Die Entnazifizierung des Heinrich Martin Rütten

Martin Schlemmer (Duisburg)

Porträt Heinrich Martin Rütten, undatiert. (Archiv der K.D.St.V Novesia)

1. Einleitung

Zu den heu­te viel­leicht gar nicht mehr so prä­sen­ten Fol­gen des Zwei­ten Welt­krie­ges zähl­te ein As­pekt, der für al­le Be­tei­lig­ten ei­nen im­men­sen ver­wal­tungs­tech­ni­schen Kraft­akt be­deu­te­te: Die so ge­nann­te „Ent­na­zi­sie­run­g“ oder – sehr schnell der ge­bräuch­li­che­re Be­griff, der sich dann im Sprach­ge­brauch durch­setz­te – „Ent­na­zi­fi­zie­rung“. Hier­un­ter war die Über­prü­fung und Be­ur­tei­lung der Funk­ti­on, der Po­si­ti­on, des Ver­hal­tens der zu Ent­na­zi­fi­zie­ren­den in der NS-Zeit zu ver­ste­hen, mit an­de­ren Wor­ten al­so die Be­ant­wor­tung der Fra­ge: Wel­che Rol­le spiel­te die be­tref­fen­de Per­son in der Zeit von 1933 bis 1945?

Im Jahr 1945 gab es le­dig­lich ein­zel­ne Ent­na­zi­fi­zie­rungs­aus­schüs­se, die bei Be­hör­den, Hand­werks- so­wie In­dus­trie- und Han­dels­kam­mern an­ge­sie­delt wa­ren.[1] Mit der Zo­nen-In­struk­ti­on Nr. 3 vom 17.1.1946 wur­den dann für die ge­sam­te bri­ti­sche Zo­ne ver­bind­li­che Richt­li­ni­en ge­schaf­fen. In je­der Stadt, in je­dem Kreis soll­te ein Ent­na­zi­fi­zie­rungs­aus­schuss, be­ste­hend aus sechs bis 16 Per­so­nen, an­ge­sie­delt sein. Dar­über hin­aus wur­den Be­ru­fungs­aus­schüs­se in den Städ­ten und bei den Be­zirks­re­gie­run­gen ge­bil­det. Auf der un­te­ren Ebe­ne, al­so in Be­hör­den, Un­ter­neh­mun­gen, Ge­wer­be­be­trie­ben, wur­den Un­ter­aus­schüs­se ein­ge­rich­tet, wel­che zu eru­ie­ren hat­ten, wer be­reits ein Ent­na­zi­fi­zie­rungs­ver­fah­ren durch­lau­fen hat­te und wer ei­nem sol­chen noch zu un­ter­zie­hen war.

Die Aus­schüs­se hat­ten mit dem Pro­blem zu kämp­fen, dass sie sich aus­schlie­ß­lich an die In­for­ma­tio­nen aus den Fra­ge­bö­gen zu hal­ten hat­ten; das Ein­ho­len von er­gän­zen­den In­for­ma­tio­nen in Be­trie­ben, Be­hör­den und an­de­ren Aus­schüs­sen war ih­nen nicht ge­stat­tet, eben­so we­nig der Ein­blick in Per­so­nal­ak­ten. Gleich­zei­tig durf­te der An­trag­stel­ler kei­nen Rechts­bei­stand hin­zu­zie­hen. All dies war erst im Be­ru­fungs­ver­fah­ren vor dem Be­ru­fungs­aus­schuss mög­lich.[2]
Die bri­ti­sche Mi­li­tär­re­gie­rung ver­füg­te mit Ver­ord­nung Nr. 110 be­tref­fend Über­tra­gung der Ent­na­zi­fi­zie­rungs­auf­ga­ben auf die Re­gie­run­gen der Län­der vom 1.10.1947, dass in je­dem Land ein Mi­nis­ter zu be­stim­men sei, wel­cher dem Par­la­ment ge­gen­über in Sa­chen Ent­na­zi­fi­zie­rung ver­ant­wort­lich sein sol­le. In Nord­rhein-West­fa­len über­trug das Ka­bi­nett dem Jus­tiz­mi­nis­ter die­se Auf­ga­be, der durch ei­nen Son­der­be­auf­trag­ten für die Ent­na­zi­fi­zie­rung ver­tre­ten wur­de. Da ein am 29.4.1948 im Land­tag ver­ab­schie­de­tes Ent­na­zi­fi­zie­rungs­ge­setz sei­tens der Mi­li­tär­re­gie­rung ver­wor­fen wur­de, stütz­te sich die Ent­na­zi­fi­zie­rungs­tä­tig­keit im Lan­de fort­an auf den Ver­ord­nungs­weg.[3] 

Zwi­schen den Jah­ren 1945/1946 und 1952 wur­den al­lein in Nord­rhein-West­fa­len ca. ei­ne Mil­li­on Men­schen ei­nem Ent­na­zi­fi­zie­rungs­ver­fah­ren un­ter­zo­gen.[4] Dies ent­spricht et­wa zehn Pro­zent der Be­völ­ke­rung des Bun­des­lan­des. 817.819 Per­so­nen wur­den in ei­ne der fünf Ka­te­go­ri­en zwi­schen I (Haupt­schul­di­ge) und V (Ent­las­te­te) ein­ge­stuft.[5] Der Rest wur­de als „nicht be­trof­fen“ in kei­ne der ge­nann­ten Ka­te­go­ri­en ein­ge­ord­net.

