Udo Klausa

NS-Landrat und Landesdirektor des Landschaftsverbandes Rheinland (1910-1998)

Thomas Roth (Köln/Bonn) & Uwe Kaminsky (Bochum/Berlin)

Udo Klausa, um 1970, Porträtfoto, Foto: Gregor Kierblewski. (Archiv des Landschaftsverbandes Rheinland)

1. Einleitung

Udo Klau­sas Bio­gra­fie ist in mehr­fa­cher Hin­sicht be­deut­sam. Ers­tens, weil er von 1954 bis 1975 als ers­ter Di­rek­tor des Land­schafts­ver­ban­des Rhein­land (LVR) am­tier­te, der in der Nach­fol­ge des preu­ßi­schen ­Pro­vin­zi­al­ver­ban­des­ 1953 ge­grün­det wor­den war. Klau­sa präg­te den Ver­band in sei­ner Auf­bau­pha­se und trug we­sent­lich da­zu bei, dass sich der LVR zu ei­nem zen­tra­len Ak­teur des west­deut­schen So­zi­al­staa­tes ent­wi­ckel­te, der we­sent­li­che Auf­ga­ben für die Ge­sell­schaft in Fel­dern wie der Ju­gend­hil­fe, der Psych­ia­trie, der Hil­fe für be­hin­der­te Men­schen und der Kul­tur­pfle­ge über­nahm. Zwei­tens ist Klau­sa auch ei­ne wich­ti­ge Fi­gur zum Ver­ständ­nis der NS-Zeit so­wie der Ver­än­de­run­gen und Kon­ti­nui­tä­ten im Über­gang zwi­schen NS-Re­gime und Nach­kriegs­deutsch­land. Er steht bei­spiel­haft für ei­ne Eli­te von Ver­wal­tungs­ju­ris­ten, die sich eben­so mit der na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Dik­ta­tur zu ar­ran­gie­ren wuss­ten wie mit der nach 1945 eta­blier­ten De­mo­kra­tie und über die Re­gime­wech­sel hin­weg we­sent­li­chen Ein­fluss nah­men auf die Funk­ti­ons­wei­se von Staat und Ver­wal­tung. Drit­tens bie­tet Klau­sas Bio­gra­fie ei­nen gu­ten Ein­blick in die Ge­schich­te des deut­schen Kon­ser­va­tis­mus, sei­ne Ver­än­de­run­gen und Be­har­rungs­kräf­te. An sei­ner Bio­gra­fie lässt sich bei­spiel­haft ver­deut­li­chen, wie des­sen Ver­tre­ter mit der na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Ver­gan­gen­heit um­gin­gen und auf die Kon­flik­te, Plu­ra­li­sie­rungs- und Li­be­ra­li­sie­rungs­pro­zes­se der west­deut­schen Ge­sell­schaft re­agier­ten.

2. Sozialisation und Karriere in NS- und Nachkriegszeit

Udo Klau­sa wur­de am 9.10.1910 im ost­preu­ßi­schen Al­len­stein ge­bo­ren. Die Fa­mi­lie war ka­tho­lisch. Die prä­gen­den Jah­re der Kind­heit und Ju­gend ver­brach­te er in Schle­si­en, wo sein Va­ter in Le­ob­schütz (Ober­schle­si­en) Land­rat war. Klau­sas So­zia­li­sa­ti­on war von zwei zen­tra­len Er­fah­run­gen be­stimmt: zum ei­nen dem Auf­wach­sen in ei­ner an­ge­se­he­nen, so­zi­al gut ver­netz­ten Land­rats­fa­mi­lie, die dem Her­an­wach­sen­den Stan­des­be­wusst­sein, ei­ne kon­ser­va­tiv-eta­tis­ti­sche Ori­en­tie­rung, kirch­li­che Bin­dun­gen und bil­dungs­bür­ger­li­che Am­bi­tio­nen ver­mit­tel­te, zum an­de­ren dem Mit­wir­ken in der na­tio­na­lis­tisch, zum Teil re­van­chis­tisch ori­en­tier­ten Ju­gend­be­we­gung. In Le­ob­schütz schloss sich Udo Klau­sa in den 1920er Jah­ren zu­nächst der Pfad­fin­der­ju­gend, spä­ter auch Wehr­sport­or­ga­ni­sa­tio­nen an, die sich dem „Schutz der deut­schen Gren­zen“ wid­me­ten und da­für ein­setz­ten, die 1922 nach ei­nem Be­schluss des Völ­ker­bun­des er­folg­te Ab­tre­tung ober­schle­si­scher Ge­bie­te rück­gän­gig zu ma­chen. Die im „Grenz­schutz Ober­schle­si­en“ zu­sam­men­ge­schlos­se­nen po­li­tisch rechts ste­hen­den pa­ra­mi­li­tä­ri­schen Grup­pen wa­ren ge­ra­de für Jun­gen und jun­ge Män­ner at­trak­tiv, die selbst nicht mehr am Ers­ten Welt­krieg hat­ten teil­neh­men kön­nen, den Dienst für die Na­ti­on „an der Waf­fe“ aber er­stre­bens­wert fan­den. Wie vie­le Al­ters­ge­nos­sen ent­wi­ckel­te auch Udo Klau­sa in die­sen Jah­ren ei­ne star­ke Nei­gung zum Mi­li­tär, die sein Den­ken und Han­deln bis in spä­te­re Jah­re be­stim­men soll­te. Die ins Au­ge ge­fass­te Kar­rie­re als Of­fi­zier hat er je­doch, ver­mut­lich auf Bit­ten und Rat des Va­ters, nicht ein­ge­schla­gen. Nach dem Ab­itur folg­te Klau­sa viel­mehr des­sen Vor­bild, stu­dier­te Ju­ra in Bres­lau, Gre­no­ble und Pa­ris und streb­te ei­ne Lauf­bahn im Staats­dienst an.

Die Macht­über­nah­me der Na­tio­nal­so­zia­lis­ten 1933 ver­bau­te die­se Per­spek­ti­ve nicht, ver­lang­te aber An­pas­sungs­leis­tun­gen. Auch auf An­ra­ten sei­nes Ju­gend­freun­des (und „Mit­strei­ter­s“ im schle­si­schen „Grenz­schut­z“) Hans Kra­marz (ge­bo­ren 1909), der sich schon län­ger der NS-Be­we­gung zu­ge­wandt hat­te, trat Klau­sa im Fe­bru­ar 1933 in die NS­DAP und SA ein. Das ge­schah nicht zu­letzt, um die ge­plan­te be­ruf­li­che Kar­rie­re ab­zu­si­chern; Klau­sa stimm­te aber auch mit ge­sell­schafts­po­li­ti­schen Zie­len der Na­tio­nal­so­zia­lis­ten über­ein und war be­reit, die­sen ei­ne „Chan­ce zu ge­ben“. Er be­en­de­te das Stu­di­um und trat in die üb­li­che Lauf­bahn ei­nes Ver­wal­tungs­ju­ris­ten ein. Nach ei­ner Sta­ti­on im Jus­tiz­dienst in Bres­lau wech­sel­te er 1934 als Re­gie­rungs­re­fe­ren­dar zum Re­gie­rungs­prä­si­di­um Frank­furt/Oder und be­en­de­te nach meh­re­ren Ver­wal­tungs­sta­tio­nen im Land­rats­amt  ­Tel­tow, in An­ger­mün­de, Wel­zow so­wie als Land­rats­ver­tre­ter in Jü­ter­bog im Mai 1937 sei­ne Aus­bil­dung mit dem Zwei­ten Staats­ex­amen.

Trotz der Ent­schei­dung für die Fa­mi­li­en­tra­di­ti­on und den Ver­wal­tungs­dienst blieb die früh aus­ge­präg­te Ori­en­tie­rung auf das Mi­li­tär stark. Be­reits 1934 durch­lief Klau­sa ei­ne mi­li­tä­ri­sche Aus­bil­dung beim In­fan­te­rie-Re­gi­ment (IR) 9 in Pots­dam, die er in den fol­gen­den Jah­ren bei „Plan­spie­len“ und „Wehr­übun­gen“ ver­tief­te. Nach dem Staats­ex­amen 1937 be­gann er ei­nen ein­jäh­ri­gen Pro­be­dienst und er­wog, in die Wehr­macht über­zu­wech­seln. Das hat­te auch mit dem IR 9 zu tun, das als Eli­te­re­gi­ment galt, die „ho­he Schu­le“ des preu­ßi­schen Of­fi­ziers­korps fort­zu­set­zen schien und da­mit Klau­sa nicht nur ein at­trak­ti­ves so­zia­les Um­feld bot, son­dern sei­nen welt­an­schau­li­chen Vor­stel­lun­gen ent­ge­gen­kam. Die Zu­ge­hö­rig­keit zum Pots­da­mer Re­gi­ment blieb je­doch Epi­so­de, da Klau­sa sei­ne Pro­be­dienst­zeit ab­brach, wo­mög­lich, da ihm die für ei­ne mi­li­tä­ri­sche Kar­rie­re not­wen­di­ge phy­si­sche „Fit­ness“ fehl­te, wohl aber auch, weil das In­nen­mi­nis­te­ri­um ei­ne ein­deu­ti­ge Ent­schei­dung pro oder kon­tra Ver­wal­tungs­dienst ein­for­der­te.

