Der Kölner Arbeiterverein (1848/1849)
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1848 erreichte die Selbstorganisation der bürgerlichen Demokraten einen ersten Höhepunkt in Deutschland. In Köln versammelten sich am 3. März, angeführt von dem Armenarzt Dr. Andreas Gottschalk, ungefähr 5.000 Menschen, überwiegend Handwerksgesellen in Sonntagskleidung vor dem Rathaus, um den Gemeinderat – allerdings erfolglos - zur Annahme von sechs „Forderungen des Volkes“ zu bewegen, die als Flugblätter bereits von Hand zu Hand gingen. Sie zielten vor allem auf Gesetzgebung und Verwaltung durch das Volk, allgemeines Wahlrecht, Pressefreiheit sowie „Schutz der Arbeit und Sicherstellung der menschlichen Lebensbedürfnisse für alle“.
1. Andreas Gottschalks Initiative
Durch die Proklamation der „Forderungen des Volkes“ am Vorabend der Märzrevolution hatte Gottschalk weit über Köln hinaus Bedeutung erlangt. Nach der spektakulären Aktion im dortigen Rathaus drängte es ihn zu kontinuierlicher politischer Praxis. Bei der Behandlung seiner Patienten hatte er immer wieder festgestellt, wie viele Krankheiten durch miserable Lebens- und Arbeitsbedingungen hervorgerufen wurden. Diese Erfahrung führte ihn über den Rahmen seiner Berufspraxis hinaus und machte den bisher religiösen Humanisten darüber hinaus schließlich zum Sozialisten. Damit wurde er als Arzt zugleich ein Pionier der frühen Arbeiterbewegung, die von ihm wesentliche Impulse erhalten sollte.
Am 6. April erklärte er per Anzeige in der Kölnische Zeitung: „Ich beabsichtige mit Unterstützung mehrerer Freunde, einen demokratisch-sozialistischen Klub zu eröffnen und ersuche alle Gesinnungsgenossen und alle, die sich für eine entschiedene, fortschreitende Behandlung der Tagesfragen interessieren, ihre Teilnahme durch baldige Einzeichnung in die bei mir offenliegende Liste bekunden zu wollen. Eine vorbereitende Versammlung wird stattfinden, sobald Hundert gezeichnet haben.“
Eine Woche später fanden sich etwa 300 Männer, meist Arbeiter und Handwerker, in einer Kölner Wirtschaft zusammen. Gottschalk schlug vor, der Klub solle sich zunächst mit den Interessen der arbeitenden Klassen beschäftigen, denen „die Einsicht in ihre eigenen Verhältnisse am meisten not tue“. Neben organisatorischen Fragen befasste sich die Versammlung mit Vorschlägen zur Verbesserung der Lage der Arbeiter. Sie wählte Gottschalk zum Vorsitzenden, sodann die Sozialisten Fritz Anneke (1818-1872) und Nikolaus Hocker (1822-1900), den Sprachlehrer Andreas Renard , den Geometerkandidaten Johann Joseph Jansen (1825-1849)und Johann Wilhelm Prinz zu Sekretären. Als Basis des Vereins wurde ein provisorisches Komitee aus Vertretern einzelner Gewerke gewählt. Die meisten Berufe waren schon jetzt im bisher 32-köpfigen Komitee vertreten: Steinbauer, Schuster, Schneider, Schmiede, Anstreicher, Lithographen, Schreiner, Färber, Bäcker, Barbiere, Buchbinder, Maler, Gewerbetreibende, Kaufleute, Maschinenbauer, Fassbinder, Schiffer, Schlosser, Klempner, Gerber, Sattler, Goldarbeiter, Tapezierer, Instrumentenmacher, Uhrmacher, Vergolder, Fabrikarbeiter, Bierbrauer, Branntweinbrenner, Metzger, Drechsler, Zimmerleute und Silberarbeiter. Manche Komiteemitglieder vertraten zwei Berufe. Für die Gruppe der „Gelehrten“ wurde Gottschalks Freund Moses Hess nominiert, der Köln allerdings wenig später verließ. Aus dem alten sozialistischen „Kränzchen“, das sich um die aus Westfalen gekommenen Mathilde und Fritz Anneke gebildet hatte, kamen Nikolaus Hocker, der Barbier (Egelbert) Bedorf und der Schuster (Josef) Heymann. Nach lebhaften Diskussionen wurde „nach dem Beispiel der Schwesterstadt Mainz“ der Name „Arbeiterverein“ einstimmig angenommen.
Eine der ersten Petitionen des Arbeitervereins richtete sich an Ministerpräsident Ludolf Camphausen. An ihn wurden dringende, von Höflichkeitsformen freie Forderungen gestellt: „Von der so verhaßten Steuer auf den nothwendigsten Lebensmitteln haben Sie nur die Mahlsteuer augenblicklich entfernt. Erwarteten oder wünschten Sie etwa, daß die große Klasse der Handwerker und Arbeiter fortan nur Roggenbrot zur Nahrung nehmen solle? Berufen Sie sich nicht darauf, daß einer späteren gesetzgebenden Versammlung die gänzliche Entfernung der Lebensmittelsteuer müsse vorbehalten bleiben. Wozu wäre dann wohl Ihre Minister-Verantwortlichkeit? Wir sagen Ihnen, die arbeitende Klasse hat keine Zeit zu verlieren – sie hungert! Wehren Sie, Herr Ministerpräsident, dem Elende der Massen, und keine gesetzgebende Versammlung wird es wagen dürfen, keine, die aus dem Volke wirklich hervorgegangen, wird es wagen wollen, einer Lebensmittelsteuer das Wort zu reden.“ Weiter forderte die Petition für Arbeiter die Errichtung einer Unterstützungskasse, die es, ausgestattet mit einer Million Mark, für Fabrikanten und Kaufleute bereits gab; außerdem die Berufung eines Komitees, das über den Erlass rückständiger Mieten beraten sollte.
