Der Rhenser Kurverein
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Der Rhenser Kurverein war ein im Juli 1338 geschlossenes Bündnis der Kurfürsten des Heiligen Römischen Reiches mit dem Ziel, die kurfürstlichen Rechte und Freiheiten, insbesondere ihr Recht zur Wahl des römisch-deutschen Königs, gegen den Approbationsanspruch des Papstes zu verteidigen.
1. Approbationsanspruch und Reichsvikariat
Dieser Anspruch war bereits von Papst Innocenz III. (Pontifikat 1198-1216) mit Nachdruck erhoben und umfassend propagiert worden: Seiner Ansicht nach musste ein von den deutschen Fürsten gewählter König zur legitimen Ausübung seiner Herrschaft vom Papst bestätigt werden. Diese Kompetenz begründete Innocenz III. vor allem damit, dass der römisch-deutsche König zugleich im Hinblick auf das römische Kaisertum gewählt werde, die Kaiserkrönung aber vom Papst durchgeführt werde. Deshalb stehe es dem Papst zu, den oder die Kandidaten auf ihre Eignung für das Kaiseramt hin zu prüfen und zu bestätigen (approbare) – oder zu verwerfen (reprobare). Dieses päpstliche Approbationsrecht ist 1234 in das offizielle Kirchenrecht eingegangen, blieb aber im Reich sehr umstritten. Zudem fand in Deutschland in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts ein folgenreicher Verfassungswandel statt, indem sich eine kleine Gruppe vornehmer Reichsfürsten rechtlich von den Standesgenossen absetzte: Die Königswahl, an der im Hochmittelalter noch unterschiedslos alle Reichsfürsten teilnehmen konnten, wurde zum exklusiven Privileg dieser Kurfürsten.
Als im Herbst 1314 ein Nachfolger für den bereits im Vorjahr verstorbenen Kaiser Heinrich VII. (römisch-deutscher König 1308-1313, ab 1312 Kaiser) gewählt werden sollte, wurde der heikle Punkt des päpstlichen Approbationsanspruchs erneut akut. Die Wahl verlief zwiespältig, weil sich die Kurfürsten in der Kandidatenfrage uneins waren: Am 19. Oktober wurde in Sachsenhausen der Habsburger Friedrich der Schöne (1289-1330), einen Tag später vor den Toren Frankfurts der wittelsbachische Herzog von Oberbayern, Ludwig IV. (genannt „der Bayer“), gewählt. Beide Parteien verfassten Wahlanzeigen an den Papst, aber während in dem Schreiben für Ludwig nur davon die Rede war, der Papst möge ihm seine väterliche Huld erweisen und ihn zu geeigneter Zeit zum Kaiser krönen, enthielt das Schreiben für Friedrich zusätzlich die ausdrückliche Bitte um Approbation der Wahl.
Freilich waren diese Wahlanzeigen für einen Amtsinhaber aufgesetzt worden, den es erst noch zu bestellen galt, denn seit dem Tod Papst Clemens‘ V. (Pontifikat 1305-1314) im April 1314 war der Apostolische Stuhl vakant – und er blieb es bis zur Wahl Johannes' XXII. (Pontifikat 1316-1334) im August 1316. Unter seinem Pontifikat wurde Avignon zum institutionellen Sitz der Kurie ausgebaut, nachdem die Stadt an der Rhône schon unter seinem Amtsvorgänger zum bevorzugten päpstlichen Aufenthaltsort geworden war. In die Verhältnisse in Deutschland griff Johannes XXII. zunächst nicht ein. Hier beharkten sich beide Thronrivalen in mehrjährigen militärischen Manövern, bis Ludwig IV. am 28.9.1322 bei Mühldorf seinen Gegner Friedrich in offener Feldschlacht besiegte und gefangen nahm. Damit gewann Ludwig die Oberhand im Kampf um den Thron und sah sich nunmehr in der Lage, seine Herrschaft auch auf Reichsitalien auszuweiten. Dieses herrscherliche Ausgreifen über die Alpen lief jedoch den Interessen des Papstes zuwider, der von Avignon aus eine selbständige Italienpolitik verfolgte. Dabei berief sich Johannes XXII. auf die im 13. Jahrhundert an der Kurie entwickelte Rechtsfigur des Reichsvikariates: Wenn das Imperium vakant sei, falle die Reichsherrschaft an den Papst zurück. Und aus Sicht des Papstes bestand diese Vakanz seit dem Tod Heinrichs VII. (24.8.1313) fort, weil der Apostolische Stuhl in der Frage der zwiespältigen Königswahl von 1314 keinen der beiden Gewählten approbiert beziehungsweise reprobiert habe. An diesem Punkt entzündete sich ein Streit, der die Politik im Reich und an der Kurie für ein Vierteljahrhundert bestimmten sollte.
2. Eskalation des Konfliktes zwischen Herrscher und Papst
Am 8.10.1323 eröffnete Johannes XXII. einen Prozess gegen Ludwig IV., dem er vorwarf, den Königstitel usurpiert zu haben: Ludwig wurde aufgefordert, innerhalb von drei Monaten die Königsherrschaft niederzulegen und sämtliche Regierungshandlungen zu widerrufen; andernfalls werde er exkommuniziert. Sämtlichen Prälaten und Geistlichen, aber auch weltlichen Untertanen wurde streng verboten, ihm als ihrem König Gehorsam zu erweisen. Hierauf reagierte Ludwig am 18. Dezember mit einem öffentlichen Protest (Nürnberger Appellation), den er gut zwei Wochen später noch einmal wiederholte (Frankfurter Appellation): Darin wies er die gegen ihn erhobenen Anschuldigungen zurück und berief sich auf das seit alters geltende Reichsherkommen: Wer einstimmig oder mit Mehrheit von den Kurfürsten gewählt und mit der Königskrone gekrönt worden sei, und zwar an den gewohnten Orten (also in Frankfurt und Aachen), sei damit im rechtmäßigen Besitz sämtlicher königlicher Herrschaftsrechte. Diese Voraussetzungen erfülle er ganz offenkundig, und überhaupt stehe dem Papst kein generelles Approbationsrecht zu. Dieser Protest wurde an der Kurie in Avignon jedoch nicht weiter berücksichtigt. Am 23.3.1324 verkündete Papst Johannes XXII. die Exkommunikation Ludwigs IV. und kündigte Strafen für alle an, die ihn weiterhin als König anerkannten und ihm Gehorsam leisteten. Diese Zwangsmaßnahmen zeigten freilich wenig Wirkung, weshalb der Papst noch einen Schritt weiter ging: Am 11. Juli sprach er Ludwig IV. sämtliche Rechte ab, die sich irgendwie aus seiner Wahl herleiten mochten; seine Anhänger wurden nun exkommuniziert, über ihre und Ludwigs Länder das Interdikt verhängt: Damit waren Messfeiern und sonstige Gottesdienste sowie die Sakramentenspende verboten beziehungsweise stark eingeschränkt.
