Die Schlacht von Spichern und ihre kulturpolitische Rezeption in Saarbrücken während des Kaiserreichs

Fabian Trinkaus (Saarbrücken)

Carl Röchlings Zeichnung 'Die Erstürmung des Roten Berges' (Spicherer Berg), 1890.

1. Inkubation: Saarbrücken zu Beginn des Deutsch-Französischen Krieges

Saar­brü­cken war vor der Reichs­grün­dung ein recht un­be­deu­ten­der Ort im äu­ßers­ten Süd­wes­ten der preu­ßi­schen Rhein­pro­vinz. In den fol­gen­den gut 40 Jah­ren ent­wi­ckel­te sich die Stadt - in den zu­ge­spitz­ten Wor­ten Wil­fried Loths - zu „Preu­ßens Bas­ti­on im Wes­ten“[1]. Mit die­sem Dik­tum hat Loth kei­nes­wegs nur die ste­tig stei­gen­de wirt­schaft­li­che und de­mo­gra­phi­sche Be­deu­tung Saar­brü­ckens im Blick, son­dern auch die ide­el­le In­te­gra­ti­on die­ses ehe­ma­li­gen Pro­vinz­nests in das neue Deut­sche Reich. Ka­ta­ly­sa­tor der geis­tig-po­li­ti­schen Ver­qui­ckung von Stadt und Reich war vor al­lem die Schlacht von Spi­chern am 6.8.1870, wel­che vor den To­ren der Stadt aus­ge­tra­gen wur­de, be­zie­hungs­wei­se ih­re kul­tur­po­li­ti­sche Re­zep­ti­on in den Fol­ge­jahr­zehn­ten.

In die­sem Bei­trag wird je­ner Re­zep­ti­ons­pro­zess un­ter meh­re­ren lei­ten­den Fra­ge­stel­lun­gen ana­ly­siert. In ei­nem ers­ten Schritt wird das Er­eig­nis, die Schlacht von Spi­chern in­klu­si­ve der be­deut­sa­men Vor­ta­ge, hin­sicht­lich ih­rer Be­deu­tung für die spä­te­re Re­zep­ti­ons­ge­schich­te un­ter­sucht. Die Hy­po­the­se lau­tet da­bei, dass der un­mit­tel­ba­re lo­ka­le Be­zug ei­ne lang­fris­ti­ge Wir­kungs­kraft des Er­eig­nis­ses, wie sie spä­ter zu kon­sta­tie­ren war, er­mög­lich­te. In ei­nem zwei­ten Schritt wird gleich­sam das Pan­ora­ma der Spi­chern­re­zep­ti­on er­öff­net. Es wird ge­zeigt, in wel­chen For­men sich das Ge­den­ken an die Au­gus­ter­eig­nis­se von 1870 ma­ni­fes­tier­te. Es wä­re frei­lich ei­ne po­si­ti­vis­ti­sche Her­an­ge­hens­wei­se, wür­de die Ana­ly­se hier­bei ste­hen blei­ben. Ent­spre­chend wird im An­schluss dar­an ver­sucht, die ent­schei­den­den Men­ta­li­tä­ten und geis­tig-po­li­ti­schen Dis­po­si­tio­nen, wel­che dem Spi­chern­kult sein Ge­prä­ge ver­lie­hen, her­aus­zu­fil­tern. In die­sem Zu­sam­men­hang ist auch nach den Trä­ger­schich­ten zu fra­gen: Wer zeich­ne­te für die kul­tur­po­li­ti­schen Maß­nah­men ver­ant­wort­lich und darf folg­lich als Mul­ti­pli­ka­tor der da­hin­ter ste­hen­den Ide­en gel­ten? Der Bei­trag schlie­ßt mit ei­nem Aus­blick, der vor al­lem die Lang­zeit­wir­kun­gen von Spi­chern fo­kus­siert. Kon­kret wer­den Über­le­gun­gen an­ge­stellt über den Zu­sam­men­hang zwi­schen der Spi­chern­re­zep­ti­on und dem Aus­bruch des Ers­ten Welt­kriegs be­zie­hungs­wei­se des­sen Wahr­neh­mung in der Öf­fent­lich­keit.

 

1.1 Die Spichernschlacht im Kontext des Deutsch-Französischen Krieges

Nur we­ni­ge Ki­lo­me­ter vom Saar­brü­cker Stadt­kern ent­fernt kam es zu ei­nem der ers­ten Auf­ein­an­der­tref­fen zwi­schen preu­ßi­schen und fran­zö­si­schen Trup­pen im Kon­text des Deutsch-Fran­zö­si­schen Krie­ges. Auf dem Spi­che­rer Berg stan­den sich am 6.8.1870, knapp drei Wo­chen nach der fran­zö­si­schen Kriegs­er­klä­rung vom 19. Ju­li, Tei­le der preu­ßi­schen I. Ar­mee und der fran­zö­si­schen Ar­mee­grup­pe Ba­zai­ne ge­gen­über[2]. Die Fran­zo­sen er­war­te­ten den Geg­ner in ei­ner ei­gent­lich kom­for­ta­blen Si­tua­ti­on, hat­te man sich doch, aus­ge­rüs­tet mit den mo­der­nen Chas­se­pot-Schnell­feu­er­ge­weh­ren, auf ei­nem Hö­hen­kamm ein­gei­gelt, zu­dem war man den Preu­ßen we­nigs­tens zu Be­ginn zah­len­mä­ßig klar über­le­gen. Fehl­ent­schei­dun­gen auf bei­den Sei­ten be­güns­tig­ten in­des den preu­ßi­schen Er­folg: Die La­ge voll­kom­men falsch ein­schät­zend, ord­ne­te der preu­ßi­sche Ge­ne­ral­leut­nant Ge­org von Ka­me­cke (1817-1893), Kom­man­deur der 14. In­fan­te­rie­di­vi­si­on, den Sturm auf den Spi­che­rer Berg an, wäh­rend die fran­zö­si­sche Füh­rung eben­so über­stürzt und von fal­schen Vor­aus­set­zun­gen aus­ge­hend den Rück­zug be­fahl.

Das Ge­fecht wog­te ei­ni­ge Stun­den lang hin und her und ver­lief höchst un­über­sicht­lich, ja zum Teil chao­tisch[3]. Am En­de je­den­falls ge­lang es den Preu­ßen, auch dank der nun all­mäh­lich am Schlacht­ort ein­tref­fen­den Ver­stär­kun­gen, den Spi­che­rer Berg zu be­set­zen. Fast zeit­gleich zo­gen sich fran­zö­si­sche Trup­pen auch bei Wei­ßen­burg (4. Au­gust) und Wörth (6. Au­gust) vor den Preu­ßen zu­rück, so­dass im Zu­ge die­ser drei Grenz­schlach­ten ei­ne Ba­sis für die fol­gen­de In­va­si­on in Frank­reich ge­schaf­fen wur­de.

Be­denkt man, dass sich der Krieg noch meh­re­re Mo­na­te hin­zog und die Fran­zo­sen selbst nach dem Nie­der­gang des fran­zö­si­schen Kai­ser­tums noch er­bit­ter­ten Wi­der­stand leis­te­ten, er­scheint es voll­kom­men über­zo­gen, die Spi­chern­schlacht zu ei­ner Art Vor­ent­schei­dung zu de­kla­rie­ren. Ge­nau dies ge­schah je­doch im Zu­ge der Re­zep­ti­ons­ge­schich­te, in de­ren Ver­lauf sich die mi­li­tär­his­to­ri­schen Fak­ten im­mer mehr im Ne­bel der na­tio­na­len My­then­bil­dung auf­lös­ten. In Er­in­ne­rung blieb, so­viel sei an die­ser Stel­le vor­weg­ge­nom­men, das Bild ei­ner hel­den­haf­ten preu­ßi­schen Ar­mee, die un­ter gro­ßer To­des­ver­ach­tung und der Ägi­de ih­rer ge­nia­li­schen Füh­rung ei­nen bis an die Zäh­ne be­waff­ne­ten Geg­ner aus sei­ner über­le­ge­nen Stel­lung warf. Da­bei füg­ten sich die zahl­rei­chen To­des­op­fer[4], die auf­grund ei­nes mi­li­tä­ri­schen Di­let­tan­tis­mus ihr Le­ben las­sen muss­ten, per­fekt in die Ar­gu­men­ta­ti­on: Die Ge­fal­le­nen sym­bo­li­sier­ten den Hel­den­mut der preu­ßisch-deut­schen Ar­mee und eig­ne­ten sich in glän­zen­der Wei­se als Zeu­gen des Sie­ges von 1870.

