1521 bis 1609 - Die Rheinlande bis zum Ausbruch des Jülich-klevischen Erbfolgestreits
Zu den Kapiteln
1. Politische Geschichte
1.1 Die Entstehung des Länderverbunds Jülich-Kleve-Berg. Territoriale Reformpolitik
Die territoriale Vielgestaltigkeit des Rheinlands zu Anfang des 16. Jahrhunderts macht es ebenso schwierig wie problematisch, eine Periodisierung seiner politischen Entwicklung vorzunehmen. Wenn hier das Jahr 1521 als Ausgangs- und 1609 als Endpunkt gewählt werden, so beziehen sich diese Daten auf das „Großterritorium“ Jülich-Kleve-Berg, dem nach dem Urteil eines Zeitgenossen zu einem Königreich nur der Name fehlte. Zustande gekommen war dieser Verbund durch Heiraten und Erbabreden. 1510 ehelichte Jungherzog Johann von Kleve aufgrund einer 1496 getroffenen Vereinbarung Wilhelms IV. von Jülich-Berg mit Johann II. von Kleve-Mark, die die Zustimmung ihrer Landstände und des Kaisers gefunden hatte, die Tochter und Erbin Wilhelms IV. Nach dessen Tod 1511 übernahm er die Regierung in Düsseldorf. 1521 folgte er dann als Johann III. seinem Vater auch in Kleve-Mark.
Eine administrative oder zollpolitische Verschmelzung der Territorien fand nicht statt. In Düsseldorf wie in Kleve lag die Verwaltung der Doppelterritorien in der Hand fürstlicher Räte. Auch die Stände bewahrten ihre Eigenständigkeit, kamen allerdings öfter zu „Vereinigten Landtagen“ zusammen, bei denen freilich getrennt beraten und abgestimmt wurde. Bis weit ins 17. Jahrhundert übten die Stände, deren ritterschaftliche Mitglieder die zentralen und lokalen Verwaltungen und Gerichte beherrschten, erheblichen politischen Einfluss, nicht zuletzt auf Steuern und Finanzen aus.
Eine ähnliche Stellung besaßen sie in Kurköln, wo allerdings das Domkapitel als Landstand vor Grafen, Rittern und Städten die führende Position einnahm. In Kurtrier kam diese dem Klerus (Prälaten und übrige Kleriker) zu. Der Ritterschaft gelang es bis 1576, sich von dem Land zu trennen und reichsunmittelbar zu werden. Angesichts der schwachen Stellung der Städte stärkte dieser 1729 vom Reichskammergericht bestätigte Vorgang den Landesherrn. Ihm gelang es 1576, die Einverleibung der Abtei Prüm in den Kurstaat durchzusetzen.
Unter dem Druck der Stände oder in Zusammenarbeit mit ihnen erfolgte in den rheinischen Territorien im 16. Jahrhundert verstärkt der Aus- oder Aufbau der Territorialverwaltung, gekennzeichnet durch die Einrichtung ständiger für die zentrale Verwaltung zuständiger Räte. Diese entfalteten, nicht selten beraten von den Ständen, eine vielseitige reformierende Tätigkeit, die ihren Niederschlag in „Landesordnungen“ fanden. Sie bildeten das Fundament des werdenden, durch „gute Polizei“ auf das Wohl von Land und Untertanen zielenden frühneuzeitlichen Fürstenstaates. So regelten Hofordnungen wie beispielsweise in Jülich-Kleve-Berg die Befugnisse und die Geschäftsordnung des Rates. Der Rechtsvereinheitlichung dienten 1515 und 1537 in Kurtrier, 1538 in Kurköln und 1555 in Jülich-Kleve-Berg erlassene Gerichtsordnungen sowie eine 1558 von Wilhelm V., dem Nachfolger Johanns III., erlassene Polizeiordnung. Diese verfolgte das für den frühneuzeitlichen Staat charakteristische Ziel, das soziale Leben zu regulieren, das Verhalten der Untertanen zu disziplinieren und so den Frieden im Lande zu sichern.
