Der Kölner Stapel
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1. Einleitung
Der Kölner Stapel prägte über Jahrhunderte die Rheinschifffahrt und die wirtschaftlichen Gegebenheiten des Niederrheins. Handel und Wandel zwischen Mainz und Dordrecht waren ohne ihn nicht denkbar. Selbst wenn man ihn umging oder umgehen wollte, musste man sich an seiner Präsenz und seinem Wirkungsradius orientieren. Es wäre jedoch falsch, sich vorzustellen, beim Kölner Stapel habe es sich um ein klar umrissenes Recht gehandelt. Vielmehr handelte es sich um eine Sammlung verschiedener, immer wieder ergänzter Rechte und Privilegien, die auch immer wieder neu gegen konkurrierende Ansprüche oder Missbrauch durchgesetzt werden mussten. Darauf verwandte die Stadt Köln im Laufe der Zeit viel Energie - ein Aufwand, der sich aufs Ganze gesehen, für Köln bezahlt gemacht hat.
Die Ursprünge des eigentlichen Stapels lassen sich bis ins 12. Jahrhundert zurückverfolgen. Die Wurzeln liegen aber noch weiter zurück. Sie sind im erzbischöflichen Zollrecht zu suchen. Die erste gesicherte Nachricht über einen Zoll stammt aus dem Jahre 975. Es handelte sich aber wahrscheinlich um einen Zoll auf in Köln zu verkaufende Güter, nicht auf solche, die die Stadt nur passierten. Man kann vermuten, dass bis in 12. Jahrhundert hinein der Kölner Markthandel den Transithandel übertraf. Seit der Mitte des 12. Jahrhunderts sind Tendenzen greifbar, den freien Handel auf dem Rhein zu seinen eigenen Gunsten nicht nur durch Zölle zu behindern, sondern die Waren in die Stadt zu zwingen. Schon vor 1173 gab es einen Zoll für durchreisende Kaufleute. 1178 begann man flandrischen Händlern, die in den Anbaugebieten südlich der Stadt Wein erwarben und in die Niederlande verkaufen wollten, Auflagen zu machen. 1203 ist die Rede davon, dass Kaufleute aus Dinant keine Abgaben zu zahlen brauchten, wenn sie ihre Waren gezielt in Köln verkauften oder dort zumindest zum Verkauf anboten. Noch trugen Erzbischof und Stadt diese Politik gemeinsam: Der Erzbischof nutzte seine Zollprivilegien, um die Schiffe in den Kölner Hafen zu zwingen, die Stadt versuchte, ihren Bürgern durch das Vorkaufsrecht einen Vorteil zu verschaffen.
2. Das Stapelprivileg vom 7.5.1259
Etwa ein Jahrhundert hielt diese Interessenkoalition. Als sich im 13. Jahrhundert Erzbischof und Stadtgemeinde zunehmend feindlich gegenüberstanden, kam es in einer Situation, in der Erzbischof Konrad von Hochstaden die neuen, aufstrebenden Kaufmannsfamilien gegen die alteingesessenen Patrizier ausspielen und auf seine Seite bringen wollte, zu einer Kodifizierung des Stapelrechts. Am 7.5.1259 verbriefte Konrad der Stadt unter Bezug auf den ein Jahr zuvor abgeschlossenen „Großen Schied“, einem Meilenstein auf dem Weg zur Unabhängigkeit der Stadt Köln von der erzbischöflichen Herrschaft, ein umfassendes Stapelrecht. Mit diesem ersten systematisch durchdachten Versuch einer deutschen Stadt, den Handelsverkehr durch Zwangsmaßnahmen zu ihren Gunsten umzuleiten, war der Grundstein für einen Übergang der exklusiven Nutzung des Stapelrechts durch den Kölner Rat gelegt. Aber auch dieses Privileg bildete keinen systematischen Rechtskorpus, sondern wurde in den folgenden Jahrhunderten immer wieder um weitere Rechte ergänzt.