2. Werdegang und Entnazifizierungsverfahren

Auch der am 22.8.1901 in Kre­feld ge­bo­re­ne Hein­rich Mar­tin Rüt­ten wur­de als ehe­ma­li­ger Be­am­ter in den Jah­ren 1948/1949 ei­nem Ent­na­zi­fi­zie­rungs­ver­fah­ren un­ter­zo­gen.[6] Zu die­sem Zeit­punkt wohn­te er in der Dries­sen­dor­fer Stra­ße 72 in Kre­feld. Die fol­gen­den Aus­füh­run­gen be­ru­hen im We­sent­li­chen auf den im Lan­des­ar­chiv Nord­rhein-West­fa­len, Ab­tei­lung Rhein­land (LAV NRW R) auf­be­wahr­ten Ent­na­zi­fi­zie­rungs­ak­ten zum „Fal­l“ Rüt­ten so­wie auf Un­ter­la­gen aus dem In­nen­mi­nis­te­ri­um des Lan­des Nord­rhein-West­fa­len.
Rüt­ten hat­te nach sei­ner Schul­zeit in Kre­feld[7] im Jahr 1920 das Stu­di­um der Rechts­wis­sen­schaf­ten in Bonn auf­ge­nom­men, von wo er 1921 nach Mar­burg wech­sel­te, wo er das Stu­di­um am 14.7.1924 mit dem ers­ten ju­ris­ti­schen Staats­ex­amen ab­schloss. Recht bald nach der Ers­ten Ju­ris­ti­schen Staats­prü­fung wur­de er im April 1924 in Mar­burg mit ei­ner Dis­ser­ta­ti­on  zum in­ter­na­tio­na­len Pri­vat­recht mit der No­te „cum lau­de“ (in der Ent­na­zi­fi­zie­rungs­ak­te: „Mit Lob be­stan­den“) pro­mo­viert. Als Re­gie­rungs­re­fe­ren­dar wur­de er der Be­zirks­re­gie­rung Trier zu­ge­wie­sen. Nach Durch­lauf ver­schie­de­ner Sta­tio­nen und ei­nem Mo­tor­rad­un­fall leg­te er am 28.4.1928 sei­ne Gro­ße Staats­prü­fung zum Re­gie­rungs­as­ses­sor mit Aus­zeich­nung (voll­kom­men be­frie­di­gend – in der Ent­na­zi­fi­zie­rungs­ak­te: „Mit Prä­di­kat best[an­den]“) ab. Her­nach be­gab er sich zum uni­ver­si­tä­ren Spra­chen­stu­di­um in­klu­si­ve Ex­ami­na nach Frank­reich (Pa­ris) und Eng­land, wo er in Lon­don das Sprach­examen im Ok­to­ber 1928 mit „be­stan­den“ ab­schloss. Nach sei­ner Er­nen­nung zum Re­gie­rungs­as­ses­sor beim Land­rats­amt  Al­te­na i. W. im Jahr 1929 wur­de Rüt­ten am 1.2.1930 zum Land­rats­amt Gre­ven­broich ver­setzt. Nach der so ge­nann­ten Macht­er­grei­fung  durch die Na­tio­nal­so­zia­lis­ten am 30.1.1933 sei er, so Rüt­ten, „drei Mo­na­te in Zwangs­ur­laub ge­schick­t“ wor­den. Kur­ze Zeit spä­ter wur­de er je­doch wie­der beim Land­rats­amt Gre­ven­broich ein­ge­stellt. Sei­ne Ver­set­zung an das Land­rats­amt Min­den i. W. er­folg­te am 1.2.1934. Dort wur­de er im De­zem­ber 1934 zum Re­gie­rungs­rat be­för­dert. Am 1.2.1935 wur­de Rüt­ten zur Re­gie­rung Min­den ab­ge­ord­net, wo ihm der Re­gie­rungs­prä­si­dent 1936 erst­mals ein Land­rats­amt in sei­nem Re­gie­rungs­be­zirk in Aus­sicht ge­stellt ha­be. Zum 1.3.1938 avan­cier­te Rüt­ten zum Land­rat des Krei­ses Bie­le­feld, wo er bis zum Ja­nu­ar 1944 sei­nen Wohn­sitz hat­te. Rüt­ten selbst sprach von Wi­der­stän­den der NS­DAP ge­gen sei­ne Per­son, die der Re­gie­rungs­prä­si­dent nach ei­nem Jahr end­lich ha­be über­win­den kön­nen. Be­mer­kens­wert ist die Rand­no­tiz ne­ben die­ser Aus­sa­ge in der Ent­na­zi­fi­zie­rungs­ak­te: „Im Ge­gen­teil! Vgl. Pers[onal]Ak­te“.[8] Eben­so auf­schluss­reich ist die Tat­sa­che, dass Rüt­ten nen­nens­wer­ten An­teil an sei­ner Er­nen­nung zum Land­rat dem Lei­ter der Bo­del­schwingh­schen An­stal­ten, Pas­tor Fritz von Bo­del­schwingh (1877-1946), zu­sprach, auf den sich spä­ter das Leu­munds­zeug­nis für Rüt­ten ma­ß­geb­lich be­rief.[9]  Im März 1939 er­folg­te die Ab­kom­man­die­rung Rüt­tens als Ober­land­rat in das böh­mi­sche Ta­bor. Von Ju­li bis No­vem­ber 1939 war er der Deut­schen Hee­res­mis­si­on in der Slo­wa­kei mit Sitz in Bra­tis­la­va (Press­burg) zu­ge­teilt. Nach sei­ner Rück­kehr nach Ost­west­fa­len über­trug man ihm die Mit­ver­wal­tung des Krei­ses Hal­le i. W. Nach­dem der Min­de­ner Re­gie­rungs­prä­si­dent 1942 zwangs­pen­sio­niert wor­den sei, ha­be man ihm, wie Rüt­ten schreibt, zu ver­ste­hen ge­ge­ben, dass er „als Nächs­ter ver­schwin­den müs­se, da ich, wie mir der Gau­lei­ter selbst ent­ge­gen hielt, nicht das Ver­trau­en der Par­tei be­säs­se“[10]. Da­her ha­be er sich frei­wil­lig zum Kriegs­dienst ge­mel­det, wor­auf­hin er An­fang 1943 in Lem­go ein­ge­zo­gen wor­den sei. Auf­grund ei­nes ent­deck­ten Herz­feh­lers sei er je­doch be­reits nach acht Ta­gen wie­der ent­las­sen wor­den. Noch wäh­rend des sich un­mit­tel­bar an­schlie­ßen­den Kran­ken­haus­auf­ent­hal­tes sei er nach Esch-sur-Al­zet­te im be­setz­ten Lu­xem­burg ab­kom­man­diert wor­den. Nach ei­nem gan­zen Jahr des La­vie­rens, in dem er ver­sucht ha­be, der Ab­kom­man­die­rung zu ent­ge­hen, sei ihm im Ju­li 1944 ein Mi­nis­te­ria­l­er­lass zur so­for­ti­gen Durch­füh­rung des Kom­man­dos zu­ge­gan­gen. Vom 10. Ju­li bis An­fang Sep­tem­ber 1944 ha­be er dann in Esch ge­wirkt, wo­bei er zwei we­gen Bei­hil­fe zur Fah­nen­flucht ver­ur­teil­te ein­hei­mi­sche Frau­en vor der Voll­stre­ckung des er­gan­ge­nen To­des­ur­teils be­wahrt ha­be.[11] Von Lu­xem­burg kehr­te Rüt­ten dann nach Bie­le­feld zu­rück, wo er ei­ni­ge Wo­chen weil­te, bis er von dort zur Ver­tre­tung des Land­rats des Krei­ses Ko­blenz ab­kom­man­diert wur­de. Er sei auch für das dor­ti­ge Ober­bür­ger­meis­ter­amt vor­ge­se­hen ge­we­sen, wes­halb das In­nen­mi­nis­te­ri­um ei­ne ge­sund­heit­li­che Un­ter­su­chung an­ge­ord­net ha­be, in de­ren Rah­men bei Rüt­ten ei­ne An­gi­na pec­to­ris mit schwe­rem Herz­mus­kel­scha­den fest­ge­stellt wor­den sei. Bis zum No­vem­ber 1944 hielt er sich al­so in Rhens bei Ko­blenz auf, vom 1.12.1944 bis zum Ju­ni 1946 dann wie­der in Bie­le­feld. Sei­ne Aus­füh­run­gen zu sei­nem Wer­de­gang bis zum Kriegs­en­de schlie­ßt Rüt­ten mit ei­ner sal­va­to­ri­schen For­mel: „Ich darf zum Ab­schluss noch dar­auf hin­wei­sen, dass mir schon En­de 1932 von dem Re­fe­ren­ten des preuss[ischen] In­nen­mi­nis­te­ri­ums nach Er­fül­lung schwie­ri­ger Auf­ga­ben in Gre­ven­broich ein Land­rats­amt in Aus­sicht ge­stellt wor­den ist. Ich wä­re auch Land­rat al­so ge­wor­den, wenn das III. Reich nicht ge­kom­men wä­re“.[12] 
Durch Ent­scheid des Ent­na­zi­fi­zie­rungs-Haupt­aus­schus­ses in Kre­feld vom 4.4.1949 wur­de Rüt­ten mit Ein­rei­hungs­be­scheid rechts­kräf­tig in die Ka­te­go­rie IV ein­ge­stuft.[13] Dies be­deu­te­te für Rüt­ten, dass er ge­mäß den Be­stim­mun­gen der Ers­ten Ver­ord­nung der Lan­des­re­gie­rung Nord­rhein-West­fa­len zur Si­che­rung der Wäh­rung und öf­fent­li­chen Fi­nan­zen vom 19.3,1949[14] als ver­ab­schie­det galt und ge­mäß den ent­spre­chen­den Be­stim­mun­gen die­ses Ge­set­zes so­wie der hier­zu er­gan­ge­nen Durch­füh­rungs­be­stim­mun­gen vom 3.6.1949[15] die Hälf­te des zu der Zeit der Be­en­di­gung sei­ner Amts­tä­tig­keit er­dien­ten Ru­he­ge­hal­tes auf der Grund­la­ge sei­ner Ein­gangs­stel­le sei­ner Dienst­lauf­bahn als Re­gie­rungs­rat ab dem 1.4.1949 er­hal­ten soll­te. Zu­nächst ließ Rüt­ten die Ent­schei­dung des Ent­na­zi­fi­zie­rungs­aus­schus­ses rechts­kräf­tig wer­den, da – so sein Rechts­an­walt im Rück­blick – „zu je­ner Zeit die Fol­gen noch nicht zu über­se­hen“ ge­we­sen sei­en.[16] 
Rüt­ten be­an­trag­te schlie­ß­lich doch noch die Wie­der­auf­nah­me sei­nes Ent­na­zi­fi­zie­rungs­ver­fah­rens zu sei­nen Guns­ten auf Grund­la­ge der Be­stim­mun­gen der Ers­ten Spar­ver­ord­nung. Sein An­walt be­grün­de­te dies mit zwei Ar­gu­men­ten: Zum Ei­nen sei Rüt­ten von der nach­träg­li­chen Ge­setz­ge­bung mit rück­wir­ken­der Kraft – wo­nach er als in die Ka­te­go­rie IV ein­ge­stuf­ter Be­am­ter „dem­nächst als ver­ab­schie­det gel­ten wür­de“ – über­rascht und „an der recht­zei­ti­gen Wahr­neh­mung sei­ner Rech­te be­hin­dert wor­den“, zum An­de­ren ha­be Rüt­ten „zwar ei­ni­ge po­li­ti­sche Be­las­tun­gen auf­zu­wei­sen“, ha­be „aber an­de­rer­seits in sei­ner Zeit als Land­rat in Bie­le­feld dem Na­tio­nal­so­zia­lis­mus in ent­schei­den­der Wei­se ent­ge­gen ge­ar­bei­tet, in­dem er die Eu­tha­na­sie­mass­nah­men der Na­zi­re­gie­rung ge­gen die in den v. Bo­del­schwingh­schen An­stal­ten Be­thel, Sa­rep­ta und Na­za­reth (die zu sei­nem Land­kreis ge­hör­ten) un­ter­ge­brach­ten Krüp­pel und Kran­ken wirk­sam durch­kreuzt hat, in­dem er die An­stalt je­weils recht­zei­tig von den be­vor­ste­hen­den Mass­nah­men un­ter­rich­tet hat, so­dass die Kran­ken recht­zei­tig in Si­cher­heit ge­bracht wer­den konn­ten“. Der An­walt schloss mit der Fest­stel­lung: „Herr Dr. Rüt­ten hat hier­durch nach­weis­lich vie­len Hun­der­ten, wenn nicht Tau­sen­den Men­schen das Le­ben ge­ret­tet. Au­then­ti­sche Be­le­ge hier­für be­fin­den sich bei den Ent­na­zi­fi­zie­rungs­ak­ten.“[17]

