Hertha Kraus

Sozialwissenschaftlerin (1897-1968)

Manfred Berger (Dillingen an der Donau)

Statue der Hertha Kraus am Kölner Rathausturm, Bildhauerin: Majka Wichner, 2009. (Raimond Spekking / CC BY-SA 4.0 (via Wikimedia Commons))

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Her­tha (Her­ta) Kraus war zur Zeit der Wei­ma­rer Re­pu­blik und im Nach­kriegs­deutsch­land ei­ne der be­deu­tends­ten Ide­en­ge­be­rin der So­zia­len Ar­beit, der sei­ner­zei­ti­gen Wohl­fahrts­pfle­ge. Sie ist ein klas­si­sches Bei­spiel für die Ver­trei­bung deut­scher So­zi­al­ar­bei­ter und -ar­bei­te­rin­nen jü­di­scher Her­kunft in den Jah­ren der NS-Dik­ta­tur, die ih­re in Deutsch­land kon­zi­pier­ten Theo­ri­en der So­zia­len Ar­beit in der Emi­gra­ti­on in­no­va­tiv wei­ter­ent­wi­ckel­ten, wäh­rend in ih­rem Hei­mat­land der letz­te Rest fort­schritt­li­cher Wohl­fahrts­pfle­ge „aus­ge­merz­t“ wur­de.

Her­tha Kraus er­blick­te am 11.9.1897 als äl­tes­tes von zwei Kin­dern des Gym­na­si­al­leh­rers Alois Kraus und des­sen Ehe­frau Hed­wig, ge­bo­re­ne Ro­sen­feld, in Prag das Licht der Welt. Die re­li­gi­ös li­be­ra­len El­tern wa­ren sich ih­res Ju­den­tums stets be­wusst, ge­hör­ten der Is­rae­li­ti­schen Ge­mein­de an, ver­kehr­ten aber nicht aus­schlie­ß­lich in jü­di­schen Krei­sen. Im April 1903 über­sie­del­te die Fa­mi­lie für ei­ni­ge Mo­na­te nach Ber­lin. Da­mit ver­bun­den war die An­nah­me der deut­schen Staats­an­ge­hö­rig­keit. Im Ok­to­ber 1903 wur­de Alois Kraus in Frank­furt am Main Ober­leh­rer (spä­ter Stu­di­en­rat) für Wirt­schafts­geo­gra­phie an der neu­ge­grün­de­ten Hö­he­ren städ­ti­schen Han­dels­schu­le. Da­ne­ben lehr­te er an der Aka­de­mie für So­zi­al- und Han­dels­wis­sen­schaf­ten, die 1914 in die neu ent­stan­de­ne Uni­ver­si­tät in­te­griert wur­de.

 

Her­tha Kraus wuchs in ih­ren Frank­fur­ter Kin­der- und Ju­gend­jah­ren als be­hü­te­te hö­he­re Bür­gers­toch­ter her­an, frei­lich ei­ne jü­di­schen Glau­bens, die, wie al­le an­de­ren jü­di­schen Kin­der auch, in Re­li­gi­ons­leh­re kei­nen Un­ter­richt er­hielt. Nach dem Ab­itur, das die mit bes­ten No­ten aus­ge­zeich­ne­te Schü­le­rin im März 1916 an der Schil­ler-Schu­le ab­leg­te, stu­dier­te die jun­ge Frau an der Uni­ver­si­tät Frank­furt zu­erst Wirt­schafts­wis­sen­schaf­ten, spä­ter So­zi­al­wis­sen­schaf­ten (Für­sor­ge­wis­sen­schaf­ten). In­hal­te ih­res Stu­di­ums wa­ren aus­ge­wähl­te Be­rei­che der Rechts­wis­sen­schaf­ten, der Na­tio­nal­öko­no­mie, der Psy­cho­lo­gie und der Er­zie­hungs­wis­sen­schaf­ten. Zu ih­ren aka­de­mi­schen Leh­rern zähl­ten ne­ben dem ei­ge­nen Va­ter Paul Arndt (1870-1942), Chris­ti­an Jas­per Klum­ker (1868-1942) und Fried­rich Gie­se (1882-1958). 1919 pro­mo­vier­te sie mit dem Prä­di­kat „ma­gna cum lau­de“ zum Dr. rer. pol. mit ei­ner Ar­beit über „Auf­ga­ben und We­ge ei­ner Ju­gend­für­sor­ge­sta­tis­ti­k“ bei Klum­ker, der sei­ner­zeit der ein­zi­ge In­ha­ber ei­nes Lehr­stuhls für Für­sor­ge­wis­sen­schaf­ten und Sta­tis­tik war.  

