Hermann Wandersleb

Chef der Landeskanzlei NRW (1895-1977)

Maria Th. Dix

Hermann Wandersleb 1949, s/w-Foto. (Landesarchiv NRW Abteilung Rheinland)

Her­mann Max Wan­ders­leb, „Bon­ni­fa­ci­us", Bon­ner Eh­ren­bür­ger, schuf durch sei­nen en­ga­gier­ten Ein­satz die Vor­aus­set­zun­gen da­für, dass Bonn 1949 Bun­des­haupt­stadt wur­de.

Der Sohn ei­nes Ver­wal­tungs­be­am­ten aus dem Un­st­rut­tal wur­de am 22.8.1895 in der Thea­ter­stadt Mei­nin­gen (Thü­rin­gen) ge­bo­ren, der Hei­mat sei­ner jü­di­schen Mut­ter. Kind­heit und Ju­gend ver­brach­te er in Mer­se­burg und Hal­le, wo er nach dem Ab­itur am Stadt­gym­na­si­um auch das Ju­ra­stu­di­um auf­nahm. Bei Kriegs­aus­bruch 1914 mel­de­te er sich frei­wil­lig und dien­te, we­gen sei­ner lo­gis­ti­schen Fä­hig­kei­ten rasch zum Leut­nant be­för­dert, bis zum Kriegs­en­de. 1919 nahm er in Ber­lin das Stu­di­um wie­der auf. Gleich­zei­tig en­ga­gier­te er sich als Vor­sit­zen­der der rechts- und staats­wis­sen­schaft­li­chen Fach­grup­pe der Deut­schen Stu­den­ten­schaft. 1921 wur­de er in Hei­del­berg bei dem Staats­recht­ler Ger­hard An­schütz (1867-1948) zum Doc­tor ju­ris pro­mo­viert.

Ei­ner Ver­wal­tungs­lauf­bahn im preu­ßi­schen Staats­dienst schloss sich 1927 die Er­nen­nung zum Land­rat des Krei­ses Quer­furt an. Nach der „Macht­über­nah­me" der Na­tio­nal­so­zia­lis­ten wur­de er im März 1933 durch Gau­lei­ter Ru­dolf Jor­dan (1902-1988), der mit ei­nem Trupp SA Män­nern im Quer­fur­ter Kreis­haus auf­mar­schier­te, aus dem Amt ent­fernt. Be­reits im Mai er­wirk­te Wan­ders­leb, trotz sei­ner „nich­ta­ri­schen" Ab­stam­mung, die Wie­der­ein­stel­lung und wur­de wäh­rend der NS-Zeit, wenn auch nur als Be­am­ter mit dem Vor­be­halt des „täg­li­chen Wi­der­rufs", bei der Be­zirks­re­gie­rung in Aa­chen be­schäf­tigt.

Der 1945 durch die Mi­li­tär­re­gie­rung ver­an­lass­ten Tei­lung der Rhein­pro­vinz wi­der­sprach er in ei­ner Denk­schrift ent­schie­den. Den­noch wur­de er zum Vi­ze­prä­si­den­ten der Nord­rhein­pro­vinz er­nannt. Mit gro­ßem Ge­schick und Ein­satz or­ga­ni­sier­te er die Wie­der­her­stel­lung ei­ner funk­ti­ons­fä­hi­gen Be­hör­de und die Ver­sor­gung der Be­völ­ke­rung, ei­ne Auf­ga­be, die häu­fig nur die Ver­wal­tung des Man­gels be­deu­te­te. Als ein­zi­ger hö­he­rer Be­am­ter wur­de er 1946 bei der Grün­dung des Lan­des Nord­rhein-West­fa­len über­nom­men und zum Chef der Staats­kanz­lei er­nannt. Hier setz­te er sich er­neut für den zü­gi­gen Auf­bau ei­ner Ver­wal­tung ein. Sei­nem Res­sort fiel 1948 die Auf­ga­be zu, ei­nen ge­eig­ne­ten Ta­gungs­ort für den Par­la­men­ta­ri­schen Rat zu fin­den. Er plä­dier­te für Bonn, wo er im Vor­jahr ei­nen Kurs für Ver­wal­tungs­be­am­te durch­ge­führt hat­te und sehr gast­freund­lich auf­ge­nom­men wor­den war. Wei­te­re ins Au­ge ge­fass­te Ta­gungs­or­te wa­ren Köln un­d Düs­sel­dorf – die Köl­ner Stadt­obe­ren lehn­ten ob ih­rer stark zer­stör­ten Stadt ab, Düs­sel­dorf re­agier­te nur sehr zö­ger­lich auf die An­fra­ge. Die Bon­ner je­doch be­kun­de­ten so­gleich ihr In­ter­es­se und lie­ßen deut­lich er­ken­nen, dass sie ger­ne be­reit sei­en, al­les zu tun, um die Ab­ge­ord­ne­ten un­ter­zu­brin­gen.

