Joseph Maria Piel

Romanist (1903-1992)

Dieter Kremer (Leipzig)

Dr. honoris causa Joseph Maria Piel am 28.1.1980. (Universidade de Santiago de Compostela)

Jo­seph Ma­ria Piel war ein deut­scher All­ge­mein­ro­ma­nist, mit dem Schwer­punkt Por­tu­gie­si­sche Phi­lo­lo­gie und Sprach­wis­sen­schaft. Als Schü­ler von Wil­helm Mey­er-Lüb­ke (1861−1936) war er ein pro­mi­nen­ter Ver­tre­ter der „klas­si­schen“, his­to­risch aus­ge­rich­te­ten deut­schen Ro­ma­nis­tik. Durch sei­ne Ver­bun­den­heit mit Por­tu­gal und For­schungs­schwer­punk­ten in der Na­men­for­schung und den ger­ma­nisch-ro­ma­ni­schen Sprach­be­zie­hun­gen galt er ins­be­son­de­re in die­sen Be­rei­chen als in­ter­na­tio­nal hoch an­ge­se­he­ne Au­to­ri­tät.

Ge­bo­ren am 8.6.1903 in Mör­chin­gen (El­sass-Loth­rin­gen) ver­brach­te er nach dem Um­zug der Fa­mi­lie nach Trier s­ei­ne Kind­heit und Ju­gend in Deutsch­land äl­tes­ter Stadt. Hier be­such­te er das an­ge­se­he­ne klas­si­sche Fried­rich-Wil­helm-Gym­na­si­um (an dem schon Karl Marx stu­diert hat­te), mit Schul­ka­me­ra­den wie dem spä­te­ren Trie­rer Bi­schof Bern­hard Stein (1904−1993, Epis­ko­pat 1967−1980). An den Uni­ver­si­tä­ten Frei­burg, Ber­lin und Bonn stu­dier­te er Kunst­ge­schich­te, Ger­ma­ni­sche und ins­be­son­de­re Ro­ma­ni­sche Phi­lo­lo­gie. Am 10.11.1929 wur­de er an der Uni­ver­si­tät Bonn un­ter Wil­helm Mey­er-Lüb­ke mit der Ar­beit „Die Mund­ar­ten von Cor­ti­sols bei Cha­lon s. M.“ zum Dr. phil. pro­mo­viert. Seit 1926 leb­te er be­reits in der alt­ehr­wür­di­gen por­tu­gie­si­schen Uni­ver­si­täts­stadt Co­im­bra, wo­hin er sei­nen Dok­tor­va­ter be­glei­tet hat­te. Sei­nen Le­bens­un­ter­halt ga­ran­tier­te ihm ein Sti­pen­di­um der da­ma­li­gen Not­ge­mein­schaft der deut­schen Wis­sen­schaft und ver­schie­de­ne Lehr­tä­tig­kei­ten (La­tein, Fran­zö­sisch, Deutsch, Kur­se am Co­lé­gio Camões und im In­sti­tu­to Ale­mão). Am 14.2.1928 wur­de er zum As­sis­ten­ten der Ab­tei­lung Phi­lo­lo­gie der Fa­culdade de Le­tras der Uni­ver­si­tät Co­im­bra er­nannt. Hier un­ter­rich­te­te er ver­schie­de­ne Dis­zi­pli­nen, von der Pa­läo­gra­phie über die Ver­glei­chen­de Gram­ma­tik der ger­ma­ni­schen Spra­chen bis zur Spa­ni­schen Li­te­ra­tur.

In die­ser Pha­se ent­deck­te er Por­tu­gal. Von be­son­de­rer Be­deu­tung war sei­ne gro­ße dia­lek­to­lo­gi­sche und geo­gra­phi­sche Ex­kur­si­on, zu­sam­men mit Vir­gí­lio Ta­bor­da (1906-1936), in die Re­gi­on Mi­ran­da. So­wohl sei­ne ers­te Un­ter­su­chung über ein por­tu­gie­si­sches The­ma („Ob­ser­vações acêr­ca do vo­ca­lis­mo mi­ran­dês“, 1930) wie sei­ne letz­te Pu­bli­ka­ti­on (1993) sind die­sem The­men­be­reich ge­wid­met. Ein fer­nes Echo war auch der Preis der Al­fred To­e­p­fer FVS-Stif­tung (Ham­burg) an die mi­ran­de­si­schen „Pau­li­tei­ros“, die er sei­ner­zeit als Ju­ri-Mit­glied vor­ge­schla­gen hat­te.

