Mannus von Speyer

Jüdischer Gelehrter (1337- nach 1400)

Matthias Schmandt (Bingen am Rhein)

Man­nus von Spey­er ent­stamm­te ei­ner al­ten rhei­ni­schen Ge­lehr­ten­fa­mi­lie und er­lang­te selbst als Au­tor re­li­giö­ser Trak­ta­te Be­deu­tung. Vor al­lem sei­ne kab­ba­lis­ti­schen Stu­di­en, die aus en­ger Ver­traut­heit mit me­di­ter­ra­nen Tra­di­tio­nen re­sul­tier­ten, ver­lie­hen ihm un­ter den rhei­ni­schen Ge­lehr­ten sei­ner Zeit ei­nen be­son­de­ren Sta­tus. Zu­gleich spie­gelt Man­nus’ be­weg­te und für die Epo­che au­ßer­ge­wöhn­lich gut do­ku­men­tier­te Bio­gra­phie die pre­kä­ren Le­bens­be­din­gun­gen jü­di­scher Exis­tenz seit der Mit­te des 14. Jahr­hun­derts.

Über Kind­heit und Ju­gend von Man­nus ist nichts be­kannt, auch nicht sein Ge­burts­ort. Man­ches spricht da­für, dass er aus Köln stammt. Sein Her­kunfts­na­me „von Spey­er“, mit dem er in spä­te­ren Jah­ren in den Quel­len auf­taucht, ist für die­se An­nah­me je­den­falls kein Hin­de­rungs­grund. Ver­mut­lich zog Man­nus näm­lich erst als jun­ger Mann bald nach dem ver­hee­ren­den Pest­po­grom von 1349 nach Spey­er, wo schon in­ner­halb kür­zes­ter Zeit nach dem Mor­den wie­der Ju­den zu­ge­las­sen wur­den. Noch in den 1350er Jah­ren hat Man­nus Spey­er auf je­den Fall ver­las­sen und ist fort­an über ei­nen län­ge­ren Zeit­raum in Je­ru­sa­lem an­zu­tref­fen. Er ge­hör­te of­fen­bar ei­ner Grup­pe von Leh­rern und Stu­den­ten aus dem Rhein­land an, die nach Je­ru­sa­lem ge­zo­gen wa­ren, um dort ei­ne Je­schi­wa (Tal­mud­schu­le) zu be­grün­den. Das Be­son­de­re an die­ser Aka­de­mie war, dass man sich dort nicht nur – wie in Deutsch­land üb­lich – mit der Ha­la­cha, al­so den Re­li­gi­ons­ge­set­zen und ih­rer Aus­le­gung, be­schäf­tig­te, son­dern un­ter dem Ein­fluß spa­ni­scher Ge­lehr­ter auch kab­ba­lis­ti­sche (mys­ti­sche) Stu­di­en be­trieb. Vie­le Mit­glie­der der Je­ru­sa­le­mer Je­schi­wa kehr­ten ei­ni­ge Jah­re spä­ter nach Eu­ro­pa und Deutsch­land zu­rück; al­lein in Frank­furt am Main sind nach 1360 drei Ju­den „aus Je­ru­sa­le­m“ ver­zeich­net. Ei­ner von ih­nen trägt den Na­men Man von Spi­re und ist wohl mit un­se­rem Man­nus von Spey­er iden­tisch.

Der frü­hes­te ge­si­cher­te Be­leg für die Rück­kehr des Man­nus nach Deutsch­land ist al­ler­dings erst ein An­sied­lungs­pri­vi­leg des Köl­ner Erz­bi­schofs Fried­rich von Saar­wer­den vom 20.5.1372. Man­nus er­hielt nun Wohn­recht in Bonn. Doch nicht auf die­se Stadt, son­dern auf Köln schien der ins Au­ge ge­fa­ß­te Wohn­ort­wech­sel von vorn­her­ein hin­aus­zu­lau­fen, denn die An­sied­lungs­ver­ein­ba­rung fiel in die hei­ße Pha­se erz­bi­schöf­li­cher Be­mü­hun­gen um ei­ne Wie­der­zu­las­sung von Ju­den in Köln – wenn auch zu­nächst noch ge­gen den hef­ti­gen Wi­der­stand der Stadt­vä­ter. Im Ok­to­ber 1372 war es dann so­weit: 23 Jah­re nach dem Po­grom zo­gen end­lich wie­der Ju­den in Köln ein. Un­ter den ers­ten war auch Man­nus von Spey­er.

