Das Siebengebirge in der NS-Zeit
Zu den Kapiteln
Schlagworte
1. Machtergreifung
Die nationalsozialistische Propaganda hat den 30.1.1933, der Tag an dem der Führer der NSDAP, Adolf Hitler (1889-1945), zum Kanzler des Deutschen Reiches ernannt wurde, als den „Tag der Machtergreifung“ verklärt. Damit sollte die Initiative und Dynamik des Vorgangs, die der Partei und vor allem die ihres Führers herausgestellt werden. Bis heute wird diesem Tag – wohlgemerkt zu Recht – eine besondere Rolle zugemessen, schließlich leitete der an ihm erfolgte letzte Regierungswechsel der von Wirtschafts- und Verfassungskrise bedrohten Weimarer Republik eine von einem großen Teil der Akteure nicht oder vielmehr nicht so gewollten Diktatur ein. Wenn auch die Forschung mittlerweile die „Machtergreifung“ als einen stetigen Prozess der Machteroberung und -sicherung betrachtet, so markiert der 30.1.1933 im öffentlichen Bewusstsein doch den Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft in Deutschland.
Die Ereignisse der so genannten „Großen Politik“ sind bekannt; aber wie sah es in der Region des Siebengebirges mit seinen knapp 32.000 Einwohnern in zwei Städten und acht Gemeinden aus? Wirtschaftlich gesehen befand sich die Stadt Honnef (seit 1960 Stadt Bad Honnef) in der Weimarer Zeit in einer „Strukturkrise“: Der Stadt der Rentner, die in der Inflation von 1923 ihr Geld verloren hatten, fiel es schwer, sich neue wirtschaftliche Möglichkeiten zu schaffen. Geräusch- und geruchsarme Industrie sollten dem Erholungsort ein zweites Standbein geben: Möbel- und Konservenfabriken, Elektroindustrie. Der Stadt Königswinter, deren wirtschaftliche Grundlage immer weniger auf Weinbau und Steinbruch, sondern mehr auf (Massen-)Tourismus beruhte, ging es nicht viel besser. Im Amt Oberkassel (seit 1969 Stadt Bonn) bestanden zwar Industriebetriebe, aber auch ihre Situation war nicht die beste. Im „strukturschwachen“ Amt Oberpleis (seit 1969 Stadt Königswinter), das von der Landwirtschaft geprägt war, gab es während der ganzen Weimarer Zeit einen steten Sockel an Erwerbslosen.
Die politische Situation in den Kommunen stellte sich wie folgt dar: Das traditionell sehr starke Zentrum dominierte zwar weiterhin, aber nicht mehr so unangefochten; das bürgerliche Lager zerfiel langsam aber sicher in viele kleine Interessengruppen und -grüppchen. Die Sozialdemokraten hatten sich nicht richtig etablieren können und wurden zudem von den sich als Bürgerschreck gebärdenden Kommunisten weitgehend verdrängt.
Die NSDAP war bis 1930 eine politisch unbedeutende Partei am rechten Rand. Die ersten Nationalsozialisten im Siebengebirge kamen von auswärts hierher: Ende April 1922 nahm die Kölner Ortsgruppe an der Gautagung des „Deutsch-Völkischen Schutz- und Trutzbundes“ auf der Insel Grafenwerth teil, im Juni desselben Jahres feierten Nationalsozialisten und Deutschvölkische die Sonnwendfeier auf der Rosenau.
Während Hitler einerseits die NSDAP als einzige rechte Partei etablierte, diente er sich andererseits den bürgerlichen Kreisen an. Zu diesem Zweck traf er sich mit Vertretern der Wirtschaft unter anderem 1926 in Königswinter. Da Hitler noch das Reden auf öffentlichen Versammlungen verboten war, musste er innerhalb einer geschlossenen Gesellschaft sprechen. Die Ausführungen seines Vortrages zur „Deutschen Wirtschafts- und Sozialpolitik“ sind nicht überliefert, wohl aber ein Foto, das Hitler und Heß auf der Königswinterer Fähre zeigt.
Die erste öffentliche Versammlung der NSDAP in der Region fand am 20.10.1928 in Honnef statt, als der für Bonn und den Siegkreis zuständige „Kreisleiter“ Wilhelm Gerling (geboren 1882) hierher kam. Es gab zu diesem Zeitpunkt schon einige Anhänger der Partei in der Stadt und so erfolgte die Gründung eines Stützpunktes. Zur Gründung einer Ortsgruppe hatte die Mitgliederzahl wohl noch nicht gereicht, dafür wurden 15 Parteigenossen benötigt.
Für das darauf folgende Jahr lassen sich elf Veranstaltungstermine ermitteln. Die verstärkten Aktivitäten der Nationalsozialisten im gesamten Rheinland beunruhigten die Behörden. Der Landrat hatte daher 1929 Bericht zu erstatten. Er meldete, dass im Siegkreis bereits neun Ortsgruppen bestünden, die 197 Mitglieder aufzuweisen hätten, darunter in Honnef 22, in Rhöndorf 14, in Königswinter 21 und in Oberpleis 17, insgesamt 74. Die Zahlen sind mit Skepsis zu betrachten. Die Geschichtsschreibung der Partei sprach später davon, dass Ende 1929 im Siegkreis eine einzige Ortsgruppe in Herchen bestanden habe und es insgesamt 17 Parteimitglieder gab. Der Landrat sah zumindest keine Gefahr und gab folgende Prognose ab: Es ist nicht damit zu rechnen, daß im Siegkreise auf die Dauer von der NSDAP ein nennenswerter Erfolg erreicht wird, jedoch wird eine sorgfältige Überwachung auch in Zukunft notwendig sein.
Eine bedeutende Versammlung fand am 4.10.1929 in Honnef statt, die zusammen mit dem Stahlhelm einberufen wurde. Die Rechtsgruppierungen hatten sich gegen den Young-Plan, der die Reparationszahlungen regeln sollte, zusammengeschlossen. Für die Nationalsozialisten bedeutete dies, dass sie einen Fuß in das bürgerliche Lager bekamen. Sie waren jetzt nicht mehr die Außenseiter, mit denen niemand etwas zu tun haben wollte.
Im selben Monat fand die Gründung einer Ortsgruppe statt. Erster Ortsgruppenleiter wurde Michael Schild. Im Oktober 1930 entstand die Ortsgruppe Oberkassel, ihr Leiter war Theodor Braschoß. Obwohl für den selben Monat angekündigt, erfolgte die Gründung der Ortsgruppe Königswinter erst im Juli 1932, Leiter war Ludwig Buttlar. Möglichweise war zunächst nur ein Stützpunkt eingerichtet worden, so wie es im November 1930 für Oberpleis angekündigt worden war. Der Stützpunkt Oberpleis blieb mit der Ortsgruppe Oberkassel verbunden und erst nach der Machtübernahme erhielt Oberpleis eine eigene Ortsgruppe, deren Leiter Ludwig Zaun war.
Die Nationalsozialisten stellten für die Kommunalwahl im November 1929 in Honnef und Oberkassel eigene Listen auf. Während sie in größeren Städten wie Bonn und Koblenz in die Stadträte gelangten, blieb das Wahlergebnis im Siebengebirge für sie jedoch recht mager: 61 beziehungsweise 35 Stimmen und keinen Sitz.
Im Verlauf des nächsten Jahres intensivierten sie ihre Versammlungstätigkeit: 37 Veranstaltungen waren angekündigt. Ihre Propaganda richtete sich gegen das „Weimarer System“, wie sie den republikanischen Parlamentarismus nannten, das sie abschaffen wollten. Dabei profitierten sie zunehmend von der Weltwirtschaftskrise, die in Deutschland zu steigender Arbeitslosigkeit führte. Die damit entstehende Existenzbedrohung führte zur Abwendung von den demokratischen und zum Zulauf zu den radikalen Parteien von rechts und links, die als Sammelbecken des Protestes fungierten. Gewalttätige Zusammenstösse ihrer Anhänger häuften sich. Im Mai 1930 kam es in Honnef im Verlauf einer Veranstaltung zu einer Schießerei, bei der acht Menschen verletzt wurden.
In der Reichstagswahl vom September 1930 gelang der NSDAP der Durchbruch von der unbedeutenden Splitterpartei zur Massenpartei: im Reich erhöhte sich ihr Stimmenanteil von 2,6 auf 18,3 Prozent, in Honnef von unter 1 auf 16,6 Prozent, in Königswinter auf 14,7 Prozent, in Oberkassel auf 10,7 Prozent und in Oberpleis auf 12,3 Prozent!