Ab 1936 ver­trat er den Lehr­stuhl für Ro­ma­ni­sche Phi­lo­lo­gie, der nach dem To­de von Ca­ro­li­na Mi­ch­aë­lis de Vas­con­cel­los (1851−1925) va­kant war. Vom 10.3.1939 bis zum 16.10.1954 ver­sah er die­se be­deu­ten­de Pro­fes­sur als Or­dent­li­cher Pro­fes­sor. In der Kriegs- und ers­ten Nach­kriegs­pha­se war Co­im­bra Zu­fluchts­ort zahl­rei­cher deut­scher Ge­lehr­ter. In­zwi­schen hat­te Piel al­ler­dings die Pro­fes­sur für Ro­ma­ni­sche Phi­lo­lo­gie (Sprach­wis­sen­schaft) an der Uni­ver­si­tät zu Köln über­nom­men. Hier wirk­te er von 1953 bis zu sei­ner Eme­ri­tie­rung 1968 ne­ben be­rühm­ten Kol­le­gen von Fritz Schalk (1902−1980) bis Ha­rald Wein­rich (1927-2022).

In 60 Jah­ren Lehr­tä­tig­keit präg­te (oder be­ein­fluss­te) Piel Ge­ne­ra­tio­nen von deut­schen und por­tu­gie­si­schen Sprach­wis­sen­schaft­lern. Prak­tisch al­le Dok­to­ran­den des Ro­ma­ni­schen Se­mi­nars der Uni­ver­si­tät zu Köln der Nach­kriegs­zeit kön­nen sich auf ihn be­ru­fen. Zu­sam­men mit Fritz Schalk bil­de­te er die manch­mal so ge­nann­te „Köl­ner Schu­le“, oh­ne dass von ei­ner Dok­trin zu spre­chen wä­re − da­zu war Piel zu be­schei­den. 

 

Die Kon­tak­te mit Por­tu­gal und der luso­pho­nen Welt wur­den da­ne­ben nie un­ter­bro­chen. Er war Gast­pro­fes­sor in Sal­va­dor de Bahia und Brasí­lia eben­so wie an der Fa­culdade de Le­tras der Uni­ver­si­tät Lis­sa­bon. Das Ca­sal do Cha­fa­riz (Por­tu­gal) mit dem klei­nen Ar­beits­raum („Al­faque­que“) in Pe­ne­do de Co­la­res dien­ten Piel als Rück­zugs­ort, in Lis­sa­bon hat­te er ei­ne Zweit­woh­nung. Nach sei­ner Eme­ri­tie­rung kehr­te er nach Por­tu­gal zu­rück, den Som­mer ver­brach­te er in Pe­ne­do, den Win­ter in Lis­sa­bon, spä­ter dann in Trier.

1974 wur­de er zum Pro­fes­sor mit Son­der­sta­tus der Fa­culdade de Le­tras der Uni­ver­si­tät Lis­sa­bon er­nannt; die­ses Amt üb­te er bis 1979 aus. Am 15.6.1974 wur­de er zum Ho­no­rar­pro­fes­sor der jun­gen Uni­ver­si­tät Trier er­nannt. Am 15.4.1951 wur­de er mit dem Dr. ho­no­ris cau­sa der Uni­ver­si­tät Co­im­bra ge­ehrt. Er war Mit­glied des In­stit­vt­vm Con­im­b­ri­gen­se und des his­to­ri­schen Mi­li­tär­or­dens San­tia­go da Es­pa­da. Als Eh­ren­mit­gied der Re­al Aca­de­mia Ga­le­ga er­hielt er 1979 den Eh­ren­dok­tor der Uni­ver­si­tät San­tia­go de Com­pos­te­la. Es folg­te 1981 die Eh­ren­pro­mo­ti­on der Uni­ver­si­tät Lis­sa­bon. Be­reits 1980 war er als Eh­ren­mit­glied in die Aca­de­mia Por­tu­gue­sa da His­tó­ria auf­ge­nom­men wor­den, 1984 als Kor­re­spon­die­ren­des Mit­glied der Aca­de­mia das Ciên­ci­as Lis­boa.

Am 28.5.1992 starb Piel in sei­nem El­tern­haus in Trier und fand sei­ne letz­te Ru­he­stät­te auf dem Fried­hof Sankt Pau­lin. Er hin­ter­ließ sei­ne Wit­we Trau­te Piel und die ge­mein­sa­men Söh­ne Pe­ter, Klaus und Ste­fan.