Die Per­so­nal­ak­te Rüt­tens er­gab je­doch ei­ni­ges an be­las­ten­den Mit­glied­schaf­ten: Seit dem 1.5.1935[18] war er Mit­glied der NS­DAP (Kreis­amts­lei­ter), seit dem 1.1.1935 för­dern­des Mit­glied der SS, seit April 1933 der SA (Sturm­füh­rer). Fer­ner sei Rüt­ten in wei­te­ren NS-Glie­de­run­gen bzw. -in­sti­tu­tio­nen Mit­glied ge­we­sen: seit 1934 des Na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Flie­ger­korps (NSFK) (för­dern­des Mit­glied), seit dem 25.6.1934 des NS-Rechts­wah­rer­bunds (NS­RWB), seit 1933 der Na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Volks­wohl­fahrt (NSV), seit dem 1.1.1934 des Reichs­bun­des der Deut­schen Be­am­ten (RDB), seit 1935 des Reichs­luft­schutz­bun­des, be­reits seit 1930 Mit­glied des Ver­eins (nach 1933: Volks­bund) für das Deutsch­tum im Aus­land (VDA). Sei­ne Mit­glied­schaft in der K.D.St.V. No­ve­sia[19] gab Rüt­ten un­ter der Fra­ge 18 („Wel­chen deut­schen Uni­ver­si­täts-Stu­den­ten­bur­schen­schaf­ten ha­ben Sie je an­ge­hört?“) an. Ein Ein­trag in die­ser Ru­brik wur­de sei­tens der Ent­na­zi­fi­zie­ren­den in der Re­gel mit Skep­sis be­trach­tet, da man stu­den­ti­sche Kor­po­ra­tio­nen im All­ge­mei­nen als an­fäl­lig für au­to­ri­tä­res oder „brau­nes“ Ge­dan­ken­gut be­trach­te­te. Ver­schär­fend hin­zu kam Rüt­tens Kir­chen­aus­tritt im Jahr 1943, da ein sol­cher in vie­len Fäl­len als Hin­weis auf ei­ne ideo­lo­gi­sche Geg­ner­schaft über­zeug­ter Na­tio­nal­so­zia­lis­ten zur ka­tho­li­schen Kir­che, wenn nicht zum Chris­ten­tum ge­ne­rell, ge­wer­tet wur­de. Rüt­ten selbst hin­ge­gen ver­wies zu sei­ner Ver­tei­di­gung auf die in­ne­ren, theo­lo­gisch-dog­ma­ti­schen Zwei­fel am ka­tho­li­schen Be­kennt­nis, die sich ihm in den letz­ten Kriegs­jah­ren auf­ge­drängt hät­ten.[20] 
Vor die­sem Hin­ter­grund kam das In­nen­mi­nis­te­ri­um des Lan­des Nord­rhein-West­fa­len zu dem Schluss: „We­gen vor­ste­hen­der Be­las­tung hal­te ich ei­ne Ein­rei­hung des Dr. R. in die Ka­te­go­rie V für nicht ge­recht­fer­tigt und bit­te da­her, den An­trag des Dr. R. zu­rück­zu­wei­sen“[21] .
Rüt­ten leg­te zur Er­klä­rung sei­nes Ver­hal­tens in den Jah­ren 1933 bis 1945 sechs An­la­gen vor und brach­te ins­ge­samt acht ent­las­ten­de Leu­munds­zeug­nis­se bei[22], so vom An­stalts­lei­ter der v. Bo­del­schwingh­schen An­stal­ten Be­thel, Sa­rep­ta und Na­za­reth, Pas­tor R. Hardt, der be­zeug­te, dass Rüt­ten wäh­rend der „Eu­tha­na­sie“-Maß­nah­men der Na­tio­nal­so­zia­lis­ten meh­re­ren hun­dert Men­schen das Le­ben ge­ret­tet ha­be[23], oder des Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­ten und frü­he­ren Wirt­schafts­di­rek­tors der Bo­del­schwingh­schen An­stal­ten Be­thel, Dipl.-Kauf­mann Jo­han­nes Kun­ze (1892-1959), der Rüt­ten seit des­sen Tä­tig­keit als Land­rat in Bie­le­feld kann­te und sich für die Ein­stu­fung Rüt­tens in Ka­te­go­rie V aus­sprach.[24] 

