Die Kölner Gaffeln
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1. Forschungsstand
Die bisher umfassendste Untersuchung zu den Kölner Gaffeln stammt von Klaus Militzer aus dem Jahr 1980. 1996, zum 600. Jubiläum des Verbundbriefes von 1396, erschienen noch eine Reihe kleinerer Aufsätze, die aber nur den Forschungsstand von Militzer zusammenfassen oder unter etwas anderen Aspekten beleuchten. Eigenständige Forschungen zu diesem Themenkomplex wurden seit 1980 nicht mehr angestrengt. Arbeiten aus personen- oder netzwerkgeschichtlicher Perspektive fehlen bisher. Sie sind nach wie vor ein dringendes Desiderat der Forschung.
2. Terminologie
„Gaffel“ wurde bereits vor 1396 zur Bezeichnung von Bruderschaften verwendet und durchaus als Synonym für „Zunft“ beziehungsweise den kölnischen Terminus „Amt“ verwendet. Vor Mitte des 14. Jahrhunderts wurde es in Köln kaum gebraucht, sodass man davon ausgehen kann, dass die ursprüngliche Bedeutung von Abgaben oder Steuer, die es möglicherweise einmal gehabt haben mag, nicht mehr bekannt war. Wahrscheinlich leitet sich der Terminus „Gaffel“ daher von der Tranchiergabel ab, mit der man den Braten bei den Zusammenkünften der Bruderschaften zerteilte. Erstmals ist 1365 von der Kaufleutegaffel „Eisenmarkt“ die Rede, bei der es sich um einen Zusammenschluss von Kaufleuten im Sinne einer Gilde handelte. Auch die vor 1396 nachweisbaren Kaufleutegaffeln „Windeck“ und „Himmelreich“ sind als solche anzusehen.
Wie die Handwerkerbruderschaften waren auch diese Gaffeln zunächst eidlich verbundene Korporationen, die jedoch nicht dieselbe Bedeutung für die Kaufleute hatte, wie die Bruderschaft für die Handwerker, da sie nach wie vor auch großen Wert auf familiäre Verbundenheit legten. Aber auch andere genossenschaftliche Korporationen wurden als Gaffeln bezeichnet. So werden 1385 die Amtleutegenossenschaften von St. Laurenz und Airsburg „Gaffeln“ genannt. Erst mit dem Verbundbrief von 1396 wurden Gaffeln in der Verfassung festgelegte und definierte politische Gruppierungen. Dabei ist allerdings zu beachten, dass nach 1396 auch Zünfte oder in der kölnischen Terminologie genauer Ämter nun als Gaffeln bezeichnet wurden, was die terminologische Verwirrung vergrößert. Letztlich ist in diesem Beitrag nur von den politischen Gaffeln im Sinne des Verbundbriefes die Rede.
3. Entstehung der Gaffeln
Während frühere kaufmännische Genossenschaften nicht von Dauer waren, so ist seit 1354 die fraternitas S. Spiritus de foro Ferri et de Sublobiis nachweisbar. Es handelte sich um eine zunächst religiöse Bruderschaft von Kaufleuten, die sich unter anderem den Unterhalt des Leprosenhauses in Melaten zur Aufgabe gemacht hatten. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist in ihr der Vorläufer der Gaffel Eisenmarkt zu sehen. 1365 pachtete die nun societas de societate furce, dicte vulgariter der gaffelen super foro Ferri (Gaffel über dem Eisenmarkt) genannte Gemeinschaft ein Haus am Heumarkt. Sie hatte nun eigene Meister und einen eigenen Schrein. Vergleichbar mit Eisenmarkt dürften die Windeck und Himmelreich genannten Kaufleutekorporationen und späteren Gaffeln gewesen sein, die 1371 zum ersten Mal erwähnt werden. Diese Gaffeln waren neben einer religiösen Bruderschaft, die sich um das Seelenheil ihrer Mitglieder kümmerte, auch Instrumente der politischen Interessenvertretung für die nicht zu den „Geschlechtern“ gehörenden Kaufleute. Von der Gaffel „Schwarzhaus“ hören wir erst im Juni 1396, weswegen man annehmen kann, dass sie sich erst im Zuge der sich abzeichnenden Umbrüche gebildet hat. Alle anderen Gaffeln wurden erst mit dem Verbundbrief ins Leben gerufen. Sie haben daher nicht den Charakter einer genossenschaftlichen Vereinigung, sondern sind von Anfang an „politische Korporationen“.
