Klara Marie Faßbinder

Pazifistin (1890-1974)

Thomas P. Becker (Bonn)

Klara Marie Faßbinder, Porträt. (Universitätsarchiv Bonn)

Die Frie­dens­ak­ti­vis­tin Kla­ra Ma­rie Faß­bin­der trat in der Wei­ma­rer Re­pu­blik lei­den­schaft­lich für die Aus­söh­nung mit dem „Erb­feind" Frank­reich ein. Nach der Macht­er­grei­fung der Na­tio­nal­so­zia­lis­ten wur­de sie da­her so­fort ent­las­sen. Nach dem Zwei­ten Welt­krieg trat sie eben­so en­er­gisch für die Aus­söh­nung mit den Völ­kern in Ost­eu­ro­pa ein, wes­halb sie in der Ära des „Kal­ten Krie­ges" we­gen an­geb­li­cher kom­mu­nis­ti­scher Ver­bin­dun­gen wie­der­um sus­pen­diert wur­de. Bis ins ho­he Al­ter kämpf­te die en­ga­gier­te Ka­tho­li­kin mit al­ler Macht für Frie­den und Ver­stän­di­gung in der Welt.

Kla­ra Ma­rie Faß­bin­der wur­de am 15.2.1890 als das fünf­te von sie­ben Kin­dern in Trier ge­bo­ren. Ihr Va­ter Pe­ter Faß­bin­der war dort Volks­schul­leh­rer, wie schon sein Va­ter vor ihm. Auch ihr Gro­ßva­ter müt­ter­li­cher­seits war Leh­rer. Bis auf die jüngs­te Toch­ter er­grif­fen al­le Kin­der der Faß­bin­ders den Leh­rer­be­ruf. Der Bru­der Franz schrieb spä­ter Lehr­bü­cher für den Deutsch­un­ter­richt. Sein En­kel war der Re­gis­seur Rai­ner Wer­ner Faß­bin­der (1945-1982). 1896 zog die Fa­mi­lie von Trier nach Brühl, wo der Va­ter ei­ne Stel­le am Leh­rer­se­mi­nar er­hielt. Mit 16 Jah­ren kam Kla­ra Ma­rie 1906 auf das Hö­he­re Leh­re­rin­nen­se­mi­nar nach Ko­blenz. Im März 1909 leg­te sie ihr Leh­re­rin­nen­ex­amen für mitt­le­re und hö­he­re Mäd­chen­schu­len ab. Die ers­te An­stel­lung fand sie in der hö­he­ren Mäd­chen­schu­le der Eng­li­schen Fräu­lein in Darm­stadt. Bis 1911 un­ter­rich­te­te sie hier vor al­lem die obe­ren Klas­sen. Da­nach lehr­te sie am Ly­ze­um von Emi­lie Heyer­mann in Bonn. 1913 leg­te sie in Müns­ter das ex­ter­ne Ab­itur ab. Nun konn­te sie sich an der Uni­ver­si­tät Bonn für die Fä­cher Fran­zö­sisch, Ge­schich­te und Phi­lo­so­phie ein­schrei­ben, was Frau­en in Preu­ßen erst seit 1908 er­laubt war. Ihr Staats­ex­amen be­stand sie 1917 mit Aus­zeich­nung. Ih­re ex­zel­len­te Be­herr­schung der fran­zö­si­schen Spra­che stand je­doch im ekla­tan­ten Wi­der­spruch zu ih­rer ne­ga­ti­ven Hal­tung Frank­reich ge­gen­über, das für die zu­tiefst pa­trio­ti­sche jun­ge Rhein­län­de­rin ein Hort der Ver­kom­men­heit und Leicht­le­big­keit war.