1.2 Die „Wacht an der Saar“: Saarbrücken als Frontstadt

Edu­ard Haas, der selbst als Sol­dat an der Spi­chern­schlacht be­tei­ligt war und spä­ter sei­ne Kriegs­er­in­ne­run­gen fest­ge­hal­ten hat, schil­dert das all­mäh­li­che Ein­tref­fen der preu­ßi­schen Ver­stär­kun­gen am 6.8.1870 wie folgt: „Die Stim­mung war un­be­schreib­lich. Sol­che Au­gen­bli­cke va­ter­län­di­scher Be­geis­te­rung wer­den al­len Be­tei­lig­ten un­ver­ges­sen ge­blie­ben sein.“ Zur An­feue­rung der Sol­da­ten ha­be man ‚Die Wacht am Rhein‘ ge­spielt[5]. Das 1841 ent­stan­de­ne pa­trio­ti­sche Lied Max Schne­cken­bur­gers (1819-1849), das sich im Ver­lauf des 19. Jahr­hun­derts zu ei­ner Art in­of­fi­zi­el­len Hym­ne der deut­schen Na­tio­nal­be­we­gung ent­wi­ckel­te, wur­de in Saar­brü­cken ad­ap­tiert und auf die Ge­scheh­nis­se in der Stadt um­ge­münzt: Die An­fän­ge des Deutsch-Fran­zö­si­schen Krie­ges in den drei Saar­städ­ten wur­den zur „Wacht an der Saar“ sti­li­siert. Der Ter­mi­nus re­fe­riert da­bei nicht nur auf die Schlacht am 6. Au­gust, son­dern in eben­so star­kem Ma­ße auf die vor­her­ge­hen­den und die nach­fol­gen­den Ta­ge, als Saar­brü­cken kurz­zei­tig von fran­zö­si­schen Ein­hei­ten be­setzt wur­de und sich so­dann zum Auf­marsch­ge­biet und zur La­za­rett­stadt ent­wi­ckel­te[6].

„Die ers­ten Ta­ge nach der Kriegs­er­klä­rung [die­se wird hier auf den 15. Ju­li da­tiert] wa­ren die auf­re­gends­ten [...] Wir ha­ben uns ver­pro­vi­an­tiert und für Ein­quar­tie­rung zu­recht ge­macht so viel wir konn­ten [...].“[7] So be­schreibt Adel­heid Korn, die Gat­tin ei­nes Lack­le­der­fa­bri­kan­ten, die At­mo­sphä­re in den drei Saar­städ­ten zwi­schen Kriegs­er­klä­rung und Spi­chern­schlacht. Saar­brü­cken bot in die­sen Ta­gen Bil­der, die ge­mein­hin erst mit den Welt­krie­gen in Ver­bin­dung ge­bracht wer­den: Man deck­te sich mit Le­bens­mit­teln ein, hielt Aus­schau nach ver­meint­li­chen Spio­nen und er­zähl­te sich zu­gleich Schau­er­ge­schich­ten über den fran­zö­si­schen Geg­ner, wo­bei vor al­lem die Sol­da­ten aus den fran­zö­si­schen Ko­lo­ni­en Ob­jekt der ei­ge­nen Res­sen­ti­ments wa­ren. Der fran­zö­si­sche Vor­stoß, der auf­grund der zah­len­mä­ßi­gen Über­le­gen­heit durch­aus zu er­war­ten war, er­folg­te schlie­ß­lich am 2. Au­gust. Bar jeg­li­cher mi­li­tä­ri­scher Ver­nunft und ei­nem zeit­ge­nös­si­schen Eh­ren­ko­dex fol­gend, leis­te­ten die we­ni­gen in Saar­brü­cken sta­tio­nier­ten Sol­da­ten noch ei­ni­ge Zeit lang Wi­der­stand, so­dass in den Stra­ßen der Stadt scharf ge­schos­sen wur­de. Ein Au­gen­zeu­ge wuss­te in sei­nen Kriegs­er­in­ne­run­gen zu be­rich­ten: „Ti­railleur­li­ni­en ste­hen ein­an­der ge­gen­über, Ku­geln pfei­fen durch die Stadt, pral­len an die Wän­de der Häu­ser, schla­gen in die Dä­cher, von de­nen die Zie­geln her­un­ter­ras­seln. Die Bür­ger zie­hen sich in ih­re Woh­nun­gen zu­rück, nur Ein­zel­ne be­ob­ach­ten von ge­schütz­ten Stel­len aus das Hin- und Her­wo­gen des Kamp­fes.“[8] Der fran­zö­si­sche Ein­marsch war in­des nicht auf­zu­hal­ten, die nach­fol­gen­de Be­sat­zung währ­te bis zum 5. Au­gust.

Mit dem fran­zö­si­schen Ab­zug war der Krieg kei­nes­wegs aus dem Saar­brü­cker Stadt­bild ver­schwun­den, im Ge­gen­teil: Vie­le pri­va­te und öf­fent­li­che Räum­lich­kei­ten wur­den zur Ein­quar­tie­rung der nun ein­tref­fen­den Preu­ßen ge­nutzt, wäh­rend nach Schlacht­be­ginn im­mer mehr Ver­wun­de­te bei Saar­brü­cker Bür­gern un­ter­ge­bracht und ver­sorgt wur­den. Über­dies ta­ten sich die Saar­brü­cker, glaubt man den zeit­ge­nös­si­schen Schil­de­run­gen, mit der Dar­rei­chung von Spei­sen und Ge­trän­ken zur Stär­kung der Sol­da­ten („Lie­bes­ga­ben“) her­vor. Be­zeich­nend ist ei­ne ent­spre­chen­de Stel­le aus der Saar­brü­cker Krieg­s­chro­nik, dem wohl wir­kungs­mäch­tigs­ten Schrift­stück im Dunst­kreis der Spi­chern­re­zep­ti­on: „Doch mit ‚Hur­rah‘ al­lein ist’s jetzt nicht gethan, das wis­sen die St. Jo­han­ner und Saar­brü­cker sehr wohl. Schon brennt die Au­gust­son­ne mit glü­hen­den Strah­len. Die Trup­pen sind er­hitzt und durs­tig von dem lan­gen Mar­sche: es gilt sie zu la­ben. Und als ob nur ein Wil­le die Mas­se be­see­le, un­auf­ge­for­dert bringt Reich und Arm, Hoch und Nied­rig, was ein je­der hat, zur Er­qui­ckung der wehr­haf­ten Lands­leu­te her­bei.“[9] In ei­ner be­mer­kens­wer­ten Ver­dich­tung ma­ni­fes­tie­ren sich hier ei­ni­ge Grund­zü­ge der na­tio­nal ge­färb­ten Spi­chern­re­zep­ti­on: Be­schwo­ren wird die so­zia­le und sons­ti­ge Schran­ken über­win­den­de Ei­ni­gung der Na­ti­on im Geist von Spi­chern, wel­che durch das un­mit­tel­ba­re Kriegs­er­leb­nis be­grün­det wor­den sei. Frei­lich ent­stand die Saar­brü­cker Krieg­s­chro­nik erst ein Vier­tel­jahr­hun­dert nach den Er­eig­nis­sen, als sich die Sche­ma­ta reichs­na­tio­na­ler Kriegs­re­zep­ti­on be­reits ver­ste­tigt hat­ten. Trotz­dem be­legt das an­ge­führ­te Ex­zer­pt, das stell­ver­tre­tend für vie­le an­de­re ste­hen kann, ei­nen es­sen­ti­el­len We­sens­zug der Saar­brü­cker Spi­chern­re­zep­ti­on: Die spä­te­re na­tio­nal­po­li­ti­sche Ver­ein­nah­mung der Er­eig­nis­se ist nur denk­bar auf­grund der un­mit­tel­ba­ren In­vol­vie­rung der Stadt in die Er­eig­nis­se. Wenn Alex­an­der Sey­ferth von der „Hei­mat­front 1870/71“[10] spricht, so trifft dies wahr­schein­lich auf kei­ne an­de­re deut­sche Stadt so zu wie auf Saar­brü­cken. Dies hat­te gra­vie­ren­de Fol­gen für die Per­zep­ti­on der Er­eig­nis­se: Stadt­ge­schich­te und Reichs­ge­schich­te gin­gen ei­ne un­trenn­ba­re Sym­bio­se ein. Die be­mer­kens­wer­te In­ten­si­tät und Lang­le­big­keit des Spi­chern­ge­den­kens wird nur vor dem Hin­ter­grund der un­mit­tel­ba­ren Ein­bin­dung Saar­brü­ckens in das Kriegs­ge­sche­hen ver­ständ­lich.