Noch vor der Kon­sti­tu­ie­rung des Par­la­men­ta­ri­schen Ra­tes hat­te der spä­te­re Rats­prä­si­den­t Kon­rad Ade­nau­er Wan­ders­leb ge­gen­über Bonn be­reits als Sitz der künf­ti­gen Bun­des­or­ga­ne in Er­wä­gung ge­zo­gen. Eben­so hat­te Frank­furt sich als Kan­di­dat für den Bun­des­sitz be­wor­ben. Ne­ben den Län­der­in­ter­es­sen - das zur ame­ri­ka­nisch be­setz­ten Zo­ne ge­hö­ren­de Hes­sen plä­dier­te für Frank­furt, wäh­rend das zur bri­ti­schen Zo­ne ge­hö­ren­de Nord­rhein-West­fa­len Bonn prä­fe­rier­te -, stan­den sich auch die der bei­den grö­ß­ten Par­tei­en, CDU für Bonn und SPD für Frank­furt, ent­ge­gen. Die Pres­se stand ein­deu­tig auf Sei­ten Frank­furts, le­dig­lich zehn von 150 deut­schen und kei­ne aus­län­di­sche Zei­tung spra­chen sich für Bonn aus. Den­noch ge­lang es Wan­ders­leb, den Par­la­men­ta­ri­ern den Auf­ent­halt in Bonn so an­ge­nehm zu ge­stal­ten, dass sie am 10.5.1949 in ei­ner vom Frank­fur­ter Ober­bür­ger­meis­ter Wal­ter Kolb (1902-1956) als „Un­glück für Deutsch­land" be­zeich­ne­ten über­aus knap­pen Ent­schei­dung mit 33 ge­gen 29 Stim­men für die Beet­ho­ven­stadt als vor­läu­fi­gen Bun­des­sitz vo­tier­ten. Die Ent­schei­dung soll­te je­doch nach der Re­gie­rungs­bil­dung über­prüft wer­den. Das er­bit­ter­te Rin­gen zwi­schen Bonn und dem un­ter­le­ge­nen Be­wer­ber Frank­furt wur­de nun in den Mo­na­ten bis zur Ab­stim­mung im No­vem­ber fort­ge­setzt. Bei­de kämpf­ten mit har­ten Ban­da­gen, Wan­ders­leb für Bonn stets an vor­ders­ter Front. Wi­der­stän­de und An­fein­dun­gen be­leb­ten ihn, be­son­ders der Ver­tre­ter der Frank­fur­ter Rund­schau er­wies sich als har­ter und kei­nes­wegs fai­rer Geg­ner. Die er­neu­te Ab­stim­mung am 3.11.1949 mit 200 ge­gen 176 Stim­men zu­guns­ten Bonns trug Wan­ders­leb den Ruf des „Bon­ni­fa­ci­us" ein, den zu hö­ren er künf­tig aufs Äu­ßers­te ge­noss.

