Familie Pasqualini

Architektenfamilie (16.-17. Jahrhundert)

Guido von Büren (Jülich)

Darstellung eines Architekten, vermutlich Maximilian Pasqualini, auf der östlichen Abschlusswange der Jülicher Seite des Chorgestühls der Dürener St. Anna-Kirche, 1562/1563. (Rheinisches Bildarchiv Köln Negativ-Nummer 53571)

Mit­glie­der der Fa­mi­lie Pas­qua­li­ni stan­den von der Mit­te des 16. Jahr­hun­derts bis zum ers­ten Vier­tel des 17. Jahr­hun­derts in drei Ge­ne­ra­tio­nen als Ar­chi­tek­ten und Fes­tungs­bau­meis­ter im Dienst der Her­zö­ge von Jü­lich-Kle­ve-Berg. Sie ver­tra­ten den für die Re­nais­sance neu­ar­ti­gen Ty­pus des zunft­un­ab­hän­gi­gen, über­wie­gend in fürst­li­chen Diens­ten ste­hen­den Ar­chi­tek­ten. Da­durch wa­ren sie eher für die je­wei­li­ge Pla­nung der Schlös­ser und Fes­tun­gen ver­ant­wort­lich als für die De­tails der prak­ti­schen Bau­aus­füh­rung. Durch die­ses Be­rufs­bild und ih­re weit rei­chen­den Kennt­nis­se wa­ren die Pas­qua­li­nis nicht nur im Rhein­land be­gehr­te Ar­chi­tek­ten, die zahl­rei­che Pro­jek­te gleich­zei­tig ver­fol­gen konn­ten.

Der Be­grün­der der Bau­meis­ter­dy­nas­tie, Ales­san­dro Pas­qua­li­ni, wur­de am 5.5.1493 in Bo­lo­gna ge­bo­ren. Über sei­nen Wer­de­gang in Ita­li­en bis 1530 lie­gen bis­her kei­ne Quel­len vor. Da­nach ist er in den Nie­der­lan­den im Dienst der Fa­mi­lie van Eg­mond, der Gra­fen von Bu­ren, als Ar­chi­tekt und Fes­tungs­bau­kun­di­ger nach­weis­bar. Sei­ne Bau­ten in IJs­sel­stein und spä­ter in Jü­lich las­sen Be­zie­hun­gen zur Rö­mi­schen Hoch­re­nais­sance ver­mu­ten. Zu­dem ste­hen sei­ne Ent­wür­fe teil­wei­se in sti­lis­ti­scher Nä­he zu Se­bas­tia­no Ser­lio (1472-1554), so dass di­rek­te Kon­tak­te, die Kennt­nis der frü­hen Trak­ta­te Ser­li­os oder ein ver­gleich­ba­rer Le­bens­weg denk­bar sind. Pas­qua­li­ni ge­hör­te zu den ita­lie­ni­schen Künst­lern, die das For­men­gut der ita­lie­ni­schen Re­nais­sance und die Tech­nik des bas­tio­nier­ten Fes­tungs­sys­tems in die Nie­der­lan­de und das Rhein­land ein­führ­ten.

 

Der Ein­satz von Feu­er­waf­fen im eu­ro­päi­schen Kriegs­we­sen seit dem spä­ten Mit­tel­al­ter ver­än­der­te als Teil ei­ner tief grei­fen­den mi­li­tär­tech­ni­schen Re­vo­lu­ti­on der Zeit um 1500 die Be­fes­ti­gungs­tech­nik grund­le­gend. Die schma­len und ho­hen Mau­ern der Bur­gen und Stadt­be­fes­ti­gun­gen konn­ten den mit Schwarz­pul­ver be­trie­be­nen Ge­schüt­zen nicht län­ger stand­hal­ten. Aus­ge­hend von den ers­ten Ver­stär­kun­gen mit Erd­wäl­len und run­den Boll­wer­ken, den Ron­del­len, ent­stand zu Be­ginn des 16. Jahr­hun­derts das so ge­nann­te Bas­tio­närs­ys­tem. Ei­ne Bas­ti­on ist ein fünf­ecki­ges Ver­tei­di­gungs­werk, des­sen Grund­riss ei­ner Pfeil­spit­ze äh­nelt. Es dien­te zur Auf­stel­lung von Ge­schüt­zen, mit de­nen ein an­rü­cken­der Feind von meh­re­ren Sei­ten be­schos­sen wer­den konn­te. Im Be­reich der Flan­ken ei­ner Bas­ti­on bil­de­te man Ka­no­nen­hö­fe aus. Zu die­sem Zweck wur­de die Flan­ke zu­rück­ge­zo­gen, so dass die Ka­no­nen­stel­lung durch das Bas­ti­ons­ohr vor dem An­grei­fer ge­schützt war.