Rüt­tens An­ga­ben sind eben­so schwer nach­zu­prü­fen wie die­je­ni­gen sei­ner Leu­munds­zeu­gen. Die Mo­no­gra­phie von An­ne­lie­se Hoch­muth zu den von Bo­del­schwingh­schen An­stal­ten Be­thel schweigt sich be­züg­lich der Per­son Rüt­tens aus. Er­wäh­nung fin­det dort le­dig­lich der Re­gie­rungs­prä­si­dent in Min­den, SS-Sturm­bann­füh­rer  Adolf Frei­herr von Oeyn­hau­sen (1877-1953), dem Fritz von Bo­del­schwingh nach Kriegs­en­de ei­nen wich­ti­gen An­teil an der Ver­hin­de­rung von Eu­tha­na­sie-Kran­ken­mor­den zu­schrieb: „Oh­ne den Bei­stand des Herrn von Oeyn­hau­sen hät­te Be­thel den Ver­such, sei­ne In­sas­sen aus­zu­rot­ten, nicht über­leb­t“[25]. Rüt­ten fand in die­sem Zu­sam­men­hang hin­ge­gen of­fen­bar kei­ne Er­wäh­nung.
Rüt­tens An­walt ver­wies dar­auf, dass sämt­li­che Mit­glied­schaf­ten Rüt­tens in NS-Or­ga­ni­sa­tio­nen nicht auf welt­an­schau­li­che Über­ein­stim­mung mit der NS-Ideo­lo­gie zu­rück­zu­füh­ren sei­en, son­dern auf prak­ti­sche Er­wä­gun­gen und Zwän­ge, die sich aus dem All­tag ei­nes hö­he­ren Ver­wal­tungs­be­am­ten im NS-Staat er­ge­ben hät­ten: So ha­be er als Land­rat in ex­po­nier­ter Stel­lung ge­stan­den, was ihm ei­ni­ge Äm­ter eh­ren­hal­ber ein­ge­bracht ha­be. Als „ak­ti­ver Ver­wal­tungs­be­am­ter konn­te sich Dr. Rüt­ten dem Ein­tritt in die Na­zi­par­tei nicht ent­zie­hen“[26]. Sei­ne Stel­lung als Land­rat ha­be qua­si au­to­ma­tisch zu Rüt­tens Be­stel­lung als Rechts­be­ra­ter der Gau­lei­tung ge­führt. För­dern­des Mit­glied der SS sei Rüt­ten ge­wor­den, weil ihn füh­ren­de Män­ner der SS im Jahr 1936 „nicht we­ni­ger als 6 mal“ hier­zu er­mun­tert hät­ten. Bei nächs­ter Ge­le­gen­heit, der Ver­set­zung nach Min­den, sei er dann be­reits wie­der aus­ge­tre­ten.[27] Die Mit­glied­schaft in der Rei­ter-SA sei auf das länd­li­che Ge­prä­ge sei­nes Land­krei­ses zu­rück­zu­füh­ren, sei­ne Po­si­ti­on als Ober­sturm­füh­rer  eh­ren­hal­ber „er­gab sich aus sei­ner Stel­lung im öf­fent­li­chen Le­ben“. Das­sel­be gel­te „sinn­ge­mäss für sei­ne Zu­ge­hö­rig­keit und sein Am­t  im NS-Rechts­wah­rer­bun­d“. Des Wei­te­ren sei Rüt­ten „nicht als ak­ti­ver Na­zi her­vor­ge­tre­ten“.

Ober­kreis­di­rek­tor Schütz, der Rüt­ten per­sön­lich nicht ge­kannt ha­be, kön­ne an­hand der vor­han­de­nen Ak­ten eben­falls „kei­ne nach­tei­li­gen Fest­stel­lun­gen tref­fen“. Rüt­tens Rechts­an­walt Rolf P. Bro­glio führt wei­te­re Zeu­gen wie den Ver­wal­tungs­rat Alt­hoff und den da­ma­li­gen Wirt­schafts­di­rek­tor der Be­thel’schen An­stal­ten Kun­ze an, um ab­schlie­ßend zu der Ein­schät­zung zu ge­lan­gen, „dass die po­li­ti­schen Be­las­tun­gen Dr. Rüt­tens le­dig­lich als For­mal­be­las­tung zu be­wer­ten“ sei­en.