Auch das kirchliche Leben war Gegenstand fürstlicher Reformpolitik. 1532/1533 erließ Johann III. von Jülich-Kleve-Berg eine Kirchenordnung, die in der Tradition seiner Vorgänger auf die Beseitigung von Missbräuchen abzielte, ohne jedoch die dogmatischen Grundlagen des Glaubens anzutasten. Eine ähnliche Linie verfolgte der Trierer Kurfürst Richard von Greiffenklau, der sich um Klerus- und Klosterreform bemühte. Weiter ging der Kölner Erzbischof Hermann V. von Wied. Auch er wollte zunächst, beraten von dem humanistisch gebildeten Johannes Gropper, die überkommene Kirche reformieren. Die 1536 von einer Provinzialsynode verabschiedeten Statuten sind als ein umfassendes katholisches Reformprogramm gewürdigt worden, das allerdings nicht umgesetzt worden ist.
1.2 Der Kampf um Geldern
Von kriegerischen Auseinandersetzungen blieb das Rheinland bis 1543 weitgehend verschont. Der 1522/1523 von Franz von Sickingen angeführte Ritteraufstand berührte nur das Kurfürstentum Trier, dessen Hauptstadt kurzzeitig belagert wurde. Auch der Bauernkrieg hat das Rheinland nicht erschüttert. Allerdings kam es 1525 in einer Reihe von Städten zu Unruhen. In Trier richteten sie sich gegen die steuerlichen Privilegien des Klerus. In Köln erhoben die Zunftbürger ähnliche Forderungen, erweiterten diese jedoch, nachdem der Rat die Geistlichkeit zu Zugeständnissen gezwungen hatte. Ein umfangreicher Beschwerdekatalog verurteilte nun den Lebensstil der „großen Gesellschaft“ und die aufwändige städtische Verwaltung. Unter dem Eindruck der Niederlage der Bauern brach der Aufstand jedoch zusammen; die Rädelsführer wurden hingerichtet.
Von größerer Bedeutung für die rheinische Geschichte als die Unruhen der zwanziger Jahre war der Kampf um die Erbfolge im Herzogtum Geldern. 1538 zwangen dessen Stände ihren kinderlosen Landesherrn, Jungherzog Wilhelm von Jülich-Kleve-Berg und dessen Vater die Schirmherrschaft über Geldern und die Grafschaft Zutphen zu übertragen, obwohl der Herzog von Jülich-Berg 1473 auf die Nachfolge verzichtet hatte. Mit dem Erwerb Gelderns hätte das niederrheinische Großterritorium die fehlende Landverbindung zwischen Kleve und Jülich gewonnen. Die faktische Übernahme des Herzogtums rief Karl V. (Regierungszeit 1519-1556), den Herrn der Niederlande, auf den Plan. Einen Bundesgenossen schien Herzog Wilhelm zunächst in Heinrich VIII. von England (Regierungszeit 1509-1547) zu finden, dem er seine Schwester Anna 1540 vermählte. Die nach kurzer Zeit erfolgte Auflösung der Ehe führte den Herzog an die Seite Frankreichs, das dem Kaiser 1542 den Krieg erklärte. Im folgenden Jahr ging Karl V. militärisch gegen Herzog Wilhelm vor. Nach der Eroberung Dürens (24.8.1543) musste dieser sich unterwerfen. Im Vertrag von Venlo vom 7. September verzichtete er auf Geldern, das nun unbestrittener Teil der Niederlande wurde, und löste seine Allianz mit Frankreich.
Der Kaiser war nun stark genug, den noch zu erörternden Reformationsversuch Kurfürst Hermanns von Wied zu beenden. Seine 1547 nach dem Sieg über den protestantischen Schmalkaldischen Bund erlangte beherrschende Stellung im Reich wurde 1552 durch den Fürstenaufstand schwer erschüttert. Er öffnete dem französischen König Heinrich II. (Regierungszeit 1547-1559) und seinem Verbündeten, dem Kriegsherrn Markgraf Albrecht Alkibiades von Brandenburg-Kulmbach (Regierungszeit 1541-1554), den Weg ins Rheinland und leitete den Übergang der zur Trierer Kirchenprovinz gehörenden Stifte Metz, Toul und Verdun an Frankreich ein.
