Aufbau West - Die Ansiedlung der nordböhmischen Glasindustrie in Euskirchen und Umgebung

Gabriele Rünger (Euskirchen)

In der Jolahütte, Euskirchen, 1952. (Stadtarchiv Euskirchen)

1. Die nordböhmische Glasindustrie mit ihrem Produktionsschwerpunkt in Haida-Steinschönau

„Nichts An­de­res hat den Na­men Böh­men so­weit in die Welt ge­tra­gen wie sein Glas“, mit die­sen Wor­ten wies Ed­mund Sche­bek im Jahr 1878 auf die Be­deu­tung ei­nes der do­mi­nie­rends­ten In­dus­trie- und Hand­werks­zwei­ge Böh­mens hin[1].

 

Glas­in­dus­trie und Han­del gin­gen in die­ser Re­gi­on aus dem Glas­hüt­ten­be­trieb in den holz­rei­chen Wäl­dern des Land­stri­ches her­vor und rei­chen bis ins 13. Jahr­hun­dert zu­rück. Die Do­mi­nanz Nord­böh­mens als Raf­fi­na­ti­ons­zen­trum ver­stärk­te sich im 19. Jahr­hun­dert. Im Jah­re 1841 hat­ten von den 69 Glas­raf­fi­ne­ri­en Böh­mens 54 im Kern­ge­biet von Hai­da und Stein­schö­nau ih­ren Sitz[2]. Die­se Zahl wuchs ste­tig, im Jahr 1937 zähl­te man 270 dort an­säs­si­ge Glas­fir­men[3]. Die Re­gi­on Hai­da-Stein­schö­nau galt als Haupt­ex­port­zen­trum böh­mi­schen Hohl­gla­ses, de­ren Ex­por­tra­te im Jahr 1938 bei 85 Pro­zent lag. Die Glas­ver­ede­lung war in der Re­gi­on der wich­tigs­te Wirt­schafts­zweig. Na­he­zu das ge­sam­te ge­werb­li­che Le­ben wur­de durch sie be­stimmt. Pro­du­ziert wur­den Glas­be­hält­nis­se al­ler Art, jähr­lich 100 neue For­men mit vier oder mehr ver­schie­de­nen De­ko­ren. Ge­ra­de die­ses um­fang­rei­che Sor­ti­ment zog Ein­käu­fer aus al­ler Welt im­mer wie­der in die Re­gi­on. Die meis­ten Glas­hüt­ten pro­du­zier­ten Mas­sen­wa­ren, preis­wer­te und ge­fäl­li­ge Ar­ti­kel, die zum Ex­port, vor al­lem nach Deutsch­land, Eng­land und Frank­reich ge­dacht wa­ren. Nur we­ni­ge der stets un­ter star­kem wirt­schaft­li­chem Druck ar­bei­ten­den Glas­raf­fi­ne­ri­en konn­ten sich den Lu­xus ei­ner ei­ge­nen künst­le­ri­schen Li­nie leis­ten. Doch es gab sie, die Glas­hüt­ten, die Kunst­glä­ser als Re­pro­duk­tio­nen ver­gan­ge­ner Stil­epo­chen oder nach Fach­schul­ent­wür­fen und Ent­wür­fen der Wie­ner Werk­stät­ten er­zeug­ten. Be­kannt wa­ren Eli­as Pal­me in Stein­schö­nau, die Glas­hüt­te Han­tich in Hai­da oder die Fir­ma Ra­sche aus Hai­da, für die De­si­gner künst­le­ri­sche Ent­wür­fe lie­fer­ten. Ma­ß­geb­lich be­tei­ligt an den künst­le­ri­schen Leis­tun­gen der Glas­ver­ede­lungs­in­dus­trie von Hai­da-Stein­schö­nau wa­ren die Glas­fach­schu­len in die­sen Or­ten. Durch ih­re Nach­wuchs­aus­bil­dung wirk­ten sie prä­gend auf die Pro­duk­ti­on der nord­böh­mi­schen Glas­in­dus­trie. Prä­gend war je­doch auch, dass ge­ra­de im Raum Hai­da-Stein­schö­nau das Glas­ver­ede­lungs­ge­wer­be in vie­len Heim­ar­bei­ter­werk­stät­ten aus­ge­übt wur­de. Im Zu­sam­men­spiel von hand­werk­li­chen Haus­ge­wer­be­be­trie­ben und gro­ßen Fir­men, der räum­li­chen Kon­zen­tra­ti­on vie­ler Be­trie­be in Ver­bin­dung mit Roh­glas­hüt­ten, dem Fach­schul­we­sen, das ne­ben der Nach­wuchs­schu­lung wich­ti­ge ge­wer­be­för­dern­de Im­pul­se gab, und dem Wa­ren­sor­ti­ment, das aus hoch­wer­ti­gen Kunst­glas­pro­duk­ten und preis­wer­ten Mas­sen­ar­ti­keln be­stand, lag die Ein­zig­ar­tig­keit und Be­deu­tung der Glas­pro­duk­ti­on im Raum Hai­da-Stein­schö­nau.

2. Die nordböhmische Glasindustrie in den Händen der Sudetendeutschen und ihre Vertreibung

Als 1918 die ers­te tsche­cho­slo­wa­ki­sche Re­pu­blik er­rich­tet wur­de, setz­te sich der Sam­mel­be­griff Su­de­ten­deut­sche für al­le Deut­schen in Böh­men, Mäh­ren und Schle­si­en durch. Nach ei­ner Volks­zäh­lung des Jah­res 1930 zähl­ten 60 Pro­zent al­ler Be­rufs­zu­ge­hö­ri­gen in der tsche­cho­slo­wa­ki­schen Glas­in­dus­trie zur Grup­pe der deut­schen Volks­zu­ge­hö­ri­gen, wäh­rend ihr An­teil an der Ge­samt­be­völ­ke­rung 32 Pro­zent be­trug. Mit dem Mün­che­ner Ab­kom­men von 1938 er­reich­te es Adolf Hit­ler (1889-1945), dass al­le su­de­ten­deut­sche Ge­bie­te an das Deut­sche Reich ab­ge­tre­ten wur­den und mit der Be­set­zung der „Rest-Tsche­chei“ setz­te er fak­tisch der tsche­cho­slo­wa­ki­schen Re­pu­blik ein En­de. Die Aus­wei­sung der Su­de­ten­deut­schen nach dem En­de des Zwei­ten Welt­kriegs durch die Tsche­chen wur­de von An­fang an als Ant­wort dar­auf ver­stan­den. Ed­vard Be­neš (1884-1948), Prä­si­dent der tsche­cho­slo­wa­ki­schen Exil­re­gie­rung, such­te be­reits ab 1942 die Zu­stim­mung der bri­ti­schen, ame­ri­ka­ni­schen und so­wje­ti­schen Re­gie­run­gen für sei­ne Nach­kriegs­plä­ne, de­nen die Al­li­ier­ten dann end­gül­tig im Som­mer 1945 zu­stimm­ten. Of­fen ge­blie­ben war zu­nächst die Fra­ge, wel­ches Aus­maß die Aus­wei­sung der Deut­schen aus der neu­en Tsche­cho­slo­wa­kei ha­ben soll­te, ob da­von nur ak­ti­ve na­tio­nal­so­zia­lis­ti­sche und gro­ß­deutsch ge­sinn­te Per­so­nen be­trof­fen sein oder ob ei­ne ra­di­ka­le Lö­sung des Min­der­hei­ten­pro­blems an­ge­wen­det wer­den soll­te. Schritt­wei­se wur­den je­doch nach der Kon­sti­tu­ie­rung ei­ner neu­en tsche­chi­schen Re­pu­blik al­le Maß­nah­men ge­setz­lich vor­be­rei­tet, al­le Deut­schen oh­ne Fra­ge nach der Schuld ab­zu­schie­ben. Das Ver­mö­gen „staat­lich un­zu­ver­läs­si­ger“ Per­so­nen wur­de un­ter „na­tio­na­le Ver­wal­tun­g“ ge­stellt. Da­mit konn­te ent­schä­di­gungs­los das Ver­mö­gen der Su­den­ten­deut­schen kon­fis­ziert wer­den. Al­le deut­schen Un­ter­neh­men wur­den zu Staats­ei­gen­tum er­klärt und er­hiel­ten tsche­chi­sche Ver­wal­ter mit dik­ta­to­ri­schen Voll­mach­ten. Oft­mals fehl­te die­sen je­doch die fach­li­che Kom­pe­tenz zur Lei­tung der Un­ter­neh­men. Dis­kri­mi­nie­ren­de Re­pres­sa­li­en rich­te­ten sich ge­gen Deut­sche (Kenn­zeich­nung mit ei­ner wei­ßen Arm­bin­de mit dem Buch­sta­ben N (Nĕ­mec = Deut­scher), Be­nut­zungs­ver­bot öf­fent­li­cher Ver­kehrs­mit­tel, Her­ab­set­zung der Le­bens­mit­tel­zu­tei­lun­gen, Ein­schrän­kung der Aus­gangs­zei­ten, Schlie­ßung der deut­schen Schu­len mit gleich­zei­ti­gem Auf­nah­me­ver­bot für Kin­der deut­scher Volk­zu­ge­hö­rig­keit in tsche­chi­sche Schu­len, Zwangs­ver­pflich­tun­gen zu Auf­räum­ar­bei­ten usw. Ei­ne wei­te­re Straf­maß­nah­me bil­de­te die sys­te­ma­ti­sche In­ter­nie­rung in La­gern. In ei­ner No­te vom 16. Au­gust 1945 teil­te die tsche­chi­sche Re­gie­rung dem Al­li­ier­ten Kon­troll­rat mit, dass 2,5 Mil­lio­nen Deut­sche für die Aus­wei­sung aus der Tsche­cho­slo­wa­kei vor­ge­se­hen sei­en. Von die­sen 2,5 Mil­lio­nen soll­ten nach Be­schluss des Kon­troll­ra­tes 1.750.000 im ame­ri­ka­ni­schen Sek­tor und 750.000 im so­wje­ti­schen Sek­tor Auf­nah­me fin­den. Die or­ga­ni­sier­ten Aus­wei­sun­gen be­gan­nen im Ja­nu­ar 1946. Die Aus­zu­wei­sen­den wa­ren mit aus­rei­chen­der Klei­dung, 50 kg Ge­päck, Pro­vi­ant für drei Ta­ge und un­ter Be­rück­sich­ti­gung der Zu­sam­men­ge­hö­rig­keit von Fa­mi­li­en zu ver­se­hen und wur­den in die Auf­nah­me­la­ger trans­por­tiert. Im No­vem­ber 1946 wur­de die Aus­wei­sung in die west­li­chen Be­sat­zungs­zo­nen ein­ge­stellt, weil al­le Un­ter­brin­gungs­mög­lich­kei­ten für die Neu­an­kom­men­den er­schöpft wa­ren. Am 10. Ju­ni 1946 hat­te die Aus­wei­sung in die so­wje­ti­sche Be­sat­zungs­zo­ne ein­ge­setzt. Nach No­vem­ber 1946 be­fan­den sich im­mer noch Tau­sen­de von Män­nern, de­ren Fa­mi­li­en be­reits aus­ge­wie­sen wa­ren, so­wie Fa­mi­li­en, de­ren männ­li­che An­ge­hö­ri­ge aus der Kriegs­ge­fan­gen­schaft nicht mehr in die ČSR zu­rück­keh­ren konn­ten, dort. Bis 1949 konn­ten im Rah­men der Fa­mi­li­en­zu­sam­men­füh­rung noch vie­le Su­de­ten­deut­sche die ČSR ver­las­sen. Ins­ge­samt sind bis 1950 2,9 Mil­lio­nen Su­de­ten­deut­sche ab­ge­scho­ben wor­den[4].