Sei­ne Ak­zep­tanz des NS-Staa­tes zeig­te Klau­sa nicht nur durch ei­nen kal­ku­lier­ten Par­tei­b­ei­tritt. Er be­tä­tig­te sich meh­re­re Mo­na­te als Füh­rer ei­nes SA-Stur­mes in Le­ob­schütz, en­ga­gier­te sich als jun­ger Ju­rist im „Na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Rechts­wah­rer­bun­d“ und scheint sei­ne ju­ris­ti­sche Ex­per­ti­se auch der NS-Kam­pa­gne zum so­ge­nann­ten „Kai­ro­er Ju­den­pro­zes­s“ von 1933-1935 zur Ver­fü­gung ge­stellt zu ha­ben. Ein­deu­tig als Ge­folgs­mann des Na­tio­nal­so­zia­lis­mus wies sich Klau­sa durch sei­ne 1936 pu­bli­zier­te Schrift über „Ras­se und Wehr­rech­t“ aus. Hier­in skiz­zier­te der jun­ge Ju­rist Grund­la­gen und Um­ris­se ei­nes neu­en Wehr­rechts für den NS-Staat, das Leit­ge­dan­ken der „Ras­sen­po­li­ti­k“ auf­griff und in­te­grier­te. Da­bei nahm der Au­tor nicht nur Be­zug auf die an­ti­se­mi­ti­sche Po­li­tik des Re­gimes, die Aus­gren­zung und Ent­rech­tung der Ju­den, son­dern zi­tier­te zu­stim­mend For­de­run­gen nach ei­ner „ras­sen­hy­gie­ni­schen Säu­be­run­g“ der Ge­sell­schaft, in sei­nen Wor­ten: der „Aus­son­de­rung der Un­brauch­ba­ren“.

Fach­lich stets gut be­ur­teilt und po­li­tisch (weit­ge­hend) un­an­ge­foch­ten, be­kam Klau­sa im Ver­wal­tungs­dienst des NS-Staa­tes zu­neh­mend wich­ti­ge­re Auf­ga­ben zu­ge­wie­sen. Nach­dem er 1937/1938 als Re­gie­rungs­as­ses­sor beim ­Land­rats­am­t ­Bir­ken­fel­d in der R­hein­pro­vin­z Er­fah­run­gen ge­sam­melt hat­te, wur­de er nach der An­ne­xi­on des Su­den­ten­lan­des durch das Deut­sche Reich in­s ­Land­rats­amtAus­sig (Ús­tí nad La­bem) ver­setzt, ge­folgt von Sta­tio­nen in Kö­nig­grätz (Hr­a­dec Král­o­vé) und Klad­no. Beim Neu­auf­bau der deut­schen Ver­wal­tung in an­ge­schlos­se­nen Ge­bie­ten be­währt, kam Udo Klau­sa kurz nach Be­ginn des Zwei­ten Welt­krie­ges nach Po­sen. Dort war er ab No­vem­ber 1939 Re­gie­rungs­rat und per­sön­li­cher Re­fe­rent des stell­ver­tre­ten­den Chefs der Zi­vil­ver­wal­tung Au­gust Jä­ger (1887–1949), der sich 1933/1934 als „Staats­kom­mis­s­ar“ und „Rechts­wal­ter“ für die Gleich­schal­tung der evan­ge­li­schen Kir­che ein­ge­setzt und ab 1936 Se­nats­prä­si­dent am Ber­li­ner Kam­mer­ge­richt ge­we­sen war, be­vor er 1939 von Gau­lei­ter Ar­thur Grei­ser (1897-1946) für die ad­mi­nis­tra­ti­ve „Neu­ord­nun­g“ im Reichs­gau  ­Po­sen be­zie­hungs­wei­se Wart­he­land en­ga­giert wur­de. Klau­sa stell­te es in sei­nen Le­bens­er­in­ne­run­gen spä­ter so dar, dass er als Ge­währs­mann des Reich­sin­nen­mi­nis­te­ri­ums und Ver­tre­ter ei­ner „sach­li­chen“, nicht von den In­ter­es­sen der NS-Par­tei ge­präg­ten Ver­wal­tung in die­se Po­si­ti­on ge­bracht wor­den sei. An­schei­nend ge­lang es ihm, ein Ver­trau­ens­ver­hält­nis zu Jä­ger auf­zu­bau­en, das auf fach­li­chen Über­ein­stim­mun­gen be­ruh­te, mög­li­che Kon­flikt­punk­te wie Klau­sas (in ei­nem Dienst­zeug­nis aus­drück­lich er­wähn­te) „ka­tho­lisch-re­li­giö­se“ Bin­dung je­doch aus­klam­mer­te.

In den in­sti­tu­tio­nel­len Kon­flik­ten und Macht­kämp­fen des NS-Re­gimes trat Klau­sa wohl für die Zie­le des In­nen­mi­nis­te­ri­ums ein, das die Ver­wal­tungs­po­si­tio­nen in den ans Reich an­ge­glie­der­ten Ge­bie­ten mög­lichst mit Nach­wuchs aus den ei­ge­nen Aus­bil­dungs­gän­gen be­set­zen und staat­li­ches Han­deln ge­gen all­zu weit­ge­hen­de par­teiideo­lo­gi­sche Ein­fluss­nah­me ab­schir­men woll­te. Ei­ne Geg­ner­schaft zur NS-Herr­schaft, ei­ne Ab­sa­ge an den „Un­rechts­staa­t“ lag dar­in al­ler­dings nicht. Als Fach­mann und „Staats­die­ner“, ein­ge­bun­den durch Hier­ar­chi­en, Ar­beits­tei­lung und bü­ro­kra­ti­sche Ver­fah­ren, trug Klau­sa we­sent­lich zur Um­set­zung der po­li­ti­schen Zie­le und den da­mit ver­bun­de­nen Ver­bre­chen des Re­gimes bei. So war er in Po­sen be­tei­ligt an der ad­mi­nis­tra­ti­ven Durch­drin­gung des an­nek­tier­ten Ge­bie­tes und hat­te mit der Durch­füh­rung deut­scher „Volks­tums­po­li­ti­k“ zu tun, et­wa mit Um­sied­lungs­ak­tio­nen, die auf ei­ne „Ger­ma­ni­sie­run­g“ ziel­ten und zu mas­sen­haf­ten und ge­walt­sa­men Ver­trei­bun­gen der ein­hei­mi­schen Be­völ­ke­rung führ­ten.

Im Fe­bru­ar 1940 schlie­ß­lich über­nahm Klau­sa mit 29 Jah­ren da­s ­Land­rats­am­t ­des Krei­ses Bend­zin (1941 in „Bends­bur­g“ um­be­nannt) im nord­öst­li­chen Teil des Re­gie­rungs­be­zirks Kat­to­witz, in dem auch das Kon­zen­tra­ti­ons- und Ver­nich­tungs­la­ger Ausch­witz lag. Klau­sa hat­te die­se Po­si­ti­on zu­nächst nur als Ver­wal­ter be­zie­hungs­wei­se kom­mis­sa­risch in­ne und wur­de erst 1942 of­fi­zi­ell zum Land­rat er­nannt. Das führ­te er spä­ter auf sei­ne ka­tho­li­sche Re­li­gi­ons­zu­ge­hö­rig­keit zu­rück, hat­te aber wohl vor al­lem mit sei­nen wie­der­hol­ten „Aus­flü­gen“ zur Wehr­macht zu tun, bei der er 1940/1941 er­neut zwei­mal, für ins­ge­samt über zwölf Mo­na­te, Dienst leis­te­te. 1942 wech­sel­te der Ver­wal­tungs­ju­rist auf ei­ge­nes Be­trei­ben end­gül­tig zur Ar­mee und be­en­de­te da­mit sei­ne Kar­rie­re als NS-Land­rat. Sei­ne rück­bli­cken­de Er­klä­rung, er ha­be den of­fen­bar be­drü­cken­den Ver­hält­nis­sen im Land­kreis zu ent­kom­men ver­sucht, er­scheint durch­aus plau­si­bel; pri­va­te Quel­len aus der Zeit do­ku­men­tie­ren sei­ne zu­neh­men­den psy­cho­so­ma­ti­schen Sym­pto­me (Pro­ble­me mit den „Ner­ven“). Al­ler­dings greift Klau­sas nach 1945 im­mer wie­der an­ge­bo­te­ne Er­klä­rung zu kurz, er ha­be, als er die Aus­ma­ße be­zie­hungs­wei­se Ra­di­ka­li­sie­rung der NS-Po­li­tik ge­gen die orts­an­säs­si­ge jü­di­sche Be­völ­ke­rung er­kannt ha­be, die „Flucht zur Wehr­mach­t“ an­ge­tre­ten, um sich zu dis­tan­zie­ren und nicht „un­schul­dig schul­di­g“ zu wer­den. Hin­ter dem Ent­schluss weg­zu­ge­hen schei­nen auch an­de­re Mo­ti­ve ge­stan­den zu ha­ben, die von Kon­kur­renz­kämp­fen und Kom­pe­tenz­ver­lust ge­präg­ten Be­din­gun­gen des Ver­wal­tungs­diens­tes im Gau Ober­schle­si­en und die als schwie­rig emp­fun­de­nen Le­bens­ver­hält­nis­se für die Fa­mi­lie. Zu­dem war Klau­sa als Land­rat nicht bloß Be­ob­ach­ter der Ent­wick­lung im Be­zirk Kat­to­witz, son­dern leis­te­te bis zu sei­nem Wech­sel zur Wehr­macht ei­nen Bei­trag zur Un­ter­drü­ckung der lo­ka­len Be­völ­ke­rung so­wie zur Er­fas­sung, Ent­rech­tung und Aus­gren­zung der Men­schen jü­di­scher Her­kunft. Vor die­sem Hin­ter­grund hat die His­to­ri­ke­rin Ma­ry Ful­brook in ih­rem Buch „A Small Town ne­ar Ausch­wit­z“ Klau­sa in die Rei­he je­ner Funk­ti­ons­trä­ger ge­stellt, „wel­che die Grund­la­gen für das letzt­end­li­che Aus­rot­tungs­pro­gramm [ge­gen die jü­di­sche Be­völ­ke­rung] leg­ten“, die­ses aber nicht „an­streb­ten“. Sie skiz­ziert ihn als Typ des Ver­wal­tungs­be­am­ten, der sich mit der Ideo­lo­gie ei­nes „Ko­lo­ni­al­ras­sis­mus“ ar­ran­gie­ren konn­te, die auf Dis­kri­mi­nie­rung, Se­gre­ga­ti­on, Ter­ror und ad­mi­nis­tra­ti­ver Un­ter­drü­ckung be­ruh­te, oh­ne di­rekt von vorn­her­ein kon­kre­te „Ver­nich­tungs­ab­sich­ten“ ge­habt zu ha­ben[1].