Die „Geschlechter“ bildeten die Kölner Oberschicht, die sich im Wesentlichen aus den vornehmen und reichen Familien des Kölner Patriziats rekrutierte. Dazu gehörten die Familien Overstolz, Lyskirchen, Hardevust, Gir, Grin, Hirtze, Hirtzelin, Quattermart, Spiegel und andere. Sie praktizierten eine geradezu ständische Abschließungspolitik gegenüber neuen Familien sowie anderen gesellschaftlichen Schichten und Gruppen. Sie stilisierten sich als städtischer Adel, der schon aufgrund seiner Abstammung zum Regiment über die Stadt prädestiniert sei.
Auf Seiten der Handwerker waren das Wollenamt, also die mitgliederstarke Zunft der Wollenweber und die Goldschmiede politisch tonangebend. Andere Zünfte schlossen sich in der Regel diesen beiden an. Ihr politisches Engagement war weder durch die Einbindung der Zünfte noch das der Gaffeln in die städtische Verfassung institutionalisiert. Die „verfassungsmäßigen“ Organe der Stadt wurden von den „Geschlechtern“ dominiert, der Zugang zu ihnen durch sie blockiert.
In der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts begannen sich Handwerker, aber vor allem die neu zu Vermögen gekommenen Kaufleute gegen die Vorherrschaft der „Geschlechter“ zu wehren. Als zu Beginn der 1360er Jahre Kaiser Karl IV. (1316-1378) auf Initiative des engen Rates der Stadt einen Zoll verliehen hatte, über den weder der weite Rat noch die Gemeinde informiert worden war, kam es zu Protesten. Die Kaufleute, die ihre Waren auf dem Rhein transportierten, scheinen erst mit der Einführung des Zolls erfahren zu haben, dass sie diesen von jetzt ab am Bayenturm zu entrichten hatten. Die Mitglieder der Gaffel „Eisenmarkt“ und des „Wollenamtes“ organisierten den Widerstand gegen diesen Zoll und schlossen mit anderen Zünften einen verbund, der erfolgreich gegen diese Maßnahme protestierte. 1370/1371 kam es unter der sogenannten Weberherrschaft zu einem ersten Versuch, die oligarchische Herrschaft der „Geschlechter“ abzuschütteln. Die Gaffel „Eisenmarkt“ spielte dabei eine tragende Rolle; der mit ihr gebildete Verbund drängte auf eine Verfassungsänderung, die nach einigen Monaten der Beratung schließlich am 2.7.1370 in Form der nova ordinatio in Kraft trat. Danach wurde nicht nur die „Richerzeche“ (die Genossenschaft der Reichen) abgeschafft, sondern vor allem der weite Rat umgestaltet. In ihn wurden nun zahlreiche Mitglieder von Zünften, Korporationen und Gaffeln entsandt, die nicht, wie bisher, von den Sondergemeinden, sondern eben von Zünften, Korporationen und Gaffeln selbst gewählt wurden. Damit waren Gaffeln nicht mehr nur Interessenvertreter ihrer Klientel, sondern wurden in die stadtkölnische Verfassung eingebaut, wenn auch noch nicht an zentraler Stelle.