1.3 Kölner Krieg und Jülich-Klevischer Erbfolgestreit
Opfer kriegerischer Verwicklungen wurde das Rheinland wieder, als der zunächst streng katholische Kölner Erzbischof Gebhard Truchseß von Waldburg die Absicht verkündete, das lutherische Bekenntnis im Erzstift „freizustellen“, seine Beziehung zu einer Gerresheimer Stiftsdame durch Heirat zu legalisieren und die Konfession zu wechseln. Da Gebhard seine vom Kaiser anerkannte Absetzung durch den Papst nicht hinnahm, kam es zur militärischen Auseinandersetzung mit seinem im Mai 1583 gewählten und von seinen süddeutschen Verwandten unterstützten Nachfolger Ernst von Bayern, in der das Schicksal der katholischen Kirche am Niederrhein auf dem Spiel stand. Dass der nunmehr ausbrechende „Kölner Krieg“ sich mindestens bis zur Übersiedlung Gebhards nach Straßburg im Jahre 1589 hinzog, hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass Truchseß von Wilhelm von Oranien (1533-1583) unterstützt wurde und sein Kampf um das Erzstift sich auf diese Weise mit dem niederländischen Freiheitskampf gegen Spanien verquickte, mit katastrophalen Folgen für die Bevölkerung. So wurde das von truchsessischen Truppen unter Adolf von Neuenahr (um 1554-1589) besetzte Neuss 1586 bei der Rückeroberung durch die Spanier unter Alexander Farnese (1545-1592) Opfer eines verheerenden Brandes. Spanische und niederländische Truppen, die von 1585 an um die Besetzung niederrheinischer Städte und damit um die Kontrolle des Rheins konkurrierten, hielten sich dort oft über Jahrzehnte.
Der Niederrhein wurde so zum Nebenkriegsschauplatz des niederländisch-spanischen Konflikts. Dass die Stände des niederrheinisch-westfälischen Kreises keine gemeinsamen Verteidigungsmaßnahmen zustande brachten, hing auch damit zusammen, dass der bedeutendste weltliche Herrschaftsbereich, die Vereinigten Herzogtümer, sich in einer schweren Krise befand. Denn nach dem Tod des altersschwachen Herzogs Wilhelm 1592 lag die Regierung weiterhin in der Hand der untereinander zerstrittenen Räte, da der Nachfolger Johann Wilhelm (Regierungszeit 1592-1609) wegen Geisteskrankheit regierungsunfähig war. Seine Ehen mit der 1597 vermutlich ermordeten Jakobe von Baden sowie mit Antoinette von Lothringen (1599) blieben kinderlos, sodass sich mit zunehmender Schärfe die die europäische Politik über Jahre beschäftigende Erbfolgfrage stellte. Von ihrer Entscheidung hing der zukünftige konfessionelle Status des bis dahin religiös weitgehend toleranten katholischen Länderverbunds ab. Erbansprüche erhoben neben den Wettinern die Schwestern des Herzogs beziehungsweise deren Nachkommen. Da diese in lutherische Fürstenhäuser – Brandenburg-Preußen, Pfalz-Neuburg und Pfalz-Zweibrücken – eingeheiratet hatten, mussten der Kaiser und Spanien die Nachfolge eines protestantischen Prätendenten zu verhindern suchen. Andererseits konnten Frankreich und die Generalstaaten es nicht zulassen, dass Wien die Lande, an deren Unteilbarkeit die Regimentsräte und die Stände festhalten wollten, als erledigtes Lehen einzog und dem habsburgischen Lager zuführte. Als Johann Wilhelm 1609 starb, war keine Lösung des Erbstreits in Sicht. Er sollte Fürsten und Diplomaten bis weit ins 17. Jahrhundert beschäftigen.
2. Wirtschafts- und Sozialgeschichte
2.1 Bevölkerungsentwicklung
Seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts erlebte die europäische Bevölkerung eine bis in das frühe 17. Jahrhundert anhaltende Wachstumsphase. Sie ist auch im Rheinland nachweisbar. Zahlenangaben liegen naturgemäß nur für einzelne Territorien und Städte vor. Die Auswertung der für das Herzogtum Jülich verfügbaren Kommunikantenlisten deutet auf eine Bevölkerungszunahme von etwa 8 Prozent zwischen 1533 und 1560 hin. Sie verlief allerdings nirgendwo stetig, wurde oft durch Seuchen und Kriege unterbrochen. So führte ein Pesteinbruch in Wesel 1586 dazu, dass trotz erheblicher Zuwanderung aus den Niederlanden in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts die Einwohnerzahl bis 1600 kaum stieg. In anderen niederrheinischen Städten wie zum Beispiel in Köln lässt die Zunahme der Häuserzahl auf Bevölkerungswachstum schließen.