Die Wahlforschung hat herausgefunden, dass es der Partei vor allem gelungen war, Nichtwähler zu mobilisieren. Nach diesem Wahlsieg traten viele in die NSDAP ein, Mittelständler vor allem, die angesichts der Krise um ihre Existenz fürchteten und von den etablierten Parteien enttäuscht waren.
So wie der Kaufmann Heinrich Behr, der seit September 1930 die Ortsgruppe Honnef leitete. Behr war in der so genannten „Kampfzeit“ ein äußerst aktiver Nationalsozialist. Dynamisch und agil war er ständig im Einsatz, organisierte Versammlungen in Honnef und Umgebung, 41 Veranstaltungen waren es 1931 im Siebengebirge, jetzt auch in kleinen Orten wie Eudenbach und Quirrenbach. Die überhitzte politische Atmosphäre führte auch zu physischer Gewalt: Im Januar 1932 kam es in Oberkassel zu einer Schießerei, im März in Honnef.
Vor dem Hintergrund der sich stetig verschlechternden Wirtschaftslage wählten immer mehr Menschen die NSDAP. In der Reichstagswahl im Juli 1932 erhielt sie 37,3 Prozent, im Wahlkreis Köln-Aachen waren es nur 20,2 Prozent, in Honnef jedoch 25,8 Prozent, in Königswinter 21,1 Prozent, in Oberkassel 16,2 Prozent und in Oberpleis 9,9 Prozent. Im November sank ihr Stimmenanteil auf 33,1 Prozent im Reich, 17,5 Prozent im Wahlkreis Köln-Aachen und im Siegkreis 18,3 Prozent. In Honnef 18,4 Prozent, Königswinter 14,8 Prozent, Oberkassel 11,7 Prozent und Oberpleis 8,1 Prozent. Offenbar waren der radikalen Partei Schranken gesetzt.
Der 30.1.1933 bewirkte in der Provinz keine großen Veränderungen. In Honnef kam es einen Tag später zu einem symbolischen Akt: die Ortsgruppe hisste eine Hakenkreuzfahne an einem eigens dafür aufgestellten Mast auf dem Marktplatz. Ortsgruppenleiter Behr gewann seine erste Machtprobe gegen Bürgermeister Reumont: der ohne Genehmigung errichtete Mast blieb stehen, die Fahne durfte weiter über dem Markt wehen.
Provokativ führte ein angekündigte Umzug durch Selhof, wo viele Kommunisten wohnten. Wiederum einen Tag später schoss ein SA-Mann – angeblich aus Notwehr - auf einen Kommunisten. Dies führte dazu, dass die Wohnungen der kommunistischen Funktionäre nach Waffen, aber auch nach „Zersetzungsmaterial“ durchsucht wurden.
Um ihre Herrschaft zu legitimieren, ließen die neuen Machthaber alle parlamentarischen Vertretungen auflösen und schrieben Neuwahlen aus. In dem nun einsetzenden Wahlkampf hatten die Rechtsparteien den Vorteil, dass sie sich nun auf die staatlichen Organe stützen konnten, insbesondere auf die Polizei, der SA, SS und Stahlhelm als Hilfspolizei zur Seite gestellt wurden, so dass die Parteitruppe nun ihren Terror gegen Kommunisten und andere im halb-staatlichen Gewand durchführen konnte. Die Zeitungen berichteten jeden Tag von gewalttätigen Zusammenstößen. Im Siebengebirge blieb es ruhig. Die Aufstellung einer Hilfspolizei war nicht nötig.
Der Reichstagsbrand am Abend des 27.2.1933 änderte alles. Er bot den Nationalsozialisten die willkommene Begründung, systematisch gegen die Kommunisten vorzugehen. Die Notverordnung des Reichspräsidenten, die am folgenden Tag erlassen wurde, setzte die verfassungsrechtlichen Grundrechte außer Kraft und bildete die Grundlage für die sich anbahnende Diktatur.
Es kam zu Verhaftungen der Kommunisten: in Honnef, ihrer Hochburg, waren es schließlich 21 Personen, darunter die Stadträte Kirchhof und Mundorf, in Königswinter-Stadt 17, darunter die Stadträte Weber, Reuter und Lamberz, im Amt Königswinter acht, im Amt Oberkassel zwölf und im Amt Oberpleis drei, zusammen 57 Personen.
Bei der unter diesen Umständen durchgeführten Reichstagswahl am 5.3.1933 erhielt die NSDAP 43,9 Prozent der abgegebenen Stimmen. Ihre Hoffnung auf eine alleinige absolute Mehrheit hatte sich nicht erfüllt. Im Wahlkreis Köln-Aachen erhielt sie 30,2 Prozent, im Siegkreis 29,6 Prozent, in Honnef 33,1 Prozent, im Amt Königswinter 30,7 Prozent (in der Stadt 35,4 Prozent), im Amt Oberkassel 25,2 Prozent und im Amt Oberpleis 23,6 Prozent.
Die Eroberung der lokalen Rathäuser war für die Nationalsozialisten in greifbare Nähe gerückt. Ihre Ansprüche drückten sich überall durch den Versuch aus, die Hakenkreuzfahne an exponierter Stelle zu hissen, insbesondere auf dem Rathaus. Diese Machtprobe und Demonstration des Umsturzes der politischen Verhältnisse fiel in den meisten Fällen zugunsten der Nationalsozialisten aus. Nur wenige Bürgermeister hinderten sie daran, doch schließlich sanktionierte Göring diese Vorkommnisse. In Honnef wurde daraufhin am 7. März die Hakenkreuzfahne auf dem Rathaus gehisst, zwei Tage später auch auf dem Gebäude der Reichspost.
Die SA trat immer herrischer auf: Vor der Ehape-Filiale hatte sie ein Plakat aufgestellt und wohl auch Männer postiert, die etwaige Kunden abschrecken sollten. Als sich eine größere Menge Menschen vor dem Geschäft versammelte, schritt Landjägermeister Schneider mit den Worten „Die SA habe die Straße nicht zu beherrschen” ein. Diese beantworteten am Abend die Maßnahme des Staates wiederum mit der Besetzung des Rathauses und dem Anspruch, sie seien besser in der Lage für Ruhe und Ordnung zu sorgen.
Nur eine Woche nach der Reichstagswahl, am 12.3.1933, fanden die Kommunalwahlen statt. In Honnef gewann die NSDAP sechs von 20 Sitzen, in Königswinter fünf von 16 Sitzen, im Amt einen von zehn, in Oberkassel drei von 15, Oberpleis zwei von zehn Sitzen. Das war zwar ein Wahlerfolg, aber es war nicht die angestrebte Mehrheit.
Trotz dieses Wahlergebnisses folgte bereits am nächsten Tag die Machtübernahme in den Kommunen. In Honnef bedrängte Ortsgruppenleiter Behr Bürgermeister Reumont, der „auf höhere Anordnung mit sofortiger Wirkung beurlaubt“ wurde. In Oberkassel geschah das gleiche mit dem Amtsbürgermeister Richard Nücker. Im Ton milder, aber ebenso konsequent ging es in Königwinter zu: Bürgermeister Josef Clever beantragte seine Pensionierung. Lediglich in Oberpleis konnte sich Amtsbürgermeister Rudolf Hahn noch einige Wochen halten, bevor auch er nach zermürbenden Vorwürfen beurlaubt wurde.
Den Sieg der Nationalsozialisten ließen die Nationalsozialisten sogleich mit einem erneuten Hissen der Hakenkreuzfahne auf dem Rathaus symbolisch unterstreichen. Ein Eintrag in der Selhofer Schulchronik vom 14.3.1933 verdeutlicht den eingetretenen Wandel: „Heute wurde auf dem Schulhofe eine schwarz-weiß-rote und eine Fahne mit dem Hakenkreuz, der Parteiflagge der NSDAP, auf Anordnung der Reichsregierung gehisst. Die bisherige Fahne schwarz-rot-gold nahm der Arbeiter mit zum Bürgermeisteramte.“
Weitere unliebsame Beamte wurden sofort beurlaubt: in Honnef der Rentmeister Hillen, zwei Polizisten, denen der Kommunist Wascher entwischt war, und der Landjägermeister Schneider, in Königswinter der Syndikus Liedgens und der Rentmeister Steinhauer, in Oberkassel der Sekretär Hörsch, der Polizist Schlüssel und der Rentmeister Schäfer. Einige durften ihre Stellen behalten. Die Drohung aber wirkte nach, der Terror der SA tat sein Übriges: in Honnef verschleppte sie Albert Leopold und Bankdirektor Rother in ihr Stammlokal und misshandelte sie.
