Wolfgang Finkelnburg

Experimentalphysiker (1905–1967)

Marc Zirlewagen (Wehrheim)

Wolfgang Finkelnburg, Porträtfoto.

Wolf­gang Fin­keln­burg war ein Pio­nier der deut­schen Re­ak­tor­tech­nik. An­fang der 1940er Jah­re trug er mit da­zu bei, dass die zu­vor als „jü­di­sche Phy­si­k“ dif­fa­mier­te Re­la­ti­vi­täts­theo­rie und die Quan­ten­me­cha­nik in Deutsch­land an­er­kannt wur­den.

Ge­bo­ren wur­de Wolf­gang Karl Ernst Fin­keln­burg am 5.6.1905 in Bonn als Sohn des Me­di­zin-Pro­fes­sors Ru­dolf Fin­keln­burg (1870–1950) und sei­ner Frau Mar­got, ge­bo­re­ne Zi­tel­mann (ge­stor­ben 1944) ge­bo­ren. Fin­keln­burg be­stand 1924 das Ab­itur am heu­ti­gen Beet­ho­ven-Gym­na­si­um in Bonn und stu­dier­te ab dem Som­mer­se­mes­ter 1924 Phy­sik in Tü­bin­gen, ab dem Win­ter­se­mes­ter 1924/1925 in Bonn. Im sel­ben Se­mes­ter trat er dem – da­mals von der In­te­r­al­li­ier­ten Rhein­land-Kom­mis­si­on ver­bo­te­nen, aber il­le­gal exis­tie­ren­den – Ver­ein Deut­scher Stu­den­ten bei und war im Win­ter­se­mes­ter 1925/1926 des­sen Vor­sit­zen­der. Er lei­te­te Tei­le der Fei­er­lich­kei­ten der Bon­ner Stu­den­ten­schaft nach dem Ab­zug der al­li­ier­ten Be­sat­zungs­trup­pen im Fe­bru­ar 1926. Vor­sit­zen­der der Stu­den­ten­schaft war er im Win­ter­se­mes­ter 1927/1928. Da­ne­ben war er Hoch­schul­meis­ter im Klein­ka­li­ber­schie­ßen, das da­mals als „Wehr­spor­t“ be­trie­ben wur­de. Am 15.12.1928 pro­mo­vier­te er bei Hein­rich Ko­nen in Bonn zum Dr. phil.

Es folg­ten As­sis­ten­ten­zei­ten: 1928/1929 als Pri­va­t­as­sis­tent bei Rein­hard Me­cke (1895–1969) in Bonn, 1929–1931 im Rah­men ei­nes For­schungs­sti­pen­di­ums der Not­ge­mein­schaft der Deut­schen Wis­sen­schaft als As­sis­tent bei Max Bo­den­stein (1871–1942) in Ber­lin. En­de 1931 wur­de er As­sis­tent bei Wal­ter Wei­zel (1901–1982) am In­sti­tut für Theo­re­ti­sche Phy­sik der TH Karls­ru­he, wo er sich am 17.3.1932 ha­bi­li­tier­te und an­schlie­ßend Pri­vat­do­zent war. Von Herbst 1933 bis Herbst 1934 weil­te er als Ro­cke­fel­ler-Sti­pen­di­at bei Ro­bert Mil­li­kan (1868–1953) am Ca­li­for­nia In­sti­tu­te of Tech­no­lo­gy. 1936 wur­de er Do­zent für Phy­sik an der TH Darm­stadt und Oberas­sis­tent des Phy­si­ka­li­schen In­sti­tuts bei Hans Rau (1881–1961). 1937 trat Fin­keln­burg der NS­DAP bei. 1938 wur­de er au­ßer­or­dent­li­cher Pro­fes­sor am Phy­si­ka­li­schen In­sti­tut der TH Darm­stadt, wo er ei­nen Lehr­auf­trag für Phy­sik für Bau­in­ge­nieu­re in­ne hat­te. Er galt als „päd­ago­gi­sches Na­tur­ta­len­t“, der in vol­len Hör­sä­len die Zu­hö­rer be­geis­ter­te.

Wäh­rend sei­nes Stu­di­ums hat­te sich Fin­keln­burg haupt­säch­lich mit der Spek­tro­sko­pie und der Phy­sik der Ga­s­ent­la­dun­gen be­schäf­tigt. So ver­fass­te er ne­ben Ein­zel­un­ter­su­chun­gen über Atom- und Mo­le­kül­spek­tren so­wie de­ren Ge­setz­mä­ßig­kei­ten auch ei­ne Mo­no­gra­phie über kon­ti­nu­ier­li­che Spek­tren. Die­se Ar­bei­ten lei­te­ten ihn zu den Pro­ble­men des Hoch­strom­bo­gens, an de­ren Auf­klä­rung er wäh­rend des Krie­ges mit­wirk­te. Zu die­ser Zeit galt er als bes­ter Sach­ken­ner auf dem Ge­biet der Spek­tro­sko­pie und der Plas­ma­phy­sik.

