Johann Nikolaus von Hontheim

Weihbischof von Trier (1701-1790)

Gunther Franz (Trier)

Weihbischof Johann Nikolaus von Hontheim, Ölgemälde, zugeschrieben Heinrich Foelix (1732-1803), um 1765, Original im Stadtmuseum Trier, Foto: Bernhard-Mathias Lutz. (Stadtbibliothek Trier)

Der Trie­rer Weih­bi­schof Jo­hann Ni­ko­laus von Hont­heim war als His­to­ri­ker und Kir­chen­recht­ler (mit dem Pseud­onym Jus­ti­nus Fe­bro­ni­us) ein wich­ti­ger Ver­tre­ter der ka­tho­li­schen Auf­klä­rung.

Jo­hann Ni­ko­laus Hont­heim wur­de am 27.1.1701 in Trier ge­bo­ren. Er ent­stamm­te alt­ein­ge­ses­se­nen, an­ge­se­he­nen Fa­mi­li­en: Sein Va­ter Carl Cas­par von Hont­heim (1659-1724) war Ge­ne­ral­ein­neh­mer des Ober­erz­stifts. Mehr­fach be­klei­de­te er das Amt des Trie­rer Bür­ger­meis­ters. Sei­ne Mut­ter An­na Mar­ga­re­the, ge­bo­re­ne An­et­han (1668-1748) war die Toch­ter ei­nes Co­che­mer Amts­kel­lers.

Jo­hann Ni­ko­laus er­hielt mit zwölf Jah­ren die An­wart­schaft auf ein Ka­no­ni­kat des St. Si­me­on­stifts in Trier, dem füh­ren­de Be­am­te des Kur­staa­tes an­ge­hör­ten. Er be­such­te das Je­sui­ten­gym­na­si­um, stu­dier­te Rechts­wis­sen­schaft und Theo­lo­gie in Trier, Lö­wen und Lei­den und wur­de 1724 in sei­ner Hei­mat­stadt zum Dok­tor bei­der Rech­te pro­mo­viert. In Lö­wen war er Schü­ler des gal­li­ka­nisch-jan­se­nis­ti­schen Ka­no­nis­ten Ze­ger Bern­hard van Es­pen (1646-1728).

Von 1726 bis 1727 reis­te Hont­heim als Ka­no­ni­ker des Si­me­on­stifts we­gen ei­nes Rechts­streits nach Rom. 1733 bis 1738 war er Pro­fes­sor des Rö­mi­schen Rechts in Trier, 1738 Ge­ne­ral­vi­kar und Of­fi­zi­al (geist­li­cher Rich­ter) für das Un­ter­erz­stift in Ko­blenz, 1748 Weih­bi­schof in Trier, der Ver­tre­ter des nicht­stu­dier­ten hoch­ad­li­gen Kur­fürs­ten und Erz­bi­schofs, und Ge­ne­ral­vi­kar so­wie Of­fi­zi­al für das Ober­erz­stift. Hont­heim ver­trat den Me­tro­po­li­ten in der Trie­rer Kir­chen­pro­vinz mit den loth­rin­gi­schen Bis­tü­mern Metz, Toul und Ver­dun und war be­son­ders für die „Ter­ra gal­li­ca" so­wie die deutsch­spra­chi­gen Ge­bie­te des Erz­bis­tums in den ös­ter­rei­chi­schen Nie­der­lan­den (Lu­xem­burg) und Frank­reich (Loth­rin­gen) zu­stän­dig. Au­ßer­dem wur­de er zum Stifts­de­kan von St. Si­me­on ge­wählt.

Nach­dem der Ju­rist, zu des­sen Do­mä­ne die Ge­schichts­wis­sen­schaft ge­hör­te, seit 1728 um­fang­rei­che Ma­te­ri­al­samm­lun­gen an­ge­legt hat­te, er­schien 1750 die „His­to­ria Tre­vi­ren­sis di­plo­ma­ti­ca et prag­ma­ti­ca" in drei Bän­den. Hont­heim grup­pier­te den Stoff um 1.395 Ur­kun­den und Ak­ten­stü­cke, die er mit An­no­ta­tio­nen ver­sah. 1757 folg­te der „Pro­dro­mus" (Vor­läu­fer) für die Trie­rer Früh­ge­schich­te. Die kri­ti­sche Dar­stel­lung geht auf das Vor­bild der Mau­ri­ner und Hol­län­der zu­rück, konn­te sich mit den an­de­ren His­to­ri­kern der Zeit oh­ne wei­te­res mes­sen und ist heu­te noch zu be­nut­zen.