Ein Brief an den Mainzer Arbeiterverein verriet Gottschalks Sprache: „Brüder! Durch den glorreichen Barrikadenkampf am 18. und 19. März hat das Berliner Volk bewiesen, daß es seine politische Mündigkeit erlangt habe, und daß es für Preußen ebenso wie für ganz Deutschland an der Zeit sei, alle die Versprechungen, welche, mit den Anstrengungen und dem Blute von Hunderttausenden auf den Schlachtfeldern von Leipzig und Waterloo besiegelt worden, nicht allein auf dem Papiere, sondern auch in der Wirklichkeit bestehen zu lassen.“ Der Brief endete mit der Parole: „Wir wollen Alles für das Volk, Alles durch das Volk und unsere Losung sei: Freiheit, Verbrüderung, Arbeit!“
2. Publikation und Wachstum des Arbeitervereins
In den Komitee-Sitzungen der folgenden Woche drängte Gottschalk auf rasches Erscheinen einer Vereinszeitung. Das Blatt sollte einmal oder zweimal wöchentlich mit der gemeinsam beschlossenen Parole „Freiheit, Brüderlichkeit, Arbeit“ erscheinen. Die erste Ausgabe erschien mit einem Bericht über die bisherige Arbeit und einem Appell: „Arbeiter! Eure Brüder in den Hauptstädten Deutschlands und Frankreichs haben den Opfertod für die Freiheit nicht gescheut, haben heldenmüthig für Euch Alle gekämpft, gesiegt. - An Euch ist es jetzt, diesen Sieg zu benutzen und Euch würdig zu zeigen Euerer tapferen Brüder und der Freiheit, für die sie in den Tod gegangen! Arbeiter aller Gewerbe, die Ihr kümmerlich von dem Werke Eurer Hände lebt, haltet fest zusammen! Vereinigt Euch zur Berathung Eurer Interessen! Keine despotische Gewalt hindert Euch mehr, Eure Angelegenheiten gemeinsam zu besprechen, Euer Beschwerden öffentlich vorzubringen und Männer aus Eurer Mitte zu wählen, welche das Recht haben, Gesetze im Interesse der Arbeiter zu geben, damit auch Eure Klasse endlich ihren gerechten Anteil erlange an den Früchten des Lebens, die sie selbst hervorbringt! In vielen Städten Deutschlands haben sich bereits zu diesem Zwecke Arbeitervereine gebildet, welche miteinander in Verbindung treten, und auch hier, es wird Euch gewiss nicht unbekannt geblieben sein, auch hier in Köln haben sich schon zu gleichem Zwecke viele Arbeiter aus allen Gewerken brüderlich die Hand gereicht und einen Verein gegründet, dessen Losung ist: Freiheit, Brüderlichkeit, Arbeit. Ihm schliesst Euch alle an in Eurem, in des Vaterlands Interesse!“
Die Kölner Arbeiter und Handwerker reagierten prompt, der Verein wuchs rasch auf 4.000, bis zum Mai auf 5.000 Mitglieder an. Sechs Untervereine betrieben in verschiedenen Lokalen zweimal wöchentlich Aufklärungs- und Bildungsarbeit. Als Präsident des Gesamtvereins war Gottschalk die unbestrittene Führungsfigur. Am 1. Mai nahm die Kölnische Zeitung einige seiner Reden aufs Korn. In einer Extrabeilage der Vereinszeitung hatte er verkündet: „Ich bin stolz auf Euch! Inmitten der Verleumdungen und Bedrohungen, welche mich verfolgen, erhebt mich der Gedanke, daß Ihr mich kennt, daß Ihr mich liebt wie Eueren Freund, Eueren Bruder.“ Die Kölnische Zeitung attackierte ihn aufgrund solcher Bemerkungen mit einer „von einem Freunde der Arbeiter“ unterzeichneten Anzeige. „Wir haben zu deutlich gesehen, daß die Arbeiter nur die Mittel sind, ihm zu seinen selbstsüchtigen Zwecken zu verhelfen, obgleich er sich bis dahin so klug hinter dem Mantel der Brüderlichkeit versteckte.“ Die Arbeiter sollten sich nicht von einem ehrgeizigen Mann „betören“, vor allem aber sich nicht von ihm „gegen die besitzende Klasse aufreizen“ lassen. Er zerstöre „das so notwendige Verhältnis zwischen Arbeitgebern und Arbeitern“. Noch direkter enthüllte der anonyme Angreifer seine wahren Interessen, wenn er die Arbeiter ermahnte: „Es gibt Männer genug, die Euch vorstehen werden, die eure Wünsche berücksichtigen werden und geeignete Mittel besitzen, sie höheren Orts vorzubringen.“ Dass solche und ähnliche Hetzreden in Köln nicht ohne Wirkung blieben, zeigte das öffentliche Angebot eines Bierbrauers, demjenigen 25 Taler zu geben, der ihm „die Haut oder das Fell des Dr. Gottschalk bringen werde, „selbst wenn sie durchlöchert wäre“. Die Vereinszeitung konterte: „Wir geben 50 Thlr. dem, welcher uns augenscheinlich beweisen kann, daß Herr Konzen nicht Stroh, sondern Grütze im Kopf hat.“
3. Reformvorschläge und Wahlboykott
„Vollständige Erziehung aller Kinder auf öffentliche Kosten“ hatte Gottschalk am 3. März vor dem Kölner Gemeinderat gefordert. In einem Schreiben an Oberbürgermeister, Beigeordnete und Stadträte erläuterte er nun im Namen des Vereinskomitees seine Forderungen. Die europäische Revolution habe den „Grundsatz der Verschmelzung“ aller Stände und Klassen und der „Verbrüderung aller Menschen“ ausgesprochen. Damit wandte er sich von der These des Kommunistischen Manifests ab, die klassenlose Gesellschaft sei nur durch den Klassenkampf zu erreichen. Um die Verbrüderung zu erreichen gehe es zunächst darum, „alle Hindernisse, alle Trennungen, die aus einer veralteten Anschauung, die aus der Ansicht von der Nothwendigkeit einer Sonderung der Stände oder Klassen hervorgegangen sind, aus dem Wege zu räumen“.
Dieses Ziel konkretisierte er im Blick auf den problematischen Unterschied von Pfarr- und Armenschulen. In letztere kamen die Kinder solcher Eltern, die das Schulgeld nicht aufbringen konnten. Deshalb müsse zuerst einmal die getrennte Erziehung in Pfarr- und Armenschulen beendet werden und eine Art von Elementarschulen für alle Kinder an deren Stelle treten. Durch die Trennung dagegen lege man schon früh „den Keim zu Dünkel und Überhebung bei den Kindern der Wohlhabenden, den Keim zu einer knechtischen Demuth oder zum Haß bei den Kindern der Armen“. Auch sollten keine Schulgelder mehr erhoben, sondern sämtliche Kosten „durch eine direkte Steuerumlage nach dem Vermögen gedeckt werden, daß aus dieser Steuer zugleich für die Kinder der unbemittelten Bürger eine ordentliche Kleidung beschafft werde“.
In den ersten Wochen seines Bestehens verfasste der Arbeiterverein eine Fülle von Gesuchen an kommunale und staatliche Stellen. Die Minister des Inneren und der Justiz forderte er auf, die Arbeit der Vergolder, Sattler, Schuhmacher, Nagelschmiede und Weber vor der Konkurrenz billiger Häftlingsarbeit zu schützen. Das Kriegsministerium sollte aus ähnlichem Grund Militärbäckereien verbieten. Die städtischen Behörden sollten die Kölner Handwerker gegen auswärtige Konkurrenz schützen wie auch Missstände im Hospital und in der Invalidenanstalt untersuchen lassen.