Die von Klau­sa be­an­trag­te Ein­be­ru­fung zur Wehr­macht ver­zö­ger­te sich, auch weil sich sei­ne über­ge­ord­ne­te Dienst­stel­le an­ge­sichts der „schwie­ri­gen“ Ver­hält­nis­se im Be­zirk für ei­nen Ver­bleib des of­fen­bar ge­schätz­ten Land­ra­tes ein­setz­te. Zwar gab Udo Klau­sa nach 1945 meist an, er ha­be Bend­zin be­reits im Som­mer 1942 ver­las­sen; nach Ma­ry Ful­brooks Re­kon­struk­ti­on blieb er je­doch noch bis En­de 1942 in sei­ner Funk­ti­on als Land­rat. In die­ser Zeit wur­de die Ghet­toi­sie­rung der letz­ten Ju­den im Be­zirk vor­be­rei­tet, als Aus­gangs­punkt für die 1943 er­folg­te De­por­ta­ti­on der Be­trof­fe­nen nach Ausch­witz. Udo Klau­sa war so­mit Teil ei­ner Ver­wal­tung, die als Zu­brin­ger zur De­por­ta­ti­ons- und Ver­nich­tungs­po­li­tik fun­gier­te. Da­bei ist es für die Ein­schät­zung sei­ner his­to­ri­schen Ver­ant­wor­tung kaum er­heb­lich, ob er bei Un­ter­drü­ckungs­ak­tio­nen oder De­por­ta­tio­nen in sei­nem Kreis je­weils per­sön­lich an­we­send war, ei­nen der Be­trof­fe­nen - sei­nen jü­di­schen „Haus­be­sor­ger“ samt Fa­mi­lie - ei­ne Zeit­lang ver­steck­te oder in ein­zel­nen Ver­wal­tungs­be­rich­ten ver­hal­ten Kri­tik üb­te an ei­ner Po­li­tik, an der er selbst be­tei­ligt war.

Von En­de 1942 bis Kriegs­en­de dien­te Klau­sa bei der Wehr­macht (so bei der 76. In­fan­te­rie-Di­vi­son) und war un­ter an­de­rem in Süd(ost)eu­ro­pa und der Ukrai­ne ein­ge­setzt, zu­letzt im Rang ei­nes Haupt­manns. In­wie­fern er da­bei Zeu­ge von oder Be­tei­lig­ter an Kriegs­ver­bre­chen wur­de, ist nicht über­lie­fert. Im Früh­jahr 1944 wur­de Klau­sa schwer ver­wun­det und er­hielt den von der Fa­mi­lie er­sehn­ten „Hei­mat­schus­s“. Da­nach war er län­ge­re Zeit in me­di­zi­ni­scher Be­hand­lung oder tat Dienst im Er­satz­heer. Sei­ne Frau und sei­ne Kin­der hat­ten in­zwi­schen Bend­zin ver­las­sen und sie­del­ten schlie­ß­lich, auch auf sein Drän­gen hin, im Som­mer 1944 in den Wes­ten des Rei­ches über. Die Fa­mi­lie fand bei ei­ner Be­kann­ten von Klau­sas Ehe­frau Alex­an­dra im Schloss Crot­torf (im Wes­ter­wald) Un­ter­schlupf. Der so­wje­ti­sche Vor­marsch und die Furcht, mit dem na­hen­den Kriegs­en­de in den kom­mu­nis­ti­schen Macht­be­reich zu ge­lan­gen, be­stimm­ten nun Klau­sas Wahr­neh­mung und Han­deln. Kurz vor Kriegs­en­de lös­te er nach ei­ge­ner Schil­de­rung die von ihm be­feh­lig­te, an der Wer­ra ste­hen­de Trup­pen­ein­heit auf und be­gab sich gen Wes­ten, in Rich­tung der ame­ri­ka­ni­schen Trup­pen. Wie vie­le Wehr­macht­sol­da­ten sah er an­ge­sichts des ab­seh­ba­ren „Zu­sam­men­bruchs“ of­fen­bar kei­nen Sinn mehr dar­in, „Durch­hal­te­wil­len“ zu be­wei­sen. Die pri­va­te Per­spek­ti­ve, der Wunsch nach „Heim­kehr“ zu Frau und Kin­dern, stand nun im Vor­der­grund.

Klau­sa tauch­te bei sei­ner Fa­mi­lie in Crot­torf un­ter und ver­mied zu­nächst die Mel­dung bei ei­ner al­li­ier­ten Dienst­stel­le, um nicht in Kriegs­ge­fan­gen­schaft oder in die für Funk­ti­ons­trä­ger des „Drit­ten Rei­ches“ üb­li­che In­ter­nie­rungs­haft zu ge­lan­gen. Er hielt sich zu­nächst mit Ar­bei­ten als Haus­leh­rer so­wie als Ge­schäfts­füh­rer in mit­tel­stän­di­schen Be­trie­ben über Was­ser, be­trieb aber zu­gleich sei­nen Wie­der­ein­stieg in den öf­fent­li­chen Dienst als Ver­wal­tungs­fach­mann. Nach­dem er ge­nug „Per­sil­schei­ne“ ge­sam­melt hat­te und die ge­sell­schaft­li­che Si­tua­ti­on als güns­ti­ger ein­schätz­te, be­an­trag­te er 1948 in Ol­pe sei­ne Ent­na­zi­fi­zie­rung. Als „Ost­flücht­lin­g“, der vor Ort nicht wei­ter be­kannt war und et­li­che Zeu­gen für sei­ne an­geb­lich dis­tan­zier­te, un­an­ge­pass­te Hal­tung in der NS-Zeit vor­le­gen konn­te, er­hielt er die Ein­stu­fung in Ka­te­go­rie fünf: „un­be­las­te­t“. Trotz ver­stärk­ter Kon­takt­pfle­ge mit Weg­ge­fähr­ten aus der frü­he­ren NS-Ver­wal­tung und Be­zie­hun­gen bis in Mi­nis­te­ri­al­krei­se hin­ein, ge­lang Klau­sa je­doch erst 1951 die Rück­kehr in sein „an­ge­stamm­tes“ Tä­tig­keits­feld: als (stell­ver­tre­ten­der) Ge­schäfts­füh­rer beim Nord­rhein-west­fä­li­schen Land­kreis­tag. Hier konn­te Klau­sa sei­ne fach­li­chen Kom­pe­ten­zen zei­gen und er­wei­tern, durch Ar­beits­leis­tung über­zeu­gen, Er­fah­run­gen sam­meln und Kon­tak­te knüp­fen, so dass die­se Stel­le zum „Sprung­bret­t“ wur­de für sei­ne spä­te­re Tä­tig­keit. Nach­dem 1953 die Land­schafts­ver­bän­de West­fa­len-Lip­pe (LWL) und Rhein­land (LVR) ge­grün­det wor­den wa­ren, um die Auf­ga­ben der frü­he­ren Pro­vin­zi­al­ver­bän­de zu über­neh­men und die Füh­rungs­po­si­ti­on im rhei­ni­schen Ver­band neu be­setzt wer­den muss­te, war Klau­sa auf­grund sei­nes gu­ten Ru­fes und sei­ner kom­mu­nal­po­li­ti­schen Ex­per­ti­se der aus­sichts­reichs­te Kan­di­dat. Sei­ne frü­he­re Lauf­bahn kam im Be­ru­fungs­ver­fah­ren zwar teil­wei­se zur Spra­che; ei­ne gra­vie­ren­de Be­las­tung des ehe­ma­li­gen NS-Land­ra­tes wur­de aber nicht ge­se­hen. Klau­sa pro­fi­tier­te hier auch von der „So­li­da­ri­tät“ je­ner Kol­le­gen, die ei­ne ähn­li­che Kar­rie­re wie er „hin­ter sich hat­ten“. Am 19.5.1954 wur­de er von der Land­schafts­ver­samm­lung zum Di­rek­tor des LVR ge­wählt.