An der Neu­aus­ga­be des Bis­tums­bre­viers („Bre­vi­a­ri­um Tre­vi­ren­se") 1748 war Hont­heim be­tei­ligt. 1767 gab er das „Ri­tua­le Tre­vi­ren­se" her­aus; der Ent­wurf ei­nes Diö­ze­san­mess­buchs ge­lang­te nicht zum Druck. Mit Sym­pa­thie be­ob­ach­te­te der Weih­bi­schof die lit­ur­gi­schen Er­neue­rungs­be­stre­bun­gen in der fran­zö­si­schen Kir­che, die auch die Bis­tü­mer Metz, Toul und Ver­dun er­fasst hat­ten. Da­bei soll­ten die Trie­rer Ei­gen­hei­ten er­hal­ten blei­ben.

Der Weih­bi­schof war als Stell­ver­tre­ter des Kur­fürs­ten auch Vi­ze­kanz­ler der Lan­des­uni­ver­si­tät in Trier. Da­bei un­ter­stütz­te er den 1760 nach Trier ge­hol­ten Ka­no­nis­ten Pro­fes­sor Chris­toph Ge­org Nel­ler (1709-1788) im Kampf ge­gen die seit 200 Jah­ren (1560) be­ste­hen­de Vor­herr­schaft der Je­sui­ten, die die Phi­lo­so­phi­sche und die Theo­lo­gi­sche Fa­kul­tä­ten in Hän­den hat­ten. De­ren ur­sprüng­lich mo­der­ne Lehr­tä­tig­keit wi­der­sprach zu­neh­mend den Ge­dan­ken der Auf­klä­rung. 1768 wur­de ein um­fas­sen­des Re­form­pro­gramm für die Uni­ver­si­tät, die Gym­na­si­en in Ko­blenz und Trier und die nie­de­ren Schu­len im Kur­staat er­las­sen. Das ge­sam­te Un­ter­richts­we­sen soll­te im Sin­ne der Auf­klä­rung stär­ker am Nut­zen für den Staat ori­en­tiert wer­den.

1763 er­schien un­ter dem (nach Hont­heims Schwes­ter und Nich­te Fe­bro­nia ge­wähl­ten) Pseud­onym „Jus­ti­nus Fe­bro­ni­us" das Auf­se­hen er­re­gen­de Werk „De sta­tu eccle­siae et le­gi­ti­ma po­testa­te Ro­ma­ni Pon­ti­fi­cis" (Von der Ver­fas­sung der Kir­che und der recht­mä­ßi­gen Ge­walt des Rö­mi­schen Paps­tes). Be­reits im fol­gen­den Jahr wur­de das Buch von der rö­mi­schen Ku­rie ver­ur­teilt (auf den In­dex ge­setzt) und der Au­tor ent­tarnt. Vie­le Ge­dan­ken ge­hen auf den Würz­bur­ger Ka­no­nis­ten Jo­hann Kas­par Bart­hel (1697-1771) zu­rück; gan­ze Par­ti­en des „Fe­bro­ni­us" stam­men von Hont­heims Freund Nel­ler. Hont­heim konn­te um­fas­sen­de kir­chen­recht­li­che und his­to­ri­sche Stu­di­en und sei­ne Er­fah­run­gen mit staats­kirch­lich ori­en­tier­ten Re­gie­run­gen (Ös­ter­reich und Frank­reich) ein­brin­gen.

Wie in den ers­ten acht Jahr­hun­der­ten der Kir­chen­ge­schich­te soll­te der Pri­mat des Paps­tes auf ei­nen Eh­ren­vor­rang be­schränkt wer­den. Ei­ne mit der Ge­richts­bar­keit der Bi­schö­fe kon­kur­rie­ren­de Ju­ris­dik­ti­on ste­he dem Papst nicht zu. Un­fehl­bar sei­en nur die Kir­che und ein all­ge­mei­nes Kon­zil. Der „Fe­bro­ni­us" streb­te kei­ne deut­sche Na­tio­nal­kir­che und kein Staats­kir­chen­tum an, wohl aber die Si­che­rung der erz­bi­schöf­li­chen und bi­schöf­li­chen Rech­te durch das Reich, den Staat. Durch die Be­ru­fung auf die frü­he Kir­che, Bi­bel und Kir­chen­vä­ter, Ab­stel­lung der Miss­stän­de und die Be­schrän­kung der päpst­li­chen Macht soll­te das Werk zur Wie­der­ver­ei­ni­gung der Kon­fes­sio­nen bei­tra­gen, wo­bei Hont­heim die theo­lo­gi­schen Dif­fe­ren­zen un­ter­schätz­te.

