Ulrich Scheuner

Rechtswissenschaftler (1903-1981)

Christian Waldhoff (Bonn)

Ulrich Scheuner, Porträtfoto. (Universitätsarchiv Bonn)

Ul­rich Scheu­ner ge­hört zu den we­ni­gen Uni­ver­sal­ju­ris­ten im 20. Jahr­hun­dert. Als Pro­fes­sor an der Uni­ver­si­tät Bonn be­fass­te er sich, aus­ge­hend vom ­Staats­recht auch mit dem Völ­ker- und dem Staats-(kir­chen-)recht. In den ers­ten Jahr­zehn­ten der Bun­des­re­pu­blik ge­hör­te Scheu­ner zu den ein­fluss­reichs­ten ju­ris­ti­schen Po­li­tik­be­ra­tern.

Scheu­ner, aus ei­ner preu­ßisch-pro­tes­tan­ti­schen Be­am­ten­fa­mi­lie stam­mend, wur­de am 24.12.1903 in Düs­sel­dorf ge­bo­ren. Nach dem Ab­itur in Müns­ter ­stu­dier­te er dort und in Mün­chen Rechts­wis­sen­schaft. Mit ei­ner Ar­beit „Die Leh­re vom ech­ten Par­la­men­ta­ris­mus – ein Bei­trag zur Sys­te­ma­ti­sie­rung der Er­schei­nungs­for­men des par­la­men­ta­ri­schen Re­gimes" wur­de er 1925 von der Müns­te­ra­ner Ju­ris­ti­schen Fa­kul­tät pro­mo­viert. Nach glän­zend be­stan­de­nem As­ses­sor­ex­amen ging Scheu­ner 1928 nach Ber­lin, wo er ne­ben der Funk­ti­on als Fa­kul­täts­as­sis­tent auch Re­fe­rent am Kai­ser-Wil­helm-In­sti­tut für aus­län­di­sches öf­fent­li­ches Recht und Völ­ker­recht wur­de. In Ber­lin wur­de er un­ter der Be­treu­ung des Staats- und Völ­ker­recht­lers Hein­rich Trie­pel und des Kir­chen­recht­lers Wil­helm Kahl mit ei­ner un­pu­bli­zier­ten Ar­beit über die Re­gie­rung im Wei­ma­rer Ver­fas­sungs­sys­tem für die Fä­cher Staats- und Völ­ker­recht ha­bi­li­tiert – die ve­nia le­gen­di wur­de im fol­gen­den Jahr auf Ver­wal­tungs­recht aus­ge­dehnt. Als sei­nen ei­gent­li­chen Leh­rer hat Scheu­ner je­doch den da­mals in Ber­lin leh­ren­den Staats- und Kir­chen­recht­ler Ru­dolf Smend (1882-1975) an­ge­se­hen (der um die Zeit des Ers­ten Welt­kriegs in Bonn lehr­te).

Es folg­te ei­ne stei­le aka­de­mi­sche Kar­rie­re: von 1933 bis 1940 Pro­fes­sor in Je­na, 1940 bis 1941 in Göt­tin­gen und seit 1941 an der Reichs­uni­ver­si­tät Straß­burg. Nach dem Krieg über­brück­te er ei­ne Zeit in Ein­rich­tun­gen der evan­ge­li­schen Kir­che, be­vor er 1949 zu­nächst als Lehr­be­auf­trag­ter, seit 1950 bis zu sei­ner Eme­ri­tie­rung 1972 als or­dent­li­cher Pro­fes­sor nach Bonn be­ru­fen wur­de. Ul­rich Scheu­ner hat die mehr­fa­chen Wech­sel des Herr­schafts­sys­tems wäh­rend sei­ner wis­sen­schaft­li­chen Tä­tig­keit be­glei­tet: Die zur Wei­ma­rer Zeit ver­fass­te Dis­ser­ta­ti­on stellt noch heu­te ei­ne klar­sich­ti­ge Deu­tung des de­mo­kra­tisch-par­la­men­ta­ri­schen Sys­tems dar. Nach der na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Herr­schaftser­grei­fung pu­bli­zier­te er zahl­rei­che durch­aus af­fir­ma­ti­ve Ar­bei­ten. We­gen die­ser Be­las­tung und we­gen des Un­ter­gangs der „Reichs­uni­ver­si­tät Straß­burg" dau­er­te es bis 1950, ehe Scheu­ner wie­der ei­ne or­dent­li­che Pro­fes­sur er­hielt. Nach dem Zwei­ten Welt­krieg hat sich dann sei­ne wis­sen­schaft­li­che und be­ra­ten­de Tä­tig­keit voll ent­fal­tet: Scheu­ner wur­de nicht nur wis­sen­schaft­lich wie in­sti­tu­tio­nell ei­ner der füh­ren­den Fach­ver­tre­ter in Deutsch­land, er avan­cier­te auch zu ei­nem der wich­tigs­ten staats- und völ­ker­recht­li­chen Be­ra­ter der jun­gen Bun­des­re­gie­rung(en) – in den Wor­ten Horst Ehm­kes: an­ge­lei­tet durch ei­ne „ba­ro­cke Af­fi­ni­tät zur Macht und zum Ge­stal­tungs­wil­len". Die Be­ru­fung nach Bonn war aus­drück­lich mit Hin­weis auf sei­nen kir­chen- und staats­kir­chen­recht­li­chen Aus­weis hin er­folgt.

