Friederike Fliedner

Vorsteherin des Diakonissen-Mutterhauses Kaiserswerth (1800-1842)

Astrid Küntzel (Düsseldorf)

Friederike Fliedner. Zeichnung von Hans Junker, um 1954, Foto: Hans Junker. (Fliedner-Kulturstiftung Kaiserswerth)

Frie­de­ri­ke Wil­hel­mi­ne Flied­ner, ge­bo­re­ne Müns­ter, war als Ehe­frau und Mit­ar­bei­te­rin des evan­ge­li­schen Pfar­rers Theo­dor Flied­ner we­sent­lich an der Grün­dung und er­folg­rei­chen Ent­wick­lung der Dia­ko­nis­sen­an­stalt be­tei­ligt.

Frie­de­ri­ke Wil­hel­mi­ne Müns­ter wur­de am 25.1.1800 in Braun­fels, der Re­si­denz der Fürs­ten von Solms-Braun­fels im heu­ti­gen Hes­sen, ge­bo­ren. Ihr Va­ter An­dre­as Müns­ter (1775-1849) hat­te es, aus un­ge­bil­de­ten Ver­hält­nis­sen stam­mend, zum Leh­rer ge­bracht. Ih­re Mut­ter Loui­se Phil­ip­pi­ne, ge­bo­re­ne Hart­mann (1770-1816) war Zo­fe. Frie­de­ri­ke war die äl­tes­te von sie­ben Kin­dern.

 

Frie­de­ri­kes Kind­heit war von Ent­beh­run­gen ge­prägt. Als ih­re Mut­ter 1816 an Fleck­ty­phus starb, über­nahm die da­mals 16-jäh­ri­ge den gro­ßen Haus­halt, ver­sorg­te ih­ren Va­ter, ei­ne Gro­ß­mut­ter und ih­re Ge­schwis­ter. Im sel­ben Jahr er­hielt der Va­ter ei­ne Ver­trau­ens­stel­lung beim Fürs­ten von Solms-Braun­fels auf der Do­mä­ne Al­ten­berg bei Wetz­lar. Acht Mo­na­te nach dem Tod sei­ner Frau hei­ra­te­te Müns­ter er­neut. Frie­de­ri­ke blieb je­doch wei­ter­hin für ih­re klei­nen Ge­schwis­ter ver­ant­wort­lich. Halt gab ihr der re­for­ma­to­risch-evan­ge­li­sche Glau­be, der sie von frü­her Ju­gend an be­glei­te­te. Tief be­ein­druckt hat sie die Be­geg­nung mit zwei Bas­ler Mis­sio­na­ren, die völ­lig mit­tel­los im Sü­den Russ­lands mis­sio­nie­ren woll­ten.

Als ih­re jün­ge­ren Ge­schwis­ter alt ge­nug wa­ren, muss­te Frie­de­ri­ke für ihr ei­ge­nes Aus­kom­men sor­gen. So be­gann sie 1826 als Er­zie­he­rin in den Düs­seltha­ler (heu­te Stadt Düs­sel­dorf) Ret­tungs­an­stal­ten für ver­wahr­los­te Mäd­chen des Gra­fen Adal­bert von der Re­cke-Vol­mer­stein zu ar­bei­ten. Wäh­rend ih­rer Tä­tig­keit er­krank­te Frie­de­ri­ke le­bens­be­droh­lich. Au­ßer­dem gab es er­heb­li­che Mei­nungs­ver­schie­den­hei­ten in­ner­halb der An­stalt so­wie zwi­schen Frie­de­ri­ke und der An­stalts­lei­tung, so dass sie 1828 die An­stal­ten ver­ließ. Auf An­ra­ten ih­res Arz­tes er­hol­te sie sich an­schlie­ßend ei­ni­ge Mo­na­te bei der Fa­mi­lie Ja­co­bi auf Gut Pem­pel­fort (heu­te Stadt Düs­sel­dorf).