„De sta­tu eccle­siae" er­reg­te ei­ne um­fas­sen­de po­le­mi­sche und wis­sen­schaft­li­che Dis­kus­si­on. Neu­auf­la­gen und Fort­set­zun­gen er­schie­nen 1765 bis 1770. In Spa­ni­en und Por­tu­gal er­lang­te es die Be­deu­tung ei­nes kirch­li­chen Ge­setz­bu­ches. Auf die gro­ße Po­li­tik wirk­te „Fe­bro­ni­us" durch die Ko­blen­zer Gra­va­mi­na von 1769. Ver­tre­ter der drei rhei­ni­schen Erz­bi­schö­fe for­der­ten die Wie­der­her­stel­lung der „alt-ur­sprüng­li­chen" bi­schöf­li­chen Rech­te und die Stär­kung der Rech­te der Me­tro­po­li­ten. Die „Em­ser Punk­ta­ti­on" von 1786 war ein Pro­gramm zur Re­form der Reichs­kir­che und ei­ne Kampf­an­sa­ge ge­gen die päpst­li­chen Nun­tia­tu­ren. Eben­falls nur ein Schein­sieg war, dass bei der Kai­ser­wahl Leo­polds II. (Re­gie­rungs­zeit  1790-1792) 1790 die Ju­ris­dik­ti­on der Nun­ti­en im Reich be­schränkt wer­den soll­te.

Auf an­hal­ten­den Druck von Papst Pi­us VI. (Pon­ti­fi­kat 1775-1799), dem sich der Trie­rer Erz­bi­schof Cle­mens Wen­zes­laus von Sach­sen an­schloss, un­ter­zeich­ne­te Hont­heim 1778 den Wi­der­ruf der Leh­ren von „De sta­tu eccle­siae". Dies hat den from­men und pflicht­be­wuss­ten Ge­lehr­ten, der sich für sei­ne Kir­che ein­setz­te, in schwe­re Ge­wis­sens­kon­flik­te ge­stürzt. Wäh­rend die Ku­rie fei­er­lich den Sieg ver­kün­de­te, nach der al­ten Auf­fas­sung, dass ei­ne Irr­leh­re nicht durch Sach­ar­gu­men­te wi­der­legt wer­den müs­se, son­dern am bes­ten durch den Wi­der­ruf des Au­tors aus der Welt ge­schafft wer­den kön­ne, mein­te Hont­heim, dass es auf ihn per­sön­lich gar nicht mehr an­kom­me, nach­dem die Leh­ren von der Welt ge­le­sen und an­ge­nom­men sei­en.

In dem 1781 ver­öf­fent­lich­ten Kom­men­tar zum Wi­der­ruf („Com­men­ta­ri­us in suam retrac­ta­tio­nem") schwäch­te er die­sen weit­ge­hend ab. 1777 wur­de Hont­heim mit Jean Ma­rie Cuchot d’Her­bain (1727-1801) ein ku­ri­al ge­sinn­ter Geg­ner des „Fe­bro­ni­us" an die Sei­te ge­stellt. Im fol­gen­den Jahr gab er sein Ka­no­ni­kat an St. Si­me­on und das Amt des Ge­ne­ral­vi­kars ab und zog sich auf sein Schloss Mont­quin­tin im Lu­xem­bur­gi­schen (heu­te Rui­ne bei Vir­ton in Bel­gi­en) zu­rück.

Jo­hann Ni­ko­laus von Hont­heim starb am 2.9.1790. Er wur­de in sei­ner Stifts­kir­che St. Si­me­on bei­ge­setzt und 1803, bei der Frei­le­gung des rö­mi­schen Stadt­tors Por­ta Ni­gra, nach St. Ger­va­si­us (dem heu­ti­gen An­ge­la-Me­ri­ci-Gym­na­si­um) über­führt. Die vom Weih­bi­schof selbst ver­fass­te Grab­in­schrift en­det mit der Hoff­nung, von den Aus­ein­an­der­set­zun­gen er­löst zu wer­den: „Tan­dem li­ber, tan­dem tu­tus, tan­dem ae­ter­nus" (end­lich frei, end­lich si­cher, end­lich in der Ewig­keit).