Vol­ler Über­zeu­gung von der mo­ra­li­schen Über­le­gen­heit Deutsch­lands mel­de­te Kla­ra Ma­rie Faß­bin­der sich im April 1918 zum „va­ter­län­di­schen Hilfs­dienst", um durch Bil­dungs­an­ge­bo­te die Mo­ral der Trup­pe zu stär­ken. Bei der 3. säch­si­schen Ar­mee im Dörf­chen Mont­gon bei Se­dan wur­de sie bald zur Ver­mitt­le­rin zwi­schen der fran­zö­si­schen Be­völ­ke­rung und der deut­schen Be­sat­zungs­ar­mee. Sie freun­de­te sich mit ei­ner fran­zö­si­schen Bäue­rin an, de­ren Mann in der fran­zö­si­schen Ar­mee kämpf­te. Nach ei­nem Streit über den Aus­gang des Krie­ges wur­de Kla­ra Ma­rie Faß­bin­der auf dem Heim­weg im strö­men­den Re­gen von den Kin­dern der Bäue­rin ein­ge­holt, die ih­ren ab­rup­ten Auf­bruch nicht ver­stan­den hat­ten. Die­se Be­geg­nung im Re­gen auf ei­ner Wie­se in Mont­gon ver­än­der­te ihr wei­te­res Le­ben. Von ei­nem Mo­ment auf den an­de­ren warf Kla­ra Ma­rie Faß­bin­der ih­re bis­he­ri­ge na­tio­na­lis­ti­sche Über­zeu­gung über Bord und ver­schrieb sich ganz dem Frie­den und der Völ­ker­ver­stän­di­gung. Sie selbst sprach spä­ter gern von ih­rem „Da­mas­kus-Er­leb­nis".

Nach Kriegs­en­de ar­bei­te­te Kla­ra Ma­rie Faß­bin­der zu­nächst in Bonn an ih­rer Dok­tor­ar­beit in Ro­ma­nis­tik. Seit ih­ren Er­fah­run­gen im Ers­ten Welt­krieg lag ihr die Aus­söh­nung zwi­schen Frank­reich und Deutsch­land mehr am Her­zen als al­les an­de­re. Da­her ging sie 1920 ins Saar­land, das noch fran­zö­sisch be­setzt war. 1921 wur­de sie Lei­te­rin des Lan­des­se­kre­ta­ri­ats Saar des Büh­nen­volks­bun­des, der sich zur Auf­ga­be ge­macht hat­te, das Thea­ter auch in Or­te zu brin­gen, die sich kein ei­ge­nes Schau­spiel­haus leis­ten konn­ten. Ihr Ruf als en­ga­gier­te Pa­zi­fis­tin hat­te ihr schon 1923 ei­ne Ein­la­dung zum ers­ten in­ter­na­tio­na­len Frie­dens­kon­gress in Frei­burg ein­ge­bracht. 1924 wur­de sie zu ei­nem Kon­gress beim Völ­ker­bund in Genf ein­ge­la­den. Für sie per­sön­lich am be­deu­tungs­volls­ten war die Ein­la­dung zu den „Entre­ti­ens de Pon­ti­gny", die in der al­ten Zis­ter­zi­en­ser­ab­tei in der Nä­he von Au­xer­re jähr­lich zehn Ta­ge lang ab­ge­hal­ten wur­den. 1928 und 1929 er­hielt sie ei­ne der be­gehr­ten Ein­la­dun­gen. Ne­ben der li­be­ra­len Ge­mein­schaft der Schrift­stel­ler, Phi­lo­so­phen und Wis­sen­schaft­ler in Pon­ti­gny such­te Faß­bin­der in die­sen Jah­ren auch Kon­takt zum „ka­tho­li­schen" Frank­reich, das sie mit Sym­pa­thie, aber auch mit kri­ti­schem Blick in zahl­rei­chen Zeit­schrif­ten­bei­trä­gen dem deut­schen Pu­bli­kum nä­her brin­gen woll­te.

Ih­re un­er­schro­cke­ne Art, die sie im­mer wie­der in Zeit­schrif­ten­bei­trä­gen ih­re Stim­me er­he­ben ließ, brach­ten Kla­ra Ma­rie Faß­bin­der in Kon­flikt mit dem er­star­ken­den Na­tio­nal­so­zia­lis­mus. Bis En­de 1934 schütz­te sie noch das Saar­sta­tut. Kaum war das Saar­land wie­der ans Reich an­ge­schlos­sen, wur­de Kla­ra Ma­rie Faß­bin­der ent­las­sen. Stel­lungs­los und in fi­nan­zi­el­len Nö­ten ge­lang ihr in die­sem schwe­ren Jahr 1935 mehr durch Zu­fall das, was sie als Mitt­le­rin zwi­schen fran­zö­si­scher und deut­scher Kul­tur mehr be­kannt ge­macht hat als ih­re un­er­müd­li­che pa­zi­fis­ti­sche Ar­beit der 1920-er Jah­re: Die Über­set­zung der Wer­ke des Schrift­stel­lers Paul Clau­del (1868-1955). Sie hat­te ei­gent­lich nur ei­nem be­freun­de­ten Pries­ter ei­ne Na­mens­tags­freu­de ma­chen wol­len und da­her „Le che­min de la Croix" (Der Kreuz­weg) von Paul Clau­del ins Deut­sche über­setzt. Auf Drän­gen des Freun­des kam die Über­set­zung beim Ver­lag Schö­ningh her­aus. 1938 er­schien als nächs­tes Büch­lein „Die Mes­se". Nach dem Krieg soll­ten wei­te­re Über­set­zun­gen fol­gen.