Durch die­se Um­sied­lungs­ak­ti­on war das Su­de­ten­land ent­völ­kert wor­den. Ar­beits­kräf­te­man­gel und wirt­schaft­li­che Not kenn­zeich­ne­ten die Re­gi­on bis in die 1960er Jah­re. Die Be­triebs­ge­bäu­de der Glas­in­dus­trie wur­den zum grö­ß­ten Teil still­ge­legt und ab­ge­ris­sen, nur we­ni­ge von Tsche­chen wei­ter be­trie­ben. Von den 55 Be­triebs­stät­ten der Hai­da­er Re­gi­on, die 1948 nach der Ver­staat­li­chung in das neu­ge­grün­de­te Na­tio­nal­un­ter­neh­men Bo­ro­crys­tal ein­ge­glie­dert wor­den wa­ren, wur­den bis 1951 30 auf­ge­löst. Die Glas­fach­schu­len in Hai­da (No­vý Bor) und Stein­schö­nau (Ka­me­nický Se­nov) wur­den un­ter tsche­chi­scher Lei­tung fort­ge­führt. Erst in den 1960/70er Jah­ren be­gann ei­ne Re­kon­struk­ti­on äl­te­rer Be­trie­be.

2.1 Ein Beispiel: Die Vertreibung des Besitzers der Glashütte Hantich & Co. in Haida, Ernst Hantich (geboren 1893 in Höflitz)

Ei­ne der in­no­va­tivs­ten Glas­hüt­ten war die Flo­ra-Hüt­te von Ernst Han­tich in Hai­da. Sie fer­tig­te nicht nur nach den Ent­wür­fen der Hai­da­er Glas­fach­schu­le, son­dern stand auch in in­ten­si­ver Be­zie­hung zur Wie­ner Werk­stät­te und rea­li­sier­te de­ren For­men­ent­wür­fe. Auf den Ge­sell­schaf­ter Ru­dolf John ging ei­ne ei­ge­ne Er­fin­dung, das John­o­lyth-Glas, zu­rück. 

Hauptstraße in Haida 1946. (Privatbesitz)

 

Am 24. Mai 1945 wur­de Ernst Han­tich in Hai­da ver­haf­tet. Schon zu­vor hat­ten tsche­chi­sche Auf­sichts­be­am­te die Kon­trol­le in der Glas­hüt­te über­nom­men. Nun wur­de er ver­pflich­tet, tags­über die Lei­tung der Hüt­te zu über­neh­men, nachts war er im In­ter­nie­rungs­la­ger Böh­misch-Lei­pa in­haf­tiert. Sei­ne Ehe­frau wur­de zwangs­ver­pflich­tet, in ei­ner tsche­chi­schen Sol­da­ten­kü­che zu ar­bei­ten, der 14-jäh­ri­ge Sohn zur Zwangs­ar­beit in ei­ner Zu­cker­rü­ben­fa­brik ver­schickt. Die 11-jäh­ri­ge Toch­ter durf­te kei­ne Schu­le mehr be­su­chen und auch kei­nen Pri­vat­un­ter­richt er­hal­ten. Haus­durch­su­chun­gen und Be­schlag­nah­mun­gen der Mö­bel folg­ten. Die Vil­la muss­te ver­las­sen wer­den, ei­ne mö­blier­te Woh­nung wur­de ih­nen zu­ge­wie­sen. Ernst Han­tich wur­de im April 1946 von ei­nem tsche­chi­schen Volks­ge­richt zu zehn Jah­ren Haft ver­ur­teilt. Ein Kon­takt zur Fa­mi­lie wur­de ihm al­le sechs Wo­chen ge­währt. Am 6. Ju­li 1946 er­hielt die Fa­mi­lie Han­tich die Nach­richt, dass sie am nächs­ten Mor­gen mit ei­nem Trans­port nach Deutsch­land aus­ge­wie­sen wer­den sol­le. Vier Ta­ge war­te­ten sie im Durch­gangs­la­ger Böh­misch-Lei­pa, bis sie die Hei­mat ver­lie­ßen, oh­ne den Va­ter, der ei­nem un­ge­wis­sen Schick­sal über­las­sen blieb. Nach ei­ni­gen Sta­tio­nen en­de­te die Aus­wei­sung im thü­rin­gi­schen Gehl­berg, wo die Kin­der die Schu­le be­su­chen konn­ten und die Mut­ter in ei­ner Fa­brik ar­bei­te­te, um den Le­bens­un­ter­halt zu ver­die­nen. Am 25. Sep­tem­ber 1950 er­reich­te die Fa­mi­lie plötz­lich die Nach­richt von der Frei­las­sung des Va­ters, der in die Bun­des­re­pu­blik aus­ge­wie­sen wor­den war. Ernst Han­tich war in Eus­kir­chen in die kurz vor­her ge­grün­de­te Jo­la-Hüt­te, ge­lei­tet von Ru­dolf John und Han­tichs Schwa­ger Jo­hann Laub­ner, ein­ge­stie­gen und ver­such­te ei­nen Neu­be­ginn. Im No­vem­ber er­hielt die Fa­mi­lie nach vie­len Schwie­rig­kei­ten ei­nen In­ter­zo­nen­pass und konn­te Thü­rin­gen ver­las­sen, um nach Eus­kir­chen über­zu­sie­deln[5].

