Das Caritashaus Arenberg im Ersten Weltkrieg

Wolfgang Schmid (Winningen)

Ansichtskarte des Caritashauses in Arenberg in seiner ursprünglichen Architektur. (Arenberger Caritasvereinigung e.V.)

1. Arenberg als Zentrum des Katholizismus

Zwi­schen der Wall­fahrt zum Hei­li­gen Rock nach Trier im Jah­re 1844 und dem Ers­ten Welt­krieg war Aren­berg bei Ko­blenz ei­nes der wich­tigs­ten Zen­tren des Ka­tho­li­zis­mus im Bis­tum Trier be­zie­hungs­wei­se in der süd­li­chen Rhein­pro­vinz. Nach der Wall­fahrt be­gann Pfar­rer Jo­hann Bap­tist Kraus (1805-1893) mit dem Bau ei­ner „Land­schafts­bil­der­bi­bel“. In mit Halb­edel­stei­nen und Mu­scheln ge­schmück­ten Grot­ten und Ka­pel­len wur­den Sze­nen aus der Bi­bel, dem Lei­den Chris­ti und sei­ner Mut­ter dar­ge­stellt. Zu den Pfar­rer-Kraus-An­la­gen ge­hör­te ei­ne eben­falls mit zahl­lo­sen Mu­scheln und Edel­stei­nen ge­schmück­te Pfarr- und Wall­fahrts­kir­che, die 1872 ge­weiht wer­den konn­te. Pfar­rer Kraus ge­lang es da­bei, zu­nächst sei­ne Pfarr­kin­der, dann füh­ren­de Per­sön­lich­kei­ten des Ko­blen­zer Ka­tho­li­ken­krei­ses so­wie des Bis­tums und nicht zu­letzt auch die zah­lungs­kräf­ti­gen Kur­gäs­te aus Bad Ems für sei­nen Bi­bel­gar­ten und die Wall­fahrts­kir­che zu mo­bi­li­sie­ren. Bis kurz vor sei­nem Tod 1893 ar­bei­te­te Pfar­rer Kraus an sei­nem Le­bens­werk, das bis in die 1960er Jah­re zahl­rei­che Pro­zes­sio­nen mit bis zu 200.000 Pil­gern im Jahr an­zog.

Der rüh­ri­ge Pfar­rer brauch­te Un­ter­stüt­zung. Ne­ben den Pfar­rer-Kraus-An­la­gen wur­de ein Do­mi­ni­ka­ne­rin­nen­klos­ter ge­grün­det. Was 1868 als geist­li­che Putz­ko­lon­ne zur Pfle­ge der Wall­fahrts­kir­che und des Bi­bel­gar­tens so­wie als Kran­ken­pfle­ge­ein­rich­tung für die Pfar­rei ge­dacht war, ent­wi­ckel­te sich bald zum Mut­ter­haus der deut­schen Do­mi­ni­ka­ne­rin­nen. Von hier aus wur­den bis zum Zwei­ten Welt­krieg 42 Nie­der­las­sun­gen mit 662 Schwes­tern vor­ran­gig im Rhein­land, im Ruhr­ge­biet und im Raum Ber­lin ge­grün­det, die für die ka­tho­li­schen Zu­wan­de­rer in den Städ­ten Kran­ken­häu­ser, Kin­der­gär­ten so­wie Ein­rich­tun­gen für Wai­sen, Dienst­mäd­chen und an­de­re be­rufs­tä­ti­ge jun­ge Frau­en be­trie­ben.

 

In Aren­berg wur­de 1889 ei­ne Haus­hal­tungs­schu­le er­öff­net, in der Töch­ter aus den füh­ren­den Fa­mi­li­en lern­ten, ei­nen groß­bür­ger­li­chen Haus­halt zu füh­ren, im Jah­re 1900 ei­ne hö­he­re Mäd­chen­schu­le, ein „wis­sen­schaft­li­ches Pen­sio­na­t“. Das war so er­folg­reich, dass man es 1913 aus Platz­grün­den nach Eus­kir­chen ver­le­gen muss­te, wo im fol­gen­den Jahr 219 Schü­le­rin­nen von 14 Schwes­tern un­ter­rich­tet wur­den. Für äl­te­re al­lein­ste­hen­de Da­men (und ei­ni­ge Her­ren) aus die­sen Krei­sen rich­te­te man ein Pen­sio­nat ein. Dies al­les ist das Werk der Grün­de­rin des Klos­ters, der zu­rück­hal­tend und be­schei­den auf­tre­ten­de Mut­ter Che­ru­bi­ne Wil­li­mann (1842-1914). Nach­dem ihr Kon­vent die von Pfar­rer Kraus ge­setz­ten Gren­zen über­wun­den und die Wir­ren des Kul­tur­kamp­fes über­stan­den hat­te, konn­te sie ziel­ge­rich­tet das Mut­ter­haus und die da­mit ver­bun­de­nen Ein­rich­tun­gen aus­bau­en. Über die Rol­le der Aren­ber­ger Do­mi­ni­ka­ne­rin­nen in der Kriegs­kran­ken­pfle­ge und im Ers­ten Welt­krieg be­rich­tet ein ei­ge­ner Bei­trag.