Die fol­gen­den min­des­tens elf Jah­re, wäh­rend de­rer Man­nus in Köln blieb, sind die best­do­ku­men­tier­ten sei­nes Le­bens. Re­gel­mä­ßig ist er im städ­ti­schen Zins­re­gis­ter ver­zeich­net. Man­nus hat­te jähr­lich ins­ge­samt 50 Gul­den zu ent­rich­ten. Da­mit war er nicht ge­ra­de der Höchst­be­steu­er­te in der Ju­den­ge­mein­de, zähl­te aber durch­aus zu den wohl­ha­ben­de­ren Leu­ten der Stadt. Ein durch­schnitt­li­cher Köl­ner Hand­werks­meis­ter hät­te schon sei­nen ge­sam­ten Jah­res­ver­dienst auf­wen­den müs­sen, um nur die­se Steu­er­sum­me be­glei­chen zu kön­nen. No­tum di­ves est (Man be­ach­te: Er ist reich!) hei­ßt es denn auch über Man­nus in ei­ner Steu­er­lis­te um 1382; mit die­ser Rand­no­tiz soll­te der zu­stän­di­ge Rats­be­am­te wohl zu ei­ner künf­ti­gen Hö­her­ver­an­la­gung des Ju­den er­mahnt wer­den. Wie noch die meis­ten Ge­lehr­ten sei­ner Zeit ver­dien­te Man­nus sei­nen Le­bens­un­ter­halt nicht als be­sol­de­ter Rab­bi­ner oder durch sons­ti­ge wis­sen­schaft­li­che Tä­tig­keit, son­dern im Geld­leih­ge­schäft. Zu sei­nen Kre­dit­kun­den zähl­ten die Stadt Köln und der Graf von Kle­ve. In Köln ver­fa­ß­te Man­nus sein Haupt­werk, ei­nen um­fang­rei­chen To­ra­kom­men­tar (Se­fer Zio­ni). In dem Buch ha­ben Spu­ren sei­ner Be­geg­nung mit der Mys­tik in Je­ru­sa­lem deut­lich ih­ren Nie­der­schlag ge­fun­den. Man­nus gilt da­mit als ei­ner der frü­hes­ten Kab­ba­lis­ten im Rhein­land und zu­gleich als Ver­mitt­ler zwi­schen west­eu­ro­päi­schen (se­far­di­schen) und deut­schen (asch­ke­ni­schen) Tra­di­tio­nen des Ju­den­tums. Es scheint üb­ri­gens, dass  Man­nus ein ech­ter Uni­ver­sal­ge­lehr­ter war und auch über fun­dier­tes me­di­zi­ni­sches Wis­sen ver­füg­te, denn ein­mal wird er in den Steu­er­ak­ten als me­di­cus ge­führt.

