Bürger, Revolutionäre, Militärs: Die Reichsverfassungskampagne im Rheinland 1849

Henning Türk (Bonn)

Eine Elberfelder Barrikade, Satirezeitschrift Kladderadatsch, 20.5.1849. (Gemeinfrei)

1. Einleitung

Mit der end­gül­ti­gen Ab­leh­nung der Kai­ser­kro­ne durch den preu­ßi­schen Kö­nig Fried­rich Wil­helm IV. (1840-1861) am 28.4.1849 be­gann die letz­te Pha­se der März­re­vo­lu­ti­on. Da­bei ging es um ei­ne Durch­set­zung der Reichs­ver­fas­sung „von un­ten“. Die von Mai bis Ju­li 1849 an­dau­ern­den Kämp­fe wer­den in der For­schungs­li­te­ra­tur in der Re­gel nur ober­fläch­lich be­han­delt, ob­wohl ih­nen ei­ne ent­schei­den­de Be­deu­tung zu­kommt. Sie stell­ten den letz­ten Ver­such dar, die in der Deut­schen Na­tio­nal­ver­samm­lung in der Frank­fur­ter Pauls­kir­che er­ar­bei­te­te Ver­fas­sung doch noch zu ret­ten. Die­ser Kampf hat­te kei­nen zen­tra­len Ort, son­dern fand re­gio­nal in un­ter­schied­li­chen Kon­stel­la­tio­nen und mit un­ter­schied­li­chen Mo­tiv­la­gen statt. Die­se re­gio­na­le Be­schrän­kung der Auf­stän­de bot den preu­ßi­schen Trup­pen die Chan­ce, aus­ge­hend von Sach­sen An­fang Mai bis nach Ba­den im Ju­li 1849 die Auf­stän­de suk­zes­si­ve nie­der­zu­schla­gen.

Für die­se letz­te Pha­se der Re­vo­lu­ti­on hat sich der Be­griff der „Reichs­ver­fas­sungs­kam­pa­gne“ eta­bliert. Die­sen präg­te der aus Bar­men (heu­te Stadt Wup­per­tal) stam­men­de Fried­rich En­gels in ei­ner Ar­ti­kel­se­rie von 1850. Dar­in cha­rak­te­ri­sier­te er die „Reichs­ver­fas­sungs­kam­pa­gne“ fol­gen­der­ma­ßen:

Der Kampf in Dres­den kam eben zum Aus­bruch; in der Pfalz konn­te er je­den Au­gen­blick los­bre­chen. In Ba­den, in Würt­tem­berg, in Fran­ken wur­den Mons­ter­ver­samm­lun­gen an­ge­setzt, und man ver­hehl­te kaum noch, daß man ent­schlos­sen sei, es auf Ent­schei­dung durch die Waf­fen an­kom­men zu las­sen. In ganz Süd­deutsch­land wa­ren die Trup­pen schwan­kend. Preu­ßen war nicht min­der auf­ge­regt. […] Die Schwü­re, mit der Frank­fur­ter Ver­samm­lung zu ste­hen und zu fal­len, Gut und Blut für die Reichs­ver­fas­sung ein­zu­set­zen, füll­ten al­le Zei­tun­gen, er­tön­ten in al­len Klub­sä­len und Bier­lo­ka­len. Da er­öff­ne­te die preu­ßi­sche Re­gie­rung die Feind­se­lig­kei­ten, in­dem sie ei­nen gro­ßen Teil der Land­wehr, na­ment­lich in West­fa­len und am Rhein, ein­be­rief. Die Ein­be­ru­fungs­ord­re war mit­ten im Frie­den un­ge­setz­lich, und nicht nur die klei­ne, auch die grö­ße­re Bour­geoi­sie er­hob sich da­ge­gen.[1] 

En­gels zeich­ne­te den Kampf um die Reichs­ver­fas­sung auf die­se Wei­se als Kampf ge­gen die Un­ge­setz­lich­keit der Re­gie­rung. Im wei­te­ren Ver­lauf sei­ner Ar­ti­kel­se­rie iden­ti­fi­zier­te er dann vor al­lem das Klein­bür­ger­tum und das Pro­le­ta­ri­at als die zen­tra­len Trä­ger­schich­ten die­ser End­pha­se der Re­vo­lu­ti­on.

Die­se „Reichs­ver­fas­sungs­kam­pa­gne“ steht im Fol­gen­den im Fo­kus. Auf­grund des re­gio­na­len Cha­rak­ters der Auf­stän­de las­sen sich aus der Ana­ly­se die­ser letz­ten Pha­se der März­re­vo­lu­ti­on auch Er­kennt­nis­se über die Macht­ver­hält­nis­se in den Re­gio­nen, über re­gio­na­le Iden­ti­tä­ten und Wahr­neh­mun­gen ge­win­nen. Da­bei hat sich die For­schung über­wie­gend auf die Kern­re­gio­nen die­ser Auf­stän­de, Sach­sen, Ba­den und die baye­ri­sche Pfalz kon­zen­triert. Die preu­ßi­sche Rhein­pro­vinz kommt da­ge­gen meis­tens nur am Ran­de vor.[2]

 

In­so­fern soll im Fol­gen­den be­leuch­tet wer­den, wie die­se letz­te Pha­se der Re­vo­lu­ti­on im Rhein­land ver­lief. Wer wa­ren die zen­tra­len Ak­teu­re? Was wa­ren ih­re Zie­le? War­um konn­ten sie die­se nicht durch­set­zen? Die­se Fra­gen wer­den hier an­hand von Bei­spie­len aus de­m Re­gie­rungs­be­zirk Düs­sel­dorf, aber auch mit Sei­ten­bli­cken auf den Re­gie­rungs­be­zirk Köln, be­leuch­tet.

2. Das Paulskirchenparlament, König Friedrich Wilhelm IV. und die Reichsverfassung

In der Deut­schen Na­tio­nal­ver­samm­lung wa­ren ne­ben dem Zu­schnitt des zu­künf­ti­gen Rei­ches vor al­lem die Staats­form und das Wahl­recht um­strit­ten. Da­bei ge­lang ein Kom­pro­miss, in­dem Tei­le der Lin­ken ei­nem Erb­kai­ser­tum zu­stimm­ten und da­für die ge­mä­ßigt Li­be­ra­len das all­ge­mei­ne Männerwahl­recht ak­zep­tier­ten. Nach der er­folg­rei­chen Ab­stim­mung trat am 28.3.1849 die Reichs­ver­fas­sung für das klein­deut­sche Reich in Kraft.

