Karl Maria Leisner

Katholischer Geistlicher, Opfer des NS-Regimes (1915-1945)

Helmut Rönz (Bonn)

Karl Maria Leisner im Konzentrationslager Dachau, Porträtfoto, nach 1940.

Karl Leis­ner war ein aus Rees am Nie­der­rhein stam­men­der ka­tho­li­scher Geist­li­cher und Ak­ti­vist der ka­tho­li­schen Ju­gend­be­we­gung der 1920er und 1930er Jah­re. Kurz nach sei­ner Be­frei­ung aus dem Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger Dach­au starb er an den Fol­gen der Ge­fan­gen­schaft. Er war der ein­zi­ge ka­tho­li­sche Geist­li­che, der in ei­nem KZ das Wei­he­sa­kra­ment emp­fing, und wur­de 1996 von Papst Jo­han­nes Paul II. (Pon­ti­fi­kat 1978-2005) se­lig ge­spro­chen.

Karl Leis­ner wur­de am 28.2.1915 als Sohn des Ge­richts­se­kre­tärs Wil­helm Leis­ner und des­sen Ehe­frau Ama­lie, ge­bo­re­ne Fal­ken­stein, in Rees am un­te­ren Nie­der­rhein ge­bo­ren. Er be­such­te bis zum Um­zug nach Kle­ve 1921 zu­nächst die Volks­schu­le in Rees. In Kle­ve wech­sel­te er für wei­te­re vier Jah­re auf die dor­ti­ge Mit­tel­stadt­be­zirks­schu­le und wur­de 1925 in die Sex­ta des ört­li­chen Gym­na­si­ums auf­ge­nom­men. Dort leg­te er 1934 sein Ab­itur ab.

Wäh­rend sei­ner Zeit auf dem Kle­ver Gym­na­si­um wur­de er vor al­lem durch ei­nen jun­gen Ka­plan, Dr. Wal­ter Vin­nen­berg, ge­prägt, der den Ju­gend­li­chen die Ide­en der lit­ur­gi­schen Be­we­gung, vor al­lem die Ro­ma­no Guar­di­nis (1885-1968), so­wie die Leit­vor­stel­lun­gen und Idea­le der Ju­gend­ver­bän­de wie Quick­born und Wan­der­vo­gel na­he brach­te. Leis­ner, in­spi­riert und an­ge­lei­tet von sei­nem en­ga­gier­ten Leh­rer, wur­de bald Mit­grün­der ei­ner zum Jung­kreuz­bund ge­hö­ren­den Ju­gend­grup­pe in Kle­ve und trat schlie­ß­lich mit sei­ner Kle­ver Grup­pe „St. Wer­ner" 1928 dem „ka­tho­li­schen Wan­der­vo­gel" bei. Es folg­ten Ex­er­zi­ti­en und an­de­re geist­li­che Übun­gen un­ter an­de­rem in Schön­statt, ´s-Hee­ren­berg (Je­sui­ten) und Ger­le­ve (Be­ne­dik­ti­ner), Fahr­ten und Zelt­la­ger in nä­he­rer und fer­ner Um­ge­bung. Der Schön­statt-Be­we­gung blieb Leis­ner bis zu sei­nem Le­bens­en­de ver­bun­den. Er ge­hör­te zur glei­chen Schön­statt­grup­pe wie sein Freund aus dem Müns­te­ra­ner Pries­ter­se­mi­nar, der spä­te­re Bi­schof von Müns­ter und Kon­zils­va­ter Hein­rich Ten­hum­berg (1915-1979).

Im Mit­tel­punkt des ka­tho­li­schen Ver­eins­le­bens stand für Leis­ner stets das Ge­bet, das Hei­li­ge Mess­op­fer und na­tür­lich der Ge­sang. Für Leis­ner selbst war ne­ben der am Nie­der­rhein tra­di­tio­nel­len Ma­ri­en- be­son­ders die Chris­tus­fröm­mig­keit zen­tra­ler Be­stand­teil sei­nes Le­bens und Kraft­quel­le in ei­ner Zeit, die er sor­gen­voll be­trach­te­te. So schrieb er 1938 in sein Ta­ge­buch: „Das ist mei­nes Le­bens letz­ter Sinn: Chris­tus zu le­ben in die­ser Zeit!"

1934 über­nahm er das Amt des Be­zirks­jung­schar­füh­rers für den die De­ka­na­te Kle­ve und Goch um­fas­sen­den Kreis Kle­ve. Die­ses Amt hat­te Leis­ner je­doch nur we­ni­ge Wo­chen in­ne, da er am 5.5.1934 in das Col­le­gi­um Bor­ro­ma­e­um in Müns­ter ein­trat und mit dem Stu­di­um der Ka­tho­li­schen Theo­lo­gie be­gann. Doch der Ver­bands­ka­tho­li­zis­mus soll­te ihn auch im Theo­lo­gen­kon­vikt nicht los­las­sen, denn be­reits im Sep­tem­ber 1934 wur­de er zum Diö­ze­san­jung­schar­füh­rer in der Diö­ze­se Müns­ter er­nannt. In Müns­ter bau­te er ver­bo­te­ne Ju­gend­grup­pen auf und or­ga­ni­sier­te Fahr­ten in die de­mo­kra­ti­schen Be­ne­lux-Staa­ten, um we­nigs­tens dort die Idea­le der ka­tho­li­schen Ju­gend­be­we­gung frei zu le­ben.