1918 war Her­tha Kraus mit den Quä­kern in Kon­takt ge­kom­men, als sie als Mit­glied des ASTA an ei­nem Stu­di­en­tag in Wei­mar teil­ge­nom­men hat­te. Nach dem Stu­di­um ar­bei­te­te die pro­mo­vier­te So­zi­al­wis­sen­schaft­le­rin in Ber­lin zu­nächst als Hel­fe­rin bei der Kin­der- und Stu­den­ten­spei­sung der Quä­ker, dann als Ge­schäfts­füh­re­rin des Kin­der­hilfs­werks für Ostel­bi­en mit ei­nem Ein­zugs­be­reich von Sach­sen bis Ost­preu­ßen. In die­ser Po­si­ti­on stand sie in re­gem Kon­takt mit Fried­rich Sieg­mund-Schult­ze (1885-1969), dem Grün­der ei­nes der ers­ten deut­schen Nach­bar­schafts­hei­me der „So­zia­len Ar­beits­ge­mein­schaft Ber­lin (Ost)“. Wäh­rend ih­rer Zeit in Ber­lin lern­te sie be­deu­ten­de Frau­en und Män­ner aus Po­li­tik, Kul­tur, Ge­sell­schaft und So­zia­ler Ar­beit ken­nen: Ger­trud Bäu­mer (1873-1954), He­le­ne Lan­ge (1848-1930), Adolf von Har­nack (1851-1930), Agnes von Zahn-Har­nack (1884-1950), Eli­sa­bet von Har­nack (1892-1976), Ma­rie-Eli­sa­beth Lü­ders (1878-1966), Fried­rich Nau­mann (1860-1919), El­ly Heuss-Knapp (1881-1952), Theo­dor Heuss (1884-1963), An­na (1874-1943) und Hil­de­gard (1880-1966) von Gier­ke, Li­li Droescher (1871-1944), Eli­sa­beth Rot­ten (1882-1964), Ali­ce Sa­lo­mon (1872-1948), Sid­dy Wronsky (1883-1947) und an­de­re mehr. 

Im Jah­re 1923 be­rief der Köl­ner O­ber­bür­ger­meis­ter Kon­rad Ade­nau­er die ge­ra­de 25-Jäh­ri­ge als „Stadt­di­rek­to­rin“, als Lei­te­rin des Wohl­fahrts­am­tes, in die Rhein­me­tro­po­le, wo sie das Wohl­fahrts­amt lei­te­te. Ade­nau­er schätz­te die So­zi­al­de­mo­kra­tin und scher­te sich we­nig um den Pro­test ei­ner Köl­ner Zei­tung ge­gen die Be­ru­fung ei­ner so jun­gen, aus­län­di­schen und zu­dem nicht ka­tho­li­schen Per­son. Ne­ben ih­rem Haupt­be­ruf be­tä­tig­te sich Her­tha Kraus auf Be­zirks­ebe­ne in ver­schie­de­nen so­zia­len Ein­rich­tun­gen und Ver­bän­den. Sie un­ter­stütz­te ein Quä­ker­hilfs­werk für er­werbs­lo­se jun­ge Mäd­chen, ar­bei­te­te im „Stadt­ver­band Köl­ner Frau­en­ver­ei­ne“ mit, des­sen Vor­stand sie ei­ni­ge Jah­re an­ge­hör­te, war un­ter an­de­rem Mit­glied des Haupt­aus­schus­ses des „Deut­schen Ver­eins für öf­fent­li­che und pri­va­te Wohl­fahrts­pfle­ge“ so­wie der 1919 von Ma­rie Juch­acz ge­grün­de­ten „Ar­bei­ter­wohl­fahr­t“. Fer­ner en­ga­gier­te sie sich für die 1914 ge­grün­de­te „Schu­le für kom­mu­na­le Wohl­fahrts­pfle­ge­rin­nen“ der Stadt Köln. In ih­rer Funk­ti­on als Lei­te­rin des Wohl­fahrts­am­tes star­te­te sie be­reits 1925 im Rah­men der Fa­mi­li­en­für­sor­ge ei­ne Kam­pa­gne für zweck­mä­ßi­ge und ge­sun­de Er­näh­rung für Klein- und Schul­kin­der. Be­son­ders her­vor­zu­he­ben ist die von ihr 1927 ver­an­lass­te Um­wand­lung der leer­ste­hen­den Rieh­ler Wehr­machts­ka­ser­nen in ein mo­der­nes Al­ters­heim. Nach des­sen Fer­tig­stel­lung 1934 wa­ren die „Rieh­ler Heim­stät­ten“ die grö­ß­te der­ar­ti­ge Ein­rich­tung im Deut­schen Reich, die von auch vie­len Aus­län­dern be­sich­tigt und be­wun­dert wur­de.

