1338 - Der englische König in Koblenz. Eduard III. und das Reich zu Beginn des Hundertjährigen Krieges
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1. Das Ereignis
Vor mehr als 650 Jahren, vom 30.8. bis zum 7.9.1338, hielt sich der englische Königshof in Koblenz auf. Eduard III., 26 Jahre alt, befand sich seit Juli 1338 auf wichtiger diplomatischer und militärischer Mission auf dem Kontinent. Sein Ziel war die Erlangung der französischen Königskrone, auf die er Anspruch als Enkel des französischen Königs erhob. Das Treffen am Rhein war für ihn äußerst wichtig. Am 19. August war der König von Antwerpen, wo er sich seit gut einem Monat aufgehalten hatte, aufgebrochen. Begleitet von seinem repräsentativen Hofstaat, hatte er den Weg über Jülich, Köln, Bonn, Sinzig und Andernach genommen, um dann auf der rheinabwärts nahe Koblenz gelegenen Insel Niederwerth Quartier zu beziehen. Er war dort zu Gast im Anwesen des Trierer Erzbischofs Balduin.
Die Reichsversammlung, die am 5. September auf dem Koblenzer Florinsmarkt stattfand, war festlich und prächtig – zeitgenössische Quellen sprechen von 17.000 Zuschauern. Die Zahl wird man anzweifeln dürfen, doch ob übertrieben oder nicht, das Treffen war bedeutend und einem heutigen Gipfeltreffen von Regierungschefs vergleichbar.
Wer kam in Koblenz zusammen? Neben sechs Bischöfen und 37 Grafen, Baronen und Rittern waren dies der römisch-deutsche Kaiser Ludwig IV. der Bayer (Regierungszeit 1314-1347), Erzbischof Balduin von Trier, Erzbischof Heinrich III. von Mainz (Episkopat 1326/1337-1346/1553), Herzog Ludwig von Bayern (1315-1361), Sohn des Kaisers und Markgraf von Brandenburg, sowie der Markgraf von Meißen. Nicht erschienen war Walram von Jülich, der Kölner Erzbischof – er hatte einige Tage zuvor den englischen König in seiner Bonner Residenz mit allen Ehren empfangen. Seine Abwesenheit in Koblenz war ein kluger Schachzug. Walram verhielt sich doppelt neutral: Eduard III. versuchte, sich Verbündete in seinem Bemühen um den französischen Königsthron zu verschaffen. Kaiser Ludwig der Bayer, dem sich der Engländer angenähert hatte, befand sich im Kirchenbann und hatte nichts zu verlieren, konnte vielmehr hoffen, durch den Pakt mit dem Engländer große Einnahmen zu erzielen. Durch sein Fehlen in Koblenz konnte Papst Benedikt XII. (Pontifikat 1334-1342) dem Erzbischof nicht den Kontakt mit dem Kaiser vorhalten, der englische König andererseits war nach dem vorhergehenden Treffen in Bonn nicht düpiert. Letzteres war wiederum wichtig, weil die Kölner Bürger vielfältige Wirtschaftsbeziehungen nach England unterhielten, die nicht gestört werden durften.
2. Der politische Hintergrund
Dem ersten Aufenthalt des englischen König auf dem Kontinent vom Juli 1338 bis zum Februar 1340 folgten zahlreiche weitere Reisen. Die Jahre ab 1337 werden als Anfangsphase des später so genannten Hundertjährigen Krieges gesehen. Die wenigen Anmerkungen zum Teilnehmerkreis des Reichstages verdeutlichen das komplexe Beziehungsgeflecht, in dem das politische Geschehen sich bewegte. Dies muss zumindest kurz in zwei weiteren Aspekten vertieft werden. Seit dem Herbst 1336 hatte ein reger Botenaustausch zwischen Eduard III. und den kontinentalen Fürsten stattgefunden. Durch umfangreiche Zahlungsversprechen konnte sich der Engländer bis zum Ende des Jahres 1337 fast alle Großen verpflichten, ausgenommen den Grafen von Luxemburg (König von Böhmen), den Bischof von Lüttich und den Grafen von Flandern. Was bewog - neben der Aussicht auf finanzielle Entschädigung - die Fürsten, König Eduard zu unterstützen? Die Abhängigkeit besonders Brabants und Flanderns von den englischen Wolllieferungen war sehr groß. So ließ der Herzog von Brabant aus wirtschaftlichen Motiven den englischen Hof mit mehr als 1.000 Personen sein Dauerquartier in Antwerpen nehmen, taktierte insgesamt aber so vorsichtig, dass der französische König keinen Bruch daraus ablesen konnte.