3. Klausas Tätigkeit als Landesdirektor 1954-1975

Nach sei­ner ers­ten Amts­zeit 1966 im Am­t  ­be­stä­tigt, war Klau­sa letzt­lich fast 21 Jah­re, 1954-1975, Di­rek­tor des LVR. Als Chef, der über al­le Ge­schäf­te der lau­fen­den Ver­wal­tung ent­schei­den konn­te, zu­sam­men mit den Lan­des­rä­ten be­zie­hungs­wei­se De­zer­nats­lei­tern die grund­le­gen­den Li­ni­en, Struk­tu­ren und Maß­nah­men der Ver­wal­tung ent­wi­ckel­te und we­sent­li­che Im­pul­se für die Ent­schei­dun­gen der po­li­ti­schen Gre­mi­en des LVR (Land­schafts­aus­schuss, Fach­aus­schüs­se, Land­schafts­ver­samm­lung) gab, präg­te er die Ent­wick­lung des Ver­ban­des ma­ß­geb­lich. Die Ar­beit des LVR „un­ter Klau­sa“ kon­zen­trier­te sich zu­nächst auf die Be­wäl­ti­gung der Kriegs­fol­gen so­wie den „Wie­der­auf­bau“ der Bau­ten, Or­ga­ni­sa­ti­ons- und Ver­sor­gungs­struk­tu­ren des frü­he­ren Pro­vin­zi­al­ver­ban­des. Seit En­de der 1950er Jah­re war sie je­doch in wach­sen­dem Ma­ße von den An­sprü­chen des ex­pan­die­ren­den west­deut­schen So­zi­al­staa­tes be­stimmt und stand seit den 1960er Jah­ren zu­neh­mend im Zei­chen ge­sell­schaft­li­cher For­de­run­gen nach ei­ner Mo­der­ni­sie­rung der Ver­wal­tung und der von ihr be­treu­ten und be­auf­sich­tig­ten Ein­rich­tun­gen. Dies hat­te ei­ne enor­me Aus­wei­tung und Aus­dif­fe­ren­zie­rung der Or­ga­ni­sa­ti­on zur Fol­ge. Ver­füg­te der LVR Mit­te der 1950er Jah­re über et­wa 5.000 Mit­ar­bei­ter/in­nen, so hat­te der LVR am En­de von Klau­sas Amts­zeit 13.500 Be­schäf­tig­te in rund 120 Ein­rich­tun­gen, Kli­ni­ken, Ju­gend­hei­men, Schu­len, Mu­se­en oder Stra­ßen­bau­äm­tern, die zen­tra­le Auf­ga­ben für die kom­mu­na­le wie über­re­gio­na­le Ge­sund­heits- und So­zi­al­po­li­tik, Kul­tur­pfle­ge und In­fra­struk­tur­ent­wick­lung über­nah­men. Par­al­lel war das jähr­li­che Fi­nanz­vo­lu­men enorm ge­wach­sen: von 296 Mil­lio­nen DM 1954 bis auf 4,9 Mil­li­ar­den DM 1975. Als Klau­sa in den Ru­he­stand ging, trüb­ten ver­schie­de­ne Kon­flik­te und Pro­ble­me das Bild: Auf­grund der en­ger wer­den­den fis­ka­li­schen Spiel­räu­me muss­ten Aus­ga­ben ver­min­dert und Leis­tun­gen ein­ge­schränkt wer­den; dring­li­che Vor­ha­ben des LVR, et­wa zur Re­form und Um­ge­stal­tung der psych­ia­tri­schen Kran­ken­häu­ser so­wie zur Aus­dif­fe­ren­zie­rung und Ver­bes­se­rung von Be­treu­ungs­an­ge­bo­ten für be­hin­der­te Men­schen oder Ju­gend­li­che, war­te­ten be­reits län­ge­re Zeit auf ih­re Um­set­zung. Der Ver­band war, wie vie­le an­de­re öf­fent­li­che Ein­rich­tun­gen, mit For­de­run­gen nach Trans­pa­renz und bür­ger­schaft­li­cher Teil­ha­be kon­fron­tiert und wur­de seit En­de der 1960er Jah­re von ge­sell­schafts­kri­ti­schen In­itia­ti­ven we­gen re­pres­si­ver und zum Teil in­hu­ma­ner Be­din­gun­gen in vom Land­schafts­ver­band be­treu­ten oder be­auf­sich­tig­ten Kli­ni­ken at­ta­ckiert. Un­ge­ach­tet des­sen wur­de Klau­sas Amts­zeit rück­bli­ckend in den Me­di­en als im­po­nie­ren­de Auf­bau­leis­tung ge­wür­digt, als „Ära Klau­sa“, in der sich der LVR von ei­nem „Re­pa­ra­tur­be­trie­b“ - so sein Nach­fol­ger Hel­mut Czisch­ke[2] - der Nach­kriegs­ge­sell­schaft zu ei­nem mo­der­nen Dienst­leis­tungs­be­trieb für die rhei­ni­sche Be­völ­ke­rung ent­wi­ckelt ha­be. Der Lan­des­di­rek­tor ge­noss in wei­ten Tei­len der Öf­fent­lich­keit ei­nen gu­ten Ruf. Auf­grund sei­ner Tä­tig­keit an der Spit­ze des Land­schafts­ver­ban­des hat­te er 1964 die Eh­ren­dok­tor­wür­de der Uni­ver­si­tät Düs­sel­dor­f (für die För­de­rung der Er­zie­hung und Be­hand­lung von Kin­dern mit Be­hin­de­run­gen so­wie der Psych­ia­trie „in Kran­ken­be­hand­lung, For­schung und Leh­re“) und 1968 die Eh­ren­bür­ger­schaft der Uni­ver­si­tät Bon­n (für die För­de­rung von For­schun­gen und In­sti­tu­ten und die Ver­mitt­lung rhei­ni­scher Ge­schich­te und Kul­tur) er­hal­ten.

Als Lan­des­di­rek­tor leg­te Klau­sa den Schwer­punkt sei­ner Ar­beit auf die „Mo­der­ni­sie­run­g“ und Ra­tio­na­li­sie­rung der LVR-Ver­wal­tung; sein An­spruch war es, die wach­sen­den und kom­ple­xen Auf­ga­ben des Ver­ban­des mit Hil­fe ei­ner mög­lichst spar­sa­men und ef­fek­ti­ven Or­ga­ni­sa­ti­on zu be­wäl­ti­gen. An­re­gun­gen hol­te er sich aus dem Ver­gleich mit Be­hör­den des In- und Aus­lan­des so­wie der frei­en Wirt­schaft, er griff aber auch auf ei­ge­ne Er­fah­run­gen in Ver­wal­tung und Mi­li­tär (auch aus der Zeit vor 1945) zu­rück. Der tech­nik­be­geis­ter­te Klau­sa setz­te nicht nur auf ei­ne Ver­ein­fa­chung und Be­schleu­ni­gung der Ab­läu­fe durch Bü­ro­tech­nik, son­dern för­der­te seit En­de der 1960er Jah­re die In­te­gra­ti­on der Elek­tro­ni­schen Da­ten­ver­ar­bei­tung in den Ver­wal­tungs­all­tag; er ent­wi­ckel­te In­itia­ti­ven zur Ein­füh­rung glei­ten­der Ar­beits­zeit oder Stär­kung ei­nes in­ner­be­trieb­li­chen Vor­schlag­we­sens und ver­such­te die Leis­tun­gen des Ver­wal­tungs­sta­bes durch in­ter­ne Fort­bil­dung und prä­zi­se­re Per­so­nal­be­ur­tei­lung zu he­ben. Sei­nem An­spruch fol­gend, die als ana­chro­nis­tisch emp­fun­de­nen Ver­fah­ren des Ob­rig­keits­staa­tes durch ei­nen zeit­ge­mä­ßen „Ver­wal­tungs­stil“ zu er­set­zen, setz­te sich der Lan­des­di­rek­tor für ei­ne ak­ti­ve, wer­ben­de Öf­fent­lich­keits­ar­beit ein und pro­pa­gier­te ein ver­bind­li­che­res – „ent­ge­gen­kom­men­des“ – Auf­tre­ten der Ver­wal­tung ge­gen­über Bür­ge­rin­nen und Bür­gern. In­ner­or­ga­ni­sa­to­risch ent­wi­ckel­te Klau­sa ei­nen pa­tri­ar­cha­len Füh­rungs­stil, der auf dich­ter Kom­mu­ni­ka­ti­on und kon­ti­nu­ier­li­cher Kon­trol­le be­ruh­te, an­ge­sichts der Grö­ße des Ver­wal­tungs­ap­pa­ra­tes und der Viel­schich­tig­keit der Ver­wal­tungs­pra­xis aber auch auf die Ex­per­ti­se und „Ei­gen­in­itia­ti­ve“ von Un­ter­ge­be­nen setz­te.