Ins­be­son­de­re die Ju­gend­ar­beit in den Ver­bän­den, aber auch die Schön­statt­be­we­gung so­wie die tie­fe Ver­wur­ze­lung im ka­tho­li­schen Mi­lieu hat­ten ihn tief ge­prägt. Sie er­reg­ten je­doch auch das Miss­trau­en der Na­tio­nal­so­zia­lis­ten. Schon kurz nach der Macht­er­grei­fung hat­te er auf dem Gym­na­si­um mit na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Leh­rern und im Ver­eins­le­ben mit Über­grif­fen auf die ka­tho­li­schen Ver­bän­de zu kämp­fen. In der Tat war Leis­ner früh ein ent­schie­de­ner Geg­ner Adolf Hit­lers (1889-1945) und er­kann­te klar die Ge­gen­sätz­lich­keit von Ka­tho­li­zis­mus und Na­tio­nal­so­zia­lis­mus: „Der Drill, die Schnau­ze­rei, die Lieb­lo­sig­keit ge­gen die Geg­ner, ih­re fa­na­ti­sche, tam­tamschla­gen­de Na­tio­na­li­täts­be­ses­sen­heit kann ich nicht tei­len. Ich bin aber trotz­dem Deut­scher und lie­be mein Va­ter­land und mei­ne Hei­mat. Aber ich bin auch und an ers­ter Stel­le Ka­tho­lik." 1937, als sich Leis­ner am En­de sei­nes Stu­di­ums be­fand, ging die Ge­sta­po erst­mals ent­schlos­sen ge­gen ihn und sei­nen nicht min­der ak­ti­ven Bru­der Wil­li vor. Sie be­schlag­nahm­ten die Ta­ge­bü­cher und über­wach­ten den Post­ver­kehr – un­ter an­de­rem, weil sie im Hau­se Leis­ner ei­nen „aus­ge­präg­ten Nach­rich­ten­dienst für die ka­tho­li­sche Be­we­gung" wähn­ten.

Karl Leis­ner stand wei­ter­hin un­ter Be­ob­ach­tung der Ge­sta­po, und 1938 ent­kam er der Ver­haf­tung nur knapp durch ei­ne Am­nes­tie. Dar­auf­hin setz­te er sein Stu­di­um weit­ge­hend un­ge­hin­dert fort, ver­brach­te zwei Se­mes­ter in Frei­burg und trat schlie­ß­lich 1938, nach ei­ner Zeit des Zwei­fels, in das Pries­ter­se­mi­nar in Müns­ter ein. Zu­vor hat­te er noch ei­ne halb­jäh­ri­ge Dienst­zeit im Reichs­ar­beits­dienst im Ems­land und in Sach­sen ab­ge­leis­tet. 1939 er­hielt er die ers­ten vier nie­de­ren Wei­hen, 1939 die Sub­dia­kon- so­wie die Dia­kon­wei­he ge­spen­det – al­le­samt durch den Müns­te­ra­ner Bi­schof Cle­mens Au­gust Graf von Ga­len. Doch zur Pries­ter­wei­he soll­te es nicht mehr kom­men, denn bei Karl Leis­ner wur­de ei­ne fort­ge­schrit­te­ne Tu­ber­ku­lo­se­er­kran­kung dia­gnos­ti­ziert, und er muss­te zur Kur in die Lun­gen­heil­stät­te Fürst­abt-Ger­bert-Haus in St. Bla­si­en in Süd­ba­den.

Als am 8.11.1939 das At­ten­tat Ge­org Elsers (1903-1945) in Mün­chen auf Adolf Hit­ler miss­lang, kom­men­tier­te dies Leis­ner in St. Bla­si­en mit dem Satz: „Scha­de, dass er nicht da­bei ge­we­sen ist." Karl Leis­ner wur­de noch am glei­chen Tag von ei­nem Zim­mer­nach­barn, der dies aus zwei­ter Hand er­fah­ren hat­te, an­ge­zeigt. Die Ge­sta­po ver­haf­te­te ihn, ver­hör­te ihn und wies ihn ins Frei­bur­ger Ge­fäng­nis ein. Von dort wur­de er im März 1940 in das Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger Sach­sen­hau­sen ver­legt, be­reits im De­zem­ber in den so ge­nann­ten Pries­ter-Block des KZ Dach­au. Dort ver­schlech­ter­te sich sei­ne Ge­sund­heit zu­se­hends so dass er be­reits 1942 in das ge­fürch­te­te Kran­ken­re­vier ver­legt wur­de. Sein Wunsch, den Men­schen als Pries­ter zu die­nen, blieb: Er er­brach­te trotz sei­ner Krank­heit geist­li­che und ma­te­ri­el­le Leis­tun­gen für die Mit­häft­lin­ge, schmug­gel­te die kon­se­krier­ten Hos­ti­en, den Leib Chris­ti, in das Kran­ken­la­ger und reich­te dort die Kran­ken­kom­mu­ni­on. Zu­dem er­mu­tig­te er die Ge­fan­ge­nen mit Ge­bet, Für­spra­che und mu­si­ka­li­scher Un­ter­hal­tung. Bis 1942 traf er sich in ei­ner im La­ger ge­grün­de­ten ge­hei­men Schön­statt­grup­pe mit dem Na­men „Vic­tor in vin­cu­lis" – „Sie­ger in Ket­ten". Zu die­ser Grup­pe ge­hör­ten auch die KZ-In­sas­sen P. Jo­seph Ken­te­nich (1885-1968) und P. Jo­sef Fi­scher.

