Becker, Thomas P. (Hg.), Zwischen Diktatur und Neubeginn. Die Universität Bonn im „Dritten Reich“ und in der Nachkriegszeit, Göttingen 2008

337 S., ISBN 978-3899714401, 65 Euro

Margret Wensky (Bonn)

Das Ver­hält­nis der Uni­ver­si­tä­ten und der wis­sen­schaft­li­chen Eli­ten zum „Drit­ten Reich“ ist ein zen­tra­les For­schungs­the­ma, das ne­ben den all­ge­mei­nen As­pek­ten je­de in die­ser Zeit be­ste­hen­de Hoch­schu­le für sich auf­ar­bei­ten muss. Die 1818 ge­grün­de­te Rhei­ni­sche Fried­rich-Wil­helms-Uni­ver­si­tät hat sich die­sem Pro­blem – auch für ei­ne brei­te­re Öf­fent­lich­keit er­kenn­bar - spä­tes­tens 1974 mit der Ver­öf­fent­li­chung von Paul Egon Hü­bin­ger über „Tho­mas Mann, die Uni­ver­si­tät Bonn und die Zeit­ge­schich­te“ ge­stellt, wor­in ein be­son­ders un­rühm­li­ches Ka­pi­tel der Bon­ner Uni­ver­si­täts­ge­schich­te, die Ab­er­ken­nung der dem Li­te­ra­tur­no­bel­preis­trä­ger 1920 ver­lie­he­nen Eh­ren­dok­tor­wür­de im Jah­re 1936 (wie­der zu­er­kannt 1946), be­han­delt wird. Im Jah­re 2000 er­schien schlie­ß­lich die ers­te Ge­samt­dar­stel­lung der Bon­ner Uni­ver­si­täts­ge­schich­te wäh­rend der NS-Zeit von Hans-Paul Ho­epfner („Die Uni­ver­si­tät Bonn im Drit­ten Reich“); der Un­ter­ti­tel „Aka­de­mi­sche Bio­gra­phi­en un­ter na­tio­nal­so­zia­lis­ti­scher Herr­schaf­t“ ist dem Um­stand ge­schul­det, dass die Sach­ak­ten der Uni­ver­si­tät aus der Wei­ma­rer wie der NS-Zeit ein Op­fer des Bom­ben­kriegs wur­den, wäh­rend die Per­so­nal­ak­ten er­hal­ten blie­ben.

Dass die Auf­ar­bei­tung der NS-Zeit und der un­mit­tel­ba­ren Nach­kriegs­zeit für die Bon­ner Uni­ver­si­tät wei­ter ein For­schungs­ob­jekt bleibt, zeigt der vor­lie­gen­de Sam­mel­band, der Vor­trä­ge ver­eint, die an­läss­lich der 60. Wie­der­kehr der Er­öff­nung der Uni­ver­si­tät am 6.11.1945 nach kriegs­be­ding­ter Schlie­ßung zum Win­ter­se­mes­ter 1944/1945 im Jah­re 2005 als Ring­vor­le­sung ge­hal­ten wur­den, er­gänzt um ei­nen Bei­trag von Er­win Gatz über die Ka­tho­lisch-Theo­lo­gi­sche Fa­kul­tät. Ein­ge­lei­tet wird der Band durch ei­ne grund­sätz­li­che Be­trach­tung von Klaus Hil­de­brand über „Uni­ver­si­tä­ten im ‚Drit­ten Reich’“, ge­folgt von Bei­trä­gen über ein­zel­ne Fa­kul­tä­ten, Fä­cher und For­scher der Uni­ver­si­tät in schwie­ri­ger Zeit: Die Evan­ge­lisch-Theo­lo­gi­sche Fa­kul­tät un­ter­sucht Wolf­ram Kin­zig, die Ju­ris­ti­sche Fa­kul­tät Ma­thi­as Schmoeckel, die Me­di­zi­ni­sche Fa­kul­tät Ralf Fors­bach, das Fach Kunst­ge­schich­te Ruth Hef­t­rig, die Psy­cho­lo­gie be­han­deln Ge­org Ru­din­ger und Ralph Stö­wer, wäh­rend der jü­di­sche Ma­the­ma­ti­ker Fe­lix Haus­dorff (er ver­öf­fent­lich­te auch un­ter dem Pseud­onym Paul Mon­gré), der am 26.1.1942 vor sei­ner De­por­ta­ti­on zu­sam­men mit sei­ner Frau und de­ren Schwes­ter den Frei­tod wähl­te, von Wal­ter Pur­kert ge­wür­digt wird.