Aren­berg ist das Werk drei­er au­ßer­ge­wöhn­li­cher Per­sön­lich­kei­ten: Ne­ben Pfar­rer Jo­hann Bap­tist Kraus und Mut­ter Che­ru­bi­ne Wil­li­mann ist als drit­tes Mat­thi­as Kinn (1847-1918), zu nen­nen, der seit 1889 Beicht­va­ter der Schwes­tern war und der sich mit dem Bau des Ca­ri­tas­hau­ses in Aren­berg, der Zen­tra­le und der Aus­bil­dungs­stät­te der im länd­li­chen Be­reich tä­ti­gen Kran­ken­be­su­che­rin­nen, ei­nen Le­bens­wunsch er­füll­te. Ein wei­te­res Aren­ber­ger In­sti­tut kann nur am Ran­de er­wähnt wer­den: Seit 1877 lei­te­te Cy­pri­an Fröh­lich (1853-1931) die Nie­der­las­sung des Ka­pu­zi­ner­or­dens in Eh­ren­breit­stein. 1889 rief er das „Se­ra­phi­sche Lie­bes­werk zur Ret­tung der in Glau­be oder Sit­te ge­fähr­de­ten Kin­der“ ins Le­ben. Die­ses grün­de­te 1908 das heu­te noch be­ste­hen­de Kin­der­heim St. An­to­ni­us in Aren­berg, um ge­fähr­de­te Kin­der, na­ment­lich aus Misch­ehen, zu ret­ten. Doch ei­ne Be­treu­ung durch die Aren­ber­ger Do­mi­ni­ka­ne­rin­nen kam nicht zu­stan­de; schlie­ß­lich be­rief man 13 Schul­schwes­tern des hei­li­gen Fran­zis­kus von Er­len­bad im Schwarz­wald.

2. Matthias Kinn und die Landcaritasbewegung

Der Grün­der des Ca­ri­tas­hau­ses, Mat­thi­as Kinn, wur­de 1847 in Wei­din­gen bei Bit­burg ge­bo­ren, 1870 in Trier zum Pries­ter ge­weiht und war an­schlie­ßend Ka­plan in Kes­sel­heim und Be­kond. Aus ge­sund­heit­li­chen Grün­den muss­te er sein Amt nie­der­le­gen und war von 1886 bis 1889 Haus­geist­li­cher bei den Sa­le­sia­ne­rin­nen in Ko­blenz-Mo­sel­weiß. 1889 wur­de er Rek­tor in Aren­berg, wo er die Do­mi­ni­ka­ne­rin­nen und die Be­woh­ne­rin­nen der Haus­hal­tungs­schu­le und des Da­men­pen­sio­nats seel­sor­ge­risch be­treu­te. Be­reits in Be­kond en­ga­gier­te er sich im Be­reich der „Dorf­ca­ri­tas“. 

In den 1870er und 1880er Jah­ren gab es in je­der Kreis­stadt der Rhein­pro­vinz ei­nen Kreis­arzt und ein oft von Bor­ro­mäe­rin­nen oder Wald­breit­ba­cher Fran­zis­ka­ne­rin­nen be­trie­be­nes Kran­ken­haus. We­sent­lich schlech­ter sah es in den Dör­fern aus, die sich auch kei­ne Ge­mein­de­schwes­ter leis­ten konn­ten. Schlech­te Ver­kehrs­ver­bin­dun­gen und die Un­kennt­nis in Fra­gen der Me­di­zin und Hy­gie­ne wa­ren wei­te­re Fak­to­ren, die den Ge­sund­heits­zu­stand der Land­be­woh­ner ver­schlech­ter­ten. 1883 grün­de­te Kinn in Be­kond die Ro­chus­bru­der­schaft, die Fa­mi­li­en im Krank­heits­fall ei­ne aus­ge­bil­de­te Kraft zur Ver­fü­gung stell­te, so­wie wei­te­re Frau­en ent­sand­te, die Kran­ken­kost zu­be­rei­te­ten oder den Haus­halt, die Kin­der und die Wä­sche ver­sorg­ten. Im Un­ter­schied zu den ge­lern­ten Kran­ken­schwes­tern und in An­spie­lung an Mt 25,36 nann­te Kinn sie „Kran­ken­be­su­che­rin­nen".

Mutter Cherubine Willimann, Porträt. (Klosterarchiv Arenberger Dominikanerinnen)

 

Mit der For­de­rung nach ei­ner Dorf­ca­ri­tas und der Teil­nah­me am Hy­gie­ne­dis­kurs stand Kinn da­mals we­der im ka­tho­li­schen noch im evan­ge­li­schen La­ger al­lein. Dies gilt auch für sei­ne pu­bli­zis­ti­schen Ak­ti­vi­tä­ten. 1878 ver­öf­fent­lich­te er ein „Merk­blatt der Kran­ken­pfle­ge“, 1883 ein „Kran­ken­büch­lein für Land­leu­te wie für Stadt­be­woh­ner“ und 1887 ein „Hand­büch­lein des Kran­ken­be­su­ches.“ Hin­zu ka­men zahl­rei­che Ar­ti­kel, in de­nen er für sein An­lie­gen warb, zum Bei­spiel mit Bei­trä­gen in dem von Pro­fes­so­ren des Trie­rer Pries­ter­se­mi­nars her­aus­ge­ge­be­nen „Pas­tor bo­nus“, in de­nen er un­ter an­de­rem die Ur­sa­chen für die ho­he Sterb­lich­keit der in der Kran­ken­pfle­ge tä­ti­gen Or­dens­schwes­tern be­nann­te und Ver­bes­se­rungs­maß­nah­men for­der­te. 1901 er­schien das Büch­lein „Eli­sa­beth, die Kran­ken­be­su­che­rin des Cha­ri­tas­ver­ban­des. Oder was ei­ne bra­ve Jung­frau im Kran­ken­pfle­ge­kur­sus zu Aren­berg im Kran­ken­haus und spä­ter in ih­rer Hei­mat er­lebt hat.“ Der et­was sen­ti­men­ta­le Text war an ein weib­li­ches Pu­bli­kum adres­siert, ap­pel­lier­te an des­sen Mit­ge­fühl und soll­te künf­ti­ge Kran­ken­be­su­che­rin­nen wer­ben. Wei­te Ver­brei­tung fand auch: „Der Kran­ken­dienst. Klei­nes Ta­schen­büch­lein für Schwes­tern, Brü­der und Seel­sor­ger ent­hal­tend Ge­be­te zum Vor­be­ten und kür­zes­te Win­ke für ers­te Hil­fe bei Un­glücks­fäl­len“ (3. Auf­la­ge 1904).