Gaffeln waren aber auch an der Beendigung der Weberherrschaft beteiligt. Zusammen mit den Geschlechtern stellten sich einzelne Kaufleute der Gaffel Eisenmarkt sowie die Gaffeln Windeck und Himmelreich den Webern entgegen, die am 20.11.1371 den ihrer Ansicht nach zu Unrecht zum Tode verurteilten Henken von Turne gewaltsam befreit hatten. Verstärkt durch die städtischen Truppen trafen sie am Waidmarkt auf die von der Gefangenenbefreiung zurückkehrenden Weber und brachten ihnen eine vernichtende Niederlage bei. Durch die nova ordinatio wurde in der Folge der „Weberschlacht“ wieder außer Kraft gesetzt.
Der Druck der unteren Gesellschaftsschichten, die immer noch nach größerer politischer Teilhabe drängten, ließ aber nicht nach. Dabei sind die Mitglieder der „unteren Gesellschaftsschichten“ nicht als notwendigerweise ökonomisch schlechter gestellt anzusehen. Zu ihnen gehörten durchaus wohlhabende oder gar reiche Kaufleute. Sie waren lediglich durch die ständische Abschließungspolitik der Geschlechter von der politischen Partizipation ausgeschlossen. Demnach gab es gerade zwischen den unterschiedlichen Gruppen innerhalb der oberen Vermögensschichten zunehmende Spannungen.
1396 kam es nun zu einer Auseinandersetzung zwischen zwei Gruppierungen innerhalb der Kölner Oberschicht, den „Freunden“ und den „Greifen“. Beide bestanden hauptsächlich aus Mitgliedern der Geschlechter, mit den „Greifen“ sympathisierten aber auch städtische Gruppierungen, denen es bisher nicht gelungen war in die städtische Führungsschicht aufzusteigen beziehungsweise politischen Einfluss zu erlangen. Neubürger, Handwerker (besonders die Goldschmiede), Mitglieder des weiten Rates und homines novi im Patriziat sind dazu zu rechnen. Die „Freunde“, bei denen der Anteil der Mitglieder aus den „Geschlechtern“ deutlich höher war als bei den „Greifen“, hatten im Januar 1396 die Macht in der Stadt übernommen, nachdem sie den Versuch Hilger Quattermarts von der Stesse und seiner Greifenpartei abgewehrt hatten, ihren politischen Einfluss zu steigern.
Auch Kaufleute hatten die „Freunde“ dabei unterstützt, allerdings nur gegen verschiedene Zugeständnisse. Demnach sollte unter anderem der Weinzapf wieder freigegeben werden. Diese Zusagen wollten sie aber nun nicht einhalten, was erneut für Unruhe sorgte. Die Beschneidung der Kompetenzen des weiten zugunsten des engen Rates stieß ebenfalls nicht auf Gegenliebe. Demnach gelang es auch den „Freunden“ nicht, die Spannungen in der Kölner Bürgerschaft aufzulösen. Große Teile derselben lehnten die Herrschaft der „Freunde“ ab. Zünfte und Gaffeln näherten sich an und planten ein gemeinsames Vorgehen.
Angebliche Überlegungen der „Freunde“ bezüglich der Auflösung der Kaufleute- und Handwerkergesellschaften bildeten schließlich das Pulverfass. Der Funke, der es zur Explosion brachte, war eine Aufforderung des „Freundes“ Constantin von Lyskirchen an die in ihren Gaffelhäusern am Neumarkt versammelten Kaufleute. Er legte ihnen am 18.6.1396 nahe, doch schlafen zu gehen, ihre Versammlungen also aufzulösen. Daraufhin wurden er und die etwa 50 im Gebührhaus von Airsburg versammelten „Freunde“ gefangengesetzt. An diesem Handstreich waren hauptsächlich die Kaufleutegaffeln „Eisenmarkt“, „Windeck“ und „Himmelreich“ beteiligt, außerdem die Goldschmiede. Das übrige Handwerk nahm kaum Anteil an diesem Umsturz. Am 24. Juni wurde ein provisorischer Rat mit 48 Mitgliedern gebildet, von denen immerhin sechs den „Geschlechtern“ entstammten, der seinerseits einen Ausschuss von 13 Mitgliedern damit beauftragte, zusammen mit 25 weiteren Vertretern der Kaufleutegaffeln und der Zünfte eine Verfassung auszuarbeiten.