An die­sem Tag stimm­te man auch dar­über ab, wer das Erb­kai­ser­tum an­tre­ten soll­te. Da­bei sprach sich ei­ne Mehr­heit für den preu­ßi­schen Kö­nig Fried­rich Wil­helm IV. aus. Das Pauls­kir­chen­par­la­ment ent­sand­te dar­auf­hin ei­ne De­le­ga­ti­on zum preu­ßi­schen Kö­nig nach Ber­lin, die ihm die Kai­ser­wür­de an­tra­gen soll­te. Die De­le­ga­ti­on der Pauls­kir­che wur­de am 3.4.1849 von Fried­rich Wil­helm IV. emp­fan­gen. Der Kö­nig re­agier­te ver­hal­ten. Er be­dank­te sich zwar für das An­ge­bot, wies aber gleich­zei­tig dar­auf hin, dass es jetzt an den Re­gie­run­gen der ein­zel­nen Staa­ten lie­ge, zu prü­fen, ob die Reichs­ver­fas­sung den An­for­de­run­gen ge­nü­ge und ob die ihm zu­ge­dach­ten Rech­te es ihm er­mög­li­chen wür­den, mit star­ker Hand zu re­gie­ren.[3]

Das lag auf der Li­nie, die er auch vor­her im­mer ver­tre­ten hat­te, denn er woll­te die Kai­ser­kro­ne nicht aus den Hän­den der Na­tio­nal­ver­samm­lung emp­fan­gen, son­dern war höchs­tens be­reit, sie aus den Hän­den le­gi­ti­mer Fürs­ten und Re­gie­run­gen ent­ge­gen­zu­neh­men. So hat­te er be­reits im De­zem­ber 1848 an den Ge­sand­ten Chris­ti­an Karl Jo­si­as Frei­herrn von Bun­sen (1791-1860) ge­schrie­ben, dass der Kai­ser­kro­ne der Lu­der­ge­ruch der Re­vo­lu­ti­on von 1848 an­haf­te und er nicht be­reit sei [e]inen sol­chen ima­gi­nä­ren Reif, aus Dreck und Let­ten ge­ba­cken als le­gi­ti­mer Kö­nig von Got­tes Gna­den an­zu­neh­men.[4]

In der preu­ßi­schen Re­gie­rung war man sich al­ler­dings nicht ganz so si­cher, wie man mit dem An­ge­bot um­ge­hen soll­te, denn es be­deu­te ja auch ei­nen Macht­zu­wachs für Preu­ßen. Da­her tak­tier­te man in ver­schie­de­ne Rich­tun­gen und sand­te wi­der­sprüch­li­che Si­gna­le. Zu­dem hat­ten bis zum 14.4.1849 be­reits 28 ein­zel­staat­li­che Re­gie­run­gen von ins­ge­samt 39 die Reichs­ver­fas­sung an­er­kannt. Lang­sam setz­ten sich die Hard­li­ner in der preu­ßi­schen Re­gie­rung durch. Am 27.4.1849 lös­te Fried­rich Wil­helm IV. zu­nächst die zwei­te preu­ßi­sche Kam­mer auf, da sie die Le­ga­li­tät der Reichs­ver­fas­sung an­er­kannt hat­te. Ei­nen Tag spä­ter gab die preu­ßi­sche Re­gie­rung be­kannt, dass der Kö­nig die Kai­ser­kro­ne end­gül­tig ab­leh­ne.[5]  Gleich­zei­tig bot man den­je­ni­gen Staa­ten mi­li­tä­ri­sche Un­ter­stüt­zung an, die sich auch ge­gen die Reichs­ver­fas­sung wand­ten.

Arbeiter vor dem Magistrat, Gemälde von Johann Peter Hasenclever, 1848/1849. (Museum Schloss Burg an der Wupper Solingen)

 

Da­mit stan­den die Zei­chen auf Sturm. Ei­ne Kon­fron­ta­ti­on zwi­schen den ge­gen­re­vo­lu­tio­nä­ren Ge­wal­ten und den Ver­tei­di­gern der Reichs­ver­fas­sung schien un­ver­meid­bar. Da­durch ge­riet die Mehr­heit der Pauls­kir­chen­ver­samm­lung in ein Di­lem­ma. Die eher ge­mä­ßig­ten Ab­ge­ord­ne­ten, die auf ei­ne le­ga­le Ver­stän­di­gung zwi­schen der Na­tio­nal­ver­samm­lung und den re­gie­ren­den Fürs­ten über die Ver­fas­sung ge­setzt hat­ten, wuss­ten nicht, wie sie mit der Si­tua­ti­on um­ge­hen soll­ten. Der His­to­ri­ker Veit Va­len­tin hat die ent­schei­den­de Fra­ge, die vie­le Ab­ge­ord­ne­te um­trieb, auf den Punkt ge­bracht: „[S]ol­len und kön­nen sie das Bünd­nis mit der Re­vo­lu­ti­on ein­ge­hen, dür­fen sie ihr hei­li­ges Recht mit den Mit­teln der Ge­walt durch­fech­ten?“[6] 

Aus dem Zwie­spalt zwi­schen Le­ga­li­täts­den­ken und Re­vo­lu­ti­on konn­te sich das Pauls­kir­chen­par­la­ment nicht mehr be­frei­en. Am 4.5.1849 ver­ab­schie­de­te ei­ne hauch­dün­ne Mehr­heit noch ei­nen Auf­ruf, in dem die Re­gie­run­gen, ge­setz­ge­ben­den Kör­per­schaf­ten und das deut­sche Volk auf­ge­for­dert wur­den, die Reichs­ver­fas­sung an­zu­er­ken­nen und in dem be­reits ein Ter­min für die Wah­len und die kon­sti­tu­ie­ren­de Sit­zung des neu­en Reichs­par­la­ments ge­nannt wur­den.[7] Dann zer­fiel das Par­la­ment, als im­mer mehr Ab­ge­ord­ne­te der Mit­te-Rechts-Grup­pie­run­gen aus der Pauls­kir­che aus­tra­ten und die Lin­ken da­durch ei­ne Mehr­heit er­hiel­ten. Die­se zo­gen als so­ge­nann­tes Rumpf­par­la­ment nach Stutt­gart um, wo sie nach we­ni­gen Wo­chen von der würt­tem­ber­gi­schen Re­gie­rung ge­walt­sam ver­trie­ben wur­den. Doch wie sah die Si­tua­ti­on im Rhein­land aus?