Be­mer­kens­wert ist die schrift­lich nie­der­ge­leg­te Aus­sa­ge des Bie­le­fel­der Kreis­me­di­zi­nal­ra­tes Dr. Rai­ner, die viel­leicht am ehes­ten auf die Be­weg­grün­de Rüt­tens schlie­ßen lässt: „[…] Rüt­ten war ehr­gei­zig, die­sen Par­tei­leu­ten an Bil­dung und Auf­fas­sungs­ga­be weit über­le­gen. Wer die Brau­nen zu be­han­deln ver­stand, […] der hat­te leich­tes Spiel und konn­te Kar­rie­re ma­chen. Und das woll­te Rüt­ten, auch um die­sen Preis. Als spä­ter das schwe­re Zer­würf­nis Bud­de [Ober­bür­ger­meis­ter] – Rei­ne­king [Kreis­lei­ter] im­mer sicht­ba­rer wur­de, trat aber Rüt­ten auf die Sei­te des An­stän­di­gen [Bud­de] und ver­darb es mit dem bru­ta­len, sehr mäch­ti­gen Rei­ne­king. Von die­ser Stun­de ab war Rüt­tens Lauf­bahn be­sie­gelt. Ich hal­te das für wich­tig, denn sein ur­sprüng­li­ches Mo­tiv, das ihn in die Par­tei führ­te, war sein Ehr­geiz. Als aber das Ge­wis­sen schlug, da trat er deut­lich kurz. […] Er war kein Na­zi, wenn er auch aus Grün­den, die schon er­wähnt wur­den, in der Öf­fent­lich­keit so ta­t“[28]. In ei­ne ganz ähn­li­che Rich­tung wei­sen auch die üb­ri­gen Zeug­nis­se und Stel­lung­nah­men, et­wa wenn der Ent­na­zi­fi­zie­rungs­aus­schuss der Kreis­ver­wal­tung Bie­le­feld in ei­nem Schrei­ben an den Ent­na­zi­fi­zie­rungs­aus­schuss Kre­feld vom 9.3.1949 kon­sta­tiert, dass bei Rüt­ten au­ßer ei­ner For­mal­be­las­tung kei­ne wei­te­re Be­las­tung fest­ge­stellt wer­den kön­ne, dass Rüt­ten sich je­doch in ei­ner An­spra­che, die er nach ei­nem Auf­ent­halt in den be­setz­ten West­ge­bie­ten in der Bie­le­fel­der Vik­to­ria­schu­le vor dem Deut­schen Ro­ten Kreuz ge­hal­ten ha­be, „sehr rück­sichts­los“ ge­spro­chen ha­be und sei­ne Aus­füh­run­gen „von star­ker na­tio­na­ler Ten­denz er­füll­t“ ge­we­sen sei­en.[29] 

Ob­wohl der Son­der­be­auf­trag­te für die Ent­na­zi­fi­zie­rung im Lan­de Nord­rhein-West­fa­len in ei­nem vom 30.11.1949 da­tie­ren­den Schrei­ben an den In­nen­mi­nis­ter des Lan­des die ent­las­ten­den Nach­wei­se als zu all­ge­mein ein­ge­stuft hat­te[30], war Rüt­ten mit sei­nem An­trag auf Wie­der­auf­nah­me sei­nes Ver­fah­rens letzt­lich er­folg­reich: Der Son­der­be­auf­trag­te ord­ne­te mit Be­schluss vom 17.8.1950 die Wie­der­auf­nah­me des Ver­fah­rens an. In der Be­grün­dung hei­ßt es: „Der Be­trof­fe­ne hat neu­es Ma­te­ri­al vor­ge­legt, aus dem sich mög­li­cher Wei­se ei­ne güns­ti­ge­re Ein­stu­fung er­ge­ben könn­te. Der Herr In­nen­mi­nis­ter des Lan­des Nord­rhein-West­fa­len hat auf die Be­las­tun­gen des Be­trof­fe­nen hin­ge­wie­sen. Es könn­te auch sein, daß sich aus die­sem Ma­te­ri­al ei­ne un­güns­ti­ge Ein­stu­fung er­gibt. Je­den­falls er­scheint die Wie­der­auf­nah­me des Ver­fah­rens ge­bo­ten“[31].

Der Aus­gang des Ver­fah­rens war folg­lich zum Zeit­punkt der Wie­der­auf­nah­me, die auf den 26.2.1951 fest­ge­setzt wur­de[32], zu­min­dest of­fi­zi­ell noch völ­lig of­fen. Am 16.2.1951 wur­de Rüt­ten dann durch ein Ent­las­tungs­zeug­nis rechts­kräf­tig in die Ka­te­go­rie V ein­ge­stuft. So­mit konn­te er ab dem 1.3.1951 An­spruch auf vol­le Ver­sor­gungs­be­zü­ge auf der Grund­la­ge der Ein­gangs­stel­le sei­ner Dienst­lauf­bahn (Be­sol­dungs­grup­pe A 2 C 2 RBO) gel­tend ma­chen.[33] In ei­nem Ver­merk zur ver­än­der­ten Ein­stu­fung auf ei­nem Ar­beits­blatt „Wie­der­auf­nah­me“ in Rüt­tens Ent­na­zi­fi­zie­rungs­ak­te hei­ßt es:

„[…] Der Be­trof­fe­ne hat ei­ne Rei­he von Ent­las­tungs­zeug­nis­sen bei­ge­bracht, die zei­gen, dass er den Mass­nah­men der NS­DAP stärks­ten Wi­der­stand ent­ge­gen setz­te. Vor al­len Din­gen ge­gen­über der An­stalt Be­t­hal [!] hat er sei­nen gan­zen Ein­fluß gel­tend ge­macht und durch sein Ein­grei­fen ver­hin­dert, dass die Eu­tha­na­sie­mass­nah­men, die das Le­ben zahl­rei­cher Kin­der der An­stalt be­droh­te[n], nicht durch­ge­führt wur­den. Der Herr Reg[ie­rungs]-Präs[ident] Bau­rich­ter, Düs­sel­dorf, der in der heu­ti­gen Ver­hand­lung als Ent­las­tungs­zeu­ge für den Be­trof­fe­nen er­schien und aus­sag­te, stell­te dem Be­trof­fe­nen eben­falls das bes­te Zeug­nis aus. Der Haupt­aus­schuss stuf­te den Be­trof­fe­nen im Wie­der­auf­nah­me-Ver­fah­ren nach Kat[ego­rie] V ein“[34].

Im Mai 1951 wur­de Rüt­ten ein­stim­mig zum Ober­kreis­di­rek­tor des Land­krei­ses Eus­kir­chen ge­wählt.[35] Er ver­un­glück­te durch ei­nen „tra­gi­sche[n] Ver­kehrs­un­fal­l“, wie es in den To­des­an­zei­gen von Fa­mi­lie und Land­kreis Eus­kir­chen hei­ßt[36], am Mitt­woch, den 27.3.1957.[37] Er wur­de am 2.4.1957 auf dem Haupt­fried­hof in Kre­feld be­stat­tet, nach­dem die kirch­li­che Fei­er am 1. April in Eus­kir­chen statt­ge­fun­den hat­te.