Viele brauchten gar nicht eingeschüchtert zu werden. Nach den Märzwahlen strömen neue Mitglieder in Massen in die Partei. Diese verkündete einen Aufnahmestopp, reichsweit standen zu diesem Zeitpunkt einem alten Parteigenossen zwei neue gegenüber. Als Parteifunktionäre gaben allerdings die „alten Kämpfer“ den Ton an: in Honnef Heinrich Behr und später Julius Kölker, in Königswinter zunächst Ludwig Buttlar, dann Bruno Friedrichs und August Müller, in Oberkassel Theodor Braschoß und in Oberpleis Ludwig Zaun und Christian Schneider.
Dem feierlichen ersten Zusammentritt des neuen Reichstages folgten bald im gleichen Stil die ersten Sitzungen der neu gewählten Kommunalparlamente; die bereits heftig verfolgten Kommunisten blieben abwesend und die SA nahm bedrohlich im Raum Aufstellung.
Eine der ersten Handlungen der neuen Bürgermeister und Gemeinderäte war meist die Ernennung Hitlers zum Ehrenbürger, so in Honnef, Oberpleis, Stieldorf und Königswinter, das zweite waren Straßenumbenennungen.
Die bürgerlichen Kreise waren in einer nationalen Aufbruchstimmung. Die nationalsozialistische Propaganda eines Joseph Goebbels gaukelte ihnen am „Tag von Potsdam“ (21.3.1933) vor, dass das neue Deutschland unter Adolf Hitler in der Nachfolge des alten Preußen stand. Nur drei Tage später stimmten alle Parteien außer der SPD dem „Ermächtigungsgesetz“ zu. Im Laufe der nächsten vier Monate erfolgte der Prozess der Vereinnahmung der bürgerlichen Parteien durch die Nationalsozialisten, der durch einen hohen Grad von Anpassungsbereitschaft auf der einen und durch permanenten Druck von der anderen Seite gekennzeichnet war. Ihre Vertreter versicherten der NSDAP ihre Mitarbeit, traten der NS-Fraktion als Hospitanten bei oder erklärten ihre Absicht in die Partei einzutreten. Nur einige wenige zogen sich zurück. Somit galt der lapidare Satz, der sich im Protokollbuch des Königswinterer Stadtrates im Juli 1933 findet, letztlich für alle Gemeinden: „Die Stadtverordneten-Versammlung Königswinter setzt sich infolge einer Erklärung der bürgerlichen Parteien nunmehr nur aus Nationalsozialisten zusammen.”
2. Verfolgung und Widerstand
Ihre politischen Gegner hatten die Nationalsozialisten schnell im Griff. Die sich revolutionär gebenden Kommunisten warteten 1933 vergeblich auf ein Zeichen ihrer Führung. Die führenden Honnefer Kommunisten, darunter der Reichstagsabgeordnete Wilhelm Pinnecke (1897-1938), waren untergetaucht, ins Ausland geflohen: Rudolf Wascher, Johann Kachel, Franz und Jakob Koch. Die zurückgebliebenen Kommunisten kamen in Schutzhaft (57). Während die meisten im Laufe der nächsten Wochen wieder freigelassen wurden, blieben die Funktionäre in Haft. Sie wurden im Sommer 1933 in das Konzentrationslager Börgermoor transportiert. Ende 1933 kamen die ersten, Mitte 1934 die letzten von ihnen nach Hause zurück. Zur selben Zeit fand vor dem Sondergericht in Hamm eine Reihe von Prozessen gegen Kommunisten aus der Region statt, in denen ihnen ihr Eintreten für die Ziele der KPD, den revolutionären Umsturz, vorgeworfen wurde. Viele erhielten Haftstrafen.
Waren sie entlassen, bleiben sie unter ständiger Beobachtung. 1935 wurden die Kommunisten Alois Haener und Wilhelm Kröll wegen Abhörens des Senders Moskau verhaftet. Während Kröll freigesprochen wurde, erhielt Haener zwei Jahre Zuchthaus. An Widerstand war nicht zu denken. Trotzdem waren es Kommunisten aus Bonn, Beuel und Oberkassel, die selbst hergestellte Flugblätter auslegten. Im Sommer 1935 wurden sie verhaftet und zu langen Haftstrafen verurteilt. Damit war die KPD endgültig zerschlagen.
Die nationalsozialistische Herrschaft war von der Machtübernahme an durch Terror und Verfolgung gekennzeichnet. Das Regime beanspruchte die totale Machtausübung und nutzte alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel und schuf sich zusätzlich eigene. Durch den Zugriff auf die Polizei und die daraufhin erfolgende Verklammerung von SS und Polizei wurde ein Instrument geschaffen, das zur systematischen Verfolgung freie Hand bekam. Die neu geschaffene Geheime Staatspolizei (Gestapo) entwickelte sich durch das stete Zurückdrängen der Justiz zur selbstständigen Vollstreckerin der von der Staatsführung vorgegebenen rassenstaatlichen Vorstellungen.
Wenn auch die immer wieder propagierte und idealisierte „Volksgemeinschaft” nicht wirklich erreicht werden konnte, so kann aber umgekehrt auch nicht – wie in der älteren Forschung etwas unglücklich formuliert – von einer „Volksopposition” gesprochen werden. Unter diesem Begriff wurde das Verhalten von Einzelpersonen zusammengefasst, die durch kritische Äußerungen in Opposition gegen das Regime gerieten. In einem Staat, der nahezu jeden Lebensbereich kontrollierte und durchdrang, konnten Unmutsäußerungen gleich welcher Art gravierende Konsequenzen nach sich ziehen. Menschen, die sich im Alltag einfach Luft machen wollten und denunziert wurden, sahen sich dem Verfolgungsapparat eines Regimes gegenüber, das sich von solchen Äußerungen bedroht fühlte und mit aller Härte dagegen vorging. Die Machthaber prägten dafür die Begriffe wie „Miesmachertum”, „Heimtücke” und „Volksschädling”.
Alle diese Vorfälle haben gemeinsam, dass sie nicht immer grundsätzliche Kritik am Nationalsozialismus oder an staatlichen Maßnahmen mit dem Zweck der Beseitigung des Regimes sind. Ihre Meldung kann als Zufall angesehen werden. Obwohl den meisten Menschen im „Dritten Reich“ bewusst war, dass sie nicht mit jedem über alles sprechen durften, kamen dennoch immer wieder unbedachte Äußerungen in Gegenwart von Fremden vor. Öfter noch waren es Bekannte und Nachbarn, die aus den verschiedensten Motiven zur Denunziation schritten, nicht selten hatten diese einen privaten Konflikt als Hintergrund.
Gegen diese Art von Opposition ging der nationalsozialistische Staat auf dreierlei Art vor: zum einen durch rücksichtslose Verfolgung und Androhung harter Strafen, des Weiteren durch Förderung des Denunziantentums und schließlich durch die öffentliche Anprangerung der Abgeurteilten zur Abschreckung.
Die Ermittlungen übernahm in den allermeisten Fällen die Gestapo, die als der Inbegriff für Terror und Unterdrückung galt. Die neueren Forschungen über „Mythos und Realität” der Gestapo haben jedoch gezeigt, dass das – auch in der Forschung – bislang vorherrschende Bild von einer äußerst effektiven und omnipräsenten Überwachungsorganisation so nicht aufrecht erhalten werden kann und einer Korrektur bedarf. Die weit verbreitete und tradierte Ansicht beruhte auf dem von der Leitung der Gestapo geförderten Selbstbild, das zur Einschüchterung der politischen Gegner bestimmt war sowie aus den unmittelbaren Erfahrungen der Verfolgten. Die Geheime Staatspolizei selbst beschäftigte nicht viele hauptamtliche Mitarbeiter. Sie profitierte vielmehr von den vielen Denunzianten in der Bevölkerung. Allein ihr Ruf als allwissende und allmächtige Behörde sorgte für ein latentes Klima der Bedrohung.