Noch zuvor, am 22. Mai, hatte Ludwig seinerseits in scharfem Ton die Rechtmäßigkeit des Papsttums Johannes' XXII. in Zweifel gezogen und ihn mit Anklagen und Beschuldigungen überschüttet, die sich bis zum Vorwurf der Häresie steigerten (Sachsenhäuser Appellation). Dabei legte er noch einmal die Legitimation seines Königtums dar: Das allseits anerkannte Gewohnheitsrecht des Reiches sehe vor, dass ein am rechtmäßig angesetzten Tag in Frankfurt von den Kurfürsten gewählter Kandidat als in Eintracht erwählt anzusehen sei, selbst wenn er nicht einstimmig oder von der Mehrheit, sondern nur von der Minderheit oder sogar nur von zwei Kurfürsten gewählt worden sei; nach der Krönung in Aachen sei er sofort wahrhaft römischer König (verus rex), dem alle Untergebenen und Reichsvasallen Gehorsam schuldig seien. Indem Johannes XXII. diese altbewährten Gewohnheits- und Freiheitsrechte des Reiches bestreite, betreibe er böswillig nicht nur den Untergang des Reiches, sondern auch den der Kurfürsten.
Dieser Vorwurf war wohlkalkuliert, denn er appellierte an das Selbstverständnis der deutschen Kurfürsten: Sollte sich der Papst mit seinem Approbationsrecht durchsetzen, lief das faktisch darauf hinaus, dass die kurfürstliche Wahlentscheidung unter Vorbehalt gestellt würde. Damit war ein neuralgischer Punkt berührt, auf den Johannes XXII. umgehend mit Beschwichtigungsversuchen reagierte, indem er versicherte, er habe keineswegs die Absicht, die kurfürstlichen Rechte in irgendeiner Weise zu mindern. Mit derlei Floskeln waren die Bedenken freilich kaum zu zerstreuen. Der gelehrte "Staatstheoretiker" Marsilius von Padua (1275/1280-vor 10.4.1343), der sich seit Mitte der 1320er Jahre am Hof Ludwigs IV. aufhielt, brachte es in drastischen Worten auf den Punkt: Wenn die Autorität des gewählten Königs allein vom Willen des römischen Bischofs abhinge, dann sei das Amt der Wähler – also der Kurfürsten – null und nichtig und ihre Wahlentscheidung bringe dem römischen König nicht mehr Autorität zu, als sie auch sieben Barbiere oder triefäugige Deppen verleihen könnten.
Die nächsten Jahre waren gezeichnet von dem tiefgreifenden Zerwürfnis zwischen den Kontrahenten. Anfang 1327 trat Ludwig einen Italienzug an, ordnete in Mailand die Herrschaftsverhältnisse in seinem Sinne und eroberte das papsttreue Pisa. Während dessen ließ Johannes XXII. weitere Prozesse gegen ihn führen, die mit seiner Verurteilung als Ketzer und der Aberkennung sämtlicher Lehen, insbesondere der angestammten bayerischen Herzogswürde, und aller sonstiger Rechtstitel und Besitzungen endeten. Seitdem wurde der wittelsbachische Herrscher in kurialen Schreiben ohne Titelzusatz einfach nur als "Ludwig von Bayern" oder "Ludwig der Bayer" bezeichnet. Ungeachtet dessen zog Ludwig zu Jahresbeginn 1328 in Rom ein und wurde am 17. Januar in St. Peter zum Kaiser gekrönt. Die Zeremonie wurde von vier Vertretern der Stadt Rom und drei exkommunizierten Bischöfen durchgeführt. Drei Monate später erklärte Ludwig kraft des Urteils seiner kaiserlichen Autorität den Papst für abgesetzt, weil er erwiesenermaßen ein vielfach überführter notorischer Ketzer und Majestätsverbrecher sei. Am 12. Mai wurde auf sein Betreiben hin ein Franziskanermönch zum neuen Papst erhoben, der den Pontifikatsnamen Nikolaus V. (Pontifikat 1328-1330) annahm und zehn Tage später, am Pfingstsonntag, erneut die Zeremonie der Kaiserweihe Ludwigs vornahm. Wenige Monate später allerdings sah sich Ludwig IV. gezwungen, zusammen mit „seinem“ Papst Rom zu verlassen. Papst Johannes XXII. seinerseits forderte im Laufe des Jahres 1328 die Kurfürsten mehrfach zur Wahl eines neuen römischen Königs auf, drang aber damit nicht durch.
3. Verhandlungen zwischen Herrscher und Kurie
Bislang war der Konflikt zwischen Kurie und Herrscher Schritt für Schritt immer weiter eskaliert. Es folgte eine Phase, in der Ludwig IV. versuchte, die verfahrene Situation auf dem Verhandlungsweg zu lösen. Anfang 1330 war er mit einer gemischten Erfolgsbilanz aus Italien nach Deutschland zurückgekehrt. Noch im selben Jahr sondierte er an der Kurie über mögliche Konditionen seiner Lösung vom Kirchenbann. Allerdings blieb diese Initiative ebenso ergebnislos wie direkte Unterhandlungen in den folgenden Jahren: Johannes XXII. beharrte unnachgiebig auf seinem Standpunkt. Sein Tod am 4.12.1334 und die Wahl seines Nachfolgers Benedikt XII. (Pontifikat 1334-1342) zwei Wochen später schienen einen Ausweg zu eröffnen: Ludwig IV. machte einen neuen Vorstoß und verhandelte von Frühjahr 1335 an über zwei Jahre hinweg mit der Kurie über die Modalitäten seiner Absolution. Dabei war er bereit, im Zuge der Aufhebung der Exkommunikation eine ganze Reihe schwerer Verfehlungen gegen den Apostolischen Stuhl einzugestehen (unter anderem seine „papstfreie“ Kaiserkrönung und die Erhebung eines „Gegenpapstes“), ohne sich aber in der Kernfrage der Approbation etwas zu vergeben. Dieser Absolutionsprozess wurden schließlich im April 1337 von Seiten Benedikts XII. ausgesetzt.