3. Gegen die Ungesetzlichkeit der Regierung: Die Reaktion auf die preußische Ablehnung im Rheinland

Im Rhein­land flamm­ten nach der Ab­leh­nung der Kai­ser­kro­ne vie­le lo­ka­le Pro­tes­te auf. Es ge­lang je­doch nicht, die Auf­stän­de zu ko­or­di­nie­ren und da­mit die preu­ßi­sche Re­gie­rung un­ter Druck zu set­zen. Das wird deut­lich, wenn wir uns ei­ni­ge her­aus­ra­gen­de Punk­te der Reichs­ver­fas­sungs­kam­pa­gne im Rhein­land an­schau­en.

3.1 Der Rheinische Städtetag in Köln am 8.5.1849

Am 29.4.1849 be­rich­te­te der Köl­ner Ober­re­gie­rungs­rat Jo­hann Bap­tist Birck (1804-1869), der Stell­ver­tre­ter des Re­gie­rungs­prä­si­den­ten, an den preu­ßi­schen In­nen­mi­nis­ter Ot­to von Man­teu­f­fel (1805-1882), dass die Auf­lö­sung der zwei­ten preu­ßi­schen Kam­mer bei den wohl­ha­ben­den Bür­gern für gro­ßen Un­mut ge­sorgt ha­be. Zu­dem hät­ten die­se mit den Ver­fas­sungs­be­schlüs­sen der Na­tio­nal­ver­samm­lung sym­pa­thi­siert und ei­ne Über­nah­me der Kai­ser­wür­de durch Fried­rich Wil­helm IV. er­war­tet. Die wohl­ha­ben­den Bür­ger be­fürch­te­ten nun ei­ne Ra­di­ka­li­sie­rung wei­ter Be­völ­ke­rungs­krei­se und zahl­rei­che Un­ru­hen.[8]

Am Abend des­sel­ben Ta­ges fand da­her ei­ne Sit­zung des eher ge­mä­ßig­ten Köl­ner Bür­ger­ver­eins statt, der dem preu­ßi­schen Staats­mi­nis­te­ri­um das Miss­trau­en aus­sprach. Die­ses Vo­tum sand­te man an den Köl­ner Ge­mein­de­rat, da­mit sich die­ser und die Ge­mein­de­rä­te der an­de­ren grö­ße­ren Städ­te der Rhein­pro­vinz den Be­schlüs­sen an­schlie­ßen konn­ten.[9] 

Der Ge­mein­de­rat und der Köl­ner Ober­bür­ger­meis­ter rie­fen dar­auf­hin zu ei­ner Ver­samm­lung der Ge­mein­de­rä­te der Rhein­pro­vinz für den 5.5.1849 auf, die ei­ne Adres­se an den Kö­nig ver­ab­schie­den soll­te. Die preu­ßi­sche Re­gie­rung ver­bot die­se Ver­samm­lung. Die­ses Ver­bot konn­te man je­doch ge­schickt um­ge­hen: Die Ein­la­dung wur­de of­fi­zi­ell zu­rück­ge­nom­men. Gleich­zei­tig lu­den elf Mit­glie­der des Stadt­ra­tes als Pri­vat­per­so­nen zu ei­ner Ver­samm­lung auf den 8.5. ein.[10]

Bei der Ver­samm­lung ka­men un­ge­fähr 400 De­le­gier­te zu­sam­men. Da­bei wur­den zum Teil recht weit­ge­hen­de Be­schlüs­se ge­fasst, die so­fort ge­druckt und ver­teilt wur­den. So be­zeich­ne­te man die Reichs­ver­fas­sung vom 28.3. als end­gül­ti­ges Ge­setz und schlug sich im Kon­flikt zwi­schen der preu­ßi­schen Re­gie­rung und der Na­tio­nal­ver­samm­lung auf die Sei­te des Pauls­kir­chen­par­la­ments. Die Be­völ­ke­rung der Rhein­lan­de wur­de auf­ge­for­dert, in Kol­lek­ti­v­e­r­klä­run­gen deut­lich zu ma­chen, dass man an der Reichs­ver­fas­sung fest­hal­ten und den An­ord­nun­gen der Na­tio­nal­ver­samm­lung Fol­ge leis­ten wol­le. Das Pauls­kir­chen­par­la­ment soll­te sich an die Spit­ze der Be­we­gung stel­len und ihr Ein­heit und Stär­ke ge­ben. Zu­dem soll­ten der Reichs­ver­we­ser und sei­ne Re­gie­rung die Reichs­trup­pen zu­sam­men­zie­hen und auf die Ver­fas­sung ver­ei­di­gen. In Be­zug auf die preu­ßi­sche Re­gie­rung for­der­te man die Ent­las­sung des Mi­nis­te­ri­ums von Mi­nis­ter­prä­si­dent Fried­rich Wil­helm Graf von Bran­den­burg (1792-1850) und In­nen­mi­nis­ter Man­teu­f­fel so­wie Wah­len zu den Kam­mern auf der Ba­sis des bis­he­ri­gen all­ge­mei­nen Wahl­rechts (al­so des Männerwahl­rechts und un­ter Aus­schluss der­je­ni­gen, die Ar­men­un­ter­stüt­zung er­hiel­ten). Hef­tig wand­te sich die Ver­samm­lung ge­gen die Ein­be­ru­fung der Land­wehr. Dies ge­fähr­de den Frie­den in der Rhein­pro­vinz und müs­se so­fort zu­rück­ge­nom­men wer­den. War­nend schlos­sen die Ge­mein­de­ver­tre­ter, dass der Be­stand Preu­ßens ge­fähr­det sei, wenn die­se Be­schlüs­se miss­ach­tet wür­den.[11] 