Mat­thi­as Kinn ver­such­te au­ßer­dem, ein Pe­ri­odi­kum ins Le­ben zu ru­fen. Der „Cha­ri­tas-Bo­te“ führ­te 1891 den Un­ter­ti­tel „Ein Jahr­buch der christl. Kran­ken­pfle­ge zur Er­bau­ung, Be­leh­rung und Ver­ei­ni­gung der Pfle­ger und Pfle­ge­rin­nen so­wie ein be­leh­ren­der Rund­schau­er und Be­ra­ther über das Neu­es­te in der Ge­sund­heits- und Kran­ken­pfle­ge für Klös­ter, Er­zie­hungs-An­stal­ten, Fa­mi­li­en und Lei­den­de.“ Zu­sätz­lich zu die­sem Jahr­buch gab Kinn ab 1892 ei­ne Vier­tel­jah­res­schrift mit dem glei­chen Ti­tel her­aus: „Cha­ri­tas-Bo­te. Christl. Vier­tel­jah­res­schrift für Ge­sund­heits- und Kran­ken­pfle­ge,“ die nach vier Hef­ten ihr Er­schei­nen ein­stell­te. Auch der 1893 ins Le­ben ge­ru­fe­ne „Die­ner der Barm­her­zig­keit“ konn­te sich nicht hal­ten. Mehr Glück hat­te Kinn mit den ab 1902 er­schei­nen­den „Mit­tei­lun­gen für die Kran­ken­be­su­che­rin­nen des Cha­ri­tas­ver­ban­des.“ Sie er­schie­nen in Frei­burg als Bei­la­ge der Ver­bands­zeit­schrift „Cha­ri­tas“. Ab 1911 ver­öf­fent­lich­te Mat­thi­as Kinn „Jah­res­be­rich­te der Ca­ri­tas­ver­ei­ni­gung für Land­kran­ken­pfle­ge und Volks­wohl in Aren­ber­g“, die vie­le Nach­rich­ten über sei­ne Ar­beit ent­hal­ten. Lei­der ist es schwer, an die­se Pe­ri­odi­ka her­an­zu­kom­men, da nur we­ni­ge Bi­blio­the­ken Ein­zel­hef­te be­sit­zen. Fün­dig wird man im Ar­chiv des Mut­ter­hau­ses in Aren­berg, vor al­lem aber im Ca­ri­tas­haus, wo auch noch die ge­sam­te Buch­füh­rung der Ära Kinn auf­be­wahrt wird.

Das Caritashaus Arenberg auf einer zeitgenössischen Ansichtskarte. (Klosterarchiv Arenberger Dominikanerinnen)

 

Kinns Grund­ge­dan­ke war es, ehr­sa­me Jung­frau­en nach ei­ner Aus­bil­dung in der Kran­ken­pfle­ge, bei Un­fäl­len und Ver­let­zun­gen so­wie als Be­ra­te­rin­nen in Fra­gen der Hy­gie­ne und Er­näh­rung ein­zu­set­zen. Be­wer­be­rin­nen konn­ten nur bra­ve, ge­sun­de Mäd­chen (auch Wit­wen) im Al­ter von 25 bis 45 Jah­ren sein, die ei­ne Tä­tig­keit als Kran­ken­be­su­che­rin eh­ren­amt­lich aus­üben woll­ten, ein un­be­zahl­ba­res Werk der christ­li­chen Lie­be. Mit Zu­schüs­sen des Ca­ri­tas­ver­ban­des, der Pro­vin­zi­al­ver­wal­tung und der Lan­des­ver­si­che­rungs­an­stalt, mit Spen­den, Bei­trä­gen der Ver­eins­mit­glie­der und dem Er­trag von Haus­kol­lek­ten konn­te Kinn die Kur­se fi­nan­zie­ren, die Fahrt­kos­ten über­neh­men, die Schü­le­rin­nen mit ei­nem Me­di­ka­men­ten­schrank aus­stat­ten. Mit­tei­lungs­blät­ter, Tref­fen und Fort­bil­dungs­kur­se hiel­ten die Kran­ken­be­su­che­rin­nen auf dem Lau­fen­den. Zu­dem gab es Wie­der­ho­lungs­kur­se, ei­nen Des­in­fek­ti­ons­kur­sus und „diä­ti­sche Koch­kur­se“. Deut­lich wur­den ih­nen die ge­setz­li­chen Gren­zen und Auf­ga­ben (Seu­chen­po­li­zei) ein­ge­schärft und ei­ne en­ge Ko­ope­ra­ti­on mit Ärz­ten, Heb­am­men, Pfar­rern, Bür­ger­meis­tern und Po­li­zis­ten na­he­ge­legt – so ent­stand über die Ca­ri­tas­schwes­tern ein wei­te­rer Stütz­punkt des Staa­tes im Dorf.

1898 ge­lang es Kinn, mit ei­nem Zu­schuss der 1897 ge­grün­de­ten Ca­ri­tas­ver­ei­ni­gung für das ka­tho­li­sche Deutsch­land, den ers­ten „Kur­sus für Jung­frau­en vom Lan­de“ ab­zu­hal­ten. In Aren­berg wur­de sei­ne In­itia­ti­ve von Che­ru­bi­ne Wil­li­mann un­ter­stützt, die die Schü­le­rin­nen zu­nächst im Klos­ter be­her­berg­te und be­kös­tig­te und dann die Haus­halts­füh­rung im Ca­ri­tas­haus über­nahm; au­ßer­dem stell­te sie Lehr­schwes­tern. 

