­voll, dass er ih­ren Ver­trag zu­nächst um ein Jahr, dann um wei­te­re drei Jah­re ver­län­ger­te und schlie­ß­lich auch ihr Ge­halt auf 30.000 Kro­nen im Jahr er­höh­te.

Ste­ti­ge Gast­spiel­tä­tig­kei­ten und die mehr­fa­che Ver­pflich­tung zu den Bay­reu­ther Fest­spie­len mach­ten in den kom­men­den Jah­ren Ger­tru­de Förs­tel über Wien hin­aus be­kannt. End­gül­tig wur­de ihr Na­me auch in­ter­na­tio­nal ge­han­delt, nach­dem Gus­tav Mah­ler sie als ers­te So­pra­nis­tin für die Ur­auf­füh­rung sei­ner 8. Sym­pho­nie be­ru­fen hat­te, die am 12.9.1910 in Mün­chen zu ei­nem sen­sa­tio­nel­len Er­folg wur­de. Auch für die Pa­ri­ser Erst­auf­füh­rung der 4. Mah­ler-Sym­pho­nie wur­de sie als So­lis­tin be­setzt. Es war letzt­lich der her­aus­ra­gen­de Ruf als Mah­ler-In­ter­pre­tin, der zum Bruch mit der Wie­ner Hof­oper führ­te.

Mit Wein­gart­ners Nach­fol­ger Hans Gre­gor (1866–1945) gab es Zu­sam­men­stö­ße we­gen Gast­spiel­ur­lau­ben für die Sän­ge­rin­nen und Sän­ger. Auch Ger­tru­de Förs­tel muss­te kurz­fris­tig ih­re Teil­nah­me beim Nie­der­rhei­ni­schen Mu­sik­fest 1911 ab­sa­gen, weil sie kei­ne Frei­stel­lung der Opern­di­rek­ti­on er­hielt. En­de Ja­nu­ar 1912 ver­ließ sie ih­re Wie­ner Wir­kungs­stät­te, nach­dem be­reits be­wil­lig­ter Ur­laub für Kon­zer­te von Gre­gor wie­der zu­rück­ge­zo­gen wor­den war.

In den fol­gen­den Jah­ren kon­zen­trier­te sich die Sän­ge­rin auf ih­re Kon­zert­tä­tig­keit, auch wenn sie ge­le­gent­lich bei Fest­spie­len noch auf der Opern­büh­ne er­schien. Selbst ein An­ge­bot der New Yor­ker Me­tro­po­li­tan Ope­ra lehn­te sie im Som­mer 1912 ab und reis­te statt­des­sen durch Eu­ro­pa und prä­sen­tier­te im Rah­men von Sym­pho­nie­kon­zer­ten, Kam­mer­mu­sik- und Lie­der­aben­den so­wie geist­li­chen Mu­si­ken ein Re­per­toire, das bald die Zahl ih­rer Opern­par­ti­en weit in den Schat­ten stell­te.

Mah­ler blieb da­bei im­mer prä­sent. Tat­säch­lich ge­stal­te­te Ger­tru­de Förs­tel bis 1915 al­lein die Erst­auf­füh­run­gen der 8. Sym­pho­nie in Ams­ter­dam, Ber­lin, Bres­lau, Düs­sel­dorf, Frank­furt a.M., Graz, Leip­zig, Mann­heim, Wien, Wies­ba­den und El­ber­feld. Nach der Ber­li­ner Auf­füh­rung der Mah­ler-Sym­pho­nie wur­de die So­pra­nis­tin von Kai­ser Wil­helm II. (Re­gent­schaft 1888-1918) mit dem Ti­tel ei­ner Kai­ser­li­chen Kam­mer­sän­ge­rin aus­ge­zeich­net. In Graz ur­teil­te das Gra­zer Tag­blatt am 27.5.1914: „Sie in der 8. Sin­fo­nie ih­re Par­tie mit hei­li­gem Ernst aus­wen­dig sin­gend und die gan­ze Auf­füh­rung be­herr­schend zu hö­ren und zu se­hen, ge­hört zum Er­grei­fends­ten.“  

