Roderich von Stintzing

Rechtshistoriker (1825-1883)

Martin Schermaier (Bonn)

Roderich von Stintzing, Porträtfoto. (Universitätsarchiv Bonn)

Ro­de­rich von Stint­zing war Pro­fes­sor für Rö­mi­sches Recht in Ba­sel, Er­lan­gen und Bonn. Er gilt als der „be­deu­tends­te His­to­rio­graph der deut­schen Rechts­wis­sen­schaft" (Bernd Müllen­bach). Sein Ruhm grün­det vor al­lem auf der von ihm be­gon­ne­nen, von sei­nem Schü­ler Ernst Lands­berg (1860-1927) voll­ende­ten „Ge­schich­te der Deut­schen Rechts­wis­sen­schaft".

Stint­zing wur­de als Jo­hann Au­gust Ro­de­rich Stint­zing am 8.2.1825 in Al­to­na ge­bo­ren. Nach der Schul­zeit am Gym­na­si­um in Al­to­na und, zur Vor­be­rei­tung auf das Stu­di­um, am Aka­de­mi­schen Gym­na­si­um in Ham­burg stu­dier­te er von 1843-1848 Rechts­wis­sen­schaft in Je­na, Hei­del­berg, Kiel und Ber­lin. Nach be­stan­de­nem „Amts­ex­amen" (ju­ris­ti­sches Staats­ex­amen) ließ er sich in Plön als An­walt nie­der; 1850 wur­de er zu­dem No­tar. Im sel­ben Jahr hei­ra­te­te er Fran­zis­ka Ka­ro­li­ne, ge­bo­re­ne Bokel­mann. Dem Ehe­paar wur­den sie­ben Kin­der ge­bo­ren, fünf Söh­ne und zwei Töch­ter; der jüngs­te Sohn starb aber schon in jun­gen Jah­ren. 1851 über­sie­del­te die Fa­mi­lie nach Hei­del­berg, wo Stint­zing 1852 pro­mo­viert wur­de. Noch im sel­ben Jahr ha­bi­li­tier­te er sich mit ei­ner Un­ter­su­chung zum Ei­gen­tums­recht in rö­mi­scher Zeit. Zu Os­tern 1854 nahm er ei­nen Ruf nach Ba­sel auf ein Or­di­na­ri­at für Rö­mi­sches Recht an; im Herbst 1857 wech­sel­te er an die Uni­ver­si­tät Er­lan­gen. Schon in Ba­sel hat­te Stint­zing ei­ne viel be­ach­te­te Bio­gra­phie ver­öf­fent­licht, und zwar über den be­deu­tends­ten Ju­ris­ten der Stadt, Ul­rich Zasi­us (1461-1535). Mit die­sem Werk be­grün­de­te Stint­zing sei­nen Ruf als His­to­rio­graph des deut­schen Rechts.

In Er­lan­gen ver­blieb Stint­zing bis zum En­de des Win­ter­se­mes­ters 1869/1870, al­so bei­na­he 13 Jah­re. Ru­fe nach Kiel (1861) und Gie­ßen (1868, als Nach­fol­ger Ru­dolf von Jhe­rings) schlug er aus. So­wohl in Ba­sel (1856) als auch in Er­lan­gen (1864/1865) be­klei­de­te Stint­zing das Rek­to­rat. Noch in der Er­lan­ger Zeit wur­de er mit Ver­lei­hung des „bai­ri­schen St. Mi­cha­el- und Ci­vil­ver­dienst-Or­dens" in den per­sön­li­chen Adels­stand er­ho­ben.