Der eben­falls in­haf­tier­te Je­sui­ten­pa­ter Ot­to Pies (1901-1960) avan­cier­te zu sei­nem geist­li­chen Be­glei­ter und för­der­te die Pries­ter­wei­he Leis­ners ma­ß­geb­lich. Die­se Wei­he war dem Um­stand zu ver­dan­ken, dass mit ei­nem fran­zö­si­schen Ge­fan­ge­nen­trans­port auch der Bi­schof von Cler­mont-Fer­rand, Ga­bri­el Pi­guet, nach Dach­au ein­ge­lie­fert wur­de. Über ge­hei­me We­ge wur­de die Er­laub­nis zur Wei­he bei Bi­schof Cle­mens Au­gust von Ga­len (1878-1946) in Müns­ter und Kar­di­nal Mi­cha­el von Faul­ha­ber (1869-1952) in Mün­chen (Dach­au ge­hör­te zum Erz­bis­tum Mün­chen-Frei­sing) ein­ge­holt und die er­for­der­li­chen lit­ur­gi­schen Ge­gen­stän­de in das KZ ge­schmug­gelt. Die Wei­he er­folg­te schlie­ß­lich am 17.12.1944. Am 26.12.1944 ze­le­brier­te Leis­ner sei­ne Pri­miz­mes­se (die ers­te Mes­se ei­nes neu­ge­weih­ten Pries­ters). Es war dies die ein­zi­ge Hl. Mes­se, der er je vor­ge­stan­den hat.

Sein Zu­stand ver­schlech­ter­te sich je­doch zu­neh­mend. Als am 29.4.1945 die ame­ri­ka­ni­schen Trup­pen das Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger be­frei­ten, muss­te der un­ter­ernähr­te und tu­ber­ku­lo­se­kran­ke Leis­ner in das Lun­gens­a­na­to­ri­um Pla­negg bei Mün­chen ver­legt wer­den. Dort starb er am 12.8.1945 an den Fol­gen sei­ner Krank­heit. Er wur­de zu­nächst in sei­ner Hei­mat­stadt Kle­ve bei­ge­setzt. 1966 er­folg­te ei­ne Um­bet­tung in den Xan­te­ner Dom. 1996 wur­de Karl Leis­ner im Ber­li­ner Olym­pia­sta­di­on zu­sam­men mit Bern­hard Lich­ten­berg (1875-1943) – auch er ein Op­fer der Na­tio­nal­so­zia­lis­ten – im Rah­men ei­nes Pon­ti­fi­kal­am­tes von Papst Jo­han­nes Paul II. se­lig ge­spro­chen. Der Hei­lig­spre­chungs­pro­zess wur­de 2007 of­fi­zi­ell er­öff­net.

Karl Leis­ner war ei­ne der gro­ßen Pries­ter­ge­stal­ten der Mo­der­ne. In­spi­riert vom geist­li­chen Auf­bruch in der ka­tho­li­schen Ju­gend­be­we­gung des 20. Jahr­hun­derts sah er sei­ne Auf­ga­be in der geist­li­chen Füh­rung und Be­glei­tung der Men­schen durch ei­ne chris­tus­fer­ne Epo­che. Er setz­te der na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Has­sideo­lo­gie ei­ne idea­lis­ti­sche Chris­tus­fröm­mig­keit und Men­schen­lie­be ent­ge­gen, die auch die Fein­des­lie­be ein­schloss. Sein letz­ter Ta­ge­buch­ein­trag vom 25.7.1945 lau­te­te: „Seg­ne auch, Höchs­ter, mei­ne Fein­de!"

Literatur

Feld­mann, Chris­ti­an, Wer glaubt, muß wi­der­ste­hen – Bern­hard Lich­ten­berg - Karl Leis­ner, Frei­burg 1996.
Schmiedl, Joa­chim, Karl Leis­ner – Le­ben für die Ju­gend, Val­len­dar-Schön­statt 1996.

Online

Karl Leis­ner (Um­fang­rei­che In­for­ma­tio­nen auf der Web­site des In­ter­na­tio­na­len Karls-Leis­ner-Krei­ses e.V.). [On­line]

 
Zitationshinweis

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Rönz, Helmut, Karl Maria Leisner, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/karl-maria-leisner/DE-2086/lido/57c93ea6b533b6.35356551 (abgerufen am 29.03.2024)