Gerhard Schröder

Bundesminister (1910-1989)

Günter Buchstab (Sankt Augustin)

Gerhard Schröder. (Landesarchiv NRW Abteilung Rheinland)

Ger­hard Schrö­der war von 1955-1978 Vor­sit­zen­der des Evan­ge­li­schen Ar­beits­krei­ses (EAK) der CDU/CSU, Bun­des­mi­nis­ter, 1949-1980 Mit­glied des Deut­schen Bun­des­tags, CDU, 1969-1980 Vor­sit­zen­der des Au­ßen­po­li­ti­schen Aus­schus­ses, 1953-1961 war er Bun­des­mi­nis­ter des In­nern, 1961-1966 des Aus­wär­ti­gen und 1966-1969 der Ver­tei­di­gung. 

Ge­bo­ren wur­de Ger­hard Schrö­der am 11.9.1910 in Saar­brü­cken. Sei­ne El­tern Jan Schrö­der und An­ti­na, ge­bo­re­ne Du­it, stamm­ten aus Ost­fries­land. Sein Va­ter war preu­ßi­scher Be­am­ter in der Ei­sen­bahn­di­rek­ti­on, die 1921 von Saar­brü­cken nach Trier ver­la­gert wur­de, wo Schrö­der 1929 das Ab­itur mach­te. Sein Stu­di­um der Rechts­wis­sen­schaf­ten nahm er in Kö­nigs­berg auf, be­vor er im Ok­to­ber 1929 zu ei­nem Aus­lands­se­mes­ter nach Edin­burgh wech­sel­te. Nach ei­nem wei­te­ren Se­mes­ter in Ber­lin setz­te er sein Stu­di­um in Bonn fort. Dort en­ga­gier­te er sich in­ ­der na­tio­nal und li­be­ral ge­präg­ten Hoch­schul­grup­pe der Deut­schen Volks­par­tei (DVP) und sam­mel­te ers­te po­li­ti­sche Er­fah­run­gen in der ASTAG (All­ge­mei­ne Stu­den­ti­sche Ar­beits­ge­mein­schaft). 1932 leg­te er das ers­te Staats­ex­amen ab. Nach kur­zer Zeit als Ge­richts­re­fe­ren­dar in Saar­burg kehr­te er nach Bonn zu­rück, um als As­sis­tent an der Uni­ver­si­tät sei­ne Dis­ser­ta­ti­on fer­tig zu stel­len. 

1933 trat Schrö­der in die NS­DAP und die SA ein, weil er als ehe­ma­li­ges DVP-Mit­glied sei­ne „Zu­ver­läs­sig­keit" un­ter Be­weis stel­len woll­te. Im Ok­to­ber 1934 wech­sel­te er zum Ber­li­ner Kai­ser-Wil­helm-In­sti­tut für Aus­län­di­sches und In­ter­na­tio­na­les Pri­vat­recht. 1936 be­en­de­te er sei­ne Aus­bil­dung mit dem zwei­ten Staats­ex­amen. Sei­ne in­ne­re Dis­tanz zum Na­tio­nal­so­zia­lis­mus zeig­te sich in sei­nen en­gen Kon­tak­ten zur Be­ken­nen­den Kir­che und in sei­ner Tä­tig­keit als An­walt in ei­ner Kanz­lei mit jü­di­schen Teil­ha­bern, die ras­sisch ver­folg­te Per­so­nen un­ter­stütz­te. 1939 wur­de er zum Mi­li­tär­dienst ein­ge­zo­gen. 1941 hei­ra­te­te er sei­ne lang­jäh­ri­ge Ver­lob­te Bri­git­te Lands­berg, die nach den Nürn­ber­ger Ras­se­ge­set­zen „Misch­ling I. Gra­des" war. Un­mit­tel­bar nach der Fern­trau­ung trat er aus der NS­DAP aus. 