Das um­fang­rei­che wis­sen­schaft­li­che Werk von Jo­seph M. Piel wur­de mehr­fach ge­wür­digt, un­ter an­de­rem in drei Fest­schrif­ten. Kenn­zeich­nend ist die „kur­ze For­m“, gro­ße Ab­hand­lun­gen hat er von Aus­nah­men ab­ge­se­hen nicht ver­öf­fent­licht. Hier äh­nelt er ein we­nig sei­nem Bon­ner Kol­le­gen und wis­sen­schaft­li­chen „Wi­der­sa­cher“ Har­ri Mei­er (1905−1990), mit dem er ur­sprüng­lich das grund­le­gen­de Werk „Ro­ma­ni­sches ety­mo­lo­gi­sches Wör­ter­buch“ (REW) von Wil­helm Mey­er-Lüb­ke neu her­aus­ge­ben woll­te.

Sei­ne Buch­pu­bli­ka­tio­nen sind ge­such­te phi­lo­lo­gi­sche Edi­tio­nen wich­ti­ger mit­tel­al­ter­li­cher li­te­ra­ri­scher Tex­te. Eben­falls in Buch­form wur­den zahl­rei­che ety­mo­lo­gi­sche „Mis­zel­len“ zu­sam­men­ge­fasst, des­glei­chen sei­ne Un­ter­su­chun­gen zu Per­so­nen- und Orts­na­men vor al­lem ger­ma­ni­scher Her­kunft der Ibe­ri­schen Halb­in­sel. Hier­mit sind die Schwer­punk­te des um­fang­rei­chen wis­sen­schaft­li­chen Schaf­fens be­reits zu­sam­men­ge­fasst. Das Werk­ver­zeich­nis um­fasst über 220 Ti­tel, im Nach­lass fand sich noch ei­ne Rei­he von Ent­wür­fen. Lei­der ist ein di­rek­ter Zu­gang zu den au­ßer­or­dent­lich zahl­rei­chen und wich­ti­gen ety­mo­lo­gi­schen Bei­trä­gen we­gen ih­rer Streu­ung auf ei­ne gro­ße Zahl von wis­sen­schaft­li­chen Pu­bli­ka­tio­nen nicht mög­lich. Ei­ne Ge­sam­te­di­ti­on mit ent­spre­chen­den In­di­zes ist seit län­ge­rem ge­plant, konn­te bis­her al­ler­dings nicht rea­li­siert wer­den. Da­durch ist ei­ne Re­zep­ti­on grund­le­gen­der Er­kennt­nis­se zur ro­ma­ni­schen, ins­be­son­de­re por­tu­gie­si­schen Ety­mo­lo­gie und Wort­ge­schich­te eben­so wie zur Orts- und Per­so­nen­na­men­for­schung der Ibe­ri­schen Halb­in­sel deut­lich er­schwert. Die Be­deu­tung des Nes­tors der deutsch-por­tu­gie­si­schen Wis­sen­schafts­be­zie­hun­gen und de­tail­be­ses­se­nen Ge­lehr­ten mit sei­nen Ar­beits­schwer­punk­ten in Trier, Köln und Lis­sa­bon droht da­durch in Ver­ges­sen­heit zu ge­ra­ten. 

Werke

Phi­lo­lo­gi­sche Edi­tio­nen 

Le­al Con­sel­hei­ro o qual fez Dom Edu­ar­te Rey de Por­tu­gal e do Al­gar­ve e Sen­hor de Cep­ta. Edição crí­ti­ca e ano­ta­da, Lis­boa 1942.
 
Liv­ro da en­si­nança de bem ca­val­gar to­da se­la que fez el-Rey Dom Edu­ar­te de Por­tu­gal e do Al­gar­ve e sen­hor de Ceu­ta. Edição crí­ti­ca, acom­pan­ha­da de no­tas e dum glos­sá­rio, Lis­boa 1944, ND Lis­boa 1986.

Liv­ro dos Ofi­ci­os de Mar­co Tul­lio Ci­ce­ram, o qual tor­nou em lin­gua­gem o Ifan­te D. Pe­dro du­que de Co­im­bra. Edição crí­ti­ca se­gun­do o ms. de Ma­drid, pre­fa­cia­da, ano­ta­da e acom­pan­ha­da de glos­sá­rio, Co­im­bra 1948.