4. Auf dem Weg zum Kurverein
In Deutschland rief das Scheitern der Absolutionsverhandlungen Verbitterung hervor, denn hiermit zerstoben auch die Hoffnungen auf Aufhebung des Interdikts. Das Verbot öffentlicher Gottesdienste beeinträchtigte das Alltagsleben der um ihr Seelenheil besorgten Bevölkerung seit mittlerweile 13 Jahren, und man lastete es dem Papst an, dass er diesem unseligen Zustand nicht endlich ein Ende bereitete, obwohl der Kaiser sich bußfertig gezeigt habe. So wandte sich die öffentliche Meinung immer deutlicher gegen die Kurie in Avignon – auch bei denjenigen deutschen Kirchenfürsten, die das Vorgehen des Papstes bislang loyal mitgetragen hatten.
Im Zuge dieses Stimmungsumschwungs fand Ludwig IV. verstärkten politischen Rückhalt im Reich. Ein wichtiger Erfolg war, dass er kurz nach dem Scheitern der Aussöhnungsverhandlungen den Mainzer Kurfürsten Heinrich von Virneburg (Episkopat 1328-1346) an sich binden konnte. Heinrich war im Oktober 1328 von Johannes XXII. zum Erzbischof von Mainz providiert worden, weil er an der Kurie als papsttreu galt. Kurz vor dieser Ernennung durch den Papst jedoch hatte das Domkapitel den Trierer Kurfürsten Balduin zum Administrator der Mainzer Kirche gewählt: Die Folge war ein langjähriger, auch militärisch ausgefochtener Streit um die Leitung des Erzbistums und Erzstifts Mainz; erst Ende 1336 legte Balduin auf anhaltenden päpstlichen Druck die Administration nieder. Daraufhin arrangierte sich Heinrich von Virneburg in nüchterner Einschätzung der machtpolitischen Lage mit dem Mainzer Domkapitel und vollzog einen Wechsel in das Lager Kaiser Ludwigs IV., der ihn Ende Juni 1337 in seiner erzbischöflichen Würde anerkannte.
Papst Benedikt XII. reagierte mit einer Vorladung des Virneburgers, der in dieser misslichen Situation das Heft des Handelns nicht aus der Hand geben wollte und für Ende März 1338 eine Synode der ausgedehnten Mainzer Kirchenprovinz nach Speyer einberief. Hier erschienen außer dem Erzbischof nicht weniger als neun Bischöfe oder Bevollmächtigte, die eine gemeinsame Petition nach Avignon aufsetzten: der Papst wurde eindringlich darum gebeten, „den Herrn Ludwig von Bayern“ wieder in Gnaden aufzunehmen. Ludwig habe den Bischöfen persönlich versprochen, in allen Angelegenheiten, die seinen Streit mit der Römischen Kirche beträfen, ihren Anordnungen zu folgen, soweit er dies vor Gott verantworten und mit dem Recht und seiner Ehre vereinbaren könne. Der Papst freilich lehnte ein solches Ansinnen rundweg ab und hielt den deutschen Prälaten vor, sich als Richter über die Römische Kirche aufzuspielen.
Ohnedies waren die Vermittlungsbemühungen der Speyerer Provinzialsynode nur halbherzig von Ludwig IV. mitgetragen worden. Er selbst war zu einer forscheren Gangart entschieden. Am 17.5.1338 hielt er in Frankfurt einen Ständetag ab, auf dem Vertreter der Domkapitel, des nichtfürstlichen Adels und der Städte versammelt waren. Hier präsentierte sich der Kaiser als Opfer kurialer Ignoranz und rief dazu auf, nach Maßgabe eigens vorbereiteter Musterentwürfe schriftliche Eingaben an den Papst zu machen. In ihnen wurde hervorgehoben, dass die päpstlichen Prozesse, Urteile und Sanktionen gegen den Kaiser und seine Gefolgsleute unter Missachtung des geltenden Reichsrechtes erfolgt seien, wonach ein von den Kurfürsten gewählter und in Aachen gekrönter Herrscher als rechtmäßiger König anzusehen sei und unverzüglich die Regierung des gesamten römischen Imperiums antreten könne. Der Papst wurde aufgefordert, die entsprechenden Prozesse zu widerrufen, weil sie einen Verstoß gegen die Rechtstradition des römischen König- und Kaiserreichs und damit auch des deutschen Vaterlandes (patria Germaniae) darstellten.
5. Kurverein und Kurweistum
Mit dieser Kampagne bediente sich Ludwig IV. des Unmuts gegen die Kurie, der sich insbesondere in den Städten wegen des anhaltenden Interdikts angestaut hatte. Nun sahen sich auch die Kurfürsten unter Zugzwang: Wenn Städte und Adel sich gegenüber dem Papst über die reichsrechtlichen Grundlagen der Königsherrschaft ausließen, dann mussten sich auch die Kurfürsten positionieren, wenn sie ihre hervorgehobene Stellung in der Reichsverfassung behaupten wollten. Dabei konnten sie sich sogar auf eine aktuelle Äußerung des Papstes berufen, der seine Ablehnung der Speyerer Vermittlungsinitiative unter anderem damit begründete, dass bei Aussöhnungsverhandlungen zwischen Ludwig dem Bayern und der Kurie unbedingt die Fürsten, die eine Stimme bei der Wahl des römischen Königs hätten, miteinbezogen werden müssten. Besonders zwei Kurfürsten sahen sich zu einer öffentlichen Stellungnahme herausgefordert: der Mainzer Erzbischof Heinrich von Virneburg und Erzbischof Balduin von Trier. Letzterer stammte aus dem Grafenhaus Luxemburg, amtierte seit 1308 als Erzbischof von Trier und war aufgrund seiner profunden Erfahrungen als Reichsfürst und Territorialherr sowie seiner diplomatischen Umsicht eine der führenden politischen Persönlichkeiten im Reich. Grundsätzlich waren sich Heinrich und Balduin zwar aufgrund ihres Streites um die Leitung der Mainzer Erzdiözese nicht grün, doch konnte Ludwig IV. am 13.7.1338 in Bacharach eine Aussöhnung vermitteln.
Zwei Tage später kam es zu einem Treffen der Kurfürsten in Rhens. Der südlich von Koblenz am linken Rheinufer gelegene Ort gehörte zum Territorialbesitz der Kölner Kirche, befand sich aber innerhalb der Erzdiözese Trier und war umgeben von Kurtrierer, Kurmainzer und Kurpfälzer Besitzungen. Aufgrund der für die rheinischen Kurfürsten verkehrsgünstigen Lage hatten in Rhens schon mehrfach Zusammenkünfte im Kontext von Königserhebungen stattgefunden. Im Herbst 1308 hatte man sich hier auf die Wahl Heinrichs VII. geeinigt. Auch 1313/1314, im Vorfeld der Doppelwahl Ludwigs IV. und Friedrichs des Schönen, war Rhens mehrfach Schauplatz kurfürstlicher Verhandlungen gewesen.