Die Ermittlungen im Siegkreis wurden von der Staatspolizeistelle (Stapo) Köln durchgeführt. Diese hatte immer etwa 75 Beamte. In den Kleinstädten und Dörfern des Regierungsbezirks Köln, der in den Zuständigkeitsbereich der Stapo Köln fiel, gab es überhaupt keine Gestapo-Beamte.
Kleinstädte und Ämter wie die im Siebengebirge besaßen eine kommunale Polizei, deren Leiter der Bürgermeister war. Für die rund 32.000 Einwohner des Siebengebirges waren es 1932 gerade mal 17 Polizisten und sechs Flurhüter. Bis in die 1940er Jahre kamen in den beiden Städten sieben weitere hinzu.
Zuständig für die Aburteilung von Delikten, die sich gegen den Staat richteten, waren ab 1933 die Sondergerichte. In den rund 50.000 erhaltenen Akten des Kölner Sondergerichtes finden sich die Namen von 118 Personen aus dem Siebengebirgsraum. Die meisten Fälle fielen unter das so genannte Heimtücke-Gesetz: ermittelt wurde wegen staatsfeindlicher Äußerungen (27), Beleidigungen (18), Verächtlichmachung (5), Heimtückevergehen (2) und Miesmacherei (2).
Einige Beispiele: Der Honnefer Kaufmann Sass äußerte sich 1934 in einem Geschäft kritisch über das Vorgehen des Regimes gegen Röhm und die SA, wurde daraufhin verhaftet, aber bald wieder freigelassen. Der Oberkasseler Verleger Johannes Düppen kritisierte 1934 im Friseurladen die Unterdrückung der Presse, das Verfahren wurde eingestellt. 1941 verlangte er in seinem Stammlokal das Radio aus zu machen, als dort der Chefkommentator der Reichsregierung sprach. Der Anzeige folgte die Verhaftung, nur unter Mühen gelang es seinem Anwalt, das Verfahren zur Einstellung zu bringen.
Die einzigen unabhängigen Institutionen, die übrig blieben, waren die beiden Kirchen. Im Siebengebirge waren 89 Prozent der Bevölkerung Katholiken, 10,4 Prozent Protestanten. Die wenig euphorische und eher zurückhaltende Einstellung der katholischen Bevölkerung gegenüber der NSDAP beruhte auf der bereits vor 1933 erfolgten Ablehnung aus weltanschaulichen Gründen. Die Kirche suchte - im Bestreben sich der allgemeinen Gleichschaltung zu entziehen - das Arrangement mit dem NS-Staat durch den Abschluss des Reichskonkordates. Doch was von katholischer Seite als rechtliche Sicherung ihrer Institutionen und Organisationen gedacht war, erwies sich in der Folgezeit als Illusion im totalitären Staat, so dass die Kirche im Vorfeld, das die Verbände und Vereine bildeten, kämpfen musste. Die katholischen Jungmännervereine verloren immer mehr Mitglieder an die HJ, die Zusammenstöße provozierte. Erst wurde ihnen das öffentliche Auftreten verboten, dann wurden die Vereine selbst verboten. Nahezu jeder Geistliche im Siebengebirgsraum hatte Zusammenstöße mit der politischen Polizei. Als besonders renitent galt der für die Jugendarbeit zuständige Honnefer Kaplan Simons, dessen Einstellung zum Regime Bürgermeister Behr als „offen ablehnend“ beschrieb. Der Rhöndorfer Pfarrer Contzen wurde von der Gestapo wegen Kanzelmissbrauchs und Nichthissens der Fahne verwarnt.
Der Frömmigkeit taten diese Geschehnisse keinen Abbruch, Prozessionen und traditionelle Wallfahrten hatten hohe Teilnehmerzahlen. Sie waren Demonstrationen für den Glauben, den die Menschen bedroht sahen. Es gab trotz einer regelrechten Kampagne der Partei kaum Kirchenaustritte im Dekanat Königswinter (0,14-0,21 Prozent).
Die anfängliche Begrüßung der nationalsozialistischen Machtübernahme und die Bereitschaft am Aufbau einer autoritären, nationalen und antikommunistischen Herrschaft mitzuwirken, war bei weiten Kreisen der protestantischen Bevölkerung mit der Hoffnung verbunden gewesen, an der nationalen Aufbruchstimmung teilzuhaben und das Gemeindeleben neu zu gestalten. Aus diesem Grunde schlossen sich viele Protestanten den „Deutschen Christen“ an, die eine gleichgeschaltete nationale Kirche propagierten. Für das sich etablierende NS-Regime stellten sie zu diesem Zeitpunkt eine Stütze dar, so dass keine Veranlassung zu Gewaltmaßnahmen gegen Personen und Organisationen der evangelischen Kirche bestand. Nach einer Rede des Berliner Gauobmanns im November 1933 verloren sie aber den allergrößten Teil ihrer Anhängerschaft. Stattdessen wandten sich die meisten Protestanten unter der Führung ihrer Pfarrer der „Bekennenden Kirche“ zu und stellten sich auch dem Totalitätsanspruch des NS-Regimes entgegen. Sie leistete keinen Widerstand in dem Sinne, dass sie auf einen politischen Umsturz zielte, aber sie unterwarf sich auch nicht willenlos dem Staat. Pfarrer Josten wurde sogar für kurze Zeit in Haft genommen. Alle drei Pfarrer weigerten sich 1938, den geforderten Eid auf den „Führer“ abzulegen und zählten deshalb zu den „radikalen Bekenntnispfarrern“. Die Gestapo überwachte ihre Predigten und Veranstaltungen, verbot die Verbreitung von Flugblättern, Versammlungen und Reden. Die Arbeit der Bekenntnispfarrer hatte oft illegalen und konspirativen Charakter, um die interne Kommunikation und die Verbindung zu anderen Bekennenden Gemeinden aufrecht zu erhalten.
Ein organisierter Widerstand mit der Zielrichtung des politischen Umsturzes und der Beseitigung des nationalsozialistischen Regimes wie ihn die Kommunisten noch in den ersten Jahren versuchten, kann im Siebengebirge nicht festgestellt werden. Der Widerstand Einzelner, ohne Unterstützung durch eine Organisation, muss umso höher bewertet werden.
Insofern stellt der Fall des Kaufmanns Franz Zeitz eine Ausnahme dar. Zeitz betrieb eine Spirituosengroßhandlung in Dortmund, die er 1934 nach Honnef verlegte. Ob Zeitz bereits vor der Machtübernahme ein Gegner des Nationalsozialismus war oder erst im Laufe der Zeit dazu wurde, bleibt offen. Möglicherweise war der Krieg ein auslösendes Moment für sein Handeln. Zeitz brachte an verschiedenen Orten, unter anderem in Bad Godesberg, Mehlem und Rolandseck, selbstangefertigte Schreiben gegen das NS-Regime zum Aushang. Die öffentliche Aktion blieb nicht ohne Folgen: Am 18.12.1940 verhaftete ihn die Gestapo. Wahrscheinlich brachte sie ihn zunächst in die Bonner Außendienststelle, denn erst acht Tage später erfolgte die Einlieferung in das Bonner Gefängnis. Die Familienangehörigen durften den Inhaftierten nicht besuchen. Eine Woche später, am 2.1.1941, starb Zeitz. Offiziell hatte er sich selbst getötet, doch seine Witwe bezweifelte dies. Angesichts der oft brutalen Verhörmethoden der Gestapo ist sowohl das Eintreten des Todes als Folge von Misshandlungen als auch der Freitod als Ausweg vor weiteren Quälereien denkbar. Seine einsame Tat ist in Vergessenheit geraten, sein Mut sollte aber gewürdigt werden.
Die neuen Verordnungen und Einschränkungen nach Kriegsausbruch betrafen hauptsächlich den wirtschaftlichen Bereich. Ihre Durchsetzung führte zur Verfolgung von relativ geringen Tatbeständen, die aber in den Augen von Staat und Partei als staatsgefährdend eingestuft und dementsprechend hart bestraft wurden. Während der größte Teil der Ermittlungen unter die Bestimmungen des Kriegswirtschaftsgesetzes fiel, geriet ein Ehepaar in den Verdacht des Abhörens ausländischer Sender. Dies stand seit dem ersten Kriegstag unter Strafe. Drohte bei bloßem Zuhören bereits eine Zuchthausstrafe, so konnte das Verbreiten des Gehörten mit dem Tode bestraft werden. Zur Abschreckung finden sich in den lokalen Zeitungen immer wieder Meldungen über Verurteilungen von vier bis fünf Jahren Zuchthaus.