Zu erwähnen ist auch der verwandtschaftliche Hintergrund, vor dem der englische König agieren konnte. Seine Gattin Philippa (1311-1369) war die Tochter des Grafen von Hennegau, Holland und Seeland. Der Schwiegervater und nach dessen Tod der Schwager waren in dieser Zeit treue Parteigänger Eduards. Philippas Schwester Margarethe (1310-1356) wiederum war mit Kaiser Ludwig dem Bayern verheiratet, Schwester Johanna (1315-1374) mit dem Markgrafen Wilhelm von Jülich (Regierungszeit 1328-1361, ab 1356 als Herzog). Graf Rainald II. von Geldern (Regierungszeit ab 1318/1326-1343, ab 1339 als Herzog) war durch die Heirat mit Eduards Schwester Eleonore (1318-1355) ebenfalls ein Schwager des Engländers.
In wenigen Stichworten sollen die politischen und militärischen Ereignisse vom Juli 1338 bis zum Februar 1340 geschildert werden. Die Höhepunkte waren die Reichsversammlung in Koblenz, auf der Eduard zum Reichsvikar ernannt wurde, sowie die offizielle Annahme des französischen Königstitels im Januar 1340. Diese erfolgte in Gent. Militärisch gesehen passierte nicht viel, lediglich ein wenig spektakulärer Feldzug im Herbst 1339 und die erfolglose Belagerung der Stadt Cambrai sind festzuhalten. Ansonsten war Eduard III. überwiegend mit der Festigung seiner Kontakte und der finanziellen Absicherung seines Vorhabens beschäftigt.
3. Die Quellenlage
Die sehr gute Quellenlage besonders in England ermöglicht es, viele Details vom Alltag am reisenden Königshof zu erfahren. Die reichhaltigen Archivalien, die im Nationalarchiv in London aufbewahrt werden, sind Niederschlag einer bereits im 14. Jahrhundert differenzierten Verwaltung, deren Unterlagen seit dem Mittelalter zentral in London aufbewahrt werden und die niemals durch Kriegsverluste oder Naturkatastrophen dezimiert worden sind.
Zahlreiche Quellen, insbesondere aus dem Schatzamt und der Kanzlei, ermöglichen eine Rekonstruktion der Ereignisse. Die Hauptquelle ist ein Rechnungsbuch, bestehend aus 181 eng beschriebenen Pergament-Blättern. Der Kustos der königlichen Garderobe - so die Bezeichnung für das rechnungsführende Sekretariat des Hofhaushalts - stellte nach Ablauf der Reise aus tausenden von Einzelquittungen, Belegen und Abrechnungen der verschiedenen Abteilungen des Haushaltes die Einnahmen und Ausgaben zusammen. Das dauerte ungefähr ein Jahr, die Abrechnung wurde dann im Schatzamt zur Prüfung eingereicht. Sie spiegelt die Doppelfunktion der Garderobe wider, die sowohl als königliche Haushaltskasse (nicht aber als königliche Privatkasse) als auch als staatliche Kriegskasse fungierte. Das Rechnungsbuch gilt als eines der umfangreichsten des gesamten Mittelalters und liegt ediert vor.
Faszinierend ist, dass nicht nur das Rechungsbuch erhalten ist, sondern auch die ihm zu Grunde liegenden Unterlagen überliefert sind, so dass einzelne Posten sogar mehrfach nachzuweisen sind. Ein Beispiel möge das zeigen: Ist in der Gesamtabrechnung die Bezahlung von Medizin für die Reise des Königs belegt, dann liegt eine noch detailliertere Notiz darüber in den Ausgabenlisten des Schatzamtes vor (dieses hat der Garderobe den Betrag angewiesen, er taucht in ihren Listen als Ausgabe und bei der Garderobe als Einnahme auf). Mit der Quellendichte in Deutschland nicht einmal ansatzweise zu vergleichen ist, dass sogar die Original-Quittung des Londoner Apothekers erhalten ist, mit der dieser die Bezahlung der Rechnung bestätigt. Natürlich haben auch diese für das Spätmittelalter geradezu traumhaften Überlieferungsverhältnisse ihre Grenzen, wie noch zu zeigen sein wird.