In der aufgeheizten Atmosphäre des Sommers 1338 erschienen die Kurfürsten fast vollzählig in Rhens. Die drei rheinischen Erzbischöfe waren allesamt anwesend: Neben Balduin von Trier und Heinrich von Mainz auch Walram von Köln. Von den weltlichen Kurfürsten fehlte allein König Johann von Böhmen (Regierungszeit 1311-1346), alle anderen waren gekommen, selbst Herzog Rudolf von Sachsen-Wittenberg (Regierungszeit 1298-1356), der ansonsten ein eher distanziertes Verhältnis zu Ludwig IV. pflegte. Die anderen Inhaber weltlicher Kurwürden waren dagegen nahe Verwandte: Markgraf Ludwig von Brandenburg (1315-1361) war der älteste Sohn des Kaisers, und als Repräsentanten der pfälzischen Kurstimme waren gleich vier Wittelsbacher Familienangehörige erschienen, neben Stephan (1319-1375), einem weiteren Kaisersohn, auch zwei Neffen und ein Großneffe.
Diese Fürsten schlossen sich 16.7.1338 im Obstgarten von Rhens zu einem vertraglichen Bündnis zusammen – dem Kurverein: Sie erklärten, angesichts der Beschwernisse und Kränkungen, denen das Heilige Römische Reich ausgesetzt sei, sowohl dessen Ehre und Rechte als auch die eigenen kurfürstlichen Rechte und Freiheiten – insbesondere ihre altehrwürdigen Rechte an der kur des richs (also der Königswahl!) – gegen Anfechtungen von jedweder Seite verteidigen zu wollen. Ferner verpflichteten sie sich zu gegenseitigem Beistand sowie dazu, bei sachlichen Meinungsverschiedenheiten dem Beschluss der Mehrheit zu folgen. Außerdem wurde vereinbart, dass die mit den Kurfürsten befreundeten Fürsten und Herren, aber auch ihre Lehnsleute, Dienstmannen und Bürger dazu angehalten werden sollten, dem Bund beizutreten.
Am gleichen Tag stellten die versammelten Kurfürsten in einem Weistum (Rechtsgutachten, Rechtsfeststellung) den reichsrechtlichen Sachstand klar: Sobald jemand von den Kurfürsten beziehungsweise ihrer zahlenmäßigen Mehrheit zum römischen König gewählt ist, bedarf er keiner Anerkennung, Bestätigung oder Billigung des Apostolischen Stuhls, um den Königstitel zu führen und die Rechte und Güter des Imperiums rechtmäßig zu verwalten. Von einer legitimierenden Funktion der Krönung in Aachen war in dem Weistum nicht mehr die Rede, wohl weil die Initiatoren des Kurvereins, die Erzbischöfe von Trier und Mainz, bei der Krönungsliturgie keine tragende Rolle spielten: Die Königskrönung wurde traditionell vom Erzbischof von Köln vollzogen.
Die auf dem Rhenser Kurfürstentreffen besiegelten Verlautbarungen waren zweifellos im Sinne Ludwigs IV., aber sie waren so konzipiert, dass der Kaiser sie nicht ohne weiteres gegen den Papst ins Feld führen konnte. Im Vertragstext des kurfürstlichen Bündnisses war nämlich nur ganz allgemein von Angriffen auf die Rechte des Reiches die Rede; der Papst wurde bewusst nicht als Urheber dieser Angriffe benannt. Und das Weistum wandte sich zwar explizit gegen den päpstlichen Approbationsanspruch, beschränkte sich aber auf eine neutrale Darlegung des reichsrechtlichen Sachverhalts. Weder wurde in dem Dokument der Namen Ludwigs des Bayern genannt, noch war es nach seinen Herrscherjahren datiert; die Datierung erfolgte vielmehr nach den Pontifikatsjahren Benedikts XII. Somit blieb die Stellungnahme der in Rhens versammelten Kurfürsten ohne Bezug auf den aktuellen Konflikt. Die vom Kaiser erwünschte kurfürstliche Solidaritätsadresse blieb aus.
Dieses Vorgehen lag ganz auf der politischen Linie Balduins von Trier, der entscheidenden Einfluss auf den Wortlaut der Dokumente genommen hat und sich einmal mehr als diplomatisch geschickter Politiker erwies, der auf keinen Fall einen Bruch mit der Kurie in Avignon riskieren wollte. Die Rhenser Erklärung und der Kurverein bedeuteten somit keine vorbehaltlose Parteinahme für Ludwig IV., vielmehr gingen die Kurfürsten unterschiedlich damit um: Eine klare Position bezog Kurfürst Heinrich von Mainz, der in einer gesonderten Urkunde klarstellte, wie er den Wortlaut der Bündnisvereinbarung verstanden wissen wollte: Mit dem Terminus rich seien Kaiser Ludwig und das Römische Reich gemeint, das dieser innehabe - und nieman anders! Balduin von Trier wiederum ließ in der für ihn typischen diplomatisch-lavierenden Manier einen Brief an den Papst aufsetzen: hierin überging er das Kurweistum mit Stillschweigen und setzte die Kurie nur von der Gründung des Kurvereins in Kenntnis, und auch dies in moderaten und respektvollen Tönen. Überdies wurde der Papst angesichts der Gefahr für die Seelen der Bevölkerung Deutschlands gebeten, den zu einer angemessenen Genugtuung bereiten Ludwig von Bayern wieder in Gnaden aufzunehmen.
6. Der Kurverein nach Rhens
Ludwig IV. hatte das Rhenser Kurfürstentreffen von Oberlahnstein aus verfolgt. Die Ergebnisse der Tagung konnten ihn nicht zufriedenstellen, doch ließ sich darauf aufbauen. Drei Wochen später hielt er eine mäßig besuchte Reichsversammlung in Frankfurt ab. Von den Kurfürsten nahm nur Erzbischof Heinrich von Mainz teil, doch war auch eine Abordnung von sieben elsässischen Städten erschienen (darunter Colmar, Hagenau und Mühlhausen), die dem Kurverein beitraten, dabei aber nicht im Ungefähren blieben: Sie erklärten den Kurverein unzweideutig als Bündnis zur Unterstützung Ludwigs des Bayern, den sie als Inhaber der Kaiserwürde anerkannten.