1.3 Nach Spichern: Die Anfänge der kulturpolitischen Rezeption

Die Re­zep­ti­on der Spi­chern­schlacht so­wie der Er­eig­nis­se im Vor­feld des Ge­fechts setz­te gleich­sam im Fluss der Ak­ti­on ein. Be­son­ders die lo­ka­len Zei­tun­gen ga­ben schon früh den Ton der spä­te­ren Ver­ar­bei­tung vor. So war in der St. Jo­han­ner Zei­tung am 13.8.1870 - ei­ne Wo­che nach der Schlacht - zu le­sen: „Nur so to­des­mut­hi­gen und von der Ge­rech­tig­keit ih­rer Sa­che er­füll­ten Trup­pen wie den un­se­ri­gen und ih­ren treff­li­chen Füh­rern konn­te es ge­lin­gen, den so gut pos­tier­ten Feind aus sei­nen Stel­lun­gen zu ver­drän­gen.“[11] Das schlecht vor­be­rei­te­te mi­li­tä­ri­sche Un­ter­neh­men wur­de ge­zielt um­ge­deu­tet in ei­ne hel­den­haf­te Ak­ti­on, die von Fehl­ein­schät­zun­gen ge­präg­te Füh­rung wur­de kon­se­quent glo­ri­fi­ziert. In der glei­chen Aus­ga­be wur­de au­ßer­dem die Ei­nig­keit zwi­schen Mi­li­tär und Saar­brü­cker Be­völ­ke­rung un­ter­stri­chen, der preu­ßi­sche Sieg wur­de auch in ei­nen Tri­umph der Stadt um­ge­münzt: „Zu­nächst ha­ben wir hier nun die un­be­grenz­te pa­trio­ti­sche Lie­be und Auf­op­fe­rung zu er­wäh­nen, wel­che un­se­re hie­si­gen und die Be­woh­ner der Schwes­ter­stadt Saar­brü­cken, so­wie die der um­lie­gen­den Or­te den von je­nem Ta­ge ab fast un­auf­hör­lich an­ge­kom­me­nen und durch­zie­hen­den Trup­pen [...] be­wie­sen und fort­wäh­rend an­ge­dei­hen las­sen.“[12] In die­sem und ähn­li­chen Zei­tungs­ar­ti­keln wur­de ei­ne Sym­bio­se zwi­schen Na­ti­on, Mi­li­tär und Saar­brü­cker Stadt­be­völ­ke­rung be­schwo­ren. Zu ei­nem in­te­gra­ti­ven Be­stand­teil des Spi­chern­kul­tes wur­de be­reits in die­sen Ta­gen die preu­ßi­sche Mon­ar­chie, per­so­ni­fi­ziert durch Wil­helm I. (Re­gent­schaft 1858-1888, Kö­nig ab 1861, ab 1871 Deut­scher Kai­ser), der we­ni­ge Ta­ge nach der Schlacht, vom 9. bis zum 11. Au­gust, erst­mals in Saar­brü­cken weil­te und we­ni­ge Mo­na­te spä­ter, im März 1871, nun­mehr als Deut­scher Kai­ser, wie­der zu­rück­kehr­te. Die Saar­städ­te be­fan­den sich ob des ers­ten Ein­tref­fens des Mon­ar­chen, glaubt man der Saar­brü­cker Zei­tung, „in freu­digs­ter Auf­re­gun­g“ und sie „prie­sen Got­t“.[13] Al­les in al­lem wur­de der Sieg von Spi­chern bin­nen kur­zer Zeit zu ei­nem epo­cha­len Tri­umph ver­klärt, wel­cher das Schick­sal der Na­ti­on ent­schei­dend ver­än­dert ha­be, war doch rund ein Jahr spä­ter in der Saar­brü­cker Zei­tung zu le­sen: „Ei­ne gro­ße, un­ver­gleich­li­che Zu­kunft liegt son­nen­be­glänzt vor dem deut­schen Vol­ke da. Durch die Fins­ter­niß in­ne­rer Zwie­tracht drin­gend, hat es mit sei­nem Geist und sei­ner Kraft bei Spi­chern und Wörth die Pfor­ten zu die­ser Zu­kunft er­bro­chen und die Dä­mo­nen, die sie be­wach­ten, zer­schla­gen.“[14] Er­in­nert sei dar­an, dass die Schlacht von Spi­chern zwar im Zu­sam­men­spiel mit den an­de­ren bei­den Grenz­schlach­ten den Weg zur In­va­si­on in Frank­reich ge­eb­net hat­te, dass von ei­ner Vor­ent­schei­dung aber noch kei­nes­wegs die Re­de sein konn­te. In der Re­tro­spek­ti­ve schwand die­se Re­la­ti­vie­rung schnell und dau­er­haft.

Darstellung der Stellungen der französischen und deutschen Truppenverbände während der Schlacht von Spichern am 6. August 1870 um 6 Uhr abends, 1890. (Scan aus: T. H. Lindner, Der Krieg gegen Frankreich, 1890)

 

Ers­te Zen­tra­lor­te des Spi­chern­ge­den­kens ent­stan­den auf den Sol­da­ten­fried­hö­fen und den mit ih­nen ver­bun­de­nen Re­gi­ments­denk­mä­lern rund um Saar­brü­cken. Da es galt, die zahl­rei­chen Op­fer der Schlacht schnell bei­zu­set­zen, muss­ten Be­gräb­nis­stät­ten ge­fun­den wer­den. Die­se ent­wi­ckel­ten sich rasch zu An­lauf­punk­ten des Spi­chern­kul­tes. Zum be­deu­tends­ten Sol­da­ten­fried­hof Saar­brü­ckens avan­cier­te das so­ge­nann­te „Eh­ren­tal“ in un­mit­tel­ba­rer Nä­he des ehe­ma­li­gen Schlacht­felds.[15] Al­lein bis zum April 1871 wur­den dort über 450 ge­fal­le­ne Sol­da­ten be­gra­ben, die Zahl dürf­te spä­ter die 500 deut­lich über­schrit­ten ha­ben. Be­reits am 7. Au­gust wur­den hier zwei preu­ßi­sche Leut­nants und ein Ma­jor un­ter Bei­sein Ge­ne­ral Con­stan­tins von Al­vens­le­ben (1809-1892) be­er­digt. Auch der zur Le­gen­de ver­klär­te Ge­ne­ral Bru­no von Fran­cois (1818-1870), der beim Sturm auf den Berg den Tod ge­fun­den hat­te, wur­de hier we­ni­ge Ta­ge spä­ter be­stat­tet. Ab 1885 wur­den im Eh­ren­tal auch Ve­te­ra­nen bei­ge­setzt, die nicht auf dem Schlacht­feld ge­fal­len wa­ren. Ei­nen Hö­he­punkt des Ge­den­kens an die Sol­da­ten von 1870 stell­te die Bei­set­zung des Ge­ne­rals von Pe­s­tel am 29.3.1908 dar. Edu­ard von Pe­s­tel (1821-1908) war ei­ner der Kom­man­deu­re der 1870 in der Stadt ver­blie­be­nen Ein­hei­ten, die sich dem fran­zö­si­schen Vor­marsch ent­ge­gen­ge­stellt hat­ten. Die Trup­pe, die sich voll­kom­men sinn­los in ein aus­sichts­lo­ses Ge­fecht stürz­te, wur­de zur „tap­fe­ren Pe­s­tel­schar“ ver­klärt. In­ter­es­sant ist fer­ner, dass auch Zi­vi­lis­ten ih­re letz­te Ru­he im Eh­ren­tal fan­den, be­son­ders sol­che Bür­ger, die sich (tat­säch­lich oder ver­meint­lich) um die preu­ßi­schen Trup­pen 1870 ver­dient ge­macht hat­ten. Dar­un­ter be­fan­den sich un­ter an­de­rem die Magd Ka­tha­ri­na Wei­ß­ger­ber (1818-1886), die den Trup­pen an­geb­lich un­ter to­des­mu­ti­gem Ein­satz Ge­trän­ke und me­di­zi­ni­sche Erst­ver­sor­gung hat­te zu­kom­men las­sen, so­wie ein Förs­ter na­mens Berg­mann, der laut Über­lie­fe­rung preu­ßi­schen Pa­trouil­len den Weg durch den Wald ge­wie­sen ha­ben soll. Be­zeich­nen­der­wei­se blie­ben die Grä­ber der Zi­vi­lis­ten ge­gen­über den­je­ni­gen der Of­fi­zie­re in ih­rer äu­ße­ren Form be­schei­den: Die welt­li­che Hier­ar­chie wur­de so­mit ganz plas­tisch im To­ten­ge­den­ken per­pe­tu­iert[16].