Intensiv wurde die Bildung von Gewerbe- und Schiedsgerichten verfolgt. Sie sollten gleichgewichtig aus Meistern, Arbeitgebern und Fabrikherren, auf der andern Seite aus Gesellen und Arbeitern bestehen und über Streitfälle zwischen gewinnsüchtigen Arbeitgebern und darbenden Arbeitnehmern entscheiden. Gottschalk machte einstimmig angenommene Vorschläge: Jedes Gewerbe sollte in freier Wahl je zwei Fabrikanten, Meister, Gesellen und Arbeiter für ein Jahr wählen und Kommissionen ernennen, die gesetzlich bindende Entscheidungen treffen könnten.
Im April hatte Kölns demokratische Linke ein „Volkswahlprogramm“ aufgestellt, in dem direkte Wahlen gefordert, die Beteiligung an indirekten aber nicht ausgeschlossen wurde. Gottschalk dagegen hatte das indirekte Wahlsystem kompromisslos abgelehnt, weil es dem Volk die Beteiligung an der Gesetzgebung raube. Die Mehrheit des Komitees und der Vereinsmitglieder folgte ihm. Die meisten anderen Arbeiter-Vereine im Rheinland dagegen nahmen das geplante Wahlsystem in Kauf – in der Hoffnung, dass endlich einmal auch Arbeiter Volksvertreter würden.
Die Kölner Demokraten hatten trotz ihrer Kritik an den indirekten Wahlen dennoch zur Wahl aufgerufen, um möglichst geeignete Vertreter in die preußische Nationalversammlung und ins deutsche Nationalparlament nach Frankfurt zu senden. Dieses Ziel wurde nur teilweise erreicht, weil von 21.000 Kölner Wahlberechtigten allein 5.000 dem Arbeiter-Verein angehörten, die den Demokraten mehrheitlich ihre Stimme versagten. So zogen denn im Mai Ministerpräsident Ludolf Camphausen, Erzbischof Johannes Geissel, Polizeidirektor Friedrich Müller und ein katholischer Landgerichtsrat in die preußische Nationalversammlung nach Berlin. Immerhin erzielte der Zigarrenhändler Franz Raveaux als erfolgreicher Demokrat das beste Ergebnis für das Frankfurter Nationalparlament: 109 der 166 Wahlmänner hatten ihm ihre Stimme gegeben.
4. Zwischen Kapital, Thron und Altar
Sein politisches und soziales Engagement führte den Kölner Arbeiterverein immer wieder zu Konflikten mit kirchlichen Kreisen. So hatte sich Anfang Mai der katholische Pfarrer von St. Gereon geweigert, einem kinderreichen Maurer eine finanzielle Unterstützung zu gewähren. Er könne „unter den Dürftigsten nur die Würdigsten“ unterstützen. Gottschalk schrieb ihm, der Arbeiterverein könne sich für seine „leider sehr spärlichen, wohlthätigen Bemühungen ein Richteramt über den sittlichen Werth irgendeines Menschen nicht anmaßen“. Der Armenvater der Pfarre zu St. Gereon entzog daraufhin einer Frau die monatliche Unterstützung, weil ihr Mann Mitglied „jenes Vereins schlechter Menschen“ sei, der den Pfarrer beleidigt habe. Auf Gottschalks Intervention hin nahm der Armenvater seine Maßnahme zurück, nicht aber sein Verdikt über den Verein.
Länger schon war Entfremdung zwischen Gottschalk und den reichen protestantischen Unternehmern gewachsen, deren Patriarchalismus die soziale Benachteiligung der Arbeiter fixierte. Durch ihre Bindung an Thron und Altar vertiefte sich die Kluft, da er die Monarchie immer stärker in Frage stellte, die Ideologie des Gottesgnadentums ablehnte und schließlich die Republik forderte. Ende April etwa hatte ein Arbeiter im Arbeiter-Verein über ungerechtes und unsoziales Verhalten der Zuckerraffinerie C. Joest & Söhne geklagt, deren Besitzer zu den wohlhabendsten Protestanten in Köln gehörte. Zuspätkommen und fehlerhafte Arbeiten würden finanziell hart gestraft. Die Meister tyrannisierten und schikanierten ihre Untergebenen, Überstunden würden meist nicht bezahlt und Akkordarbeit nicht redlich vergütet. Die Zeitung des Vereins veröffentlichte die Klage. Daraufhin drohte der Sohn des Firmenchefs Carl Joest (1786-1849) einem altgedienten Arbeiter als angeblichem Urheber der Beschwerde einige Tage lang mit Entlassung. Joests Verhalten führte zu neuen Vorwürfen der Zuckerarbeiter. Zwar gebe es eine betriebliche Krankenkasse, doch der Betriebsarzt sei unqualifiziert, kranke Arbeiter müssten ihr Geld beim Chef erbetteln und Gesunde die Arbeit der Kranken mit erledigen. Es sei „die Politik dieser Herren, daß sie alle alten Arbeiter mit der größten Grobheit behandeln, ihr Alter ihnen ständig zum Vorwurf machen, den geringsten Lohn ihnen geben und bei der ersten besten Gelegenheit die Thüre weisen“. So die Kritik der Betroffenen; zu einer Darstellung aus Firmensicht fehlen die Quellen.
Der Konflikt hatte stadt- und kirchenpolitische Relevanz, denn Carl Joest war nicht nur dem Namen nach Protestant. Er war Mitglied des Presbyteriums, seine Frau Mitarbeiterin in der evangelischen Armenfreischule. Seine Zuckerraffinerie gehörte zu den neun größten Unternehmen Kölns und verfügte mit 60.000 Talern über das höchste Firmeneinkommen in Köln. Mitinhaber war bis zum Erwerb einer eigenen Raffinerie der evangelische Unternehmer Johann Jakob Langen, der Besitzer der Troisdorfer Friedrich-Wilhelms-Hütte. Nicht zufällig versuchte Joest später, Gottschalk durch einen anonymen Brief an die Kölner Regierung zu schaden – allerdings erfolglos.