Die Ver­wal­tungs­mo­der­ni­sie­rung stell­te für den Lan­des­di­rek­tor nicht nur ei­ne ad­mi­nis­tra­ti­ve Her­aus­for­de­rung, son­dern ei­ne ge­sell­schafts­po­li­ti­sche Auf­ga­be dar; sie soll­te der po­pu­lä­ren Bü­ro­kra­tie­kri­tik und „Staats­ver­dros­sen­heit“ ent­ge­gen­wir­ken und die Ak­zep­tanz des west­deut­schen Staats­we­sens (nicht zu­letzt im Sys­tem­kon­flikt mit dem „Ost­blo­ck“) stär­ken. Ent­spre­chend ver­such­te Klau­sa im­mer wie­der, sei­ne Vor­stel­lun­gen von „Ver­wal­tungs­re­for­m“ und „zeit­ge­mä­ßer Ver­wal­tun­g“ auch im po­li­ti­schen Raum zur Gel­tung zu brin­gen, oh­ne da­mit je­doch all­zu star­ke Re­so­nanz zu fin­den.

Klau­sa prä­sen­tier­te sich meist als Ver­wal­tungs­fach­mann, der nur sach­li­chen Er­wä­gun­gen ver­pflich­tet sei, und stell­te die Ver­wal­tung als „Dienst­leis­tungs­be­trie­b“ der po­li­ti­schen Gre­mi­en dar, in sei­ner Amts­zeit setz­te er je­doch auch in­halt­lich be­stimm­te Schwer­punk­te. Das galt für den Kul­tur­be­reich, die „land­schaft­li­che Kul­tur­pfle­ge“, die dem Lan­des­di­rek­tor bis En­de der 1950er Jah­re di­rekt un­ter­stand und ihm als we­sent­li­che Grund­la­ge für Tra­di­ti­ons­be­wah­rung, Wer­te­er­zie­hung und die Ent­wick­lung ei­ner „rhei­ni­schen Iden­ti­tät“ galt. Klau­sa un­ter­stütz­te nicht nur den Wie­der­auf­bau, die Er­wei­te­rung und Grün­dung lan­des­kund­li­cher Bil­dungs­ein­rich­tun­gen und Mu­se­en, er setz­te sich auch für ei­ne Re­ak­ti­vie­rung der „Hei­mat­ver­ei­ne“ ein und be­ton­te die Not­wen­dig­keit ei­ner star­ken Denk­mal- und Land­schafts­pfle­ge, um den ra­san­ten ge­sell­schaft­li­chen Wan­del ab­zu­fe­dern und der fort­lau­fen­den Zer­stö­rung von Kul­tur­gü­tern und Na­tur­räu­men zu be­geg­nen. Da­bei wand­te er sich ge­gen ei­ne bloß „ana­chro­nis­ti­sche“ Be­wah­rung, un­ter­stütz­te die Ent­wick­lung neu­er Kon­ser­vie­rungs-, Aus­stel­lungs- und Ver­mitt­lungs­an­sät­ze und för­der­te auch Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­ter, die sich für ei­ne ­mo­der­ne, ziel­grup­pen­ori­en­tier­te Öf­fent­lich­keits- und Bil­dungs­ar­beit ein­setz­ten.

Noch stär­ker war Klau­sa als Ver­wal­tungs­chef im Be­reich der So­zi­al­po­li­tik ge­fragt. Wäh­rend er die in­halt­li­che Ar­beit in den Be­rei­chen Ge­sund­heits­pfle­ge, Ju­gend­wohl­fahrt und Wohl­fahrts­pfle­ge/So­zi­al­hil­fe weit­ge­hend den Fach­ab­tei­lun­gen und zu­stän­di­gen Lan­des­rät/inn/en über­ließ und sich in den All­tag der vom LVR be­trie­be­nen Kli­ni­ken, Hei­me oder Schu­len nur sel­ten ein­schal­te­te, war er an den grund­le­gen­den Ent­schei­dun­gen über die Ent­wick­lung der LVR-Ein­rich­tun­gen und den Um­gang des Ver­ban­des mit psy­chisch Kran­ken, un­an­ge­pass­ten Ju­gend­li­chen und Men­schen mit Be­hin­de­run­gen doch zen­tral be­tei­ligt. Seit den 1960er Jah­ren schal­te­te sich Klau­sa ver­stärkt in die ge­sell­schaft­lich be­reits län­ger lau­fen­den Re­form­dis­kus­sio­nen ein und in­for­mier­te sich auch auf Aus­lands­rei­sen über al­ter­na­ti­ve Kon­zep­te me­di­zi­ni­scher Be­hand­lung und so­zia­ler Be­treu­ung. Über­al­ter­te Ge­bäu­de und die un­wür­di­ge Un­ter­brin­gung von Kran­ken und Be­treu­ungs­be­dürf­ti­gen, Aus­bil­dungs­de­fi­zi­te und den gra­vie­ren­den Per­so­nal­man­gel in psych­ia­tri­schen Kli­ni­ken und Lan­des­er­zie­hungs­hei­men nahm der Lan­des­di­rek­tor als Man­ko wahr, so dass er Re­form­plä­ne sei­ner Mit­ar­bei­ten­den un­ter­stütz­te, die auf ei­ne Neu­ge­stal­tung des Kli­nik- und Heim­sys­tems und ei­ne Aus­dif­fe­ren­zie­rung von Be­treu­ungs­ein­rich­tun­gen und -kon­zep­ten setz­ten. Das Feld, das ihn da­bei aus per­sön­li­cher Be­trof­fen­heit am de­tail­lier­tes­ten in­ter­es­sier­te, war die Be­treu­ung und För­de­rung von Kin­dern und Ju­gend­li­chen mit Be­hin­de­run­gen, die sich zu ei­nem wach­sen­den Tä­tig­keits­be­reich des Land­schafts­ver­ban­des ent­wi­ckel­te.

Klau­sa trat als Ver­tre­ter „kon­ser­va­ti­ver Mo­der­ni­sie­run­g“ auf, als Ver­wal­tungs­mann al­so, der so­zia­len Wan­del nicht nur kul­tur­kri­tisch ab­wehr­te, son­dern mit­ge­stal­ten woll­te, der sich ver­än­der­ten Ge­ge­ben­hei­ten an­pass­te, oh­ne da­bei je­doch sei­ne tra­dier­ten, ma­ß­geb­lich in der Zeit vor 1945 ent­wi­ckel­ten Wert­vor­stel­lun­gen in Fra­ge zu stel­len. So zeig­te er sich in der Kul­tur­pfle­ge zwar auf­ge­schlos­sen für ak­tu­el­le For­men und An­sät­ze des For­schens, der Bil­dungs- und Öf­fent­lich­keits­ar­beit, be­kräf­tig­te aber zu­gleich die Tra­di­tio­nen ei­ner „Hei­mat­pfle­ge“, die das „or­ga­nisch Ge­wach­se­ne“ be­wah­ren soll­te und ei­ner „Er­zie­hun­g“ zur „Ge­mein­schaf­t“ dien­te. Die­se Po­si­ti­on, die an über­kom­me­ne Vor­stel­lun­gen der „Hei­mat­be­we­gun­g“ des 19. Jahr­hun­derts an­knüpf­te, be­kräf­tig­te er auch in sei­ner au­ßer­dienst­li­chen Tä­tig­keit, et­wa im „Deut­schen Hei­mat­bun­d“, des­sen Prä­si­dent er seit 1973 war. In die De­bat­ten um die Psych­ia­trie­re­form schal­te­te sich Klau­sa nach er­höh­tem po­li­ti­schen Druck zwar zu­stim­mend ein, stell­te die Um­set­zung je­doch bald wie­der un­ter Fi­nan­zie­rungs­vor­be­halt. Wäh­rend der Lan­des­di­rek­tor sich prin­zi­pi­ell für ei­ne ver­bes­ser­te Un­ter­brin­gung, Ver­sor­gung und The­ra­pie von Ju­gend­li­chen, psy­chisch Kran­ken und Men­schen mit kör­per­li­chen wie geis­ti­gen Be­hin­de­run­gen aus­sprach, war er zu ei­nem fun­da­men­ta­len Bruch mit den über­kom­me­nen For­men der Ver­wah­rung und Aus­schlie­ßung nicht in der La­ge oder zu ent­schie­de­nen Ein­grif­fen in die oft au­to­kra­tisch ge­führ­ten Kli­ni­ken nicht be­reit. Der ver­stärk­ten Kri­tik an skan­da­lö­sen, von Ver­nach­läs­si­gung und Ge­walt ge­präg­ten Be­din­gun­gen in rhei­ni­schen Ein­rich­tun­gen be­geg­ne­te er eher de­fen­siv. Ver­feh­lun­gen und Über­grif­fe von LVR-Mit­ar­bei­ter/in­ne/n be­han­del­te Klau­sa nicht mit der für struk­tu­rel­le Ver­än­de­run­gen nö­ti­gen Kon­se­quenz. Sei­ne Sor­ge galt zu­nächst dem öf­fent­li­chen Er­schei­nungs­bild „sei­nes“ Ver­ban­des, dem „Be­triebs­kli­ma“, der „Loya­li­tät“ und dem „Ver­trau­en“ der Mit­ar­bei­ter/in­nen, wäh­rend die Le­bens­be­din­gun­gen und Aus­gren­zungs­er­fah­run­gen der In­sas­sen von Kli­ni­ken und Hei­men da­bei in den Hin­ter­grund rück­ten.