Das Eh­ren­tal ent­wi­ckel­te sich zu ei­nem der Zen­tra­lor­te des Spi­chern­ge­den­kens, führ­ten doch die Fest­zü­ge im Rah­men der zahl­rei­chen Spi­chern­fei­ern im­mer wie­der hier hin. Da­bei ging es aber we­ni­ger um das Ge­den­ken an die To­ten, viel­mehr wa­ren die Le­ben­den Ob­jekt der Be­ein­flus­sung: Sie soll­ten sich an den Ge­fal­le­nen ein Bei­spiel neh­men und ihr Da­sein in den Dienst des Va­ter­lands stel­len[17]. Die Nä­he zum ehe­ma­li­gen Schlacht­feld ver­lieh dem Ort sei­ne na­tio­na­le Wei­he und ga­ran­tier­te die au­ßer­or­dent­li­che Lang­le­big­keit sei­ner An­zie­hungs­kraft. Das Eh­ren­tal mit­samt sei­nen Grä­bern und Ge­denk­stei­nen zu Eh­ren der an der Schlacht be­tei­lig­ten Re­gi­men­ter for­mier­te ge­mein­sam mit den im Fol­gen­den zu ana­ly­sie­ren­den Denk­mä­lern ei­ne das kai­ser­zeit­li­che Saar­brü­cken prä­gen­de na­tio­na­le Mo­nu­men­tal­to­po­gra­phie.

2. Formen: Nationale Kulturpolitik „im Schatten von Spichern“

Die Spi­chern-Me­mo­ria zeich­ne­te sich durch ih­re be­acht­li­che Lang­le­big­keit und durch ih­re be­mer­kens­wer­te Viel­falt aus. Wie oben ge­zeigt wur­de, setz­te das Ge­den­ken an die Au­gus­ter­eig­nis­se von 1870 be­reits we­ni­ge Ta­ge nach der Schlacht ein. Bis zum Ers­ten Welt­krieg ver­lor die Strahl­kraft von Spi­chern kaum an Wir­kungs­macht. Die­se enor­me Nach­hal­tig­keit er­klärt sich vor al­lem durch die un­mit­tel­ba­re In­vol­vie­rung der drei Saar­städ­te in die Kriegs­er­eig­nis­se und die da­mit be­grün­de­te men­ta­le Ver­qui­ckung von Stadt- und Reichs­ge­schich­te. Eben­so auf­fäl­lig ist die Viel­falt des Spi­chern­kul­tes. Um die zahl­rei­chen For­men des Schlacht­ge­den­kens zu bün­deln, emp­fiehlt sich ei­ne von Her­fried Münk­ler de­fi­nier­te Ka­te­go­ri­sie­rung[18]: Nach Münk­ler er­fol­ge na­tio­na­le My­then­bil­dung als „nar­ra­ti­ve Va­ria­ti­on in ei­nem ent­spre­chen­den Schrift­gut, als ri­tu­el­le In­sze­nie­rung im Rah­men ei­nes na­tio­na­len Fest­ka­len­ders so­wie als iko­ni­sche Ver­dich­tun­g“, wel­che vor al­lem durch zahl­rei­che Denk­mä­ler ver­fes­tigt wer­de. Die nach­fol­gen­den Über­le­gun­gen ori­en­tie­ren sich an die­sen drei Ka­te­go­ri­en.

3. Narrative Variation: Die Spichernpublizistik

Die um­fang­rei­che Spi­chern­pu­bli­zis­tik ruh­te im We­sent­li­chen auf zwei Säu­len: den lo­ka­len Zei­tun­gen, un­ter de­nen be­son­ders die Saar­brü­cker Zei­tung und die St. Jo­han­ner Zei­tung her­vor­sta­chen[19], so­wie der viel­fäl­ti­gen Er­in­ne­rungs­li­te­ra­tur. Letz­te­re of­fen­bart sehr an­schau­lich die Lang­le­big­keit des Spi­chern­kul­tes. Die wohl frü­hes­te Er­in­ne­rungs­schrift im Dunst­kreis von Spi­chern er­schien be­reits am 10.4.1871 und wur­de von dem Zei­tungs­re­dak­teur Con­rad Herr­mann (1817-1892) her­aus­ge­ge­ben. Die Schrift mit dem Ti­tel „Die In­va­si­on der Fran­zo­sen in Saar­brü­cken im Au­gust 1870“ war ei­ne Mi­schung aus Zeit­zeu­gen­be­rich­ten und of­fi­zi­el­len De­pe­schen[20]. Noch 1913 ver­öf­fent­lich­te der Kriegs­ve­te­ran Edu­ard Haas sei­ne so ti­tu­lier­ten „Saar­brü­cker Kriegs­er­in­ne­run­gen“, wel­che er nach ei­ge­nem Be­kun­den „nach ei­ge­nen Er­leb­nis­sen und Mit­tei­lun­gen von Kriegs­ka­me­ra­den“ zu­sam­men­ge­stellt hat­te[21]. Un­ter den zahl­rei­chen zwi­schen die­sen bei­den Bän­den pu­bli­zier­ten Wer­ken, zu de­nen bei­spiels­wei­se auch Rei­se­füh­rer mit Hin­wei­sen auf die wich­tigs­ten Er­in­ne­rungs­or­te von 1870 zähl­ten, rag­te be­son­ders die „Saar­brü­cker Krieg­s­chro­ni­k“ des Gym­na­si­al­pro­fes­sors Al­bert Rup­pers­berg (1854-1930) her­vor[22]. Zum 25-jäh­ri­gen Schlacht­ju­bi­lä­um ver­öf­fent­licht, ent­wi­ckel­te sich die­se von reichs­na­tio­na­lem Geist durch­tränk­te Schrift zu ei­nem ve­ri­ta­blen Stan­dard­werk na­tio­na­ler Me­mo­ria. Da­zu tru­gen mit Si­cher­heit die zahl­rei­chen Il­lus­tra­tio­nen von Carl Röch­ling (1855-1920), ei­nem Schü­ler des Ho­hen­zol­ler­schen Haus- und Hof­ma­lers An­ton von Wer­ner (1843-1915), bei, wel­che die Au­gus­ter­eig­nis­se von 1870 plas­tisch nach­er­zähl­ten.

Über die Jahr­zehn­te und die ein­zel­nen Schrift­stü­cke hin­weg blie­ben die The­men, Mo­ti­ve und Su­jets stets die glei­chen. Führt man ei­ne qua­li­ta­ti­ve Ana­ly­se des In­halts zahl­rei­cher Schrifter­zeug­nis­se rund um Spi­chern durch, so schä­len sich vor al­lem fol­gen­de As­pek­te her­aus:

3.1 Der Entstehungskontext des Krieges und damit die Kriegsschuldfrage

Uni­so­no wur­de Frank­reich als Ag­gres­sor, Preu­ßen als fried­lie­ben­des, aber wehr­haf­tes Op­fer dar­ge­stellt. Der fran­zö­si­sche Im­pe­ria­lis­mus ha­be nach Ex­pan­si­on und „Ra­che für Sa­do­wa“ ge­schrien, der preu­ßi­sche Kö­nig ha­be sein Recht auf Selbst­ver­tei­di­gung wahr­ge­nom­men. Der „Ra­che­ruf der Fran­zo­sen nach dem Rhein“, der Schrei nach „Ra­che für Sa­do­wa“, die „Ruhm­re­dig­keit des Kai­sers der Fran­zo­sen und sei­nes chau­vi­nis­ti­schen An­hangs“ und der Hass des ka­tho­li­schen Frank­reichs auf „den grö­ß­ten Staat des Pro­tes­tan­tis­mus in Eu­ro­pa“ hät­ten die Kon­fron­ta­ti­on aus­ge­löst, da­ge­gen ha­be der „be­schei­de­ne und de­mü­t­hi­ge aber auch selbst­be­wuss­te Sinn des Kö­nigs von Preu­ßen“ die Rol­le des Ver­tei­di­gers ein­ge­nom­men, um nur we­ni­ge Bei­spie­le zu zi­tie­ren.[23] 

3.2 Die Rolle der Saarbrücker Bevölkerung in den Tagen der „Wacht an der Saar“

Wie be­reits aus­ge­führt, lob­te man die Saar­brü­cker Be­völ­ke­rung auf­grund ih­res hel­den­haf­ten Ein­sat­zes für die Trup­pe und be­schwor ei­ne Sym­bio­se zwi­schen den Ein­woh­nern der Saar­städ­te und dem preu­ßisch-deut­schen Macht­staat. Reichs­ge­schich­te und Stadt­ge­schich­te wur­den da­mit eng ver­quickt. 

3.3 Der Verlauf der Spichernschlacht

Das Ver­sa­gen der Füh­rung auf bei­den Sei­ten wur­de um­ge­deu­tet in deut­schen Hel­den­mut, die für das Kai­ser­reich so cha­rak­te­ris­ti­sche Hoch­schät­zung des Mi­li­tärs da­mit ze­men­tiert. Ei­nen bis an die Zäh­ne be­waff­ne­ten Feind ha­be man, so die Hel­den­er­zäh­lung von Spi­chern, dank un­er­schöpf­li­cher Tap­fer­keit aus sei­ner Stel­lung her­aus­ge­wor­fen.

