Hans Schwippert

Architekt und Formgestalter (1899-1973)

Wolfgang Pehnt (Köln)

Hans Schwippert, Porträtfoto.

In den ers­ten bei­den Jahr­zehn­ten nach 1945 konn­te der Ar­chi­tekt Hans Schwip­pert in der Öf­fent­lich­keit als der Bau­meis­ter der jun­gen Bun­des­re­pu­blik gel­ten. Wie sich der neue Staat der Welt in Bau und Ge­rät prä­sen­tier­te, ist gro­ßen­teils ihm zu ver­dan­ken. Er hat das zen­tra­le Ge­bäu­de der jun­gen par­la­men­ta­ri­schen De­mo­kra­tie in Bonn, das Bun­des­haus, ent­wor­fen, her­vor­ge­gan­gen aus ei­nem Ge­bäu­de der Wei­ma­rer Re­pu­blik, der Päd­ago­gi­schen Aka­de­mie. Den Sitz des Bun­des­kanz­lers, das Pa­lais Schaum­burg, bau­te er im Sin­ne schlich­ter, hei­te­rer Re­prä­sen­ta­ti­on um. Schwip­pert war ei­ne ma­ß­geb­li­che Stim­me und Mit­be­grün­der des „Rats für Form­ge­bun­g“ und 1950-1963 Ers­ter Vor­sit­zen­der des Deut­schen Werk­bunds, der 1907 ge­grün­de­ten Ge­sin­nungs- und In­ter­es­sen­ge­mein­schaft deut­scher Künst­ler und Pro­du­zen­ten. 

 

In die­sen Äm­tern war er mit­ver­ant­wort­lich für Pro­gramm und Form des deut­schen Auf­tritts auf den Welt­aus­stel­lun­gen in Brüs­sel 1958, in Mon­tre­al 1967 und auf den Tri­en­na­len in Mai­land. In Schrift und Re­de äu­ßer­te er sich als un­er­müd­li­cher Für­spre­cher des Not­wen­di­gen, Schlich­ten und Sinn­vol­len. Der Auf­ruf zahl­rei­cher Werk­bund-Künst­ler von 1947, der „das Gül­tig-Ein­fa­che“ for­der­te, trug auch sei­ne Un­ter­schrift. Auch die Hin­wen­dung des Werk­bunds zu The­men wie der gro­ßen Land­zer­stö­rung und dem Raub­bau an den Res­sour­cen hat Schwip­pert früh nach Kräf­ten ge­för­dert. Von ihm stammt das Wort, wir hät­ten es zu ganz or­dent­li­chen Trink­glä­sern ge­bracht hät­ten, müss­ten aber lei­der dar­aus die de­na­tu­rier­te Brü­he ver­dor­be­nen Was­sers trin­ken. In sei­nem Her­zen war Schwip­pert auch ein frü­her Öko­lo­ge. 

Franz-von-Sales-Kirche in Düsseldorf-Werst, Foto: Wiegels.

 

Den Men­schen, der die­se und vie­le an­de­re - nicht zu­letzt päd­ago­gi­sche - Auf­ga­ben be­wäl­tig­te, schil­der­ten sei­ne Weg­ge­nos­sen als stäm­mi­gen, dun­kel­haa­ri­gen Mann von ex­plo­si­ver Ak­ti­vi­tät, mi­mi­scher Ein­dring­lich­keit und be­red­ter Über­zeu­gungs­kraft. Ge­bo­ren am 24.6.1899 in Rem­scheid (nach spä­te­ren, we­ni­ger zu­ver­läs­si­gen Quel­len am 25. Ju­ni), wuchs Jo­han­nes, spä­ter: Hans Schwip­pert in ei­nem kul­tu­rell in­ter­es­sier­ten, ka­tho­li­schen El­tern­haus auf. Der Va­ter Karl Fer­di­nand war Di­rek­tor der Es­se­ner Ge­wer­be­schu­le, der Bru­der Kurt wur­de ein be­deu­ten­der Bild­hau­er. 

Fronleichnamskirche in Aachen, Foto: Norbert Schnitzler.