Die Quellenlage auf dem Kontinent stellt sich für die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts, also auch für die fraglichen Jahre 1338 bis 1340, als sehr dürftig dar. Kriege und Stadtbrände haben hier zu Verlusten geführt. Gerade im Hinblick auf die Reise nach Koblenz finden sich in den Archiven der vom königlichen Tross besuchten rheinischen Städte mit Ausnahme von Koblenz keinerlei Zeugnisse über den jeweiligen Aufenthalt. Auch die landesherrliche Überlieferung erlaubt nicht mehr als die Rekonstruktion von Daten. In den großen flämischen Städten ist die Quellenbasis etwas besser, was auch an der Logierdauer des Hofes an diesen Orten liegen mag.
4. Der englische Hof unterwegs
Das Zusammentreffen der verschwägerten Monarchen Eduard III. und Ludwig der Bayer war seit langem geplant und von englischer Seite mit besonderer Sorgfalt vorbereitet worden. Die Berater und höchsten Beamten des Kaisers hatten im Vorfeld bereits Geldbeträge, aber auch wertvolle Gürtel und Taschen geschenkt bekommen. Im Mai 1338 – Eduard befand sich noch auf der Insel – hatte Ludwig ein Treffen in Sinzig – einer Reichsstadt – vorgeschlagen. Man befand sich im ständigen Austausch von Botschaftern und Anfang August 1338 besuchte eine kaiserliche Delegation den Engländer in Brabant, wo die Grafen von Neuffen und Nassau Eduard offiziell zum Reichstag einluden und im Gegenzug kostbare Geschenke (Schalen und Krüge) erhielten, während der kaiserliche Trompeter, der seine Aufwartung gemacht hatte, ein Geldgeschenk bekam. Wann man das Treffen von Sinzig nach Koblenz verlegte, ist den Quellen nicht zu entnehmen, noch im August ging man von Sinzig als Ort des Zusammentreffens aus.
Den Tross, der schließlich von Antwerpen Richtung Koblenz aufbrach, war groß und beeindruckend. Zwar wissen wir, dass der König etwas mehr als die Hälfte der Pferde seines Haushaltes im Hauptquartier in Antwerpen zurückließ, aber er reiste immer noch mit mehr als 200 Tieren rheinaufwärts. Die Küche und alle wichtigen Versorgungsabteilungen des Haushaltes begaben sich mit auf die Reise – zur Versorgung des Herrschers und zur Repräsentation.
Einheimische Führer begleiteten den Hof durch unbekanntes Gelände, für die verschiedenen Reiseetappen auf dem Rhein mietete man Schiffe und Lotsen. Die Kosten für diese einzelnen Dienstleistungen finden sich in den englischen Abrechnungen wieder. So wurden für das Übersetzen auf dem Rhein von Andernach zum Quartier nach Niederwerth ein Einwohner Andernachs und sieben Genossen bezahlt. Im Rechnungsbuch heißt es, dass man über ein Gewässer vocatam la Ryne gesetzt worden sei - vom unmittelbar in Koblenz beginnenden Welterbe Mittelrheintal wusste man im 14. Jahrhundert noch nichts!
Die Sicherheitsmaßnahmen wurden während der Anreise verstärkt. 66 englische Bogenschützen geleiteten Eduard III., die Stadt Köln stellte eine Schutzmannschaft für die Nachtstunden und eine Ehrenwache von sechs deutschen Rittern geleitete den König vom 25. August bis zum 10. September. Quartier nahm dieser zumeist in Privathaushalten, das heißt in den Häusern reicher Bürger, verhältnismäßig selten in geistlichen Einrichtungen. Es gibt vielleicht eine persönliche Vorliebe wieder oder ergab sich zufällig, dass der König wiederholt im Freien - am Ufer oder im Garten - Mahlzeiten zu sich nahm.
Auch in Düren und Bonn wurden offizielle Einladungen angenommen. Eduard war Gast seines Schwagers Wilhelm von Jülich beziehungsweise des Kölner Erzbischofs. Aber auch das englische Personal trug zum Gelingen der Festlichkeiten bei. Es ist bekannt, dass die Waffelbäcker Aufgaben von wichtiger gesellschaftlicher Funktion hatten; in einer Ordnung des englischen Haushalts von 1318 wird ausführlich ihr Arbeitsgebiet beschrieben, ohne dass wir jedoch genau sagen können, wann und wie die Waffeln jeweils bei Banketten serviert wurden; die Forschung vermutet, dass ihr Auftritt am Ende von offiziellen Treffen stand.