Wäh­rend die­ser Zeit er­reich­te sie der An­trags­brief Theo­dor Flied­ners, in dem die­ser in sach­li­chem Ton um ih­re Hand an­hielt. Flied­ner hat­te of­fen­bar ih­re Ar­beit in den Ret­tungs­an­stal­ten be­ob­ach­tet. In sei­nem Brief stell­te Flied­ner gleich die Be­din­gun­gen für die Ehe klar: Frie­de­ri­ke soll­te ihn als „Herr im Haus" ak­zep­tie­ren so­wie sei­nen Ein­satz für die Rhei­ni­sche Ge­fäng­nis­ge­sell­schaft, die er kurz zu­vor mit­ge­grün­det hat­te, be­din­gungs­los un­ter­stüt­zen. Frie­de­ri­ke, die sich ge­ra­de in ei­ner Pha­se der Neu­ori­en­tie­rung be­fand, nahm das An­ge­bot eben­so sach­lich an.

Am 15.4.1828 hei­ra­te­te das Paar in Ober­biel (heu­te Stadt Solms). En­de April zog Frie­de­ri­ke Flied­ner in das Kai­sers­wer­t­her Pfarr­haus ein. Dort über­nahm sie die Haus­halts­füh­rung, wäh­rend Theo­dor auf Rei­sen ging, um Geld für sei­ne Pro­jek­te zu sam­meln. Am 23.4.1830 brach­te sie ein Mäd­chen, Lui­se, zur Welt. Zu­vor war ein Jun­ge tot ge­bo­ren wor­den. Von elf ge­bo­re­nen Kin­dern er­reich­ten nur Lui­se (1830-1916), Wil­hel­mi­ne (Mi­na) (1835-1904) und Ge­org (1840-1916) das Er­wach­se­nen­al­ter. Das En­ga­ge­ment Frie­de­ri­ke Flied­ners für das Werk ih­res Man­nes muss vor die­sem Hin­ter­grund der ho­hen kör­per­li­chen und see­li­schen Be­las­tung durch die vie­len Ge­bur­ten ge­se­hen wer­den.

1833 be­gan­nen die Flied­ners mit ih­rem ers­ten ge­mein­sa­men Pro­jekt, ei­nem Asyl für ent­las­se­ne weib­li­che Straf­ge­fan­ge­ne. Frie­de­ri­ke ge­wann ei­ne Freun­din, Ka­tha­ri­na Gö­bel (1788-1855), als Vor­ste­he­rin des Hau­ses. Frie­de­ri­ke sam­mel­te Spen­den für die neue Ein­rich­tung, sorg­te für pas­sen­des Mo­bi­li­ar und küm­mer­te sich um die Buch­füh­rung. Den Sinn in dem Asyl sah Frie­de­ri­ke in sei­ner Wir­kung als „Zu­fluchts­ort un­ter den in­län­di­schen Hei­den", und: „Möch­te der Herr ei­nen rech­ten Mis­si­ons­sinn un­ter den Gläu­bi­gen für die Ge­fan­ge­nen er­we­cken!" Die­ser Ge­dan­ke taucht be­reits auf, be­vor Jo­hann Hin­rich Wi­chern (1808-1881) 15 Jah­re spä­ter den Be­griff der In­ne­ren Mis­si­on präg­te.

Die Ar­beit mit den straf­fäl­lig ge­wor­de­nen Frau­en er­wies sich als sehr müh­sam. Das Übel der Ver­wahr­lo­sung soll­te nun an der Wur­zel an­ge­packt wer­den. Nach­dem Theo­dor Flied­ner an ei­ner Klein­kin­der­schu­le in Düs­sel­dorf mit­wirk­te, schlug Frie­de­ri­ke die Ein­rich­tung ei­ner sol­chen Schu­le auch in Kai­sers­werth vor. Bei­de In­sti­tu­tio­nen, das Asyl und die Klein­kin­der­schu­le, wa­ren wich­ti­ge Vor­läu­fer der 1836 ge­grün­de­ten Dia­ko­nis­sen­an­stalt.