Auch ei­ne Hei­rat um die Jah­res­wen­de 1914/1915, ab­zu­le­sen an der zeit­wei­li­gen Ver­wen­dung des Dop­pel­na­mens Förs­tel-Links, hat­te kei­ne Aus­wir­kun­gen auf ih­re aus­ge­dehn­te Rei­se­tä­tig­keit. Über vie­le Jah­re ist ihr Na­me nicht ein­mal in Adress­bü­chern nach­zu­wei­sen – ein fes­ter Wohn­sitz lohn­te sich für die Künst­le­rin of­fen­bar nicht. Je­doch bil­de­te in ih­rem Kon­zert­ka­len­der ne­ben Wien und Hol­land bald das Rhein­land ei­nen merk­li­chen Schwer­punkt. 1909 war sie erst­mals beim Mit­tel­rhei­ni­schen Mu­sik­fest in Bonn zu hö­ren. Es folg­ten re­gel­mä­ßi­ge En­ga­ge­ments bei den Gür­ze­nich-Kon­zer­ten in Köln (so auch beim Fest­kon­zert zum 100-jäh­ri­gen Be­ste­hen der dor­ti­gen „Mu­si­ka­li­schen Ge­sell­schaf­t“), den Sym­pho­nie­kon­zer­ten des Städ­ti­schen Mu­sik­ver­eins Düs­sel­dorf so­wie der Kon­zert­ge­sell­schaf­ten Bar­men und El­ber­feld (heu­te Stadt Wup­per­tal). Auch bei gro­ßen Mu­sik­fes­ten wur­de Ger­tru­de Förs­tel ge­bucht. So be­ehr­te sie mehr­mals die Nie­der­rhei­ni­schen Mu­sik­fes­te und war 1927 auch bei den Beet­ho­ven­fei­ern in Bonn un­d Düs­sel­dorf zu Gast.

Schlie­ß­lich wur­de Ger­tru­de Förs­tel 1929 ei­ne Pro­fes­sur an der Staat­li­chen Hoch­schu­le für Mu­sik in Köln an­ge­bo­ten - zur da­ma­li­gen Zeit ei­ne für ei­ne Frau au­ßer­ge­wöhn­li­che Po­si­ti­on. Seit 1909 hat­te die Künst­le­rin teils in in­sti­tu­tio­nel­lem, teils in pri­va­tem Rah­men ihr her­aus­ra­gen­des päd­ago­gi­sches Ge­schick un­ter Be­weis ge­stellt. Nach­dem sie die Stel­lung in Köln an­ge­nom­men hat­te, stell­te sie ih­re ak­ti­ve Ge­sangs­kar­rie­re all­mäh­lich ein. Nach der­zei­ti­gem Wis­sens­stand sang Ger­tru­de Förs­tel am 5.12.1929 in Düs­sel­dorf un­ter Hans Weis­bach (1885-1961) zum letz­ten Mal „ih­re“ 8. Sym­pho­nie, eben­falls un­ter Weis­bach und in Düs­sel­dorf er­folg­te am 11.12.1930 ihr ver­mut­lich letz­ter Auf­tritt in Ro­bert Schu­manns „Das Pa­ra­dies und die Pe­ri“.

Die Ver­än­de­run­gen der po­li­ti­schen Ver­hält­nis­se ab 1933 dürf­ten für Ger­tru­de Förs­tel pro­ble­ma­tisch ge­we­sen sein, war ihr Na­me doch all­zu sehr mit Kom­po­nis­ten und Di­ri­gen­ten ver­knüpft, die auf­grund ih­rer ver­meint­lich ras­si­schen Her­kunft oder mu­si­ka­li­schen Aus­rich­tung bei den Na­tio­nal­so­zia­lis­ten auf Ab­leh­nung stie­ßen. Auch hat­te sie sich wie­der­holt an Wohl­tä­tig­keits­ver­an­stal­tun­gen für jü­di­sche Ein­rich­tun­gen be­tei­ligt. Es spricht für ih­re Qua­li­tä­ten als Leh­re­rin, dass sie ih­re Ar­beit an der Hoch­schu­le den­noch fort­setz­ten konn­te, ins­be­son­de­re, da sie den Kon­takt mit Per­so­nen, die dem neu­en Re­gime su­spekt wa­ren, nicht ab­brach. So wur­de sie 1935 Mit­glied des Eh­ren­ko­mi­tees des Nie­der­län­di­schen Mu­sik­fes­tes in Ams­ter­dam, dem ne­ben Bé­la Bar­tók (1881–1945) und Mau­rice Ra­vel (1875–1937) auch Gui­do Ad­ler (1855–1941) an­ge­hör­te, Be­grün­der der Wie­ner Mu­sik­wis­sen­schaft und Ziel­schei­be hef­ti­ger an­ti­se­mi­ti­scher An­grif­fe. Auch scheint sich Ger­tru­de Förs­tel der Ein­bin­dung in Pro­pa­gan­da­ver­an­stal­tun­gen weit­ge­hend ent­zo­gen zu ha­ben. Le­dig­lich beim In­ter­na­tio­na­len Mu­sik­wett­be­werb in Wien im Ju­ni 1938, der un­ter der Schirm­herr­schaft von Ar­thur Seyß-In­quart (1892–1946) stand, er­schien sie als Ju­ry­mit­glied noch ein­mal in ei­ner grö­ße­ren Öf­fent­lich­keit.