Der Köl­ner Re­gie­rungs­prä­si­den­t Edu­ard von Mo­el­ler wies ge­gen­über In­nen­mi­nis­ter von Man­teu­f­fel dar­auf hin, dass vie­le Ge­mein­de­rä­te mit den Be­schlüs­sen nicht ein­ver­stan­den sei­en. Es ha­be ih­nen je­doch der Mut ge­fehlt, ge­gen die ra­di­ka­len For­de­run­gen zu stim­men. La­ko­nisch kom­men­tier­te er: Die Kon­ser­va­ti­ven sind wie­der von den De­mo­kra­ten ins Schlepp­tau ge­nom­men, wie es bei sol­chen Ge­le­gen­hei­ten in der Re­gel geht.[12]  Dem letz­ten Satz der Er­klä­rung, der ei­ne Los­lö­sung der Rhein­pro­vinz von Preu­ßen an­deu­te­te, hielt von Mo­el­ler ent­ge­gen, dass man die­se Ent­wick­lung nur durch ei­ne ge­nü­gen­de ma­te­ri­el­le Macht ver­hin­dern kön­ne. Das hieß nichts an­de­res als das Mi­li­tär ein­zu­set­zen. Dem­entspre­chend ver­öf­fent­lich­te der Ober­prä­si­dent der Rhein­pro­vinz, Franz Eich­mann, ei­ne Er­klä­rung, die in den Zei­tun­gen par­al­lel zu den Be­schlüs­sen der Ge­mein­de­ver­tre­ter ver­öf­fent­licht wur­de, und in der er be­ton­te, dass man bei ge­walt­sa­men Ver­su­chen, die Rhein­pro­vinz von Preu­ßen zu lö­sen, von Mit­teln der Ge­walt Ge­brauch[13] ma­chen wer­de. Auf­grund der star­ken mi­li­tä­ri­schen Prä­senz durch die Gar­ni­son in Köln blieb es dort auch in der Fol­ge re­la­tiv ru­hig, im Ge­gen­satz zu Düs­sel­dorf.

Die Frankfurter Paulskirche im Jahr 1848, Aquarell von Jean Nicolas Ventadour (1822- um 1880). (Historisches Museum Frankfurt)

 

3.2 Die Barrikadenkämpfe in Düsseldorf

Die Er­eig­nis­se in Düs­sel­dorf ent­zün­de­ten sich an ei­nem Ge­rücht, wie über­haupt die Be­deu­tung des Ge­rüchts in der Re­vo­lu­ti­on von 1848/49 nicht über­schätzt wer­den kann. Die­ses Ge­rücht be­sag­te, dass von Düs­sel­dorf nach El­ber­feld (heu­te Stadt Wup­per­tal) ab­ge­sand­te Trup­pen dort be­siegt wor­den sei­en und man in El­ber­feld die Re­pu­blik aus­ge­ru­fen ha­be. Dar­auf­hin ent­stand der Plan, den im Düs­sel­dor­fer Ge­fäng­nis in­haf­tier­ten Fer­di­nand Las­sal­le[14] zu be­frei­en und das Re­gie­rungs­ge­bäu­de so­wie das Rat­haus zu stür­men. Ins­be­son­de­re der ehe­ma­li­ge Chef der Düs­sel­dor­fer Bür­ger­wehr, der Kauf­man­n Lau­renz Can­ta­dor, spiel­te hier­bei ei­ne pro­mi­nen­te Rol­le.

Ge­gen Abend des 9.5.1849 ver­sam­mel­te sich ei­ne gro­ße Volks­men­ge vor dem Rat­haus, stimm­te dort re­vo­lu­tio­nä­re Lie­der an und ließ die Re­pu­blik hoch­le­ben. Ei­nem preu­ßi­schen Trup­pen­kon­tin­gent ge­lang es zwar, die Pro­tes­tie­ren­den von dort zu ver­trei­ben, die­se zo­gen je­doch wei­ter durch die Stra­ßen und ver­such­ten, wei­te­re Düs­sel­dor­fer zu ak­ti­vie­ren. Da preu­ßi­sche Trup­pen be­reits nach El­ber­feld und in die um­lie­gen­den Or­te un­ter­wegs wa­ren, um dort für Ru­he zu sor­gen, reich­ten die in Düs­sel­dorf vor­han­de­nen Sol­da­ten nicht aus, um al­le neur­al­gi­schen Punk­te zu be­set­zen. Da­her ent­schloss sich der rang­höchs­te preu­ßi­sche Be­am­te vor Ort, Re­gie­rungs­rat Ot­to von Mir­bach (1804-1867), zu­nächst die Sol­da­ten zur Ver­tei­di­gung des Re­gie­rungs­ge­bäu­des her­an­zu­zie­hen. Dort wur­den auch be­reits Bar­ri­ka­den von den Auf­stän­di­schen er­rich­tet. Als das Mi­li­tär ver­such­te, ei­ne Bar­ri­ka­de zu räu­men, kam es zum Schuss­wech­sel. Die sich dar­an an­schlie­ßen­den hef­ti­gen Kämp­fe rund um das Re­gie­rungs­ge­bäu­de dau­er­ten bis mor­gens um 5 Uhr. Wäh­rend die­ser Zeit läu­te­ten die Glo­cken Sturm, um wei­te­re Kämp­fer aus den um­lie­gen­den Or­ten her­bei­zu­ru­fen. Dies ge­lang nicht. Re­gie­rungs­rat von Mir­bach hielt in sei­nem Be­richt vom 10.5.1849 über die Er­eig­nis­se fest, dass der Auf­ruhr in der Stadt [...] voll­stän­dig un­ter­drückt[15] sei. Ins­ge­samt wa­ren fünf Sol­da­ten ver­wun­det und 16 Zi­vi­lis­ten ge­tö­tet wor­den. Au­ßer­dem wur­den zahl­rei­che Be­tei­lig­te ver­haf­tet. Schaut man sich die Be­ru­fe der ge­tö­te­ten Auf­stän­di­schen an, so er­hält man ei­nen Ein­druck da­von, wel­che Schich­ten bei den Kämp­fen vor al­lem be­tei­ligt wa­ren: Ne­ben fünf Ta­ge­löh­nern star­ben un­ter an­de­rem ein Ei­sen­bahn­schaff­ner, ein Fuhr­mann, ein Schuh­ma­cher und ein Or­gel­bau­er. Auch die künst­le­ri­schen Be­ru­fe wa­ren ver­tre­ten. So starb ne­ben ei­nem Mu­si­ker auch der Ma­ler Lud­wig Mi­lew­sky (1825-1849). Die­se Auf­lis­tung passt gut zu dem Be­fund Fried­rich Len­gers, der die Be­deu­tung der Hand­wer­ker und des Klein­bür­ger­tums für die de­mo­kra­ti­sche Be­we­gung wäh­rend der März­re­vo­lu­ti­on in Düs­sel­dorf her­aus­ge­ar­bei­tet hat[16] Die Ta­ge­löh­ner, die im­mer von Ar­beits­lo­sig­keit be­droht wa­ren und zum Teil von städ­ti­schen Ar­beits­be­schaf­fungs­maß­nah­men leb­ten, sieht er vor al­lem bei spon­ta­nen Ak­tio­nen ak­tiv wer­den.