Das Span­nungs­ver­hält­nis von Tra­di­tio­na­lis­mus und An­pas­sung an die Zeit­um­stän­de, von men­ta­len Kon­ti­nui­tä­ten und vor­sich­ti­gen Ver­än­de­run­gen zeigt sich auch in den Stel­lung­nah­men des Lan­des­di­rek­tors zum Ver­hält­nis von Po­li­tik und Ver­wal­tung. Die bür­ger­schaft­li­che Kon­trol­le der Ver­wal­tung, die sich nach 1945 in der west­deut­schen Kom­mu­nal­ver­fas­sung und auch im LVR durch­ge­setzt hat­te, wur­de von Klau­sa zu­nächst skep­tisch be­trach­tet. Im Lau­fe sei­ner Amts­zeit äu­ßer­te sich der Lan­des­di­rek­tor je­doch zu­neh­mend po­si­tiv über die Be­tei­li­gung von Bür­ger/in­ne/n und Po­li­ti­ker/in­ne/n an der Ver­wal­tungs­ar­beit, die die Be­schrän­kun­gen des al­ten Ob­rig­keits­staa­tes ver­ges­sen las­se. Mit den po­li­ti­schen Gre­mi­en des Land­schafts­ver­ban­des, Land­schafts­ver­samm­lung und Fach­aus­schüs­sen, pfleg­te Klau­sa spä­tes­tens seit den 1960er Jah­ren ei­nen kon­struk­ti­ven, weit­ge­hend rei­bungs­lo­sen Aus­tausch. Der Lan­des­di­rek­tor blieb je­doch bis zu­letzt tech­no­kra­ti­schem Den­ken ver­pflich­tet, be­strebt, „un­nö­ti­ge“ und „sach­frem­de“ Ein­grif­fe der Po­li­tik in den Tä­tig­keits­be­reich der Ver­wal­tung ab­zu­weh­ren und die­se von po­li­ti­schen Aus­ein­an­der­set­zun­gen frei­zu­hal­ten. Po­li­ti­sches Han­deln stand für ihn un­ter den Leit­ge­dan­ken „Über­par­tei­lich­keit“ und Kon­sens­stif­tung. Das de­mo­kra­ti­sche Sys­tem ver­stand er als de­mo­kra­ti­sche „Ord­nun­g“, die nicht zu­nächst von Kon­flikt und Mei­nungs­viel­falt leb­te, son­dern Ge­schlos­sen­heit und Ein­ver­neh­men er­for­der­te und durch kon­struk­ti­ve Be­tei­li­gung und weit­ge­hen­de Iden­ti­fi­ka­ti­on mit dem Ge­mein­we­sen sta­bi­li­siert wer­den müs­se.

Die­ses Ver­ständ­nis zeig­te Klau­sa auch in sei­nem au­ßer­dienst­li­chen po­li­ti­schen En­ga­ge­ment, et­wa in Kom­mu­ni­ka­ti­ons­zir­keln der CDU, als Vor­stands­vor­sit­zen­der des Lan­des­ku­ra­to­ri­ums „Un­teil­ba­res Deutsch­lan­d“ oder in der „Hei­mat­be­we­gun­g“. Er äu­ßer­te sich be­sorgt an­ge­sichts der ge­sell­schaft­li­chen Li­be­ra­li­sie­rungs- und Plu­ra­li­sie­rungs­pro­zes­se der 1960er und 1970er Jah­re und ver­hielt sich deut­lich ab­leh­nend ge­gen­über den oft kon­fron­ta­tiv auf­tre­ten­den ge­sell­schafts­kri­ti­schen Grup­pen der Au­ßer­par­la­men­ta­ri­schen Op­po­si­ti­on oder neu­en so­zia­len Be­we­gun­gen. Vor dem Hin­ter­grund des Ost-West-Kon­flikts und sei­ner de­zi­diert an­ti­kom­mu­nis­ti­schen Hal­tung sah er in solch „sys­tem­ver­än­dern­den“ In­itia­ti­ven nicht nur ei­nen An­griff auf die po­li­ti­sche Kul­tur, son­dern ei­ne Ge­fähr­dung des auf „den Wes­ten“ und das west­li­che Bünd­nis­sys­tem ver­pflich­te­ten (bun­des)deut­schen Staats­we­sens.

4. Klausa und der Umgang mit der NS-Vergangenheit

Dass Klau­sa bei al­ler Aus­ein­an­der­set­zung mit ak­tu­el­len Zeit­strö­mun­gen sei­nen kon­ser­va­ti­ven Grund­über­zeu­gun­gen ver­pflich­tet blieb, zeigt sich auch an sei­ner Hal­tung zur NS-Ver­gan­gen­heit. Seit dem En­de des NS-Re­gimes be­fass­te sich der Ver­wal­tungs­mann im­mer wie­der in­ten­siv mit sei­ner Rol­le im „Drit­ten Reich“ und der his­to­ri­schen Ver­ant­wor­tung der Deut­schen. Bis zu­letzt blieb er da­bei je­doch je­nem be­reits in den ers­ten Nach­kriegs­jah­ren eta­blier­ten Recht­fer­ti­gungs­dis­kurs ver­pflich­tet, wo­nach le­dig­lich ei­ne klei­ne Cli­que von „Na­tio­nal­so­zia­lis­ten“ für die NS-Ver­bre­chen ver­ant­wort­lich zu ma­chen sei. Den zwi­schen den 1950er und 1980er Jah­ren sich voll­zie­hen­den er­in­ne­rungs­kul­tu­rel­len Wan­del re­gis­trier­te er auf­merk­sam, oh­ne je­doch sei­ne be­reits kurz nach Kriegs­en­de schrift­lich nie­der­ge­leg­te Hal­tung zur NS-Herr­schaft in Fra­ge zu stel­len.

Wie Klau­sa in meh­re­ren Aus­ar­bei­tun­gen und Trak­ta­ten fest­hielt, wand­te er sich be­reits 1945 un­ver­kenn­bar von der NS-Dik­ta­tur ab und dem neu­en de­mo­kra­ti­schen Sys­tem, „Rechts­staa­t“, „west­li­chen Wer­ten“ so­wie der „Aus­söh­nun­g“ mit frü­he­ren Kriegs­geg­nern zu. Zu­gleich sah er je­doch bio­gra­fisch und ge­sell­schafts­po­li­tisch kei­nen An­lass für ei­ne ra­di­ka­le selbst­kri­ti­sche „Um­kehr“. Viel­mehr blieb Klau­sa Zeit sei­nes Le­bens be­müht, sich und den Gro­ß­teil der deut­schen Ge­sell­schaft von Schuld frei­zu­spre­chen. Ver­su­che ei­ner grund­le­gen­de­ren Aus­ein­an­der­set­zung mit NS-Be­las­tun­gen – wie die an­fäng­li­chen „Säu­be­rungs­be­stre­bun­gen“ der Al­li­ier­ten – wur­den von Klau­sa als il­le­gi­tim emp­fun­den und deut­lich zu­rück­ge­wie­sen. Sei­nen ei­ge­nen Le­bens­lauf ver­sah er be­reits in den ers­ten Nach­kriegs­jah­ren mit der Le­gen­de ei­nes ka­tho­lisch ge­präg­ten Ver­wal­tungs­ex­per­ten, der sich aus idea­lis­ti­schen Mo­ti­ven zu­nächst dem NS-Staat zur Ver­fü­gung ge­stellt ha­be, bald aber auf Dis­tanz zum Re­gime ge­gan­gen, we­gen sei­ner welt­an­schau­li­chen „Un­zu­ver­läs­sig­keit“ selbst zu­neh­mend an den Rand ge­drängt wor­den, je­doch bis zu­letzt be­müht ge­we­sen sei, in­ner­halb des NS-Sys­tems „Schlim­me­res zu ver­hin­dern“.