5. Ein protestantisches Bekenntnis
Wie Joest und Langen waren – bis auf einen Handwerker – alle Kirchenratsmitglieder wohlhabende Bürger: Kaufleute, Fabrikanten, Kommunalbeamte, Juristen, Ärzte. Bereits am 1.5.1848 hatte Gottschalk sich in einer Komiteesitzung des Arbeitervereins gegen Angriffe aus ihren Reihen verteidigt: „Man sagt, ich sei Communist, das heißt ein Mensch, der das arme Volk in die Abgründe des Unglaubens führen, der ihm den Trost der Hoffnung auf ein besseres Leben nehme, um es in seiner Verzweiflung dann besser beherrschen zu können. Ich antworte darauf, daß meine ungefähr neunjährige ärztliche Laufbahn in dieser Stadt dafür zeugen wird, daß ich immer bereit gewesen, wie es auch meine Pflicht gebot, jedem den Trost der Religion zu bieten, dem meine Kunst keine zu bieten hatte.“
Lauter Beifall begleitete seine Worte, die ihn weiter von Marx entfernten, für den Religion „Opium des Volkes“ war, lediglich Trost im „Jammertal, dessen Heiligenschein die Religion ist“. Gottschalk fuhr fort: „Man hat gesagt, ich sei Communist, das heißt ein Mensch, der Raub und Totschlag predige oder den Arbeitern Alles nehmen wolle. Wahrlich, Sie müssen 35 Jahre unter der Herrschaft eines solchen Communismus gelebt haben, denn heute ist Ihnen fast gar nichts, kaum das nackte Leben geblieben; schlimmer können Sie es unter keinem anderen Regiment mehr haben, aber gern gestehe ich, daß ich den Sieg der Arbeit, die Vernichtung des Müßigganges will.“ Jesus Christus sei ihr Heiland, weil er „für das arme Volk stand, lebte und litt; weil er die Geldwechsler aus dem Tempel peitschte, weil er den Schriftgelehrten, Pharisäern und stolzen Priestern entgegentrat, die die Lasten des armen Volkes nur vermehren helfen, die sie selbst nicht einmal mit dem Finger anrühren […] Ihm habe ich nach meinen schwachen Kräften nachzufolgen gesucht und fürchte mich nicht, vor keiner Macht der Erde. Das ist mein Communismus.“ Von „Lebehoch“-Rufen begleiteter Beifall folgte seiner Rede.
Seine religiöse Auffassung wurde von vielen geteilt, so etwa vom Faßbinder Christian Joseph Esser: Die erstrebte neue Regierung bestehe „auf den Grundsätzen der Achtung des Nebenmenschen, der Liebe und Religion“.
6. Freiligraths "Trotz Alledem"
Höhepunkt der Generalversammlung vom 4. Juni war der Besuch Ferdinand Freiligraths. Nicht enden wollender Beifall brandete auf, als er den großen Saal des Gürzenich betrat. „Meine Herren!“ rief Gottschalk. „Der erste Dichter des deutschen Volkes, der Sänger der Freiheit ist hier erschienen, um Ihnen seine Theilnahme zu bekunden. Herr Freiligrath wird Ihnen seinen Dank für Ihre warme Anerkennung, zugleich als Zeichen des innigsten Anschlusses an Ihre Bestrebungen dadurch zu bekunden suchen, daß er Ihnen das jüngste Erzeugnis seiner Muse vorträgt.“ Mit leiser Stimme rezitiert Freiligrath erstmals sein Gedicht „Trotz alledem“:
Das war 'ne heiße Märzenzeit,
Trotz Regen, Schnee und alledem!
Nun aber, da es Blüten schneit,
Nun ist es kalt, trotz alledem,
Trotz alledem und alledem,
Trotz Wien, Berlin und alledem, -
Ein schnöder scharfer Winterwind
Durchfröstelt uns trotz alledem![…]
Denn ob der Reichstag sich blamiert
Professorhaft trotz alledem!
Und ob der Teufel reagiert
Mit Huf und Horn und alledem -
Trotz alledem und alledem,
Trotz Dummheit, List und alledem,
Wir wissen doch: die Menschlichkeit
Behält den Sieg trotz alledem! […]
Nur was zerfällt, zertretet ihr!
Seid Kasten nur, trotz alledem!
Wir sind das Volk, die Menschheit wir,
Sind ewig drum, trotz alledem!
Trotz alledem und alledem!
So kommt denn an, trotz alledem!
Ihr hemmt uns, doch ihr zwingt uns nicht -
Unser die Welt trotz alledem.
Mit seiner Enttäuschung über die bisher ergebnislosen Debatten des Frankfurter Parlaments sprach Freiligrath den Mitgliedern des Arbeitervereins aus dem Herzen. Wieder ertönte lang anhaltender Beifall.
7. Politisches Wetterleuchten - der Juni 1848
Der Juni brachte in Köln zwar eine Polarisierung innerhalb der demokratischen Bewegung, in Deutschland insgesamt jedoch eine Stärkung der demokratischen Kräfte mit sich, freilich auch eine Zunahme der reaktionären Gewalt, die sich in Preußen noch verhalten äußerte, im fernen Paris ein furchtbares Ausmaß annahm. Im Mai hatte der Hanauer Arbeiterverein dem Kölner Verein vorgeschlagen, einen deutschen Arbeiterkongress zu organisieren. Gottschalk hatte das mit der Begründung abgelehnt, es müssten sich erst noch mehr Arbeiter-Vereine bilden. Doch noch im gleichen Monat beteiligte er sich selbst an einer bündnispolitischen Initiative: der Verbindung aller Demokratischen Vereine in Deutschland zu einem Gesamtverein, der sich nach einem Vorschlag von Marburger Demokraten „mit den Arbeiter- und Turnvereinen in Verbindung setzen und seine Kraft durch diese verstärken“ sollte.
Vom 14. bis 16. Juni fand in Frankfurt ein Demokratenkongress statt, gleichzeitig auch ein vom Marburger Arbeiterverein angeregter Treff vieler Arbeitervereine, die eine soziale demokratische Republik anstreben wollten. Gottschalk setzte sich jetzt für einen Arbeitergesamtkongressein. Und entschieden forderte er jetzt die demokratische Republik als einzige für das deutsche Volk mögliche Verfassung. Zwar scheiterte sein Misstrauensantrag gegen die Parlamente in Berlin und Frankfurt, aber man erklärte sich auf seinen Vorschlag hin mit allen Völkern solidarisch, die die demokratische Verfassung bereits erlangt hatten oder noch erstrebten. Sein Hauptziel blieb freilich, die Arbeiter „zu einer großen, starken, in sich eng vereinigten Partei zu organisieren“. Die Marx-Anhänger in Frankfurt verfochten demgegenüber vor allem eine Stärkung aller demokratischen Kräfte – getreu der Devise des Kommunistischen Manifests, vorerst „gemeinsam mit der Bourgeoisie gegen die absolute Monarchie, das feudale Grundeigentum und die Kleinbürgerei“ zu kämpfen.
8. Die Generalversammlung des Kölner Arbeitervereins
Nach der Rückkehr aus Frankfurt wurde Gottschalk von seinen Anhängern triumphal empfangen und auf den Schultern zur Komiteesitzung getragen, auf der er von den Frankfurter Ergebnissen berichtete. Danach reiste er nach Düsseldorf und Aachen, um die dortigen Vereine zu stärken. Am 24. Juni wurde in Köln ein Gremium gebildet, das die Arbeit des Arbeitervereins, der Demokratischen Gesellschaft und des ebenfalls demokratischen, jedoch sehr auf Interessenausgleich bedachten „Vereins der Arbeiter und Arbeitgeber“ koordinieren sollte. Gottschalk beantragte trotz seiner Skepsis gegenüber den Demokraten einen solchen Zusammenschluss. Bei über 7.000 Anhängern hätte er dabei den größten Einfluss. Doch die Demokratische Gesellschaft, die sich nur auf 700 Mitglieder stützen konnte, lehnte ab.