Die wis­sen­schaft­lich pro­duk­ti­ven und wirt­schaft­lich er­folg­rei­chen Köl­ner Jah­re wur­den je­doch von ei­nem ein­schnei­den­den Er­leb­nis über­schat­tet, das die jun­ge Ju­den­ge­mein­de ins­ge­samt bis in ih­re Grund­fes­ten hin­ein er­schüt­ter­te. Es be­gann im April 1375 mit der Ge­fan­gen­nah­me der Köl­ner Ju­den Si­mon von Sieg­burg und Da­vid von Xan­ten durch­ Erz­bi­schof Fried­rich von Saar­wer­den. Die bei­den soll­ten mit ei­nem „Raub­rit­ter“ pak­tiert ha­ben und so für die Ver­schlep­pung von erz­bi­schöf­li­chen Ju­den ver­ant­wort­lich sein. Doch das war si­cher nur ein Vor­wand. Tat­säch­lich ging es dem Erz­bi­schof dar­um, mit der Ge­fan­gen­nah­me der Ju­den die Stadt Köln zu pro­vo­zie­ren. Die Köl­ner nah­men die Her­aus­for­de­rung an, und ei­ne fast zwei­jäh­ri­ge Feh­de, der so­ge­nann­te „Schöf­fen­krie­g“, war die Fol­ge. Im Lau­fe der hef­tig ge­führ­ten Aus­ein­an­der­set­zung wur­de Deutz (heu­te Stadt Köln) nie­der­ge­brannt, kam der Schiffs­ver­kehr auf dem Rhein ­fast völ­lig zum Er­lie­gen, ver­fiel die Stadt dem kai­ser­li­chen und der Erz­bi­schof dem päpst­li­chen Bann - und schlie­ß­lich hat­ten bei­de Par­tei­en ins­ge­samt 200.000 Gul­den an Kriegs­kos­ten auf­ge­wandt. Der rui­nö­se Kon­flikt mu­ß­te be­en­det wer­den, aber wie konn­te ei­ne der bei­den Sei­ten nach­ge­ben, oh­ne da­bei als Ver­lie­rer da­zu­ste­hen? Die Stadt brauch­te nur die ge­gen die bei­den Ju­den er­ho­be­nen fa­den­schei­ni­gen Vor­wür­fe an­zu­er­ken­nen, dann hät­te der Erz­bi­schof ja voll­kom­men rech­tens ge­han­delt und sich kei­ner Über­grif­fe auf bür­ger­li­che Pri­vi­le­gi­en schul­dig ge­macht. So ge­schah es, und die bei­den Ju­den wur­den nach „or­dent­li­che­m“ Pro­zess im Früh­jahr 1377 hin­ge­rich­tet. Mit die­sem Jus­tiz­mord war der Frie­de wie­der­her­ge­stellt, Stadt und Erz­bi­schof teil­ten sich nun ganz ein­träch­tig die be­schlag­nahm­ten Be­sit­zun­gen der Exe­ku­tier­ten.

Na­tür­lich ha­ben die­se Vor­gän­ge ei­nen schlim­men Ein­druck bei den Köl­ner Ju­den hin­ter­las­sen, ei­ni­ge kehr­ten der Stadt für im­mer den Rü­cken. Auch Man­nus von Spey­er hat am Schick­sal von Si­mon und Da­vid An­teil ge­nom­men, und zwar in sehr auf­fäl­li­ger Wei­se. Er wid­me­te ih­nen ein be­rühmt ge­wor­de­nes Kla­ge­lied (Kin­na), in dem er das mör­de­ri­sche Zu­sam­men­spiel ei­nes dre­cki­gen Tiers und ei­ner Rat­te an­pran­ger­te – ge­meint war der Erz­bi­schof als Re­prä­sen­tant ei­ner nach jü­di­schem Ver­ständ­nis „un­sau­be­ren“ Re­li­gi­on und, durch das Wort­spiel kaum be­män­telt, der Rat der Stadt Köln: Sie mor­de­ten und erb­ten zu­gleich, raub­ten der Ge­mein­de zwei Früch­te an der Spit­ze des Bau­mes. Und Man­nus ge­dach­te in sei­nem Lied auch der schö­nen Toch­ter der He­brä­er, die von den Mör­dern arg be­drängt wor­den sei. Ge­meint war wohl Han­na von Sieg­burg, die Frau Si­mons. Sie war der To­des­stra­fe nur ent­gan­gen, weil sie un­ter Zwang die Tau­fe an­nahm. Es scheint, dass Man­nus der Va­ter von Si­mons Ehe­frau Han­na war. Dar­auf deu­ten ge­wich­ti­ge In­di­zi­en hin. Zu­nächst ist aus ei­nem ganz an­de­ren Zu­sam­men­hang be­kannt, dass Man­nus tat­säch­lich ei­ne Toch­ter die­ses (zu­ge­ge­be­ner­ma­ßen nicht ge­ra­de sel­te­nen) Na­mens hat­te. Wei­ter wis­sen wir, dass Man­nus und Si­mon ge­mein­sam ho­he Geld­ge­schäf­te tä­tig­ten – und als Kom­pa­gnon im ris­kan­ten Kre­dit­ge­wer­be such­te man sich, wenn es ir­gend ging, ei­nen en­gen Ver­wand­ten wie den Schwie­ger­sohn. Noch ein wei­te­res Be­zie­hungs­ge­flecht ist auf­schlu­ß­reich: Es war der Graf von Kle­ve, Adolf III. von der Mark, der sich vor dem erz­bi­schöf­li­chen Ge­richt für Han­na ein­setz­te und da­für sorg­te, dass das To­des­ur­teil schlie­ß­lich auf­ge­ho­ben wur­de. Ge­ra­de je­ner Lan­des­herr aber un­ter­hielt auch en­ge Kon­tak­te zu Man­nus von Spey­er, von dem er Geld lieh und mit dem er im Ja­nu­ar 1377 ei­ne ver­trag­li­che Ver­ein­ba­rung traf. Das fürst­li­che En­ga­ge­ment für Han­na dürf­te al­so aus ei­ner Ver­pflich­tung ge­gen­über ih­rer Fa­mi­lie re­sul­tie­ren.