Die ka­tho­li­sche Auf­klä­rung be­deu­te­te kein Lö­sen vom Dog­ma und von kirch­li­chen Tra­di­tio­nen. Epis­ko­pa­lis­mus, Uni­ons­be­stre­bun­gen, Lit­ur­gie­re­form, Stu­di­en­re­form gab es auch vor­her. Zu­sam­men ent­stand aber trotz des Fest­hal­tens an tra­di­tio­nel­len For­men des Le­bens­stils, der Fröm­mig­keit und der Ge­lehr­sam­keit et­was Neu­es. Durch die Fran­zö­si­sche Re­vo­lu­ti­on 1789, die Ro­man­tik und die be­son­ders nach 1830 wirk­sa­me Re­stau­ra­ti­on wur­den die von der Auf­klä­rung be­stimm­ten Re­form­be­stre­bun­gen un­ter­drückt. Die Dog­ma­ti­sie­rung der Un­fehl­bar­keit des Paps­tes im Ers­ten Va­ti­ka­ni­schen Kon­zil 1870 war ei­ne Ab­sa­ge an al­le epis­ko­pa­lis­ti­schen Tra­di­tio­nen.

Werke (Auswahl)

De sta­tu eccle­siae et le­gi­ti­ma po­testa­te Ro­ma­ni Pon­ti­fi­cis, Frank­furt am Main (fin­giert: Bouil­li­on) 1763.
Dis­ser­ta­tio ju­ri­di­ca in­au­gu­ra­lis de ju­ris­pru­den­tia na­tu­ra­li et sum­mo im­pe­rio, Dis­ser­ta­ti­ons­schrift, Trier 1724.
His­to­ria Tre­vi­ren­sis di­plo­ma­ti­ca et prag­ma­ti­ca, 3 Bän­de, Augs­burg 1750 und: Pro­dro­mus His­to­riae Tre­vi­ren­sis di­plo­ma­ti­cae und prag­ma­ti­cae ex­hi­bens ori­gi­nes Tre­ve­ri­cas, 2 Bän­de, Augs­burg 1757.
Jus­ti­nus Fe­bro­ni­us ab­bre­via­tus et emen­da­tus (1777), her­aus­ge­ge­ben und ein­ge­lei­tet von Ul­rich L. Leh­ner, Nord­hau­sen 2008.
Jus­ti­ni Fe­bro­nii Com­men­ta­ri­us in suam retrac­ta­tio­nem (1781), her­aus­ge­ge­ben und ein­ge­lei­tet von Ul­rich L. Leh­ner, Nord­hau­sen 2008.

Literatur

Bautz, Fried­rich Wil­helm, Ar­ti­kel "Hont­heim, Jo­hann Ni­ko­laus von", in: Bio­gra­phisch-Bi­blio­gra­phi­sches Kir­chen­le­xi­kon 2 (1990), Sp. 1040-1042.
Franz, Gun­ther (Hg.), Auf­klä­rung und Tra­di­ti­on. Kur­fürs­ten­tum und Stadt Trier im 18. Jahr­hun­dert, Trier 1988.
Franz, Gun­ther, Jo­hann Ni­ko­laus von Hont­heim (1701-1790). Weih­bi­schof, Ge­lehr­ter, Ver­tre­ter der Auf­klä­rung, in: Franz, Gun­ther (Hg.), Kai­ser, Ge­lehr­te, Re­vo­lu­tio­nä­re. Per­sön­lich­kei­ten und Do­ku­men­te aus 2000 Jah­ren eu­ro­päi­scher Kul­tur­ge­schich­te, Trier 2007, S. 155-161.
Pit­zer, Vol­ker, Jus­ti­nus Fe­bro­ni­us. Das Rin­gen ei­nes ka­tho­li­schen Ire­ni­kers im Zeit­al­ter der Auf­klä­rung, Göt­tin­gen 1976 .
Raab, He­ri­bert, Jo­hann Ni­ko­laus von Hont­heim (1701-1790), in: Rhei­ni­sche Le­bens­bil­der 5 (1973), S. 23-44.
Stein­ruck, Jo­sef, Jo­hann Ni­ko­laus Hont­heim. Ein Ge­lehr­ter im Span­nungs­feld von Kir­che und Staat, Zen­tral­ge­walt und par­ti­ku­la­rer Selb­stän­dig­keit, in: Trie­rer theo­lo­gi­sche Zeit­schrift 100 (1991), S. 187-204.

Online

Raab, He­ri­bert, "Hont­heim, Jo­hann Ni­ko­laus von", in: Neue Deut­sche Bio­gra­phie 9 (1972), S. 604-605.

 
Zitationshinweis

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Franz, Gunther, Johann Nikolaus von Hontheim, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/johann-nikolaus-von-hontheim/DE-2086/lido/57c8337debfa45.45401302 (abgerufen am 23.04.2024)