1906 grün­de­te Mat­thi­as Kinn mit 40 Mit­strei­tern die Ca­ri­tas­ver­ei­ni­gung für Land­kran­ken­pfle­ge und Volks­wohl. Die Ver­eins­grün­dung war au­ßer­or­dent­lich er­folg­reich, be­reits 1910 konn­te das auf ei­ner An­hö­he über dem Klos­ter ge­le­ge­ne Ca­ri­tas­haus St. Eli­sa­beth er­rich­tet wer­den. In die­sem Jahr plan­te Kinn zwei Haupt­kur­se mit je 25 Schü­le­rin­nen. In­zwi­schen gä­be es 282 ak­ti­ve Kran­ken­be­su­che­rin­nen, die fol­gen­de Leis­tun­gen er­bracht hät­ten: 53.000 Kran­ken­be­su­che, 6.000 Pfle­ge­ta­ge, 3.500 Nacht­wa­chen, 1.600 Ers­te Hil­fen, 39.000 Ver­bän­de, 11.000 Aus­lei­hen von Pfle­ge­ge­rä­ten und 2.000 Kran­ken­be­rich­te, wie im Jah­res­be­richt zu le­sen war.

Aus dem Jah­res­be­richt 1910 geht wei­ter her­vor, dass im Ca­ri­tas­haus sämt­li­che der 40 für un­ver­mö­gen­de Kin­der be­stimm­ten Bet­ten be­legt wa­ren. Sie wur­den von den Schwes­tern lie­be­voll ver­pflegt und nah­men zwi­schen zwei und 20 Pfund zu. Wei­ter­hin war ge­plant, be­mit­tel­te Da­men, die ei­ne Ver­än­de­rung und Er­ho­lung not­wen­dig ha­ben, für 5 Mark pro Tag als Pen­si­ons­gäs­te auf­zu­neh­men. Aus der Be­schrei­bung des Hau­ses er­fährt man Nä­he­res: Es soll­te von April bis Ok­to­ber er­ho­lungs­be­dürf­ti­gen schul­pflich­ti­gen ka­tho­li­schen Kin­dern, zu­nächst nur Mäd­chen, zur Ver­fü­gung ste­hen. Ne­ben der Schön­heit und Zweck­mä­ßig­keit des Ge­län­des und Ge­bäu­des wird die Nä­he zu den Aren­ber­ger An­la­gen her­vor­ge­ho­ben, mit der Kinn auch bei sei­nen Kran­ken­be­su­che­rin­nen warb. Die Kin­der durf­ten nicht krank, son­dern al­len­falls un­ter­ernährt, blut­arm oder skro­fu­lös (ein­fa­che Tu­ber­ku­lo­se) sein. Nach den Be­rich­ten der Schul­ärz­te sei­en 50 Pro­zent der Kin­der in den Groß­städ­ten blut­arm, 30 Pro­zent hät­ten Ra­chi­tis, 30 Pro­zent Drü­sen­schwel­lun­gen (Skro­fu­lo­se), 50 Pro­zent Hal­tungs­schä­den und über 25 Pro­zent ein Ner­ven­lei­den.

Das Jahr­buch der Ca­ri­tas­ver­ei­ni­gung von 1910 ent­hält ein Mit­glie­der­ver­zeich­nis des Ver­eins, das cir­ca 1.400 Per­so­nen auf­führt. Die Lis­te liest sich wie ein „who is who“ der preu­ßi­schen Rhein­pro­vinz und der Pro­vinz West­fa­len be­zie­hungs­wei­se der Bis­tü­mer Trier und Köln. Die Vor­sit­zen­den wa­ren zwei Amts­ge­richts­rä­te, Kinn war Schrift­füh­rer und Lei­ter der Zen­tral­stel­le. Hin­zu ka­men ein Arzt, ein Leh­rer, ein Lan­des­rat - der Lei­ter des Wohl­fahrts­we­sens der Rhei­ni­schen Pro­vin­zi­al­ver­wal­tung -, ein Sa­ni­täts­rat, ein Ver­tre­ter des Ca­ri­tas­ver­ban­des und ei­ner des Bi­schofs. Kinn konn­te sei­nen Ver­ein mit kirch­li­chen und staat­li­chen In­sti­tu­tio­nen so gut ver­net­zen, dass ei­ne fi­nan­zi­el­le För­de­rung und ei­ne Si­che­rung der Qua­li­tät, aber auch ei­ne ka­tho­li­sche Aus­rich­tung ga­ran­tiert wa­ren. 

Wei­ter er­gibt ei­ne Aus­zäh­lung, dass der Ver­ein al­lein 60 Mit­glie­der aus dem Kreis Bit­burg – der hier ein­mal will­kür­lich her­aus­ge­grif­fen sei – hat­te. Dem­ge­gen­über gab es in Ko­blenz 23, in Köln 16 und in Trier nur acht Mit­glie­der. Es zeigt sich, dass die Land­ca­ri­tas­be­we­gung viel stär­ker auf dem Land als in der Stadt ver­wur­zelt war. Dem ent­spricht, dass sich 1910 für den Kreis Bit­burg 13 in Aren­berg aus­ge­bil­de­te Kran­ken­be­su­che­rin­nen nach­wei­sen las­sen, von de­nen kei­ne ih­ren Sitz in ei­nem Ort hat­te, in dem es ei­nen Arzt oder ein Kran­ken­haus gab. Nur am Ran­de sei er­wähnt, dass Mat­thi­as Kinn auch ein Vor­rei­ter der Kneipp-Be­we­gung war. Er war mit Pfar­rer Se­bas­ti­an Kneipp (1821-1897), Beicht­va­ter der Do­mi­ni­ka­ne­rin­nen in Wö­ris­ho­fen, be­freun­det, der mehr­fach Aren­berg und Ko­blenz, wo ein gro­ßer Kneipp-Ver­ein ge­grün­det wur­de, be­such­te. 