Die Ent­wick­lung des bas­tio­nier­ten Fes­tungs­baus nahm ih­ren Aus­gang in Ita­li­en. Das Neu­ar­ti­ge der für An­griff und Ver­tei­di­gung mit­tels Ar­til­le­rie ein­ge­rich­te­ten Fes­tun­gen war ihr po­ly­go­na­ler Grund­riss, der so an­ge­legt war, dass to­te Win­kel weit­ge­hend ver­mie­den wur­den. So konn­te das ge­sam­te Vor­feld der Fes­tung be­stri­chen, al­so mit Ge­schüt­zen un­ter Be­schuss ge­nom­men wer­den. Die mäch­ti­gen Wäl­le der Fes­tun­gen, die aus Er­de und Na­tur­stei­nen oder Feld­brand­zie­geln er­rich­tet wur­den, bo­ten dem An­grei­fer we­nig An­griffs­flä­che, da sie meist in tie­fen und brei­ten Grä­ben stan­den. Das Ge­län­de um die Fes­tung her­um, das Gla­cis, wur­de so ge­stal­tet, dass es dem An­grei­fer kei­ne Mög­lich­keit zur De­ckung bot.

Im Auf­trag von Flo­ris und Ma­xi­mi­li­an van Eg­mond ent­warf Ales­san­dro Pas­qua­li­ni den Kirch­turm der heu­ti­gen re­for­mier­ten Kir­che in IJs­sel­stein (um 1535) und über­nahm die Bau­lei­tung von Schloss Bu­ren (1536-1548), dem Stamm­sitz der Fa­mi­lie van Eg­mond. Pas­qua­li­ni selbst scheint zeit­wei­lig sei­nen Wohn­sitz in Ant­wer­pen ge­nom­men zu ha­ben und dort auch als Gold­schmied tä­tig ge­we­sen zu sein. Seit dem En­de der 1530er Jah­re stan­den sei­ne fes­tungs­bau­kund­li­chen Kennt­nis­se im Vor­der­grund sei­ner Ent­wurfs­tä­tig­keit. Zahl­rei­che Ver­bes­se­run­gen und Mo­der­ni­sie­run­gen be­ste­hen­der An­la­gen ge­hen auf ihn zu­rück. So war er für den Fürst­bi­schof von Lüt­tich (Bouil­lon, Di­nant, Lüt­tich, Tir­le­mont) und für ein­zel­ne Städ­te (Ams­ter­dam, Diest, Gra­ve, ‘s-Her­to­gen­bosch, Kam­pen, Leer­dam, Mid­del­burg) tä­tig. En­gen per­sön­li­chen Kon­takt pfleg­te er zum Gra­fen von Aren­berg, Jo­hann de Li­gne.

Nach­dem Pas­qua­li­ni 1547 für Wil­helm V., Her­zog von Jü­lich-Kle­ve-Berg, in Jü­lich be­ra­tend tä­tig ge­we­sen war, wur­de er am 15.4.1549 of­fi­zi­ell zum Bau­meis­ter von Stadt und Fes­tung Jü­lich be­stallt. Die Stadt soll­te nach dem ver­hee­ren­den Stadt­brand von 1547 zu ei­ner mo­der­nen Re­si­denz­stadt aus­ge­baut wer­den. Den ar­chi­tek­to­ni­schen Hö­he­punkt der am Reiss­brett ge­plan­ten An­la­ge bil­de­te – ne­ben ei­ner fünf­ecki­gen Stadt­be­fes­ti­gung und ei­ner ein­heit­li­chen in­ner­städ­ti­schen Be­bau­ung – das neue Re­si­denz­schloss in ei­ner ei­ge­nen vier­bas­tio­nä­ren Fes­tung („pa­laz­zo in fortez­za"). Ent­wurf und Er­hal­tungs­zu­stand der Zi­ta­del­le Jü­lich sind für Nord­eu­ro­pa na­he­zu ein­zig­ar­tig. Un­ter der Bau­lei­tung Pas­qua­li­nis wur­de zu­dem das Schloss in Düs­sel­dorf, die spä­te­re Haupt­re­si­denz Wil­helms V., weit rei­chend aus­ge­baut. Oh­ne sei­ne Tä­tig­keit je­weils ge­nau ein­gren­zen zu kön­nen, ist er auch in Ben­rath, Bens­berg, Ham­bach, Heins­berg, Kas­ter und Kle­ve nach­weis­bar.