Scheu­ner wur­de ei­ner der wich­ti­gen pro­tes­tan­ti­schen Kir­chen- und Staats­kir­chen­recht­ler der Nach­kriegs­zeit, des­sen Leh­ren bis heu­te prä­gend ge­blie­ben sind. Be­mer­kens­wert ist in die­sem Zu­sam­men­hang, dass der Pro­tes­tant als Mit­glied des wis­sen­schaft­li­chen Bei­rats des (ka­tho­li­schen) In­sti­tuts für Staats­kir­chen­recht der Diö­ze­sen Deutsch­lands und als Lei­ter der (vom Ruhr-Bis­tum ver­an­stal­te­ten) Es­se­ner Ge­sprä­che zum The­ma Staat un­d ­Kir­che so­gar mit ei­nem ho­hen päpst­li­chen Or­den aus­ge­zeich­net wur­de. Zu­sam­men mit sei­nem Fa­kul­täts­kol­le­gen Ernst Frie­sen­hahn gab er 1974 die er­s­te Auf­la­ge des Hand­buchs des Staats­kir­chen­rechts der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land her­aus.

Me­tho­disch war Scheu­ner – in Ge­folg­schaft sei­ner aka­de­mi­schen Leh­rer Trie­pel und Smend – der so ge­nann­ten an­ti­po­si­ti­vis­ti­schen Rich­tung der deut­schen Staats­rechts­leh­re zu­zu­ord­nen. Da­mit stand er auch in der frü­hen Bun­des­re­pu­blik im Main­stream. Nicht in Mo­no­gra­phi­en, son­dern in zahl­rei­chen Auf­sät­zen und Bei­trä­gen zu Sam­mel­wer­ken ent­fal­te­te sei­ne Leh­re Wirk­sam­keit. Be­mer­kens­wert ist die Brei­te sei­ner In­ter­es­sen: Scheu­ner pu­bli­zier­te im Schwer­punkt im Staats­recht und im Staats­kir­chen- bzw. Kir­chen­recht; gleich­wohl fin­det sich ei­ne un­ge­wöhn­lich gro­ße Zahl von völ­ker­recht­li­chen, ver­wal­tungs­recht­li­chen, ver­fas­sungs­ge­schicht­li­chen und staats­theo­re­ti­schen Wer­ken. Scheu­ner war ei­ner der letz­ten Fach­ver­tre­ter des öf­fent­li­chen Rechts, die die­ses sich stets wei­ter aus­dif­fe­ren­zie­ren­de Teil­rechts­ge­biet ins­ge­samt nicht nur über­blickt, son­dern durch ei­ge­ne Bei­trä­ge fort­ent­wi­ckelt ha­ben.

Scheu­ner starb am 25.2.1981 in Bonn.

Schriften

Die na­tio­na­le Re­vo­lu­ti­on, in: Ar­chiv des öf­fent­li­chen Rechts Neue Fol­ge 24 (1934), S.166-344.
Schrif­ten zum Staats­kir­chen­recht, Ber­lin 1973.
Schrif­ten zum Völ­ker­recht, Ber­lin 1984.
Staats­theo­rie und Staats­recht, Ber­lin 1978.
Scheu­ner, Ul­rich / Frie­sen­ha­gen, Ernst (Hg.), Hand­buch des Staats­kir­chen­rechts der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land, 2 Bän­de, Ber­lin 1974-1975.

Literatur

Hä­ber­le, Pe­ter, Staats­rechts­leh­re als uni­ver­sa­le Ju­ris­pru­denz. Zum To­de von Ul­rich Scheu­ner am 25. Fe­bru­ar 1981, in: Zeit­schrift für evan­ge­li­sches Kir­chen­recht 26 (1981), S. 105-139.
Hu­ber, Ul­rich / Klaus Schlaich, Scheu­ner, Ul­rich (1903-1981). In me­mo­ri­am Ul­rich Scheu­ner: Re­den, ge­hal­ten am 24. Ok­to­ber 1981 bei der Ge­dächt­nis­fei­er der Rhei­ni­schen Fried­rich-Wil­helms-Uni­ver­si­tät Bonn, Bonn 1982.
Listl, Jo­seph (Hg.), Ul­rich Scheu­ner zum Ge­dächt­nis, Bonn 1981.
Listl, Jo­seph, Staat und Kir­che bei Ul­rich Scheu­ner (1903-1981), in: Scheu­ner, Ul­rich / Her­bert Scham­beck (Hg.), De­mo­kra­tie in An­fech­tung und Be­wäh­rung. Fest­schrift für Jo­han­nes Bro­er­mann, Ber­lin 1982, S. 827-906.
Schlaich, Klaus, Von der Not­wen­dig­keit des Staa­tes – Das wis­sen­schaft­li­che Werk Ul­rich Scheu­ners, in: Der Staat 21 (1982), S. 1-24.

 
Zitationshinweis

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Waldhoff, Christian, Ulrich Scheuner, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/ulrich-scheuner/DE-2086/lido/57c946bdc9fa65.12942273 (abgerufen am 23.04.2024)