Kla­ra Ma­rie Faß­bin­der er­warb trotz ih­rer Lehr­amts­fä­cher nun noch die Lehr­be­fä­hi­gung für Eng­lisch, ob­wohl ihr die Er­laub­nis zum Un­ter­richt an öf­fent­li­chen Schu­len aus­drück­lich ver­wei­gert wur­de. Ab 1940 über­nahm sie die Lei­tung ei­ner klei­nen pri­va­ten Mäd­chen-Re­al­schu­le, der „Qui­sis­a­na" in Hor­rem bei Köln. Die wirt­schaft­li­che Not zwang die Ge­schwis­ter Kla­ra Ma­rie, Ka­tha­ri­na und Ma­ria, die al­le aus po­li­ti­schen Grün­den ent­las­sen wor­den wa­ren, im Haus des Schwa­gers Jo­sef Be­cker in Du­is­dorf (heu­te Stadt Bonn) zu­sam­men­zu­zie­hen, das die­ser mit sei­ner sie­ben­köp­fi­gen Fa­mi­lie be­wohn­te, seit er we­gen sei­ner po­li­ti­schen Hal­tung als Bür­ger­meis­ter von Nie­der­krüch­ten-Elm­pt (Kreis Vier­sen) zwangs­pen­sio­niert wor­den war.

Als der Krieg vor­bei war, er­hielt die po­li­tisch un­be­las­te­te Kla­ra Ma­rie Faß­bin­der – ne­ben ih­rem Amt als Schul­lei­te­rin – ei­nen Ruf auf ei­ne Pro­fes­sur für Ge­schich­te an die Päd­ago­gi­sche Aka­de­mie in Bonn. Doch ih­re ei­gent­li­che Be­ru­fung fand sie 1950, als sie ver­nahm, dass Kon­rad Ade­nau­er die Wie­der­be­waff­nung der Bun­des­re­pu­blik an­streb­te. Ih­re ge­sam­te Kraft ge­hör­te seit­dem der Ver­söh­nung und Ver­stän­di­gung mit dem Os­ten. In der Ära des „Kal­ten Krie­ges" war sie da­mit ge­nau­so un­be­quem wie vor 1935 an der Saar. Sie wur­de nun vom Ver­fas­sungs­schutz be­spit­zelt, we­gen an­geb­li­cher pro­kom­mu­nis­ti­scher Äu­ße­run­gen de­nun­ziert, der Be­ste­chung durch den so­wje­ti­schen Ge­heim­dienst KGB ver­däch­tigt und schlie­ß­lich 1953 sus­pen­diert, wäh­rend ein Dienst­straf­ver­fah­ren ge­gen sie er­öff­net wur­de. Die Sus­pen­die­rung muss­te zu­rück­ge­nom­men wer­den. Das Ver­fah­ren wur­de we­gen Un­halt­bar­keit der An­schul­di­gun­gen nie­der­ge­schla­gen, aber auf An­wei­sung der Kul­tus­mi­nis­te­rin Chris­ti­ne Teusch blieb Kla­ra Ma­rie Faß­bin­der den­noch bis zum Er­rei­chen der Al­ters­gren­ze be­ur­laubt und durf­te das Ge­bäu­de der Päd­ago­gi­schen Aka­de­mie nicht mehr be­tre­ten.

Nun setz­te sie sich erst recht für die Ver­stän­di­gung mit dem Os­ten und zu­neh­mend auch mit der Drit­ten Welt ein. Sie be­reis­te die USA und kon­fe­rier­te mit zahl­rei­chen De­le­gier­ten der UNO, sie sprach mit dem so­wje­ti­schen Re­gie­rungs­schef Ni­ki­ta Chruscht­schow (1894-1971) und mit dem spä­te­ren Papst Jo­han­nes XXIII. (Pon­ti­fi­kat 1958-1963). In der gan­zen Welt war sie ge­ach­tet, in Deutsch­land je­doch wur­de sie in den Zei­tun­gen spöt­tisch „Frie­dens­klär­chen" ge­nannt.