Edi­tio­nen
 
Mey­er-Lüb­ke, Wil­helm, His­to­ri­sche Gram­ma­tik der fran­zö­si­schen Spra­che, Zwei­ter Teil: Wort­bil­dungs­leh­re, Zwei­te, durch­ge­se­he­ne u. er­gänz­te Auf­la­ge v. Jo­seph M. Piel, Hei­del­berg 1966. 

Liv­ros Vel­hos de Lin­ha­gens, edição crí­ti­ca por Jo­seph Piel e Jo­sé Mat­to­so, Lis­boa 1980.

Se­bas­tião Ro­dol­fo Dal­ga­do, Glos­sá­rio lu­so-asiá­ti­co. Com uma in­tro­dução de Jo­seph M. Piel, 2 vol., Ham­burg 1982.

Ety­mo­lo­gi­sche Bei­trä­ge

Mis­celâ­nea de etimo­lo­gia por­tu­gue­sa e ga­le­ga (pri­mei­ra sé­rie) [Ver­misch­te ety­mo­lo­gi­sche Bei­trä­ge zum Por­tu­gie­si­schen und Ga­li­ci­schen], Co­im­bra 1953. 

Estu­dos de lin­guísti­ca his­tó­ri­ca ga­le­go-por­tu­gue­sa, Lis­boa 1989.

Na­men­kund­li­che Ar­bei­ten 

No­mes de "pos­ses­so­res" la­ti­no-cris­tãos na to­poní­mia as­turo-ga­le­go-por­tu­gue­sa [La­tei­nisch­christ­li­che Be­sit­zer­orts­na­men in den Orts­na­men der Ibe­ri­schen Halb­in­sel], in: Bi­b­los 23 (1947), S. 143-202, 283-407 (auch als Se­pa­ra­tum: Co­im­bra 1948).

Os no­mes dos san­tos tra­di­cio­nais hi­spâ­ni­cos na to­poní­mia pen­in­su­lar [Die Na­men der tra­di­tio­nel­len Hei­li­gen in den por­tu­gie­si­schen Orts­na­men], in: Bi­b­los 25 (1949), S. 287-353; 26 (1950), S. 281-314 (auch als Se­pa­ra­tum, Co­im­bra 1950).

Piel Jo­seph M. /Kre­mer, Die­ter, Hi­s­pa­no-go­ti­sches Na­men­buch. Der Nie­der­schlag des West­go­ti­schen in den al­ten und heu­ti­gen Per­so­nen- und Orts­na­men der Ibe­ri­schen Halb­in­sel, Hei­del­berg 1976.

Festschriften

Phi­lo­lo­gi­sche Stu­di­en für Jo­seph M. Piel, hg. v. Wolf-Die­ter Lan­ge u. Heinz Jür­gen Wolf, Hei­del­berg 1969.

Ho­me­nagem a Jo­seph M. Piel por oca­sião do seu 85.º ani­ver­sá­rio, edita­da com o apoio do In­sti­tu­to de Cul­tu­ra e Lín­gua Por­tu­gue­sa e do Con­sel­lo da Cu­tu­ra Ga­le­ga, por Die­ter Kre­mer, Tü­bin­gen 1988.

Würdigungen

Kre­mer, Die­ter, Jo­seph M. Piel (8.6.1903 a 28.5.1992), in: Re­vis­ta Por­tu­gue­sa de Fi­lo­lo­gia 20 (1995), S. 267-280.

Lan­ge, Wolf-Die­ter, Jo­seph M. Piel, in: Anu­a­rio de Estu­di­os Me­di­eva­les 6 (1969), S. 645-650.

Lo­ren­zo, Ramón, in: Gran En­ci­clo­pe­dia Gal­le­ga s.v. Piel, Jo­seph M., da­zu auch Ver­ba 7 (1980), S. 7-11.

Lo­ren­zo, Ramón, in: Ver­ba 19 (1992), S. 491-500.

Wolf, Heinz Jür­gen, in: Re­vue de Lin­gu­is­tique Ro­ma­ne 225-226 (1993), S. 330-331.

Fotografie von Joseph Maria Piel, ca. 1930. (Privatbesitz)

 
Zitationshinweis

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Kremer, Dieter, Joseph Maria Piel, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/joseph-maria-piel/DE-2086/lido/6040e127656544.24729319 (abgerufen am 19.04.2024)