Als die Na­tio­nal­so­zia­lis­ten an die Macht ka­men, schrieb Her­tha Kraus im März 1933 an Freun­de und Be­kann­te in den USA: „Al­les ist aus den Fu­gen ge­ra­ten- Ge­set­ze, Ver­trä­ge, Aus­ver­kauf der Re­gie­rung. So auch mei­ne Ar­beit – wahr­schein­lich. Bin mit Hun­der­ten, die der Re­pu­blik mit Herz und Kopf ge­dient hat­ten, ‚be­ur­laubt‘ wor­den. Wir al­le sind be­ur­laubt, die gan­ze Grup­pe in Köln […] und vie­le vie­le an­de­re. Die meis­ten von ih­nen sind kei­ne So­zia­lis­ten, aber sehr vie­le Frau­en. Dies ist die Zeit für ‚aus­ge­wach­se­ne‘ Män­ner. Kei­ne ‚weib­li­chen Tor­hei­ten‘.“[1] 

Auf­grund des Ge­set­zes zur Wie­der­her­stel­lung des Be­rufs­be­am­ten­tums vom 7.4.1933 wur­de Her­tha Kraus als Nich­ta­rie­rin und po­li­tisch Un­zu­ver­läs­si­ge aus dem Dienst der Stadt Köln ent­las­sen. Im Som­mer 1933 emi­grier­te sie in die USA, die sie von län­ge­ren Stu­di­en­rei­sen be­reits kann­te. So hat­te sie 1932 an der Uni­ver­si­ty of Chi­ca­go Vor­le­sun­gen zur Pra­xis der deut­schen Wohl­fahrts­pfle­ge ge­hal­ten. Sechs Jah­re nach ih­rer An­kunft wur­de sie 1939 ame­ri­ka­ni­sche Staats­bür­ge­rin. 

Die Emi­gran­tin er­hielt auf­grund ih­rer ho­hen Re­pu­ta­ti­on und der gu­ten Be­zie­hung zu den Quä­kern ei­ne An­stel­lung als Do­zen­tin am „In­sti­tut of Tech­no­lo­gy“ in Pitts­burgh/Penn­syl­va­nia. 1936, in­zwi­schen Mit­glied der „Na­tio­nal As­so­cia­ti­on of So­ci­al Work“, wur­de sie als Pro­fes­so­rin für „So­ci­al Eco­no­my“ an das Bryn Ma­wr Col­le­ge der Quä­ker in Phil­adel­phia be­ru­fen, wo sie bis 1962 lehr­te. Die Aus­bil­dungs­stät­te war aus­schlie­ß­lich weib­li­chen Stu­die­ren­den zu­gäng­lich und weit über die Gren­zen der Stadt hin­aus be­kannt. Au­ßer­dem un­ter­rich­te­te sie zeit­wei­lig eh­ren­amt­lich an meh­re­ren Hoch­schu­len und en­ga­gier­te sich in der Flücht­lings­ar­beit, un­ter an­de­rem bei den Quä­kern im „Ame­ri­can Fri­ends Ser­vice Com­mi­tee“, des Dach­ver­ban­des der nord­ame­ri­ka­ni­schen Quä­ker.