Das Stapelprivileg von 1259 bestimmte im Kern, dass Kaufleute mit ihren Waren nicht an Köln vorbei fahren durften, ohne diese in Köln zu entladen und eine Zeit lang – später wurden drei Tage festgelegt – zum Verkauf anzubieten. Außerdem durften Kaufleute von außerhalb nicht direkt miteinander Handel treiben. Dieses Verbot des Handels unter Gästen machte die Einschaltung eines Kölner Agenten notwendig. Diese wurden Wirte genannt, weil sie häufig genug tatsächlich die Wirte waren, bei denen die fremden Kaufleute untergebracht waren. Aus den Wirten beziehungsweise Unterkäufern entwickelten sich die späteren Speditionskaufleute.
Zunächst wurden die neugewonnenen Privilegien jedoch nicht oder nur in sehr geringem Umfang genutzt. Fast ein Jahrhundert lang gibt es kaum Nachrichten über den Stapel und seine Praxis. Erst im letzten Drittel des 14. Jahrhunderts intensiviert sich die Nutzung. Von nun ab wurden immer wieder verschiedene Rechte hinzugefügt, die das Stapelrecht ergänzten, intensivierten und ausdehnten. Dazu gehörten unter anderem das Vorkaufsrecht der Kölner Bürger. Sie konnten sich bevorrechtigt mit den „gestapelten“ und zum Verkauf angebotenen Waren eindecken. Dabei dachte man in erster Linie nicht an Privathaushalte, die ihren Bedarf in der Regel auf dem Wochenmarkt oder den entsprechenden Geschäften deckten, sondern an den Großhandel, Handwerker oder Einzelhändler. Da dies im Grunde nichts anderes war als Zwischenhandel, stellten verschiedene Regelungen sicher, dass Waren, deren Empfänger ohnehin in Köln ansässig war, auch direkt zu den Käufern gelangten. So wurden für die Stadtbevölkerung unnötige Preissteigerungen verhindert. Den Kaufleuten und Händlern wurde versucht, der Vorkauf durch einen Preisaufschlag und vor allem die Verpflichtung zum Barkauf schmackhaft zu machen. Das bedeutete für diese insofern einen nicht zu gering zu veranschlagenden Vorteil, weil Handwerker und Einzelhändler die gekauften Rohstoffe oftmals erst dann bezahlten, wenn sie sie verarbeitet und selbst wieder verkauft hatten.
3. Die Stapelgüter
Seit dem 14. Jahrhundert unterlagen folgende Güter des täglichen Bedarfs dem Vorkaufsrecht: Lebensmittel, Salz, Vieh, Wein, Pferde. Aber auch Massengüter und Rohstoffe wie Holz, Steine, Schiefer, Kalk, Eisen, Blei und andere Metalle, Wolle, Flachs, Tuch, Leinwand, Häute, Leder, Lohe, Teer oder Pech mussten zunächst Kölner Bürgern angeboten werden. Da es in Köln ein bedeutendes Fassbindergewerbe und einen ausgedehnten Weinbau innerhalb der Stadtmauer gab, galt dies auch für Fassreifen und Weinbergpfähle. Probleme mit dieser Regelung konnten dann auftauchen, wenn die Waren bereits einen festen Käufer jenseits von Köln hatten. Dies kam jedoch anfänglich nicht allzu oft vor, da die Waren normalerweise auf gut Glück auf der Suche nach einem Käufer versandt wurden.
4. Der Zwangsumschlag
Eine wichtige Ergänzung zum Stapelrecht war das Umschlagsrecht beziehungsweise der Zwangsumschlag. Er wurde begünstigt – man könnte auch sagen erzwungen – durch die hydrographischen Verhältnisse südlich von Köln. Denn das eigentliche Problem der Rheinschifffahrt war das Mittelrheintal, das den Verkehr zwischen Köln und Mainz wegen der hohen Fließgeschwindigkeit und des felsigen Flussbettes stark behinderte. Deutlich wird dies, wenn man sich vergegenwärtigt, dass man um 1800 für den Landweg von Köln nach Mainz etwa 36 Stunden veranschlagte, für den Wasserweg hingegen vier Tage. Das bedeutete, dass man nicht die gleichen größeren und mit mehr Tiefgang versehenen Schiffe verwenden konnte wie nördlich von Köln auf dem Niederrhein. Allein aufgrund dieser naturräumlichen Gegebenheiten war es schwierig, den Stapel in Köln zu umgehen, denn dort stellte die Stadt eine entsprechende Infrastruktur zum Umladen auf kleinere „Oberländer“ Schiffe zur Verfügung. Daran änderte sich bis zum Aufkommen der Dampfschifffahrt nur wenig, sodass bis ins 19. Jahrhundert ein Umschlag nötig war. Wirksamkeit und Ausdehnung des Kölner Stapels sind demnach auf den durch die Topographie erheblich unterstützten Zwangsumschlag zurückzuführen, der im Übrigen erst im Privileg Kaiser Maximilians (Regierungszeit 1486-1519) von 1505 explizit bestätigt wurde. Das wiederum erklärt, warum Köln das Umschlagsrecht bis zum Schluss zäh verteidigte.