Ansichtskarte mit der Aufschrift "Arenberg. Caritashaus St. Elisabeth". Im Vordergrund sind diensthabende Schwestern sowie Kinder erkennbar. (Klosterarchiv Arenberger Dominikanerinnen)

 

3. Die Krankenbesucherinnen bereiten sich auf den Weltkrieg vor

Der Ers­te Welt­krieg in Aren­berg ist durch zwei ein­schnei­den­de Zä­su­ren ge­kenn­zeich­net: Am 18.12.1914 starb Che­ru­bi­ne Wil­li­mann und am 19.7.1918 Mat­thi­as Kinn. Auch in der Ge­schich­te des Ca­ri­tas­hau­ses stell­te er ei­nen be­mer­kens­wer­ten Ein­schnitt dar, wo­bei man mit ei­ni­gem Er­stau­nen fest­stellt, dass der Welt­krieg und auch der Ein­satz der Do­mi­ni­ka­ne­rin­nen wie auch der Ca­ri­tas­schwes­tern lang­fris­tig und ge­ne­ral­stabs­mä­ßig vor­be­rei­tet wor­den war. Be­reits im Som­mer 1900 teil­te der Trie­rer Bi­schof Mi­cha­el Fe­lix Ko­rum (Epis­ko­pat 1881-1921) Che­ru­bi­ne Wil­li­mann mit, es sei für die Schwes­tern nur von Vor­teil, wenn ih­re Tä­tig­keit in der Kran­ken­pfle­ge ein­heit­lich ge­re­gelt und da­durch auch im Kriegs­fall ih­re Ar­beit und Le­bens­wei­se ge­si­chert sei.

1908 for­der­te Kinn in sei­nen „Mit­tei­lun­gen“ sei­ne Kran­ken­pfle­ge­rin­nen auf, bei Mas­sen­ver­un­glü­ckung im Berg­bau oder bei der Ei­sen­bahn als frei­wil­li­ge Hel­fe­rin ih­re Hil­fe zur Ver­fü­gung zu stel­len. Im Fal­le ei­nes Krie­ges soll­ten sie auf An­fra­gen des Ro­ten Kreu­zes und so­fern sie auf­grund ih­rer Fa­mi­li­en­ver­hält­nis­se ab­kömm­lich sei­en, ih­re Mit­ar­beit in ei­nem La­za­rett in der Nä­he an­bie­ten. Nach dem Bal­kan­krieg von 1912, als ei­ne krie­ge­ri­sche Ver­wick­lung un­se­res Va­ter­lan­des droh­te, frag­te der Vor­stand, so der Jah­res­be­richt der Ca­ri­tas­ver­ei­ni­gung, beim Mal­te­ser­rit­ter­or­den an, ob die Hil­fe­leis­tung von Kran­ken­be­su­che­rin­nen er­wünscht sei. Ei­ne ähn­li­che An­fra­ge stell­ten auch die Aren­ber­ger Do­mi­ni­ka­ne­rin­nen. Man ant­wor­te­te ih­nen, dass man die Kran­ken­be­su­che­rin­nen und Be­rufs­pfle­ge­rin­nen der Ca­ri­tas­ver­ei­ni­gung ger­ne als Hilfs­pfle­ge­rin­nen an­näh­me, dass die­se aber be­reit sein müss­ten, mit ins Feld zu rü­cken und in ei­nem Mi­li­tär­la­za­rett zu die­nen. Auf ei­ne Um­fra­ge hin hat­te Kinn er­fah­ren, dass mehr als 50 Kran­ken­be­su­che­rin­nen sich zur Krie­ger­pfle­ge im Krei­se und mehr als wei­te­re 50 für den Feld­dienst be­reit er­klärt hät­ten. An­ge­sichts ih­rer dürf­ti­gen wirt­schaft­li­chen Ver­hält­nis­se und ih­rer fa­mi­liä­ren Ver­pflich­tun­gen, schreibt er wei­ter, sei dies ein glän­zen­des Er­geb­nis, ein Be­weis […] der pa­trio­ti­schen Ge­sin­nung un­se­rer Ca­ri­tas­schwes­tern.

1913 dach­te auch der mit Kinn eng be­freun­de­te Prä­si­dent des Ca­ri­tas­ver­ban­des, Lo­renz Werth­mann (1858-1921), in ei­nem Ar­ti­kel in der „Ca­ri­tas“ dar­über nach, Kinns Kur­sis­tin­nen künf­tig als Hel­fe­rin­nen bei den Ver­si­che­rungs­an­stal­ten, in der Tu­ber­ku­lo­se­vor­sor­ge auf dem Lan­de, in der Säug­lings­pfle­ge und als Hel­fe­rin­nen für die Kriegs­in­va­li­den­pfle­ge ein­zu­set­zen. Die Vor­be­rei­tun­gen für den Krieg lie­fen al­so schon auf Hoch­tou­ren: Be­reits 1912 wur­de den Schwes­tern des Trie­rer Jo­sephs­stifts mit­ge­teilt, dass ihr Haus im Kriegs­fal­le als Etap­pen­la­za­rett vor­ge­se­hen sei. Si­cher­lich gab es auch für Ko­blenz sol­che Plä­ne.