Der am 14.9.1396 in Kraft tretende Verbundbrief schuf 22 neue politische Korporationen, die Gaffeln. Dieses genossenschaftliche Ordnungsprinzip ersetzte das auf Familien gegründete. Jeder Bürger und Eingesessene (Einwohner ohne Bürgerrecht) hatte je nach seiner Zunft- oder Gaffelzugehörigkeit einer dieser neuen politischen Gaffeln anzugehören und einen dem Bürgereid entsprechenden Eid zu leisten. Wer keiner Zunft angehörte konnte seine Gaffel frei wählen. Kaufleute konnten sich auch in einer Handwerkergaffel einschreiben. Gaffelmitglieder besaßen das aktive Wahlrecht für die Wahl des Rates. Insgesamt waren dies jedoch nur 30 Prozent der männlichen Bevölkerung, weswegen man nicht von einer demokratischen Verfassung im heutigen Sinne sprechen kann. Frauen zum Beispiel erwuchsen aus dem Verbundbrief keinerlei Rechte auf politische Beteiligung an der Stadtregierung. Alle Gaffeln gemeinsam verbanden sich durch einen Eid mit dem Rat und bildeten so die Gemeinde. Der Rat wiederum wählte zwei Ratsherren, die dafür zuständig waren, die Zuordnung der infrage kommenden Einwohner zu den Gaffeln zu überprüfen und sie gegebenenfalls zur Wahl einer Gaffel anzuhalten.
Die Kaufleute waren in den vier Kaufleutegaffeln „Eisenmarkt“, „Windeck“, „Himmelreich“ und „Schwarzhaus“ zusammengefasst und bildeten das politische Schwergewicht innerhalb der neuen Verfassung. Die politischen Mitwirkungsrechte der Handwerke und Zünfte waren nun aber festgelegt, wenngleich die etwa 50 Zünfte, die auf die restlichen 18 Gaffeln (Wollenamt, Goldschmiede, Kürschner, Schilderer (Maler), Riemenschneider, Steinmetze, Schmiede, Bäcker, Brauer, Gürtelmacher, Fleischer, Fischhändler, Schneider, Schuhmacher, Harnischmacher, Kannengießer, Fassbinder und Ziechenweber) verteilt wurden, nach wie vor nicht gleichberechtigt waren.
Die Verteilung der Zünfte auf die Gaffeln orientierte sich weder an der Größe der jeweiligen Zunft noch notwendigerweise an der Art des Handwerks. So gehörten zum Wollenamt die Tuchscherer, die Weißgerber und die Tirteyweber. Die Goldschläger wurden den Goldschmieden angegliedert, die Wappensticker, Sattler und Glaser den Schilderern. Den Steinmetzen wurden die Zimmerleute, Holzschnitzer, Kistenmacher, Dachdecker und Lehmstreicher zugeordnet, den Gürtelmachern die Lederbereiter, Nadelmacher, Drechsler, Beutel- und Handschuhmacher. Die Holzschuhmacher und Lohgerber schlossen sich mit den Schuhmachern zu einer Gaffel zusammen und die Harnischmacher mit den Taschenmachern, Schwertfegern und Barbieren. Schließlich bildeten die Kumtmacher zusammen mit den Kannegießern eine Gaffel, die Fassbinder mit den Angehörigen des Weinamts und den Weinschrödern sowie die Ziechenweber die Decklaken- und Leineweber. Alleine blieben die Kürschner, Schmiede, Bäcker, Brauer, Fleischer und Schneider. Nach welchen Kriterien die teilweise sehr verschiedenen Zünfte zu Gaffeln geformt wurden, ist nicht bekannt. Nach den Bestimmungen des Verbundbriefes wurde Weihnachten 1396 erstmals ein neuer Rat gewählt.