Vorerst kam es am 25. Juni nur zu einer von über 2.000 Mitgliedern des Arbeitervereins besuchten Generalversammlung. Sie trugen rote Bänder in ihren Knopflöchern und forderten den Aufstand. Wenn Waffen nicht ausreichten, müsse man notfalls mit Hacken, Schüppen und Steinen losschlagen. Gottschalk, der solche Aufstände ablehnte, wollte gleichwohl vermeiden, als Abwiegler dazustehen. Deshalb versicherte er der Versammlung, in Süddeutschland sei man entschlossen, an die Erringung der Republik „Gut und Blut zu setzen“. Auch er sei für den Kampf gegen die Tyrannei der Großen, aber nun hänge alles von Berlin ab. Eine Provinz- und Festungsstadt wie Köln könne keine Revolution machen, sondern nur einen Krawall, allenfalls eine Revolte. Mit Freude verwies er auf die Erfolge der Revolution in Frankreich. In diesem Augenblick wusste er noch nicht, dass in Paris die Arbeiterrepublik im Blut der Arbeiter erstickt wurde.
Trotz militärischen Verbots war die Generalversammlung auch von einigen Soldaten besucht worden. Einer von ihnen wandte sich in der nächsten Ausgabe der Vereinszeitung unter dem Pseudonym „Füselier Fürchte dich nicht“ an seine Kameraden. Er fragte: „Warum durften wir, Soldaten, die Generalversammlung des Arbeiter-Vereins nicht besuchen, oder warum mußten wir von 3 bis 7 Uhr in der Kaserne bleiben?“ Seine Antwort: „Weil Ihr dort gehört haben würdet: 1) daß alle Menschen gleichberechtigte Brüder sind; 2) daß ein Menschenmord ein Brudermord ist. Aber, werdet Ihr fragen: 'Ist dies denn so gefährlich und schlimm, so steht's ja doch in der Bibel?' - Ei, freilich nicht, aber man fürchtet, Ihr könntet Euch Eures Christentums zur unrechten Zeit erinnern, etwa wenn der Herr Major v.S. oder Oberst v.E. Euch beföhle, wehrlose und hungernde Arbeiter niederzuschießen, damit der Herr Major Oberst und der Herr Oberst General würde.“
Der Füselier nannte noch vier weitere Gründe, warum den Soldaten der Besuch der Generalversammlung verboten wurde: Erstens würde es in der geplanten Republik nicht mehr das übliche Militär, sondern nur noch die Landwehr geben, die sich ihre Offiziere selber wählen würde. Zweitens würden alle Diensttuenden mehr oder weniger das gleiche Gehalt bekommen. Drittens würden Steuern dann nicht mehr dazu benutzt werden, „um Ehrenzeichen, Orden, Waffenröcke, Helme und allerlei solchen kindischen und leeren Schnickschnack zu bezahlen, der noch keinen vor Hunger und Durst bewahrt hat, sondern um damit Erziehungshäuser zu gründen, worin alle Kinder und nicht bloß adlige Cadetten tüchtig erzogen werden können; und um damit Zufluchtsstätten für alte, schwache Arbeiter zu stiften, um damit Unterstützungskassen für alle Witwen und Waisen anzulegen, wie sie jetzt bloß für Offiziersweiber und ihre Fräulein bestehen.“ Viertens und letztens definierte der Füselier den zukünftigen Zustand der Gesellschaft im Vergleich zum jetzigen kurz und bündig so: „In einer Republik ist alles erlaubt, was nicht ausdrücklich verboten ist, in unserem Land dagegen ist alles verboten, was nicht ausdrücklich erlaubt ist.“
Er könne gut verstehen, dass Offiziere den Verein ablehnten. Warum aber Unteroffiziere und Feldwebel, die es nach zwölfjährigem Dienst „höchstens zu einem Hundeposten auf der Chaussee oder im Arresthause oder auf der Post oder, wenn es hoch kommt, in einem Regierungsgebäude als Bote oder als Polizist bringen oder endlich mit allerhöchster Erlaubnis als Leiermann ohne Steuerabgabe durch das Land ziehen“, das könne er nicht begreifen – „wenn es nicht mehr Dummköpfe als gescheute Leute in der Welt gäbe“.
9. Reaktionen auf das Massaker in Paris
Die politischen Konflikte in Frankreich hatten sich im Jahr 1848 immer mehr zugespitzt. Der Erfolg, den die Arbeiter noch in der Februarrevolution errungen hatten, schien sich anfänglich fortzusetzen. Der reformorientierte Sozialist Louis Blanc (1811-1882), Mitglied der bürgerlichen Regierung, regte Produktivassoziationen an, die durch die Kreditpolitik einer im öffentlichen Eigentum befindlichen Nationalbank die kapitalistische Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung langsam überwinden sollten. Doch in den Nationalwerkstätten, die in diesem Zusammenhang entstanden, kam es lediglich zu Notstandsarbeiten. Der per Dekret durchgesetzte Ausschluss unverheirateter Arbeiter provozierte im Juni einen Massenprotest, dem die Schließung der Werkstätten folgte. Als Arbeiter und Arbeitslose dagegen rebellierten, wurden 10.000 von ihnen unter Führung des Generals Louis-Eugène Cavaignac (1802-1857) in einem viertägigen Barrikadenkampf niedergemetzelt oder als Gefangene umgebracht. Der als Anstifter des Aufstands denunzierte Louis Blanc floh nach England.
In einer Komiteesitzung des Kölner Arbeitervereins wurden daraufhin am 26. Juni Stimmen laut, die einen Aufstand nach Pariser Vorbild forderten. Gottschalk lehnte das ab. Daraufhin warf man ihm Unentschlossenheit vor; man müsse Partei ergreifen und eine Entscheidung herbeizwingen. Der Angegriffene warnte: „Mir bangt, der Hunger, die Verzweiflung hat die Armen in den Kampf getrieben, in dem sie der Masse ihrer Feinde erliegen werden. Bürger, Arbeiter, laßt euch die Vorgänge in Paris zur Warnung dienen, tadelt mich nicht mehr, wenn ich Euch von Exzessen abhalte.“ Trotz Einwänden und Zwischenrufen beharrte er auf seiner Befürchtung: „Euer Blut würde umsonst geflossen sein!“
Die herrschenden Kreise in Köln waren in höchstem Maße beunruhigt. Am 22. Juni hatte die Kölnische Zeitung über den Mangel an öffentlicher Ordnung geklagt und Polizei und Militär Feigheit vorgeworfen: „Je unruhiger und revolutionärer die Zeit, umso strenger und ernster muß das Gesetz gehandhabt werden.“ Ein Generalmajor meinte, die Bereitschaft zum Aufruhr müsse sich „durch Tätlichkeiten prononciert haben“. Die ließen nun nicht lange auf sich warten. Am 28. Juni wurde nach einer erregten Versammlung eine mit Lärminstrumenten produzierte „Katzenmusik“ vor dem Haus des preußischen Ministerpräsidenten Ludolf Camphausen veranstaltet. Am nächsten Tag zogen Gruppen mit roten Fahnen durch die Stadt. Daraufhin forderte der Gemeinderat auf Anraten der Bürgerwehr, Kinder und Dienstboten sollten bei Unruhen zu Hause und die Häuser geschlossen bleiben. Gottschalk warnte die Arbeiter erneut vor Krawallen – nicht jedoch vor Klagen der Arbeiter.