Von vorneherein ausgegrenzt aus der „Volksgemeinschaft” waren aus ideologischen Gründen bestimmte Personengruppen, die sich bewusst der Vereinnahmung entzogen oder ohne eigenes Verschulden durch das nationalsozialistische Raster fielen und deshalb die Verfolgung durch einschränkende Maßnahmen des Staates bis hin zur physischen Vernichtung zu erleiden hatten. Zu den verfolgten Gruppen zählten die politisch-ideologischen Gegner wie Kommunisten, Sozialdemokraten und Gewerkschafter, die religiös-weltanschauliche Konkurrenz der katholischen Kirche, der Bekennenden Kirche und der Zeugen Jehovas, sowie alternative Jugendbewegungen wie die Edelweißpiraten. Parallel dazu fand die rassenideologisch motivierte Verfolgung von Erb- und psychisch Kranken, geistig Behinderten, Juden, Zigeunern und Homosexuellen statt. Aber auch „Asoziale” und „Gewohnheitsverbrecher” zählten zu ihren Opfern. Sie alle galten als minderwertig und standen dem Ziel einer uniformierten „Volksgemeinschaft” im Wege.
Zu den rassenideologischen Vorstellungen der Nationalsozialisten gehörte die durch „Erbgesundheitspflege” geförderte Reinhaltung der „arischen Rasse”. Das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses” schuf die Grundlage für die Verfolgung von körperlich und geistig Behinderten. Im Kreisarchiv in Siegburg sind in den Akten des für den Kreis zuständigen Gesundheitsamtes von 1934 bis 1943 gut 2.400 Fälle dokumentiert, in denen Menschen in das Verfahren gerieten, das zur Sterilisation führen konnte. Die Sterilisation war aber nur der erste Schritt. Kranke, die in den Heil- und Pflegeanstalten versorgt wurden, waren ihrer Ansicht nach für das Volkswohl nutzlos. Unter dem Deckmantel des Kriegs ging das Regime dazu über, ein Euthanasie-Programm einzuleiten und „lebensunwertes Leben” zu vernichten.
Knapp 2.000 Gesetze, Verordnungen und Richtlinien wurden zwischen 1933 und 1945 in Deutschland erlassen und dokumentieren das Ausmaß des „Sonderrechtes für die Juden im NS-Staat“. Einige Schlaglichter: Bereits im März 1933 kam es im Siegkreis zu Exzessen: in Siegburg und in Honnef wurden Juden misshandelt. In den anderen Orten des Siebengebirges blieb es ruhig. Am 1.4.1933 mussten die Juden den Boykott ihrer Geschäfte erleben. Obwohl es zunächst noch keine systematische wirtschaftliche Verdrängung gab, mussten viele jüdische Geschäftsleute bald aufgeben. 1935 schlossen die Metzgereien Leopold in Honnef und Levy in Oberdollendorf, 1936 die Möbelfabrik Salm in Honnef, 1937 das Schuhgeschäft Cahn in Königswinter und die Metzgerei Wolff in Oberdollendorf, 1938 die Metzgerei von Hermann Leopold. Im Juli 1938 entzogen die Behörden Juden die Wandergewerbescheine; hier traf es Marx in Oberdollendorf und Cohn in Oberpleis. Im selben Jahr brannten am 10. November die Synagogen in Honnef und Oberdollendorf. Dies nahm die Regierung zum Anlass, die Juden mit einer „Sühneleistung“ finanziell auszunehmen, vor allem aber sie endgültig aus der Wirtschaft zu verdrängen, indem sie ihnen jede gewerbliche Tätigkeit verbot. Jetzt schlossen auch die Metzgerei Leopold in Königswinter und die Pension Marx in Oberdollendorf.
Nach Kriegsausbruch verschärften sich die Maßnahmen gegen die Juden, die geblieben waren: Ausgehverbote, 1941 die Zusammenlegung in nur von Juden bewohnten Häusern, die Einweisung in ein Lager in Much und schließlich der Abtransport im Sommer 1942 nach Osten, zur Ermordung. Ihren Besitz sicherte sich der Staat.
Ausgenommen waren zunächst nur Juden, die mit einem Arier verheiratet waren, und die so genannten Mischlinge. Bei ihnen war ein Elternteil oder ein Großelternteil jüdisch gewesen. Im September 1944 sollten diese zum Arbeitseinsatz für die Rüstungsindustrie herangezogen werden. In Honnef kam es zu einer Verzweiflungstat. Das zugezogene Ehepaar Ernst August und Alice Müller erhielt die Aufforderung, sich mit dem Notwendigsten bei der Polizei zu melden. Die 72-jährige Frau beging daraufhin Selbstmord. Hedwig Bretz, die Frau des Kunstmalers, flüchtete zu Bekannten. In Königswinter warnte der Polizist Mathias Dux die Familie Kern, worauf Frau Kern flüchtete. In Oberdollendorf informierte der Polizist Hubert Müller die Familie Steeg. Doch Martha Steeg und ihr Sohn Günther flohen nicht. Am nächsten Tag brachte die Polizei sie in einem Lastwagen über Siegburg in das Lager Köln-Müngersdorf. Da Günther Steeg zu jung zum Arbeiten war, durfte er wieder nach Hause. Martha Steeg musste in den Henschel-Werken in Hessisch-Lichtenau arbeiten. Von dort floh sie und versteckte sich mit ihrem Sohn bei einer Freundin der Familie in Niederdollendorf. Erst das Kriegsende bereitete den Verfolgungen und damit den Ängsten ein Ende.
3. Zwangsarbeiter
Der Krieg war das Ziel Hitlers. Von Anfang an waren alle Vorbereitungen auf eine künftige militärische Auseinandersetzung gerichtet. Die Rüstung hatte Vorrang vor allem. Bereits vor Kriegsausbruch herrscht im Deutschen Reich Vollbeschäftigung, Facharbeiter wurden dringend gesucht.
Als Ersatz für die eingezogenen Männer wurden Frauen dienstverpflichtet. Ende 1939 waren in Oberkassel etwa 100 Frauen aus dem Moselraum einquartiert, die von hier aus zur Arbeit in den Sprengstoffwerken in Troisdorf fuhren. Rüstungsbetriebe bekamen Frauen zugewiesen. Privatunternehmen mussten selbst um Arbeitskräfte werben. Allerdings versuchten immer mehr Frauen, sich der Dienstpflicht zu entziehen. Darüber beklagte sich der Königswinterer Bürgermeister 1943: Über den Arbeitseinsatz der Frauen werden immer wieder Klagen laut über Mangel an Arbeitswillen, unbegründete Krankmeldungen und unentschuldigtes Fehlen.
So zögerlich die deutsche Führung beim Heranziehen von Frauen zur Arbeit in den Betrieben war, so willig wandte sie sich den „Fremdarbeitern“ zu: Kriegsgefangenen und ausländischen Zivilarbeitern. Sie arbeiteten im Siebengebirge in der Landwirtschaft und in der Industrie, aber auch in Krankenhäusern, Kinderheimen und in Privathaushalten. Sie waren überall präsent und konnten im Alltag nicht übersehen werden.
Erfahrung mit ausländischen Arbeitern hatte die deutsche Wirtschaft bereits gesammelt: im Ersten Weltkrieg hatten Kriegsgefangene in den Werken in Niederdollendorf gearbeitet, andere in Oberpleis und Ittenbach in der Landwirtschaft. 1938 waren es Italiener, die in den Steinbrüchen aushalfen.