 

Von 1920 bis 1924 stu­dier­te Hans Schwip­pert an den Tech­ni­schen Hoch­schu­len Han­no­ver, Darm­stadt und Stutt­gart. Vor al­lem die so ge­nann­te „Stutt­gar­ter Schu­le“ und ihr Leh­rer Paul Schmit­t­hen­ner (1884-1972) präg­ten den jun­gen Schwip­pert. Ma­te­ri­al­ge­rech­tig­keit, Tra­di­ti­ons­wah­rung und prä­zi­se hand­werk­li­che De­tail­ar­beit schlos­sen bei Schmit­t­hen­ner ein star­kes In­ter­es­se für Ty­pen­bil­dung und Vor­fer­ti­gung nicht aus. Die we­ni­gen Mo­na­te, die Schwip­pert 1925 im Bü­ro des viel be­schäf­tig­ten Ber­li­ner Stars Erich Men­delsohn (1887-1953) ver­brach­te, müs­sen auf den an­ge­hen­den Ar­chi­tek­ten als Kon­trast­pro­gramm ge­wirkt ha­ben. Sei­ne Ent­wür­fe aus die­ser Zeit sind kühn und schmis­sig wie die sei­nes Ar­beit­ge­bers.

Innenansicht der Fronleichnamskirche, Foto: Norbert Schnitzler.

 

1927 ging Schwip­pert an die Aa­che­ner Kunst­ge­wer­be- und Hand­wer­ker­schu­le. Be­ru­fen hat­te ihn de­ren jun­ger Lei­ter Ru­dolf Schwarz, mit dem ih­n ei­ne ­le­bens­lan­ge Freund­schaft ver­bin­den soll­te. Schwip­pert ar­bei­te­te eng an den Schwarz­schen Bau­ten mit, so vor al­lem am Haus der Ju­gend in Aa­chen-Burt­scheid (1928). Bei der ra­di­kal mo­der­nen Fron­leich­nams­kir­che (1929-1930) in Aa­chen war er als „ar­chi­tek­to­ni­scher Mit­ar­bei­ter“ be­tei­ligt und für das Mo­bi­li­ar ver­ant­wort­lich. An der Schu­le be­treu­te Schwip­pert ge­mein­sam mit dem Di­rek­tor die Hoch­bau­klas­se und über­nahm den Be­reich In­nen­aus­bau. Der „Neue Haus­ra­t“, für den er sich en­ga­gier­te, folg­te der „Hal­tung des an­spruchs­lo­sen Die­nen­s“. Mo­du­la­re Holz­mö­bel, oft aus Kie­fern­holz, manch­mal mit ge­kreuz­ten Bän­dern für die Sitz- und Rü­cken­flä­chen, ka­men den so­zia­len Auf­ga­ben der Not­zei­ten nach, der Welt­wirt­schafts­kri­se und spä­ter der Kriegs­jah­re. Sie wa­ren preis­wert und lie­ßen sich leicht mon­tie­ren und kom­bi­nie­ren - ei­ne Art Ikea vor der Zeit. 

Wohn- und Atelierhaus Schwippert in Düsseldorf-Golzheim, Foto: Wiegels.

 

In Aa­chen be­gann Schwip­perts Mis­si­on als Leh­rer. Hand­werk wie Ma­schi­nen­werk wa­ren für ihn ei­ne Sa­che der Ge­nau­ig­keit und der Treue zu Werk­stoff und Tech­nik. Sei­ne „Werk­kun­de“ emp­fan­den sei­ne Schü­ler zu­gleich als Le­bens­kun­de. Nach der er­zwun­ge­nen Schlie­ßung der Kunst­ge­wer­be­schu­le im Jahr 1934 er­hielt Schwip­pert an der Rhei­nisch-West­fä­li­schen Tech­ni­schen Hoch­schu­le Aa­chen Lehr­auf­trä­ge, die nach dem Krieg zu ei­ner or­dent­li­chen Pro­fes­sur auf­ge­stockt wur­den. Zu­gleich über­nahm er Ver­wal­tungs­auf­ga­ben im Pro­vin­zi­al­rat Nord­rhein, dar­auf im Düs­sel­dor­fer Wie­der­auf­bau­mi­nis­te­ri­um, war un­ter an­de­rem mit der Neu­or­ga­ni­sa­ti­on der Kunst­aka­de­mie in Düs­sel­dorf be­auf­tragt und er­hielt 1946 ne­ben sei­nen Aa­che­ner Ver­pflich­tun­gen ei­ne Ar­chi­tek­tur­klas­se an der Kunst­aka­de­mie über­tra­gen. Zehn Jah­re lang, von 1956 bis 1966, lei­te­te er die Aka­de­mie als Di­rek­tor. Sei­ne Schü­ler ha­ben das Cha­ris­ma, die pau­sen­rei­chen Mo­no­lo­ge, den Witz, die Spon­ta­nei­tät, Für­sorg­lich­keit und Gro­ßzü­gig­keit ih­res Leh­rers be­schrie­ben. 

Karl-Arnold-Haus in Düsseldorf-Unterbilk, Foto: Wiegels.