1552 hat­te der Rat der Stadt Köln bei Her­zog Wil­helm V. um die Frei­stel­lung Pas­qua­li­nis ge­be­ten. Dem Be­geh­ren wur­de am 7.5.1552 statt­ge­ge­ben. Der Ar­chi­tekt er­schien dar­auf­hin am 11. Mai in Köln. Be­reits fünf Ta­ge spä­ter leg­te er dem Rat „... et­li­che pa­tro­nen van der be­fes­ti­gung d(er) statt ..." vor. Von den Vor­schlä­gen Pas­qua­li­nis wur­de le­dig­lich die spä­ter so ge­nann­te „Bott" rea­li­siert. Hier­bei han­del­te es sich um ei­ne halb­run­de Ge­schütz­platt­form als Er­d­auf­schüt­tung, die an der In­nen­sei­te ge­gen die mit­tel­al­ter­li­che Stadt­mau­er zwi­schen Bay­en­turm und Se­ve­rinstor ge­legt wur­de. An der Rea­li­sie­rung die­ses Ent­wur­fes wur­de noch 1554 ge­ar­bei­tet. Zu die­ser Zeit er­ga­ben sich Pro­ble­me bei der Bau­aus­füh­rung, so dass der Rat Pas­qua­li­ni um ei­nen er­neu­ten Be­ra­tungs­be­such bat. Die­ser sag­te sein Kom­men je­doch schrift­lich ab, wor­auf man Ab­ge­sand­te zur Klä­rung of­fe­ner Fra­gen nach Jü­lich schick­te.

1556 über­nahm Pas­qua­li­ni als sei­ne letz­te Auf­ga­be die Mo­der­ni­sie­rung der Fes­tung Spar­ren­burg ober­halb der Stadt Bie­le­feld (Graf­schaft Ra­vens­berg). Hier ver­starb er 1559. Zu den we­ni­gen über­lie­fer­ten per­sön­li­chen Do­ku­men­ten Pas­qua­li­nis zäh­len sein Mo­no­gramm auf drei Plä­nen und zwei Ab­drü­cke sei­nes Brief­sie­gels, wo­für er ei­ne re­nais­sance­zeit­li­che Gem­me (Schmuck­stein) mit der Dar­stel­lung des an­ti­ken Phy­si­kers Mer­cu­ri­us Tris­me­gis­tus ver­wen­de­te.

Ales­san­dro Pas­qua­li­nis Söh­ne und En­kel stan­den eben­falls im Dienst des jü­lich-kle­vi­schen Hofs. Schon kurz vor dem Tod des Va­ters war sein äl­tes­ter Sohn Ma­xi­mi­li­an (1534-1572) in die Funk­tio­nen des Lan­des­bau­meis­ters auf­ge­rückt. Ihm zur Sei­te stand des­sen jün­ge­rer Bru­der Jo­hann (ca. 1535-1582), der sich zeit­wei­lig die Ar­beit mit sei­nem Bru­der teil­te. Ma­xi­mi­li­an, der wahr­schein­lich ei­ne Stu­di­en­rei­se nach Ita­li­en ge­macht hat­te, ist als jü­lich-kle­vi­scher Lan­des­bau­meis­ter in Bens­berg, Brüg­gen, Düs­sel­dorf, Gre­ven­broich, Ham­bach, Heins­berg, Jü­lich, Kle­ve, Mons­chau, Müns­ter­ei­fel, Sin­zig und Sit­tard nach­weis­bar. Ihm wird der Aus­bau von Schloss und Fes­tung Rhe­ydt für Ot­to von By­landt zu­ge­schrie­ben. In be­schränk­tem Ma­ße war er auch au­ßer­halb der Her­zog­tü­mer Jü­lich-Kle­ve-Berg tä­tig. So lie­fer­te er 1564 und 1568 Ent­wür­fe für die Fes­tung Eh­ren­breit­stein (Ko­blenz) im Auf­trag des Trie­rer Kur­fürs­ten.

Jo­hann Pas­qua­li­ni der Äl­te­re war über­wie­gend im Her­zog­tum Kle­ve tä­tig. Seit 1565 lei­te­te er den Aus­bau der da­mals zum Her­zog­tum ge­hö­ri­gen Stadt Or­soy (heu­te Stadt Rhein­berg) zur fünf­bas­tio­nä­ren Lan­des­fes­tung. Hier fand er sei­nen Le­bens­mit­tel­punkt, hei­ra­te­te und kauf­te ein Haus. Von Or­soy aus be­treu­te Jo­hann der Äl­te­re 1568 den Bau der Fles­gen­tor­bas­ti­on in We­sel. Auch au­ßer­halb des Rhein­lands war er als Fes­tungs­bau­spe­zia­list sehr ge­fragt. Wie­der­holt stand er im Dienst der Her­zö­ge von Würt­tem­berg, Bran­den­burg-Ans­bach und Braun­schweig-Lü­ne­burg.