Fin­keln­burg hei­ra­te­te 1939 Eleo­no­re Schü­len (ge­bo­ren 1910); aus der Ehe ging der Di­plom-Phy­si­ker Wolf-Die­ter Fin­keln­burg (ge­bo­ren 1947) her­vor.

Am 16.1.1940 er­hielt Wolf­gang Fin­keln­burg den Ti­tel ei­nes Ober-In­ge­nieurs. 1940/1941 war er Do­zen­ten­bund­füh­rer und Lei­ter der Do­zen­ten­schaft an der TH Darm­stadt, soll je­doch laut Die­ter Hoff­mann kein Ideo­lo­ge ge­we­sen sein, son­dern ha­be mit der Par­tei­mit­glied­schaft vor al­lem Kar­rie­re­chan­cen ver­bun­den. Un­ge­klärt ist, ob er bei dem auf sei­ne In­itia­ti­ve hin ge­führ­ten Streit­ge­spräch – „Mün­che­ner Re­li­gi­ons­ge­sprä­che“ – um die „Deut­sche Phy­si­k“ am 11.11.1940 in Mün­chen ei­ne Po­si­ti­on ge­gen ei­ne even­tu­el­le „Par­tei-Phy­si­k“ ein­ge­nom­men hat, wie Fin­keln­burg nach 1945 be­ton­te. Je­den­falls sorg­te er mit dem Ge­spräch da­für, dass die zu­vor als „jü­di­sche Phy­si­k“ dif­fa­mier­te Re­la­ti­vi­täts­theo­rie und die Quan­ten­me­cha­nik in Deutsch­land an­er­kannt wur­den. 1941–1945 war er Vi­ze­prä­si­dent der Deut­schen Phy­si­ka­li­schen Ge­sell­schaft. Bei sei­nen wis­sen­schaft­li­chen For­schun­gen be­schäf­tig­te er sich vor­wie­gend mit Atom- und Mo­le­kül­phy­sik. Seit dem 15.10.1942 war er au­ßer­or­dent­li­cher Pro­fes­sor für Ex­pe­ri­men­tal­phy­sik und Di­rek­tor des Phy­si­ka­li­schen In­sti­tuts der 1941 von den Na­tio­nal­so­zia­lis­ten ge­grün­de­ten Reichs­uni­ver­si­tät Straß­burg und forsch­te dort un­ter an­de­rem über leis­tungs­fä­hi­ge Flak­schwein­wer­fer – ei­ne Ar­beit, die das Ober­kom­man­do des Hee­res als „kriegs­ent­schei­den­d“ klas­si­fi­zier­te. Von Straß­burg floh er schlie­ß­lich vor der her­an­rü­cken­den Front.

In Bop­fin­gen grün­de­te er 1945 ein be­helfs­mä­ßi­ges La­bor. 1945–1947 ver­fass­te er das Lehr­buch „Ein­füh­rung in die Atom­phy­si­k“. Trotz ei­ner Ein­stu­fung als „Mit­läu­fer“ in ei­nem Ent­na­zi­fi­zie­rungs­ver­fah­ren von 1946 hat­te er kei­ne Aus­sicht auf ei­ne Pro­fes­sur in Deutsch­land. So ging er in die USA. Dort war er 1947–1952 als Gast­do­zent an der Ca­tho­lic Uni­ver­si­ty of Ame­ri­ca in Wa­shing­ton tä­tig. Gleich­zei­tig wirk­te er als Wis­sen­schaft­li­cher Be­ra­ter bei den En­gi­neer Re­se­arch and De­ve­lop­ment La­bo­ra­to­ries in Fort Bel­voir wie des Ca­li­for­nia In­sti­tuts of Tech­no­lo­gy. Ju­ni 1952 wur­de er Ab­tei­lungs­lei­ter des For­schungs­la­bors der Sie­mens-Schu­ckert-Wer­ke in Er­lan­gen, wo er als Pio­nier der deut­schen Re­ak­tor­tech­nik an der Ent­wick­lung neu­er Atom­kraft­wer­ke ar­bei­te­te. Seit 1955 war er Ho­no­rar­pro­fes­sor für Atom­phy­sik an der Uni­ver­si­tät Er­lan­gen, au­ßer­dem Mit­glied der Baye­ri­schen und der Deut­schen Atom­kom­mis­si­on. 1957 wur­de er Di­rek­tor der Ab­tei­lung Re­ak­to­r­ent­wick­lung der Sie­mens-Schu­ckert-Wer­ke, de­ren Ge­ne­ral­be­voll­mäch­tig­ter er 1963 wur­de. 1966/1967 am­tier­te er als Prä­si­dent der Deut­schen Phy­si­ka­li­schen Ge­sell­schaft.

Fin­keln­burg starb am 7.11.1967 in Er­lan­gen. Seit 1975 ver­leiht die Fried­rich-Alex­an­der-Uni­ver­si­tät Er­lan­gen-Nürn­berg den Wolf­gang-Fin­keln­burg-Ha­bi­li­ta­ti­ons­preis an Nach­wuchs­wis­sen­schaft­ler ih­rer Tech­ni­schen Fa­kul­tät.