4. Organisation der Gaffeln
Aufbau und Organisation der Gaffeln sind noch unzureichend erforscht. Statuten aus den Jahren vor 1396 sind nicht überliefert. Lediglich von der Gaffel Eisenmarkt hat sich ein Statutenbuch aus dem 16. Jahrhundert erhalten, von dem man auf die älteren Statuten zurückschließen kann, da es sich vermutlich um die Bearbeitung bereits bestehender Bestimmungen handelt. Weitere Dokumente der Gaffeln gelangten nach deren Auflösung durch die Franzosen 1798 in private Hände, wo sie vielfach verloren gingen.
Auf diese Weise gewinnt man von der Gaffel das Bild einer geselligen Vereinigung, die aus den informellen Kontakten der Kaufleute untereinander hervorgegangen ist, aber schon bald einen gewissen Organisationsgrad erreichte. Eine eidliche Verbindung der Mitglieder untereinander kann man mit guten Gründen annehmen.
An der Spitze einer Gaffel standen Meister. Sie beriefen die Versammlung ein, die die Mitglieder bei Androhung einer Geldstrafe besuchen mussten. Sie waren außerdem für die Leitung der Versammlungen und die Einhaltung einer gewissen Disziplin zuständig. Sie konnten Ruhe gebieten und Genossen als Boten aussenden. Den Gaffeln stand demnach zwar eine gewisse Gerichtsbarkeit über ihre Genossen zu, eine Handelsgerichtsbarkeit übten sie jedoch nie aus. Diese war dem Rat vorbehalten. Neue Mitglieder hatten nicht nur einen Eid abzulegen, sondern auch eine Aufnahmegebühr zu entrichten. Alle Gaffelgenossen hatten verstorbenen Mitgliedern das letzte Geleit zu geben und die Totenwache zu halten.
Von der Gaffel „Windeck“ weiß man, dass sie 1417 wenigstens 141 reiche Genossen hatte und damit nach dem Wollenamt (mit 152 reichen Genossen) die zweitgrößte Gaffel war. Mit deutlichem Abstand folgten „Schwarzhaus“ mit 78 reichen Genossen und alle weiteren Gaffeln. Bis in die 1440er Jahre scheint „Windeck“ jedoch einen starken Mitgliederschwund erlitten zu haben, denn um diese Zeit sind nur noch etwa 60 Gaffelgenossen zu erschließen. Der Anteil der Neubürger an den Genossen war mit über 50 Prozent bei „Windeck“ besonders hoch.
Während die Kaufleutegaffeln nur einen Meister hatten, gab es bei den übrigen auch noch die Meister der jeweils der Gaffel zugehörigen Zünfte. Die Handwerkergaffeln tagten nicht nur in den Gaffelhäusern, sondern auch in den Häusern der Mitgliederzünfte.
Bei Gaffeln, die sich aus mehreren Zünften zusammensetzte, konnte es durchaus zu Konflikten zwischen den einzelnen Gewerben kommen. Die Gaffel der Harnischmacher, die sich aus eben diesen und den Taschenmachern, Schwertfegern und Barbieren zusammensetzte, zerfiel beispielsweise 1515 im Streit. Die Harnischmacher auf der einen und die anderen drei Zünfte auf der anderen Seite trennten sich und mieteten separate Gaffelhäuser an. Der Rat sah sich 1516 daher genötigt, die Einheit der Gaffel wiederherzustellen, ordnete an, dass man wieder ein gemeinsames Gaffelhaus mieten solle und vermittelte einen Kompromiss zwischen den Streitparteien. Immerhin bedrohte eine solche Trennung die städtische Verfassung.