Die Söh­ne Ma­xi­mi­li­ans, Jo­hann der Jün­ge­re (1562-1612) und Alex­an­der (1567-1623) bil­de­ten die drit­te Bau­meis­ter­ge­ne­ra­ti­on. Jo­hann der Jün­ge­re fun­gier­te 1604 und 1605 als Be­ra­ter für die Stadt Köln. Er lie­fer­te auch die Plä­ne für den 1592 be­gon­ne­nen Aus­bau der ber­gi­schen Stadt Mül­heim am Rhein, den die Stadt Köln er­folg­reich stop­pen konn­te. Er lei­te­te auch die kurz­zei­ti­ge Wie­der­auf­nah­me der Ar­bei­ten im Jahr 1612, die eben­falls wie­der auf Druck Kölns ein­ge­stellt wer­den muss­ten. Sein Bru­der Alex­an­der stand zeit­wei­lig so­gar in kai­ser­li­chen Diens­ten und be­gut­ach­te­te habs­bur­gi­sche Grenz­fes­tun­gen ge­gen die Os­ma­nen (Tür­ken). 1608 wur­de er zum Ge­ne­ral­bau­meis­ter für das Her­zog­tum Kle­ve und gleich­zei­tig zum Schlü­ter (Schatz­ver­wal­ter) von Ue­dem er­nannt. Noch vier Ge­ne­ra­tio­nen der Nach­fah­ren Jo­hanns des Jün­ge­ren leb­ten als nie­de­re Ade­li­ge im deutsch-nie­der­län­di­schen Grenz­be­reich, ehe mit An­na Ju­dit Eli­sa­beth (1716-1761) die Li­nie er­losch.

Literatur

Bers, Gün­ter / Doo­se, Con­rad (Hg.), Der ita­lie­ni­sche Ar­chi­tekt Ales­san­dro Pas­qua­li­ni (1493-1559) und die Re­nais­sance am Nie­der­rhein. Kennt­nis­stand und For­schungs­per­spek­ti­ven. Ta­gungs­hand­buch zum I. Jü­li­cher Pas­qua­li­ni-Sym­po­si­um 1993, Jü­lich 1994.
Bers, Gün­ter / Doo­se, Con­ra­d  (Hg.), „Ita­lie­ni­sche" Re­nais­sance­bau­kunst an Schel­de, Maas und Nie­der­rhein. Stadt­an­la­gen, Zi­vil­bau­ten, Wehr­an­la­gen. Ta­gungs­hand­buch zum II. Jü­li­cher Pas­qua­li­ni-Sym­po­si­um 1998, Jü­lich 1999,
Bü­ren, Gui­do von, Schlös­ser und Bas­tio­nen – Im­por­tier­te Re­nais­sance. Ales­san­dro Pas­qua­li­ni (1493-1559), Ar­chi­tekt und Fes­tungs­bau­kun­di­ger in Nord-West­eu­ro­pa. Stand der For­schung, in: Nie­der­deut­sche Bei­trä­ge zur Kunst­ge­schich­te 34 (1995), S. 57-79,
Mier­lo, Theo van, Alex­an­der Pas­qua­li­ni (1493-1559), ar­chi­tect en ves­ting­bouw­kun­di­ge, in: Bul­le­tin van de Ko­nin­k­li­jke Neder­land­se Oud­heid­kun­di­ge Bond 90 (1991), S. 157-174.

Online

Bü­ren, Gui­do von, „Pas­qua­li­ni, Ar­chi­tek­ten und In­ge­nieu­re", in: Neue Deut­sche Bio­gra­phie 20 (2001), S. 85-88. [On­line]
„Ju­li­a­cum vir­tu­ell bis Jü­lich": Ge­mein­schafts­pro­duk­ti­on der Fach­hoch­schu­le Köln, des For­schungs­zen­trums Jü­lich, des För­der­ver­eins „Fes­tung Zi­ta­del­le Jü­lich e.V." und der Stadt Jü­lich. [On­line]

Monogramm Alessandro Pasqualinis auf seinem Plan für die Stadt Kampen, 1543, Original im Gemeentearchief Kampen. (Bildarchiv Museum Zitadelle Jülich)

 
Zitationshinweis

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von Büren, Guido, Familie Pasqualini, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/familie-pasqualini/DE-2086/lido/57c95838bd7ee0.09908943 (abgerufen am 28.03.2024)