Nach dem Krieg war Schrö­der von 1945-1946 zu­nächst per­sön­li­cher Re­fe­rent des da­ma­li­gen Ober­prä­si­den­ten der Nord­rhein-Pro­vinz, Dr. Hans Fuchs und Dr. Ro­bert Lehr (CDU). Als Ober­re­gie­rungs­rat im In­nen­mi­nis­te­ri­um von Nord­rhein-West­fa­len wur­de er Lei­ter des Wahl­rechts­aus­schus­ses im ­Land­tag. Nach­dem dort sei­ne Vor­schlä­ge für ein Mehr­heits­wahl­recht ab­ge­lehnt wor­den wa­ren, ließ er sich als Rechts­an­walt nie­der und ar­bei­te­te von 1947-1953 als Ab­tei­lungs­lei­ter in der Treu­hand­ver­wal­tung im Auf­trag der North Ger­man Iron and Steel Con­trol. 1949 wur­de er im Wahl­kreis Düs­sel­dorf-Mett­mann für die CDU, der er wohl kurz vor­her bei­ge­tre­ten war, in den Bun­des­tag ge­wählt, dem er bis 1980 an­ge­hör­te. Bonn wur­de nun zu sei­nem Le­bens­mit­tel­punkt.

Durch sei­ne Rol­le in der Dis­kus­si­on um das Ge­setz für die Mon­tan­mit­be­stim­mung, bei der er ei­ne an­de­re Re­ge­lung als der Kanz­ler be­vor­zug­te, emp­fahl er sich für hö­he­re Funk­tio­nen: Am 24.6.1952 wur­de er zum stell­ver­tre­ten­den Vor­sit­zen­den der CDU/CSU-Frak­ti­on ge­wählt, und nach der Bun­des­tags­wahl 1953 be­rie­f Ade­nau­er ihn als Nach­fol­ger von Ro­bert Lehr zum Bun­des­mi­nis­ter des In­nern, ein Amt, das er bis 1961 in­ne­hat­te. Schon im ers­ten Jahr sei­ner Amts­zeit ge­riet er in schwe­res po­li­ti­sches Fahr­was­ser: Ot­to John (1909-1997), Prä­si­dent des Bun­des­ver­fas­sungs­schut­zes, war am 20.7.1954 in die DDR ge­wech­selt – ob frei­wil­lig oder ge­walt­sam, ist bis heu­te um­strit­ten.

Trotz die­ser Kri­se galt Schrö­der fort­an als kom­pe­ten­ter, wenn auch um­strit­te­ner Fach­mi­nis­ter. Un­ter ihm wur­de die KPD 1956 ver­bo­ten; er po­la­ri­sier­te durch sei­ne An­kün­di­gung ei­ner ver­fas­sungs­än­dern­den Not­stands­pla­nung und der Aus­sa­ge, dass Not­stand die Stun­de der Exe­ku­ti­ve sei, so­wie durch sei­ne For­de­rung, den Ver­fas­sungs­schutz in ei­nen „Staats­si­cher­heits­dienst" um­zu­wan­deln. Da ihm als In­nen­mi­nis­ter auch noch der Bun­des­grenz­schutz un­ter­stand, galt er als „Po­li­zei­mi­nis­ter". In der Tat zeig­te sei­ne Amts­füh­rung ein stark exe­ku­ti­ves Po­li­tik­ver­ständ­nis, mit dem er sich nicht nur bei der Op­po­si­ti­on, son­dern auch in der ei­ge­nen Frak­ti­on we­nig Freun­de schuf. Die­se Ein­stel­lung hat nicht nur bei der Not­stands­ge­setz­ge­bung mit zum Schei­tern bei­ge­tra­gen; ei­ne Schlap­pe er­litt er auch vor dem Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt mit sei­nem Ein­tre­ten für ein re­gie­rungs­na­hes zwei­tes bun­des­deut­sches Fern­se­hen. 

 