Die „Pfle­ge­rin­nen- oder Dia­ko­nis­sen­an­stalt" am Kai­sers­wer­t­her Markt be­ruh­te auf der Idee, die Kran­ken­pfle­ge zu pro­fes­sio­na­li­sie­ren und gleich­zei­tig un­ver­hei­ra­te­ten Frau­en ei­ne fun­dier­te Aus­bil­dung zu bie­ten, so dass sich ih­nen ei­ne Al­ter­na­ti­ve zur Hei­rat er­öff­ne­te. Das Haus in Kai­sers­werth wur­de als „Mut­ter­haus" be­zeich­net, da sich dort das Le­ben der Dia­ko­nis­sen in der Ge­mein­schaft ab­spiel­te. Um die­ses Le­ben, das auf Treue und Ge­hor­sam ge­grün­det war, zu or­ga­ni­sie­ren, muss­te das Amt der Vor­ste­he­rin mit ei­ner ge­eig­ne­ten Per­sön­lich­keit be­setzt wer­den. Als ers­tes kam Ger­tru­de Rei­chert (1788-1869), die je­doch bald über­for­dert war. Flied­ner be­müh­te sich sehr, Ama­lie Sie­veking (1794-1859) aus Ham­burg für das Amt zu ge­win­nen. Die­se lehn­te je­doch nach lan­ger Be­denk­zeit ab. Die von ihr emp­foh­le­ne Fran­zis­ka Leh­nert (ge­bo­ren 1800) er­wies sich al­ler­dings als cha­rak­ter­lich un­ge­eig­net. Um ei­ne wei­te­re län­ge­re Va­kanz des Vor­ste­he­rin­nen­amts zu ver­mei­den, über­nahm im Ja­nu­ar 1837 schlie­ß­lich Frie­de­ri­ke Flied­ner selbst die Stel­le, zu­sätz­lich zu ih­ren Pflich­ten als Ehe­frau, Mut­ter und Ver­sor­ge­rin des Pfarr­haus­hal­tes. Sie über­nahm das Amt in dem Be­wusst­sein, vom Herrn als Ge­hil­fin ih­res Man­nes be­ru­fen zu sein.

Frie­de­ri­kes Tä­tig­keit als Vor­ste­he­rin präg­te in den ers­ten Jah­ren we­sent­lich die in­ne­re Ent­wick­lung der Dia­ko­nis­sen­an­stalt. Der Be­ginn war durch­aus von Span­nun­gen ge­prägt, da sich zum Bei­spiel der An­stalts­arzt nichts von ei­ner Frau sa­gen las­sen woll­te. Dar­auf­hin ent­wi­ckel­te Theo­dor Flied­ner die „In­struk­ti­on für die Vor­ste­he­rin der Dia­ko­nis­sen­an­stalt", in der die Auf­ga­ben der Vor­ste­he­rin ge­nau de­fi­niert wa­ren. Die Vor­ste­he­rin war ne­ben der öko­no­mi­schen und per­so­nel­len Lei­te­rin des Mut­ter­hau­ses auch Er­zie­he­rin und Mut­ter für die ein­tre­ten­den Dia­ko­nis­sen. Zu­sätz­lich be­tei­lig­te sie sich ak­tiv an der Be­treu­ung und Pfle­ge der Kran­ken. „Über­haupt, al­le hat sie mit un­par­tei­li­cher Lie­be zu um­fas­sen und da­hin zu wir­ken, daß je­des Glied der An­stalt in Ei­nig­keit und pünkt­li­chem, wil­li­gem Ge­hor­sam har­mo­nisch zum Wohl des Gan­zen wie sei­ner selbst wir­ke."