Die während des Zweiten Weltkrieges praktizierte Ausnutzung der ausländischen Arbeiter, die aus ganz Europa, vor allem aus der Sowjetunion, nach Deutschland geholt wurden, unterschied sich aber deutlich in der Anzahl und der Behandlung. Ihre Beschäftigung lässt sich grob in zwei Phasen unterteilen: Die erste dauerte von Kriegsbeginn bis etwa Anfang 1942, die zweite bis zum Kriegsende. In der ersten Phase kamen polnische und französische Kriegsgefangene sowie polnische, französische, belgische und niederländische Zivilarbeiter ins Siebengebirge. Letztere waren in ihren Heimatländern angeworbene Freiwillige und Kriegsgefangene, die ihren Status in den eines Zivilarbeiters umwandelten, um Erleichterungen zu erhalten. Praktisch seit Kriegsbeginn waren polnische Zivilarbeiter für den Einsatz in Deutschland angeworben, spätestens seit März 1940 aber auch zwangsweise ins Reich deportiert worden. Sie sollten hauptsächlich in der Landwirtschaft arbeiten. Die zweite Phase, die durch eine Verschärfung des Arbeitseinsatzes gekennzeichnet ist, begann nach dem Scheitern des deutschen Blitzkrieges in der Sowjetunion im Winter 1941/1942. Immer mehr Wehrpflichtige wurden der Wirtschaft entzogen. Durch die gleichzeitige Ankurbelung der Rüstungsindustrie stieg der Bedarf an Arbeitskräften enorm an. Trotz ideologischer und Sicherheitsbedenken entschied sich die Reichsführung für den Einsatz von sowjetischen Kriegsgefangenen und Zivilarbeitern, den so genannten Ostarbeitern.
Die genaue Zahl der Fremdarbeiter wird wegen der schlechten Quellenlage für die Region nicht zu beziffern sein, aber ihre Bedeutung für die Wirtschaft war eminent, so das Arbeitsamt 1941: Der Ausländereinsatz stellt in weitem Umfange das entscheidende Kräftereservoir dar. Fast sämtliche Wirtschaftszweige des Siegkreises haben Anträge auf Vermittlung von ausländischen Arbeitskräften gestellt. Im Sommer 1943 waren rund 9.000, im Juni 1944 10.586 „Fremdarbeiter“ im Siegkreis – ohne Kriegsgefangene und Häftlinge!
Die Meldungen von Zahlenmaterial über Fremdarbeiter durch die Firmen und die Verwaltungen nach dem Krieg sind kritisch zu betrachten, können aber durchaus als ein Minimalwert gesehen werden. In den Honnefer Konservenfabriken Weiershaus und Mundt waren nach diesen Angaben 80 beziehungsweise 55 Zivilarbeiter beschäftigt. Die Lemmerzwerke in Königswinter meldeten, dass in ihrem Lager etwa 150 Ostarbeiter und 80 französische Kriegsgefangene untergebracht waren. Im Lager auf dem Wintermühlenhof lebten zunächst 30 bis 35 polnische Kriegsgefangene, dann eine gleiche Anzahl von französischen Kriegsgefangenen. Die Stadtverwaltung Königswinter verzeichnete ab Mai 1942 noch Ukrainerinnen auf dem Wintermühlenhof. In Niederdollendorf waren bei den Didierwerken 180 und auf dem Rheinischen Vulkan 60 Zivilarbeiter beschäftigt worden.
Zusammengerechnet ergibt das mindestens 710 Fremdarbeiter. Bei dieser Aufstellung ist zu berücksichtigen, dass nicht alle Unternehmen aufgeführt sind. Die Königswinterer Lager der Troisdorfer Dynamit AG mit nahezu 400 Zivilarbeiterinnen (1941-1943) und der Firma Aero-Stahl mit mindestens 200-300, möglicherweise auch 400 Arbeitern (1944-1945), müssen noch ergänzt werden, so dass sich die Zahl allein dadurch schon verdoppelt. Kleinere Firmen, Betriebe und Privathaushalte fehlen an dieser Stelle ganz. Weiterhin muss von einer gewissen Fluktuation ausgegangen werden, wenn beispielsweise französische Kriegsgefangene durch russische ersetzt wurden oder Rüstungsbetriebe mit Rücksicht auf die Dringlichkeit Arbeitskräfte aus der Landwirtschaft zugewiesen bekamen, die zum Teil anschließend wieder für die Ernte zurückgingen. In Oberpleis wurden im April 1945 rund 200 in der Landwirtschaft beschäftigte Ausländer „abtransportiert”. Als Minimalzahlen sind für Honnef 262, Königswinter 890, Oberkassel 428 und Oberpleis 281 anzusetzen, so dass insgesamt mindestens 1.861 Fremdarbeiter im Siebengebirgsraum beschäftigt waren. Die tatsächliche Zahl lag sicherlich bei weitem höher.
Die Organisation des „Ausländereinsatzes” lag in den Händen der Arbeitsverwaltung, das heißt der Arbeitsämter. Sie warben in Polen und in den besetzten westlichen Gebieten, um Arbeitskräfte per Vertrag nach Deutschland zu holen. Sie hatten zunächst Erfolg, aber nach schlechten Erfahrungen sank die Bereitschaft zusehends und führte 1942 zur Einführung einer allgemeinen Dienstverpflichtung. Im gleichen Jahr erhielt der Thüringer Gauleiter Fritz Sauckel (1894-1946) als Generalbevollmächtigter für den Arbeitseinsatz weitgehende Vollmachten, um Fremdarbeiter aus den besetzten Gebieten auch zwangsweise nach Deutschland zu bringen. Damit zeigte sich hier wieder das für den NS-Staat typische Nebeneinander von staatlicher Verwaltung und Partei, denen bewusst überschneidende Kompetenzbereiche zugeordnet wurden.
Die Firmen vor Ort konnten beim Arbeitsamt in Siegburg ihren Bedarf anmelden und bekamen dann Arbeitskräfte zugewiesen. Größere Betriebe waren bereit und fähig, eigene Lager zur Unterbringung einzurichten, für kleinere Betriebe konnten die Gemeinden Sammelunterkünfte einrichten.
Bei der Ankunft in der jeweiligen Gemeinde wurden die Ausländer von den Meldestellen registriert. Für die Überwachung war die Polizei zuständig. Die Bestrafung und Disziplinierung der Polen und Ostarbeiter übernahm die Gestapo. Das Wirtschaftsamt organisierte die Versorgung. In den Betrieben hatte die DAF die Betreuung der ausländischen Arbeitskräfte zu übernehmen. Die Kriegsgefangenen befanden sich im Gewahrsam der Wehrmacht und wurden auch von ihr bewacht.
Die Lebensbedingungen der Fremdarbeiter unterschieden sich generell nach der „Rassezugehörigkeit”. Westarbeiter genossen größere Freizügigkeiten und wurden in der Regel besser behandelt als Ostarbeiter. Untergebracht waren die Fremdarbeiter in Lagern und Privatunterkünften. Westarbeitern war es oft erlaubt, in privaten Quartieren zu wohnen. Ihr Alltag war keinen Regeln unterworfen. Sie konnten sich frei bewegen. Die meisten Westarbeiter waren aber auch in Lagern untergebracht, so zum Beispiel in Königswinter im Düsseldorfer Hof. Polen und Ostarbeiter lebten grundsätzlich in Lagern. Dies diente einerseits zur Überwachung und Kontrolle, andererseits sollte auf diese Weise ein Kontakt mit der Bevölkerung vermieden werden. Die Organisation dieser Lager lag in den Händen der Firmen, die dafür den so genannten Werkschutz einsetzten. Die Kriegsgefangenen waren ebenfalls in Lagern untergebracht. Über die hygienischen Zustände in den Lagern lassen sich keine Angaben machen., in vielen Lagern in Deutschland waren sie sehr schlecht, so dass sich Ungeziefer und Krankheiten verbreiteten. Die dienstverpflichteten Rüstungsarbeiterinnen der Troisdorfer Dynamit AG nutzten die öffentliche Badeanstalt.
Den Fremdarbeitern fehlte es oft an Kleidung, vor allem aber an Schuhwerk. Der Königswinterer Bürgermeister berichtete 1942, dass den Arbeitern bei der Anwerbung gesagt wurde, sie bekämen Schuhe und Kleidung. Da aber in Deutschland Mangel gerade bei Schuhen herrschte, war die Situation hier für die ausländischen Arbeitskräfte teilweise katastrophal. Die Arbeiterinnen, die im Düsseldorfer Hof untergebracht waren, fuhren in Pantoffeln zu ihren Arbeitsstellen nach Troisdorf. Ein Augenzeuge berichtete, dass die in den Basaltwerken im Raum Oberpleis eingesetzten Russen sogar im Winter ohne Schuhe zur Arbeit gingen.