3.4 Die langfristigen Kriegsfolgen

Das Deut­sche Kai­ser­reich wur­de, so die Quint­es­senz vie­ler Bei­trä­ge, vor den To­ren von Saar­brü­cken be­grün­det. Dass es sich nur um ei­ne ers­te klei­ne Etap­pe auf dem Weg zum Kriegs­er­folg han­del­te, wur­de igno­riert. Man be­schwor die „Er­kennt­nis des Wer­thes [...], wel­chen ge­ra­de je­ne ers­ten Sie­ge für die Ent­wick­lung des gan­zen letz­ten Jah­res ge­habt ha­ben“. Ge­ra­de sie hät­ten „mehr als al­le spä­te­ren [Schlach­ten] [...] die Zu­sam­men­ge­hö­rig­keit al­ler Thei­le und Stäm­me [Deutsch­lands] [...] zum über­all zün­den­den Be­wusst­sein“ ge­bracht[24]. Rich­tig ist, dass die frü­hen Sie­ge si­cher­lich auch ei­ne enor­me men­ta­le und psy­cho­lo­gi­sche Be­deu­tung hat­ten; den­noch wä­re min­des­tens bis Se­dan, wahr­schein­lich so­gar noch dar­über hin­aus, je­der­zeit ei­ne Wen­de denk­bar ge­we­sen.

3.5 Die scharfe Kontrastierung von Preußen/Deutschen und Franzosen

Kom­ple­men­tär zu der in den vor­an­ge­hen­den Punk­ten an­ge­deu­te­ten Glo­ri­fi­zie­rung der Deut­schen ist die Ver­ächt­lich­ma­chung des fran­zö­si­schen Geg­ners zu se­hen. Bei der Ver­höh­nung der Fran­zo­sen wur­de na­he­zu kein Ste­reo­typ aus­ge­las­sen, man un­ter­stell­te dem „Erb­fein­d“ Trunk­sucht, Zer­lumpt­heit und se­xu­el­le Un­mo­ral. Über den kurz­zei­ti­gen Ein­marsch der Fran­zo­sen in Saar­brü­cken am 2. Au­gust et­wa hei­ßt es in der Saar­brü­cker Krieg­s­chro­nik: „In klei­nen und grö­ße­ren be­waff­ne­ten Trupps er­schie­nen die [fran­zö­si­schen] Sol­da­ten auf den Stra­ßen, in Lä­den und Wirts­häu­sern, schwat­zend, lär­mend und re­nom­mie­rend, sau­fend, bet­telnd und steh­lend [...]. [Sie] tha­ten schön mit den Frau­en und Mäd­chen. An die Bür­ger [...] dräng­ten sie sich her­an und wuss­ten ih­nen gar viel von dem schö­nen Frank­reich und von ih­ren Hel­den­t­ha­ten zu er­zäh­len.“ Den di­rek­ten Ver­gleich be­dient Rup­pers­berg an­läss­lich der Rück­erobe­rung der Stadt: „Mit Stolz ver­glei­chen die Bür­ger das stram­me Auf­tre­ten der Deut­schen mit dem schlot­te­ri­gen We­sen der Fran­zo­sen [...].“[25] 

4. Rituelle Inszenierung: Die Jubiläumsfeiern

Die Schlacht von Spi­chern hat­te wäh­rend des Kai­ser­reichs ih­ren fes­ten Platz im Saar­brü­cker Fest­ka­len­der. Je­des Jahr wur­de in den ers­ten Au­gust­ta­gen der Er­eig­nis­se des Jah­res 1870 mehr oder we­ni­ger auf­wen­dig ge­dacht. Be­reits 1871 fand die ers­te Spi­chern­fei­er statt. Ih­ren Hö­he­punkt er­leb­ten die Fei­er­lich­kei­ten in den Ju­bi­lä­ums­jah­ren, be­son­ders in den Jah­ren 1895 und 1910. Im Fol­gen­den sol­len die we­sent­li­chen Ele­men­te der Spi­chern­ta­ge an­hand die­ser bei­den Schlüs­sel­jah­re vor­ge­stellt wer­den[26].

'Bruno von François erstürmt am 6. August 1870 den Roten Berg von Spicheren', Gemälde von Anton Werner (1843-1915), das Gemälde zeigt General von François an der Spitze der Füsiliere des 74. Regiments, Ausschnitt einer Reproduktion, Original 1880.

 

Schon Ta­ge vor den Ge­denk­fei­ern wur­den in den lo­ka­len Blät­tern die Fei­er­lich­kei­ten opu­lent an­ge­kün­digt. Ne­ben na­tio­na­len Ge­dich­ten und Ab­bil­dun­gen von Krie­ger­denk­mä­lern be­inhal­te­ten die­se Vor­be­rich­te je­weils ei­ne ge­naue An­kün­di­gung des Pro­gramms, in des­sen Mit­tel­punkt in al­len Jah­ren ein gro­ßer Fest­zug un­ter Be­tei­li­gung lo­ka­ler wie über­re­gio­na­ler Krie­ger­ver­ei­ne so­wie wich­ti­ger an der Schlacht be­tei­lig­ter Re­gi­men­ter stand. Die Zü­ge lie­fen nach streng mi­li­tä­ri­schem Ri­tus ab, wa­ren ge­schmückt mit Fah­nen und wur­den be­glei­tet von nicht en­den wol­len­der Mi­li­tär­mu­sik. Wäh­rend der Fei­er­lich­kei­ten war die ge­sam­te Stadt mit na­tio­na­ler und mi­li­tä­ri­scher Sym­bo­lik aus­staf­fiert. „Und in der Tha­t“, be­fand die St. Jo­han­ner Zei­tung, „bie­ten die Stra­ßen ei­nen An­blick, der das Herz er­he­ben mach­t“. Die Fest­tags­de­ko­ra­ti­on be­gann be­reits am Bahn­hof, des­sen Vor­platz „mäch­ti­ge Ban­ner zie­ren“. Am na­he ge­le­ge­nen Ein­gang zur Reichs­stra­ße wur­de ei­ne Dra­pe­rie quer über die Stra­ße ge­spannt, vor der Berg­werks­di­rek­ti­on wur­de ei­gens zum Ju­bi­lä­ums­tag ein Stand­bild des zum Mär­ty­rer sti­li­sier­ten Ge­ne­rals von Fran­cois nach der Vor­la­ge An­ton von Wer­ners er­rich­tet. Ein „pracht­vol­les Por­tal, wel­ches ei­nem Tri­umph­bo­gen alt­rö­mi­schen Stils nicht un­ähn­lich sieh­t“, mar­kier­te den An­fang der Bahn­hofs­stra­ße. In „rei­cher bun­ter Prach­t“ strahl­te die al­te Brü­cke, wäh­rend die „Häu­ser­de­ko­ra­tio­nen in meist künst­le­ri­scher und im­mer ge­schmack­vol­ler und rei­cher Aus­füh­run­g“ zu ge­fal­len wuss­ten[27].

Der Geist von Spi­chern wur­de in pa­the­ti­schen na­tio­na­len Re­den kom­mu­ni­ziert, in wel­chen die Vor­fah­ren zu Hel­den und Vor­bil­dern für die Le­ben­den sti­li­siert wur­den. So er­mahn­te der Saar­brü­cker Bür­ger­meis­ter Dr. Paul Neff (1853-1934) im Zu­ge ei­ner Fei­er für die städ­ti­sche Schul­ju­gend, „sich die Hel­den­t­ha­ten un­se­rer Krie­ger auf den Spi­che­rer Hö­hen im­mer zum Vor­bild zu neh­men“[28]. Zu den Pro­gramm­punk­ten zähl­ten all­jähr­lich des Wei­te­ren Got­tes­diens­te für bei­de christ­li­che Kon­fes­sio­nen und für die jü­di­sche Ge­mein­de vor Ort, gro­ße Fest­ban­ket­te für die Ve­te­ra­nen und Ho­no­ra­tio­ren, Feu­er­wer­ke, ein Un­ter­hal­tungs­pro­gramm so­wie ein Be­such im Eh­ren­tal, wo eben­falls in pa­the­ti­schen Re­den des Sie­ges von 1870 ge­dacht wur­de. In den Ju­bi­lä­ums­jah­ren wa­ren zu­dem stets Eh­ren­gäs­te an­we­send, so 1895 der Gro­ßher­zog Fried­rich I. von Ba­den (Re­gent­schaft 1856-1907). Die Spi­chern­fei­ern gli­chen da­bei durch­aus den Se­dan­ta­gen am 2. Sep­tem­ber, frei­lich mit zwei aus­sa­ge­kräf­ti­gen Un­ter­schie­den. Zum ei­nen fan­den die Se­dan­fei­ern nicht, wie von ih­ren kul­tur­pro­tes­tan­ti­schen In­itia­to­ren in­ten­diert, reichs­weit un­ein­ge­schränk­te Ak­zep­tanz. Be­son­ders in Bay­ern und an­de­ren ka­tho­li­schen Re­gio­nen stieß die Re­so­nanz an Gren­zen. Zum an­de­ren ver­lo­ren die Se­dan­fei­ern be­son­ders nach der Jahr­hun­dert­wen­de zu­neh­mend an At­trak­ti­vi­tät[29]. Bei­des war in Saar­brü­cken mit Blick auf die Spi­chern­ta­ge nicht der Fall. Noch 1913, am Vor­abend des Ers­ten Welt­kriegs, fei­er­te man Spi­chern. Die enor­me In­ten­si­tät und Nach­hal­tig­keit der Spi­chern­fei­ern ist durch die en­ge Ver­qui­ckung von Reichs- und Stadt­ge­schich­te zu er­klä­ren: Spi­chern wur­de zu ei­nem Stück Saar­brü­cker Iden­ti­tät, die Be­völ­ke­rung fei­er­te gleich­sam sich selbst.