Ob­wohl Man­nus an­ge­sichts der schlim­men Er­eig­nis­se schon im Ja­nu­ar 1377 of­fen­kun­dig ei­ne Ab­wan­de­rung ins Kle­vi­sche ins Au­ge ge­fasst hat­te, ver­ließ er Köln je­doch nicht vor 1386. Am 23. Mai die­ses Jah­res rech­ne­te er ein letz­tes Mal Steu­ern für die ver­gan­ge­nen Mo­na­te ab. Man­nus zog es wie­der in die wei­te­re Fer­ne, nach Nord­ita­li­en. 1387 ist Man­no da Co­lo­nia in Ve­ne­dig nach­zu­wei­sen, wo er zu die­sem Zeit­punkt zu­min­dest in ge­schäft­li­cher Hin­sicht of­fen­bar be­reits gut Fuß ge­fa­ßt hat­te. Zu­sam­men mit drei Part­nern – dar­un­ter üb­ri­gens ein wei­te­rer nach Spey­er be­nann­ter Ju­de - ver­gab er da­mals ei­nen Kre­dit über 19.500 Du­ka­ten. 1400 hö­ren wir ein letz­tes Mal von Man­nus, der sich in­zwi­schen im ve­ne­zia­ni­schen Tre­vi­so nie­der­ge­las­sen hat­te, wo seit der zwei­ten Hälf­te des 14. Jahr­hun­derts ein re­gel­rech­tes Zen­trum jü­di­scher Ge­lehr­sam­keit ent­stan­den war.

Werke

Me­nach­em Zi­on ben Meir [=Man­nus von Spey­er]: Se­fer Zio­ni, Cre­mo­na: Vicen­zo Con­ti, 1560.

Literatur

Mösch­ter, An­ge­la, Ju­den im ve­ne­zia­ni­schen Tre­vi­so (1389-1509), Han­no­ver 2008.
Mu­ti­us, Hans-Ge­org von, Mit­tel­al­ter­li­che jü­di­sche Ge­lehr­sam­keit in Köln, in: Köln und das rhei­ni­sche Ju­den­tum. Fest­schrift Ger­ma­nia Ju­dai­ca 1959, hg. von Jut­ta Bohn­ke-Koll­witz [u. a.], Köln 1984, S. 47.51
Schman­dt, Mat­thi­as, Ju­d­ei, ci­ves et in­co­le. Stu­di­en zur jü­di­schen Ge­schich­te Kölns im Mit­tel­al­ter, Han­no­ver 2002.
Schman­dt, Mat­thi­as, Jü­di­sche Ge­lehr­sam­keit in un­ru­hi­gen Zei­ten. Man­nus von Spey­er (um 1335 – nach 1400) und sei­ne Fa­mi­lie, in: Ir­sig­ler, Franz /Minn, Gi­se­la (Hg.), Por­trät ei­ner eu­ro­päi­schen Kern­re­gi­on. Der Rhein-Maas-Raum in his­to­ri­schen Le­bens­bil­dern, Trier 2005, S. 121-130.
Yu­val, Is­ra­el J., Ma­gie und Kab­ba­la un­ter den Ju­den im Deutsch­land des aus­ge­hen­den Mit­tel­al­ters, in: Grö­zin­ger, Karl E. (Hg.), Ju­den­tum im deut­schen Sprach­raum,  Frank­furt am Main 1991, S. 173-189.
Yu­val, Is­ra­el J., A Ger­man-Je­wish Au­to­bio­gra­phy of the Four­teenth Cen­tu­ry, in: Je­wish In­tel­lec­tu­al His­to­ry in the Midd­le Ages, hg. von Jo­seph Dan, Lon­don, West­port, Con­nec­ti­cut 1996 (BI­NAH; 3), S. 79-99.

 
Zitationshinweis

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Schmandt, Matthias, Mannus von Speyer, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/mannus-von-speyer/DE-2086/lido/57c9478a99d817.31893637 (abgerufen am 20.04.2024)