Als am 22.11.1955 Ro­bert Till­manns ver­starb, stell­te sich die Nach­fol­ge­fra­ge im EAK der CDU/CSU, der in die­sen Jah­ren oft als geis­ti­ge Pha­lanx de­s­ ­Pro­tes­tan­tis­mus in der Po­li­tik der Uni­ons­par­tei­en be­zeich­net wur­de. Als ei­ner sei­ner höchs­ten Re­prä­sen­tan­ten in der Uni­on wur­de Bun­des­in­nen­mi­nis­ter Ger­hard Schrö­der in Ab­we­sen­heit am 1.12.1955 zum Vor­sit­zen­den ge­wählt. Er lei­te­te den EAK 23 Jah­re lang bis April 1978. Die­se Haus­macht setz­te er aber nur spar­sam für sei­ne po­li­ti­schen Zie­le ein. S­ei­ne zwei­fel­los be­deu­tends­te Zeit er­leb­te Schrö­der als Au­ßen­mi­nis­ter von 1961 bis 1966. Er galt da­mals als ei­ner der mög­li­chen Nach­fol­ger Ade­nau­ers, ge­riet mit ihm und Tei­len sei­ner Par­tei aber in Kon­flikt, als er, der „At­lan­ti­ker", der aus si­cher­heits­po­li­ti­schen Er­wä­gun­gen stets ein en­ges Ver­hält­nis zu den USA be­für­wor­te­te, un­ver­hoh­len sei­ne Skep­sis ge­gen­über dem deutsch-fran­zö­si­schen Freund­schafts­ver­trag („Ély­sée-Ver­trag") 1963 und der Hin­wen­dung Ade­nau­ers zu Prä­si­dent de Gaul­le äu­ßer­te, des­sen an­ti­ame­ri­ka­ni­sche Po­li­tik er nicht mit zu tra­gen ge­willt war. Mit sei­ner „Po­li­tik der Be­we­gung" un­ter Kanz­ler Lud­wig Er­hard, der vor­sich­ti­gen Öff­nung der deut­schen Nach­kriegs­po­li­tik ge­gen­über dem Os­ten und der Eta­blie­rung ei­ni­ger Han­dels­mis­sio­nen in Ost­block­staa­ten, leg­te er die Fun­da­men­te für ei­ne neue Ost­po­li­tik, die zum Ziel hat­te, die so­wje­ti­sche He­ge­mo­nie auf­zu­bre­chen und die Lö­sung der deut­schen Fra­ge zu be­güns­ti­gen. Da­mit mo­di­fi­zier­te er den bis­he­ri­gen Re­gie­rungs­kurs in der Deutsch­land- und Ost­po­li­tik, lo­cker­te die Hall­stein-Dok­trin und nahm ein Stück Ent­span­nungs­po­li­tik der spä­te­ren so­zi­al­li­be­ra­len Ko­ali­ti­on vor­weg. Am Al­lein­ver­tre­tungs­an­spruch der Bun­des­re­pu­blik und der Nicht­an­er­ken­nung der DDR hielt er aber un­be­irrt fest. Da­von ab­ge­gan­gen zu sein, kri­ti­sier­te er spä­ter hef­tig an der SPD/FDP-Ost­po­li­tik.

Her­aus­ra­gend war in sei­ner Amts­zeit auch die „Frie­dens­no­te" vom 25.3.1966, die Vor­schlä­ge zur Ab­rüs­tung und das An­ge­bot ent­hielt, mit den ost­eu­ro­päi­schen Län­dern „förm­li­che Ge­ne­ral­ver­zichts­er­klä­run­gen" aus­zu­tau­schen. So war es nicht ver­wun­der­lich, dass er als Au­ßen­mi­nis­ter schnell ein bes­se­res Re­nom­mee in der Öf­fent­lich­keit ge­wann als wäh­rend sei­ner Amts­zeit als In­nen­mi­nis­ter und die bis­lang har­te Kon­fron­ta­ti­on mit der So­zi­al­de­mo­kra­tie sich zu ei­ner fai­ren Ko­ope­ra­ti­on wan­del­te. 

Die Bil­dung der Gro­ßen Ko­ali­ti­on 1966 un­ter Kanz­ler Kurt-Ge­org Kie­sin­ger (1904-1988), dem er mit sei­ner Be­wer­bung um die Kanz­ler­schaft un­ter­le­gen war, ver­setz­te ihn an die Spit­ze der Bun­des­wehr. Ei­ne prä­gen­de Rol­le spielt er dort nicht. Nach der Bun­des­tags­wahl 1969 und der Bil­dung der SPD/FDP-Ko­ali­ti­on, en­de­te sei­ne 16jäh­ri­ge Mi­nis­ter­zeit. Ver­geb­lich hat­te er ge­hofft, das Amt des Bun­des­prä­si­den­ten zu er­lan­gen. Sei­ne Nie­der­la­ge ge­gen Gus­tav Hei­nemann am 5.3.1969 konn­te ihm al­ler­dings nicht an­ge­las­tet wer­den: Er hat­te sich von der Uni­on no­mi­nie­ren las­sen, wohl wis­send, dass es schwer sein wür­de, Stim­men der FDP zu ge­win­nen, die aus ko­ali­ti­ons­po­li­ti­schen Er­wä­gun­gen den SPD-Kan­di­da­ten wäh­len wür­de. 