Die Ver­än­de­run­gen des Er­in­ne­rungs­dis­kur­ses seit den 1960er Jah­ren, die kri­ti­schen Fra­gen zu NS-Kon­ti­nui­tä­ten in Staat und Ge­sell­schaft der Bun­des­re­pu­blik und die wach­sen­de Auf­merk­sam­keit für den Völ­ker­mord an den eu­ro­päi­schen Ju­den, brach­ten auch für Klau­sa neu­en Recht­fer­ti­gungs­druck. Als sei­ne Schrift „Ras­se und Wehr­rech­t“ öf­fent­lich be­kannt und im Vor­feld sei­ner Wie­der­wahl 1966 zu ei­nem po­li­ti­schen „Pro­ble­m“ wur­de, ver­fass­te der Lan­des­di­rek­tor er­neut meh­re­re Aus­ar­bei­tun­gen, in de­nen er sein Selbst­bild und sei­ne Ver­si­on der NS-Ge­schich­te zu ver­tei­di­gen ver­such­te. Der Lan­des­di­rek­tor ar­gu­men­tier­te, es han­de­le sich bei dem kri­ti­sier­ten Text le­dig­lich um ei­ne „Ju­gend­sün­de“, die au­ßer­dem po­si­ti­ve In­ten­tio­nen ver­folgt ha­be: „Ras­se und Wehr­rech­t“ sei ein Ver­such ge­we­sen, mit zeit­ge­nös­si­scher Ter­mi­no­lo­gie ge­gen die Na­zi­fi­zie­rung des Of­fi­ziers­korps der Wehr­macht an­zu­schrei­ben, in der Spra­che „der Na­tio­nal­so­zia­lis­ten“ ge­gen de­ren Ab­sich­ten Stel­lung zu neh­men. Seit En­de der 1960er Jah­re wur­de Klau­sa zu­dem – auch auf­grund ver­stärk­ter Er­mitt­lun­gen der Nach­kriegs­jus­tiz – mit sei­ner Be­tei­li­gung an der Ju­den­ver­fol­gung als Land­rat von Bend­zin kon­fron­tiert. Er ver­wies in die­sem Zu­sam­men­hang nicht nur auf die - durch an­de­re Quel­len nicht be­leg­te - Hil­fe­leis­tung der Fa­mi­lie Klau­sa für ih­ren von der De­por­ta­ti­on be­trof­fe­nen jü­di­schen „Haus­be­sor­ger“, son­dern be­ton­te vor al­lem sei­ne ge­rin­ge Ver­ant­wor­tung als Ver­wal­tungs­mann. Als Land­rat ha­be er von den Aus­ma­ßen des Ju­den­mor­des nichts ge­ahnt und den Ver­fol­gungs­ak­tio­nen von SS und Po­li­zei nur ohn­mäch­tig zu­schau­en kön­nen. Noch in den Le­bens­er­in­ne­run­gen der spä­ten 1970er Jah­re war Klau­sas Rück­schau auf das NS-Re­gime von der Leit­for­mel des deut­schen Nach­kriegs­dis­kur­ses ge­prägt, „an­stän­dig ge­blie­ben“ zu sein. Das ziel­te nicht nur auf die ei­ge­ne Bio­gra­fie und das per­sön­li­che Um­feld, son­dern auf Klau­sas „Be­zug­s­in­sti­tu­tio­nen“ Ver­wal­tung und Mi­li­tär und letzt­lich die ge­sam­te deut­sche Be­völ­ke­rung.

Die de­fi­zi­tä­re, in vie­lem apo­lo­ge­ti­sche Aus­ein­an­der­set­zung mit der NS-Ver­gan­gen­heit spie­gel­te sich auch in der Tä­tig­keit des Lan­des­di­rek­tors wi­der. Zwar sah Klau­sa au­to­ri­tä­ren Füh­rungs­stil und die Um­gangs­for­men des Ob­rig­keits­staa­tes als nicht mehr zeit­ge­mäß an. Doch hielt er an man­chen Leit­ide­en und Füh­rungs­tech­ni­ken fest, die er noch aus Ver­wal­tung und Mi­li­tär der ers­ten Jahr­hun­dert­hälf­te kann­te und die er auch durch die NS-Zeit nicht dis­kre­di­tiert sah. Die per­so­nel­len und fach­li­chen Kon­ti­nui­tä­ten zwi­schen dem LVR und dem frü­he­ren, seit den 1930er Jah­ren gleich­ge­schal­te­ten rhei­ni­schen Pro­vin­zi­al­ver­band be­trach­te­te Klau­sa eben­falls aus die­sem Blick­win­kel. Im Ein­ver­neh­men mit sei­nen Kol­leg/inn/en aus Ver­wal­tung und Po­li­tik ging er da­von aus, dass sich der Ver­band in den 1930er und 1940er Jah­ren den An­sprü­chen der NS-Be­we­gung weit­ge­hend ent­zo­gen und sei­ne „gu­ten“ fach­li­chen Tra­di­tio­nen über die Zeit der NS-Herr­schaft hin­weg ver­tei­digt ha­be. In­so­fern sah Klau­sa als Lan­des­di­rek­tor auch kein grund­sätz­li­ches Pro­blem dar­in, Mit­ar­bei­ter/in­nen aus der Zeit vor 1945 wei­ter zu be­schäf­ti­gen oder de­ren frü­he­re „Ver­diens­te“ im Rah­men ver­bands­in­ter­ner Tra­di­ti­ons­pfle­ge zu wür­di­gen. Dass es in­ner­halb des Per­so­nals et­li­che gab, die im NS-Re­gime Kar­rie­re ge­macht hat­ten, und nicht we­ni­ge, die an Re­pres­si­ons­maß­nah­men ge­gen so­zia­le Rand­grup­pen oder den Kran­ken­mor­den be­tei­ligt ge­we­sen wa­ren, wur­de nicht pro­ble­ma­ti­siert oder ein­ver­stän­dig „be­schwie­gen“. In die­ser Hal­tung war Klau­sa al­ler­dings nicht her­aus­ra­gend, son­dern ty­pisch, so­wohl für die Füh­rungs­rie­ge des LVR und das Gros der Ver­wal­tungs­be­am­ten als auch für die über­gro­ße Mehr­heit des Staats­ap­pa­ra­tes und der deut­schen Ge­sell­schaft nach 1945.

5. Udo Klausa als Teil einer „Erfolgs-“ wie „Belastungsgeschichte“ der Bundesrepublik

Mit sei­nem Ru­he­stand wur­de Klau­sa selbst Teil je­ner se­lek­ti­ven Tra­di­ti­ons­pfle­ge, die er ver­bands­in­tern ge­för­dert hat­te und die auch wei­te Tei­le der Öf­fent­lich­keit zu­stim­mend auf­grif­fen. So wur­de sei­ne Bio­gra­fie ge­wis­ser­ma­ßen ein Stück der oft er­zähl­ten „Er­folgs­ge­schich­te“ der Bun­des­re­pu­blik. Bis über die Jahr­tau­send­wen­de hin­aus schie­nen Klau­sas Leis­tun­gen als Ver­wal­tungs­mann, sein Ruf als „Neu­e­rer“ und „Be­wah­rer“, das Bild des „Grün­dungs­va­ter­s“ des Land­schafts­ver­ban­des und ei­ner „Pio­nier­ge­stal­t“ mo­der­ner Ver­wal­tung un­be­strit­ten.

Al­ter­na­ti­ve Deu­tun­gen der Ver­bands­ge­schich­te la­gen durch­aus vor, vor al­lem in Ge­stalt der har­ten Kri­tik, die sich in Fol­ge der stu­den­ti­schen Re­vol­te und der neu­en so­zia­len Be­we­gun­gen ge­gen den LVR zu rich­ten be­gann. In den 1970er Jah­ren tra­ten hier ins­be­son­de­re An­ge­hö­ri­ge des so­ge­nann­ten SSK („So­zi­al­päd­ago­gi­sche Son­der­maß­nah­men Köln“) her­vor. An­ge­sichts der be­kannt ge­wor­de­nen men­schen­un­wür­di­gen Zu­stän­de in psych­ia­tri­schen An­stal­ten und Ju­gend­hei­men des Rhein­lan­des und et­li­cher To­des­fäl­le, die zum Teil auch über­re­gio­nal Auf­se­hen er­reg­ten („Brau­wei­ler-Skan­dal“), for­der­ten die Kri­ti­ker ein En­de des re­pres­si­ven und aus­gren­zen­den Kli­nik- und Heim­sys­tems. Ei­nen we­sent­li­chen Grund für die­ses Sys­tem sa­hen sie in au­to­ri­tä­ren Ge­sell­schafts­vor­stel­lun­gen und der un­ab­ge­schlos­se­nen NS-Ver­gan­gen­heit des Ver­ban­des und sei­nes Füh­rungs­per­so­nals. Das rich­te­te sich nicht zu­letzt ge­gen den Di­rek­tor des LVR und setz­te un­mit­tel­bar an des­sen Schrift „Ras­se und Wehr­rech­t“ an. Wer sich vor 1945 so auf die Sei­te des NS-Re­gimes ge­stellt und des­sen For­de­rung nach „Aus­son­de­rung der Ent­ar­te­ten“ zu ei­gen ge­macht ha­be, so die Ar­gu­men­ta­ti­on des SSK, der ha­be ver­mut­lich auch nach 1945 auf so­zia­le Se­lek­ti­on und Aus­gren­zung ge­setzt – und müs­se für die Ver­nach­läs­si­gung und Re­pres­si­on von Heim­kin­dern und Psych­ia­trie­pa­ti­en­ten ent­schei­dend ver­ant­wort­lich ge­macht wer­den. Die Ge­schich­te des Land­schafts­ver­ban­des und sei­nes Lei­tungs­per­so­nals wur­de hier dia­me­tral ent­ge­gen­ge­setzt zum Selbst­ver­ständ­nis des LVR ver­stan­den, näm­lich als Teil ei­ner deut­schen „Be­las­tungs­ge­schich­te“.

Mit der Ab­schwä­chung der Pro­test­be­we­gung und dem Ab­flau­en der me­dia­len Be­richt­er­stat­tung über die „Kli­nikskan­da­le“ ver­ebb­te die­se De­bat­te je­doch nach we­ni­gen Jah­ren wie­der. Seit den 1970er Jah­ren wur­den die bio­gra­fi­schen Be­zü­ge zur NS-Zeit im Per­so­nal des Land­schafts­ver­ban­des deut­lich we­ni­ger. Auch ent­wi­ckel­ten sich seit den 1980er Jah­ren aus dem LVR her­aus An­sät­ze kri­ti­scher His­to­ri­sie­rung, ins­be­son­de­re durch me­di­zin- und für­sor­ge­ge­schicht­li­che Ar­bei­ten zur Be­tei­li­gung des rhei­ni­schen Pro­vin­zi­al­ver­ban­des an der NS-Po­li­tik ge­gen Kran­ke und so­zi­al Un­an­ge­pass­te. Zu ei­ner Über­prü­fung der Nach­kriegs­ge­schich­te des LVR und der NS-Ver­gan­gen­heit sei­nes jün­ge­ren Füh­rungs­per­so­nals kam es al­ler­dings erst deut­lich spä­ter.