3. Fazit

Ei­ne ab­schlie­ßen­de Be­ur­tei­lung des Ent­na­zi­fi­zie­rungs­ver­fah­rens und der Per­son Rüt­tens in der NS-Zeit bleibt schwie­rig: Er scheint um sei­ner per­sön­li­chen Kar­rie­re Wil­len sei­nen Frie­den mit dem neu­en Staat ge­macht zu ha­ben und im öf­fent­li­chen Raum – et­wa vor dem Ro­ten Kreuz in Bie­le­feld – ganz im na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Sin­ne auf­ge­tre­ten zu sein. Ent­spre­chen­de Äm­ter und Funk­tio­nen nahm er an, wenn­gleich nach ei­ge­nen Aus­sa­gen zum Teil wi­der­stre­bend. In den Si­tua­tio­nen des All­tags, der Be­dro­hung und Ver­fol­gung hin­ge­gen scheint er sich in et­li­chen Fäl­len im Sin­ne der Be­dräng­ten aus­ge­spro­chen und un­ter Um­stän­den – die­sem wich­ti­gen As­pekt gilt es bei ei­ner wei­te­ren Be­schäf­ti­gung mit der Per­son Rüt­tens nach­zu­ge­hen – zahl­rei­che Men­schen­le­ben ge­ret­tet zu ha­ben. Hier hät­te er dann punk­tu­ell, al­so ge­zielt, kon­kret und fall­be­zo­gen, Hil­fe, aus na­tio­nal­so­zia­lis­ti­scher Sicht so­gar Wi­der­stand ge­leis­tet – oh­ne im Ge­sam­ten ein Wi­der­ständ­ler zu sein. Die Kar­rie­re er­litt letzt­lich – trotz al­ler be­klag­ten Kon­flik­te mit Tei­len der Par­tei – kei­nen ent­schei­den­den Dämp­fer. Aus der ka­tho­li­schen Kir­che trat er wäh­rend des Krie­ges aus, En­de 1946, als die Ent­na­zi­fi­zie­rung be­reits an­ge­lau­fen war, wie­der ein. Die wah­ren Be­weg­grün­de für die­se bei­den Schrit­te las­sen sich wohl nicht mehr eru­ie­ren, man kann Rüt­tens für den Ent­na­zi­fi­zie­rungs­aus­schuss ver­fass­ten Aus­füh­run­gen Glau­ben schen­ken oder auch nicht: Bei­des bleibt spe­ku­la­tiv und va­ge – ein ide­al­ty­pi­scher Be­fund bei der Be­ur­tei­lung von Ent­na­zi­fi­zie­rungs­ver­fah­ren.

Quellen

Lan­des­ar­chiv Nord­rhein-West­fa­len, Ab­tei­lung Rhein­land (LAV NRW R):
Be­stand NW 110 (In­nen­mi­nis­te­ri­um – Per­so­nal­an­ge­le­gen­hei­ten) Nr. 1506.
Be­stand NW 1000 (Son­der­be­auf­trag­ter für die ­Ent­na­zi­fi­zie­run­g im Lan­de Nord­rhein-West­fa­len – Haupt­aus­schuss Re­gie­rungs­be­zirk Düs­sel­dorf) Nr. 22065.
Be­stand NW 1037-A/REG (Der Son­der­be­auf­trag­te für die ­Ent­na­zi­fi­zie­run­g im Lan­de Nord­rhein-West­fa­len) Nr. 11979.

Literatur

Auf­ge­führt sind die mehr­fach zi­tier­ten Ti­tel

Hoch­muth, An­ne­lie­se, Spu­ren­su­che. Eu­ge­nik, Ste­ri­li­sa­ti­on, Pa­ti­en­ten­mor­de und die v. Bo­del­schwingh­schen An­stal­ten Be­thel 1929 – 1945, hg. v. Mat­thi­as Be­n­ad in Ver­bin­dung mit Wolf Kätz­ner u. Eber­hard Warns, Bie­le­feld 1997.
Lan­ge, Irm­gard (Be­arb.), Ent­na­zi­fi­zie­run­g in Nord­rhein-West­fa­len. Richt­li­ni­en, An­wei­sun­gen, Or­ga­ni­sa­ti­on, Sieg­burg 1976.
Nie­der­hut, Jens, Ent­na­zi­fi­zie­rungs-Ein­zel­fal­l­ak­ten in Nord­rhein-West­fa­len, in: Heckl, Jens (Hg.), Un­be­kann­te Quel­len: „Mas­sen­ak­ten“ des 20. Jahr­hun­derts. Un­ter­su­chun­gen se­ri­el­len Schrift­guts aus nor­mier­ten Ver­wal­tungs­ver­fah­ren, Düs­sel­dorf 2010, S. 22-29.
Pe­ter­mann, Hei­ke, Die Vor­stel­lung vom bes­se­ren Men­schen. As­pek­te eu­ge­ni­scher Ge­sund­heits­po­li­tik in West­fa­len in der ers­ten Hälf­te des 20. Jahr­hun­derts, in: West­fä­li­sche For­schun­gen 64 (2014), S. 245-266.

