Zu den Kapiteln
Rebellen und Revolutionäre regen die Phantasie der Menschen seit jeher an und erfahren nicht selten eine beinahe romantische Verklärung. So gilt Nikolaus Gülich bis heute als ein Vorkämpfer für Freiheit und Gerechtigkeit, der ihn immerhin in der Gegenwart sowohl zum Namensgeber eines von der Partei Bündnis 90/Die Grünen gestifteten Fonds, der soziale und bürgerschaftliche Projekte fördert, wie auch zum Protagonisten eines von Herbert Sinz (1913-1989) verfassten Historienromans mit dem Titel „Der kölnische Rebell“ macht. Ein differenzierteres Bild, das neben der Binnendimension auch die Bedeutung des von Gülich angeführten Aufstandes im Hinblick auf die reichsgeschichtliche Situation aufzeigt, gelingt der historischen Forschung erst in den letzten Jahren.
Nikolaus Gülich, getauft am 31.10.1644 in der Kölner Pfarrkirche Klein St. Martin, war vor allem über die alteingesessene Familie seiner Mutter Maria de Reus in das soziale Netzwerk der frühneuzeitlichen Reichsstadt Köln eingebunden. Von seinem Vater Andreas Gülich erbte er als ältestes der insgesamt sechs Kinder das Tuchgeschäft; in den 1670er Jahren bezog er ein im Familienbesitz befindliches Haus an der Ecke Obermarspforten und Mommerslochgasse, etwa dort, wo sich der seit 1928 nach ihm benannte Gülichplatz befindet. Hier vertrieb er Band- und Manufakturwaren und gemeinsam mit seinem Bruder Theodor auch Wein.
Im März 1679 wurde er zusammen mit anderen Kölner Kaufleuten von Söldnern aus dem Bistum Osnabrück gefangen genommen. Im Transfixbrief aus dem Jahr 1513, dem zweiten städtischen Grundgesetz nach dem Verbundbrief von 1396, war festgelegt, dass die Stadt unverschuldet in Haft gekommene Kölner Bürger zu befreien - und das hieß in der Regel freizukaufen - hatte. Darauf zielte die Gefangennahme ab, denn die Stadt Köln schuldete dem Bischof von Osnabrück und Herzog von Braunschweig Ernst August (1629-1698) auf kaiserliches Geheiß Quartiersgeld für die Unterbringung von Soldaten. Die Festsetzung Gülichs und seiner Mitreisenden war damit schlichtweg als Erpressung gedacht, um entweder diese Zahlung zu erhalten oder mit der Lösegeldsumme zu verrechnen. Allerdings weigerte sich der Kölner Rat, die geforderte Summe aufzubringen und ließ die Gefangenen sich stattdessen aus eigenen Mitteln freikaufen. Zurück in Köln protestierte Gülich in seiner Kaufmannsgaffel Himmelreich gegen diese Entscheidung, erhielt dafür jedoch eine Verwarnung. Sich seiner Rede- und Meinungsfreiheit solchermaßen beraubt fühlend und eingedenk der erlittenen Verletzung des Stadtbürgerrechts setzte Gülich zum Kampf gegen den Stadtrat an.
Entscheidend für seinen zumindest vorübergehenden Erfolg waren die zu diesem Zeitpunkt herrschenden politischen Strukturen, die zwar de iure noch auf den alten Verfassungsdokumenten beruhten, de facto aber von Nepotismus, Ämterhandel und Korruption gekennzeichnet waren. Entstanden war ein System einer sich selbst reproduzierenden Elite, das sich immer wieder mit der Unzufriedenheit und Kritik der von der Partizipation zunehmend ausgeschlossenen Bürgerschaft konfrontiert sah. Noch zu Beginn des 17. Jahrhunderts hatte ein zweijähriger Konflikt zwischen der Ratsoligarchie und den Bürgern zur Redaktion des „Summarischen Extracts“ geführt, der im Jahr 1610 die zentralen Aussagen von Verbund- und Transfixbrief konkretisieren sollte. Trotzdem hatte sich zu diesem Zeitpunkt die durch Rotation in Spitzenämtern ermöglichte Besetzung des Bürgermeisteramts auf Lebenszeit entgegen der Stadtverfassung bereits durchgesetzt.
Die große Pestepidemie der Jahre 1665 bis 1667 sowie die militärische Bedrohung durch das im Verbund mit Kurköln stehende Frankreich, das in den Eroberungskriegen unter Ludwig XIV. (Regierungszeit 1643-1715) weit nach Osten ausgriff und auch das Rheinland bedrohte, und die daraus resultierende Krisenstimmung taten ein Übriges, so dass Gülichs Forderung, das politische System durch die Rückkehr zu den ursprünglichen Verhältnissen von seinen Übeln zu befreien und die Entscheidungsprozesse damit wieder stärker in die Hände der Bürger zu legen, auf fruchtbaren Boden fiel.