Der König gab sich während der Anreise nach Koblenz auch dem Glückspiel hin -gleich zwei Belege finden sich in den Quellen. So wurden die in Bonn und Diest entstandenen Spielschulden im Nachhinein von seiner Verwaltung beglichen. Zumindest einmal scheint Eduard gewonnen zu haben. Das Rechnungsbuch vermerkt die Übernahme eines silbernen Trinkgefäßes für Wein, für das nichts bezahlt, weil es im Spiel gewonnen worden war.
Neben Festlichkeiten und Zerstreuungen war die Verehrung von Reliquien fester Programmteil in jeder besuchten Stadt. Die großzügige Schenkung Eduards für den Kölner Dombau sowie zahlreiche Almosen an die Bewohner geistlicher Konvente zeugen von seiner Mildtätigkeit, die jedoch eher als typisch für das späte Mittelalter und weniger als Ausdruck persönlicher Frömmigkeit (über die es so gut wie keine Zeugnisse gibt) zu sehen ist. Es herrscht Konsens in der Literatur, dass Eduard gerade in den ersten Kriegsjahren Schenkungen zu Gunsten lokaler Heiliger auf dem Kontinent durchaus auch mit politischem Hintergrund tätigte. Es gibt einige Hinweise, wenn man schon nach Hinweisen für persönliche Frömmigkeit sucht, dass der König sich besonders der Marienverehrung hingab und die Bettelorden wertschätzte: Dominikaner und Augustiner wurden mehrfach zu politischen Missionen herangezogen.
Der seit 1248 im Bau befindliche gotische Kölner Dom, dessen Chor 1322 geweiht worden war, muss Eduard III. besonders beeindruckt haben. Er besuchte den Dreikönigsschrein und spendete mehr als 60 Pfund für den Dombau. Das war viel Geld, ungefähr das Dreifache von üppigen Jahresgratifikationen für engste Berater oder das Fünfzigfache des jährlichen Kleidergeldes für einfache Haushaltsangehörig, zum Beispiel der Wäscherinnen.
Ein besonderes Vorkommnis aus Köln soll Erwähnung finden. Eine englische Chronik berichtet für das Jahr 1359, dass Eduard III. in Westminster förmlich von seinem früher geäußerten Wunsch, in Köln beigesetzt zu werden, Abstand genommen habe. Eventuell war eine entsprechende Absicht öffentlich verkündet worden. Allerdings ist keine einzige kontinentale Quelle erhalten, die von einer solchen bedeutenden Ankündigung berichtet.
Nach heutigen Maßstäben hätte die Regenbogenpresse in vielerlei Hinsicht Honig aus dem Besuch des englischen Hofes saugen können: Die englische Königin brachte während der Auslandsreise zwei Kinder zur Welt - im November 1338 wurde Lionel 'von Antwerpen' geboren, sowie im März 1340 Johann, der nach seinem Geburtsort den Beinamen 'von Gent' erhielt. Die Honoratioren der Städte trugen dem im üblichen Rahmen Rechnung und verehrten Philippa anlässlich der ersten Kirchgänge nach der Geburt kostbare Geschenke.
Aber – und damit sind wir wieder bei der Rheinreise – auch weniger positive Schlagzeilen wurden sicher vermeldet; auch wenn es noch kein Zeitungswesen gab, so wurden doch besondere Vorkommnisse mündlich berichtet und tradiert: Ein Zwischenfall in Köln sorgte für Unruhe. Ein Mann, der vorgab, der Vater Eduards III. zu sein, wurde auf Kosten der Engländer in Arrest genommen und unter Bewachung nach Koblenz überführt. Hintergrund ist, dass König Eduard II. im September 1327 von den Anhängern der Königin Isabella und ihres Geliebten Mortimer umgebracht worden war. Der in Köln auftretende Hochstapler war kein Unbekannter, er war mit seiner mysteriösen Geschichte seit dem Vorjahr unterwegs und zog bis 1343 durch halb Europa.