2.2 Die Landwirtschaft
Die weiterhin in traditioneller Weise arbeitenden Landwirte profitierten von den durch die wachsende Bevölkerung angestoßenen Preissteigerungen, sofern sie in der Lage waren, für den Markt zu produzieren. Wegen der demographischen Entwicklung nahm in den Realteilungsgebieten die Besitzzersplitterung stark zu – in Barmen (heute Stadt Wuppertal) zum Beispiel gab es 1466 68 Grundbesitzer, 1591 mehr als 200 – , während in den Anerbenregionen die unterbäuerliche Schicht wuchs. Da sie auf den Zukauf von Lebensmitteln angewiesen war, litt sie ebenso wie die städtische Bevölkerung unter den steigenden Lebenshaltungskosten, mit denen die Löhne nicht Schritt hielten. Verschärft wurde die Situation in der zweiten Jahrhunderthälfte, als es, wohl hervorgerufen durch Klimaverschlechterung („kleine Eiszeit“), zunehmend zu Missernten kam. In Teuerungszeiten versuchten die Regierungen die Versorgung der Bevölkerung durch Ausfuhrverbote und Preissubventionen sicher zu stellen.
2.3 Gewerbe und Handel
Dem Aufschwung, den das Gewerbe in einigen Regionen nahm, standen Stagnation oder Niedergang in anderen gegenüber. Dabei spielte die unterschiedliche Offenheit für technische Innovationen eine wichtige Rolle. Wo man die Umstellung der Stahlproduktion auf den Einsatz von Wasserhämmern versäumte wie in Radevormwald, profitierten davon fortschrittlichere Orte wie Remscheid und Lüttringhausen (heute Stadt Remscheid). Mangelnde Anpassung an den Markt, der vermehrt Luxusgüter sowie billige Modestoffe verlangte, führte zum Niedergang der Kölner Wollweberei. Unter Innovationsdruck geriet gegen Ende des 16. Jahrhunderts auch die Seidenweberei in der Domstadt. Zuwanderer aus Italien und den Niederlanden brachten neue, maschinelle Fertigungsmethoden mit, die die Zünfte verwarfen. Der zum Teil auch konfessionell bedingte Widerstand gegen die Immigranten veranlasste diese schließlich, in tolerantere Orte abzuwandern.
In Aachen führten religiöse Auseinandersetzungen und zünftige Beschränkungen längerfristig zur Abzug des Messinggewerbes in die ländliche Umgebung, namentlich in die Jülicher Unterherrschaft Stolberg. Die Verlagerung des Gewerbes in das preisgünstiger produzierende Umland der Städte ist auch im Herzogtum Berg zu beobachten. Hiervon profitierten zum Beispiel Lenneper Textilverleger, während sich die Wipperfürther Wollenweberzunft erfolgreich, aber auf die Dauer zum Schaden der Stadt gegen diesen Trend zur Wehr setzte. Als ländliches Textilgewerbe entstand im Wuppertal dank günstiger Standortbedingungen die Garnbleicherei. Ihr Aufschwung verdankte sich nicht zuletzt einem den Garn- und Leinenhändlern und –bleichern in Elberfeld (heute Stadt Wuppertal) und Barmen verliehenen landesherrlichen Privileg, das diesen eine monopolartige Stellung sicherte.
Die kriegerischen Ereignisse des 16. Jahrhunderts, insbesondere der Kölner Krieg, haben dem Handel zwar geschadet, aber auch zu für ihn günstigen Verlagerungen geführt. So begünstigte der Niederländische Aufstand gegen Spanien Köln auf Kosten von Antwerpen. Mochte die Reichsstadt im 16. Jahrhundert als Produktionsstandort Einbußen erleiden, ihre dominierende Position im Rheinhandel und damit ihren Wohlstand konnte sie behaupten, auch wenn um 1600 deutlich wurde, dass ihr einige fürstliche Territorien des Rheinlandes dank ihrer flexibleren Wirtschaftspolitik zunehmend Konkurrenz machten.