4. Die Krankenbesucherinnen im Ersten Weltkrieg

Über die Kriegs­zei­ten un­ter­rich­ten die Jah­res­be­rich­te der Ca­ri­tas­ver­ei­ni­gung für die Jah­re 1914 und 1915. Kinn be­ginnt sei­nen Be­richt für 1914 mit ei­nem kur­zen Nach­ruf auf Schwes­ter Che­ru­bi­ne, die sei­nem An­lie­gen die Klos­ter­pfor­te ge­öff­net hat­te, was an­de­re Or­den wohl ab­ge­lehnt hat­ten. Trau­rig blickt er 1915 auf das Vor­jahr zu­rück, wo der Welt­krieg un­ter der Trup­pe sei­ner Kran­ken­be­su­che­rin­nen ein Wel­t­e­l­end ge­schaf­fen ha­be. Das Ca­ri­tas­haus sei glück­li­cher­wei­se von den Bom­ben fran­zö­si­scher Flie­ger ver­schont ge­blie­ben. Nach­fol­ge­rin von Schwes­ter Alp­hon­sa, die der­zeit die Lei­tung des Re­ser­ve­la­za­retts in Frei­burg in­ne ha­be, im Ca­ri­tas­haus sei die Kur­sus­schwes­ter Hil­de­gar­dis. Die 65 ar­men Kin­der, die in dem Haus ver­pflegt wur­den, hat man nach Kriegs­be­ginn nach Hau­se ge­schickt. Die we­ni­gen Da­men­zim­mer hät­ten sich ge­leert, die Koch­schü­le­rin­nen ha­be man ent­las­sen und den Lehr­kurs 1914/1915 aus­fal­len las­sen. Man hat­te noch ei­nen Un­ter­richts­raum im Dorf an­ge­mie­tet und die Ver­pfle­gung im Klos­ter si­cher­ge­stellt. Aber das Ca­ri­tas­haus und das Pen­sio­nat des Klos­ters dien­ten als Ver­wun­de­ten-La­za­rett, und im Dorf gä­be es so vie­le Ein­quar­tie­run­gen, dass der Kurs ab­ge­sagt wer­den muss­te. Da­her sei das Ca­ri­tas­haus seit dem 1. Au­gust oh­ne Ein­nah­men, wäh­rend es wei­ter­hin sei­ne Bau­kre­di­te ab­zah­len müs­se. Das Ca­ri­tas­haus stell­te 50 und das Klos­ter 130 Bet­ten für Leicht­ver­wun­de­te zur Ver­fü­gung, die aber erst ab dem 23.11.1914 be­legt wur­den. Ge­gen ei­ne ent­spre­chen­de Ver­gü­tung durch das Mi­li­tär pfleg­te man im Ca­ri­tas­haus cir­ca 30 bis 50 Sol­da­ten.

Ansicht eines Altars im Arenberger Caritashaus. (Klosterarchiv Arenberger Dominikanerinnen)

 

Wie in je­dem Jahr lis­tet Kinn für 1914 die Zahl der 97.000 Kran­ken­be­su­che und 65.000 Wund­ver­bän­de auf – ge­gen­über 1909 an­nä­hernd ei­ne Ver­dop­pe­lung – und stellt fest, der Ver­ein ha­be ei­nen Fehl­be­trag von 2.000 Mark er­wirt­schaf­tet, der durch die Lan­des­ver­si­che­rungs­an­stalt aus­ge­gli­chen wer­de. In ei­nem wei­te­ren Ar­ti­kel kon­sta­tier­te Kinn, dass sich die Nach­fra­ge nach Ca­ri­tas­schwes­tern zur Krie­ger­pfle­ge in Gren­zen hielt. 80 hät­ten sich ge­mel­det, aber in den Etap­pen- und Front­la­za­ret­ten sei­en über­wie­gend Mi­li­tär­pfle­ger und Rot­kreuz­schwes­tern so­wie Or­dens­schwes­tern tä­tig. In den Re­ser­ve­la­za­ret­ten in der Hei­mat stän­den so vie­le kurz­ge­schul­te, ge­bil­de­te Da­men zur Ver­fü­gung, dass man die Ca­ri­tas­schwes­tern sel­ten be­nö­tig­te. Er­schwert wur­de der Ein­satz der Hilfs­pfle­ge­rin­nen da­durch, dass sie oft in ab­ge­le­ge­nen Dör­fern leb­ten, die La­za­ret­te sich aber in den Städ­ten be­fan­den. Den­noch war ei­ne Rei­he von Kran­ken­be­su­che­rin­nen in den von Do­mi­ni­ka­ne­rin­nen be­trie­be­nen Kran­ken­häu­sern (Düs­sel­dorf-Heerdt, Ober­hau­sen, Ber­lin) und in Re­ser­ve­la­za­ret­ten im Rhein­land (Bit­burg, Mal­berg, Neue­nahr, Trier) im Ein­satz.

Wich­tig sei die Ar­beit der Ca­ri­tas­schwes­tern bei der Ver­sor­gung der Zi­vil­be­völ­ke­rung, die sich durch die Tä­tig­keit zahl­rei­cher Pfle­ge­kräf­te in den La­za­ret­ten deut­lich ver­schlech­tert ha­be, bei der Un­ter­stüt­zung von Trans­por­ten oder Mär­schen, und viel wich­ti­ger noch nach Kriegs­en­de, wenn man­che Krank­heit oder Ver­wun­dung aus­ku­riert wer­den müs­se, schrieb Kinn An­fang 1915: Über­rei­che Pfle­ge­ar­beit für die (hof­fent­lich sieg­reich) heim­keh­ren­den Krie­ger steht den Ca­ri­tas­schwes­tern nach der Be­en­di­gung des Krie­ges be­vor. Nur mit ei­nem ge­wis­sen Schre­cken kann man an die Nach­we­hen des Krie­ges den­ken. Was da mit­ge­bracht wird an nicht aus­ge­heil­ten Wun­den, an Nach­wir­kung über­stan­de­ner Krank­hei­ten, an Nach­wir­ken ei­nes in den nas­sen, kal­ten Schüt­zen­grä­ben ver­leb­ten Win­ters, was für bö­se An­ste­ckungs­kei­me noch auf­ge­hen wer­den, das lä­ßt sich zur­zeit nur ah­nen.

Für das Jahr 1915 kann Kinn be­rich­ten, dass das Ca­ri­tas­haus als Krie­ger­la­za­rett (Ge­ne­sungs­heim) die­ne; 52 Bet­ten sei­en mit Sol­da­ten be­legt. Durch ei­ne Um­ver­tei­lung und die An­mie­tung ei­nes Hau­ses sei es ge­lun­gen, den Kur­sus­saal wie­der frei­zu­ma­chen. Seit dem 1.5.1915 kön­ne man die Kin­der­pfle­ge wie­der auf­neh­men und fünf Grup­pen mit je 40 Gäs­ten aus Köln, Düs­sel­dorf und Es­sen be­her­ber­gen. Auch konn­te man zwei Lehr­kur­se mit 22 und 32 Schü­le­rin­nen durch­füh­ren, die man in Pri­vat­häu­sern un­ter­brin­gen muss­te, da die Kin­der­bet­ten für sie zu kurz wa­ren.