Am Syl­ves­ter­tag 1869 er­reich­te ihn der Ruf an die Uni­ver­si­tät Bonn auf ei­nen Lehr­stuhl für Rö­mi­sches Recht. Zu­nächst als ei­ge­nes Or­di­na­ri­at ge­dacht, folg­te Stint­zing dann aber Edu­ard Bö­cking nach, der am 3.5.1870 ver­stor­ben war. Für das Stu­di­en­jahr 1875/1876 wur­de Stint­zing nun auch in Bonn zum Rek­tor der Uni­ver­si­tät ge­wählt. In die Bon­ner Zeit fällt der Be­ginn der Ar­bei­ten an der All­ge­mei­nen Deut­schen Bio­gra­phie, de­ren ju­ris­ti­schen Teil Stint­zing be­treu­te. Selbst steu­er­te er 53 Bio­gra­phi­en bei. Eben­falls in Bonn ent­stan­den die ers­ten bei­den Bän­de der „Ge­schich­te der Deut­schen Rechts­wis­sen­schaft". Band 1, der die Zeit von der Re­zep­ti­on bis in die ers­te Hälf­te des 17. Jahr­hun­derts um­fasst, er­schien 1880. Band 2, der zwei­ten Hälf­te des 17. Jahr­hun­derts ge­wid­met, er­schien post­hum 1884. Der drit­te Band, der die Zeit von 1700 bis 1870 um­spannt, wur­de 1898 durch Ernst Lands­berg vor­ge­legt. Ein un­er­war­tet frü­her Tod am 13.9.1883 ver­hin­der­te, dass Stint­zing selbst das Werk voll­enden konn­te. Bei ei­ner Wan­de­rung mit ei­nem sei­ner Söh­ne, in der Som­mer­fri­sche in Oberst­dorf, stürz­te Stint­zing, als er sei­nem Sohn zu Hil­fe kom­men woll­te, ab. Der Sohn über­leb­te, der Va­ter starb. Ro­de­rich von Stint­zing wur­de in Bonn be­er­digt.

Zu Be­ginn sei­ner aka­de­mi­schen Lauf­bahn ar­bei­te­te Stint­zing, der zeit­ge­nös­si­schen Ge­pflo­gen­heit ent­spre­chend, zu dog­ma­ti­schen Fra­gen des rö­mi­schen Rechts. Rö­mi­sches Recht war das Kern­ge­biet des an Uni­ver­si­tä­ten ge­lehr­ten Rechts, zu­dem galt Rö­mi­sches Pri­vat­recht in vie­len Län­dern des Deut­schen Bun­des und spä­ter des Deut­schen Reichs un­mit­tel­bar. Al­ler­dings be­schäf­tig­te sich Stint­zing auch mit rein rechts­his­to­ri­schen The­men, vor al­lem mit an­ti­kem rö­mi­schen Pro­zess­recht. Mit sei­ner Zasi­us-Bio­gra­phie ent­deck­te er ein wei­te­res For­schungs­feld für sich, das der ju­ris­ti­schen His­to­rio­gra­phie, der Rechts­ge­schich­te im en­ge­ren Sinn. Dem Buch über Zasi­us folg­ten zwei wei­te­re wich­ti­ge Mo­no­gra­phi­en. Da­ne­ben mach­te Stint­zing als Her­aus­ge­ber be­deu­ten­der Kor­re­spon­den­zen von sich re­den.

Sein Haupt­werk schlie­ß­lich, die „Ge­schich­te der Deut­schen Rechts­wis­sen­schaft", setz­te dort an, wo Fried­rich Carl von Sa­vi­gnys (1779-1861) „Ge­schich­te des rö­mi­schen Rechts im Mit­tel­al­ter" (1834-1851) en­det, näm­lich bei der ju­ris­ti­schen Li­te­ra­tur der frü­hen Neu­zeit, als sich durch die Re­zep­ti­on des rö­mi­schen Rechts auch in Deutsch­land ei­ne Rechts­wis­sen­schaft eta­blier­te. Stint­zing kon­zen­trier­te sich dar­in auf die Bio­gra­phi­en und Bi­blio­gra­phi­en ein­zel­ner Ju­ris­ten und ver­zich­te­te auf ei­ne kon­ti­nu­ier­li­che wis­sen­schafts­ge­schicht­li­che Dar­stel­lung. Gleich­wohl ist das Werk bis heu­te in sei­ner Art „un­über­trof­fen" (Klein­he­yer / Schrö­der) und grund­le­gend für je­den, der sich mit der deut­schen Rechts­ge­schich­te seit dem 15. Jahr­hun­dert be­schäf­tigt. Lands­bergs Er­gän­zungs­band steht in Me­tho­de und Um­fang dem Werk Stint­zings in nichts nach, geht viel­mehr in­so­weit dar­über hin­aus, als Lands­berg die Bio­gra­phi­en in ei­nen pro­blem- und ide­en­ge­schicht­li­chen Zu­sam­men­hang stellt.