Seit 1905 wur­de der Fest­tags­kult so­gar noch aus­ge­wei­tet, in­dem all­jähr­lich den ei­gent­li­chen Spi­chern­fei­ern das so­ge­nann­te ‚Spi­che­rer Turn- und Spiel­fest‘ an­ge­schlos­sen wur­de. Was zu­nächst aus­sah wie ei­ne rei­ne Sport­ver­an­stal­tung, ent­pupp­te sich bei ge­naue­rer Be­trach­tung auch als ei­ne Art or­ga­ni­sier­te Weh­r­er­tüch­ti­gung, ganz im Sin­ne der In­itia­to­ren, der na­tio­nal ge­sinn­ten Turn­ver­ei­ne. Da­für spricht al­lein die Tat­sa­che, dass auch im Zu­ge der Turn- und Spiel­fes­te das Eh­ren­tal be­sucht wur­de, wo na­tio­nal­pa­the­ti­sche Re­den ge­hal­ten wur­den. So er­mahn­te bei der Pre­mie­ren­fei­er 1905 der Gym­na­si­al­di­rek­tor Mau­rer die zu­hö­ren­de Ju­gend, „daß wir un­ver­brüch­lich fest­hal­ten an dem, was sie [die Sol­da­ten von 1870/1871] er­strit­ten ha­ben, daß wir ar­bei­ten, je­der an sei­nem Plat­ze, an der Ent­wi­cke­lung al­les gut deut­schen We­sens, daß wir da­ge­gen na­tio­na­le Feh­ler ab­le­gen, daß wir kei­ne Op­fer scheu­en wol­len im Frie­den für die Macht und das An­se­hen des Va­ter­lan­des, [...], daß wir in al­lem Wi­der­streit und in al­len Kämp­fen des Ta­ges nim­mer ver­ges­sen, daß über al­len Ge­gen­sät­zen der An­sich­ten und Par­tei­un­gen ei­nes steht: Das Wohl des Va­ter­lan­des“.[30] Die Turn- und Spiel­fes­te bo­ten ge­ra­de mit Blick auf die Ju­gend ein op­ti­ma­les Fo­rum des Ap­pells. Eben­falls im Dunst­kreis von Spi­chern sind die dy­nas­ti­schen Ge­burts­ta­ge zu se­hen, die zu­hauf in Saar­brü­cken be­gan­gen wur­den, et­wa an­läss­lich der Ge­burts­ta­ge Wil­helms I., Wil­helms II. (Re­gent­schaft 1888-1918) oder Bis­marcks (1815-1898).

Postkarte mit dem Standbild 'Bruno von François mit Trompeter', nach der Vorlage von Anton von Werner, gestaltet 1895 von Wilhelm Schneider im Volksgarten Saarbrücken-St. Johann, 1901.

 

5. Ikonische Verdichtung: Denkmäler und Erinnerungsorte

Wa­ren die Spi­chern­fei­ern, bei al­ler Re­so­nanz, die im Lau­fe der Jah­re kaum nach­ließ, doch punk­tu­el­le Er­eig­nis­se, so ma­ni­fes­tier­te sich die Schlacht von Spi­chern auch dau­er­haft im Saar­brü­cker Stadt­bild. Im Lau­fe der Jah­re bil­de­te sich ein gan­zes Netz­werk na­tio­na­ler Er­in­ne­rungs­or­te in und um Saar­brü­cken her­aus, des­sen Kno­ten­punk­te ne­ben dem be­reits viel­fach auf­ge­führ­ten Eh­ren­tal vor al­lem die na­tio­na­len Denk­mä­ler bil­de­ten. Da­bei ist zwi­schen zwei Ty­pen von na­tio­na­len Mo­nu­men­ten zu un­ter­schei­den: auf der ei­nen Sei­te sol­che Denk­mä­ler, die di­rekt auf Spi­chern re­kur­rier­ten; auf der an­de­ren Sei­te sol­che Mo­nu­men­te, die sich eher in­di­rekt auf Spi­chern be­zo­gen, in­dem sie zwar kein schlacht­spe­zi­fi­sches Mo­tiv hat­ten, aber im glei­chen geis­tig-po­li­ti­schen Kon­text zu se­hen sind.

Un­ter den Denk­mä­lern mit Spi­chern als di­rek­tem Re­fe­renz­punkt ragt das Win­ter­berg­denk­mal her­aus, das auf ei­ner 1870 um­kämpf­ten An­hö­he er­rich­tet und am 9.8.1874 ein­ge­weiht wur­de. Zahl­rei­che nar­ra­ti­ve Ele­men­te rund um den 20 Me­ter ho­hen, im zeit­ty­pi­schen neu­go­ti­schen Stil ge­hal­te­nen Turm ver­wie­sen auf den Krieg von 1870/1871, so et­wa ein stei­ner­nes In­schrif­ten­band mit ei­nem Ver­zeich­nis sämt­li­cher an der Schlacht von Spi­chern be­tei­lig­ter Re­gi­men­ter. Os­ten­ta­tiv prang­te an der Frank­reich zu­ge­wand­ten Sei­te die Auf­schrift „Deutsch­lands Hel­den 1870-71", auf der der Stadt zu­ge­wand­ten Sei­te war das Wap­pen der Ho­hen­zol­lern an­ge­bracht. Das Win­ter­berg­denk­mal avan­cier­te wäh­rend des Kai­ser­reichs zum be­lieb­tes­ten Post­kar­ten­mo­tiv Saar­brü­ckens und war auch nach 1918 An­lauf­punkt rechts­na­tio­na­ler Krei­se, ehe es im Zu­ge der Vor­be­rei­tung auf den Zwei­ten Welt­krieg als mög­li­cher Ziel­punkt für feind­li­che Ar­til­le­rie ge­sprengt wur­de[31].

Wäh­rend das Win­ter­berg­denk­mal ge­ne­ra­li­sie­rend auf Spi­chern als Gan­zes ver­wies, re­fe­rier­ten et­li­che Denk­mä­ler auf ein­zel­ne Re­gi­men­ter oder sons­ti­ge an der Spi­chern­schlacht be­tei­lig­te mi­li­tä­ri­sche Ein­hei­ten. So ent­stan­den et­wa im Eh­ren­tal et­li­che Re­gi­ments­denk­mä­ler. Noch am 1.6.1913, kurz vor Be­ginn des Ers­ten Welt­kriegs, wur­de auf dem Schloss­platz das Ula­nen­denk­mal er­rich­tet. Die­ses Mo­nu­ment war dem 7. Ula­nen­re­gi­ment ge­wid­met, das „wie kaum ein an­de­res mit der Stadt Saar­brü­cken und ih­rer Bür­ger­schaft ver­wach­sen“ sei, so ei­ner der In­itia­to­ren[32]. Das 7. Ula­nen­re­gi­ment war An­fang Au­gust 1870 in Saar­brü­cken sta­tio­niert, als der kurz­zei­ti­ge fran­zö­si­sche Vor­stoß er­folg­te. Die von Al­bert Rup­pers­berg, dem Au­tor der Saar­brü­cker Krieg­s­chro­nik, ver­fass­te In­schrift lau­te­te: „ZUR ER­IN­NE­RUNG/ AN DIE TREUE WACHT/ DES 7TEN/ ULA­NEN/ RE­GI­MENTS/ 1870.“ Sti­lis­tisch hob sich das Ula­nen­denk­mal deut­lich von an­de­ren Mi­li­tär­denk­mä­lern die­ser Zeit ab, han­del­te es sich doch um ei­ne Rei­ter­sta­tue in an­tik-klas­si­zis­ti­schem Stil[33]. Den­noch ent­stand es im glei­chen ide­el­len Kon­text wie das Win­ter­berg­denk­mal. Die Ein­wei­hung bei­der Mo­nu­men­te ging mit ei­ner na­tio­nal ge­präg­ten Ein­wei­hungs­fei­er ein­her, in de­ren Mit­tel­punkt ähn­lich wie bei den Spi­chern­ta­gen va­ter­län­di­sche Re­den stan­den, in wel­chen der Geist von 1870/1871 be­schwo­ren wur­de. Wie im Fal­le der Fei­ern of­fen­bart sich die Lang­le­big­keit des Spi­chern­kults: Zwi­schen der Ein­wei­hung des Win­ter­berg­denk­mals und der­je­ni­gen des Ula­nen­denk­mals la­gen im­mer­hin rund vier Jahr­zehn­te.