Denn außer der Tatsache, dass die Stadt auf diese Weise mit Gütern versorgt wurde – ein Aspekt, auf den noch einzugehen sein wird – wurden so auch Einnahmen für die Stadtkasse generiert. Der Rat der Stadt Köln fühlte sich nämlich zuständig, die in seinem Einflussbereich gehandelte Ware zu kontrollieren, und zwar nicht nur in Bezug auf die Korrektheit der Mengenangaben, sondern auch auf deren Qualität. Seit dem 14. Jahrhundert wurde eine entsprechende Infrastruktur geschaffen beziehungsweise ausgebaut, die die Kontrolle vor allem der empfindlichen und leicht verderblichen „Ventgüter“ ermöglichte. Unter „Ventgütern“ sind dabei Heringe, Stockfisch, Bücklinge, Schollen, Kabeljau und sonstige gesalzene, geräucherte oder getrocknete Seefische, Rüb- und Leinöl, Butter, Talg, Schmalz, Speck, Tran, Teer, Honig und Salz zu verstehen. Verpackungen wurden stichprobenartig geöffnet, geprüft und der Inhalt gegebenenfalls umsortiert und umgepackt. Das bekannteste Beispiel für diese Qualitätskontrollen ist sicherlich der Hering, der in Fässern – den Containern der Vormoderne – geliefert wurde. In Köln wurden die Fässer geöffnet, der Hering entnommen, in neue Fässer geschichtet, neu eingesalzen und die wieder verschlossene Tonne mit einem Brandzeichen, den drei Kronen, versehen. Dieser sogenannte Kölner Brand galt weitverbreitet als Qualitätsmerkmal für Hering. Abgesehen davon, dass diese Qualitätskontrolle auch ein wirksames Mittel zur Verteidigung des Stapels war, gegen das nicht einmal die Stapelgegner vorzugehen wagten, wurden dafür auch Gebühren an die Stadtkasse fällig. Auch für die Benutzung der zwischen vier und sieben Kräne wurden Abgaben fällig, daneben Hafengebühr, Wiegegeld und eine Gebühr bei den Kaufhäusern, auf die noch weiter einzugehen ist. Hinzu kamen verschiedene Akzisen, das heißt von der Menge abhängige verbrauchs- und verkehrssteuerartige Abgaben. Insgesamt gewann die Verbrauchsbesteuerung und das im Zusammenhang mit dem Stapel stehende Abgabensystem bei den reichsstädtischen Finanzen die Oberhand über die direkte Besteuerung. Schließlich sollte auch der beschäftigungspolitische Aspekt des Stapels nicht vernachlässigt werden, denn immerhin entstanden durch ihn 400-500 Arbeitsplätze im Hafen und in den Kaufhäusern. Dass es der Stadt mit dem Stapel jedoch nicht in erster Linie darum ging ihre Finanzen aufzubessern, zeigte sich 1475. In diesem Jahr erhielt man ein Privileg für die Errichtung eines Rheinzolls. Bereits 1494 gab man ihn jedoch wieder auf. Die umliegenden Territorialfürsten sabotierten den Zoll, indem sie den Rhein ab Koblenz sperrten und die Kaufleute zwangen, dort zu entladen und Köln auf dem Landwege zu umfahren. Ab Zons durfte dann wieder der Wasserweg genutzt werden. Dadurch gelangten plötzlich nur noch wenige Waren nach Köln, was die Kölner Wirtschaft selbst schädigte. Generell hatte Köln mit den aufkommenden Territorialherrschaften zu kämpfen, die sich gegen den sich rechtlich immer weiter verfestigenden Stapel wehrten. Die Auseinandersetzungen führten bis zu Klagen vor dem Reichskammergericht.