 

Nach 1945 hat der viel be­schäf­tig­te Schwip­pert auch viel ge­baut. Dar­un­ter wa­ren Kir­chen in Düs­sel­dorf, Mül­heim an der RuhrKöln und der Um­bau ­der Hed­wigs­ka­the­dra­le im da­ma­li­gen Ost­ber­lin, Schu­len, ein Kraft­werk, Ver­wal­tungs­bau­ten und Ein­fa­mi­li­en­häu­ser, die sich fern von den „un­ge­dul­di­ge­ren Ex­al­ta­tio­nen mo­der­nen Bau­en­s“ hiel­ten. Sein Haus der Wis­sen­schaf­ten in Düs­sel­dorf (1958-1960) wur­de zu ei­nem stren­gen zwei­stö­cki­gen Qua­der in Stahl­be­ton-Ge­rüst­kon­struk­ti­on, der aus­drü­cken soll­te, wie na­he sich Wis­sen­schaft und Werk­statt sind. In­ge­ni­ös ist das kraft­vol­le sech­zehn­ge­schos­si­ge Turm­haus, das er für die Ber­li­ner In­ter­bau-Aus­stel­lung von 1957 er­rich­te­te. Die un­ter­schied­li­chen Woh­nungs­ty­pen, dar­un­ter Mai­so­net­te-Woh­nun­gen mit zwei Ge­schoss ho­hen Log­gi­en, sind wie in ei­nem drei­di­men­sio­na­len Puz­zle mit­ein­an­der ver­schränkt. Schalt­ba­re Räu­me und das An­ge­bot un­ter­schied­li­cher Woh­nungs­grö­ßen soll­ten so­zia­le Mi­schung und Fluk­tua­ti­on in­ner­halb des Hau­ses er­mög­li­chen. An­de­re Bau­ten blie­ben nicht oh­ne ei­ne ge­wis­se Tro­cken­heit. Der Bau­his­to­ri­ker Ju­li­us Po­se­ner (1904-1996), ein Nach­fol­ger im Amt des Werk­bund-Vor­sit­zen­den, mein­te, mög­li­cher­wei­se sei die Per­son Schwip­perts stär­ker ge­we­sen als sei­ne Ar­chi­tek­tur. 

Der von Hans Schwippert umgebaute Teil des Bonner Bundeshauses, 1961. (Bundesarchiv, B 145 Bild-F010479-0006)

 

Vor al­lem wird der Na­me Schwip­pert mit dem Ge­bäu­de ver­bun­den blei­ben, das in der Form, die er ihm ge­ge­ben hat­te, nur teil­wei­se über­dau­er­te: das Bon­ner Par­la­ment am Rhein (1948-1949). Schon or­ga­ni­sa­to­risch war die­ser Um- und Neu­bau ei­ne Meis­ter­leis­tung. Er wur­de in­ner­halb von nicht mehr als neun Mo­na­ten ge­baut und be­zo­gen, um die Ent­schei­dung des Bun­des­tags für Bonn als Bun­des­haupt­stadt zu prä­ju­di­zie­ren. Da­her muss­te gleich­zei­tig ge­plant und ge­baut wer­den. Of­fen und trans­pa­rent woll­te Schwip­pert das Bau­werk, von Licht durch­flu­tet, mit dem Blick auf die be­weg­te Strom­land­schaft, nicht zu groß und nicht zu klein. Die Par­la­men­ta­ri­er soll­ten in ein ab­ge­senk­tes Rund ge­setzt wer­den, „Aus­druck ei­ner Ge­mein­schaft, die mit­ein­an­der sprich­t“. Bun­des­kanz­ler Kon­rad Ade­nau­er mach­te ihm ei­nen Strich durch die Rech­nung und ver­wehr­te ih­m das Ex­pe­ri­ment ei­ner kreis­för­mi­gen An­ord­nung. Als der al­te Ple­nar­saal 1987-1992 ei­nem Neu­bau Gün­ter Beh­nischs (1922-2010) wei­chen muss­te (dies­mal mit Be­stuh­lung im Kreis), war es schon seit lan­gem zu ent­stel­len­den Ver­än­de­run­gen der Schwip­pert-Lö­sung ge­kom­men. 

Blick in den Plenarsaal, 1954. (Bundesarchiv, B 145 Bild-F002349-0009)

 

Gleich­wohl bleibt das Bun­des­haus ein Ver­mächt­nis des am 18.10.1973 in Düs­sel­dorf ge­stor­be­nen Bau­meis­ters. So, wie er es ge­plant hat­te, war es Be­kennt­nis zu ei­ner Äs­the­tik, die zu­gleich Mo­ral be­deu­te­te. Es soll­te „ein Haus der Of­fen­heit“ sein, „ei­ne Ar­chi­tek­tur der Be­geg­nung und des Ge­sprächs“. In der Ar­mut hat­te Schwip­pert die Wür­de ge­se­hen. Das Re­gel­haf­te soll­te vor dem Ein­ma­li­gen gel­ten, das Selbst­ver­ständ­li­che vor dem Auf­fäl­li­gen, die all­ge­mei­ne Gül­tig­keit vor der in­di­vi­du­el­len Hand­schrift. Vor den „Ver­füh­run­gen sen­ti­men­ta­ler oder ar­tis­ti­scher For­mun­g“ hat­te Schwip­pert schon 1946 ge­warnt, als von sol­chen Ver­füh­run­gen weit und breit noch nichts zu er­ken­nen war - zu­min­dest nicht im ver­wüs­te­ten Deutsch­land. 