Frie­de­ri­ke reis­te auch zu den ent­ste­hen­den Au­ßen­sta­tio­nen der Dia­ko­nie, um sich vor Ort um die haus­wirt­schaft­li­chen Be­lan­ge und die dort tä­ti­gen Dia­ko­nis­sen zu küm­mern. Sie füll­te das Amt mit Hin­ga­be bis zur Selbst­ver­leug­nung aus. Die­se Art der Fröm­mig­keit wirk­te prä­gend auf die ers­te Dia­ko­nis­sen­ge­ne­ra­ti­on und die Ar­beit im Mut­ter­haus ins­ge­samt.

Frie­de­ri­kes per­sön­li­che Fröm­mig­keit half ihr auch, ei­ni­ge Schick­sals­schlä­ge zu ver­kraf­ten. Ne­ben Fehl- und Tot­ge­bur­ten ver­lor sie 1841 bei ei­ner Ty­phuse­pi­de­mie zwei ih­rer Kin­der, Jo­han­na und Si­mo­net­ta.

Ge­schwächt durch die An­stren­gun­gen der vie­len Ge­bur­ten und das ar­beits­rei­che Le­ben starb Frie­de­ri­ke Flied­ner am 22.4.1842 bei der Ge­burt ih­res elf­ten Kin­des, das am 25. April mit ihr zu­sam­men auf dem Kai­sers­wer­t­her Fried­hof be­er­digt wur­de.

Nachlass

Der Nach­lass Frie­de­ri­ke Flied­ners be­fin­det sich im Ar­chiv der Flied­ner-Kul­tur­stif­tung.

Quellen (Auswahl)

Sti­cker, An­na, Frie­de­ri­ke Flied­ner und die An­fän­ge der Frau­en­dia­ko­nie. Ein Quel­len­buch, Neu­kir­chen-Vluyn 1961.

Literatur

Flied­ner, Lui­se, Frie­de­ri­ke Flied­ner. Aus dem Le­ben der ers­ten Dia­ko­nis­sen­mut­ter zu Kai­sers­werth, Düs­sel­dorf-Kai­sers­werth o.J.
Fried­rich, Nor­bert, Die Flied­ners von Kai­sers­werth. Theo­dor, Frie­de­ri­ke und Ca­ro­li­ne Flied­ner. Ein ge­mein­sa­mes Le­bens­bild, in: Mau, Ru­dolf (Hg.): Pro­tes­tan­tis­mus in Preu­ßen. Le­bens­bil­der aus sei­ner Ge­schich­te, Band 2: Vom Uni­ons­auf­ruf 1817 bis zur Mit­te des 19. Jahr­hun­derts, Frank­furt a. M. 2009, S. 215-241.
Köh­ler-Lut­ter­beck, Ur­su­la/Sie­den­topf, Mo­ni­ka, Frie­de­ri­ke Wil­hel­mi­ne Flied­ner (1800-1842), in: Köh­ler-Lut­ter­beck, Ur­su­la/Sie­den­topf, Mo­ni­ka, Frau­en im Rhein­land. Au­ßer­ge­wöhn­li­che Bio­gra­phi­en aus der Mit­te Eu­ro­pas, Köln 2001, S. 78-83.
Sti­cker, An­na, Theo­dor und Frie­de­ri­ke Flied­ner, Wup­per­tal/Zü­rich 1989.

Online

Die Flied­ner-Kul­tur­stif­tung Kai­sers­wer­t­h (Un­fang­rei­ches In­for­ma­ti­ons­an­ge­bot über das Wir­ken Frie­de­ri­ke und Theo­dor Flied­ners, in­klu­si­ve Kurz­bio­gra­phi­en). [On­line]
Flied­ner­ar­chiv – Nach­läs­se der Fa­mi­lie Flied­ner (PDF-Da­tei auf der Web­site der Flied­ner-Kul­tur­stif­tung Kai­sers­werth). [On­line]

Die Diakonissenanstalt in Kaiserswerth um 1850, Gemälde. (Fliedner Kulturstiftung Kaiserswerth)

 
Zitationshinweis

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Küntzel, Astrid, Friederike Fliedner, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/friederike-fliedner-/DE-2086/lido/57c6ade39d12e1.47950339 (abgerufen am 28.03.2024)