Ernst Hantich und Ernst Moser in Haida 1943. (Privatbesitz)

 

3. Die Neuansiedlung im Westen

Für die Auf­nah­me der Su­de­ten­deut­schen hat­ten die Al­li­ier­ten in der ame­ri­ka­ni­schen Be­sat­zungs­zo­ne die Län­der Bay­ern, Würt­tem­berg und Hes­sen so­wie die so­wje­ti­sche Be­sat­zungs­zo­ne be­stimmt. Schon bald nach der Aus­wei­sung be­gan­nen die Raf­fi­n­eu­re aus der Re­gi­on Hai­da-Stein­schö­nau mit der Wie­der­er­rich­tung ih­rer Be­trie­be, so­bald Räum­lich­kei­ten, Ka­pi­tal oder die Zu­stim­mung ei­nes Ge­mein­de- oder Stadt­ra­tes es zu­lie­ßen. Dies war mit grö­ß­ten Schwie­rig­kei­ten ver­bun­den, denn Bank­gut­ha­ben, Pro­duk­ti­ons­mit­tel, Kun­den­kar­tei­en, Mus­ter­bü­cher usw. wa­ren in der ČSR ge­blie­ben. Be­reits vor der Wäh­rungs­re­form er­folg­ten zahl­rei­che Neu­grün­dun­gen der ehe­mals nord­böh­mi­schen Glas­ver­ed­lungs­be­trie­be - zu ei­ner Zeit, als we­der So­fort­hil­fe­ge­setz noch Las­ten­aus­gleichs­ge­setz exis­tier­ten. Das Ka­pi­tal der neu­ge­grün­de­ten Be­trie­be war ge­ring, dem ge­gen­über stan­den der ei­ser­ne Auf­bau­wil­le ih­rer In­ha­ber, un­ter­neh­me­ri­sche In­itia­ti­ve und Er­fah­rung. Öf­fent­li­che För­de­rungs­maß­nah­men folg­ten, den­noch er­wies es sich als schwie­rig, die nun ver­streut le­ben­den Fach­kräf­te wie­der ein­zu­sam­meln und Zu­zugs­ge­neh­mi­gun­gen zu er­hal­ten[6]. Die grö­ß­te Grup­pe der Hai­da­er-Stein­schö­nau­er Glas­ver­ede­lungs­in­dus­trie hat­te sich im baye­ri­schen Kreis Vo­hen­strauß ein­ge­fun­den; sie such­ten die Nä­he der Glas­fach­schu­le Zwie­sel. Ei­ne ge­schlos­se­ne An­sied­lung wur­de im Baye­ri­schen Wald an­ge­strebt. Doch auch das der Wes­ten von Nord­rhein-West­fa­len wur­de von den nord­böh­mi­schen Glas­ver­ed­lern trotz gro­ßer Kriegs­zer­stö­run­gen als at­trak­ti­ver Stand­ort ge­se­hen. Im Au­gust 1946 wand­te sich ein Be­auf­trag­ter der frü­he­ren Gab­lon­zer Schmuck­wa­ren­in­dus­trie an die Lan­des­re­gie­rung in Düs­sel­dorf, um über die An­sied­lung ei­ner ge­schlos­se­nen Grup­pe su­den­ten­deut­scher Glas­ver­ed­ler in der bri­ti­schen Zo­ne zu ver­han­deln[7].  In der Lan­des­pla­nungs­ge­mein­schaft Rhein­land hielt man an­fäng­lich die Stand­or­te Mons­chau und Schlei­den für ge­eig­net. Doch der Ein­satz des Rhein­ba­cher Stadt- und Amts­di­rek­tors, Dr. Vik­tor Rö­mer (ge­bo­ren 1900 in Bit­burg, ge­stor­ben 1963 in Rhein­bach), über­zeug­te die Lan­des­pla­nungs­ge­mein­schaft und das Wirt­schafts­mi­nis­te­ri­um von ei­ner Stand­ort­wahl auf der Schie­ne Bonn-Land, Rhein­bach, Eus­kir­chen und Dü­ren. Am 4. De­zem­ber 1946 be­schloss der In­dus­trie­aus­schuss in Düs­sel­dorf ein­stim­mig die An­sied­lung der nord­böh­mi­schen Glas­in­dus­trie in die­sem Raum und ver­sprach Hil­fe bei der Be­schaf­fung von Wohn- und Be­triebs­räu­men so­wie von Roh­stoff­kon­tin­gen­ten. Ge­lei­tet wur­de der An­sied­lungs­plan von dem Ge­dan­ken, ei­ne Kon­zen­tra­ti­on der nord­böh­mi­schen Glas­in­dus­trie in NRW zu schaf­fen, um Tra­di­ti­on und Kön­nen die­ser Ver­trie­be­nen­grup­pe für den Wie­der­auf­bau der Wirt­schaft zu nut­zen. Die Nä­he zu den frü­he­ren west­li­chen Ex­port­län­dern der nord­böh­mi­schen Glas­in­dus­trie spiel­te eben­falls ei­ne ent­schei­den­de Rol­le. In Rhein­bach soll­ten ab Fe­bru­ar 1947 zu­nächst sie­ben Be­trie­be mit 50 bis 80 Fa­mi­li­en an­ge­sie­delt wer­den. Exis­tenz­fä­hig und för­de­rungs­wür­dig war der neue In­dus­trie­zweig je­doch nur, wenn gro­ßräu­mig ge­plant wur­de, un­ter Ein­be­zie­hung der Land­krei­se Bonn, Eus­kir­chen und Dü­ren. Rhein­bach war dar­über hin­aus als Stand­ort ei­ner Glas­fach­schu­le, ei­ner zu grün­den­den zen­tra­len Auf­bau­stel­le und ei­ner Roh­glas­hüt­te im Ge­spräch. Mit Ka­bi­netts­be­schluss vom 3. Sep­tem­ber 1947 er­folg­te die fei­er­li­che Ein­wei­hung der Glas­fach­schu­le durch Mi­nis­ter­prä­si­den­ten Karl Ar­nold im Rhein­ba­cher Rat­haus, die zu­gleich der of­fi­zi­el­le Start der Neu­an­sied­lung war. Die Staat­li­che Glas­fach­schu­le galt als die Nach­fol­ge­rin der frü­he­ren Staats­fach­schu­le für Glas­ver­ed­lung in Stein­schö­nau. Na­he­zu der kom­plet­te Lehr­kör­per die­ser Schu­le wur­de in Rhein­bach wie­der an­ge­stellt. Zu­stän­dig für Pla­nung und Lei­tung der Neu­an­sied­lung war seit Au­gust 1947 die Auf­bau- und Ver­wal­tungs­stel­le in Rhein­bach. Sie ent­schied über die An­sied­lung ei­nes Glas­ver­ede­lungs­be­triebs und sei­ne Zu­wei­sung in ei­nen be­stimm­ten Ort des Pla­nungs­ge­bie­tes. Sie wähl­te die Fir­men aus, sam­mel­te die in Deutsch­land ver­sprengt le­ben­den Fach­ar­bei­ter und Fir­men, küm­mer­te sich um Pro­duk­ti­ons­ge­neh­mi­gun­gen, be­schaff­te Woh­nun­gen und Werk­stät­ten und stell­te die Roh­glas­ba­sis si­cher. Die als bür­ger­lich-recht­li­che Ge­sell­schaft ar­bei­ten­de Auf­bau­stel­le nahm ei­ne star­ke Po­si­ti­on ein und mach­te die Stadt Rhein­bach zum Zen­trum der Neu­an­sied­lung[8], von der Stadt Eus­kir­chen mit Arg­wohn ge­bil­ligt, denn auch sie war als Zen­trum mit der Grün­dung ei­ner Glas­fach­schu­le und ei­ner Glas­hüt­te zur Roh­glas­lie­fe­rung für al­le neu­en Be­trie­be im Ge­spräch ge­we­sen. Bis März 1948 hat­ten sich im Pla­nungs­ge­biet ins­ge­samt 20 Glas­ver­ed­lungs­fir­men mit 465 Per­so­nen an­ge­sie­delt, da­von ent­fie­len auf den Amts­be­zirk Rhein­bach elf Fir­men mit 91 Fach­leu­ten und 273 Per­so­nen[9].

Zum 1. Fe­bru­ar 1949 ging die Funk­ti­on der Auf­bau­stel­le an ei­ne In­ter­es­sen­ge­mein­schaft über, de­ren Ge­sell­schaf­ter die Krei­se Bonn, Eus­kir­chen, Dü­ren und Schlei­den, die Städ­te Rhein­bach und Eus­kir­chen, die Ge­mein­de Blan­ken­heim, die Ver­ei­ni­gung der böh­mi­schen Glas­ver­ed­ler in Rhein­bach[10], die Gab­lon­zer­in­dus­trie, ver­tre­ten durch die Fir­ma Fi­scher & Scho­bel in Ahr­dorf (Ge­mein­de Blan­ken­heim), die IHK Aa­chen und Bonn, die Hand­werks­kam­mer Köln und der Lei­ter der Staats­fach­schu­le für Glas- und Ke­ra­mi­sche In­dus­trie in Rhein­bach wa­ren[11].