1969 über­nahm Schrö­der den Vor­sitz des Au­ßen­po­li­ti­schen Aus­schus­ses des Bun­des­tags, den er auch in der 7. und 8. Wahl­pe­ri­ode be­hielt. Als ers­ter west­deut­scher Po­li­ti­ker be­such­te er 1972 Chi­na und trug we­sent­lich zur An­bah­nung di­plo­ma­ti­scher Be­zie­hun­gen zur Volks­re­pu­blik bei. Noch ein­mal be­müh­te er sich 1973 um ei­ne Füh­rungs­po­si­ti­on in der Uni­on, un­ter­lag aber sei­nem frü­he­ren Staats­se­kre­tär Karl Cars­tens (1914-1992) deut­lich bei der Wahl zum Nach­fol­ger des zu­rück­ge­tre­te­nen Frak­ti­ons­vor­sit­zen­den Rai­ner Bar­zel (1924-2006). Spä­tes­tens zu die­sem Zeit­punkt war klar, dass er kein her­aus­ra­gen­des po­li­ti­sches Amt mehr er­hal­ten wür­de. Bei der Bun­des­tags­wahl 1980 kan­di­dier­te er nicht mehr. Er starb in der Syl­ves­ter­nacht 1989, als sich be­reits der Weg zur Wie­der­ver­ei­ni­gung Deutsch­lands in Frie­den und Frei­heit ab­zeich­ne­te. 

Schrö­der blieb der Gip­fel der po­li­ti­schen Macht ver­sagt. Den­noch ist sei­ne po­li­ti­sche Leis­tung für die Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land be­deut­sam. Sein Na­me ist nicht nur ver­bun­den mit der ent­schie­de­nen Ab­wehr des Kom­mu­nis­mus, er steht auch für den ost­po­li­ti­schen Neu­an­satz An­fang der 1960er-Jah­re so­wie dem Kon­flikt zwi­schen „At­lan­ti­kern" und „Gaul­lis­ten" in sei­ner Par­tei. 

Sein Nach­lass be­fin­det sich in Ar­chiv für Christ­lich-De­mo­kra­ti­sche Po­li­tik der Kon­rad-Ade­nau­er-Stif­tung. 

Quellen

Schrö­der, Ger­hard, Wir brau­chen ei­ne hei­le Welt. Po­li­tik in und für Deutsch­land, hg. von Al­fred Rapp, Düs­sel­dorf 1964.

Literatur

Eibl, Franz, Po­li­tik der Be­we­gung. Ger­hard Schrö­der als Au­ßen­mi­nis­ter 1961-1966, Mün­chen 2001
Kunst, Hans/Kohl, Hel­mut/Egen, Pe­ter (Hg.), Dem Staat ver­pflich­tet. Fest­ga­be für Ger­hard Schrö­der, Stutt­gart/Ber­lin 1980.
Ku­per, Erich, Frie­den durch Kon­fron­ta­ti­on und Ko­ope­ra­ti­on. Die Ein­stel­lung von Ger­hard Schrö­der und Wil­ly Brandt zur Ent­span­nungs­po­li­tik, Stutt­gart 1974.
Op­pel­land, Tors­ten, Ger­hard Schrö­der (1910-1989). Po­li­tik zwi­schen Staat, Par­tei und Kon­fes­si­on, Düs­sel­dorf 2002.
Op­pel­land, Tors­ten, Ger­hard Schrö­der, in: Kempf, Udo/Merz, Hans-Ge­org (Hg.), Kanz­ler und Mi­nis­ter 1949-1998. Bio­gra­phi­sches Le­xi­kon der deut­schen Bun­des­re­gie­run­gen. Wies­ba­den 2001, S. 626-632.
Op­pel­land, Tors­ten, Ger­hard Schrö­der, in: Be­cker, Win­fried/Buch­stab, Gün­ter u.a. (Hg.), Le­xi­kon der Christ­li­chen De­mo­kra­tie in Deutsch­land, Pa­der­born 2002, S. 361-362.

Innenminister Schröder beim Besuch des Deutschen Evangelischen Kirchtentag 1959, ganz rechts im Bild. (Archiv der Evangelischen Kirche im Rheinland / Hans Lachmann CC BY-SA 3.0)

 
Zitationshinweis

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Buchstab, Günter, Gerhard Schröder, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/gerhard-schroeder/DE-2086/lido/57c94a298ebba5.24103950 (abgerufen am 18.04.2024)