Für ihn stell­te sich nun die Fra­ge ei­ner Rück­kehr in die Lan­des­kanz­lei nach Düs­sel­dorf oder in Bonn zu blei­ben. Er ent­schied sich, Ade­nau­ers An­ge­bot an­zu­neh­men, als Staats­se­kre­tär in das Bun­des-Bau-Mi­nis­te­ri­um zu wech­seln. Zu sei­nen be­son­de­ren Leis­tun­gen ge­hö­ren die in die­ser Zeit ge­schaf­fe­nen Ge­set­ze und Ver­ord­nun­gen eben­so, wie sein wei­ter­hin en­ga­gier­tes Ein­tre­ten für den Aus­bau der Bun­des­haupt­stadt. Es fehl­ten Dienst­räu­me für die häu­fig in Pro­vi­so­ri­en wie ehe­ma­li­gen Ka­ser­nen un­ter­ge­brach­ten Mi­nis­te­ri­en so­wie Wohn­raum für Ab­ge­ord­ne­te und Be­diens­te­te. Ein ers­tes Zei­chen hat­te er 1949 mit dem Bau­be­ginn für die ers­te Bon­ner Bun­des­sied­lung, die Reu­ter­sied­lung, für das En­ga­ge­ment des Bun­des bei der Wohn­raum­be­schaf­fung ge­setzt. Wie­der­auf­bau und Be­reit­stel­lung von Wohn­raum, nicht zu­letzt für den ste­tig an­wach­sen­den Flücht­lings­strom, präg­ten Wan­ders­lebs Ar­beits­be­reich ge­ra­de in den ers­ten Jah­ren der Bun­des­re­pu­blik eben­so, wie die Pfle­ge en­ger Kon­tak­te zur Bau- und Fi­nanz­wirt­schaft.

Wäh­rend der letz­ten Jah­re sei­ner Staats­se­kre­tärs-Tä­tig­keit wid­me­te sich Wan­ders­leb in­ten­siv dem Ver­fas­sen des drei­bän­di­gen Stan­dard­werks „Hand­wör­ter­buch des Städ­te­bau­es, Woh­nungs- und Sied­lungs­we­sens", das bei sei­nem Aus­schei­den aus dem Dienst vor­ge­legt wur­de. Den Mi­nis­tern Eber­hard Wil­der­muth (1890-1952), Fritz Neu­may­er (1884-1973) und Vik­tor Ema­nu­el Preus­ker (1913-1991) hat­te Wan­ders­leb seit 1950 loy­al ge­dient. Nach der Bun­des­tags­wahl 1957, bei der die CDU die ab­so­lu­te Mehr­heit er­rang, wur­de der CDU-Ab­ge­ord­ne­te Paul Lü­cke Bau­mi­nis­ter, lang­jäh­ri­ger Vor­sit­zen­der des Bau­aus­schus­ses und seit die­ser Zeit we­gen häu­fi­ger Mei­nungs­un­ter­schie­de über­zeug­ter Wi­der­sa­cher Wan­ders­lebs. Es ge­lang ihm zwar nicht so­fort, den Staats­se­kre­tär aus dem Amt zu drän­gen, aber 1959 konn­te er Ade­nau­er da­von über­zeu­gen, dass ei­ne ge­deih­li­che Zu­sam­men­ar­beit nicht län­ger mög­lich sei.

Der Aus­boo­tung kurz vor Er­rei­chen der Al­ters­gren­ze traf den Mann tief, dem noch 1957 für sei­ne „gro­ßen Ver­diens­te für sei­ne Mit­bür­ger und die deut­sche De­mo­kra­tie" das Gro­ße Bun­des­ver­dienst­kreuz mit Stern und Schul­ter­band ver­lie­hen wor­den war. Er wur­de zwar mit der eh­ren­vol­len Er­nen­nung zum Ge­schäfts­füh­rer der bun­des­ei­ge­nen Ge­sell­schaft für Kern­for­schung in Karls­ru­he ent­schä­digt, hin­ter­ließ in die­ser Stel­lung aber kei­ne be­son­de­ren Spu­ren und kehr­te nach Ab­lauf sei­nes Ver­tra­ges um­ge­hend nach Bonn zu­rück.

Auch im Ru­he­stand lie­ßen ihn die Ge­schi­cke „sei­ner" Haupt­stadt nicht ru­hen. Die Bon­ner Le­se­ge­sell­schaft, der Män­ner­ge­sang­ver­ein und die Bon­ner Kar­ne­va­lis­ten nah­men ihn in ih­re Rei­hen auf. Ak­tiv hat­te er sich seit sei­ner Aa­che­ner Zeit im rhei­ni­schen Kar­ne­val en­ga­giert. Sei­ne Auf­trit­te bei der Ver­lei­hung des „Or­dens wi­der den tie­ri­schen Ernst" als Bun­des­tags­po­lier wa­ren le­gen­där und ei­ne ge­lun­ge­ne Vor­be­rei­tung für sei­ne Ak­ti­vi­tä­ten im Bon­ner Kar­ne­val.