4. Die Ansiedlung in Euskirchen

Im zu 75 Pro­zent kriegs­zer­stör­ten Eus­kir­chen war die Be­schaf­fung von Wohn­raum und Be­triebs­stät­ten für das An­sied­lungs­pro­jekt das vor­dring­lichs­te Pro­blem. Erst im Sep­tem­ber 1947, gleich­zei­tig mit dem Ka­bi­netts­be­schluss, setz­te die Stadt­ver­wal­tung die Wohn­raum­be­schaf­fung für 20 Glas­blä­ser­fa­mi­li­en auf ih­re Prio­ri­tä­ten­lis­te[12]. Zwei Fir­men wa­ren zu­nächst für den Stand­ort Eus­kir­chen be­stimmt wor­den: F. A. Knit­tel „Rhein­er­zer Kris­tall­glas­wer­ke“ und Pos­selt & Sohn. Bei­de Fir­men wur­den am An­fang pro­vi­so­risch un­ter­ge­bracht und man be­müh­te sich um Son­der­kon­tin­gen­te für die Be­schaf­fung von Bau­stof­fen. Im Mai 1948 konn­ten elf Nis­sen­hüt­ten an der Erft in der Ge­gend des städ­ti­schen Schlacht­ho­fes für die Mit­ar­bei­ter der Fa. Knit­tel auf­ge­stellt wer­den[13]. In den nächs­ten Jah­ren mehr­ten sich die An­fra­gen in Eus­kir­chen. Im Ok­to­ber 1948 soll­ten wei­te­re Glas­ver­ed­lungs­be­trie­be an­ge­sie­delt wer­den, au­ßer­dem war Eus­kir­chen als Stand­ort für zwei Glas­hüt­ten be­stimmt wor­den. Bis da­hin wa­ren die Fach­ar­bei­ter der Fir­men Pos­selt, Knit­tel und Ra­sche teil­wei­se noch in Mas­sen­quar­tie­ren un­ter­ge­bracht, so bei Knit­tel in der Turn­hal­le des Er­zie­hungs­heims, bei Ra­sche im Fa­brik­ge­bäu­de in der Ger­ber­stra­ße 31 und bei Pos­selt teil­wei­se in den Räu­men der Flak­hal­le an der Frau­en­ber­ger­stra­ße. Mit För­der­gel­dern und Dar­le­hen des Lan­des NRW und dem Sied­lungs­pro­gramm der Rhei­ni­schen Heim­stät­ten ent­stan­den in den nächs­ten Jah­ren Klein­sie­de­lun­gen mit cir­ca 80 Woh­nun­gen für die Fach­ar­bei­ter der Glas­in­dus­trie[14].

5. Die Euskirchen Glasveredlungsfirmen

Wäh­rend in Rhein­bach die An­sied­lung der Glas­ver­ed­ler wuchs und mit der Staat­li­chen Glas­fach­schu­le ein fes­tes Stand­bein hat­te, wa­ren die An­fän­ge in Eus­kir­chen eher be­schei­den.

Arbeiter in der Glashütte Jola, Euskirchen, 1952. (Stadtarchiv Euskirchen)

 

Der Be­trieb Jo­sef Pos­selt’s Glas­fa­bri­ka­ti­on war 1870 in Blot­ten­dorf ge­grün­det wor­den. Vor dem Zwei­ten Welt­krieg wur­de der Fir­men­sitz nach Hai­da ver­legt. Nach der Ver­trei­bung aus der Tsche­cho­slo­wa­kei er­folg­te zu­nächst ei­ne Neu­grün­dung in Wasun­gen im Thü­rin­ger Wald. An­fang 1947 soll­te die Fir­ma in Rhein­bach an­ge­sie­delt wer­den, doch im Au­gust kam die Nach­richt der Ver­zö­ge­rung. In der rus­si­schen Zo­ne wa­ren der Fir­ma Schwie­rig­kei­ten ent­stan­den we­gen ei­ner un­er­laub­ten Be­triebs­ver­la­ge­rung in den Wes­ten. Auch die von der Auf­bau­stel­le zu­ge­sag­ten Be­mü­hun­gen, al­le Fach­ar­bei­ter, die noch in der rus­si­schen Zo­ne wa­ren, um­zu­sie­deln, wa­ren im San­de ver­lau­fen.

In Eus­kir­chen mel­de­te Irm­fried Pos­selt (ge­bo­ren 1906 in Hai­da) die Fir­ma Jo­sef Pos­selt Sohn GmbH zur Er­zeu­gung und zum Ex­port Böh­mi­scher Hohl­glas­wa­ren, Ma­le­rei, Schliff und Gla­sur am 14. Ju­ni 1948 in der Frau­en­ber­ger Stra­ße 154 an. Nach ei­nem Um­zug 1954 in­ner­halb Eus­kir­chens kam es 1958 zur Ver­le­gung nach Rhein­bach.

Die Fir­ma F.(ranz) A.(ugust) Knit­tel, Rein­er­zer Kris­tall­glas­wer­ke, ur­sprüng­lich be­hei­ma­tet in Bad Rein­erz (Schle­si­en), war be­kannt und be­rühmt für die Her­stel­lung ih­rer Kris­tall­glä­ser, die in vie­le eu­ro­päi­sche Län­der so­wie nach Süd­afri­ka und Süd­ame­ri­ka ex­por­tiert wur­den. 1939 wa­ren bei den ge­sam­ten Rein­er­zer Kris­tall­glas­wer­ken 857 Mit­ar­bei­ter be­schäf­tigt. Die An­sied­lung die­ser Fir­ma war für Eus­kir­chen vor­ge­se­hen und ein Zu­zug für 22 Fa­mi­li­en be­an­tragt. In der Baum­stra­ße 27 wur­de der Be­trieb im Ju­ni 1948 an­ge­mel­det, doch schon 1951 zog die Fir­ma Knit­tel nach Bad Ems um.

In der Glasveredelung Rudolf Rasche, Euskirchen, 1960. (Stadtarchiv Euskirchen)

 

Im De­zem­ber 1947 such­te die Stadt Eus­kir­chen Kon­takt zu Ru­dolf Ra­sche (ge­bo­ren 1904 in Hai­da), dem ehe­ma­li­gen In­ha­ber der Fir­ma Adolf Ra­sche, ei­ner der be­deu­tends­ten Glas­ver­ede­lungs­be­trie­be im Hai­da­er Ge­biet. „Ei­nem Be­trieb, der nach Um­satz und Ruf im In- und Aus­land das Bes­te dar­stellt, was die su­de­ten­deut­sche Glas­ver­ede­lungs­in­dus­trie je an se­riö­sen Fir­men her­vor­ge­bracht ha­t“, schwärm­te man in Eus­kir­chen und hoff­te, durch die An­wer­bung die­ses Hau­ses die Vor­macht­stel­lung Rhein­bachs wett­zu­ma­chen. Tat­säch­lich sprach Ru­dolf Ra­sche im Mai 1948, nach sei­ner Rück­wan­de­rung, in Eus­kir­chen vor mit der Ab­sicht, sich dort nie­der­zu­las­sen. Man konn­te ihm ein Fa­brik­ge­bäu­de mit­ten in der Stadt an der Ger­ber­stra­ße 31 an­bie­ten, wo die Pro­duk­ti­on En­de No­vem­ber be­gann. An die­sem Stand­ort blieb der Glas­ver­ede­lungs­be­trieb bis zu sei­nem Um­zug in die Franz-Ses­ter-Stra­ße 35 im Jah­re 1959. Adolf Ra­sche ent­warf sei­ne Glas­for­men selbst, be­zog sie als Roh­lin­ge und ver­edel­te sie dann. Da­bei be­herrsch­ten die bei Ra­sche an­ge­stell­ten böh­mi­schen Kug­ler, Gra­veu­re und Glas­ma­ler al­le tra­di­tio­nel­len böh­mi­schen Schlif­fe und Mus­ter. Ei­ne be­son­de­re Spe­zia­li­tät wa­ren Glä­ser mit Hir­schen nach „Eger­mann-Mus­ter“[15] so­wie Ru­bin­glas, das zu den streng ge­hü­te­ten Her­stel­lungs­ge­heim­nis­sen der aus dem Su­de­ten­land stam­men­den Fir­men ge­hör­te. Im Jahr 1960 stell­ten nur noch drei Fir­men in der Bun­des­re­pu­bIik das ech­te Ru­bin­glas her, ei­ne da­von war Adolf Ra­sche in Eus­kir­chen[16]. Für den Ex­port nach Eu­ro­pa und Über­see wa­ren Glä­ser, Po­ka­le und Va­sen be­stimmt mit gra­vier­ten Post­kut­schen, ge­mal­ten Jagd­mo­ti­ven, ita­lie­ni­schen Land­kar­ten, ru­bin­rot mit gol­de­nen Ster­nen und Li­li­en oder ei­nem „Pro­sit“ in 18 Spra­chen[17]. 1974 be­schäf­tig­te Ra­sche 20 Ar­beits­kräf­te. Die Fir­ma exis­tiert bis heu­te.