Hof- und Truppenangehörige fielen in der Fremde nicht nur positiv auf. Man muss sich immer wieder klarmachen, dass der Königshof mit circa 1.000 Personen auf dem Kontinent war – das war selbst für eine große Stadt wie Antwerpen mit rund 15.000 Einwohnern ein Fremdkörper. So sind Diebstähle von Lebensmitteln und Wein belegt, die von der englischen Verwaltung beglichen und geahndet wurden. Während der Anreise nach Koblenz war es in Bonn zu nächtlichen blutigen Auseinandersetzungen gekommen, wofür eine ungewöhnlich hohe Entschädigungssumme gezahlt wurde. Insgesamt gesehen sind die Fälle von Körperverletzungen oder sogar Totschlagsdelikten jedoch selten, auch wenn Eduards Gefolge in der Literatur gelegentlich als "notorisch rauflustig" bezeichnet wird. Die Abrechnungen lassen solche Fälle nur als singulär erscheinen.
Auch auf Niederwerth gab es im Laufe des Aufenthaltes Schäden zu begleichen: Hofangehörige hatten Weingärten sowie erzbischöfliche Besitzungen verwüstet. Natürlich ersetzte der englische Hof die entstandenen Kosten.
5. Der Aufenthalt in Koblenz
Am 30. August traf der englische Hof auf der Insel Niederwerth ein und wurde offiziell durch Vertreter des Kaisers, des Trierer Erzbischofs sowie „verschiedene andere Magnaten" begrüßt. Es heißt, dass die menestralli ihren Dienst verrichteten. Nun verbindet sich mit dem Begriff des menestrallus eine besondere Problematik, denn er ist ebenso mehrdeutig wie die auch in den herangezogenen Quellen benutzte Formulierung facere menestraciam. Ein menestrallus war nicht zwangsläufig ein Musikant oder ein Spielmann, auch Herolde werden so bezeichnet. Ursprünglich waren unter diesem Begriff niedere Haushaltsangehörige zu verstehen.
Wenn 1856 Christian von Stramberg das Auftreten dieser menestralli als musikalischen Wettstreit beschreibt (noch 1927 von Hans Bellinghausen aufgegriffen), dann dürfte das ein typisches gedankliches Produkt des 19. Jahrhunderts sein. Rittermythos und Mittelalterbegeisterung ließen eine Art "Sängerkrieg auf Niederwerth" vermuten. Der "Sängerkieg auf der Wartburg", ein Gedicht des 13. Jahrhunderts, war von Richard Wagner im Jahr 1845 im „Tannhäuser" aufgegriffen worden und daher hochmodern.
Faktisch handelte es sich bei den menestralli wohl eher um Abgesandte ihrer Dienstherren - eben des Kaisers, des Erzbischofs und anderer Adliger -, die im diplomatischen Einsatz offiziell aufwarteten, dabei vielleicht auch – aber keineswegs ausschließlich - musizierten. Das Rechnungsbuch notiert die daraus resultierenden Ausgaben unter dem Stichwort 'Herolde', was eher auf eine politische Bewertung denn als Einschätzung eines Unterhaltungspostens hindeutet.
Es gab selbstverständlich auch angestellte Musikanten am englischen Königshof. Nach dem Ende des Kindbetts der Königin spielten zu ihren Ehren kaiserliche Musikanten sowie Spielleute der Herzöge von Brabant und Geldern auf.
Bereits während der Anreise nach Koblenz hatte der englische König mehr als 860 Liter Wein geschenkt bekommen – eine durchaus übliche Art der Gastfreundschaft und Ehrerweisung. Die hohen Qualitätsansprüche, die am englischen Hof grundsätzlich an Wein gestellt wurden, lassen sich durch einen Hinweis veranschaulichen, der vom Februar 1338 – also wenige Monat vor der Kontinentreise – stammt. Man hatte einige Fässer Wein aus einem Lager nach London bringen lassen, in der Rechnung begründet wird dies mit dem Hinweis, dass in London nur alter und schlechter Wein vorrätig gewesen sei, den der König und sein Gefolge nicht trinken wollten.
Auch Lebensmittelgeschenke waren durchaus üblich im späten Mittelalter. Die Verbündeten ließen nach Niederwerth ebenso Fische bringen; Für die übrige Zeit auf dem Kontinent sind aber neben diversen Fischarten auch Wildschweine, Hirsche und (lebende) Ochsen (die Genter Knechte, die dieselben trieben, erhielten eine Belohnung) erwähnt.