5. Gaffeln als politische Korporationen – Aufgaben und Bedeutung für die städtische Verfassung
Waren die Gaffeln vor 1396 Verbände mit gewissen wirtschaftlichen und sozialen Funktionen für ihre Mitglieder, so wirkten sie jedoch auch schon vor der verfassungsmäßigen Neuordnung an der politischen Willensbildung ihrer Genossen und der Stadt mit, indem sie als – modern ausgedrückt – Lobbygruppe die Interessen der Mitglieder vertrat. Mit dem Verbundbrief wuchsen ihnen jedoch völlig neue, nun erstmals schriftlich fixierte Aufgaben zu.
Die Hauptaufgabe dieser eidgenossenschaftlich verbundenen Korporationen war sicherlich die Wahl des Rates. Aus ihren Reihen wählten sie eine festgelegte Anzahlt von 36 Ratsherren. Die Wahlen fanden zweimal im Jahr statt, zu Weihnachten und an Johanni (24. Juni), und erstreckten sich jeweils auf die Hälfte der Ratsmitglieder. Das Wollenamt, als die bedeutendste Gaffel, entsandte vier Ratsherren, die Kaufleute- und sieben der Handwerkergaffeln bestimmten je zwei und die übrigen zehn Handwerkergaffeln nur einen Ratsherrn. Eine Begründung für diese Abstufung wird nicht gegeben. Die Kaufleutegaffeln konnten ihr politisches Gewicht innerhalb des Rates aber dadurch steigern, dass in das „Gebrech“ vorzugsweise Ratsherren aus ihren Reihen gelangten. Das „Gebrech“ waren 13 weitere Ratsherren, die zusammen mit den 36 durch die Gaffeln bestimmten, den Rat mit insgesamt 49 Ratsherren konstituierten. Die sogenannten Gebrechsherren wurden aber nicht von den Gaffelmitgliedern gewählt, sondern von den 36 bereits feststehenden Ratsmitgliedern kooptiert. Daher kann man annehmen, dass das etwas quer zum genossenschaftlichen Verbandsprinzip stehende „Gebrech“ auf Initiative der Gaffel „Eisenmarkt“ zurückzuführen ist, die am meisten davon profitierte. Lediglich dem Wollenamt und den Goldschmieden gelang es, einige Gebrechsherren zu stellen. Alle 49 Ratsherren wählten dann die beiden Bürgermeister und besetzten andere städtische Ämter. Entsprechend stammten auch die Bürgermeister zum überwiegenden Teil aus den Kaufleutegaffeln. Unter diesen wiederum war in Bezug auf die Bürgermeisterwahl die Gaffel „Eisenmarkt“ führend. Damit war über kurz oder lang der Weg zu einer erneuten Oligarchisierung der städtischen Politik vorgezeichnet.
Daneben stellte jede Gaffel zwei Männer (von Frauen ist nicht die Rede), die zusammen das Gremium der Vierundvierziger bildeten. Die Vierundvierziger beaufsichtigten den Rat und waren bei Entscheidungen über Krieg und Frieden, über Bündnisverträge sowie größere Kreditaufnahmen zu konsultieren.
Seit etwa 1420 wählen die Gaffeln je einen sogenannten Bannerherrn auf Lebenszeit in die Gesellschaft zur Bewahrung des städtischen Banners. Diese Bannerherren werden im 17. Jahrhundert zu einem wichtigen Organ der Stadtverfassung, indem sie den Rat bei Konflikten mit der Stadtgemeinde im Sinne der Wiederherstellung der städtischen Grundwerte wie Eintracht, innerem Frieden und dem allgemeinen Besten unterstützten.
Schließlich organisierten die Gaffeln die Bewaffnung der Bürger und den Wachdienst an den Torburgen. Sie übernahmen außerdem die Sicherung hochrangiger Besucher. Bei großen Prozessionen repräsentierten Vertreter der Gaffeln die Stadtgemeinde. Keine Gaffel durfte den Verbundbrief einseitig aufkündigen. Daher erhielt jede von ihnen eine Ausfertigung.