Eben­falls auf dem Schloss­platz, in un­mit­tel­ba­rer Nach­bar­schaft zum Ula­nen­denk­mal, ent­stand bis 1899 ein Stand­bild Bis­marcks, der durch sei­ne Be­su­che in den Saar­städ­ten im Au­gust 1870 be­son­de­re Ver­eh­rung in na­tio­na­len Krei­sen er­fah­ren hat­te und 1885 zum Eh­ren­bür­ger von Alt-Saar­brü­cken er­nannt wor­den war. Den Be­zug zu Spi­chern stell­te Bür­ger­meis­ter Fried­rich Wil­helm Feld­mann (1846-1911) an­läss­lich der Ein­wei­hungs­re­de we­nigs­tens im­pli­zit her, als er aus­führ­te: „Das Denk­mal [...] soll uns er­in­nern an die gro­ße Zeit, in wel­cher das Reich ent­stand.“[34] Ein wei­te­res dy­nas­ti­sches Denk­mal wur­de am 14.5.1904 auf der al­ten Saar­brü­cke fei­er­lich ein­ge­weiht: ein vier­ein­halb Me­ter ho­hes Rei­ter­stand­bild Wil­helms I. Der Reichs­grün­dungs­kai­ser be­such­te in den Jah­ren 1870/1871 die drei Saar­städ­te gleich zwei Mal[35]. Sei­ne Re­gent­schaft war ge­ra­de für die na­tio­na­len Krei­se in Saar­brü­cken un­trenn­bar mit der Reichs­grün­dungs­zeit ver­bun­den, da­mit ist auch die­ses dy­nas­ti­sche Mo­nu­ment zwei­fels­oh­ne im geis­tig-po­li­ti­schen Kon­text der Spi­chern­re­zep­ti­on zu se­hen.

Postkarte mit dem abgebildeten Denkmal für das Niederrheinische Füsilier-Regiment Nr. 39 in Spichern, ca. 1880.

 

Spricht man über die Ver­dich­tung der Spi­chern­re­zep­ti­on im Stadt­bild, so sind auch die zahl­rei­chen Stra­ßen­na­men zu nen­nen, die ent­we­der di­rekt an den Au­gust 1870 oder aber an den reichs­na­tio­na­len Kon­sens er­in­ner­ten. Mit dem Ge­ne­ral von Pe­s­tel, dem Ge­ne­ral­leut­nant Ka­me­cke oder dem Gro­ßher­zog Fried­rich von Ba­den, um nur drei Prot­ago­nis­ten von 1870 zu er­wäh­nen, er­hiel­ten be­deu­ten­de Mi­li­tärs ‚ih­re‘ Stra­ßen[36]. Schlie­ß­lich lie­fen die Fä­den der Spi­chern­re­zep­ti­on im al­ten Rat­haus am Schloss, ge­nau­er ge­sagt in des­sen Sit­zungs­saal, zu­sam­men: In ei­ner von An­ton von Wer­ner an­ge­fer­tig­ten Ge­mäl­de­rei­he wur­den der Sturm auf den Spi­che­rer Berg, der Be­such Wil­helms I. in Saar­brü­cken im Au­gust 1870 so­wie die sym­bo­li­sche Ver­brü­de­rung zwi­schen Nord- und Süd­deutsch­land dar­ge­stellt. Na­tio­na­le Ele­men­te ver­misch­ten sich sym­bio­tisch mit lo­ka­len Be­zugs­punk­ten, so war auf dem Ge­mäl­de der An­kunft Wil­helms I. auch die Magd Ka­tha­ri­na Wei­ß­ger­ber ab­ge­bil­det[37]. Wie in ei­nem Brenn­spie­gel wer­den die Grund­zü­ge der Spi­chern­re­zep­ti­on of­fen­bar: Stadt- und Reichs­ge­schich­te wur­den als Ein­heit dar­ge­stellt und wahr­ge­nom­men, was dem Spi­chern­kult in all sei­nen Aus­for­mun­gen ei­ne un­ge­mei­ne In­ten­si­tät und Lang­le­big­keit ver­lieh.

6. Akteure und Mentalitäten: Trägerschaft und geistiges Substrat der Spichernrezeption

In dem wei­ten Pan­ora­ma kul­tur­po­li­ti­scher Ak­ti­vi­tä­ten, wie es hier be­reits aus­ge­brei­tet wur­de, ma­ni­fes­tier­ten sich die bei­den we­sent­li­chen geis­tig-po­li­ti­schen In­te­gra­ti­ons­ideo­lo­gi­en wei­ter Tei­le der kai­ser­reichs­deut­schen Ge­sell­schaft: ein spe­zi­fi­scher Reichs­na­tio­na­lis­mus und ein die Kai­ser­reichs­ge­sell­schaft prä­gen­der So­zi­al­mi­li­ta­ris­mus[38]. Dies lässt sich oh­ne Wei­te­res nach­wei­sen und stellt im Grun­de ge­nom­men we­der ei­ne neue noch ei­ne über­ra­schen­de Er­kennt­nis dar. Ver­wie­sen sei auf die na­tio­nal­pa­the­ti­schen Re­den an­läss­lich der Spi­chern­fei­ern, die Glo­ri­fi­zie­rung des Mi­li­tärs bei al­len sich bie­ten­den Ge­le­gen­hei­ten (Re­den, To­ten­kult, Denk­mä­ler) oder die Mys­ti­fi­zie­rung von Mon­ar­chie und Na­ti­on. In zar­ten An­sät­zen war über­dies auch in Saar­brü­cken die um die Jahr­hun­dert­wen­de ein­set­zen­de völ­kisch-ger­ma­ni­sche Er­wei­te­rung tra­di­tio­nel­ler Leit­ideo­lo­gi­en fest­stell­bar. So trug das Win­ter­berg­denk­mal ger­ma­ni­sie­ren­de Zü­ge, die den An­walt Fritz Bö­cking, ei­nen der Fest­red­ner an­läss­lich der Ein­wei­hung, an ei­ne „alt­germa­ni­sche Ir­min­säu­le“ er­in­ner­ten. Die Zehn Bö­gen des Denk­mals ver­wie­sen Bö­cking zu­fol­ge auf die „zehn Stäm­me Deutsch­land­s“.[39] Nach der Jahr­hun­dert­wen­de reif­ten dar­über hin­aus Plä­ne, auf dem Rep­pers­berg ei­ne ger­ma­ni­sie­ren­de Bis­marck­säu­le zu er­rich­ten. Die­se wur­den aber nicht rea­li­siert[40]. Völ­kisch-ger­ma­ni­sche Ideo­lo­ge­me blie­ben al­ler­dings ins­ge­samt ein eher rand­stän­di­ges Phä­no­men. Statt letz­te­re über Ge­bühr zu be­to­nen, soll­te bes­ser noch ein­mal auf die hoch­be­deut­sa­me Ver­qui­ckung von Stadt- und Reichs­ge­schich­te hin­ge­wie­sen wer­den: Dem Spi­chern­kult wohn­te ei­ne un­ge­mei­ne Lang­le­big­keit und In­ten­si­tät in­ne, da in der Wahr­neh­mung ei­ne Sym­bio­se zwi­schen Stadt und Na­ti­on statt­fand. Lo­kal- und Na­tio­nal­ge­schich­te wur­den nicht, wie in an­de­ren Re­gio­nen des in sich sehr he­te­ro­ge­nen Kai­ser­reichs, als An­ti­po­den oder un­ab­hän­gig von­ein­an­der in­ter­pre­tiert, son­dern als zwei Sei­ten der­sel­ben Me­dail­le.