In der Glasveredelung Rudolf Rasche, Euskirchen, 1960. (Stadtarchiv Euskirchen)

 

Die Nord­böh­mi­sche Kris­tall­glas­raf­fi­ne­rie und Lüs­ter­fa­brik in Zül­pich–Lan­gen­dorf wur­de 1948 von den drei nord­böh­mi­schen Kauf­leu­ten An­ton Ho­idn, Ru­dolf Her­bert Kas­par und Theo­dor Pal­me in ei­ner ehe­ma­li­gen Flak­hal­le ge­grün­det. An­ton Ho­idn hat­te be­reits 1940 in Ul­rich­s­tal ei­ne Glas­raf­fi­ne­rie er­öff­net, die bis 1945 be­stand. Theo­dor Pal­me war in sei­nem Hei­mat­ort Par­chen in ei­ner Lüs­ter­fa­brik tä­tig ge­we­sen, und Ru­dolf H. Kas­par ar­bei­te­te bis zum Aus­bruch des Zwei­ten Welt­kriegs als Be­triebs­lei­ter in der Glas­fa­brik Rückl (Stein­schö­nau). In den 1950er Jah­ren wur­de – nach Aus­schei­den des Mit­in­ha­bers Pal­me – die Leuch­ten­pro­duk­ti­on ein­ge­stellt. Im Jah­re 1972 ver­kauf­te der Be­triebs­in­ha­ber Ru­dolf H. Kas­par (Schwie­ger­sohn von An­ton Ho­idn) aus Al­ters­grün­den die Fir­ma an Edu­ard Klin­ger aus Hai­da, der En­de der 1940er Jah­re be­reits als Glas­gra­veur im Be­trieb ge­ar­bei­tet hat­te. Nach sei­ner Fort­bil­dung zum Hüt­ten­tech­ni­ker an der In­ge­nieur­schu­le in Es­sen war Edu­ard Klin­ger in ver­schie­de­nen Glas­hüt­ten (Peill & Putz­ler, Tau­be) tä­tig ge­we­sen, bis er 1972 die Kris­tall­glas­raf­fi­ne­rie Ho­idn/Kas­par über­nahm. Auch er stamm­te aus ei­ner tra­di­tio­nel­len nord­böh­mi­schen Glas­ver­ed­ler­fa­mi­lie, die sich seit meh­re­ren Ge­ne­ra­tio­nen die­sem Ge­wer­be wid­me­te. Ver­edelt wur­de in der be­triebs­ei­ge­nen Schlei­f­er­werk­statt hoch­wer­ti­ges Blei­kris­tall und Über­fang­kris­tall nach ei­ge­nen Hüt­ten­for­men mit klas­si­schen böh­mi­schen Schliff­de­ko­ren und mo­der­ner Ge­stal­tung. Die Kris­tall­raf­fi­ne­rie Klin­ger setz­te auch in­so­fern ih­re nord­böh­mi­sche Fir­men­tra­di­ti­on fort, als sie 90 Pro­zent ih­rer Pro­duk­ti­on ex­por­tier­te, haupt­säch­lich in den asia­ti­schen Raum[18].

In Me­cher­nich-Ober­gart­zem wur­de die Fir­ma Krautz mit fünf Glas­fach­ar­bei­tern an­ge­sie­delt.

6. Die Versorgung mit Rohglas und der Aufbau der Glashütten

Von Be­ginn an stell­te die Ver­sor­gung der Glas­raf­fi­n­eu­re mit Roh­glas das grö­ß­te Pro­blem dar. 1947 be­fürch­te­te die Lan­des­pla­nungs­be­hör­de so­gar ein Schei­tern des ge­sam­ten Pro­jek­tes auf­grund der feh­len­den Roh­glas­ba­sis. Durch die In­itia­ti­ve der Lan­des­re­gie­rung in Düs­sel­dorf kam dann ein Lie­fer­ver­trag mit der Glas­hüt­te Peill & Putz­ler in Dü­ren für zwei Jah­re zu­stan­de, der ver­knüpft war mit ei­ner Zu­sa­ge, 25 Ar­beits­kräf­te und Bau­stof­fe für de­ren Wie­der­auf­bau zu stel­len. Bis­lang hat­te die Glas­hüt­te in Dü­ren ihr Roh­glas selbst ver­edelt und un­ter­schied sich gra­vie­rend von der nord­böh­mi­schen Tra­di­ti­on. Peill & Putz­ler war auf ei­ne se­ri­el­le Wirt­schafts­glas­pro­duk­ti­on ein­ge­rich­tet, so dass we­nig In­ter­es­se an der Ab­ga­be von Roh­glas be­stand. For­men und Sor­ten des zu lie­fern­den Gla­ses soll­te die Auf­bau­stel­le in Rhein­bach be­stim­men, doch die Dü­re­ner Hüt­te be­schränk­te ih­re Lie­fe­run­gen auf nur we­ni­ge For­men, die von al­len ge­nutzt wer­den muss­ten. Ver­ständ­lich und zu er­war­ten wa­ren nun die Pro­ble­me zwi­schen den nord­böh­mi­schen Glas­raf­fi­n­eu­ren und der Dü­re­ner Hüt­te. Sie be­klag­ten, dass die Roh­glas­pa­let­te bei wei­tem nicht den Mög­lich­kei­ten ent­sprach, die in Böh­men zur Ver­fü­gung ge­stan­den hat­ten. Haupt­säch­lich wur­den Scher­fuß- und Ku­gel­va­sen in ver­schie­de­nen Grö­ßen, Scha­len und ei­ne Sor­te Kelch­glas ge­lie­fert, und das al­les in ei­nem grünsti­chi­gen Glas. Peill & Putz­ler hin­ge­gen ar­gu­men­tier­te, dass bei ih­nen die böh­mi­schen Fach­kräf­te fehl­ten, um die Pro­duk­ti­on um­zu­or­ga­ni­sie­ren[19]. Dar­über hin­aus wid­me­ten sich die nord­böh­mi­schen Glas­raf­fi­n­eu­re nicht wie ver­ein­bart dem Ex­port­ge­schäft, son­dern mach­ten der west­deut­schen Glas­in­dus­trie mit ih­ren Mas­sen­pro­duk­ten Kon­kur­renz. Im April 1949 stell­te die Glas­hüt­te Dü­ren ih­re Lie­fe­run­gen an die im Raum Rhein­bach-Eus­kir­chen an­ge­sie­del­ten Glas­ver­ed­ler ganz ein[20]. Vor­über­ge­hend konn­ten Be­stel­lun­gen bei der Hes­sen­glas­hüt­te die Lü­cke schlie­ßen. Der Wunsch nach ei­ner ei­ge­nen Glas­hüt­te wur­de im­mer dring­li­cher.

Die wirt­schaft­li­che Chan­ce für die Stadt Eus­kir­chen lag in der Er­rich­tung ei­ner Glas­hüt­te. Von Sei­ten der Lan­des­re­gie­rung war Eus­kir­chen ab 1948 als Stand­ort ei­ner Glas­hüt­te zur Be­lie­fe­rung der an­ge­sie­del­ten Fir­men mit Roh­glas vor­ge­se­hen. Am 10.7.1948 schrieb die Stadt an den Ober­di­rek­tor des Wirt­schafts­ra­tes der Bi­zo­ne in Frank­furt, Her­mann Pünder: Eus­kir­chen sei von Sei­ten der Re­gie­rung als Stand­ort der Glas­hüt­te fest­ge­legt wor­den. Die Ent­schei­dung lä­ge je­doch beim Wirt­schafts­rat in Frank­furt, da ein „nu­me­rus clau­sus“ für Hüt­ten­bau be­stand. Tho­mas Eßer (ge­bo­ren 1870 in Schwer­fen, ge­stor­ben 1948 in Eus­kir­chen), Bür­ger­meis­ter der Stadt Eus­kir­chen in den Jah­ren 1946 und 1947, dräng­te auf ei­ne Ent­schei­dung und ar­gu­men­tier­te, dass im Sin­ne der Glas­ver­ed­ler, die­se, um wett­be­werbs­fä­hig und ex­port­fä­hig zu wer­den, exis­ten­zi­ell ei­ne Glas­hüt­te be­nö­tig­ten, die 50 bis 100 ver­schie­de­ne For­men in gu­ter Qua­li­tät und Quan­ti­tät lie­fern kön­ne. Da­zu sei die Dü­re­ner Hüt­te nicht im Stan­de. Sie lie­fe­re nur rund zwölf For­men, Va­ria­tio­nen schlie­ße dies aus, so dass prak­tisch je­der Glas­ver­ed­ler das­sel­be her­stel­le. Die ge­wünsch­ten Blei­kris­tal­le und bun­ten Glä­ser, die im Aus­land ge­fragt sei­en, könn­ten nicht her­ge­stellt wer­den. So blie­be der jun­ge Pro­duk­ti­ons­zweig in den Kin­der­schu­hen und ein wirt­schaft­li­cher Er­folg stel­le sich nicht ein[21].