Ergänzt wurde das Stapelrecht schließlich durch die Einbeziehung des Straßenverkehrs. Auch Viehherden, die in einem bestimmten Umkreis an Köln vorbeigetrieben wurden, hatten direkt in die Stadt zu kommen. Außerdem wurden alles im Umkreis von 80 Kilometern gewonnene Eisen sowie alles Leder in die Stadt gezwungen. Sonderlich effektiv konnte Köln seinen Anspruch auf dem Landweg jedoch nicht durchsetzen. Eigentlich endete die Macht des Kölner Rates unmittelbar jenseits der Stadtmauer. Die zur Umgehung des Stapels genutzte Straße von Bonn nach Dormagen umging die Reichsstadt auf der linken Rheinseite im Abstand von nur wenigen Kilometern. Nicht besser war es auf dem anderen Rheinufer um die Straße zwischen Zündorf und Mülheim bestellt. Stapelbrecher luden dort ihre Waren vom Schiff auf den Wagen, um sie am Zielort wieder einzuschiffen. Die beiden Orte, die heute zum Kölner Stadtgebiet gehören, erlangten als Umschlagsorte für den Stapel umgehende Waren sogar einen gewissen Wohlstand. Diese Route war jedenfalls so beliebt, dass es bereits 1612 Pläne gab, Mülheim und Zündorf mit einem Kanal zu verbinden, die jedoch aus finanziellen Gründen nicht realisiert wurden.
Hier zeigt sich das eigentliche Problem der Stadt Köln: das fehlende Territorium. Mit dem Sieg der Bürgerschaft über den Erzbischof war der effektive Wirkungsbereich der Stadt auf das eigentliche Stadtgebiet, also die von der Mauer klar begrenzte Fläche von etwa 400 Hektar beschränkt. Das Erzstift stand der Stadt nicht mehr zur Verfügung und war gleichsam gegnerisches Territorium geworden. Zwar war Landwirtschaft innerhalb des Mauerrings von 1180 grundsätzlich möglich und wurde auch praktiziert, reichte aber zur Versorgung der Bevölkerung bei weitem nicht aus, Rohstoffe gab es gar nicht. Diesem Problem konnte man durch Einführung des Stapels begegnen, denn fast alle Waren des täglichen und gehobenen Bedarfs passierten Köln auf dem Rhein und natürlich auch den Straßen. Diente der Stapel noch unter den Erzbischöfen den Zwecken der Versorgung des erzbischöflichen Hofes, so muss man ihm erst recht nachdem er in das städtische Regiment übergegangen war, eine versorgungspolitische Dimension zuerkennen. Denn das Vorkaufsrecht ermöglichte es Bürgern und Handwerkern, sich bevorrechtigt mit Rohstoffen und Gütern des täglichen Bedarfs zu versorgen. Aus diesem Grund hat man das Stapelrecht auch die „ökonomische Bannmeile“ Kölns genannt, die das fehlende Territorium ersetzte. Die Stadt griff aber auch selbst in den Handel ein und kaufte gestapeltes Salz und Getreide, um es in Notzeiten zu verträglichen Preisen an die Bevölkerung abgeben zu können. Zusammen mit dem Recht des Rates, Preise festsetzen zu können, ergibt sich daraus auch eine sozialpolitische Komponente des Stapels.
Insgesamt erreicht der Stapel im 18. Jahrhundert eine Ausdehnung von etwa 70-80 Kilometern rheinabwärts und 30 Kilometer rheinaufwärts. Die Einschränkungen des Handelsverkehrs in einem solchen Umkreis hatten auch Einfluss auf die Entwicklung der umliegenden Städte. So konnte sich in Bonn beispielsweise kein nennenswerter Rheinhandel entwickeln. Ähnliches gilt für Düsseldorf. Duisburg hingegen, das außerhalb der Kölner Einflusszone lag, profitierte vom Kölner Stapel, weil dieser dafür sorgte, dass keine anderen Häfen in Duisburgs Nähe aufkommen konnten. Somit kann man ihm einen deutlichen Anteil am Aufstieg Duisburgs zum wichtigsten Exporthafen für die bergisch-märkische Industrie und die linksrheinischen Gewerbezentren zuschreiben.