Der Zorn der Menschen richtete sich vor allem gegen die Sechsherren, jenes Gremium aus den eigentlichen Bürgermeistern, Rentmeistern und Präsidenten der Freitagsrentkammer, das die Vergabe des Bürgermeisteramts unter sich ausmachte und zur faktisch nicht abzuwählenden und machtvollen Stadtspitze geworden war. Insbesondere auf Dr. Caspar Cronenberg (1612-1681), Jacob von Wolfskehl (1624-1683) und Maximilian von Krebs (1624-1684) konzentrierten sich die Klagen der Bürger und Gaffeln, die auf Druck Gülichs seit September 1680 vor eine Inquisitionskommission gebracht werden konnten. Cronenberg und Krebs wurden daraufhin unter Hausarrest gestellt; Wolfskehl floh aus der Stadt und erreichte am Kaiserhof in Wien, dem die Kölner Verhältnisse ohnehin suspekt waren, die Entsendung eines Reichskommissars sowie die einstweilige Verfügung, dass die städtischen Gremien keine weiteren Schritte zur Veränderung des Status quo mehr unternehmen sollten.
Dem widersetzte sich der Rat und führte den Prozess gegen die Bürgermeister fort; gleichzeitig bestimmte er im Dezember 1680, dass der gesamte Rat und nicht nur die turnusgemäß zu wählende Hälfte neu gewählt werden sollte. Im Ergebnis bedeutete beides jedoch keine große Veränderung, denn die Mehrheitsverhältnisse im Rat blieben stabil, und im Frühjahr 1681 fielen die Urteile gegen Cronenberg, Krebs und Wolfskehl vergleichsweise milde aus. Dennoch suchten und fanden die drei abgesetzten Bürgermeister Unterstützung beim Reichshofrat, dem kaiserlichen Appellationsgericht, so dass der innere Konflikt zunehmend auch eine reichspolitische Dimension erlangte.
Dies umso mehr, als im Herbst 1681 die Gefahr durch die vorrückenden französischen Truppen, die bereits Straßburg eingenommen hatten und nahezu unaufhaltsam den Rhein abwärts marschierten, die Spannungen zwischen Rat und Bevölkerung weiter verschärfte. Denn zum Schutz der Stadt mussten die zwischenzeitlich neu gewählten Bürgermeister auf den Kaiser zugehen, um dessen notwendigen militärischen Beistand zu erlangen. Gülich wurde im März 1682 aus der Inquisitionskommission ausgeschlossen, im August sogar kurzzeitig verhaftet. Weil dem Kaiserhof dieses Signal jedoch nicht ausreichte und darüber hinaus noch ausstehende Reichssteuern eingefordert wurden, gingen die Bürgermeister ein Schutzbündnis mit dem politisch von Wilhelm Egon von Fürstenberg gesteuerten Kurfürstentum Köln ein und holten sich damit den Feind in Gestalt erzbischöflicher, jedoch von Frankreich finanzierter Truppen in die Stadt. In dem verzweifelten Versuch, diese Politik, die jedem Herkommen widersprach und den Argwohn und Unmut der Bürger auf die Spitze trieb, zu verteidigen, distanzierte sich der Rat von der Reformpartei, welche die aus dem Bündnisvertrag resultierende Gefahr erkannt hatte, und gab Gülich damit Gelegenheit zu einem finalen Schlag.
Gülich, unterstützt von den Gaffeln und deren Vorsitzenden, den Bannerherren, die bereits seit 1680 nicht mehr Mitglieder des Rates sein durften, agitierte gegen Rat und Bürgermeister. Mit flammenden Reden in Wirtshäusern und auf öffentlichen Plätzen gewann er neue Unterstützung aus der Bürgerschaft. Als die Bürgermeister sich in der Nacht vom 1. auf den 2.6.1683 im Rathaus verschanzten, spielte Gülich die während des gesamten Konflikts aufgrund kaiserlicher Steuerforderungen äußerst angespannte finanzielle Lage der Stadt in die Hände, denn die Stadtsoldaten, die infolgedessen seit Monaten keinen Sold mehr erhalten hatten, überließen ihm kampflos den Platz.
Erst jetzt begann der eigentliche Umsturz: der gesamte Rat wurde abgesetzt und ebenso wie die Bürgermeister neu gewählt; allen bisherigen Mandatsträgern wurde das Wahlrecht entzogen, die städtischen Beamten entlassen, vermeintliche Verräter wie Gereon Hesselmann (gestorben 1683), der einst mit Gülich für mehr bürgerliche Partizipation gekämpft, dann aber die prokaiserliche Politik unterstützt hatte und dadurch in den Verdacht geraten war, der alten Ordnung anzuhängen, wurden inhaftiert und zum Teil auch hingerichtet.