Seit April 1948 streb­ten der Kauf­mann und Hüt­ten­fach­mann Ru­dolf John (ge­bo­ren 1896 in Gla­sert) und der Hüt­ten­che­mi­ker Jo­hann Laub­ner (ge­bo­ren 1890 in Fal­ken­au, ge­stor­ben 1958 in Eus­kir­chen) den Auf­bau ei­ner Hüt­te in Eus­kir­chen an. Ge­mein­sam wa­ren sie vor der Ver­trei­bung an der Hüt­te Han­tich & Co. in Hai­da be­tei­ligt ge­we­sen. In Hai­da wa­ren sie er­folg­reich mit Johns Er­fin­dung, dem be­reits er­wähn­ten John­o­ly­th­glas, ge­we­sen, das vor al­lem für den Ex­port her­ge­stellt wur­de. Die­ses Kon­zept woll­ten sie auf Eus­kir­chen über­tra­gen, denn es la­gen be­reits fes­te Auf­trä­ge für ei­nen Eng­land­ex­port vor. John und Laub­ner ver­spra­chen, cir­ca 100 Ar­beits­plät­ze zu schaf­fen, be­nö­tig­ten ei­ne Grund­stücks­flä­che von 2.000 m² und woll­ten in­ner­halb von sechs Mo­na­ten mit dem Bau fer­tig sein. Sehr ent­ge­gen kam der Stadt Eus­kir­chen der Plan, die Öfen der Glas­hüt­te mit Gas zu be­trei­ben, denn Eus­kir­chen ver­such­te den Wie­der­auf­bau der städ­ti­schen Gas­an­stalt mit dem Bau ei­ner Fern­gas­lei­tung von Bonn nach Eus­kir­chen zu rea­li­sie­ren und vor al­lem zu fi­nan­zie­ren.

In der Glasveredelung Rudolf Rasche, Euskirchen, 1960. (Stadtarchiv Euskirchen)

 

Der zwei­te In­ter­es­sent war der Hüt­ten­fach­mann Adolf Stub­be (ge­bo­ren 1902 in Kö­nigs­hüt­te) mit sei­nem Bru­der Wal­ter, die in Schle­si­en vor dem Kriegs­en­de zwei Hüt­ten be­ses­sen hat­ten und ei­nen er­folg­rei­chen Wie­der­auf­bau in Al­len­dorf a. d. Lahn mit ei­nem Be­trieb, in dem 120 Ar­bei­ter be­schäf­tigt wa­ren, ge­schafft hat­ten. Für ih­re neue Hüt­te in Eus­kir­chen be­nö­tig­ten sie Fach­kräf­te, ei­nen Gleis­an­schluss und ein Ge­län­de mit rund 10.000 m² Flä­che. Am 6. Ok­to­ber 1948 kam ein Kauf­ver­trag für ein Grund­stück zwi­schen der Stadt­ver­wal­tung und der Glas­hüt­te Stub­be zu­stan­de, um in der Glas­hüt­te Roh­glas für die hei­mi­schen Glas­ver­ed­ler zu pro­du­zie­ren. Es soll­ten Ge­brauchs­glä­ser ge­fer­tigt wer­den. Mit dem Bau der Hüt­te soll­te so schnell wie mög­lich be­gon­nen wer­den, ne­ben dem Ge­län­de soll­ten drei bis vier Woh­nun­gen für tech­ni­sche Kräf­te ent­ste­hen. Mit dem Bau von 20 – 30 Woh­nun­gen für die Fach­ar­bei­ter soll­te dann im Früh­jahr be­gon­nen wer­den. Das Ziel des Hüt­ten­baus war, in cir­ca ei­nem bis an­dert­halb Jah­ren et­wa 300 Ar­bei­ter zu be­schäf­ti­gen, was ei­nen zu­sätz­li­chen Woh­nungs­bau für cir­ca 60 Woh­nun­gen nach sich zie­hen wür­de. Doch der Hüt­ten­bau von Wal­ter und Adolf Stub­be ver­zö­ger­te sich, da er aus den Ge­win­nen des Al­len­dor­fer Be­trie­bes fi­nan­ziert wer­den woll­te – ein schwie­ri­ges Un­ter­fan­gen kurz nach der Wäh­rungs­re­form. Im Mai 1949 er­klär­te Wal­ter Stub­be der Stadt Eus­kir­chen, dass sein Bru­der nach Eus­kir­chen kom­men wol­le, um sich um den Hüt­ten­auf­bau zu küm­mern, nach­dem er die not­wen­di­ge Um­stel­lung des Al­len­dor­fer Be­trie­bes durch­ge­führt ha­be. Erst im Mai 1952 war der Roh­bau der Glas­hüt­te Stub­be fer­tig­ge­stellt, am 1. Sep­tem­ber 1953 be­gann die Pro­duk­ti­on am Ei­fel­ring in Eus­kir­chen un­ter dem Fir­men­na­men „Ei­fel­glas­werk Bert­hahüt­te Gmb­H“ mit ih­rem Ge­schäfts­füh­rer Adolf Stub­be. Sie exis­tier­te dort bis zum Jahr 1968.

In der Jolahütte, Euskirchen, 1952. (Stadtarchiv Euskirchen)

 

In der Zwi­schen­zeit war die klei­ne­re Glas­hüt­te, die „Jo­la“ GmbH Glas­fa­brik Eus­kir­chen, so­weit fer­tig­ge­stellt, dass am 18. No­vem­ber 1948 mit dem Ein­bau der Öfen be­gon­nen wer­den konn­te. In der ehe­ma­li­gen Me­tall­wa­ren­fa­brik Deutsch­bein, In den Ben­den 4, soll­te nun Roh­glas her­ge­stellt wer­den. Be­nannt war die Hüt­te nach den bei­den In­ha­bern John und Laub­ner. Der end­gül­ti­ge Hüt­ten­aus­bau konn­te erst be­gin­nen, nach­dem der im Herbst 1948 ge­währ­te Kre­dit von 60.000 DM im Ja­nu­ar 1949 aus­ge­zahlt wur­de. Ein wei­te­rer Kre­dit in Hö­he von 29.000 DM folg­te im No­vem­ber 1949[22]. Im Üb­ri­gen fi­nan­zier­te sich die Jo­lahüt­te durch die Auf­nah­me von Ge­sell­schaf­tern. Das zur Ver­fü­gung ste­hen­de Ka­pi­tal er­laub­te al­ler­dings nicht den Bau ei­ner Hüt­te von op­ti­ma­ler Be­triebs­grö­ße. Der an­fäng­lich ein­ge­bau­te Zwei­ha­fen­ofen ge­nüg­te von vorn­her­ein den An­sprü­chen der nord­böh­mi­schen Ver­ed­ler nicht. Au­ßer­dem muss­te er auch noch auf Öl­feue­rung um­ge­stellt wer­den, da der An­schluss an die Fern­gas­lei­tung auf sich war­ten ließ. Im Ju­ni 1949 war die Hüt­te be­triebs­fer­tig. Sie konn­te je­doch noch nicht mit der Pro­duk­ti­on be­gin­nen, da es für die Be­leg­schaft kei­ne Woh­nun­gen gab. Die Stadt Eus­kir­chen bau­te zwar mit ei­nem Kre­dit von 192.000 DM für die Hüt­ten­fach­leu­te zwei Zwölf­fa­mi­li­en­häu­ser, in de­nen 18 Woh­nun­gen für das Hüt­ten­per­so­nal be­stimmt wa­ren. Doch das ers­te der bei­den Ge­bäu­de wur­de erst im De­zem­ber 1949 be­zugs­fer­tig. Die Pro­duk­ti­on in der Jo­lahüt­te konn­te da­her erst En­de No­vem­ber 1949 auf­ge­nom­men wer­den. Die un­ge­wohn­te Öl­feue­rung und ein Kon­struk­ti­ons­feh­ler im Ofen brach­ten der Hüt­te im Mo­nat De­zem­ber 1949 noch er­heb­li­che tech­ni­sche Schwie­rig­kei­ten. Ih­re ge­rin­ge Be­triebs­grö­ße - En­de De­zem­ber hat­te sie au­ßer den bei­den Ge­schäfts­füh­rern nur 14 Ar­beits­kräf­te - bei ei­nem täg­li­chen Aus­stoß von 500 kg Glas, stell­te zu­dem ih­re Ren­ta­bi­li­tät in Fra­ge. Die neu an­ge­sie­del­ten Glas­raf­fi­n­eu­re der Um­ge­bung such­ten Al­ter­na­ti­ven in Leich­lin­gen und in Schlei­den. Die Glas­hüt­te Leich­lin­gen kam we­gen der zu gro­ßen Ent­fer­nung nur be­dingt in Fra­ge. Bei der Schlei­de­ner Hüt­te han­del­te es sich um ei­ne Fi­lia­le des in Klein­tett­au (Ober­fran­ken) ge­le­ge­nen Stamm­be­triebs. Im Ju­li 1949 hat­te die­se Hüt­te ih­re Pro­duk­ti­on auf­ge­nom­men und er­zeug­te seit­her brau­nes Ver­pa­ckungs­glas, das sich als Roh­glas für die Glas­ver­ede­lungs­be­trie­be nicht eig­ne­te. Ei­ne wei­te­re fi­nan­zi­el­le Hil­fe für die Jo­lahüt­te in Eus­kir­chen war al­so un­ab­ding­bar[23]. We­gen ei­nes er­neu­ten Ofen­scha­dens ruh­te die Hüt­ten­pro­duk­ti­on der Jo­la von Mai bis Au­gust 1950 aber­mals.