We­gen ih­rer Be­mü­hun­gen um die Ver­stän­di­gung zwi­schen Deutsch­land und Frank­reich be­schloss die fran­zö­si­sche Re­gie­rung 1967, ihr den Or­den „Les Pal­mes Aca­dé­mi­ques" zu ver­lei­hen. Aber der Bun­des­prä­si­dent Hein­rich Lüb­ke (Amts­zeit 1959-1969) un­ter­sag­te ihr die An­nah­me ei­nes aus­län­di­schen Or­dens. Der Fall schlug un­ge­heu­re Wel­len in der deut­schen Pres­se. Die ge­ra­de durch den Mi­li­tär­putsch in Grie­chen­land und den be­vor­ste­hen­den Schah-Be­such auf­ge­brach­te stu­den­ti­sche Lin­ke sah in Faß­bin­der ein Op­fer des ka­pi­ta­lis­ti­schen Es­ta­blish­ments und fei­er­te die al­te Da­me be­geis­tert bei ei­nem Auf­tritt in der Bon­ner Men­sa. Erst nach der Wahl von Gus­tav Hei­nemann zum neu­en Bun­des­prä­si­den­ten konn­te sie den Or­den ent­ge­gen­neh­men. Sie wur­de nun all­ge­mein ge­ach­tet. Zu ih­rem 80. Ge­burts­tag 1970 er­schien ei­ne Fest­schrift, zu der der Köl­ner Kar­di­nal Frings das Vor­wort schrieb, und in der ne­ben Wal­ter Dirks (1901-1991) und Mar­tin Nie­m­öl­ler (1892-1991) auch Han­na-Re­na­te Lau­ri­en oder Nor­bert Blüm zu fin­den sind.

Kla­ra Ma­rie Faß­bin­der starb 84jäh­rig am 4.6.1974 in ei­nem Al­ters­heim in Ber­kum bei Bonn. Ihr sehn­lichs­ter Wunsch war es, mit dem Or­den „Les Pal­mes Aca­dé­mi­ques", der höchs­ten Eh­rung, die ihr das ge­lieb­te Frank­reich je zu­teil wer­den ließ, be­gra­ben zu wer­den.

Schriften

Faß­bin­der, Kla­ra Ma­rie, Be­geg­nun­gen und Ent­schei­dun­gen, Darm­stadt 1961.
Faß­bin­der, Kla­ra Ma­rie, Der ver­sun­ke­ne Gar­ten. Be­geg­nun­gen mit dem geis­ti­gen Frank­reich des Ent­re-deux-gu­er­res 1919-1939. Wie­der­be­geg­nun­gen nach dem Zwei­ten Welt­krieg, Hei­del­berg 1968.

Literatur

Apel, Uta, Kla­ra Ma­rie Faß­bin­der. Ka­tho­li­sche Pa­zi­fis­tin und Mitt­le­rin zwi­schen Deutsch­land und Frank­reich, in: Len­de­mains 22 (1997), Nr. 86/87, S. 76-93.
Har­ke-Schmidt, Su­san­ne, Kla­ra Ma­rie Faß­bin­der, in: Ge­liebt Ge­schmäht Ge­ehrt. Frau­en in der Ker­pe­ner Ge­schich­te. Ka­ta­log zur Aus­stel­lung im Ker­pe­ner Rat­haus vom 28. Fe­bru­ar bis 24. März 1993, Ker­pen 1993, S. 187-198.
Notz, Gi­se­la, „Un­ser Fräu­lein Dok­tor..., die hat uns im­mer die Wahr­heit ge­sagt". Kla­ra-Ma­rie Faß­bin­der zum 100. Ge­burts­tag, in: Bei­trä­ge zur fe­mi­nis­ti­schen Theo­rie und Pra­xis 27 (1990), S. 161-171, hier S. 165.
Pos­ser, Diet­her, Der kal­te Krieg im Ge­richts­saal. Kla­ra Ma­rie Faß­bin­der: Ei­ne ka­tho­li­sche Pa­zi­fis­tin zwi­schen den Fron­ten, in: Der­sel­be, An­walt im Kal­ten Krieg. Ein Stück deut­scher Ge­schich­te in po­li­ti­schen Pro­zes­sen 1951-1968, Mün­chen 1991, S. 60-90.

Klara Marie Faßbinder, Porträt. (Privatbesitz)

 
Zitationshinweis

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Becker, Thomas P., Klara Marie Faßbinder, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/klara-marie-fassbinder-/DE-2086/lido/57c6acbcdbddd2.41767979 (abgerufen am 20.04.2024)