Kurz vor Kriegs­en­de, am 10.4.1945, nahm Kon­rad Ade­nau­er Kon­takt zu Her­tha Kraus auf und bat sie, zu­min­dest für ei­ni­ge Zeit zu­rück­zu­kom­men, da ihr Sach­ver­stand, ih­re Hilfs­be­reit­schaft und ih­re Ar­beits­freu­dig­keit in der Stadt Köln wie über­haupt in Deutsch­land ge­braucht wür­den. Die ehe­ma­li­ge Köl­ner Stadt­di­rek­to­rin kam im Sep­tem­ber 1946 erst­mals als „Spe­cial Re­pre­sen­ta­ti­ve“ des „Ame­ri­can Fri­ends Ser­vice Com­mit­tee“ in das zer­stör­te und in vier Zo­nen ge­teil­te Deutsch­land.

Es folg­ten vie­le wei­te­re Be­su­che. Zu­sam­men mit an­de­ren Fach­leu­ten be­rei­te­te sie im Rah­men ei­nes so­zi­al­päd­ago­gi­schen Ar­beits­krei­ses ei­nen Ge­samt­plan zur Ge­stal­tung der So­zi­al­ar­beit im Nach­kriegs­deutsch­land vor. Da­zu wur­den Ar­beits­hef­te ent­wi­ckelt, die den Aus­bil­dungs­stät­ten als Grund­la­gen für ihr Han­deln die­nen soll­ten. Her­tha Kraus hielt dar­über hin­aus Fort- und Aus­bil­dungs­kur­se in der ame­ri­ka­ni­schen Me­tho­de des „So­ci­al Ca­se-Work“ und un­ter­stütz­te die Grün­dung von Nach­bar­schafts­hei­men, die Quä­ker als „Hil­fe zur Selbst­hil­fe“ be­reit­stell­ten. Bis 1952 ent­stan­den ins­ge­samt 13 sol­cher Ein­rich­tun­gen in Braun­schweig, Bre­men, Darm­stadt, Frank­furt/Main, Köln, Lud­wigs­ha­fen, Wup­per­tal und sechs al­lein in Ber­lin. Sie soll­ten Für­sor­ge- und Bil­dungs­an­ge­bo­te kom­bi­nie­ren mit Selbst­hil­fe­an­ge­bo­ten in ei­ge­nen Werk­stät­ten, wie Näh­stu­be, Wä­sche­rei, Schus­te­rei, Schrei­ne­rei und Ge­mein­schafts­kü­che. Über­dies setz­te sie sich für die Re­or­ga­ni­sa­ti­on der Ar­bei­ter­wohl­fahrt ein. Ih­rer In­itia­ti­ve ist es zu ver­dan­ken, dass sich im Früh­jahr 1950 der „Deut­sche Lan­des­aus­schuß der In­ter­na­tio­na­len Kon­fe­renz für So­zi­al­ar­beit“ wie­der kon­sti­tu­ier­te und ei­ni­ge Mo­na­te spä­ter erst­mals ei­ne deut­sche De­le­ga­ti­on an der „V. In­ter­na­tio­na­len Kon­fe­renz für So­zi­al­ar­beit“ in Pa­ris teil­neh­men konn­te.

Hertha Kraus in jüngeren Jahren, undatiert. (Sozial-Betriebe-Köln gemeinnützige GmbH)

 