3. Kirchengeschichte: Reformation und katholische Reform
3.1 Die Anfänge der Reformation im Rheinland
Einer gelehrten rheinischen Öffentlichkeit wurde Martin Luther (1483-1546) bekannt, als die Kölner theologische Fakultät am 30.8.1519 die Verbrennung der in Basel erschienenen Gesamtausgabe seiner lateinischen Schriften verlangte und ihr Urteil im März 1520 in Köln veröffentlichte. Am 12. November erfolgte auf dem Domhof die Verbrennung lutherischer Bücher. Einer breiteren Öffentlichkeit vermittelten Flugblätter und Druckschriften, deren massenhafte Verbreitung das neue Medium ermöglichte, die Ideen des Reformators.
Initiiert wurde die frühreformatorische Bewegung im Rheinland vor allem durch Augustinereremiten, von denen manche in Wittenberg studiert hatten. Im Kölner Augustinerkonvent fand bis zu ihrem Verbot 1525 lutherische Predigt statt. Während dies trotz vereinzelter Sympathisanten der neuen Lehre auch in der Universität nicht zur Gemeindebildung führte, ging in Wesel die bis etwa 1540 erreichte Durchsetzung der Reformation vom Augustinerkloster aus. Sie vollzog sich nicht ohne sie bedrohende Krisen. 1525 erließ Johann III. von Jülich-Kleve-Berg ein Religionsmandat, das dem Rat befahl, den Konrektor der Stadtschule, Adolf Clarenbach, der in einen Konflikt mit einem Dorstener Franziskanermönch geraten war, aus der Stadt zu entfernen. 1526 musste er das Herzogtum Kleve verlassen. Als er sich 1528 in die Reichsstadt Köln begab, wurde er wegen sektiererischer Umtriebe gefangen genommen und am 28.9.1529 nach langwierigen gerichtlichen Auseinandersetzungen auf dem Galgenberg in Melaten zusammen mit dem Studenten Peter Fliesteden (Geburtsjahr unbekannt) verbrannt. 1535 glaubte man sich in Wesel von der Täuferbewegung, die die Stadt Münster in ihre Gewalt gebracht hatte, bedroht. Zehn ihrer Anhänger wurden hingerichtet, andere blieben bis 1539 in Gewahrsam.
Reformatorische Regungen sind auch in Kurtrier bis zum gescheiterten Reformationsversuch Dr. Caspar Olevians von 1569 sowie im Herzogtum Jülich nachweisbar. Die im Raum Wassenberg wirkenden dem Täufertum nahe stehenden Prediger konnten sich jedoch nur bis zur Kirchenvisitation von 1532/1533 halten.
3.2 Fürsten und Reformation
Die im Bauernkrieg gipfelnden religiösen und sozialen Unruhen veranlassten mehrere rheinische Obrigkeiten, kirchenreformatorisch tätig zu werden. Vor allem kleinere Territorialherren wie die Grafen von Manderscheid-Blankenheim sympathisierten früh mit dem neuen Glauben. Die Reichsherrschaft Homburg erhielt 1563 eine evangelische Kirchenordnung; in der Grafschaft Moers und in der Herrlichkeit Krefeld setzte sich das Luthertum spätestens seit 1560 durch. Fuß fassen konnte die neue Lehre auch in mehreren jülich-bergischen und kurkölnischen Unterherrschaften.
Ohne Erfolg blieben zwei Reformationsversuche im Kurfürstentum Köln. Erzbischof Hermann von Wied, der 1538, beraten von Johannes Gropper, ein von einer Provinzialsynode beschlossenes Reformprogramm veröffentlichte, das jedoch nicht umgesetzt wurde, erließ 1543 eine „Einfältiges Bedenken“ überschriebene Kirchenordnung. Große Teile des Textes stammten von dem evangelischen Theologen Martin Bucer; Philipp Melanchthon (1497-1560) hatte ihn überarbeitet. Als der Kurfürst sich weigerte, die von ihm eingeführten Neuerungen abzustellen, traf ihn am 16.4.1546 der Kirchenbann. Ein Jahr später verzichtete er auf seine kirchlichen und politischen Rechte. Der zweite vergebliche Versuch, das Erzstift dem Protestantismus zuzuführen, verbindet sich mit dem Namen des Erzbischofs Gebhard Truchseß von Waldburg. Er wechselte 1582 aus persönlichen Gründen die Konfession. Der Verkündung der freien Religionsausübung in Kurfürstentum folgte jedoch keine Umgestaltung des Kirchenwesens auf der Grundlage einer evangelischen Kirchenordnung.