Die besonderen Anforderungen an gehobene Repräsentation lassen sich für den Koblenzer Reichstag – wie auch für die Reise insgesamt – nachweisen. Neue robae aus Seide, feinen Wolltuchen und Leinen waren zu hohen kirchlichen Feiertagen und in Vorbereitung des Koblenzer Treffens geschneidert worden. Oftmals waren sie bestickt und erstmals wurden am englischen Königshof während des Kontinentaufenthaltes wertvolle Knöpfe verwendet. Man stellte Reichtum und Macht zur Schau, auch wenn es um die Finanzen de facto eher schlecht bestellt war und man von der Hand in den Mund lebte. Es gab natürlich auch Trends und Moden im späten Mittelalter. Aus einer Einzelabrechnung geht hervor, dass ein Überwurf ad modum Alemanniae angefertigt werden sollte. Prachtvolle zweiteilige Roben wurden im Sommer 1338, also vermutlich eigens für den Koblenzer Tag für den englischen König, den römisch-deutschen Kaiser, den Herzog von Brabant sowie für zwölf nur summarisch genannte englische und deutsche Adlige hergestellt.
6. Das Treffen der Monarchen
Vor der eigentlichen Reichsversammlung am 5. September gab es mehrere Vortreffen: der König, der Kaiser, die Erzbischöfe von Trier und Mainz trafen am 31. August zu einer Vorbesprechung auf Niederwerth zusammen. Erzbischof Balduin richtete vier Tage vor dem Reichstag ein großes Essen im Koblenzer Florinsstift aus. Heutige Staatsbesuche finden in anderen Räumlichkeiten statt, haben aber ähnliche Abläufe.
Der große Tag war dann der 5. September: Der Ablauf der Ereignisse lässt sich durch verschiedene, einander ergänzende Quellen erschließen. Zunächst waren vier kaiserliche menestralli Eduard III. in einer Barke nach Niederwerth entgegengefahren und hatten ihn nach Koblenz geleitet. Unter freiem Himmel fand dann auf dem Florinsmarkt, dem traditionellen Versammlungs- und Festplatz der Stadt, die Reichsversammlung statt. Der Platz besaß im 14. Jahrhundert noch nicht seine heutige Ausdehnung, die Bebauung war im Westen näher, das Kauf- und Danzhaus noch nicht erbaut. Für den Kaiser war ein Thron errichtet worden. Dieser erschien im vollen Ornat, mit Krone, Reichsapfel in der linken und Szepter in der rechten Hand. Neben ihm, auf einem etwas niedrigeren Stuhl saß der englische König. Kaiser Ludwig IV. verkündete mehrere bedeutende Reichsgesetze (zur Königswahl, zur Heerfolge, zum Landfrieden usw.) und bevollmächtigte die drei Erzbischöfe und den englischen König, seine Aussöhnung mit der römischen Kurie zu betreiben.
Das aus englischer Sicht zentrale Ereignis war die Ernennung Eduards III. zum Reichsvikar durch den Kaiser. Darüber hinaus ging man gegenseitige Verpflichtungen im Hinblick auf ein militärisches Engagement gegen Frankreich ein: eine englische Zahlung von insgesamt 400.000 Gulden an den Kaiser, Verpflichtung zum Aufgebot von 2.000 Helmen/Kriegern seitens des Kaisers zum kommenden Mai. Diese Vereinbarungen wurden am folgenden Tag beurkundet. Auch die Erzbischöfe von Trier und Mainz traten gegen hohe Soldverpflichtungen in vergleichbare Dienste. Die Urkunden über die letztgenannten Absprachen wurden erst am 15. September ausgestellt.
Das Wissen um die vielen Details beruht in erster Linie auf insularen Quellen. Wenige Ausnahmen bestätigen die Regel. Gerade für den Koblenzer Reichstag erfahren englischen Quellen eine Ergänzung durch das älteste überlieferte Stadtbuch von Koblenz. Es enthält Einträge aus den Jahren 1327 bis 1369 sowie einige Nachträge vom Ende des 14. und Beginn des 15. Jahrhunderts zumeist zu Verwaltungs- und insbesondere zu finanziellen Dingen (Aufnahme von Neubürgern, Verpachtung der städtischen Akzise). Aber auch einige chronikalische Nachrichten wurden notiert. Ein schwerer Sturm im Jahr 1335 findet ebenso Erwähnung wie die Zusammenkunft von Kaiser und englischem König im Rahmen der Reichsversammlung, als deren Ziel ein Kriegszug gegen Frankreich genannt wird.