 
Anmerkungen
  • 1: Vgl. hierzu und im Folgenden Lange, S. 37.
  • 2: Vgl. hierzu Lange. S. 44.
  • 3: Vgl. Lange, S. 52-54.
  • 4: Vgl. hierzu und im Folgenden Niederhut, S. 22-29; Lange, S. 59.
  • 5: Laut Lange, S. 25: Verbrecher (Kategorie I), Übeltäter (II), weniger bedeutende Übeltäter (III), Parteigänger (IV) und Entlastete (V). Die Entscheidung über die in den Kategorien I und II Erfassten blieb der Militärregierung vorbehalten (vgl. Lange, S. 47).
  • 6: Vgl. hierzu LAV NRW R, NW 1000, Nr. 22065 (Entnazifizierungsakte). Zur schwierigen Frage der Entnazifizierungder Beamten in NRW vgl. Lange, S. 28. Man darf davon ausgehen, dass sich alle (aktiven) Beamten einem Entnazifizierungsverfahren unterziehen mussten (vgl. Lange, S. 37).
  • 7: Laut den Angaben in der Entnazifizierungsakte: Volksschule 1907-1911, Oberrealschule 1911-1920, Abitur im April 1920 (LAV NRW R, NW 1000, Nr. 22065 Bl. 1v).
  • 8: Schreiben Rüttens an den Innenminister, Düsseldorf, durch den Detmolder Regierungspräsidenten vom 20.7.1949 (LAV NRW R, NW 110, Nr. 1506 Bl. 112).
  • 9: „Meine Benennung hatte ich besonders Pastor v. Bodelschwingh-Bethel zu verdanken, der mich von meiner Mindener Tätigkeit her kannte.“ (LAV NRW R, NW 110, Nr. 1506 Bl. 112).
  • 10: LAV NRW R, NW 110, Nr. 1506 Bl. 113.
  • 11: Hierzu schreibt Rütten selbst: „Im August 1944 bat mich der Generaldirektor des Luxemburger ARBED-Konzerns, einen seiner ältesten Meister zu empfangen, der mit einer heiklen Sache kommen wollte. Herr K[.]-W[.], Esch, Kirchstr. […] trug mir vor, dass seine beiden Töchter zum Tode verurteilt worden wären, weil sie seinem Enkel zur Desertation verholfen hätten. […] Da ich mit diesen Verfahren als Landrat nichts zu tun hatte, konnte ich wenig Hoffnung machen. Da ich aber von dem Recht des Herrn K[.]-W[.] überzeugt war, habe ich zusammen mit einem Arzt die beiden Frauen haftunfähig schreiben lassen, und so ihre Entlassung aus dem Gefängnis erreicht. Sie haben sich dann bis zur Räumumg [!] verborgen gehalten. Hierfür brachte mir der Vater einen Umschlag mit einer grösseren Summe, ich schätzte dem Überblick nach auf 20.000 Mark. Ich habe selbstverständlich den Umschlag zurückgewiesen und es auch abgelehnt, den Betrag für die NSVoder, nach einem späteren Vorschlag, für das Rote Kreuz anzunehmen.“ (Anlage V, in: LAV NRW R, NW 1000, Nr. 22065 Bl. 40).
  • 12: Schreiben Rüttens an den Innenminister in Düsseldorf durch den Detmolder Regierungspräsidenten vom 20.7.1949 (LAV NRW R, NW 110, Nr. 1506 Bl. 114).
  • 13: Der an Rütten gerichtete Einreihungsbescheid des Sonderbeauftragten für die Entnazifizierung in NRW, unterzeichnet von Kultusministerin Christine Teusch als Vorsitzende des Hauptausschusses, lautet: „Hiermit werden Sie davon in Kenntnis gesetzt, dass Sie von dem deutschen Entnazifizierungsausschuss in Krefeld, nach Prüfung Ihres Falles gemäss Kontrollratsanweisung Nr. 24 bzw. früheren Anweisungen in die KATEGORIE IV der Anlage 1 zur Verordnung Nr. 79 der Militärregierung eingereiht und Ihnen die nachstehenden Beschäftigungsbeschränkungen auferlegt worden sind: Beschäftigungsbeschränkungen bestehen nicht. Keine Vermögens- und Kontensperre“ (LAV NRW R, NW 110, Nr. 1506 Bl. 115).
  • 14: Vgl. GV.NW. [Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Nordrhein-Westfalen] 1949, S. 25.
  • 15: Vgl. MBl.NW. [Ministerialblatt für das Land Nordrhein-Westfalen] 1949, S. 505.
  • 16: Schreiben des Rechtsanwalts am Oberlandesgericht Rolf P. Broglio an den Sonderbeauftragten für die Entnazifizierungin Düsseldorf vom 6.10.1949 (LAV NRW R, NW 1037-A/REG, Nr. 11979 Bl. 6).
  • 17: LAV NRW R, NW 1037-A/REG, Nr. 11979 Bl. 7. Allerdings kam es in Bethel zu zahlreichen Zwangssterilisationen: Der Leitende Arzt der mit 3.700 Menschen belegten Anstalt Bethel, Werner Villinger, stellte 124 der insgesamt 512 Anträge auf Unfruchtbarmachung von Bewohnern der Anstalt Bethel persönlich (vgl. Petermann, S. 258).
  • 18: In der Entnazifizierungsakte heißt es mitunter, Rütten sei seit 1933 „Pg.“ (Parteigenosse) gewesen (vgl. etwa „Arbeitsblatt Wiederaufnahme“, LAV NRW R, NW 1000, Nr. 22065 Bl. 5v).
  • 19: Vgl. zur Rolle Rüttens als „Führer Novesiae“ Jansen, Heiner, Novesia vom 70. Gründungsfest 1933 bis zur Wiederbegründung 1946, in: „Auf, ihr Freunde, eilt zum Banner…“. Die K. D. St. V. Novesia im CV in Geschichte und Gegenwart. Chronik zum 150-jährigen Bestehen einer Korporation am Rhein, im Auftrag der K. D. St. V. Novesia Bonn hg. v. Klaus Gruhn, Bonn 2015, S. 144-164, hier besonders S. 149-153.
  • 20: Hierzu schreibt Rütten: „Im Januar 1943 habe ich mich freiwillig zur Wehrmacht gemeldet, da meine Schwierigkeiten mit der Kreisleitung nicht zu überbrücken waren. Eine sofortige Einberufung wurde mir zugesagt. Am Tage nach dieser Zusage habe ich vor einem Notar meinen Kirchenaustritt erklärt. Ich war zu diesem Schritt gekommen, da ich vor meinem Einrücken auch meine inneren Verhältnisse geklärt wissen wollte. Zu dem inneren Zerwürfnis ist es durch eine umfangreiche Lektüre gekommen, wozu ich bei meinem langen Kranksein besonders Zeit hatte. Ich konnte auf Grund geschichtlicher Tatsachen und naturwissentschaftlicher [!] Überlegungen nicht mehr daran glauben, dass Dogmen unbedingt wahr sein müssten. Der Zwang, auch nicht selbst Erkanntes glauben zu müssen, stiess mich ab. Ich habe diesen meinen Schritt als meine ureigenste Angelegenheit angesehen. So habe ich meine ganze Familie bei Ihrem [!] Glauben gelassen, meine jüngste Tochter auch noch taufen lassen. Auch habe ich die Tatsache des Austritts weder der Partei noch ihren Dienststellen angezeigt. […] In den Jahren 1943 und 1944 habe ich wiederum monatelang im Krankenhaus und Sanatorium zubringen müssen. Ende 1944 begannen Gespräche [vermutlich mit Rüttens späterem geistlichen Berater, Professor Pagés] mit dem Ziele, bei mir eine Sinnesänderung herbei zu führen. Es hatte sich schon in diesem Zeitpunkt die Ansicht bei mir gebildet, dass es ein absolutes Wissen nicht gibt und nicht geben kann, dass es also immer einen Glauben geben muss. Die Folgerung hieraus wollte ich aber noch nicht ziehen, da man einem Sinneswechsel in diesem Augenblick andere Motive untergeschoben hätte. Vor Weihnachten 1946 habe ich mich dann bestimmen lassen, aus meiner veränderten inneren Haltung heraus zur Kirche zurückzukehren.“ (Anlage I, in: LAV NRW R, NW 1000, Nr. 22065 Bl. 35).