1949 er­schien die deut­sche Aus­ga­be ih­res Stan­dard­werks „Von Mensch zu Mensch. „Ca­se­wor­k“ als so­zia­le Auf­ga­be“. Dar­in schrieb sie über den „Ca­se­work-Kern“, dass die­se Ar­beits­me­tho­de auf der Ver­bin­dung von zwei wich­ti­gen Ele­men­ten be­ru­he: der ste­ten, im Kleins­ten treu­en An­wen­dung der schlich­ten Grund­be­grif­fe de­mo­kra­ti­schen Le­bens auf der Be­zie­hung zwi­schen Für­sor­ger und Kli­en­ten, auf der so­ge­nann­ten „hel­fen­den Be­zie­hun­g“, und der psy­cho­ana­ly­ti­schen Grund­auf­fas­sun­gen mensch­li­chen See­len­le­bens. In­ner­halb der so­zi­al­ar­bei­te­ri­schen Me­tho­de er­füh­ren vie­le Men­schen in Deutsch­land, so Her­tha Kraus, „viel­leicht zum ers­ten Mal, den tie­fe­ren Sinn ei­ner de­mo­kra­ti­schen Ge­mein­schaft: nicht als Staats- und Ver­wal­tungs­form, son­dern als Grund­hal­tung im täg­li­chen Le­ben. Wäh­rend sie selbst er­le­ben, wie sol­che Hal­tung im We­sen des Hel­fers sie be­rührt in ih­ren ei­ge­nen Nö­ten, Er­leich­te­rung schafft, Span­nun­gen mil­dert, ih­re ei­ge­nen, viel­leicht un­ge­ahn­ten Kräf­ten frei setzt, mö­gen sie an­fan­gen zu ver­ste­hen, was der tie­fe­re Sinn sol­cher Hal­tung ist. Sie mö­gen ler­nen, sie selbst zu ver­wer­ten, viel­leicht mit zu­neh­men­den Er­folg und Glau­ben, in den ei­ge­nen täg­li­chen Be­zie­hun­gen zu den ih­nen Nächs­ten und zu an­de­ren Men­schen ih­rer Um­ge­bung. Sie mö­gen ent­de­cken, daß sich so neue frucht­ba­re Bin­dun­gen der Men­schen un­ter­ein­an­der er­ge­ben“.[2] 

1963 reis­te Her­tha Kraus - in­zwi­schen eme­ri­tiert - noch­mals als De­le­gier­te des „Ame­ri­can Fri­ends Ser­vice Com­mit­tee“ nach Deutsch­land, um zwi­schen der BRD und der DDR zu ver­mit­teln. Dar­über ver­han­del­te sie auch mit den SPD-Po­li­ti­kern Hein­rich Al­bertz (1915-1993) und Wil­ly Brandt (1913-1992) auf der ei­nen und mit Ge­org Sti­bi (1901-1982), Pu­bli­zist und Di­plo­mat, und Wal­ter Ul­bricht (1893-1973), dem Spit­zen­funk­tio­när des Zen­tral­kom­mi­tees der SED, auf der an­de­ren Sei­te. Die Deutsch­land-Mis­si­on von 1963 be­schäf­tig­te Her­tha Kraus bis an ihr Le­bens­en­de. Sie hielt dar­über Vor­trä­ge und gab da­zu In­ter­views. 

Ih­re letz­ten Le­bens­jah­re wa­ren durch schwe­re Krank­hei­ten ge­kenn­zeich­net, ver­bun­den mit ei­ner Geh­be­hin­de­rung in­fol­ge ei­nes frü­he­ren Un­falls. Her­tha Kraus starb am 16.5.1968 in ih­rem Haus in Ha­ver­ford, in der Nä­he von Bryn Ma­wr. Ih­re letz­te Ru­he­stät­te fand sie auf dem Quä­ker­fried­hof in Ha­ver­ford, in ei­nem ge­mein­sa­men Grab mit ih­rer be­reits 1952 ver­stor­be­nen Le­bens­part­ne­rin Ger­trud Schulz. Heu­te er­in­nert in Köln-Riehl ei­ne Stra­ße an die Im­puls­ge­be­rin für die So­zia­le Ar­beit in Deutsch­land und den USA. Die TH Köln ver­gibt jähr­lich den „Her­tha-Kraus-Preis“ für her­aus­ra­gen­de Ab­schluss­ar­bei­ten im Be­reich Ma­nage­ment und Or­ga­ni­sa­ti­on in der So­zia­len Ar­beit. Die Stadt Köln ehr­te sie mit ei­ner Sta­tue am Rat­haus­turm.