Kirchliche Reformpolitik wurde bis 1567 in Jülich-Kleve-Berg betrieben. Geprägt wurde sie von einem am Klever Hof wirkenden Humanistenkreis um Konrad Heresbach, der enge Beziehungen zu Erasmus von Rotterdam (1465/1469-1536) und Melanchthon unterhielt, und von Johann von Vlatten. Die 1532 erlassene Kirchenordnung gilt als Zeugnis des rheinischen „reformkatholischen Sonderwegs“, in der unter Vermeidung kontroverstheologischer Frontstellungen pastorale und disziplinarische Ziele verfolgt wurden. Der in den Vereinigten Herzogtümern eingeschlagene kirchenpolitische Mittelweg trug dazu bei, dass die Gegenreformation, sieht man von Köln ab, wo der Jesuitenorden 1544 Fuß fassen konnte, am Niederrhein erst spät wirksam wurde. Dies gilt auch für die Tridentinische Reform, deren disziplinarische Bestimmungen dort lange auf Ablehnung stießen.
3.3 Konfessionalisierung
Konfessionalisierung und konfessionelles Bewusstsein der Gläubigen haben sich so im Rheinland erst mit erheblicher Verspätung durchgesetzt. Zur schärferen Abgrenzung zwischen Katholiken und Neugläubigen trug seit den 1540er Jahren der in mehreren Wellen erfolgende Zustrom niederländischer Glaubensflüchtlinge bei, die sich theologisch an Johannes Calvin (1509-1564) orientierten und mehr als die Lutheraner ihren Gegensatz zur alten Kirche betonten. Reformierte Gemeinden entstanden zunächst in Wesel und Aachen. Ihre presbyterial-synodale Kirchenorganisation wurde dann Vorbild für die am Niederrhein und im Herzogtum Berg entstehenden Gemeinden, die mancherorts das Luthertum zurückdrängten. Die quasidemokratisch verfassten Reformierten vermochten sich als „Gemeinden unter dem Kreuz“ auch dann zu behaupten, als die Obrigkeit in Jülich-Kleve-Berg seit 1567 nicht zuletzt unter dem Eindruck des niederländischen Aufstands ihre auf Ausgleich bedachte Kirchenpolitik allmählich beendete. Diese hat jedoch entscheidend dazu beigetragen, dass sich hier „Konfessionalisierung von unten“ vollziehen konnte und in vielen Orten die drei Konfessionen auf die Dauer nebeneinander existierten.
4. Bildungsgeschichte
Schon früh wurde den allmählich entstehenden Konfessionskirchen bewusst, dass Bildung und Erziehung der Gläubigen unentbehrliche Voraussetzung für ihre Behauptung in der Auseinandersetzung der miteinander konkurrierenden Glaubenssysteme waren. Wo sich evangelische Gemeinden bildeten, sorgten sie im Sinne der von Luther und Calvin erhobenen Forderungen für die Einrichtung von Schulen, die zumindest die Fähigkeit vermitteln sollten, die Heilige Schrift und den Katechismus zu lesen. So verkündete Graf Hermann von Neuenahr 1573 die Absicht, im Moerser Karmeliterkloster „zur pflanzung und erhaltung gottlichen worts eine gute schollen“ einzurichten. Als die Protestanten 1581 das Aachener Stadtregiment übernahmen, gründeten sie eine lutherische und eine calvinistische (Latein?)Schule sowie 17 kleinere Anstalten, in denen der Katechismus gelehrt wurde. Auf landesherrliche Initiative ging das 1545 ins Leben gerufene Düsseldorfer Gymnasium unter dem zunächst wohl reformkatholisch, später calvinistisch orientierten Rektor Johann Monheim zurück.