5. Die Kölner Kaufhäuser
Aber nicht nur auf die Wirtschaftstopographie und -geographie des Umlandes wirkte sich der Kölner Stapel aus. Auch die stadtkölnische Topographie wurde wesentlich durch ihn beeinflusst. Während es Hafen und Kräne auch schon vor Implementierung des Stapels gegeben hatte, sind Bau und Entwicklung der Kaufhäuser im Kölner Marktviertel eng mit dem Stapel verbunden. Zwar geht die Idee, Kaufhäuser einzurichten, nicht auf die Stadt Köln zurück, sondern ist Handwerkern zu verdanken, die den Absatz ihrer Produkte befördern und beaufsichtigen wollten. Aber bereits im 14. Jahrhundert begann die Stadt die bisher eingerichteten Kaufhäuser wohl aus finanz- und sozialpolitischen Gründen zu übernehmen. Die Konzentration des Handels in diesen Kaufhäusern erlaubte es ihr, den Warenverkehr besser zu überwachen und damit auch die fälligen Abgaben effektiver zu erheben. Das wohl bekannteste Kölner Kaufhaus ist der Gürzenich, der 1447 als städtisches Festhaus errichtet worden war. Er stand jedoch zunächst leer und wurde bereits Ende des 15. Jahrhunderts als Kaufhaus genutzt. Dort wurden unter anderem Metallteile, Eisenwaren und Gewürze gehandelt. An weiteren Kaufhäusern sind zu nennen: Das Leinwandhaus (1247), das Haus Aachen (1278) und sein Nachbarhaus (1322), das zunächst den Wollwebern gehörte, an dessen Stelle die Stadt aber 1373 die große Fleischhalle errichtete, das Haus zum Hirz (1355), das Kaufhaus auf dem Malzbüchel (1388), das Kaufhaus für die Seidmacher (1395), dem sich im 15. Jahrhundert ein Haus für Barchent, auch Sartuch genannt (ein Baumwoll-Leinen-Mischgewebe), hinzugesellte und das Fischkaufhaus oder Stapelhaus (1426). Als das kleinste Kölner Kaufhaus muss wohl die städtische Wollküche an St. Cäcilien gelten. Trotz ihres Namens wurde dort keine Wolle gewaschen.
Die Einrichtung der Kaufhäuser muss als die größte topographische Veränderung des spätmittelalterlichen Kölns angesehen werden. Nicht nur wurden die Stapel- und Verkaufsflächen für die zu stapelnden Waren vom Rheinufer weg in die Stadt verlegt. Die Konzentration der Märkte und Kaufhäuser in der Rheinvorstadt, in der sich dann auch zahlreiche Kaufleute und Gewerbetreibende ansiedelten, gab diesem Stadtviertel ihr charakteristisches Gepräge.
Seit Mitte des 16. Jahrhunderts gab es bereits Verfallserscheinungen beim Stapelrecht, das heißt immer öfter musste die freie Vorbeifahrt gestattet werden. Ende des 18. Jahrhunderts kassierte die Stadt lediglich noch fällige Abgaben, und fremde Kaufleute durften bei Einschaltung eines Kölner Spediteurs miteinander Geschäfte machen. Überhaupt schwand der Eigenhandel zugunsten des Kommissions- und Speditionshandels, sodass Kölner Kaufleute eigentlich nur noch als Vermittler der Waren fungierten, die auf dem Rhein an der Stadt vorbeizogen.
Am 16.11.1792 verkündete die französische Nationalversammlung die freie Rheinschifffahrt und läutete damit die Epoche der intensiven Bemühungen um die Freiheit des Schiffsverkehrs auf dem Rhein ein. Der Beschluss der Nationalversammlung war jedoch nicht gleichbedeutend mit einer Aufhebung des Stapelzwangs. Die Städte entlang des Rheins – allen voran Köln – verteidigten dieses Privileg zäh, da es die Basis des besonders in Köln praktizierten Speditions- und Kommissionshandels war. So behauptete zum Beispiel Dordrecht sein Stapelrecht bis 1795. Köln hielt sogar noch länger am Stapelrecht, das sich zu einem reinen Umschlagsrecht entwickelt hatte, fest. Es wurde jedoch seit 1796 faktisch nicht mehr ausgeübt. Trotzdem waren die Kölner nach wie vor nicht bereit, es gänzlich aufzugeben.