10. Die Klagen eines Seilergesellen und eines „versprengten Arbeiters“
Im Mai bereits war in der „Zeitung des Arbeitervereins zu Köln“ die Klage des Seilergesellen Heinrich S. über seinen Arbeitgeber erschienen. Er war – so seine Darstellung – seit dem achten Lebensjahr bei der Firma Guilleaume beschäftigt. Im 18. Jahr war ihm das rechte Bein durch ein Seil gebrochen worden. Danach kam er für fünf Monate in die Klinik und war insgesamt drei Jahre lang fast gehunfähig. Der Klinik bezahlte er 36 Thaler, die ihm trotz Versprechungen von seinem Arbeitgeber nicht erstattet wurden. Trotz Mahnung der Ärzte, das Bein zu schonen, ging er „aus Not“ rasch wieder arbeiten – von morgens fünf bis abends acht Uhr. Wer zehn Minuten zu spät kann, musste zweieinhalb Silbergroschen, wer einen halben Tag fehlte, fünf Silbergroschen Strafe zahlen. „Sehr oft“ – so Heinrich S. – „wenn der rohe Stoff schlecht war, wurde die Schuld dem Arbeiter zur Last gelegt und derselbe mit 10 Sgr. Strafe belegt, noch öfter aber wurde die ganze Arbeit, welche oft eine dreitägige war, für unbrauchbar erklärt, und der Arbeiter erhielt für seinen Fleiß und seine Mühe gar nichts, der Herr aber ließ sich nicht abhalten, die so genannte schlechte Arbeit für gute zu verkaufen, von welchem Falle wir uns nur zu oft überzeugt haben.“ Heinrich S. wurde nach Akkordarbeit mehrfach gehunfähig und krank. Doch Krankengeld wurde ihm mit dem Hinweis verweigert, er wäre „saufen gegangen“. Nur einmal erhielt er eine Nachzahlung von fünf Silbergroschen. Sein Hilferuf an den Kölner Arbeiterverein endete mit dem Satz: „Das ist gar nicht mehr zu ertragen und ich ersuche Sie, mit Herrn Guilleaume zu reden, oder die Sache durch die Zeitung bekannt zu geben.“ Eine Reaktion der Seilfabrik ist nicht überliefert.
Im Juli 1848 veröffentlichte die Zeitung des Arbeitervereins einen Beitrag („Von einem versprengten Arbeiter“) voller Zorn und Selbstbewusstsein. „Der Arbeiter verlangt keinen Umsturz der Regierung“, hieß es darin, „ihm ist’s gleich, ob der Teufel oder seine Großmutter auf dem Throne sitzt, aber er will nicht wie das Vieh behandelt sein. Ihr sollt ihm seine Kräfte nicht in seinen Jugendjahren rauben, und sollt ihn in seinem Alter nicht darben lassen. Der Arbeiter wird trotz der Arbeit älter als die Thee trinkenden Geld verschwendenden Blassgesichter der Reichen. […] Bei unseren Kindern fährt kein Doktor in der Karosse an, aber bei Euch alle Tage. So gerade wie es bei dem Arbeiter mit seinen Kräften steht, so steht es auch mit seinem Geiste; er ist nie stumpf, nie unthätig, es sei denn durch übermäßige Arbeit, es sei um sich zu erholen und neue Kräfte zu sammeln. Unterdrücket ihn so hart und so lange ihr könnt, entbehren könnt Ihr ihn nicht. Wer schafft Euer Kapital? Könnt Ihr vielleicht auch arbeiten? Nein, sage ich Euch, Ihr könnt das Geld vergeuden, welches Euch der Arbeiter verdient, aber Ihr könnt kein Kapital schaffen. Das vergangene Unrecht, welches Ihr an uns verübt habt, könnt Ihr schwerlich wieder gutmachen.Ihr seid die Redlichen, welche arme Familien um ihr erspartes Geld, welches sie bei euch auf Zinsen legten, betrügen. Ihr seid diejenigen, welche den Bürger an den Bettelstab bringen, indem Ihr mit dem anvertrauten Gelde Bankrott macht.“
11. Verhaftungen, Flucht und Proteste
Am 3.7.1848 verhaftete die Staatsgewalt mit Gottschalk und Anneke zwei der wichtigsten Wortführer des Kölner Arbeitervereins. Gottschalk wurde zum Arresthaus transportiert, und Justizvertreter durchsuchten sein Haus. „Alles wurde durchstöbert und durchschnuppert nach hoch- und landesveräterischen Korrespondenzen“ – so drei Tage später die Arbeitervereins-Zeitung. „Doch Was fand man? Makulatur, gut genug, um Wurst und Käse hineinzupacken! Verbotene Schriften führt der Doktor nur in seinem Kopfe mit sich.“ Bei Fritz Anneke drangen sieben Gendarmen in sein Schlafzimmer, in dem er und seine hochschwangere Frau schliefen. Er wurde abtransportiert. Flugschriften, Korrespondenzen andere Papiere wurden konfisziert, ohne sie aufzulisten oder zu versiegeln.
Johann Joseph Jansen, inzwischen stellvertretender Präsident des Arbeitervereins, ließ nach der Verhaftungsaktion Plakate an zahlreichen Mauern anschlagen. So wurden die Menschen noch vor Erscheinen einer Zeitung über das Geschehene informiert: „Mitglieder des Arbeiter-Vereins! Bürger! Man hat heute zwei Eurer Führer verhaftet, Euren Präsidenten Dr. Gottschalk und den Bürger Anneke. Laßt Euch aber nicht zu Gewaltstreichen hinreißen, wie man es wünscht. Ich ermahne Euch und rufe Euch zu: Behaltet Eure Ruhe wie bisher, laßt es nicht dahinkommen, daß Bürgerblut fließt. Wir streiten nicht für Personen, sondern für Sachen, für unser heiliges Recht, und das wird siegen, trotz aller brutalen Gewalt.“ Die Polizei entfernte die Plakate. Die Vereinszeitung schilderte den vergeblichen Versuch, den inzwischen nach Straßburg Entflohenen zu ergreifen, mit unverhohlener Schadenfreude.