Nach dem Zu­sam­men­bruch der NS-Dik­ta­tur ver­such­te die Emi­gran­tin die in den USA ent­wi­ckel­ten Me­tho­den der So­zi­al­ar­beit, „So­ci­al Ca­se Work“, „So­ci­al Group Work“ so­wie „So­ci­al Com­mu­ni­ty Or­ga­niza­t­i­on“, in die deut­sche So­zi­al­ar­beit ein­zu­füh­ren, wenn­gleich, wie C. Wolf­gang Mül­ler re­sü­miert, man „lan­ge Zeit nichts oder doch nicht viel mit der Bot­schaft von Her­tha Kraus an­fan­gen… konn­te“ (Mül­ler 1988, S. 102). Mit der Ein­füh­rung der neu­en (ame­ri­ka­ni­schen) so­zi­al­ar­bei­te­ri­schen Hand­lungs­kon­zep­te ging es der So­zi­al­wis­sen­schaft­le­rin in ers­ter Li­nie um die „Re-edu­ca­ti­on“ der na­tio­nal­so­zia­lis­tisch den­ken­den deut­schen Bür­ger und Bür­ge­rin­nen auf de­mo­kra­ti­sche, hu­ma­ni­tä­re und part­ner­schaft­li­che Wer­te. Letzt­lich hat­ten auch ih­re Ver­öf­fent­li­chun­gen da­zu bei­ge­tra­gen, dass sich die vor­an­ste­hend ge­nann­ten „klas­si­schen Me­tho­den“ der So­zi­al­ar­beit, wenn auch et­was ver­spä­tet, in der Pra­xis der So­zia­len Ar­beit so­wie in der Aus­bil­dung von so­zia­len Be­ru­fen, wo sie bis heu­te ge­lehrt wer­den, eta­blie­ren konn­ten.

Werke (Auswahl)

Auf­ga­ben und We­ge ei­ner Ju­gend­für­sor­ge­sta­tis­tik, Diss. rer. pol., Frank­furt 1919.
Über die Er­näh­rungs­für­sor­ge des Schul­kin­des, in: Baum, Ma­rie/Bäu­mer, Ger­trud (Hg.), Denk­schrift zum Welt­kon­greß für Kin­der­hil­fe, Au­gust 1925 Genf, Ber­lin 1925a, S. 26-30.
Köl­ner Re­form der Ob­dach­lo­sen­für­sor­ge, in: Deut­sche Zeit­schrift für Wohl­fahrts­pfle­ge 1925, S. 35-36.
Rand­be­mer­kun­gen zur „So­zia­len The­ra­pie“, in: Deut­sche Zei­tung für Wohl­fahrts­pfle­ge 1927, S. 627-628.
Ei­ni­ge Ent­wick­lun­gen im An­stalts­we­sen für Er­wach­se­ne, in: Pol­lig­keit, Wil­helm/Scher­pner, Hans/Web­ler, Hein­rich (Hg.), Für­sor­ge als per­sön­li­che Hil­fe. Fest­ga­be für Prof. Dr. Chris­ti­an Jas­per Klum­ker zum 60. Ge­burts­tag am 22. De­zem­ber 1928, Ber­lin 1929, S. 129-145.
Das Pro­blem der Pflicht­ar­beit in der kom­mu­na­len Ar­bei­ter­für­sor­ge, in: Ar­bei­ter­wohl­fahrt 1930, S. 545-553.
Er­werbs­lo­sen­fra­gen in USA, in: Ar­bei­ter­wohl­fahrt 1932, S. 243-249.
Ge­dan­ken zur so­zia­len Frau­en-Ar­beit, in: Die Frau 1932, S. 370-373.
Ge­gen­warts­fra­gen der kom­mu­na­len Für­sor­ge: Ein Zeit­bild, in: Die Frau 1932, S. 436-439.
Work re­li­ef in Ger­ma­ny, New York 1934.
Von Mensch zu Mensch. „Ca­se­wor­k“ als so­zia­le Auf­ga­be, Frank­furt/Main 1949.
Ca­se­work in USA. Theo­rie und Pra­xis der Ein­zel­fall­hil­fe, Frank­furt/Main 1950. 