Zwei Er­eig­nis­se wa­ren es, die den ers­ten Di­rek­tor des Land­schafts­ver­ban­des wie­der ins Licht der Öf­fent­lich­keit rück­ten, nun als Sym­bol­fi­gur „ver­dräng­ter Ver­gan­gen­heit“ und frag­wür­di­ger Tra­di­ti­ons­pfle­ge. Die seit der Jahr­tau­send­wen­de breit dis­ku­tier­ten „Heim­kin­der­skan­da­le“ ga­ben An­lass, die Hal­tung des LVR ge­gen­über Kran­ken und Hilfs­be­dürf­ti­gen in der frü­hen Bun­des­re­pu­blik zu über­prü­fen und be­weg­ten frü­he­re Kri­ti­ker, ih­re in den 1970er Jah­ren for­mu­lier­ten The­sen noch­mals vor­zu­brin­gen. Noch wich­ti­ger für die jün­ge­re Aus­ein­an­der­set­zung um den ers­ten Lan­des­di­rek­tor war je­doch das 2012 er­schie­ne­ne Buch Ma­ry Ful­brooks „A Small Town ne­ar Ausch­wit­z“, das erst­mals die Kar­rie­re und Tä­tig­keit des Ver­wal­tungs­be­am­ten im „Drit­ten Reich“ ge­nau­er be­trach­te­te und her­aus­ar­bei­te­te, in wel­cher Wei­se Klau­sa in die NS-Po­li­tik im be­setz­ten Po­len und die Ju­den­ver­fol­gung ein­ge­bun­den war. Das nicht nur mit wis­sen­schaft­li­chem Ges­tus, son­dern mit per­sön­li­cher An­teil­nah­me, un­ter be­son­de­rer Be­to­nung der Op­fer­per­spek­ti­ve ge­schrie­be­ne Werk gab der De­bat­te ei­ne neue Trag­wei­te. Die „Nä­he“ des Prot­ago­nis­ten zu „Ausch­wit­z“ ließ ei­ne Auf­recht­er­hal­tung des bis­her ge­pfleg­ten „Klau­sa-Bil­des“ nicht mehr zu. Das galt auch für den LVR selbst, der vor die­sem Hin­ter­grund ei­ne Neu­ori­en­tie­rung vor­nahm, sich öf­fent­lich zur his­to­ri­schen „Auf­ar­bei­tun­g“ be­kann­te und ver­schie­de­ne Ver­an­stal­tun­gen so­wie For­schun­gen zu der Nach­kriegs­ge­schich­te des Ver­ban­des und sei­nem ers­ten Di­rek­tor in­iti­ier­te[3].

Wie Udo Klau­sas Kar­rie­re nicht iso­liert zu be­trach­ten ist, son­dern bei­spiel­haft ste­hen kann für Kon­ti­nui­tät und Wan­del von Ver­wal­tungs­eli­ten in der deut­schen Ge­schich­te des 20. Jahr­hun­derts, so ver­weist auch der Um­gang mit der „his­to­ri­schen Fi­gur“ Klau­sa ex­em­pla­risch über den in­di­vi­du­el­len Fall hin­aus. An ihr las­sen sich nicht nur die de­fi­zi­tä­re „Ver­gan­gen­heits­be­wäl­ti­gun­g“ der frü­hen Bun­des­re­pu­blik so­wie die seit den 1960er Jah­ren zu­neh­mend vi­ru­lent wer­den­den Kon­flik­te um die NS-Ge­schich­te fest­ma­chen, son­dern auch je­ner Mo­dus der „Auf­ar­bei­tun­g“, der sich in den letz­ten bei­den Jahr­zehn­ten im Rück­blick auf NS-Be­las­tun­gen weit­läu­fig durch­ge­setzt zu ha­ben scheint – ob mit Blick auf Ärz­te­schaft, Kul­tur­schaf­fen­de, Jus­tiz und Po­li­zei, auf den un­te­ren Ebe­nen der Ver­wal­tung oder im Be­reich der Bun­des­mi­nis­te­ri­en. Dass sich die öf­fent­li­che Wahr­neh­mung Klau­sas zu­letzt deut­lich ge­wan­delt hat, dürf­te nicht nur ei­nem er­wei­ter­ten Wis­sen über die NS-Ver­gan­gen­heit zu ver­dan­ken sein, son­dern hat mit ei­nem ver­än­der­ten ge­sell­schaft­li­chen Re­so­nanz­raum, dif­fe­ren­zier­te­ren Vor­stel­lun­gen von his­to­ri­scher Ver­ant­wor­tung und „Tä­ter­schaf­t“ so­wie neu­en For­men ei­nes von den „Op­fern“ her ent­wi­ckel­ten Ge­den­kens zu tun. Der neue Blick auf die „Ära Klau­sa“ ist aber min­des­tens eben­so sehr auf die öf­fent­li­chen In­ter­ven­tio­nen kri­ti­scher Bür­ger/in­nen zu­rück­zu­füh­ren wie auf ei­nen „Ge­ne­ra­ti­ons­wech­sel“ in­ner­halb des Land­schafts­ver­ban­des, der frü­he­re Loya­li­tä­ten zur „Grün­der­ge­ne­ra­ti­on“ ver­schwin­den und neue Vor­stel­lun­gen von Or­ga­ni­sa­ti­ons­kul­tur und in­sti­tu­tio­nel­ler Selbst­dar­stel­lung ent­ste­hen ließ.

Quellen

Der Nach­lass Klau­sa be­fin­det sich im Ar­chiv des LVR, das zum LVR-Ar­chiv­be­ra­tungs- und Fort­bil­dungs­zen­trum in Pul­heim-Brau­wei­ler ge­hört, er­schlos­sen durch ein Find­buch, Köln 2009, rev. 2017. [On­line]

Literatur

Ful­brook, Ma­ry, A Small Town ne­ar Ausch­witz. Or­di­na­ry Na­zis and the Ho­lo­caust, Ox­ford 2012 (deutsch: Ei­ne klei­ne Stadt bei Ausch­witz. Ge­wöhn­li­che Na­zis und der Ho­lo­caust, Es­sen 2015).
Ful­brook, Ma­ry, „Un­schul­dig schul­dig wer­den“? Sys­te­mi­sche Ge­walt und die Ver­fol­gung der Ju­den von Będ­zin, in: Löw, An­drea/Ber­gen, Do­ris L. /Háj­ko­vá, An­na (Hg.), All­tag im Ho­lo­caust. Jü­di­sches Le­ben im Gro­ß­deut­schen Reich 1941–1945, Mün­chen 2013, S. 117-136.
Ful­brook, Ma­ry, Na­zis mit rei­nem Ge­wis­sen? Zi­vi­le Funk­ti­ons­trä­ger und der Ho­lo­caust, in: Bi­al­as, Wolf­gang/Frit­ze, Lo­thar (Hg.), Ideo­lo­gie und Mo­ral im Na­tio­nal­so­zia­lis­mus, Göt­tin­gen 2014, S. 129-151.
Ka­mins­ky, Uwe/Roth, Tho­mas, Ver­wal­tungs­dienst, Ge­sell­schafts­po­li­tik und Ver­gan­gen­heits­be­wäl­ti­gung nach 1945. Das Bei­spiel des Lan­des­di­rek­tors Udo Klau­sa, Ber­lin 2016. [mit wei­te­ren Nach­wei­sen und Li­te­ra­tur­an­ga­ben]

Online

Ge­schichts-LK des Ge­schwis­ter-Scholl-Gym­na­si­ums Pul­heim, „Men­schen wie Vieh ge­hal­ten“ – Der Skan­dal um die Schlie­ßung der Fach­kli­nik für Psych­ia­trie und Neu­ro­lo­gie des Lan­des­kran­ken­hau­ses Brau­wei­ler 1978, Pul­heim 2011. [On­line]
Go­the, Lo­thar, „A small town ne­ar Ausch­wit­z“. Ge­den­k­ri­tua­le beim LVR in Köln und ein da­zu pas­sen­des neu­es Buch, in: Neue Rhei­ni­sche Zei­tung, On­line-Fly­er vom 9.5.2017. [On­line
Kro­nau­er, Jörg, Das En­de des Schwei­gens. Der Land­schafts­ver­band Rhein­land wagt sich an die Auf­ar­bei­tung sei­ner Ver­gan­gen­heit, in: Stadt­Re­vue 10.2011. [On­line
„Der LVR stellt sich sei­ner Ge­schich­te“, Köln 2017. [On­line]

 
Zitationshinweis

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Roth, Thomas, Kaminsky, Uwe, Udo Klausa, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/udo-klausa-/DE-2086/lido/5ab3852cb4deb3.65635956 (abgerufen am 25.04.2024)