Die Erkenntnis, dass von schlechtem Schulunterricht dem Gemeinwesen Schaden drohe, wie 1536 die Kölner Provinzialsynode formulierte, veranlassten auch im katholischen Bereich Reformen des überkommenen Bildungswesens. Wie die kölnische Kirchenvisitation von 1569 zeigt, widmete man den deutschen und lateinischen Schulen verstärkte Aufmerksamkeit, für deren Lehrer das Konzil von Trient den Eid auf das Glaubensbekenntnis vorschrieb.
Um den Nachwuchs von Geistlichen und Verwaltungsbeamten sicherzustellen, entstanden zahlreiche protestantische und katholische Gymnasien. In den altgläubigen Territorien lagen ihre Gründung und Leitung in der Hand der Jesuiten, später auch der Bettelorden. Ihre größten Erfolge verzeichnete die Gesellschaft Jesu zunächst in Trier, wo sie 1561 den Universitäts-, dann auch den Gymnasialunterricht übernahm; 1582 richtete sie in Koblenz ein Gymnasium ein. In Köln wurde dem Jesuiten Johann Rethius 1556 die Leitung der Dreikronenburse, des Tricoronatum, übertragen, das der Orden dann zu einem Gymnasium umformte. 1592 übertrug ihm das Emmericher Stiftskapitel das städtische Schulwesen. Das erste der vom Konzil von Trient vorgeschriebenen Priesterseminare stiftete Erzbischof Johann VII. 1584 in Koblenz; seine Leitung übernahmen die Jesuiten.
Die Kölner Universität verstand sich seit dem 16. Jahrhundert als Bollwerk des alten Glaubens. Dies trug, zumal neugläubige Studenten an die niederländischen Hochschulen abwanderten, zum zeitweise erheblichen Rückgang der Immatrikulationen bei. Der 1555 in Rom vorgelegte Plan Herzog Wilhelms V. von Jülich-Kleve-Berg für eine Landesuniversität in Duisburg, an der wohl eine zwischen den konfessionellen Lagern vermittelnde Theologie vertreten werden sollte, wurde trotz der 1564 erteilten päpstlichen Genehmigung nicht verwirklicht.
5. Kunstgeschichte
In der Malerei setzte der vermutlich aus Wesel stammende und 1555 in Köln verstorbene Bartholomäus Bruyn der Ältere spätgotische Traditionen fort. Neben Porträts schuf er große Altartafeln für die Stiftskirchen in Essen und Xanten. Kalkar war in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts das rheinische Zentrum der Schnitzkunst. Zu nennen sind vor allem die Werke des vermutlich aus Dinslaken stammenden Heinrich Douvermann. Ihm verdanken die Kalkarer Kirche St. Nikolai den Sieben-Schmerzen-Altar, die Stiftskirchen in Kleve und Xanten ihre Marienaltäre. Der aus Worms stammende Zeichner und Buchillustrator Anton Woensam schuf unter anderem die vom Kölner Rat in Auftrag gegebene große Kölner Stadtansicht von 1531.
Die Baukunst der Renaissance hat das Rheinland erst spät erreicht. 1569-1573 entstand nach Plänen des aus Kalkar stammenden Baumeisters Wilhelm Vernukken (gestorben 1607) die Kölner Rathauslaube. Im Auftrag Wilhelms V. errichtete der Bolognese Alexander Pasqualini das um 1570 vollendete Jülicher Residenzschloss. Zuvor hatte er das durch Brand weitgehend zerstörte Düsseldorfer Schloss neu gestaltet. Der jülichsche Rat Otto von Bylandt (um 1525-1591) betraute ihn etwa 1569/1570 mit dem Umbau des spätgotischen Schlosses Rheydt im Stil der italienischen Renaissance.
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Müller, Klaus, 1521 bis 1609 - Die Rheinlande bis zum Ausbruch des Jülich-klevischen Erbfolgestreits, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/Epochen/1521-bis-1609---die-rheinlande-bis-zum-ausbruch-des-juelich-klevischen-erbfolgestreits/DE-2086/lido/57ab229daff226.90737114 (abgerufen am 13.12.2024)