Die den Kölnern auf der anderen Rheinseite verbundene Mülheimer Zeitung reagierte mit frischem Zorn: „Das sind die Errungenschaften der neuen Zeit, das ist die verheißene Volkssouveränität! Nein! Gendarmensouveränität! Das ist die Volksvertretung zweifelhafter Personen. Sie sind jetzt nicht zweifelhaft mehr; ihr Trug und ihre Ränke liegen offen am Tage.“
Das Komitee des Kölner Arbeitervereins protestierte zusammen mit Abgeordneten des „Volksclubs zu Düsseldorf“ in einem höflichen Brief an den Kölner Generalprokurator gegen die Verhaftungsaktion. Im Beitrag eines „versprengten Arbeiters“ wurde in der Kölner Vereinszeitung kurz darauf die gegenwärtige Situation mit der urchristlichen verglichen: „Seit Entstehung des Christentums wurden die Verfechter der Wahrheit stets mit aller zu Gebote stehenden Gewalt verdrängt, die Gewaltigen und Großen der Länder glaubten durch die neue Lehre des Evangeliums ihre Reiche zertrümmert, ihre gewaltige Hoheit nicht mehr anerkannt, weil sie das Licht scheuten. So auch jetzt; kaum haben die Völker sich eine Bahn durch kostbares Blut zur Freiheit gebrochen, kaum fangen sie an, sich in etwa ihrer Freiheit zu freuen, kaum hat die Lehre für Menschenrecht und Menschenwerth in ihnen Wurzel gefaßt, so tritt der Feind des Lichts und der Wahrheit ihnen feindselig entgegen und beraubt sie ihrer Lehrer, ihrer Freunde.“
Die Sympathisanten der Obrigkeit verbreiteten nach der Verhaftungsaktion die wildesten Gerüchte. Die Verhaftung von Gottschalk und Anneke sei auf Mitteilung aus Paris erfolgt, wo sie hochverräterische Beziehungen gehabt hätten. Gottschalk seien 5.000 Franken aus Paris gesandt worden, er habe aber eine Million gefordert. Er bilde ähnlich wie Friedrich Hecker (1811-1881) nächtlich seine Spießgesellen an der Waffe aus, sei außerdem im Besitz von drei Guillotinen und vier Tonnen Goldes. Umso überraschter war die Regierung in Köln vom Ausbleiben aller befürchteten Krawalle.
12. Der Prozess
Grund ihrer Verhaftung, so erklärte man den Angeklagten, seien hauptsächlich ihre Reden. Hauptanklagepunkt: Planung eines „Attentats zum Umsturz der bestehenden Regierung oder Reizen zu diesem Verbrechen“. Am 5. Juli wurde hinzugefügt: „Sie haben aufgefordert, sich zu bewaffnen, zum Zwecke des Umsturzes der Regierung, des Raubes, des Mordes und der Plünderung.“ Die Zeitung des Arbeitervereins kommentierte: „Es ist ein alter Rechtsgrundsatz: Jeder gilt für unschuldig, bis man ihm seine Schuld bewiesen hat. Im Appellationsbezirk zu Cöln herrscht das grade Gegenteil.“ Die Zeitung warnte die Staatsgewalt: „Nehmt uns den Arzt, überliefert ihn dem Kerkerwärter, werft die Anarchie in unseren Körper, beraubt uns der Führer, die allein im Stande waren, dem Umsturz vorzubeugen: und Ihr mögt es Euch selbst zuschreiben, wenn der Umsturz erfolgt, die Anarchie eintritt.“
Die von Protesten des Arbeitervereins begleiteten, immer wieder verschleppten und verzögerten Prozessvorbereitungen neigten sich Ende September mit der Überweisung der Anklageakten an den Anklagesenat dem Ende zu. Die Angeklagten Gottschalk, Anneke und Esser wurden nun beschuldigt, im Lauf des Jahres 1848 „durch Reden in öffentlichen Versammlungen so wie durch Druckschriften ihre Mitbürger zur gewaltsamen Änderung der Staatsverfassung, zur bewaffneten Auflehnung gegen die Königl. Macht und zur Bewaffnung eines Theiles der Bürger gegen den Andern geradezu angereizt zu haben, ohne daß jedoch diese Anreizungen einen Erfolg gehabt haben“. Mit dem letzten Halbsatz milderte der Appellationsgerichtshof die ihm bisher vorgeschlagene lebensbedrohende Anklage entscheidend ab. Denn bei Erfolglosigkeit der angegebenen Verbrechen sollte laut Strafgesetzbuch die ansonsten vorgesehene Todesstrafe – durch Abhauen der rechten Hand und des Kopfes – in Deportation umgewandelt werden. Auch machte sich der Gerichtshof die ihm vorgeschlagenen strafrechtlich relevanten Begriffe „Attentat“ und „Komplott“ nicht zu eigen, so dass vor allem ein geplanter Angriff auf die Person des Königs nicht mehr unterstellt wurde. Mit diesen Einschränkungen wurde die Anklage nun an das Schwurgericht weitergereicht. Nach noch gültigem französischen Strafrecht hatte in der Rheinprovinz anders als im preußischen Kernland nur dieses Gericht zu entscheiden und nicht der Monarch.
Aufgrund der Berichterstattung der Zeitung des Arbeitervereins wurde auch sein Drucker J. A. Brocker-Everaerts strafrechtlich verfolgt und zu einer vierwöchigen Gefängnisstrafe verurteilt. Falls die Zeitung weiter erscheinen würde, müsste eine Kaution von 4.000 Talern erbracht werden - ein grotesk hohe Summe! Doch der Verein überlistete Justiz und Zensur und ließ ein neues Blatt mit unveränderter Zielrichtung und dem Titel „Freiheit, Brüderlichkeit, Arbeit“ erscheinen – dem Untertitel des früheren! Im Oktober wurde Karl Marx an die Spitze des Arbeiter-Vereins gewählt. Er wollte damit „provisorisch bis zur Freilassung Dr. Gottschalks dem Wunsch der Arbeiter nachkommen“, obgleich er, wie er dem wegen drohender Verhaftung nach Belgien geflohenen Friedrich Engels schrieb, mit seiner eigenen Arbeit, mit der Neuen rheinischen Zeitung, „bis über die Ohren beschäftigt“ war.
Die demokratische Bewegung erlitt in den kommenden Wochen harte Rückschläge. In der Brigittenau bei Wien wurde Robert Blum erschossen. Die Regierung in Preußen verschärfte ihre Maßnahmen und holte zum Staatsstreich aus. Marx sprach in der Neuen Rheinischen Zeitung (NRZ) vom „Kannibalismus der Konterrevolution“. In Köln kam es jedoch zu einem für Gottschalk und den Arbeiterverein positivem Ereignis.