Werke (Auswahl)

Über das Mo­le­kül­spek­trum des Was­ser­stoffs mit Wel­len­län­gen­mes­sun­gen von 3667 Li­ni­en zwi­schen λ 4861 und 3314 Å. E, Diss. Uni­ver­si­tät Bonn 1928.
Über das Emis­si­ons­spek­trum von kom­pri­mier­tem Was­ser­stoff so­wie ei­ni­ge Dru­cker­schei­nun­gen in Me­tall­dampf­spek­tren, Ha­bil.-Schrift TH Karls­ru­he 1931, in: Zeit­schrift für Phy­sik 70 (1931), Heft 5/6, S. 375-394.
Mo­le­kül- und Kris­tall­git­ter­spek­tren, Leip­zig 1934.
Kon­ti­nu­ier­li­che Spek­tren, Ber­lin 1938.
Phy­sik, Frei­burg 1942.
Phy­sik und Tech­nik des Hoch­strom­koh­le­bo­gens, Leip­zig 1944.
Ein­füh­rung in die Atom­phy­sik, Ber­lin [u. a.] 1948 [zahl­rei­che wei­te­re Auf­la­gen].
Hoch­strom­koh­le­bo­gen. Phy­sik und Tech­nik ei­ner Hoch­tem­pe­ra­tur-Bo­gen­ent­la­dung, Ber­lin 1948.
Ein­füh­rung in das Stu­di­um der Phy­sik, Hei­del­berg 1950.
(Hg.), Bun­sen-Ta­gung Bay­reuth, 27.-30. Mai 1954, Band 53, o. O. 1954.
Der Phy­si­ker, Mün­chen 1967.
Der Bon­ner Bund wäh­rend der Ver­bots­zeit, in: 100 Jah­re Ver­ein Deut­scher Stu­den­ten zu Bonn, Bonn 1982.

Literatur

Kant, Horst, Zur Ge­schich­te der Phy­sik an der Reichs­uni­ver­si­tät Straß­burg in der Zeit des Zwei­ten Welt­krie­ges, Ber­lin 1997 (Pre­print: Max-Planck-In­sti­tut für Wis­sen­schafts­ge­schich­te 73).
Kern­kraft­tech­nik. Zum Ge­den­ken an Wolf­gang Fin­keln­burg, Ber­lin 1968.
Mentzel, Fried­rich, Prof. Dr. Wolf­gang Fin­keln­burg, in: Aka­de­mi­sche Blät­ter 70 (1968), S. 10.
Neu­wirth, Hans, Zum 60. Ge­burts­tag von Bbr. Wolf­gang Fin­keln­burg, in: Aka­de­mi­sche Blät­ter 67 (1965), S. 194.
Plett­ner, Bern­hard: Ge­denk­re­de an­lä­ß­lich der Trau­er­fei­er für Wolfang Fin­keln­burg am 10. No­vem­ber 1967, in: Kern­kraft­tech­nik. Zum Ge­den­ken an Wolf­gang Fin­keln­burg, Ber­lin 1968, S. 4-5.
Volz, Hel­mut, An­spra­che bei der aka­de­mi­schen Ge­denk­fei­er zu Eh­ren von Wolf­gang Fin­keln­burg am 24. Fe­bru­ar 1968, in: Kern­kraft­tech­nik. Zum Ge­den­ken an Wolf­gang Fin­keln­burg, Ber­lin 1968, S. 6-9.
Wolf, Chris­ta, Ver­zeich­nis der Hoch­schul­leh­rer der TH Darm­stadt, Teil 1: Kurz­bio­gra­phi­en 1836–1945, Darm­stadt 1977, S. 50.
Deut­sche Bio­gra­phi­sche En­zy­klo­pä­die, Band 3, Mün­chen 1996, S. 304.
Klee, Ernst, Das Per­so­nen­le­xi­kon zum Drit­ten Reich, 2. Auf­la­ge, Frank­furt a. M. 2007, S. 150.
Grütt­ner, Mi­cha­el, Bio­gra­phi­sches Le­xi­kon zur na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Wis­sen­schafts­po­li­tik, Hei­del­berg 2004, S. 47-48.
Mei­er, Chris­ti­an, Le­gen­de vom Wi­der­stand der Phy­si­ker. Der Darm­städ­ter Phy­si­ker Fin­keln­burg ver­half 1940 Ein­steins „jü­di­scher Phy­si­k“ zur An­er­ken­nung, in: Darm­städ­ter Echo vom 2.3.2005.
Hoff­mann, Die­ter/Wal­ker, Mark, Phy­si­ker zwi­schen Au­to­no­mie und An­pas­sung. Die Deut­sche Phy­si­ka­li­sche Ge­sell­schaft im Drit­ten Reich, Wein­heim 2007.

 
Zitationshinweis

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Zirlewagen, Marc, Wolfgang Finkelnburg, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/wolfgang-finkelnburg-/DE-2086/lido/57c6ad4ac556e0.88918046 (abgerufen am 17.04.2024)