Laurenz Cantador, Lithographie von Oswald Achenbach, undatiert. (Stadtmuseum Düsseldorf)

 

Ent­schei­dend für den Sieg der preu­ßi­schen Trup­pen war ins­be­son­de­re die waf­fen­tech­ni­sche Über­le­gen­heit, denn die Düs­sel­dor­fer Bür­ger­wehr war be­reits im Zu­ge der Un­ru­hen im No­vem­ber 1848 auf­ge­löst wor­den. Bei die­ser Ge­le­gen­heit hat­te man auch ih­re Waf­fen be­schlag­nahmt.[17] 

Nach dem Sieg der preu­ßi­schen Trup­pen wur­de am 10.5.1849 der Be­la­ge­rungs­zu­stand ver­hängt. Das be­deu­te­te ein Ver­samm­lungs­ver­bot für po­li­ti­sche Ver­ei­ne, die man un­ter an­de­rem für den Auf­ruhr ver­ant­wort­lich mach­te. Knei­pen und Gast­häu­ser muss­ten um acht Uhr abends schlie­ßen. Die wich­tigs­ten Zei­tun­gen wie die Düs­sel­dor­fer Zei­tung, das Düs­sel­dor­fer Jour­nal oder die lin­ke Neue Rhei­ni­sche Zei­tung durf­ten nicht mehr ver­kauft wer­den. Au­ßer­dem war es ver­bo­ten, ge­druck­te Be­kannt­ma­chun­gen oh­ne Ge­neh­mi­gung der Po­li­zei zu ver­tei­len. Als här­tes­te und ab­schre­ckends­te Maß­nah­me war die stand­recht­li­che Er­schie­ßung er­laubt. Die­se war für Per­so­nen vor­ge­se­hen, die be­waff­ne­ten Wi­der­stand ge­gen ge­setz­li­che An­ord­nun­gen leis­te­ten oder de­ren Ver­hal­ten Ge­fahr für die preu­ßi­schen Trup­pen be­deu­te­te.[18]

So ge­lang es der preu­ßi­schen Re­gie­rung, die Un­ru­hen in Düs­sel­dorf schlag­ar­tig zu be­en­den. Die Düs­sel­dor­fer Zei­tung hielt am 12.5.1849 fest: Das Mi­li­tär ist voll­stän­dig Herr der Stadt.[19] Der Be­la­ge­rungs­zu­stand wur­de erst am 16.8.1849 wie­der auf­ge­ho­ben.[20] Der ame­ri­ka­ni­sche His­to­ri­ker Jo­na­than Sper­ber hat die­ser Stra­ßen­schlacht in Düs­sel­dorf für die Reichs­ver­fas­sungs­kam­pa­gne im Rhein­land ent­schei­den­de Be­deu­tung bei­ge­mes­sen. Die preu­ßi­schen Trup­pen sei­en zah­len­mä­ßig deut­lich un­ter­le­gen ge­we­sen, und ei­ne Nie­der­la­ge in die­sen Kämp­fen hät­te si­cher­lich Aus­wir­kun­gen auf die Um­ge­gend ge­habt.[21] Die­se Sicht ist durch­aus plau­si­bel, wenn man sich die Er­eig­nis­se in den um­lie­gen­den Städ­ten wie zum Bei­spiel Kre­feld an­schaut.

3.3 Der Aufstand in Krefeld

Der Auf­stand in Kre­fel­d ist in­so­fern cha­rak­te­ris­tisch für die Un­ru­hen im Rhein­land, als bei ihm die preu­ßi­sche Land­wehr ei­ne wich­ti­ge Rol­le spiel­te. Die­se mi­li­tä­ri­sche Or­ga­ni­sa­ti­on war 1813 ge­grün­det wor­den. In ihr soll­ten nach der Ein­füh­rung der all­ge­mei­nen Wehr­pflicht al­le wehr­fä­hi­gen Män­ner die­nen, die zu­nächst zwei bis drei Jah­re bei den Li­ni­en­trup­pen im Ein­satz ge­we­sen wa­ren und an­schlie­ßend zwei Jah­re der Re­ser­ve an­ge­hört hat­ten. Das hei­ßt die Land­wehr­män­ner gin­gen zi­vi­len Be­ru­fen nach und muss­ten nur re­gel­mä­ßig an Übun­gen und Ap­pel­len teil­neh­men, um für den Ernst­fall ge­wapp­net zu sein.[22] 

Als sich An­fang Mai 1849 die Auf­stän­de der Reichs­ver­fas­sungs­kam­pa­gne im­mer wei­ter aus­dehn­ten und Preu­ßen Staa­ten wie Sach­sen mi­li­tä­ri­sche Un­ter­stüt­zung zu­kom­men ließ, wur­de auch die Land­wehr mo­bi­li­siert.[23] Dies för­der­te den Un­mut in der Be­völ­ke­rung, denn durch die Ein­be­ru­fung muss­ten die Sol­da­ten ih­re Fa­mi­li­en ver­las­sen und er­lit­ten wirt­schaft­li­che Ein­bu­ßen, da sie ih­rem re­gu­lä­ren Be­ruf zu­nächst nicht mehr nach­ge­hen konn­ten. Das traf die Land­wehr­män­ner be­son­ders hart, denn die Land­wehr re­kru­tier­te sich vor al­lem aus den Un­ter­schich­ten. In sei­ner Ana­ly­se der Land­wehr am lin­ken Nie­der­rhein kommt Ro­bert Sa­ckett zu dem Schluss, dass dort vor al­lem We­ber, Acke­rer, Ta­ge­löh­ner, Klein­händ­ler und Hand­wer­ker dien­ten, die sich ei­nen Ein­kom­mens­ver­lust nicht leis­ten konn­ten.[24] Zu­dem droh­te ih­nen die we­nig kom­for­ta­ble Aus­sicht, mit Waf­fen­ge­walt ge­gen die Ver­tei­di­ger der Reichs­ver­fas­sung vor­ge­hen zu müs­sen, ob­wohl sie die Reichs­ver­fas­sung zum Gro­ß­teil selbst für sinn­voll er­ach­te­ten. Wie sich die Mo­bil­ma­chung der Land­wehr aus­wirk­te, schil­der­te der Re­gie­rungs­prä­si­dent von Aa­chen Fried­rich Kühl­wet­ter (1809-1882). Er schrieb an das In­nen­mi­nis­te­ri­um, daß die Ein­be­ru­fung der Land­wehr die ,Auf­re­gung’ selbst in die klei­nen Land­ge­mein­den hin­ein­ge­tra­gen hät­te. Es ge­be au­ßer­or­dent­lich vie­le ,Re­kla­ma­tio­nen‘, da fast al­le Land­wehr­leu­te Frau­en und Kin­der hät­ten, die durch die Ein­be­ru­fung der Land­wehr in wirt­schaft­li­che Not ge­rie­ten.[25]