Als Ernst Han­tich 1950 das In­ter­nie­rungs­la­ger in Böh­misch-Lei­pa ver­las­sen hat­te, stieg er in die Jo­la GmbH mit ein. Der er­fah­re­ne und er­folg­rei­che Un­ter­neh­mer konn­te je­doch die Pro­ble­me der Hüt­te, die von Be­ginn an be­stan­den, letzt­lich nicht lö­sen. Der im Sep­tem­ber 1950 neu­er­bau­te Drei­ha­fen­ofen stei­ger­te die Pro­duk­ti­on auf 900 kg. Im Ja­nu­ar 1951 wur­den an den drei Werk­stel­len des Ofens rund 1.400 Stü­cke in 27 For­men und in drei ver­schie­de­nen Far­ben her­ge­stellt. Be­schäf­tigt wa­ren in der Jo­lahüt­te zu Be­ginn des Jah­res 1951 ins­ge­samt 38 Ar­beits­kräf­te, da­von 16 Glas­ma­cher[24] .

Ei­ne im Ja­nu­ar 1950 vom Mi­nis­te­ri­um für Wirt­schaft und Ver­kehr durch­ge­führ­te Be­triebs­prü­fung der Jo­la er­gab ei­ne Über­schul­dung der Hüt­te von 100.000 DM[25]. Die Rhein­ba­cher Glas­ver­ed­ler wa­ren nur noch mit 20 Pro­zent am Auf­trags­be­stand be­tei­ligt. Hier zeig­ten sich all­mäh­lich die Fi­nanz­schwä­che und der dro­hen­de Nie­der­gang der in Rhein­bach und Um­ge­bung an­ge­sie­del­ten Grup­pe. Grö­ß­te Auf­trag­ge­ber der Jo­lahüt­te wa­ren die Fir­men Metz­ler und Tscher­nich aus Ha­d­a­mar. Als Sa­nie­rungs­maß­nah­me schlug der Be­triebs­prü­fer die Er­rich­tung ei­nes zwei­ten Vier­ha­fen­ofens vor, um die Pro­duk­ti­ons­ba­sis zu er­wei­tern. Wei­te­re ho­he Kre­di­tie­run­gen aus Lan­des­mit­teln für Flücht­lin­ge folg­ten.

Im Jahr 1954 wa­ren in der Jo­la-Hüt­te 110 Fach­leu­te, die fast aus­schlie­ß­lich aus dem Su­de­ten­land stamm­ten, be­schäf­tigt. Her­ge­stellt wur­de nur mund­ge­bla­se­nes Hohl­glas für Va­sen, Trink­glä­ser, Lam­pen­fü­ße und Kris­tall­leuch­ter. Das hüt­ten­tech­nisch her­ge­stell­te Glas wur­de auch selbst ver­edelt. 75 Pro­zent der Jo­la Pro­duk­ti­on war Far­ben­glas. Jo­la war die ein­zi­ge Glas­hüt­te in West­deutsch­land, die Ala­bas­ter­glas und Hauch­sil­ber­glas her­stell­te und die ein­zi­ge Hüt­te im Bun­des­ge­biet, die Glas so viel­sei­tig be­ar­bei­te­te. Die Viel­falt der Ver­ar­bei­tungs­mög­lich­kei­ten war im­mens. In der Form­ma­che­rei stan­den 10.000 ver­schie­de­ne For­men zur Ver­fü­gung, von de­nen täg­lich 20 bis 60 be­nö­tigt wur­den. Blu­men­va­sen aus Ala­bas­ter in Form ei­nes Kor­bes wa­ren der Ex­port­schla­ger für Aus­tra­li­en, Lam­pen­fü­ße aus Glas in New York be­gehrt[26] .

En­de 1956 ga­ben die Ge­sell­schaf­ter der Jo­la-Hüt­te auf, das Kon­kurs­ver­fah­ren war ein­ge­lei­tet. Der 29-jäh­ri­ge Su­de­ten­deut­sche Kurt Wo­kan, ein Schul­freund des Soh­nes von Ernst Han­tich, ver­hei­ra­tet mit In­grid Hen­lein, führ­te die Hüt­te dann un­ter dem Na­men „In­gridhüt­te“ mit ra­san­tem, je­doch zwei­fel­haf­tem Er­folg bis 1982 wei­ter[27] . Die In­gridhüt­te spiel­te je­doch für die im Raum Rhein­bach-Eus­kir­chen-Dü­ren an­ge­sie­del­ten an­de­ren Glas­raf­fi­n­eu­re kaum ei­ne Rol­le, da sie ihr Roh­glas selbst ver­edel­te und auf gro­ße Se­ri­en­pro­duk­ti­on aus­ge­rich­tet war.

7. Die Jolahütte und der Wiederaufbau der Gasversorgung

Das städ­ti­sche Gas­werk in Eus­kir­chen war bei ei­nem Bom­ben­an­griff am 24. De­zem­ber 1944 schwer be­schä­digt wor­den. Am En­de des Krie­ges wa­ren die Gas­ver­sor­gungs­net­ze der Stadt fast voll­stän­dig zer­stört. 1946 wur­de an die Pla­nung für ei­nen Wie­der­auf­bau des Gas­wer­kes her­an­ge­gan­gen. Es war zu­nächst vor­ge­se­hen, nach der Wie­der­her­stel­lung der Ver­sor­gungs­net­ze das Gas­werk mit neu­en Kam­mer­o­fen-An­la­gen wie­der zu er­rich­ten, als durch die Wäh­rungs­re­form vom 20. Ju­ni 1948 die Stadt vor ei­ne völ­lig neue Si­tua­ti­on ge­stellt wur­de. Durch den Un­ter­gang sämt­li­cher Rück­la­gen war nun­mehr an ei­nen Wie­der­auf­bau in ab­seh­ba­rer Zeit nicht mehr zu den­ken. Es muss­te da­her zwangs­läu­fig zu auch frü­her schon an­ge­stell­ten Über­le­gun­gen kom­men, ob nicht von der Ei­gen­er­zeu­gung zum Fern­gas­be­zug über­ge­gan­gen wer­den soll­te.

Wie be­deu­tend und für den wirt­schaft­li­chen Wie­der­auf­bau der Stadt Eus­kir­chen not­wen­dig der neue In­dus­trie­zweig war, be­stä­tigt der An­trag der Stadt auf Kre­dit vom Mai 1949 aus ERP-Mit­teln[28] in der Hö­he von 1 Mil­li­on DM für ei­ne Fern­gas­lei­tung, der aus­schlie­ß­lich da­mit be­grün­det wird, dass die bei­den neu­en, im Auf­bau be­find­li­chen Glas­hüt­ten cir­ca 20 Mil­lio­nen Ku­bik­me­ter Gas mehr be­nö­ti­gen wer­den. Am 28. Ok­to­ber 1949 wer­den 500.000 DM von der Kre­dit­an­stalt für Wie­der­auf­bau in Frank­furt zu­ge­sagt. Das wei­te­re Dar­le­hen von 500.000 DM folg­te ein Jahr spä­ter mit der Auf­la­ge, die Ruhr­gas AG mit dem Bau zu be­auf­tra­gen[29] . Die Kre­di­te hat­ten ei­nen Zins­satz von 2,5 Pro­zent und ei­ne Lauf­zeit von bis zu 17 Jah­ren. Es han­del­te sich al­so um be­son­ders güns­ti­ge Kre­dit­be­din­gun­gen.