Eduard III. nahm in Koblenz die Dienste der Kanzlei des Mainzer Erzbischofs sowie die des Kaisers in Anspruch und entlohnte Notare, Schreiber und andere Beamte ausgesprochen großzügig. Das Rechnungsbuch hält mehrere solcher Zahlungen fest. Grund für die Beschäftigung der fremden Beamten mag einerseits die Arbeitsbelastung des englischen Personals gewesen sein, aber es mag auch das gegolten haben, womit kurze Zeit später eine in Gent notierte Zahlung zu Gunsten einiger dortiger städtischer Beamter begründet wird, weil nämlich die Beamten des Königs nicht der vor Ort üblichen Formulare mächtig waren.
7. Die politische Bedeutung des Monarchentreffens
Das dem Engländer übertragene Reichsvikariat ist in der Geschichte nur sehr selten vergeben worden. Es wurde zumeist räumlich begrenzt, was wohl mit Rücksicht auf den besonderen Status eines Königs im Jahr 1338 nicht geschah. Die Bedeutung des für ganz Deutschland – nicht aber in Italien – gültigen Titels (per totam Alemanniam et Germaniam) lag für Eduard III. in den damit verbundenen Rechten gegenüber den Reichsvasallen – er hatte die Pflicht, die Reichsrechte wahrzunehmen und die Befugnis, im Namen des Reichsoberhauptes Befehle zu erteilen und Gehorsam zu verlangen.
Für Eduard III. verstärkte das Reichsvikariat seine Rechtsstellung gegenüber dem französischen König, den Verbündeten (oder auch potenziellen Verbündeten) ermöglichte es, ihre Treupflicht gegen das Reich mit dem Gehorsam gegenüber dem König von England zu identifizieren. Finanziell brachte der Titel keinerlei Entlastung. Was er wert war, zeigten die kommenden Monate, die wie die Zeit zuvor der schlichten Eigengesetzlichkeit von finanziellen Nöten des Engländers und der Kampfesunwilligkeit der Verbündeten folgten. Die vereinbarten Leistungen wurden mehrfach gegenseitig ausgesetzt, bei gleichzeitiger Betonung der Bündnistreue.
Dass der Engländer ständig in finanziellen Nöten steckte, zeigt nur zu deutlich, dass er dem Trierer Erzbischof Balduin im Februar des Folgejahres die englische Erbkrone als Sicherheit für noch ausstehende Zahlungen übergeben musste. Über mehrere Gläubigerstationen fand sie erst nach mehr als fünf Jahren wieder in die Verfügung Eduards zurück.
In den Wochen nach dem Reichstag lud Eduard kraft des neuen Amtes zu einigen Treffen (zum Beispiel in Mecheln) ein. Insgesamt zeugen aber nur wenige erhaltene Dokumente von den Handlungen, die er in diesem Rahmen vornahm; so nahm er beispielsweise einige kontinentale Große in seinen Rat auf.
Im April 1341 nahm Ludwig der Bayer, der sich bereits seit längerer Zeit dem französischen König angenähert hatte, mit einer Urkunde das dem Engländer verliehene Vikariat zurück. Die mit der Übertragung verbundenen finanziellen Erwartungen hatten sich nicht erfüllt, es bestand für den Kaiser keine Motivation mehr daran festzuhalten. Die Rücknahme des Titels wurde erst nach zwei Monaten dem Engländer mitgeteilt. Als offizieller Grund wurde angegeben, dass Eduard III. ohne kaiserliches Wissen einen Waffenstillstand mit Philipp von Valois (Regierungszeit 1326-1350) geschlossen habe. Ludwigs vermutliches Hauptmotiv, die Hoffnung auf eine Wiederannäherung an die römische Kurie, erfüllte sich jedoch nicht. So hatte Papst Benedikt XII. die Übertragung des Reichsvikariates auf das Schärfte kritisiert.
Bereits in den Monaten zuvor war das Verhältnis zwischen Kaiser Ludwig IV. und König Eduard III. merklich abgekühlt. Johanna, die kleine, fünf Jahre alte englische Prinzessin, die im Sommer 1338 von Antwerpen aus zu ihrer Tante, der Kaiserin Margarethe gebracht worden war, wurde im Frühling 1340 auf Befehl ihres Vaters wieder an den englischen Hof in die Niederlande zurück geholt. Das vorgesehene Heiratsprojekt mit dem Sohn des Herzogs von Österreich hatte sich nicht so entwickelt, wie man erhofft hatte.