Ei­nen let­zen Dienst er­wies er der Stadt, als er an­reg­te, Bonn mö­ge sich ge­mein­sam mit Beu­el und Bad Go­des­berg, da­mals noch selb­stän­di­ge Städ­te, um die Aus­rich­tung der Bun­des­gar­ten­schau be­wer­ben. Das von ihm vor­ge­schla­ge­ne Ge­län­de in der Gro­nau kön­ne die Städ­te, für die bei der kom­mu­na­len Neu­ord­nung 1969 ei­ne Zu­sam­men­füh­rung an­stand, in der ge­mein­sa­men Auf­ga­be ei­nen. Er knüpf­te Kon­tak­te zu den Aus­rich­tern der Karls­ru­her Gar­ten­schau, mit de­nen er seit sei­ner Zeit bei der Ge­sell­schaft für Kern­for­schung in Ver­bin­dung stand. Je­doch war ihm nicht mehr ver­gönnt, den Er­folg der Gar­ten­schau zu er­le­ben. Er starb am 19.5.1977 und wur­de auf dem Al­ten Fried­hof bei­ge­setzt, ei­ne letz­te Eh­rung, die die Stadt Bonn ih­rem Eh­ren­bür­ger, nach dem sie auch ei­nen viel be­fah­re­nen Teil der B 56 be­nann­te, zu­kom­men ließ.

Wan­ders­leb war in ers­ter Ehe ver­hei­ra­tet mit El­frie­de Eng­ler (1895-1970); aus die­ser Ehe hat­te er zwei Kin­der, in zwei­ter Ehe hei­ra­te­te er die ge­bür­ti­ge Irin Cai­trio­na Hertz (1919-2002), Wit­we des Bon­ner Pro­fes­sors für Kel­to­lo­gie, Ru­dolf Hertz (1897-1965).

Werke

Der Auf­bau der Lan­des­re­gie­rung von Nord­rhein-West­fa­len, in: Recht, Staat und Wirt­schaft. Schrif­ten­rei­he für Staats­wis­sen­schaft­li­che Fort­bil­dung, Band 1, Stutt­gart/Köln 1949, S. 131-147.
Hand­wör­ter­buch des Städ­te­bau­es, Woh­nungs- und Sied­lungs­we­sens, Stutt­gart 1959.

Festschrift

Preus­ker, Vik­tor-Ema­nu­el, Fest­schrift für Her­mann Wan­ders­leb – zur Voll­endung des 75. Le­bens­jah­res, Bonn 1970.

Quellen

Stadt­ar­chiv Bonn, Nach­lass Her­mann Wan­ders­leb (1895-1977)

Literatur

Bö­ger, Hel­mut/Krü­ger, Ger­hard, Be­rühm­te & be­rüch­tig­te Bon­ner – 40 Por­träts, Wup­per­tal 1991.
Dre­her, Klaus, Ein Kampf um Bonn, Mün­chen 1979.
Hen­kels, Wal­ter, 99 Bon­ner Köp­fe,  Düs­sel­dorf/Wien 1963.
Höroldt, Diet­rich, Her­mann Wan­ders­leb, in: Först, Wal­ter (Hg.), Aus drei­ßig Jah­ren – Rhei­nisch-west­fä­li­sche Po­li­ti­ker-Por­träts, Köln/Ber­lin 1979, S. 222-231.

Online

Ga­let­ti, Ni­no, Re­si­denz am Rhein. Die Wahl von Bonn zur Bun­des­haupt­stadt, in: Die Po­li­ti­sche Mei­nung 473 (2009), S. 25-29 (Text als PDF-Do­ku­ment auf der Web­site der Kon­rad-Ade­nau­er-Stif­tung). [On­line]

 
Zitationshinweis

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Dix, Maria Th., Hermann Wandersleb, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/hermann-wandersleb/DE-2086/lido/57c832d99984a1.10175189 (abgerufen am 29.03.2024)