Schwip­pert war in ers­ter Ehe mit der Tän­ze­rin Lies Ei­sin­ger ver­hei­ra­tet, in zwei­ter Ehe seit 1950 mit der Schau­spie­le­rin Ger­da­ma­ria ge­bo­re­ne Ter­no, die sich nach Schwip­perts Tod ak­tiv des Nach­las­ses an­nahm. 

Bauten (Auswahl)

1928 - H aus der Ju­gend Aa­chen-Burt­scheid (mit Ru­dolf Schwarz).
1930 - Haus Kurt Schwip­perrt (Bru­der) bei Kel­berg/Ei­fel.
1934-1939 - Ein­fa­mi­li­en­häu­ser in Aa­chen.
1948-1949 - Bun­des­haus Bonn.
1953-1954 - Haus Schwip­pert Düs­sel­dorf.
1956-1958 - Kon­zep­ti­on und Aus­stel­lungs­ge­stal­tung Deut­scher Bei­trag, Welt­aus­stel­lung Brüs­sel.
1956-1963 - Wie­der­auf­bau und Um­bau St. Hewigs-Ka­the­dra­le Ber­lin.
1957 - Wohn­hoch­haus Han­sa­vier­tel Ber­lin.
1958-1960 - Haus der Wis­sen­schaf­ten, Düs­sel­dorf.
1958-1960 - Ge­org Büch­ner Gym­na­si­um , Darm­stadt.
1960-1963 - Kir­che Hei­li­ge Fa­mi­lie, Düs­sel­dorf.
1961-1962 - Wohn- und Ge­schäfts­haus Hen­kel, Düs­sel­dorf.
1967-1971 - Kir­che Hei­li­ger Franz von Sa­les, Düs­sel­dorf.

Schriften (Auswahl)

Den­ken Leh­ren Bau­en, Düs­sel­dorf/Wien 1982.
Vom Ma­chen und Brau­chen. Schrif­ten zu Ar­chi­tek­tur und Ge­stal­tung, hg. v. Aga­tha Bus­lei-Wup­per­mann, An­dre­as Zei­sing, Düs­sel­dorf 2008.

Literatur (Auswahl)

Aka­de­mie der Ar­chi­tek­ten­kam­mer Nord­rhein-West­fa­len, Deut­sche Unesco-Kom­mis­si­on (Hg.), Hans Schwip­pert, mit Tex­ten von Hans Haas, Wolf­gang Mei­sen­hei­mer, Char­lot­te Wehr­hahn, Karl Wim­men­au­er, Bonn 1984.
Breu­er, Ger­da, Hans Schwip­pert, Bon­ner Bun­des­haus, Tü­bin­gen/ Ber­lin 2009.
Breu­er, Ger­da/Min­gels, Pia/Oe­s­ter­reich, Chris­to­pher (Hg.), Hans Schwip­pert (1899-1973) Mo­dera­ti­on des Wie­der­auf­baus. Ber­lin 2010.
Bus­lei-Wup­per­mann, Hans Schwip­pert 1899-1973, Von der Werk­kunst zum De­sign, Diss. Wup­per­tal, Mün­chen 2007.
Bus­lei-Wup­per­mann/Zei­sing, An­dre­as, Das Bun­des­haus von Hans Schwip­pert in Bonn, mit Tex­ten von Nor­bert Hel­mus, Wolf­gang Pehnt, Ste­fan Polónyi, Düs­sel­dorf 2009.
Wer­hahn, Char­lot­te M. E., Hans Schwip­pert (1899-1973), Ar­chi­tekt, Päd­ago­ge und Ver­tre­ter der Werk­bund-Idee in der Zeit des deut­schen Wie­der­auf­baus, Diss. TU Mün­chen 1987.

Innenansicht der Hedwigskathedrale in Berlin, Foto: Arnold Paul.

 
Zitationshinweis

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Pehnt, Wolfgang, Hans Schwippert, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/hans-schwippert/DE-2086/lido/57c94d7602a1a5.87944424 (abgerufen am 19.04.2024)