Hier in Frankfurt erließ Ludwig am 6.8.1338 das Reichsgesetz „Licet iuris“, das grundsätzlich auf dem Rhenser Kurweistum basierte, aber an entscheidenden Stellen darüber hinausging. Dieses Gesetz stellte zunächst einmal fest, dass die kaiserliche Würde und Vollmacht unmittelbar von Gott herrühre. Böswillige Leute würden zwar behaupten, die kaiserliche Amtsgewalt stamme vom Papst und der „zum Kaiser Gewählte“ (electus in imperatorem) müsse vom Papst oder dem Apostolischen Stuhl bestätigt werden. Dagegen berief sich Ludwig IV. jedoch auf das Reichsherkommen und auf die Zustimmung der Kurfürsten sowie der anderen Reichsfürsten. In dem Reichsgesetz verfügte er: Der einmütig oder mehrheitlich von den Kurfürsten zum Kaiser Gewählte ist allein aufgrund der Wahl (ex sola electione) als wahrer und rechtmäßiger Kaiser anzusehen, der die vollständige kaiserliche Rechtsprechungs- und Amtsgewalt innehat und dem alle Reichsuntertanen Gehorsam schulden. Allen, die dem Inhalt dieses Dekrets auch nur teilweise widersprechen oder derartigen Widerspruch begünstigen, werden mit sofortiger Wirkung sämtliche Reichslehen und Privilegien entzogen; außerdem unterliegen sie wegen Majestätsverbrechens der dafür vorgesehenen Strafe.
Nach Maßgabe des Reichsgesetzes „Licet iuris“ war die Königswahl durch die Kurfürsten in Wirklichkeit also eine Kaiserwahl: Der Gewählte war demnach verus imperator, also faktisch schon Kaiser mit allen dieser Würde zukommenden Rechten und Kompetenzen. In der Konsequenz bedeutete dies, dass die Kaiserkrönung, von der in dem Dokument gar nicht die Rede ist, nur den kaiserlichen Titel verlieh, ohne in der Sache irgendetwas zur Fülle der kaiserlichen Herrschaftsgewalt beizutragen.
Explizit ausgesprochen wurde diese Sichtweise in dem Mandat „Fidem catholicam“, das ebenfalls auf dem Frankfurter Hoftag von Ludwig dem Bayern offiziell erlassen und publik gemacht wurde. Der von gelehrten franziskanischen Intellektuellen redigierte Text war gespickt mit Belegstellen aus dem kanonischen und römischen Recht. Ausführlich wurde hier die Rechtsauffassung dargelegt, wonach die kaiserliche Amtsgewalt unmittelbar von Gott stamme und dem zum Kaiser Gewählten einzig aufgrund der Wahl zukomme, auch bevor er vom Papst gesalbt, geweiht und gekrönt worden sei. Überdies wurden die kurialen Prozesse gegen Ludwig aus diversen Gründen für nichtig erklärt, weshalb die Exkommunikationsurteile über den Kaiser und seine Anhänger ebenso wie das vom Papst verhängte Interdikt unwirksam seien. Die Beachtung dieser Urteile und des Interdikts wurde allen Reichsangehörigen bei Androhung des Verlusts ihrer Lehen und sonstigen Privilegien verboten.
Anfang September 1338 trumpfte Ludwig der Bayer erneut auf und hielt einen zahlreich besuchten Hoftag in Koblenz ab. Die Stadt gehörte zum Territorium des Erzbischofs von Trier, sodass Kurfürst Balduin sozusagen als „Gastgeber“ fungierte. In Koblenz empfing der Kaiser den mit ihm verschwägerten englischen König Edward III. (Regierungszeit 1327-1377), der in Deutschland um Bündnispartner für den Krieg gegen Frankreich warb – der Hundertjährige Krieg zeichnete sich schon deutlich am Horizont ab. Dabei nutzte Ludwig IV. die Gelegenheit, sich mit beträchtlichem zeremoniellem Aufwand vor großem Publikum als Kaiser prunkvoll in Szene zu setzen. Dazu gehörte, dass das Reichsgesetz „Licet iuris“ und das Mandat „Fidem catholicam“ erneut proklamiert wurden. Am 5. September erließ er – im kaiserlichen Ornat auf einer hohen Tribüne sitzend und umgeben von den Kurfürsten von Trier, Mainz, Sachsen und der Pfalz – weitere Gesetze und Mandate. Unter anderem erklärte er die päpstlichen Prozesse und Urteile, die gegen ihn geführt und gefällt worden waren, für nichtig; wer diese Urteile weiterhin für gültig halte und das Interdikt befolge, wurde für friedlos erklärt. Dabei berief sich der Kaiser ausdrücklich auf das Rhenser Kurweistum, obwohl dessen Text ja bewusst neutral formuliert war und auf Ludwigs Streit mit der Kurie gar nicht einging. Weiterhin verfügte Ludwig der Bayer ein Gesetz, wonach alle Reichsangehörigen und -untertanen, egal welchen Standes, dem Kaiser beistehen müssten, um die Rechte und Güter des Reiches zu wahren und zu verteidigen. Dabei bestätigten ihm die anwesenden Kurfürsten auf Nachfrage, dass jeder des Majestätsverbrechens schuldig sei, der dem Kaiser bei der Bewahrung und Verteidigung des Imperiums Widerstand leiste.
Ludwig IV. nutzte somit gezielt die politische Dynamik des Spätsommers 1338 und vereinnahmte in Koblenz praktisch den Rhenser Kurverein, der sich ja anderthalb Monate zuvor selbst zur Verteidigung der Reichsrechte verpflichtet hatte. Das entsprach sicher nicht den Intentionen des Trierer Kurfürsten Balduin, auch wenn er die Koblenzer Beschlüsse letztlich mittrug und sich damit gegenüber der Kurie ziemlich weit aus dem Fenster lehnte.
In Koblenz propagierte Ludwig IV. öffentlichkeitswirksam, dass seine Herrschaft starken Rückhalt im Reich hatte, insbesondere bei den Kurfürsten. Faktisch war das nur bedingt der Fall, denn Erzbischof Walram von Köln war von den in Rhens gefassten Beschlüssen zwischenzeitlich wieder abgerückt und dem Koblenzer Hoftag ferngeblieben. Vielmehr hatte er sich gegenüber der Kurie in Avignon entschuldigt und betont, in der Sache nichts Anstößiges getan zu haben, sondern stets treu und gehorsam gegenüber dem Papst und der Römischen Kirche gewesen zu sein. Auch werde er „den Bayern“ nicht als Kaiser oder König anerkennen, bevor er von der Römischen Kirche approbiert worden sei.