13. Freispruch für die Angeklagten
Am 21. Dezember begann endlich der Kölner Prozess vor dem Kölner Geschworenengericht. Die Zuhörer strömten in Massen herbei, applaudierten den Angeklagten und reagierten wütend, weil sie Ketten tragen mussten. Die NRZ reagierte auf die gesellschaftlichen Positionen der meisten Geschworenen mit der Bemerkung „Das 'Gewissen' der Privilegierten ist ein privilegiertes Gewissen“, rechnete wegen der dubiosen Anklagepunkte dennoch nicht mit einer Verurteilung. Nach einer beeindruckenden Verteidigungsrede von Andreas Gottschalk endete der Prozess zwei Tage später mit Freispruch für alle drei Angeklagten. Frohlockende Verse der Arbeiter machten sogleich in der Stadt die Runde:
Anneke, Gottschalk, Esser.
Es ging stets schlimmer anstatt besser.
Eine Klage ohne Halt und Kraft
Hielt sieben Monate uns in Haft.
Gestraft so von Richtern und Polizei,
Sprach uns der Geschworene von Strafe frei.
Der Richter Unabhängigkeit, so belobt
In Preußen, die hat sich an uns erprobt.
14. Sozialer Protest
Wie schon im Frühjahr 1848 hatten Kölner Arbeiter auch im Spätherbst den Gemeinderat aufgrund einer miserablen Arbeitsmarktlage um Schutz gegen den Hunger gebeten. Auf Anregung der Verwaltung wurden daraufhin umfängliche Abriss- und Erdarbeiten in der Stadt und der Ausbau der Römerstraße nach Zülpich in Auftrag gegeben. Da bereits mehrere Handwerksmeister moniert hatten, die Stadt zahle höhere Löhne als Privatbetriebe, machte sich der Gemeinderat mehrheitlich den Vorschlag des Stadtbaumeisters zueigen, die Tagelöhne von elf auf zehn Silbergroschen zu senken. Auf keinen Fall dürfe der Anschein erweckt werden, die Stadt konkurriere mit den Unternehmern, argumentierte der langjährige städtische Armenarzt Dr. Johann Nückel (1792-1873) in einer kontrovers verlaufenden Sitzung. Nückel forderte darüber hinaus sogar eine verbindliche Erklärung, die Stadt werde zukünftig niedrigere Löhne zahlen als die sonst üblichen. Die Befürchtung, die Arbeiter würden bei niedrigen Löhnen der Armenverwaltung zur Last fallen, blieb unbeachtet. Gottschalk war über Nückels Verhalten empört. „Gewiß hatten Sie wie kein Anderer Gelegenheit“, schrieb er ihm in der Zeitung des Arbeitervereins, „die Kümmernisse und Leiden, die Wünsche und Hoffnungen des größten Theiles Ihrer Mitbürger kennen zu lernen.“ Vergebens: „Für Sie haben die Armen kein Recht, ihre Gemeindevertreter um Arbeit anzugehen. Gibt es denn für Sie überhaupt noch ein anderes Recht als das Recht des augenblicklichen Genusses? Und Sie wollen ihn jenen versagen, die zu vertreten Sie sich hervorgedrängt haben?“
15. Niederlagen
Im Mai 1849 begann in Deutschland der bewaffnete Aufstand. Angesichts zunehmender preußischer Repressionen und der schwächlichen Haltung der Frankfurter Parlamentsmehrheit eskalierten die Konflikte. Barrikadenkämpfe scheiterten an der Übermacht des Militärs.
In Köln wurde der Arbeiterverein durch Flügelkämpfe und den Verlust aktivster Mitglieder geschwächt. Wie im Mai die NRZ stellte angesichts verschärfter Pressegesetze auch die Zeitung „Freiheit, Brüderlichkeit, Arbeit“ ihr Erscheinen ein. Der Verein wandelte sich Ende Juni in einen „Arbeiter- und Leseverein“ um und löste sich ein Jahr später auf.
Gottschalk hatte sich inzwischen wieder verstärkt seiner ärztlichen Tätigkeit gewidmet, die ihn mehr und mehr zu unentgeltlicher Behandlung der Obdachlosen, der Armen und insbesondere der Kinder drängte. Als im Sommer 1849 eine Choleraepidemie ausbrach, die in Köln mehr als 10.000 Tote forderte, versuchte er, vor allem den erkrankten Armen zu helfen. Dabei infizierte er sich und starb an der Seuche. An seiner Beerdigung im September 1849 auf dem Melaten-Friedhof nahmen tausende Kölner teil. Auf dem Grabstein stand: „Eins ist nöthig, dass das Gute stets geschehe, ob man falle oder stehe, ist und bleibt dann einerlei.“
Quellen
Anneke, Mathilde, Der politische Tendenzprozeß gegen Gottschalk, Anneke und Esser, hg. nach den Akten, nach Mittheilungen der Angeklagten und nach stenographischen Aufzeichnungen der mündlichen Verhandlungen, Köln 1848.
Freiheit, Brüderlichkeit, Arbeit. Organ des Arbeiter-Vereins zu Köln (I), Köln, 26.10.-31.12.1848; Freiheit, Brüderlichkeit, Arbeit. Organ des Arbeiter-Vereins zu Köln (II), Köln, 8.2.-24.6.1849, Nachdruck, hg. v. Dieter Dowe, Berlin/Bonn 1980.
Freiheit, Arbeit. Organ des Kölner Arbeitervereins (1849), Neudruck Glashütten im Taunus 1972.
Literatur
Beuscher, Armin [u.a.], Melaten erzählt von protestantischem Leben. Ein Rundgang. Hg. von Annette Scholl im Auftrag der Evangelischen Gemeinde Köln, Köln 2010.
Heitmann, Alexis, Arbeiter an Rhein und Elbe. Vergleich zweier Zentren der frühen deutschen Arbeiterbewegung. Hamburg und Köln 1845-50, München 2009.
Herzog, Arno, Andreas Gottschalk und der Kölner Arbeiterverein, in: Köln und das rheinische Judentum. Festschrift Germania Judaica 1959-1984, Köln 1984, S. 177-182.
Schmidt, Klaus, Andreas Gottschalk. Armenarzt und Pionier der Arbeiterbewegung, Jude und Protestant, Köln 2002.
Stein, Hans, Der Kölner Arbeiterverein (1848-1849). Ein Beitrag zur Frühgeschichte des rheinischen Sozialismus, Gilsbach/ Köln 1921. Nachdruck 2011.
Stommel, Karl, Der Armenarzt Dr. Andreas Gottschalk, der erste Kölner Arbeiterführer 1848, in: Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein 166 (1964), S. 55-105.
Dr. Andreas Gottschalk, in: Dressler, Helmut, Ärzte um Karl Marx. Volk und Gesundheit, Berlin 1970, S. 73-84.
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Schmidt, Klaus, Der Kölner Arbeiterverein (1848/1849), in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/Themen/der-koelner-arbeiterverein-18481849/DE-2086/lido/5cc028654cbab9.02823820 (abgerufen am 12.12.2024)