Demnach waren die Gaffeln nach 1396 die wichtigsten Verfassungsorgane der Stadt, wenngleich der Rat sie an politischer Macht überragte. Ihm wurde die obrigkeitliche Gewalt zum Wohl der Stadt übertragen, er setzte sich als alleiniger Vertreter von „Ehre“ und „Freiheit“ Kölns nach außen durch. Mit Verankerung der Gaffeln in der Verfassung ersetzte deren genossenschaftliches Organisationsprinzip die geburtsständische Privilegierung der zuvor herrschenden Geschlechter. Dies blieb zumindest in der normativen Theorie bis zum Ende der Reichsstädtischen Zeit so. Die Gaffeln waren der eigentliche Souverän, wenngleich nur etwa 16 bis 18 Prozent der Gesamtbevölkerung Kölns in ihnen organisiert war und entsprechend an Wahlen teilnehmen beziehungsweise sich wählen lassen konnten. Eine demokratische Verfassung im heutigen Sinne war dies sicher nicht, wenngleich sich der Kreis derjenigen Bürger, die Zugang zu politischer Mitwirkung und Entscheidungsfindung hatten, deutlich erweitert hatte. Vor allem waren die ständischen Schranken beseitigt worden. Die Frage, ob es sich bei den Vorgängen von 1396 um eine Revolution handelte, ist zu verneinen. Zwar wurden die politischen und verfassungsmäßigen Verhältnisse verändert, aber im Grunde genommen fand lediglich ein Wechsel der städtischen Eliten statt. Die alten Eliten wurden aber nicht völlig verprellt, sondern man versuchte sie in die neue Ordnung zu integrieren. Durchgreifende wirtschaftliche oder gesellschaftliche Veränderungen sind gar nicht zu beobachten.
Ergänzt und erweitert um den Transfixbrief von 1513, in dem das Aufsichtsrecht der Gaffeln über den Rat festgelegt wurde, galt diese Verfassung in der Reichsstadt Köln bis zur Einsetzung des Provisorischen Magistrats am 5./7.9.1797.
Quellen
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Literatur
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Herborn, Wolfgang/Dietmar, Carl, Köln im Spätmittelalter 1288-1512/13, Köln 2019.
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Holtschmidt, Wilhelm, Die Kölner Ratsverfassung vom Sturz der Geschlechterherrschaft bis zum Ausgang des Mittelalters 1396-1523, Marburg 1906.
Militzer, Klaus „Gaffel, Ämter, Zünfte“ – Handwerker und Handel vor 600 Jahren, in: Jahrbuch des Kölnischen Geschichtsvereins 67 (1996), S. 41-59.
Militzer, Klaus Die Gaffel Windeck im 14. und 15. Jahrhundert, in: Jahrbuch des Kölnischen Geschichtsvereins 57 (1986), S. 17-74.
Militzer, Klaus Die Kölner Gaffeln in der zweiten Hälfte des 14. und zu Beginn des 15. Jahrhunderts, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 47 (1983), S. 124-143.
Militzer, Klaus, Ursachen und Folgen der innerstädtischen Auseinandersetzungen in Köln in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts, Köln 1980.
Militzer, Klaus, Die vermögenden Kölner 1417-1418. Namenlisten einer Kopfsteuer von 1417 und einer städtischen Kreditaufnahme von 1418, Köln/Wien 1981.
Schulz, Günther, Zünfte und politische Strukturen in Köln. Die Beteiligung des Handwerks am Stadtregiment vom Verbundbrief bis zur napoleonischen Zeit (1396-1796/97), in: Gerhard, Hans-Jürgen (Hg.), Struktur und Dimension. Festschrift für Karl Heinrich Kaufhold zum 65. Geburtstag, Band 1: Mittelalter und Frühe Neuzeit, Stuttgart 1997, S. 388-406.
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Hillen, Christian, Die Kölner Gaffeln, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/Themen/die-koelner-gaffeln/DE-2086/lido/5e98015879dc69.22344533 (abgerufen am 10.10.2024)