Die Zer­stö­rung der Köl­ner Un­ter­richts­ge­bäu­de in den Jah­ren 1943 und 1944 durch Bom­ben­an­grif­fe be­deu­te­ten fak­tisch das En­de von Ger­tru­de Förs­tels Lehr­tä­tig­keit, ob­wohl sie ein­zel­ne Schü­le­rin­nen in Bad Go­des­berg (heu­te Stadt Bonn), wo sie in­zwi­schen leb­te, in pri­va­ten Räu­men wei­ter un­ter­rich­te­te. Beim Wie­der­auf­bau der Hoch­schu­le ab Ok­to­ber 1945 kam sie aus Al­ters­grün­den für ei­ne Be­schäf­ti­gung nicht mehr in Be­tracht. Da­mit en­de­te oh­ne jeg­li­che Lau­da­tio ei­ne höchst er­folg­rei­che päd­ago­gi­sche Ar­beit, ver­dank­ten doch zahl­rei­che Sän­ge­rin­nen und Sän­ger Ger­tru­de Förs­tel ei­ne in­ter­na­tio­na­le Kar­rie­re: Zu nen­nen wä­ren et­wa Il­se Holl­weg (1922–1990), 1946–1951 und 1955–1970 ei­ne Stüt­ze des Düs­sel­dor­fer Opern­hau­ses und wie ih­re Leh­re­rin auch in Bay­reuth und bei in­ter­na­tio­na­len Fes­ti­vals tä­tig, Ju­li­us Ka­to­na (1902–1977), un­ter an­de­rem von 1947–1961 Mit­glied der Ber­li­ner Staats­oper, Aga Joes­ten (1904–1996), in den 1950er Jah­ren von Frank­furt aus als dra­ma­ti­sche So­pra­nis­tin an al­len gro­ßen Häu­sern gas­tie­rend, oder Di Mor­laag (1890–1971), die als Kon­zert­sän­ge­rin noch mit Ger­tru­de Förs­tel auf­tre­ten konn­te und spä­ter über ih­re hol­län­di­sche Hei­mat hin­aus als Ora­to­ri­en­sän­ge­rin be­kannt wur­de. Aber auch die in den 1950er Jah­ren po­pu­lä­re Jazz- und Schla­ger­sän­ge­rin Ruth Fi­scher hat­te ih­re Stim­me bei Ger­tru­de Förs­tel aus­bil­den las­sen.

Ih­re letz­ten Le­bens­jah­re ver­brach­te die ehe­mals ge­fei­er­te Sän­ge­rin zu­rück­ge­zo­gen in Bad Go­des­berg. Zeit­zeu­gen er­in­nern sich, dass sie sich in der Be­sat­zungs­zeit in ei­nem Aus­hilfs­la­za­rett mit Hil­fe ei­nes zu­fäl­lig vor­han­de­nen Kla­viers um kul­tu­rel­len Trost für die dort be­han­del­ten Kriegs­op­fer be­müh­te, wie sie schon im Ers­ten Welt­krieg als ei­ne der ers­ten mit Be­ne­fiz­ver­an­stal­tun­gen für Ver­wun­de­te und Ver­sehr­te un­ab­hän­gig von Kon­fes­si­on oder Her­kunft her­vor­ge­tre­ten war. Ger­tru­de Förs­tel starb na­he­zu un­be­merkt und ver­ges­sen am 7.6.1950 in Bad Go­des­berg.

Quellen

Dr. v. B., Thea­ter und Kunst: Neu­es deut­sches Thea­ter, in: Pra­ger Tag­blatt Jg. 24 Nr. 280 (10.10.1900), S. 7–8.
Berns­dorf, Edu­ard, Haupt­prü­fun­gen am Kö­nigl. Con­ser­va­to­ri­um der Mu­sik zu Leip­zig. 3, in: Si­gna­le für die mu­si­ka­li­sche Welt Jg. 55 Nr. 21 (26.3.1897), S. 323–324. 

Literatur

Förs­tel, Ger­tru­de, Er­in­ne­rung an Gus­tav Mah­ler, in: Neue Freie Pres­se Nr. 16789 (20.5.1911), S. 9.
Ger­tru­de Förs­tel, in: Kutsch, Karl-Jo­sef/Rie­mens, Leo (Hg.), Gro­ßes Sän­ger­le­xi­kon, Band 3, Mün­chen 2003, S. 1503.
Li­li­en­thal, Saul, Aus dem jü­di­schen Leip­zig der Jahr­hun­dert­wen­de, in: Jü­di­sches Jahr­buch für Sach­sen und Adress­buch der Ge­mein­de­be­hör­den Or­ga­ni­sa­tio­nen und Ver­ei­ne 1931/32. Aus­ga­be Leip­zig, Ber­lin 1931, S. 28–39. 

Gertrude Förstel, Rollenporträt, undatiert, Foto: Victor Angerer. (Theatermuseum, Wien, FS_PK268704alt)

 
Zitationshinweis

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Lehl, Karsten, Gertrude Förstel, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/gertrude-foerstel/DE-2086/lido/5dde769babeed5.20268808 (abgerufen am 20.04.2024)