Ob es Jah­res­be­rich­te für 1916, 1917 und 1918 gab, ließ sich nicht fest­stel­len. Ab 1917 ga­ben der Ca­ri­tas­ver­band so­wie die Vin­zenz- und Eli­sa­beth­ver­ei­ne die „Ca­ri­tas­stim­men“ her­aus, in de­nen sich ei­ni­ge Ar­ti­kel über Aren­berg fin­den. 1917 er­schien ein kur­zer Be­richt für das Ge­schäfts­jahr 1916: Da­nach war das Ca­ri­tas­haus wei­ter­hin La­za­rett und wür­de es auch bis Kriegs­en­de blei­ben. Nur der Spei­se­saal und der Spiel­saal könn­ten für schwäch­li­che Stadt­kin­der aus Köln, Dü­ren, Düs­sel­dorf und Es­sen ge­nutzt wer­den, die in ei­nem an­ge­mie­te­ten Haus schlie­fen. Der Ja­nu­ar­kurs fand mit 32 Schü­le­rin­nen statt, der im No­vem­ber muss­te aus­fal­len. 114.000 Kran­ken­be­su­che und 78.000 Wund­ver­bän­de wur­den ge­zählt, deut­lich mehr als bei Kriegs­be­ginn. Die Kran­ken­be­su­che­rin­nen, die in der Nä­he von Bahn­hö­fen wohn­ten, hät­ten für 2.000 Groß­stadt­kin­der Plät­ze zur Er­ho­lung in den Som­mer­fe­ri­en be­schafft. 1919 konn­te mit­ge­teilt wer­den, dass Dr. Hein­rich Lau­fen die Nach­fol­ge von Mat­thi­as Kinn an­ge­tre­ten hat­te. Mö­ge der gu­te ‚Va­ter Kinn‘ vom Him­mel her sein Werk, sei­nen Nach­fol­ger und sei­ne geis­ti­gen Töch­ter seg­nen hei­ßt es im Jah­res­be­richt für 1918, der man­gels feh­len­der An­ga­ben nicht recht­zei­tig fer­tig­ge­stellt wer­den konn­te.

Die Durch­sicht der Ca­ri­tas­stim­men ist auch des­halb auf­schluss­reich, als sie vie­le Fa­cet­ten der so­zia­len Pro­ble­ma­tik und der Kriegs­wohl­fahrts­pfle­ge des Ers­ten Welt­krie­ges be­leuch­tet, So wer­den Un­ter­richts­kur­se für Kriegs­be­schä­dig­te an­ge­bo­ten, da­mit Ver­stüm­mel­te wie­der in ih­rem al­ten Be­ruf ar­bei­ten kön­nen. Be­zeich­nend ist auch das Wort Krüp­pel­für­sor­ge oder das der Für­sor­ge für die Ab­nor­men, wor­un­ter man Nicht­voll­sin­ni­ge (Bil­de, Taub­stum­me) …, die Geis­tes­schwa­chen und die Krüp­pel ver­stand. Die Ad­op­ti­on durch Krie­ger­wit­wen wird ge­re­gelt, über Be­güns­ti­gun­gen für Sol­da­ten­kin­der in­for­miert und über das Ka­pi­tal­ab­fin­dungs­ge­setz, das Kriegs­be­schä­dig­ten und Krie­ger­wit­wen den Grund­er­werb er­mög­li­chen soll­te. Die Hin­ter­blie­be­nen­ver­sor­gung war ein gro­ßes The­ma, et­wa er­hiel­ten Krie­ger­wit­wen das Ster­be­geld in vol­ler Hö­he, auch wenn sie die Be­er­di­gung nicht zah­len muss­ten. Ge­wor­ben wur­de für das Buch „Wie sorgt das Va­ter­land für sei­ne kriegs­be­schä­dig­ten Hel­den­söh­ne?“ Ge­dan­ken mach­te man sich au­ßer­dem über das Wo­chen­geld der Kriegs­wöch­ne­rin­nen und über Fahr­preis­er­mä­ßi­gun­gen beim Be­such von Kriegs­ge­fan­ge­nen. Auch die Ju­gend­ge­richts­hil­fe war ein The­ma, wei­ter die Fa­mi­li­en­un­ter­stüt­zung für un­ehe­lich ge­bo­re­ne Sol­da­ten­kin­der und Länd­li­che Ar­beits­hei­me für sitt­lich ge­fähr­de­te Frau­en und Mäd­chen. Ge­dacht wur­de auch an Fei­er­abend­hei­me für be­rufs­tä­ti­ge Frau­en in den Städ­ten für die zahl­rei­chen, in den Fa­bri­ken, ins­be­son­de­re in der Rüs­tungs­in­dus­trie tä­ti­gen Ar­bei­te­rin­nen.