Die Lebensmittelversorgung der eigenen Bevölkerung zu sichern, um das Regime zu stützen, war eine Lehre, welche die Nationalsozialisten aus dem Ersten Weltkrieg gezogen hatten. Die Bewirtschaftung setzte mit Kriegsbeginn ein und sorgte dafür, dass die Deutschen während des ganzen Krieges nicht hungern mussten. Bei den ausländischen Arbeitskräften gab es Abstufungen bei der Zuteilung. Die privat untergebrachten Fremdarbeiter bekamen Lebensmittelkarten, die den deutschen Rationen entsprachen. In den Lagern gab es Gemeinschaftsküchen. Kriegsgefangene erhielten lediglich zwei Drittel der Rationen.
Sowjetische Kriegsgefangene und Ostarbeiter bekamen noch weniger. Ihre Verpflegung sollte lediglich den Arbeitseinsatz sicherstellen. Der Zustand der sowjetischen Kriegsgefangenen, die der deutschen Wehrmacht zu Tausenden in die Hände gefallen waren und als „minderwertig” behandelt wurden, war katastrophal, viele waren so entkräftet, dass sie nicht arbeiten konnten. Der Kreiswirtschaftsberater der NSDAP, selbst Unternehmer, berichtete 1941, dass die Arbeitsleistungen der sowjetischen Kriegsgefangenen „ganz erheblich” hinter denjenigen anderer Kriegsgefangener zurückstanden. Er führte dies auf die bedeutend niedrigere Zuteilung von Nahrungsmitteln zurück: Sollten nicht Gründe der Vergeltung oder sonst zwingende die Minderzuteilung erfordern, so dürfte jedenfalls eine bessere Versorgung der russischen Kriegsgefangenen unbedingt im Interesse des Arbeitseinsatzes gelegen sein. Eine Verbesserung der Versorgung sollte also nicht aus humanitären Gründen stattfinden, sondern nur, um die Arbeitskraft zu erhalten. Tatsächlich wurden nun Verpflegungssätze festgelegt, die ein Überleben ermöglichten. Aber im April 1942 waren die Ernährungsämter gezwungen, die Rationen für die deutsche Bevölkerung zu senken. Dies hatte zur Folge, dass die Verpflegung der sowjetischen Fremdarbeiter zusätzlich sank.
Allgemein war aber die Versorgungslage für die Fremdarbeiter in der Region unzureichend. Im Sommer häuften sich die Obstdiebstähle. Mehrer Zeitzeugen berichten, dass die russischen Kriegsgefangenen Spielsachen aus Holz schnitzten und sie bei Kindern gegen Brot eintauschten. Der Zustand der Ostarbeiter und der sowjetischen Kriegsgefangenen erregte oft das Mitleid der Deutschen, insbesondere von Frauen. Kontakte aber wurden verfolgt und bestraft. Wegen Brotabgabe an Ostarbeiter wurde die in Königswinter wohnende Händlerin Paula Hecker 1944 in Bonn zu 500 Reichsmark oder 50 Tagen Gefängnis verurteilt, ihr Ehemann ebenfalls.
Da die Westarbeiter wie ihre deutschen Kollegen krankenversichert wurden, war deren medizinische Versorgung gesichert. Polen und Ostarbeiter hingegen hatten, obwohl der Unternehmer einen geringen Betrag an die Krankenkasse zahlte, keinen Anspruch auf Lohnfortzahlung. Sie erhielten lediglich weiterhin freie Unterkunft und Verpflegung. Die sowjetischen Kriegsgefangenen waren krankheitsanfälliger als alle anderen, was mit der schlechteren Versorgung zusammenhing. Im April 1943 berichtete der Amtsbürgermeister von Oberkassel: Von 150 Kriegsgefangenen, die die Firma Rheinischer Vulkan hat, befinden sich zur Zeit noch 80 im Betriebe. Die in Abgang gekommenen 70 Kriegsgefangenen waren im wesentlichen krank und zum Teil auch von Anfang an nicht einsatzfähig. Zum Teil waren sie aber auch der Arbeit in einem Industriebetriebe nicht gewachsen. Begründet wird die Krankheitsanfälligkeit nach Urteil der betreffenden Ärzte auf Mängel in der Ernährung.
Waren Ostarbeiterinnen schwanger, wenn sie in Deutschland eintrafen, wurden sie anfangs zurücktransportiert, ab 1943 ließen die Behörden Abtreibungen zu. Viele brachten ihre Kinder in Deutschland zur Welt. Mindestens vier lassen sich für die hiesige Region nachweisen, zwei davon verstarben noch im ersten Lebensjahr.
Die häufigsten Todesursachen der ausländischen Arbeitskräfte waren Tuberkulose und Lungenentzündung, hervorgerufen durch mangelnde Verpflegung und fehlende medizinische Betreuung, insbesondere bei den aus dem Osten stammenden Fremdarbeitern. Ein Russe wurde 1942 auf der Flucht erschossen, fünf starben bei Bombenangriffen, viele in den Kriegshandlungen im März 1945. Insgesamt können 34 Tote nachgewiesen werden, etwa 2 Prozent.
Hinsichtlich der Bewegungsfreiheit gab es verschiedene Abstufungen. Westarbeiter und Arbeitskräfte aus den mit Deutschland verbündeten Staaten durften sich frei bewegen. Die Bestimmungen für polnische Arbeitskräfte und Ostarbeiter waren bedeutend strenger. Die Polen durften nicht in Kinos, Theater, Gaststätten und Kirchen gehen. Ebenso war es ihnen untersagt, den Stadt- beziehungsweise Amtsbezirk zu verlassen. Zur Kennzeichnung hatten sie ein „P” auf der Brust zu tragen. Bei den Ostarbeitern war der Ausgang noch stärker reglementiert. Sie durften nur in Gruppen und mit deutscher Begleitung Ausflüge machen. Um als Ostarbeiter erkannt zu werden, hatten sie das „Ost-Abzeichen” auf der Brust zu tragen. Ab Ende 1942 griff die Polizei mehrfach Ostarbeiter auf, die sich ohne deutsche Begleitung in Königswinter bewegten. Die Bevölkerung wurde durch die Presse auf die Verhaltensregeln aufmerksam gemacht.
Arbeiter aus den verbündeten Staaten und Westarbeiter waren unter denselben Bedingungen wie ihre deutschen Kollegen beschäftigt: Sie erhielten Tariflöhne und zahlten dieselben Abgaben, waren kranken- und sozialversichert.
Polnischen Arbeitskräften wurde bei der Ankunft ein Merkblatt verlesen, das ihre Pflichten enthielt und mit harten Strafen im Falle des Verstoßes drohte. Die Bezahlung erfolgte nicht nach den für Deutsche gültigen Tarifen, sondern die Löhne waren deutlich niedriger und galten auch für die in der Industrie arbeitenden Polen. Damit die Arbeitskraft für die Betriebe nicht zu billig wurde und diese die deutschen durch polnische Arbeitskräfte ersetzten, wurde 1940 eine Sondersteuer in Höhe von 15 Prozent als „Sozialausgleichsabgabe” erhoben. Sonderzahlungen und Urlaub (außer in Notfällen) erhielten die Polen nicht.
Die Arbeitsbedingungen für Ostarbeiter waren unter rassenideologischen Gesichtspunkten gestaltet worden. Da von den „bolschewistischen Untermenschen” kein Spezialwissen erwartet wurde, sollten sie lediglich für schwere und schmutzige Hilfsarbeiten eingesetzt werden. Von den in Deutschland ansonsten geltenden arbeitsrechtlichen Bestimmungen für Arbeitszeit, Tariflöhne und Arbeitsschutz waren Ostarbeiter weitgehend ausgeschlossen, ihre Krankenversorgung war notdürftig. Sie zahlten zunächst keine Lohnsteuer, da sie keinen Lohn, sondern nur ein „Entgelt” bekamen. Die Arbeitgeber hatten eine Sondersteuer, die „Ostarbeiterabgabe”, zu zahlen.
Im Betrieb hatten die Ostarbeiter den Anordnungen des deutschen Personals zu gehorchen. Größere Unternehmen besaßen einen Werkschutz, der die Überwachung und Kontrolle übernahm. Der Betriebsführer und die Wachleute konnten Bestrafungen vornehmen wie Ausgangssperre, Stubendienst oder Strafarbeit. Misshandlungen von Fremdarbeitern waren offiziell untersagt, kamen aber immer wieder vor. Für das Siebengebirge gibt es vereinzelte Hinweise darauf.