Ludwig IV. aber setzte in optimistischer Einschätzung der eigenen Stärke die Kurie umfassend von den Ergebnissen des Koblenzer Hoftages in Kenntnis. Sein Selbstbewusstsein lag auch in den Soldverträgen begründet, die er und die Kurfürsten von Trier und Mainz mit Edward III. von England geschlossen hatten: hierin wurde dem englischen König Truppenhilfe für den Krieg gegen Frankreich zugesichert. Derartige Allianzen waren für die Kurie in Avignon, die mit dem französischen König eng verbunden war, sehr bedenklich, so dass sich Papst Benedikt XII. zu Konsultationen mit Ludwig dem Bayern verstand. Bei alledem hielt er aber unverrückbar daran fest, dass Ludwig den Kaisertitel niederlegen, alle als Kaiser durchgeführten Regierungshandlungen für ungültig erklären und beim Papst förmlich um die Approbation zum römischen König nachsuchen müsse. Dabei machte der Papst keinen Hehl daraus, was er vom Kurverein hielt: Seiner Ansicht nach richteten sich die kurfürstlichen Bündnisse und Verlautbarungen von Rhens klar und eindeutig gegen die Römische Kirche und die kirchliche Freiheit!
Diese Einschätzung war nicht zuletzt das Resultat der Instrumentalisierung der Rhenser Dokumente durch Ludwig IV. In Deutschland aber sorgte die sture Haltung der päpstlichen Kurie für eine Solidarisierung mit dem Kaiser. Im März 1339 hielt Ludwig erneut in Frankfurt Hof, und anders als in Koblenz waren diesmal, abgesehen von Walram von Köln, wirklich alle Kurfürsten zugegen. Selbst König Johann von Böhmen, der seit Jahren mit Ludwig dem Bayern über Kreuz lag und bei dem Kurfürstentag in Rhens Mitte Juli 1338 gefehlt hatte, war erschienen. Er huldigte dem Kaiser und wurde im Gegenzug förmlich im Besitz der Reichslehen Böhmen, Mähren sowie der Grafschaft Luxemburg bestätigt. In einer schriftlichen Vereinbarung verpflichtete er sich, dem Kaiser bei der Bewahrung der Rechte und Freiheiten des Reiches auch gegen den Papst (och wider den babest) beizustehen.
Auf diesem Hoftag verabschiedeten die Kurfürsten erneut eine Erklärung zu ihrem Kurverein. Dabei wurde zunächst die Kernaussage des Rhenser Kurweistums bekräftigt, dass der römische König allein aufgrund der Wahl zur Herrschaft befugt ist (Romescher konig ist von der walunge). Doch im Weiteren geht die kurfürstliche Stellungnahme weit über das in Rhens Beschlossene hinaus: Dem Papst steht keinerlei Prüfung darüber zu, ob der von den Kurfürsten gewählte König auch der Kaiserkrone würdig sei. Vielmehr ist er dazu angehalten, auf Gesuch des erwählten Königs die Kaiserkrönung durchzuführen. Im Falle der Weigerung des Papstes kann jedweder Erzbischof oder Bischof die Kaiserweihe durchführen, der dem römischen König genehm ist (der yme dar zů gut ist). Auch muss die Kaiserkrönung nicht in Rom stattfinden, wenn die Römer dem König keinen Zugang zu ihrer Stadt gewähren.
Anders als noch in Rhens, begnügten sich die Kurfürsten zudem nicht mehr mit einer Feststellung reichsrechtlicher Sachverhalte, sondern kündigten auch Konsequenzen an: Jeder, egal welchen Standes, der dem gewählten römischen König keinen Gehorsam leiste, sei dem Reich mit Leib und Gut verfallen, und sowohl sie selbst als auch alle anderen Fürsten, Städte und sonstigen Reichsangehörigen seien verpflichtet, den König bei der Strafverfolgung zu unterstützen.
Mit dieser Erklärung schwenkte der Kurverein auf die Linie des Kaiserhofes ein. Diese Wendung war vor allem auf die Weigerung Benedikts XII. zurückzuführen, die Kurfürsten in seine Unterhandlungen mit Ludwig IV. einzubinden. Vielmehr beschwerte er sich, dass einige Kurfürsten Gott, die Kirche und ihn, den Papst, schwer beleidigt hätten und die päpstliche Huld nur wiedererlangen könnten, wenn sie reumütige Zerknirschung zeigten. Das war erkennbar auf die Mitglieder des Kurvereins gemünzt, die den Koblenzer Hoftag besucht hatten, und offenbarte eine selbstherrliche Unnachgiebigkeit der Kurie, die jetzt auch Balduin von Trier, der im Juli 1338 in Rhens noch eine zögerliche Haltung eingenommen hatte, ins kaiserliche Lager trieb.
7. Nachspiel: Die Wahl Karls IV. und die Goldene Bulle
Der kurfürstliche Rückhalt, den Ludwig IV. damals genoss, bröckelte jedoch schon bald wieder. Grund dafür war vor allem seine ausgreifende Hausmachtpolitik. Als der Kaiser Anfang 1342 die Hand auf die Grafschaft Tirol legte, setzte er sich eklatant über die territorialen Ansprüche König Johanns von Böhmen und dessen Sohnes Johann Heinrich hinweg, den er auf dem Frankfurter Hoftag 1339 förmlich mit der Grafschaft belehnt hatte. Das trieb den Böhmenkönig – und damit das vornehmste weltliche Mitglied des Kurvereins – in den Widerstand, zumal der Verlust Tirols für ihn völlig unerwartet und unter ehrenrührigen Umständen erfolgt war. Und als Angehöriger der luxemburgischen Fürstenfamilie stand Johann nicht allein: er war ein Neffe des Trierer Erzbischofs Balduin von Luxemburg. Sowohl Johann als auch Balduin söhnten sich noch 1342 mit der Kurie aus und erklärten, Ludwig den Bayern nicht weiter gegen die Römische Kirche unterstützen zu wollen, worauf sie von der Exkommunikation gelöst wurden. Dabei legte Johann öffentlich einen Eid ab, dass er keinem Kaiser gehorchen und folgen werde, der nicht von der Kirche approbiert worden sei. Der eine Generation ältere Balduin lehnte sich in dieser Frage nicht so weit aus dem Fenster: Zwar gestand er zu, dass Ludwigs Kaiserkrönung unrechtmäßig gewesen sei. Zu einer Anerkennung des päpstlichen Approbationsrechts war er aber nicht bereit. Als spiritus rector des Kurvereins hielt Balduin von Trier an dem Ziel fest, das exklusive kurfürstliche Recht der Königswahl ungeschmälert zu wahren. Deswegen hielt er sich aber nicht zur Loyalität gegenüber Ludwig dem Bayern verpflichtet.