Aus­führ­lich be­rich­tet wird über ei­ne ka­tho­li­sche Heim­werk­stät­te für Kriegs­be­schä­dig­te bei den Barm­her­zi­gen Brü­dern in Ko­blenz. Der Welt­krieg mit sei­nen ver­voll­komm­ne­ten Kamp­fes­wei­sen bringt uns ei­ne gro­ße Fol­ge von Ver­wun­dun­gen, die glück­li­cher­wei­se in­fol­ge des in Deutsch­land vor­züg­lich or­ga­ni­sier­ten Sa­ni­täts­we­sens schnell und gründ­lich ge­heilt wer­den, so dass vie­le un­se­rer Feld­grau­en schon beim zwei­ten oder drit­ten Ma­le nach ih­rer je­des­ma­li­gen Ge­ne­sung hin­aus­zie­hen konn­ten, um dem Va­ter­lan­de von neu­em auf treu­er Wacht zu die­nen. Für 300 Sol­da­ten, die ei­nen Arm, ein Bein, ei­nen Fuß oder ei­ne Hand, manch­mal so­gar bei­des ver­lo­ren ha­ben, wur­de ei­ne In­va­li­den­schu­le oder Heil­werk­stät­te für Kriegs­be­schä­dig­te ein­ge­rich­tet, und zwar vom 8. Ar­mee­korps in den Räu­men des Kran­ken­hau­ses der Barm­her­zi­gen Brü­der. Die Kriegs­be­schä­dig­ten wur­den in der Bä­cke­rei, in der Gärt­ne­rei oder mit Ma­ler- und An­strei­cher­ar­bei­ten im Kran­ken­haus be­schäf­tigt, au­ßer­dem gab es ei­ne Schrei­ne­rei. Wei­ter be­stand die Mög­lich­keit, noch ein­mal die Schul­bank zu drü­cken und ei­ne Bü­ro­tä­tig­keit zu er­ler­nen. Die­je­ni­gen, die noch der Kran­ken­haus­pfle­ge be­dürf­tig sind, fer­tig­ten Ge­brauchs­ge­gen­stän­de und Spiel­sa­chen, wie Schlit­ten, Schau­kel­pfer­de, klei­ne Lei­ter­wa­gen, Ker­zen­leuch­ter, Obst- und Brief­scha­len, Korb­flech­te­rei­en etc. an, um bei ei­nem Hei­mat­ur­laub den El­tern, der Frau und den Kin­dern … ei­ne Freu­de zu ma­chen. In ei­ner or­tho­pä­di­schen Werk­stät­te wur­den künst­li­che Glie­der her­ge­stellt und an­ge­passt. Da­bei lob­te man die sehr leich­ten Holz­bei­ne. Wei­ter wur­den Kriegs­be­schä­dig­ten-Schu­he an­ge­fer­tigt, die die Sol­da­ten da­zu in die La­ge ver­setz­ten, er­neut ih­ren Trup­pen­dienst zu ver­se­hen und wie­der mit­zu­hel­fen zum end­gül­ti­gen Sieg un­se­rer Waf­fen.

Recht klein­laut wird in den Ca­ri­tas­stim­men vom lan­ge her­bei­ge­sehn­ten En­de des Kriegs be­rich­tet. Lei­der stel­le der Aus­gang für das deut­sche Volk ei­ne schmerz­li­che Heim­su­chung und tie­fe De­mü­ti­gung dar. Doch sei dies ein Werk der gött­li­chen Vor­se­hung, und ein äu­ße­rer Sturz aus stol­zer Hö­he sei der Aus­gangs­punkt ei­ner in­ne­ren Er­neue­rung. Im Mo­ment sei es schwer, den ret­ten­den Aus­weg aus der un­er­me­ß­li­chen Not­la­ge al­ler Volks­ge­nos­sen zu fin­den. Die so rasch auf­ge­blüh­te deut­sche Ca­ri­tas­be­we­gung kön­ne aber nicht durch die­sei­ti­ge Hu­ma­ni­täts­schwär­me­rei, son­dern nur aus dem Voll­ge­halt un­se­res hei­li­gen Glau­bens her­aus wie­der­er­ste­hen.

Man blät­tert die Ca­ri­tas­stim­men mit et­was ge­misch­ten Ge­füh­len durch. Auf der ei­nen Sei­te ist es er­schre­ckend, wel­che Fol­gen der Krieg für die Men­schen nicht nur an der Front, son­dern auch in der Hei­mat – die hier im Vor­der­grund stand – hat­te. Auf der an­de­ren Sei­te ist es im­po­nie­rend, wie ein breit ge­fä­cher­tes An­ge­bot an so­zia­len Leis­tun­gen von staat­li­chen Stel­len kam und wie sehr sich kirch­li­che In­sti­tu­tio­nen und lo­ka­le Ver­ei­ne be­müh­ten, es durch Ak­ti­vi­tä­ten vor Ort zu er­gän­zen. Wie viel da­von bei den Be­trof­fe­nen an­kam und ob es aus­reich­te, ist ei­ne an­de­re Fra­ge. Auf der an­de­ren Sei­te zei­gen sich die Or­den und ka­ri­ta­ti­ven Ein­rich­tun­gen stets als Zahn­rad in der Ma­schi­ne­rie des Welt­krie­ges. Ei­ne gro­ße Or­ga­ni­sa­ti­on wie die Ca­ri­tas­ver­ei­ni­gung ließ sich nur auf­bau­en, wenn dies in en­ger Ko­ope­ra­ti­on mit kirch­li­chen und staat­li­chen Stel­len ge­schah. 

Quellen

Der Ar­ti­kel be­ruht auf Re­cher­chen im Ar­chiv des Mut­ter­hau­ses der Do­mi­ni­ka­ne­rin­nen und des Ca­ri­tas­hau­ses in Aren­berg. Dort wer­den auch die "Ca­ri­tas­stim­men" und ähn­li­che Pe­ri­odi­ka auf­be­wahrt.
Das Ca­ri­tas­haus Aren­berg. [On­line]
Das Do­mi­ni­ka­ne­rin­nen­klos­ter in Aren­berg. [On­line]

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Das Gartenhaus "Engelsburg" des Caritashauses in Arenberg. (Klosterarchiv Arenberger Dominikanerinnen)

 
Zitationshinweis

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Schmid, Wolfgang, Das Caritashaus Arenberg im Ersten Weltkrieg, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/Themen/das-caritashaus-arenberg-im-ersten-weltkrieg/DE-2086/lido/602aa58378f7b0.39415197 (abgerufen am 10.10.2024)