Mit dem „Rheinschifffahrts-Oktroi“ vom 15.8.1804, der den unter französischer Herrschaft stehenden Staaten die Regelung der Abgaben für die Rheinschifffahrt aufzwang, wurde die Grundlage für eine einheitliche Gesetzgebung derselben geschaffen. Doch auch damit wurde der Kölner Stapel nicht abgeschafft. Köln und Mainz wurde auch weiterhin das Umschlagsrecht garantiert. Den Kölnern gelang es sogar ihr Umschlagsrecht entgegen der Regelungen des Pariser Friedensvertrages vom 30.5.1814 und des Wiener Kongresses zu behaupten.
Der Pariser Vertrag legte grundsätzlich die freie Rheinschifffahrt fest, es gab in seiner Folge jedoch Auseinandersetzungen über die Auslegung der Formulierung, sie sei frei „jusqu' à la mer“. Die Niederländer zogen daraus den Schluss, dass sie zwar auf dem Rhein keine Abgaben mehr erheben durften, dafür aber bei der Einfahrt eines Schiffes in die Nordsee und umgekehrt. Köln wollte daher sein Umschlagsrecht erst aufgeben, wenn die Niederländer diesen Zoll beseitigten.
Die vor nicht allzu langer Zeit gegründete Kölner Handelskammer beziehungsweise deren Vorläufer spielte eine nicht unwesentliche Rolle bei der Verteidigung dieses wirtschaftlichen Privilegs. Zu ihren vordringlichen handelspolitischen Zielen gehörte es, auf der einen Seite den Transitverkehr auf dem Rhein zu fördern, diesen auf der anderen Seite aber dem Umschlag in Köln zu unterwerfen. Zu diesem Zweck nahm die Handelskammer noch vor Abschluss des Wiener Kongresses Kontakt mit der preußischen Regierung auf und beteuerte immer wieder die Wichtigkeit des Warenumschlags für die Kölner Wirtschaft. Als immer klarer wurde, dass diese Politik nicht erfolgreich sein würde, spielten die Kölner auf Zeit: Sie versuchte die vollständige Aufhebung des Stapels so lange wie möglich zu verhindern. Sollte sie aber nicht mehr aufzuhalten sein, verlangte man vom mittlerweile preußischen Staat eine angemessene Entschädigung. Ein solche sagte der König 1829 zu. Erst mit der sogenannten Mainzer Rheinschifffahrtsakte vom 31.3.1831 und ihrem Inkrafttreten am 17.7.1831 wurde das Stapelrecht bis auf einige Überreste endgültig abgeschafft. Preußen sagte Köln daraufhin einen finanziellen Ausgleich in Höhe von 50.000 Talern jährlich bis zu einer Gesamthöhe von einer halben Million zu. Immerhin erhielt die Stadt davon insgesamt 232.000 Taler in bar. Die letzten Reste des Stapel- beziehungsweise Umschlagsrechts verschwanden erst mit der zweiten Rheinschifffahrtsakte von 1868.
6. Fazit
Die Bedeutung des Stapelrechts für die Kölner Wirtschaftsgeschichte kann kaum überschätzt werden. Er sicherte nicht nur die Versorgung mit günstigen Waren und vor allem Rohstoffen, die die Reichsstadt Köln aufgrund des fehlenden Territoriums selbst nicht hatte. Er verhalf dem Handwerk und der Wirtschaft allgemein zu einem Aufschwung und hatte wesentlichen Einfluss auf die städtischen Finanzen. Seine Auswirkungen reichten nicht nur bis weit ins 19. Jahrhundert, sondern sind auch ein Grund, warum sich seit dem 13. und bis hinein ins 20. Jahrhundert keine überregionalen Messen in Köln etablierten: Man benötigte keine, denn die Waren fuhren mit dem Schiff an Köln vorbei.
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Hillen, Christian, Der Kölner Stapel, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/Themen/der-koelner-stapel/DE-2086/lido/57d11f1ea03797.52066529 (abgerufen am 04.10.2024)