Werke (Auswahl)

Das We­sen der Bo­na fi­des und Ti­tu­lus in der rö­mi­schen Usu­ca­pi­ons­leh­re, Hei­del­berg 1852.
Ul­rich Zasi­us. Ein Bei­trag zur Ge­schich­te der Rechts­wis­sen­schaft im Zeit­al­ter der Re­for­ma­ti­on, mit ur­kund­li­chen Bei­la­gen, Ba­sel 1857.
Ge­schich­te der po­pu­lä­ren Li­te­ra­tur des rö­misch-ka­no­ni­schen Rechts in Deutsch­land am En­de des fünf­zehn­ten und im An­fang des sech­zehn­ten Jahr­hun­derts, Leip­zig 1867.
Hu­go Do­nel­lus in Alt­dorf. Fest­schrift zur Wäch­ter’s fünf­zig­jäh­ri­gem Lehr­amts­ju­bi­lä­um, Er­lan­gen 1869.
Ge­schich­te der deut­schen Rechts­wis­sen­schaft, Bd. 1, Mün­chen, Leip­zig 1880, Bd. 2, Mün­chen, Leip­zig 1884.

Literatur

Kisch, Gui­do, Ro­de­rich Stint­zing zum Ge­dächt­nis, in: Gui­do Kisch. Aus­ge­wähl­te Schrif­ten, Band 3: For­schun­gen zur Rechts- und So­zi­al­ge­schich­te des Mit­tel­al­ters, Sig­ma­rin­gen 1980, S. 474-475.
Klein­he­yer, Gerd/Schrö­der, Jan (Hg.), Deut­sche Ju­ris­ten aus fünf Jahr­hun­der­ten. Ei­ne bio­gra­phi­sche Ein­füh­rung in die Ge­schich­te der Rechts­wis­sen­schaft, 3. Aufl., Hei­del­berg 1989, S. 366.
Müllen­bach, Bernd, Zum 100. To­des­tag von Ro­de­rich von Stint­zing, in: Zeit­schrift der Sa­vi­gny-Stif­tung für Rechts­ge­schich­te (Ger­ma­nis­ti­sche Ab­tei­lung) 101 (1984), S. 312-316.
Schul­ze, Rei­ner, Ar­ti­kel „Stint­zing, Ro­de­rich von", in: Er­ler, Adal­bert/Kauf­mann, Ek­ke­hard (Hg.), Hand­wör­ter­buch zur deut­schen Rechts­ge­schich­te, Band 4, 1. Auf­la­ge, Ber­lin 1990, S. 1994-1997.
Wach, Adolf, Ro­de­rich von Stint­zing (Nach­ruf), in: Kri­ti­sche Vier­tel­jah­res­schrift für Ge­setz­ge­bung und Rechts­wis­sen­schaft 26 (1884), Spal­ten 161-180 (Nach­ruf mit aus­führ­li­chem Ver­zeich­nis der Pu­bli­ka­tio­nen v. Stint­zings).

 
Zitationshinweis

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Schermaier, Martin, Roderich von Stintzing, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/roderich-von-stintzing/DE-2086/lido/57c955bd7a4af8.96107791 (abgerufen am 28.03.2024)