Nikolaus Gülich selbst wurde zum Stadtsyndikus gewählt, hielt aber alle Fäden in der Hand und steuerte von dieser Position aus die Politik. Allerdings hatte er sich ebenso wie der alte Rat mit der Frage auseinanderzusetzen, wie die Verteidigung der Stadt gegen auswärtige Mächte organisiert und vor allem finanziert werden sollte. Die dazu notwendigen Maßnahmen setzte er mit Gewalt durch und reagierte auf den sich deshalb formierenden Widerstand, indem er die Stadtverfassung ändern und die Amtszeit des Rates verlängern ließ, um seine lauter werdenden Kritiker davon auszuschließen. Doch auch innerhalb des von Gülich selbst geschaffenen neuen Rates formierte sich recht schnell eine Opposition.
Das Ende der Gülichschen Herrschaft war gekommen, nachdem der Kaiser und Frankreich einen Waffenstillstand unterzeichnet hatten und Ludwig XIV. seine Truppen vom Rhein abzog. Wien hatte bis dahin ein stärkeres Eingreifen in Köln gescheut, um Frankreich dort nicht zu provozieren und neben dem seit Mitte 1683 ausgebrochenen Türkenkrieg einen zweiten Kriegsschauplatz beschicken zu müssen. Nun aber stand einem harten Vorgehen in der Kölner Sache nichts mehr im Wege; Anfang August 1685 wurde die Reichsacht über die gesamte Stadt und über Gülich und seine Anhänger im Besonderen erklärt. Die meisten unterwarfen sich daraufhin unverzüglich der kaiserlichen Kommission, Gülich wurde am 18. August verhaftet und, um Befreiungsversuchen vorzubeugen, in Düsseldorf inhaftiert. Am 23.2.1686 schließlich wurde er auf dem Richtplatz in Mülheim am Rhein, wo die Reichskommissare bereits 1681 ihr Lager aufgeschlagen hatten, enthauptet, sein aufgespießter Kopf am Folgetag am Kölner Bayenturm ausgestellt.
Das Haus von Nikolaus Gülich wurde noch im selben Jahr abgerissen, das Grundstück sollte für immer unbebaut bleiben. Eine Schandsäule mit Gülichs durchbohrtem Kopf sollte Nachahmer abschrecken. Es waren bezeichnenderweise die französischen Besatzer, die sie 1797 abmontierten und Gülich zum Volkshelden stilisierten, als der er heute noch seinen Platz in der Stadtgeschichte hat – ein zwiespältiger Held gleichwohl, denn wie so viele Revolutionäre in der Geschichte hat Gülich seine Ziele mit Gewalt und Unterdrückung zu erreichen versucht und ist daran gescheitert.
Eine Figur am Kölner Rathausturm erinnert an den populären Revolutionär.
Quelle
Themidis Ultio, Oder Gerechte Rach-Vergeltung der H. Gerechtigkeit und wohl-verdiente Belohnung Bürgerlicher Untreu und Aufruhrs wieder die vorgesetzte hohe Obrigkeit: Zu einem abscheulichen Bey-Spiel und billichen Straff-Exempel höchst-vermeidlichen Ungehorsams ... vorgestellet an den Cölnischen Executions-Proceß dreyer boßhafftigen Aufwickler und Ertz-Rebellen Nicolaui Gulichs, Abraham Saxens und Anthonii Mesthovii wie solche als declarirte Aechter und Treulose Main-Eydige Bürger jüngsthin zu Mühlheim den 23. Februarii dieses mit Gott tragenden 1686sten Jahrs exemplarisch abgestrafft und Executirt worden 1686. (Digitalisat)
Literatur
Bellingradt, Daniel, Organizing public opinion in a resonating box. The Gülich rebellion in early modern Cologne 1680-1686, in: Urban History 39/4 (2012), S. 553-570.
Bergerhausen, Hans-Wolfgang, Köln in einem eisernen Zeitalter 1610-1686 (Geschichte der Stadt Köln 6), Köln 2010, S. 349-371.
Dreher, Bernd, Vor 300 Jahren – Nikolaus Gülich, Köln 1986.
Stelzmann, Arnold/Frohn, Robert, Illustrierte Geschichte der Stadt Köln, 11. Auflage, Köln 1990, S. 211-213.
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Bock, Martin, Nikolaus Gülich, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/nikolaus-guelich/DE-2086/lido/57c6d9fdb551f0.54153919 (abgerufen am 18.04.2024)