Literatur (Auswahl)

Ber­ger, Man­fred, Zum 100. Ge­burts­tag von Her­tha Kraus. Ei­ne bio­gra­phisch-päd­ago­gi­sche Skiz­ze, in: Un­se­re Ju­gend 1997, S. 364-366.
Ber­ger, Man­fred, Wer war… Her­tha Kraus? Pio­nie­re So­zia­ler Ar­beit, in: So­zi­al­ma­ga­zin 2002/H. 3, S. 6-8.
Ber­ger, Man­fred, Kraus, Her­tha (Her­ta), in: Bautz, T. (Hg.), Bio­gra­phisch-Bi­blio­gra­phi­sches Kir­chen­le­xi­kon, Band 23, Nord­hau­sen 2004, Sp. 860-872.
Bus­siek, Bea­te, Her­tha Kraus – Quä­ker­geist und Kom­pe­tenz. Im­pul­se für die So­zia­le Ar­beit in Deutsch­land und den USA, in: He­ring, Sa­bi­ne/Waal­di­jk, Ber­te­ke (Hg.), Die Ge­schich­te der So­zia­len Ar­beit in Eu­ro­pa (1900-1960). Wich­ti­ge Pio­nie­rin­nen und ihr Ein­fluss auf die Ent­wick­lung in­ter­na­tio­na­ler Or­ga­ni­sa­tio­nen, Op­la­den 2002, S. 51-60.
Ei­fert, Chris­tia­ne, Frau­en­po­li­tik und Wohl­fahrts­pfle­ge. Die Ge­schich­te der so­zi­al­de­mo­kra­ti­schen „Ar­bei­ter­wohl­fahr­t“, Frank­furt a.M. 1994.
Fei­del-Mertz, Hil­de­gard, Kraus, Her­tha, in: Dick, Jut­ta/Sas­sen­berg, Ma­ri­na (Hg.), Jü­di­sche Frau­en im 19. und 20. Jahr­hun­dert. Le­xi­kon zu Le­ben und Wer­ke, Rein­bek 1993, S. 224-226.
Mül­ler, Carl Wolf­gang, Wie Hel­fen zum Be­ruf wur­de, Band 2: Ei­ne Me­tho­den­ge­schich­te der So­zi­al­ar­beit 1945-1985, Wein­heim/Ba­sel 1988.
Nyas­si-Fäus­ter, Ul­ri­ke, Her­tha Kraus 1897–1968, in: „10 Uhr pünkt­lich Gür­ze­nich“. Hun­dert Jah­re be­weg­te Frau­en in Köln – zur Ge­schich­te der Or­ga­ni­sa­tio­nen und Ver­ei­ne, Müns­ter 1995, S. 226-229.
Rei­ni­cke, Pe­ter, Kraus, Her­tha – Lei­te­rin des Köl­ner Wohl­fahrts­am­tes, in: Mai­er, Hu­go (Hg.), Who is who der So­zia­len Ar­beit, Frei­burg/Brsg. 1998, S. 223-224.
Schirr­ma­cher, Gerd, Her­tha Kraus – Zwi­schen den Wel­ten. Bio­gra­phie ei­ner So­zi­al­wis­sen­schaft­le­rin und Quä­ke­rin (1897-1968), Frank­furt/Main [u.a.] 2002.
Schmitt, Hans A., Qua­kers and Na­zis. In­ner Light in Ou­ter Darkness, Co­lum­bia 1997.
Wie­ler, Joa­chim, Emi­grier­te So­zi­al­ar­beit nach 1933. Be­rufs­kol­le­gin­nen und -kol­le­gen als po­li­ti­sche Flücht­lin­ge, in: Ot­to, Hans-Uwe/Sün­ker, Heinz (Hg.), So­zia­le Ar­beit und Fa­schis­mus, Frank­furt am Main 1989, S. 306-327.
Wie­ler, Joa­chim, Kraus, Her­tha, in: Bau­er, Ru­dolph (Hg.), Le­xi­kon des So­zi­al- und Ge­sund­heits­we­sens, Band 2, Mün­chen [u.a.] 1992, S. 1235-1236.

Hertha Kraus in älteren Jahren, undatiert. (Sozial-Betriebe-Köln gemeinnützige GmbH)

 
Zitationshinweis

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Berger, Manfred, Hertha Kraus, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/hertha-kraus/DE-2086/lido/5d5520b5c73234.85763276 (abgerufen am 29.03.2024)