Es kam da­her im Rhein­land in vie­len Or­ten zu Ver­samm­lun­gen der Land­wehr­män­ner, die dar­über de­bat­tier­ten, wie man auf die Mo­bil­ma­chung re­agie­ren sol­le. Ei­ni­ge Ver­samm­lun­gen en­de­ten oh­ne Er­geb­nis. In ei­ni­gen Städ­ten ge­lang es je­doch, ei­ne Ver­bin­dung von Land­wehr­pro­test und dem Pro­test ge­gen die Reichs­ver­fas­sung her­zu­stel­len.

In Kre­feld kam es nach der Ein­be­ru­fung zu meh­re­ren Ver­samm­lun­gen der Land­wehr.[26] So ver­wei­ger­ten die Land­wehr­sol­da­ten auf ei­ner Ver­samm­lung am 5.5.1849, der Ein­be­ru­fung Fol­ge zu leis­ten. Statt­des­sen woll­te man nur ei­ne ent­spre­chen­de Auf­for­de­rung der Na­tio­nal­ver­samm­lung in Frank­furt ak­zep­tie­ren. Der Vor­schlag, die Waf­fen aus den Zeug­häu­sern in Neuss und Gel­dern zu re­qui­rie­ren, fand kei­ne Mehr­heit. Am 7.5.1849 ver­sam­mel­te sich die Land­wehr auf dem Ap­pell­platz, ver­höhn­te und schlug die dort an­we­sen­den Of­fi­zie­re, bis die­se die Flucht er­grif­fen. Am 8.5.1849 er­klär­ten die Land­wehr­män­ner dem Kre­fel­der Ober­bür­ger­meis­ter, dass man nicht be­reit sei, ge­gen Re­vo­lu­tio­nä­re vor­zu­ge­hen. Als die re­gu­lä­ren preu­ßi­schen Trup­pen am 10.5.1849 nach Düs­sel­dorf ab­ge­zo­gen wur­den, es­ka­lier­te die Si­tua­ti­on. Un­ter Füh­rung des We­ber­meis­ters Pe­ter Grü­ter ver­such­te die Land­wehr, die Kon­trol­le über die Stadt zu er­lan­gen. Land­rat Pe­ter Leysner (1805-1880) be­schrieb die Si­tua­ti­on als dra­ma­tisch. Meh­re­re hun­dert Land­wehr­män­ner wür­den die Waf­fen und Pfer­de der Kre­fel­der Bür­ger be­schlag­nah­men und Geld von Kre­fel­dern for­dern. Die Bür­ger­wehr sei zu schwach, um die Stadt ge­gen die Land­wehr zu ver­tei­di­gen. Jetzt ha­be die Land­wehr be­reits Bo­ten zu den um­lie­gen­den Ge­mein­den ge­sandt, um von dort Un­ter­stüt­zung an­zu­for­dern. Der Land­rat hielt nur ein gro­ßes Trup­pen­kon­tin­gent mit Ge­schütz für aus­rei­chend, um die ir­re­gu­lä­re Trup­pe zu be­sie­gen.

Das er­wies sich als nicht mehr not­wen­dig, denn der Auf­stand brach be­reits am Abend des 11.5.1849 zu­sam­men. Die Kre­fel­der Stadt­chro­nik schreibt die­sen Er­folg dem Ober­bür­ger­meis­ter zu, der in die­ser Si­tua­ti­on be­son­nen ver­han­delt ha­be.[27] Die­ser iso­lier­te Blick kann je­doch den plötz­li­chen Zu­sam­men­bruch des Auf­stands nur zum Teil er­klä­ren. Erst der Blick auf die an­lie­gen­den Städ­te und die Si­tua­ti­on in Düs­sel­dorf macht deut­lich, wie­so der Auf­stand so schnell en­de­te und wo aus Sicht der Land­wehr das Pro­blem lag. So hat­ten zu­nächst an­de­re Land­wehr­sol­da­ten ge­mein­sam mit De­mo­kra­ten die Zeug­häu­ser un­ter an­de­rem in Neuss ge­stürmt und die Waf­fen be­schlag­nahmt.[28] In der ge­sam­ten Ge­gend läu­te­te man die Glo­cken und sand­te Bo­ten aus, um den Auf­stand wei­ter­zu­tra­gen. Am 10.5.1849 zo­gen meh­re­re tau­send Auf­stän­di­sche in Rich­tung Düs­sel­dorf. Auf dem Weg dort­hin er­fuh­ren sie vom dor­ti­gen Sieg der preu­ßi­schen Trup­pen, die sich be­reits auf dem Weg nach Neuss be­fan­den und die Stadt am Mor­gen des 11.5.1849 auch ein­nah­men. Die Auf­stän­di­schen kehr­ten da­her wie­der um. Am 11.5.1849 zo­gen auch 500-1000 Auf­stän­di­sche aus der Kem­pe­ner Ge­gend nach Vier­sen und Kre­feld, um ge­mein­sam mit den re­vo­lu­tio­nä­ren Kre­fel­der Trup­pen wei­ter nach Düs­sel­dorf zu zie­hen. Als auch dort die Nach­rich­ten vom Sieg der preu­ßi­schen Trup­pen in Düs­sel­dorf und Neuss und vom er­folg­lo­sen Zug nach Düs­sel­dorf ein­tra­fen, lös­ten sich die Trup­pen der Auf­stän­di­schen auf und der Kre­fel­der Ober­bür­ger­meis­ter konn­te sein Amt wie­der über­neh­men.