8. Resümee
Am Beispiel eines besonderen Ereignisses, dem Koblenzer Reichstag des Jahres 1338, wurde versucht, ein Schlaglicht auf Details der Anfangszeit des Hundertjährigen Krieges zu werfen. Dies ist möglich auf der hervorragenden Grundlage, die die englische Quellenüberlieferung bietet.
Zahlreiche Unterlagen bieten Einsichten in das Hofgefüge und das Leben eines komplexen, viele hundert Köpfe umfassenden Gebildes. Die Rekonstruktion vieler Einzelheiten ist möglich. Dabei gibt es allerdings Grenzen: Die Routine, mit der Ausgaben notiert wurden, führte zu weitgehenden Verkürzungen der Alltäglichkeiten. So reichhaltig und weitgehend geschlossen insbesondere aus kontinentaler Sicht die insulare Überlieferung wirkt, die "mehr andeutende als ausführende Kargheit ihrer Aussagen und die ausschließliche Beschränkung auf die handfest pekuniären Aspekte des Daseins" (Janssen 1970, S. 223) kennzeichnet den besonderen, aber immerhin einzigartigen, Charakter von (Ab-)Rechnungen. Gerade weil die wenigen erhaltenen Unterlagen im heutigen Belgien und in Deutschland noch nicht einmal ansatzweise eine lückenlose Rekonstruktion der Ereignisse und Verhältnisse ermöglichen, gewinnt der Blick auf eine lange Zeit nicht beachtete Quellengattung an Bedeutung.
Quellen
Public Record Office, London: Bestand 36, Nr. 203 (= Rechnungsbuch/Hauptquelle), ediert als: The Wardrobe Book of William de Norwell 12 July 1338 to 27 May 1340, by Mary Lyon, Bryce Lyon, Henry S. Lucas, with the collaboration of Jean de Sturler, Brussel 1983.
Stadtarchiv Koblenz: Bestand 623, Nr. 4148 (ältestes Koblenzer Stadtbuch).
Literatur
Andre, Elsbeth, Ein Königshof auf Reisen. Der Kontinentaufenthalt Eduards III. von England 1338-1340, Köln/Weimar/Wien 1996 [mit ausführlichen Quellen- und Literaturangaben].
Bellinghausen, Hans, England und Kurtrier. Der große Fürstentag zu Koblenz im Jahr 1338, in: Rheinische Heimatblätter 4 (1927), S. 86–89.
Bock, Friedrich, Das deutsch-englische Bündnis von 1335-1342, München 1956.
Janssen, Wilhelm, Ein niederrheinischer Fürstenhof um die Mitte des 14. Jahrhunderts, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 34 (1970), S. 219–251.
Reinhold Pauli, Die Beziehungen König Eduards III. von England zu Kaiser Ludwig IV. in den Jahren 1338 und 1339, München 1858, Nachdruck Aalen 1969.
Schaus, Emil, Ein Koblenzer Ratsbuch aus dem 14. Jahrhundert, in: Rheinische Heimatblätter 5 (1928), S. 500–502.
Schieffer, Rudolf, Die Besuche mittelalterlicher Herrscher in Bonn, in: Bonner Geschichtsblätter 37 (1985) (1989), S. 7-40.
Schmid, Peter, England - Blick nach Westen: Ludwig der Bayer und König Eduard III., in: Schmid, Alois/Weigand, Katharina (Hg.), Bayern - mitten in Europa, München 2005, S. 75–91.
Stramberg, Christian von, Denkwürdiger und nützlicher Antiquarius, welcher die ... Merkwürdigkeiten des ganzen Rheinstroms ... darstellt, Band 1,4 = Mittelrhein/Koblenz, Koblenz 1856, S. 692–703.
Trautz, Fritz, Die Könige von England und das Reich 1272-1377. Mit einem Rückblick auf ihr Verhältnis zu den Staufern, Heidelberg 1961.
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Andre, Elsbeth, 1338 - Der englische König in Koblenz. Eduard III. und das Reich zu Beginn des Hundertjährigen Krieges, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/Themen/1338---der-englische-koenig-in-koblenz.-eduard-iii.-und-das-reich-zu-beginn-des-hundertjaehrigen-krieges/DE-2086/lido/57d1203ed576a4.61129631 (abgerufen am 12.12.2024)