Die Niederlage von Stalingrad im Februar 1943 bewirkte eine Veränderung bei der Behandlung der Arbeitskräfte aus dem Osten. Sie standen nicht mehr unbegrenzt zur Verfügung. Zudem hatten viele Betriebsführer erkannt, dass unter ihnen qualifizierte Fachkräfte waren. Es kam zu leichten Verbesserungen in der Versorgung und zur Lockerung der strengen Bestimmungen. Obwohl jetzt auch die Propaganda ihren – unfreiwilligen – Beitrag zum „Kampf Europas gegen den Bolschewismus” würdigte, blieb das Alltagsleben der Ostarbeiter doch weiterhin von Repression und Rassismus bestimmt. 1944 wurden sie sozialversicherungs- und lohnsteuerpflichtig, der Arbeitgeber zahlte statt der „Ostarbeiterabgabe” wie bei den polnischen Arbeitskräften nun die „Sozialausgleichsabgabe.”
In den Betrieben waren der Betriebsführer, also der Unternehmer, und der Werkschutz für die Einhaltung der Arbeitsbestimmungen und die Disziplinierung der Fremdarbeiter zuständig. Außerhalb der Betriebe kontrollierte die Polizei die Ausländer und verfolgte Verstöße gegen die zahlreichen Bestimmungen und Gesetze. Handelte es sich um Westarbeiter, wurde Klage vor einem Gericht erhoben, bei Ostarbeitern übernahm die Gestapo die Bestrafung selbst. Aus dem Siebengebirge ist kein Fall bekannt, in dem gegen einen Fremdarbeiter die Todesstrafe ausgesprochen wurde. Die Tagebücher der Polizeiwache Königswinter von 1940 bis 1944 verzeichnen Verstöße von 248 Fremdarbeitern.
Meist waren sie bei Kontrollen aufgefallen. Da Königswinter mit dem Drachenfels ein beliebtes Ausflugsziel war, Polen und Ostarbeiter aber den Ortsbezirk nicht ohne Genehmigung verlassen durften, war dies bereits eine Übertretung der Bestimmungen. Oftmals wurden die Fremdarbeiter nach der Aufnahme der Personalien entlassen, manchmal holte ein Lageraufseher oder der Werkschutz sie ab. Vermutlich informierte die Kommunalpolizei den Betriebsführer und die Stapo, in deren Zuständigkeit die Ostarbeiter lagen. Diese verfügten dann über die Maßnahmen der Bestrafung.
Allen „Arbeitsunwilligen” – und dies galt auch für die deutschen Beschäftigten – drohte die Einweisung in ein „Arbeitserziehungslager” (AEL), das die Gestapo im Interesse der Unternehmen als unbürokratisches Instrument benutzte, um widerspenstige Arbeiter zu disziplinieren. Für die Einweisung genügte ein Antrag der Stapostelle. Die Haftzeit, im Schnitt sechs bis acht Wochen, galt nicht als Vorstrafe. Die Unternehmen bevorzugten die Einweisung in ein solches Lager, da ihnen die Arbeitskraft im Unterschied zur „Schutzhaft” nach dem Aufenthalt in einem AEL wieder zur Verfügung stand, und richteten sogar eigene Erziehungslager ein.
Nach der deutschen Niederlage von Stalingrad änderte sich die Stimmung bei den Fremdarbeitern spürbar. Das konnte der Amtsbürgermeister von Oberkassel bereits im Februar 1943 feststellen: In der letzten Zeit ist verschiedentlich die Beobachtung gemacht worden, daß französische Kriegsgefangene und ausländische Arbeiter in manchen Fällen ein sehr renitentes Wesen an den Tag legten. In den Betrieben kommen Kriegsgefangene und ausländische Arbeiter häufig nur widerwillig den Anordnungen nach, wodurch Betriebsstörungen unvermeidlich sind. Die Einstellung der genannten Arbeiter scheint auf die augenblicklichen Verhältnisse an der Ostfront zurückzuführen zu sein.
Weil immer mehr Fabriken in den Großstädten durch die sich steigernden Luftangriffe ab 1942 beschädigt oder zerstört waren, konnten die dort eingesetzten Fremdarbeiter nicht mehr beschäftigt werden. Sie wurden zunächst anderen Fabriken im Umland zugewiesen, wie der Landrat 1943 berichtete: Ein grosser Teil der durch den Bombenangriff auf Köln freigewordenen Ostarbeiter wurde dem Siegkreis zum Einsatz überwiesen. Hiervon sind die meisten Ostarbeiter flüchtig.
Die „Flucht” von der Arbeitsstätte beziehungsweise aus dem Lager galt als „Arbeitsvertragsbruch“. Bei Zivilarbeitern aus dem Westen sanktionierte die Justiz dies mit Gefängnishaft bis zu drei Monaten, für die Ostarbeiter war die Gestapo zuständig. Dies nahm gegen Ende des Krieges derartige Ausmaße an, dass die Gestapo offenbar hauptsächlich damit beschäftigt war. Im Sommer 1944 berichtet der Oberpleiser Amtsbürgermeister: In letzter Zeit werden in den landwirtschaftlichen Betrieben viele ausländische Arbeitskräfte flüchtig. Demnach verließen nicht nur die in der Industrie unter schwierigsten Bedingungen tätigen Fremdarbeiter ihre Arbeitsstellen, sondern auch diejenigen, die in der Landwirtschaft im Allgemeinen unter besseren Lebens- und Arbeitsbedingungen beschäftigt waren.
Vor dem Herannahen der Front wurden die Fremdarbeiterlager evakuiert, damit die Insassen nicht den Amerikanern in die Hände fielen. Sie mussten zu Fuß nach Osten laufen. Viele dieser Märsche bedeuteten für die durch mangelnde Versorgung und Arbeitslast erschöpften Fremdarbeiter eine weitere Strapaze. Unterwegs wurden sie von den deutschen Wachmannschaften rücksichtslos angetrieben, den Tod der Arbeiter bewusst in Kauf nehmend. Die Arbeiter der Firma Aero-Stahl wurden am Abend des 10.3.1945 von Soldaten mit Hunden in den Wald getrieben. Von Aegidienberg wurden 600 russische Zivilarbeiter, die im Saal Giershausen untergebracht waren, weiter nach Osten gebracht. Woher sie stammten, ist nicht bekannt. Vielen Fremdarbeitern gelang während dieser Evakuierungen die Flucht. Mit dem Einmarsch der Amerikaner in die Orte des Siebengebirges kam für die Fremdarbeiter die lang ersehnte Befreiung.
Am 21.3.1945 war der gesamte Siebengebirgsraum von amerikanischen Kampftruppen besetzt, die nationalsozialistische Diktatur in der Region beendet.
Quellen
Einschlägige Quellen zur Thematik finden sich vor allem in den Stadtarchiven Bad Honnef, Königswinter, Bonn, im Archiv des Rhein-Sieg-Kreises, im Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abteilung Rheinland sowie im Landeshauptarchiv Koblenz.
Literatur
Klein, Ansgar Sebastian, Aufstieg und Herrschaft des Nationalsozialismus im Siebengebirge, Essen 2008.
Rey, Manfred van, Die Juden von Königswinter. Zur Fernsehverfilmung einer wissenschaftlichen Veröffentlichung, in: Geschichte im Westen 2 (1987), S. 191-198.
Rey, Manfred van, Die jüdischen Bürger von Oberkassel, in: Bonner Geschichtsblätter 36 (1984), S. 291-334.
Rey, Manfred van, Juden in Königswinter, in: Unwiederbringlich vorbei. Geschichte und Kultur der Juden an Sieg und Rhein. 10 Jahre Gedenkstätte „Landjuden an der Sieg”, hg. v. Claudia Maria Arndt, Siegburg 2005, S. 170-177.
Rey, Manfred van, Leben und Sterben unserer jüdischen Mitbürger in Königswinter. Ein Buch des Gedenkens, Königswinter 1985.
Rey, Manfred van, Zur Geschichte der jüdischen Einwohner Königswinters, in: Juden an Rhein und Sieg, S. 320-327 (zitiert: Rey, Einwohner).
Weffer, Ralf/Weffer, Dirk, Alltag und Widerstand im Siebengebirge in den Jahren 1933 bis 1938, Maschinenschrift, Bonn 1981.
Bitte geben Sie beim Zitieren dieses Beitrags die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Klein, Ansgar S., Das Siebengebirge in der NS-Zeit, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/Themen/das-siebengebirge-in-der-ns-zeit/DE-2086/lido/57d12a61912d75.55474022 (abgerufen am 01.12.2024)