Diese Haltung machten sich auch die anderen Kurfürsten zunehmend zu eigen. Seit 1343 führte der Kaiser wieder Verhandlungen mit der Kurie in Avignon über die Bedingungen seiner Absolution. Aber auch Papst Clemens VI. (Pontifikat 1342-1352), der im Mai des Vorjahres auf den verstorbenen Benedikt XII. nachgefolgt war, beharrte darauf, dass Ludwig IV. das päpstliche Approbationsrecht und die Rechtmäßigkeit der gegen ihn geführten Prozesse förmlich anerkennen und seine bisherigen Regierungsakte für nichtig erklären müsse. Über diese Forderungen berieten die Kurfürsten auf einem Treffen in Köln im Spätsommer 1344 und kamen unter Federführung Balduins von Trier überein, in diesen Punkten dürfe Ludwig IV. nicht nachgeben. Sie argwöhnten nämlich, Papst und Kaiser könnten sich am Ende auf eine Aussöhnung zu Lasten der kurfürstlichen Rechte verständigen. Dabei hatten die Kurfürsten vor allem die Thronfolge im Blick: Sie wollten keinesfalls, dass Ludwig irgendwelche Zusagen an die Kurie machte, die sich bei den kommenden Königswahlen zu ihrem Nachteil auswirken könnten. In diesem Punkt wollten sie ihre Rechtsposition ohne Abstriche erhalten wissen.
Als sich Ludwig IV. im September 1344 in Bacharach mit einigen Kurfürsten und anderen Großen traf, bestärkten diese ihn darin, die päpstlichen Forderungen abzulehnen. Zugleich aber wurde ihm nahegelegt, den Markgrafen Karl von Mähren, Sohn des böhmischen Königs Johann, als kommenden Thronkandidaten anzunehmen, wovon der Kaiser freilich nichts wissen wollte. Aber ihm waren damit die Grenzen der kurfürstlichen Loyalität aufgezeigt, was ihn nicht hinderte, sich in den Verhandlungen mit der Kurie weiterhin auf die von den Kurfürsten beschworene Erklärung von Rhens zu berufen. Diese Verhandlungen wurden jedoch im Mai 1345 ergebnislos abgebrochen.
Karls Thronambitionen aber waren nunmehr publik und wurden von seinem Vater, König Johann von Böhmen, an die Kurie herangetragen. Schließlich griff Papst Clemens VI. den Plan auf, in Deutschland einen König gegen Ludwig den Bayern zu installieren. Karl war für ihn insofern ein geeigneter Kandidat, als er ihn seit langer Zeit persönlich kannte und schätzte. Am Gründonnerstag des Jahres 1346 ging der Papst in die Offensive: Er bekräftigte die gegen Ludwig den Bayern ergangenen päpstlichen Prozesse und Urteile, weil dieser ein Häretiker und Schismatiker sei, und verfluchte ihn und seine Söhne in einer drastischen Tirade. Außerdem forderte er die Kurfürsten zur Wahl eines neuen Königs auf mit der Begründung, das römische Reich sei schon viel zu lange vakant, nachdem Ludwig wegen seiner zahlreichen Verfehlungen durch rechtmäßiges Urteil reprobiert und abgesetzt worden sei. Keine zehn Tage später leistete der Thronkandidat Karl von Mähren dem Papst in Avignon einen Eid, in dem wie selbstverständlich von seiner künftigen Approbation die Rede war. Zudem sagte Karl zu, den italienischen Reichsteil betreffende Regierungshandlungen erst nach erlangter Approbation vornehmen zu wollen. Diese Versprechen bedeuteten zumindest eine partielle, wenn auch keine uneingeschränkte Anerkennung des päpstlichen Approbationsrechts.
Das Vorhaben einer Königsneuwahl zu Lebzeiten des Kaisers war allerdings politisch nur umsetzbar, wenn die Kurfürsten mehrheitlich mitzogen. Bezüglich Mainz hatte Papst Clemens VI. schon vorgesorgt: Eine knappe Woche vor der Verfluchung Ludwigs IV. hatte er den Erzbischof Heinrich von Virneburg seines Amtes enthoben und den willfährigen Gerlach von Nassau (Episkopat 1346-1371) zum Nachfolger auf dem Mainzer Erzstuhl providiert. Johann von Böhmen stand ohnehin von Anfang an hinter der Wahl seines Sohnes Karl. Aus politischer und familiärer Verbundenheit mit dem Böhmenkönig ließ sich auch Kurfürst Rudolf von Sachsen-Wittenberg für das Neuwahlprojekt gewinnen. Erzbischof Walram von Köln – ohnehin auf Distanz zu Ludwig IV. bedacht – ließ sich für seine Stimmabgabe stattliche finanzielle und territorialpolitische Zugeständnisse machen. Und auch der Trierer Erzbischof Balduin, der jahrelang einen zwischen Kaiser und Papst lavierenden Kurs verfolgt hatte, gab nun dem Drängen der Kurie nach, zumal er ein Großonkel des Thronanwärters war. Natürlich war er dabei auch auf den territorialpolitischen Vorteil der Trierer Kirche bedacht und ließ sich entsprechende Zusagen vorab verbriefen.
Diese fünf Kurfürsten wählten am 11.7.1346 den Markgrafen Karl aus dem Haus der Luxemburger zum römisch-deutschen König Karl IV. Da das kaisertreue Frankfurt als Wahlort nicht in Frage kam, fand die Wahl in Rhens statt – also ausgerechnet an dem Ort, an dem sich drei der anwesenden Wähler genau acht Jahre zuvor persönlich zur Wahrung des Reichsherkommens verpflichtet und dem päpstlichen Approbationsanspruch eine Absage erteilt hatten! Von diesem Anspruch war auch jetzt offiziell nicht die Rede. Vielmehr übernahmen die drei Erzbischöfe in ihren offiziellen Wahldekreten das kuriale Argument von der angeblichen Vakanz des Reiches; diesen verhängnisvollen Zustand habe man unbedingt beenden müssen. Warum der Thron vakant sei, wurde nicht erläutert; auch die Person Ludwigs des Bayern wurde mit Stillschweigen übergangen.