In der Jolahütte, Euskirchen, 1952. (Stadtarchiv Euskirchen)

 

Doch ge­nau die Be­lie­fe­rung mit Gas und der An­schluss an die Fern­gas­lei­tung be­scher­ten der Jo­la-Hüt­te wei­te­re schwer­wie­gen­de Pro­ble­me. Der Druck der Fern­gas­lei­tung reich­te für die Be­lie­fe­rung der Hüt­te nicht aus. Im De­zem­ber 1950 floss end­lich wie­der Gas in Eus­kir­chen. Die Be­lie­fe­rung der an der Pe­ri­phe­rie der Stadt ge­le­ge­nen Jo­la-Hüt­te er­folg­te über ei­ne ge­son­der­te Nie­der­druck­lei­tung des Gas­werks Eus­kir­chen. An die­ser Si­tua­ti­on konn­te das Gas­werk erst im Früh­jahr 1952 ei­ne Ver­bes­se­rung durch ei­ne neue Kom­pres­sor­an­la­ge in Köln her­bei­füh­ren. Das zwei­te Pro­blem, näm­lich die aus­rei­chen­de Men­ge des Erd­ga­ses, konn­te und woll­te die Ruhr­gas AG nicht än­dern. Für sie zähl­te die Glas­in­dus­trie zu den schlech­test be­zah­len­den Grup­pen. Im Jahr 1951 stand die Jo­la-Hüt­te bei den Stadt­wer­ken schon mit 20.000 DM im Rück­stand. Ei­ne Ab­wan­de­rung nach Leich­lin­gen, da dort die Gas­prei­se nied­ri­ger und die Ver­sor­gung bes­ser war, konn­te die Stadt Eus­kir­chen durch Ge­sprä­che mit der IHK und der Ruhr­gas AG ver­hin­dern. Die Ab­wan­de­rung der Glas­hüt­te hät­te den Raf­fi­n­eu­ren von Rhein­bach und Eus­kir­chen die Ba­sis ent­zo­gen und ei­ne Zer­split­te­rung der Um­sied­lung der su­de­ten­deut­schen Glas­in­dus­trie nach sich ge­zo­gen. Noch im April 1952 bat Ernst Han­tich die Gas­ver­sor­gung, die Pro­ble­me zu lö­sen und den Gas­preis zu sen­ken. Durch den fal­schen Druck ent­ste­he Glas­bruch, der die Exis­tenz der Jo­la-Hüt­te ernst­lich be­dro­he. Am 7. Mai 1952 er­hielt die Jo­la-Hüt­te ei­nen Hoch­druck­an­schluss an die Lei­tung der Ruhr­gas AG auf de­ren Kos­ten[30]. Sie be­nö­tig­te am Tag mehr Fern­gas, als die gan­ze Stadt Eus­kir­chen mit ih­ren Haus­hal­tun­gen, er­klär­te der Ge­schäfts­füh­rer der Hüt­te der Pres­se im Jahr 1954[31].

8. Eine gescheiterte Umsiedlung?

Im Jah­re 1958 be­fan­den sich im An­sied­lungs­ge­biet Rhein­bach-Eus­kir­chen meh­re­re grö­ße­re und klei­ne­re Glas­hüt­ten, fer­ner 17 Glas­ver­ede­lungs­be­trie­be und et­wa 15 Heim­wer­ker­stät­ten für Glas­schliff, Ät­ze­rei, Ma­le­rei und Gra­vur. Die Ge­samt­be­schäf­tig­ten­zahl der an­ge­sie­del­ten Glas­in­dus­trie im Raum Rhein­bach – Eus­kir­chen lag bei cir­ca 1.500. Da­von ent­fiel auf die In­gridhüt­te in Eus­kir­chen al­lein ein Drit­tel, wie die Stadt Eus­kir­chen stolz an­merk­te[32] .

In der Glashütte Jola, Euskirchen, 1952. (Stadtarchiv Euskirchen)

 

Doch schon 1950 sprach die Han­dels­kam­mer Bonn von ei­ner „plan­lo­sen An­sied­lun­g“. Sie lä­gen nicht an güns­ti­gen Stand­or­ten, sei­en kon­kur­ren­zun­fä­hig und es wür­de „ein fal­sches Spiel mit den hei­mat­ver­trie­be­nen Su­den­ten­deut­schen ge­trie­ben“[33]. Die man­geln­de Zu­sam­men­ar­beit be­ein­träch­tig­te letzt­lich den Ge­samt­er­folg der An­sied­lung. Es er­folg­te ei­ne stän­di­ge Ver­min­de­rung der Be­triebs­grö­ßen und Be­schäf­tig­ten­zah­len. Hin­zu kam, dass die Raf­fi­n­eu­re schon über­al­tert wa­ren, als sie in den Wes­ten ka­men, der Neu­auf­bau da­her um­so schwie­ri­ger war. Von der böh­mi­schen Fa­mi­li­en­tra­di­ti­on war kaum et­was ge­blie­ben. Das Er­schei­nungs­bild des Ge­wer­bes hat­te sich ver­än­dert vom klas­si­schen Typ der nord­böh­mi­schen Im- und Ex­port­fir­ma hin zum hand­werk­lich ori­en­tier­ten Klein­be­trieb mit re­gio­na­lem Ab­satz[34]. Das Ver­lags­sys­tem mit der rein au­ßer­be­trieb­li­chen Fer­ti­gung war bei der Neu­an­sied­lung ganz auf­ge­ge­ben wor­den. Ei­ne haus­in­dus­tri­el­le Pro­duk­ti­on er­for­der­te die Ein­rich­tung ei­ner neu­en Werk­statt, für die in der ers­ten Nach­kriegs­zeit das Ka­pi­tal fehl­te. Zu­sätz­lich bot der Wes­ten an­de­re Be­schäf­ti­gungs­mög­lich­kei­ten, war nicht aus­schlie­ß­lich auf die Glas­in­dus­trie aus­ge­rich­tet wie in Nord­böh­men. Bei der Neu­an­sied­lung voll­zo­gen sich al­so – hin­ter ei­ner Fas­sa­de von schein­ba­rer Kon­stanz – ent­schei­den­de Ver­än­de­run­gen. Die tra­di­tio­nel­le Be­rufs­kon­stanz, die in Nord­böh­men selbst­ver­ständ­lich war, ver­lor in den An­sied­lungs­zen­tren an Be­deu­tung. Durch die Los­lö­sung aus ih­ren his­to­ri­schen Bin­dun­gen war die nord­böh­mi­sche Glas­in­dus­trie der Auf­lö­sung preis­ge­ge­ben, ei­ne in Böh­men ho­mo­ge­ne Wirt­schafts­grup­pe zer­fiel. Üb­rig blie­ben lo­ka­le Klein­be­trie­be und die In­gridhüt­te in Eus­kir­chen, die sich im­mer mehr von der Tra­di­ti­on der nord­böh­mi­schen Glas­in­dus­trie weg ent­wi­ckel­te. In Rhein­bach kann man durch die Ein­rich­tung der Glas­fach­schu­le, der Er­rich­tung des Glas­mu­se­ums im Jahr 1969, der Pa­ten­schaft über das Kul­tur­gut von Stein­schö­nau seit 1987 und der Städ­te­part­ner­schaft mit dem tsche­chi­schen Ka­me­nický Se­nov von Tra­di­ti­on und Kon­stanz des gro­ßen An­sied­lungs­pro­jek­tes spre­chen. Das Ge­samt­pro­jekt der An­sied­lung der nord­böh­mi­schen Glas­in­dus­trie auf der lin­ken Rhein­sei­te zum Wie­der­auf­bau der nord­rhein-west­fä­li­schen In­dus­trie muss man als ge­schei­tert be­trach­ten, auch wenn ver­ein­zelt Glas­hüt­ten und Glas­ver­ede­lungs­be­trie­be in böh­mi­scher Tra­di­ti­on jahr­zehn­te­lang exis­tier­ten.

Literatur

Sche­bek, Ed­mund, Böh­mens Glas­in­dus­trie und Glas­han­del: Quel­len zu ih­rer Ge­schich­te, Prag 1878 (ab­ruf­bar un­ter: www.di­gi­ta­lis.uni-koeln.de/Sche­bek/sche­bek_in­dex.html. Stand: 15.02.2019).
Som­mer, Car­men, Die Ge­schich­te der Hai­da­er-Stein­schö­nau­er Glas­ver­ede­lungs­in­dus­trie und ihr Struk­tur­wan­del nach der Neu­an­sied­lung im Raum Rhein­bach, Diss. Bonn 1994.
Fran­zen, K. Erik, Die Ver­trie­be­nen. Hit­lers letz­te Op­fer. Mit ei­ner Ein­füh­rung von Hans Lem­berg, 2. Auf­la­ge, Ber­lin [u.a.] 2001.

Glassortiment der Glashütte Hantich & Co., Haida. (Privatbesitz)

 
Anmerkungen
Zitationshinweis

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Rünger, Gabriele, Aufbau West - Die Ansiedlung der nordböhmischen Glasindustrie in Euskirchen und Umgebung, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/Themen/aufbau-west---die-ansiedlung-der-nordboehmischen-glasindustrie-in-euskirchen-und-umgebung/DE-2086/lido/5f880dcebdac86.77927321 (abgerufen am 10.12.2024)