Pe­ter Kried­te hat in sei­ner so­zi­al­ge­schicht­li­chen Stu­die über Kre­feld im 19. Jahr­hun­dert die so­zia­le Zu­sam­men­set­zung der Be­für­wor­ter der Reichs­ver­fas­sung in Kre­feld ge­nau ana­ly­siert und kommt zu ei­nem in­ter­es­san­ten Be­fund. 84,5 Pro­zent der Un­ter­zeich­ner ei­ner Ein­ga­be an die Pauls­kir­chen­ver­samm­lung vom 1.5.1849, in der die Reichs­ver­fas­sung un­ter­stützt wur­de, wa­ren ka­tho­lisch, nur 13 Pro­zent evan­ge­lisch. Da­bei do­mi­nier­ten die Sei­den­we­ber und Hand­wer­ker. Das kon­tras­tiert scharf mit sei­ner Aus­wer­tung der Mit­glie­der des Preu­ßen-Ver­eins, der sich ge­gen de­mo­kra­ti­sche und re­pu­bli­ka­ni­sche Ten­den­zen wand­te. Dort wa­ren 80,4 Pro­zent der Mit­glie­der evan­ge­lisch be­zie­hungs­wei­se men­no­ni­tisch und nur 18,5 Pro­zent ka­tho­lisch und we­sent­lich mehr Ver­le­ger or­ga­ni­siert.[29] 

Ludwig von Milewsky, Lithographie von W. Kersten, 1849. (Stadtmuseum Düsseldorf. Foto: LVR-Zentrum für Medien und Bildung)

 

Hier drängt sich die Ver­mu­tung auf, dass die ka­tho­li­sche Un­ter- bis Mit­tel­schicht in Kre­feld den Kampf um die Reichs­ver­fas­sung un­ter­stütz­te, wo­hin­ge­gen der pro­tes­tan­tisch-men­no­ni­ti­schen Ober­schicht die­se Be­we­gung zu weit ging. Das be­stä­tigt sich zum Bei­spiel auch bei dem men­no­ni­ti­schen Kre­fel­der Pauls­kir­chen­ab­ge­ord­ne­ten und Reichs­fi­nanz­mi­nis­ter Her­mann von Be­ckerath. Der Ban­kier hat­te sein Mi­nis­ter­amt und sein Man­dat am 4.5.1849 nie­der­ge­legt, als die Mehr­heit des Pauls­kir­chen­par­la­ments zu all­ge­mei­nen Wah­len auf­ge­ru­fen hat­te. Da er von den Kre­fel­der Auf­stän­di­schen als Ver­rä­ter ge­brand­markt wur­de, konn­te er zu­nächst nicht in sei­nen Hei­mat­ort zu­rück­keh­ren. In ei­nem Brief an sei­nen Bru­der vom 17.5.1849 re­gis­trier­te er er­leich­tert das En­de der wi­der­wär­ti­gen Be­we­gung. Dar­an schloss er sei­ne Wün­sche für die Zu­kunft an: Möch­te nun die Ru­he und Si­cher­heit dort bal­digst ganz wie­der­her­ge­stellt und un­ser Rhein­land vor grö­ße­rer Zer­rüt­tung be­wahrt wer­den.[30]

3.4 Die Vorgänge in Elberfeld

Am längs­ten hielt sich der Auf­stand in El­ber­feld.[31] Der Pro­test wur­de zu­nächst von brei­ten Schich­ten und ins­be­son­de­re auch wie­der von der Land­wehr ge­tra­gen und rich­te­te sich vor al­lem ge­gen die Ab­leh­nung der Reichs­ver­fas­sung durch Fried­rich Wil­helm IV. Als am 9.5.1849 preu­ßi­sche Trup­pen aus Düs­sel­dorf ein­tra­fen, um in El­ber­feld für Ru­he und Ord­nung zu sor­gen, es­ka­lier­te die Si­tua­ti­on. Es kam zu Stra­ßen­schlach­ten, wo­bei das Mi­li­tär am Mor­gen des 10.5.1849 un­ver­rich­te­ter Din­ge nach Düs­sel­dorf zu­rück­keh­ren muss­te, um zu­nächst die dor­ti­gen Trup­pen zu un­ter­stüt­zen. Dar­auf­hin bil­de­te sich in El­ber­feld ein Si­cher­heits­aus­schuss aus Mit­glie­dern des Po­li­ti­schen Klubs und den Füh­rern der Land­wehr, der auch die Amts­ge­schäf­te der ge­flo­he­nen Ver­wal­tungs­spit­ze in El­ber­feld über­nahm. Der Si­cher­heits­aus­schuss ver­such­te ei­ner­seits für Ru­he und Ord­nung zu sor­gen und an­de­rer­seits die Auf­stän­di­schen auf den be­vor­ste­hen­den Kampf ge­gen die er­war­te­ten preu­ßi­schen Trup­pen vor­zu­be­rei­ten.

Mitt­ler­wei­le ström­ten zahl­rei­che Frei­schär­ler und Re­vo­lu­tio­nä­re wie Fried­rich En­gels nach El­ber­feld, und die Ent­wick­lung droh­te zu ent­glei­ten. Im Si­cher­heits­aus­schuss gin­gen die Mei­nun­gen über das wei­te­re Vor­ge­hen aus­ein­an­der. Am 14.5.1849 wur­de ein Auf­ruf zur Un­ter­stüt­zung der Kämp­fer in El­ber­feld ver­teilt, in dem der Si­cher­heits­aus­schuss deut­lich mach­te, dass man vor al­lem für die Reichs­ver­fas­sung kämp­fe. Un­ter Be­zug­nah­me auf die Mo­bi­li­sie­rung der Land­wehr hielt der Auf­ruf fest: Es [El­ber­feld, H.T.] hat nicht dul­den wol­len, daß sei­ne Söh­ne im Diens­te der un­deut­schen Be­stre­bun­gen der Re­gie­rung ge­gen ih­re ei­ge­ne Frei­heit und ge­gen ih­re ei­ge­nen Brü­der kämp­fen.[32]