Dass nicht alle Mitglieder des Kurvereins von 1338 diese Sicht der Dinge teilen würden, war vorab einkalkuliert worden: In seinem Wahlaufruf hatte Clemens VI. die Kurfürsten wissen lassen, dass Ludwigs IV. gleichnamiger Sohn die Markgrafschaft Brandenburg widerrechtlich in Besitz genommen habe und folglich nicht zur Königswahl zugelassen werden dürfe. Auch die mit dem Kaiser eng verwandten rheinischen Pfalzgrafen als Vertreter der pfälzischen Kurstimme nahmen nicht an der Wahl Karls IV. teil. Aber obgleich man über die Legitimität der Stimmabgabe Erzbischof Gerlachs, der unter Umgehung des Mainzer Domkapitels allein auf päpstliche Initiative ins Amt gekommenen war, streiten konnte, stand nicht infrage, dass die Mehrheit der Kurfürsten hinter Karl IV. stand.
Nach erfolgter Wahl legte Karl IV. in der Approbationsfrage eine sehr pragmatische Haltung an den Tag, indem er die rechtliche Relevanz der Wahlbestätigung durch den Papst im Ungefähren ließ. Die Gesandtschaft, die er im Herbst 1346 nach Avignon abordnete, bat an der Kurie offiziell nur um die Gewährung der päpstlichen Gnade und Gunst sowie um die baldige Kaiserkrönung – der Begriff approbatio wurde bewusst vermieden. Clemens VI. seinerseits erteilte jedoch am 6. November ausdrücklich die Approbation der Wahl Karls und erläuterte am gleichen Tag in einer Predigt ausführlich den Vorrang der geistlichen vor der weltlichen Herrschaft und die Kompetenz des Papstes zur Prüfung und Approbation des gewählten Königs. Karl IV. nahm die Approbation dankbar entgegen, behandelte sie aber als reines Faktum, ohne ein päpstliches Approbationsrecht als Voraussetzung seiner legitimen Königsherrschaft formell anzuerkennen. Auf der anderen Seite insistierte die Kurie auch nicht auf einer solchen offiziellen Anerkennung. Das war den kurfürstlichen Wählern Karls IV. sicher recht, denn es enthob sie des Problems, sich in dieser Frage zu öffentlich zu positionieren.
Am 26.11.1346 wurde Karl IV. vom Kölner Erzbischof Walram zum König gekrönt, und zwar notgedrungen in Bonn, weil Aachen weiterhin treu zu Ludwig IV. hielt. Der Kaiser verlegte sich darauf, seinen Thronrivalen zu isolieren, was umso leichter fiel, als Karl keine Anstalten machte, sein Regiment im Reich auf breiterer Ebene durchzusetzen. Mit dem Tod Ludwigs des Bayern am 11.10.1347 fand der Thronstreit, der ohne größere Kampfhandlungen verlief, ein Ende. Es dauerte allerdings noch anderthalb Jahre, bis Karl IV. im Laufe des Frühjahrs 1349 einen Ausgleich zunächst mit dem rheinischen Pfalzgrafen, dann auch mit den Söhnen Ludwigs IV. (unter ihnen der Markgraf von Brandenburg) erreichen konnte. Danach wurde er auch von ihnen als rechtmäßiger König anerkannt und am 25. Juli ein zweites Mal gekrönt – diesmal am traditionellen Krönungsort Aachen.
Die Wahl Karls IV. 1346 erscheint inkonsequent, wenn man sie vor der Folie der Ereignisse von 1338/1339 betrachtet: Bei seiner Gründung hatte sich der Kurverein in der Approbationsfrage klar gegen die päpstliche Rechtsauffassung gestellt. Die kurfürstliche Präsenz auf den anschließenden Hoftagen von Koblenz und Frankfurt konnte von den Zeitgenossen eigentlich nur als Parteinahme für Ludwig IV. verstanden werden. Dass diese Parteinahme nur von kurzer Dauer war, bedeutete jedoch noch kein Abrücken vom ursprünglichen Ziel des Kurvereins, nämlich der Bewahrung der Reichsverfassung und der kurfürstlichen Rechte. Insbesondere dem Trierer Kurfürsten Balduin, dem politischen Kopf des Kurvereins, hat man in der Forschung das „staatstragende“ Motiv attestiert, er habe mit der Wahl seines Großneffen Karl IV. die Prinzipien von 1338 zu verteidigen gesucht, indem er auf diese Weise unberechenbaren politischen Alleingängen des Papstes und/oder Ludwigs IV. einen Riegel vorgeschoben habe. Außer Frage steht freilich, dass bei Balduins Handeln neben staatsmännischer Umsicht auch eine gehörige Portion landesherrlicher Opportunismus im Spiel war.
In puncto Prinzipientreue jedenfalls zeigten sich Balduin und die anderen Mitglieder des Kurvereins, die 1346 die Wahl Karls IV. betrieben, ziemlich nonchalant: Sie begründeten ihr Tun mit einer angeblichen Thronvakanz und erkannten damit stillschweigend die Absetzung Ludwigs IV. an. In ihren Wahlanzeigen an den Papst betonten sie zwar, dass Recht und Kompetenz zur Königswahl in vollem Umfang (integraliter) bei ihnen lägen, nahmen dann aber die Approbation Karls ohne Protest hin.
Diese pragmatische Handhabung des Problems scheint auch in der 1356 von Karl IV. erlassenen „Goldenen Bulle“ wieder auf: Nach diesem „Verfassungsgrundgesetz“ des Heiligen Römischen Reiches war für eine gültige Königswahl allein die Mehrheit der Kurfürstenstimmen erforderlich. Der heikle Punkt, ob der Papst diese Wahl approbieren müsse, wurde bewusst nicht berührt. Allerdings wurde dem römischen König eine quasi-automatische Anwartschaft auf die Kaiserwürde zugesprochen; außerdem war er verpflichtet, unmittelbar nach der Wahl die Privilegien und Reichslehen der Kurfürsten zu bestätigen. Diese Herrschaftsakte wurden folglich auch ohne päpstliche Approbation als rechtmäßig betrachtet. Mit anderen Worten: Karl IV. und die Kurfürsten hielten an den Prinzipien des Rhenser Kurvereins fest. Und die päpstliche Kurie hakte in dieser Frage nicht weiter nach: „Die kuriale Approbationstheorie hatte von da an nur noch eine Nachgeschichte, keine Geschichte mehr“ (Jürgen Miethke).
Quellen
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Literatur
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Weller, Tobias, Der Rhenser Kurverein, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/Themen/der-rhenser-kurverein/DE-2086/lido/603f4703d080a9.26607180 (abgerufen am 07.10.2024)