  • 21: Schreiben des Innenministers des Landes NRW an den Sonderbeauftragten für die Entnazifizierung in NRW vom 6.9.1949 (LAV NRW R, NW 1037-A/REG, Nr. 11979 Bl. 1).
  • 22: Vgl. Schreiben Rüttens an den Entnazifizierungsausschuss Krefeld vom 31.7.1948, in welchem er seinen Entnazifizierungsantrag mit der Bitte um Entscheidung vortrug (LAV NRW R, NW 1000, Nr. 22065, Bl. 43).
  • 23: Aufgrund der Bedeutung der Aussage wird hier Hardts Bescheinigung umfassend wiedergegeben: „Der frühere Landrat des Landkreises Bielefeld, […] Rütten, stand in einem sehr freundlichen Verhältnis zu den von Bodelschwingh’schen Anstalten. Leider ist der Anstaltsleiter Pastor Fritz von Bodelschwingh, der mit dem Landrat besonders nahe Beziehungen hatte, am 4.1.1946 verstorben. Aber als sein Nachfolger kann ich auf Grund der Berichte meiner Mitarbeiter und des mir vorliegenden Schriftwechsels bezeugen, dass besonders in den schwersten Jahren der Gefährdung unserer Anstalten Dr. Rütten mit ganzer Kraft sich für uns einsetzte. Pastor von Bodelschwingh schreibt in Briefen, die mir vorliegen, davon, dass der Landrat unserer Arbeit sehr warmherzig zugeneigt ist.‘ Er hat, als durch die Euthanasie-Massnahmen das Leben zahlreicher Kranker in unseren Anstalten bedroht war, oft den Landrat angerufen, der mit dem damaligen Regierungspräsidenten hier erschien und sich gegen die Durchführung der Massnahmen mit aller Kraft einsetzte. […] Dieses unserer Arbeit wohlwollende Verhältnis wurde ganz besonders durch Herrn Dr. Rütten gepflegt und er hat seinen Einfluss immer wieder ausgenutzt, um die Anstalten gegen Uebergriffe der Partei zu schützen, sodass man ihm selbst diese Haltung verdachte.“ (Abschrift der Bescheinigung Hardts vom 29.6.1948, LAV NRW R, NW 110, Nr. 1506, Bl. 129).
  • 24: In Kunzes Bescheinigung heißt es unter anderem: „Ich habe ihm [Rütten] bereits unterm 15.6.48 ein Zeugnis zur Vorlage bei dem für ihn zuständigen Entnazifizierungsausschuss ausgestellt. […] Ich stelle […] auf Wunsch von Herrn Dr. Rütten unter Beifügung einer Abschrift meines Zeugnisses vom 15.6.48 ausdrücklich fest, dass ich die Einstufung nach Gruppe V auf Grund meiner persönlichen Kenntnisse für vollauf gerechtfertigt halte und ich die Wiederverwendung des Herrn Dr. Rütten in einem seiner Vorbildung entsprechenden Amt in der öffentlichen Verwaltung für vorteilhaft und persönlich wie sachlich berechtigt halte.“ (Abschrift der Bescheinigung Kunzes vom 4.10.1949, LAV NRW R, NW 110, Nr. 1506 Bl. 130).
  • 25: Schreiben Fritz von Bodelschwinghs an den zuständigen Offizier der Besatzungsmacht vom 1.5.1945 (zitiert nach Hochmuth, S. 169).
  • 26: Dieses und folgende Zitate finden sich in Broglios Schreiben an den Sonderbeauftragten für die Entnazifizierung in NRW vom 26.10.1949 (LAV NRW R, NW 110, Nr. 1506, Bl. 124-128).
  • 27: Rütten selbst führt hierzu aus: „Im Jahre 1936 trat man zum ersten Mal von Seiten der SS an mich heran, dieser Organisation beizutreten. Der Standartenführer sagte mir sofort einen höheren Rang zu. Ich habe abgelehnt, nicht weil ich die SS als verbrecherisch angesehen hätte, an so etwas dachte man damals noch nicht, sondern weil ich nicht wollte. Auch die Zusage, mich zum Landrat von Minden zu machen, konnte meine Ablehnung nicht aufheben. Als man mehr als sechs Mal mit derselben Aufforderung gekommen war, habe ich mich bereit erklärt, als förderndes Mitglied einzutreten. Am 10. III. 1938 erhielt ich meine Versetzung von Minden fort. Ich bin dann ausgetreten, und später auch nicht mehr eingetreten.“ (Anlage III A, in: LAV NRW R, NW 1000, Nr. 22065, Bl. 38).
  • 28: Schreiben Rainers an Herrn Oberkreisdirektor Schütz, Bielefeld, vom 10.1.1949 (LAV NRW R, NW 1000, Nr. 22065 Bl. 53).
  • 29: LAV NRW R, NW 1000, Nr. 22065 Bl. 54.
  • 30: In dem Entwurf des Schreibens heißt es wörtlich: „Der Betroffene hat den Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens auf neue Entlastungszeugnisse gestützt, die den Nachweis erbringen sollen, dass er aktiven Widerstand geleistet habe. Der Inhalt der Zeugnisse ist jedoch zu allgemein abgefasst. Es ist daher dem Betroffenen aufgegeben worden, einzelne konkrete Fälle und Beweismittel hierzu vorzubringen, aus denen sich ein aktiver Widerstand ergibt. Dieser Auflage ist der Betroffene bisher nicht nachgekommen.“ (LAV NRW R, NW 1037-A/REG, Nr. 11979, Bl. 22).
  • 31: Beglaubigte Abschrift des Beschlusses des Sonderbeauftragten für die Entnazifizierungin NRW vom 17.8.1950 (LAV NRW R, NW 1037-A/REG, Nr. 11979, ohne Zählung).
  • 32: Schreiben des Sonderbeauftragten für die Entnazifizierungim Lande Nordrhein-Westfalen an den Herrn Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen vom 13.2.1951 (LAV NRW R, NW 110, Nr. 1506 Bl. 139).
  • 33: Entwurf eines Schreibens des Innenministers an Heinz Rütten vom 27.4.1951 (LAV NRW R NW 110 Nr. 1506 Bl. 142r).
  • 34: LAV NRW R, NW 1000, Nr. 22065 Bl. 5v.
  • 35: Entwurf eines Schreibens des Innenministers an den Regierungspräsidenten in Detmold vom 5.7.1951; Aktenvermerk des Innenministeriums des Landes NRW vom 15.2.1952 (LAV NRW R, NW 110, Nr. 1506 Bl. 143, 147).
  • 36: Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) vom 30.3.1957, S. 15 (LAV NRW R, NW 110, Nr. 1506 Bl. 151).
  • 37: Kreisverwaltungsrat Dr. Verbeek schildert den Ablauf des Unfalls in einem noch am selben Tag ergangenen Schreiben an den Innenminister des Landes NRW (LAV NRW R, NW 110, Nr. 1506 Bl. 150r).
Zitationshinweis

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Schlemmer, Martin, Die Entnazifizierung des Heinrich Martin Rütten, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/Themen/die-entnazifizierung-des-heinrich-martin-ruetten/DE-2086/lido/57d130fa7fe598.54412424 (abgerufen am 06.06.2023)