Der Nach­kriegs­zeit sind sie­ben Bei­trä­ge ge­wid­met, be­gin­nend mit ei­nem Grund­satz­bei­trag über den Neu­be­ginn der deut­schen Uni­ver­si­tä­ten nach En­de des Zwei­ten Welt­kriegs von Joa­chim Schol­tyseck. Dem „Neu­be­ginn in Trüm­mern“, der Ge­schich­te der Uni­ver­si­tät von ih­rer Zer­stö­rung am 18.10.1944 bis zur Ab­set­zung des ers­ten Nach­kriegs­rek­tors am 1.4.1948, geht Chris­ti­an Ge­or­ge nach, wäh­rend der Rechts­his­to­ri­ker Gerd Klein­he­yer die Rechts- und Staats­wis­sen­schaft­li­che Fa­kul­tät nach der „Stun­de Nul­l“ un­ter­sucht. Ralf Fors­bach knüpft mit sei­nem Bei­trag „Der Kampf um Ge­rech­tig­keit. Zur Er­neue­rung der Me­di­zi­ni­schen Fa­kul­tät der Uni­ver­si­tät Bonn nach dem En­de der NS-Herr­schaf­t“ an sei­ne Aus­füh­run­gen zur NS-Zeit im ers­ten Teil des Ban­des an. Am 31.10.1945 teil­te die bri­ti­sche Mi­li­tär­re­gie­rung der Uni­ver­si­tät mit, dass nach der Wie­der­er­öff­nung zehn Pro­zent der 2.500 zur Ver­fü­gung ste­hen­den Stu­di­en­plät­ze für „Dis­play­ed Per­son­s“ zu re­ser­vie­ren sei­en. Die­ser recht he­te­ro­ge­nen Per­so­nen­grup­pe an der Uni­ver­si­tät zwi­schen 1945 und 1950 geht Lau­ra Han­ne­mann nach, wäh­rend Tho­mas Be­cker in sei­nem „Zei­ten des Hun­ger­s“ be­ti­tel­ten Bei­trag das prak­ti­sche Über­le­ben der Stu­den­ten an ei­ner zer­stör­ten Uni­ver­si­tät in ei­ner zer­stör­ten Stadt dar­stellt. Mi­cha­el Her­ken­hoff schlie­ß­lich un­ter­sucht den Wie­der­auf­bau der Uni­ver­si­täts­bi­blio­thek.

Der Band bie­tet wich­ti­ge Ein­bli­cke und Ein­sich­ten in die viel­sei­ti­gen Her­aus­for­de­run­gen, vor die der uni­ver­si­tä­re Wis­sen­schafts­be­trieb, der Lehr­kör­per wie die Stu­die­ren­den in NS-Zeit, Zwei­tem Welt­krieg und der un­mit­tel­ba­ren Nach­kriegs­zeit ge­stellt wa­ren.

Zitationshinweis

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Wensky, Margret, Becker, Thomas P. (Hg.), Zwischen Diktatur und Neubeginn. Die Universität Bonn im „Dritten Reich“ und in der Nachkriegszeit, Göttingen 2008, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Verzeichnisse/Literaturschau/becker-thomas-p.-hg.-zwischen-diktatur-und-neubeginn.-die-universitaet-bonn-im-dritten-reich-und-in-der-nachkriegszeit-goettingen-2008/DE-2086/lido/57d2671c848c48.49234891 (abgerufen am 28.03.2024)