Gleich­zei­tig sand­te man ei­ne De­le­ga­ti­on von El­ber­fel­der Ho­no­ra­tio­ren nach Ber­lin, um den Kö­nig doch noch zur An­nah­me der Reichs­ver­fas­sung zu be­we­gen. Von dort traf am 16.5.1849 ein Te­le­gramm in El­ber­feld ein, in dem be­haup­tet wur­de, dass es Preu­ßen ge­lun­gen sei, die deut­schen Fra­gen un­ter we­sent­li­cher Zu­grun­de­le­gung der Frank­fur­ter Ver­fas­sung zur voll­stän­di­gen Ei­ni­gung mit den bis­her wi­der­stre­ben­den Kö­nig­rei­chen zu füh­ren[33]. Das be­zog sich of­fen­sicht­lich auf die Ver­hand­lun­gen Preu­ßens mit Han­no­ver und Sach­sen, die am 26.5.1849 in das so­ge­nann­te Drei­kö­nigs­bünd­nis mün­de­ten. Die­se Nach­richt nahm der Auf­stands­be­we­gung den Schwung, zu­mal noch am sel­ben Tag ein Ul­ti­ma­tum des preu­ßi­schen Kriegs- und In­nen­mi­nis­ters in El­ber­feld ein­traf, in dem die Auf­stän­di­schen auf­ge­for­dert wur­den, sich der recht­mä­ßi­gen Ge­walt und dem Ge­set­ze un­be­dingt zu un­ter­wer­fen[34]. Der Auf­stand lös­te sich dar­auf­hin auf, wo­bei ein Teil der Frei­schär­ler Rich­tung Pfalz wei­ter­zog, um die dor­ti­gen Re­vo­lu­tio­nä­re zu un­ter­stüt­zen.

Jetzt ver­such­te man, das Ge­mein­de­le­ben wie­der zu ord­nen. Der Ge­mein­de­rat trat zu­sam­men, wo­bei die­je­ni­gen Ge­mein­de­rats­mit­glie­der, die im Si­cher­heits­aus­schuss mit­ge­wirkt hat­ten, zu­rück­tra­ten. Die Stadt El­ber­feld sand­te ei­ne De­le­ga­ti­on mit ei­nem Un­ter­wer­fungs­be­schluss zum Ober­prä­si­den­ten der Rhein­pro­vinz und dem preu­ßi­schen Ge­ne­ral Her­mann von Han­ne­ken (1810-1886). Am 19.5.1849 be­setz­ten dann preu­ßi­sche Trup­pen die Stadt.

4. Fazit

Die Ana­ly­se der Reichs­ver­fas­sungs­kam­pa­gne an den ver­schie­de­nen Or­ten der Rhein­pro­vinz hat ge­zeigt, dass die­se im Rhein­land durch­aus auch ei­ne gro­ße Rol­le ge­spielt hat und zu Un­recht von der his­to­ri­schen For­schung ver­nach­läs­sigt wor­den ist. Zu­dem las­sen sich aus den Er­eig­nis­sen ei­ni­ge Spe­zi­fi­ka für das Rhein­land her­aus­ar­bei­ten. 

So ist vor al­lem die wich­ti­ge Rol­le der Land­wehr deut­lich ge­wor­den. Das ist ein Punkt, den be­reits Fried­rich En­gels aus sei­nen ei­ge­nen Er­fah­run­gen her­aus be­tont hat­te. In der Land­wehr wa­ren über­wie­gend die Un­ter­schich­ten ver­tre­ten, die sich ei­ner­seits ge­gen die wirt­schaft­li­chen Ein­bu­ßen durch die Ein­be­ru­fung wehr­ten und an­de­rer­seits nicht be­reit wa­ren, ge­gen die Reichs­ver­fas­sung zu Fel­de zu zie­hen. Bei den Auf­stän­den in Düs­sel­dorf, Kre­feld oder El­ber­feld wa­ren da­her auch im­mer zahl­rei­che Land­wehr­män­ner ver­tre­ten, die sich mit den re­gio­na­len De­mo­kra­ten ver­ban­den.

Dar­über hin­aus ist bis­her un­ter­schätzt wor­den, dass es ge­ra­de für die­se Schicht auch um po­li­ti­sche Par­ti­zi­pa­ti­ons- und Ein­fluss­mög­lich­kei­ten ging, die durch das all­ge­mei­ne Wahl­recht ein­ge­räumt wur­den. Als das Wahl­recht in der Pauls­kir­che dis­ku­tiert wur­de, ging zum Bei­spiel ei­ne Pe­ti­ti­on mit der Un­ter­schrift von 700 Un­ter­stüt­zern des all­ge­mei­nen Wahl­rechts aus El­ber­feld an die Na­tio­nal­ver­samm­lung.  Die­se po­li­ti­schen Par­ti­zi­pa­ti­ons­mög­lich­kei­ten wa­ren durch das Schei­tern der Reichs­ver­fas­sung be­droht, was den po­li­ti­schen Pro­test auch be­feu­ert ha­ben dürf­te.

Deut­lich ge­wor­den ist auch, dass die Tak­tik der preu­ßi­schen Re­gie­rung, sich zu­nächst auf die Ver­tei­di­gung Düs­sel­dorfs zu kon­zen­trie­ren, auf­ge­gan­gen war. Als man dort die Auf­stän­di­schen nie­der­ge­run­gen hat­te, konn­te man sich wie­der auf die Nie­der­schla­gung der Auf­stän­de in den an­de­ren Or­ten kon­zen­trie­ren. Das wur­de durch das un­ko­or­di­nier­te Vor­ge­hen der Land­wehr­män­ner und Ver­tei­di­ger der Reichs­ver­fas­sung er­leich­tert. Die lo­ka­len Er­eig­nis­se blie­ben in der Re­gel lo­kal und mit der Nie­der­la­ge der Auf­stän­di­schen in Düs­sel­dorf fehl­ten den Re­vo­lu­tio­nä­ren in den um­lie­gen­den Städ­ten und Dör­fern der Elan und die Zu­ver­sicht, um wei­ter für die Reichs­ver­fas­sung zu kämp­fen. Un­ter die­ser Per­spek­ti­ve wird so­mit auch deut­lich, dass die Bar­ri­ka­den­kämp­fe in Düs­sel­dorf ein zen­tra­les Er­eig­nis der Reichs­ver­fas­sungs­kam­pa­gne dar­stel­len und den Sieg der preu­ßi­schen Trup­pen im Rhein­land si­cher­stell­ten.

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Hermann von Beckerath, Porträt, Gemälde. (Privatbesitz)

 
Anmerkungen
Zitationshinweis

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Türk, Henning, Bürger, Revolutionäre, Militärs: Die Reichsverfassungskampagne im Rheinland 1849, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/Themen/buerger-revolutionaere-militaers-die-reichsverfassungskampagne-im-rheinland-1849/DE-2086/lido/668d1804d16999.69545537 (abgerufen am 06.10.2024)