Es lä­ge nun na­he, die ge­sam­te Saar­brü­cker Ge­sell­schaft im Gleich­schritt zur Mi­li­tär­mu­sik mar­schie­ren zu las­sen, sie ge­schlos­sen mit den kai­ser­reichs­deut­schen In­te­gra­ti­ons­ideo­lo­gi­en zu iden­ti­fi­zie­ren. Und ein Blick auf ver­schie­de­ne Zah­len scheint die­sen Ein­druck zu ver­fes­ti­gen: 1910 sol­len sich laut Saar­brü­cker Zei­tung nicht we­ni­ger als 14.000 Men­schen am Fest­zug der Ju­bi­lä­ums­fei­er be­tei­ligt ha­ben, 1895 sol­len es gar 15.000 Per­so­nen ge­we­sen sein. „Wohl an die 50.000 Men­schen“ hät­ten, so be­rich­te­te eben­falls die Saar­brü­cker Zei­tung, 1910 an der Ge­denk­fei­er für die Ge­fal­le­nen von 1870 am Fu­ße des Spi­che­rer Ber­ges teil­ge­nom­men[41]. Auch wenn die­se An­ga­ben na­tür­lich über­trie­ben sind, so ist doch von au­ßer­or­dent­lich ho­hen Teil­neh­mer­zah­len an den Fest­zü­gen, Ge­denk­ver­an­stal­tun­gen und ähn­li­chen Er­eig­nis­sen aus­zu­ge­hen. Au­ßer­dem er­freu­ten sich sämt­li­che Mo­ti­ve rund um Spi­chern, et­wa Post­kar­ten mit dem Win­ter­berg­denk­mal, ei­nes rei­ßen­den Ab­sat­zes. Doch kann man da­von di­rekt und un­ge­fil­tert auf ei­ne brei­te Ak­zep­tanz des na­tio­nal-mi­li­ta­ris­ti­schen Reichs­kon­sen­ses schlie­ßen? In je­dem Fal­le ist Vor­sicht ge­bo­ten. Man darf nicht ver­ges­sen, dass die Spi­chern­fei­ern, in der Dik­ti­on des 21. Jahr­hun­derts ge­spro­chen, „Event­cha­rak­ter“ hat­ten: Es gab viel zu se­hen auf den Stra­ßen, von den Pa­ra­den und Um­zü­gen bis hin zu Feu­er­wer­ken und Kin­der­be­lus­ti­gun­gen. Nicht sel­ten wur­de auch Frei­bier aus­ge­schenkt, wäh­rend der Nach­wuchs mit Sü­ßig­kei­ten ver­wöhnt wur­de. Die Teil­nah­me an der­ar­ti­gen Ver­an­stal­tun­gen be­dien­te al­so oft auch den Wunsch nach Ver­gnü­gen und Ab­len­kung, we­ni­ger das Be­dürf­nis nach Prä­sen­ta­ti­on sei­ner va­ter­län­di­schen Ge­sin­nung. In­wie­weit die Re­den und das mi­li­tä­ri­sche Ge­ha­be dann aber doch ide­ell aus­strahl­ten, ist schwer zu be­ant­wor­ten. Men­ta­li­täts­ge­schich­te steht im Grun­de ge­nom­men im­mer vor dem Pro­blem, dass Ide­en und Über­zeu­gun­gen nicht di­rekt nach­weis­bar sind, zu­mal nur ei­ne ver­schwin­dend ge­rin­ge Zahl von Per­so­nen aus­sa­ge­kräf­ti­ge Ego-Do­ku­men­te (Brie­fe, Ta­ge­bü­cher, Me­moi­ren) hin­ter­ließ.

Ei­ne Mög­lich­keit der An­nä­he­rung an sol­che Fra­ge­stel­lun­gen ist die Un­ter­su­chung der Trä­ger­schaft des Spi­chern­kul­tes. Wo­her flos­sen die Gel­der für die Denk­mä­ler, wer or­ga­ni­sier­te die Fest­zü­ge und wer nahm dar­an teil, wer ver­fass­te die ein­schlä­gi­gen Spi­chern­schrif­ten? Zu­sam­men­fas­send lässt sich kon­sta­tie­ren, dass es sich um die glei­chen Trä­ger­schich­ten han­del­te wie an­dern­orts. Die Ver­fas­ser der na­tio­nal aus­ge­rich­te­ten Er­in­ne­rungs­li­te­ra­tur wa­ren Gym­na­si­al­pro­fes­so­ren (Al­bert Rup­pers­berg), Zei­tungs­re­dak­teu­re (Con­rad Herr­mann) oder Kriegs­ve­te­ra­nen (Edu­ard Haas). Auch für die Or­ga­ni­sa­ti­on der Fei­ern zeich­ne­ten im We­sent­li­chen bür­ger­li­che Ho­no­ra­tio­ren und Ve­te­ra­nen in Form der lo­ka­len Krie­ger­ver­ei­ne ver­ant­wort­lich. Die Gel­der für die Denk­mä­ler und ähn­li­che Pro­jek­te flos­sen aus pri­va­ten und staat­li­chen Quel­len. Das Win­ter­berg­denk­mal et­wa wur­de mit ei­nem statt­li­chen Be­trag von 2.000 Ta­lern aus der kai­ser­li­chen Scha­tul­le sub­ven­tio­niert, wei­te­re Be­trä­ge steu­er­ten der Un­ter­neh­mer Karl-Fer­di­nan­d Stumm (1836-1901) oder der An­walt Fritz Bö­cking bei. Für das Ula­nen­denk­mal be­wil­lig­te die Stadt­ver­ord­ne­ten­ver­samm­lung ei­nen Zu­schuss von 10.000 Mark. Auch die Ein­rich­tung des Eh­ren­tals wur­de dank der öf­fent­li­chen Hand rea­li­siert, denn die Stadt ak­qui­rier­te das not­wen­di­ge Ge­län­de. Ei­ne Un­ter­su­chung der Fi­nan­zie­rung und För­de­rung lässt al­so kei­ne di­rek­ten Rück­schlüs­se auf die Be­tei­li­gung der brei­ten Be­völ­ke­rung zu.

In­di­rekt je­doch ver­wei­sen die Exis­tenz und das brei­te En­ga­ge­ment des Saar­brü­cker Krie­ger­ver­eins auf ei­ne die städ­ti­schen Eli­ten über­stei­gen­de Ak­zep­tanz. Am 8.8.1872, zeit­nah zum zwei­jäh­ri­gen Ju­bi­lä­um der Schlacht, wur­de der 35 Mit­glie­der zäh­len­de „Krie­ger­ver­ein der Städ­te Saar­brü­cken und St. Jo­han­n“ ge­grün­det. Am 2.9.1874, dem Se­dan­tag, lös­te sich aus die­sem Ver­ein der „Saar­brü­cker Krie­ger­ver­ein“, in des­sen Vor­stand­schaft so ein­fluss­rei­che Män­ner wie Fritz Röch­ling (1833-1892) oder Fritz von Stumm (1838-1914) sa­ßen. Der Saar­brü­cker Krie­ger­ver­ein wuchs kon­ti­nu­ier­lich und er­reich­te am Vor­abend des Ers­ten Welt­kriegs mit 865 Mit­glie­dern sei­ne grö­ß­te Stär­ke[42]. Bei al­len kul­tur­po­li­ti­schen In­itia­ti­ven rund um die Spi­chern­schlacht wa­ren die Krie­ger­ver­ei­ne als Ak­teu­re oder Or­ga­ni­sa­to­ren prä­sent. Die Krie­ger­ver­ei­ne fun­gier­ten, wie et­wa Tho­mas Roh­krä­mer in ei­ner grund­le­gen­den Stu­die her­aus­ar­bei­te­te, als Trans­mis­si­ons­rie­men zwi­schen den kai­ser­reichs­deut­schen Eli­ten und ih­ren Ide­en auf der ei­nen und der brei­ten Be­völ­ke­rung auf der an­de­ren Sei­te. Wa­ren in den Füh­rungs­po­si­tio­nen der Krie­ger­ver­ei­ne bür­ger­li­che Ho­no­ra­tio­ren über­pro­por­tio­nal ver­tre­ten, so stell­te die brei­te Mit­tel­schicht das Gros der Mit­glie­der[43]. Auch in Saar­brü­cken könn­ten die lo­ka­len Krie­ger- und Ve­te­ra­nen­ver­ei­ne, be­güns­tigt auch durch die lo­kal­pa­trio­ti­schen Be­zü­ge, für ei­ne brei­te Ak­zep­tanz des ‚Geis­tes von Spi­chern‘ ge­sorgt ha­ben.

7. Nachwirkungen: Präludium zum Ersten Weltkrieg?

Groß ist zwei­fels­oh­ne die Ver­su­chung, ei­ne gleich­sam di­rek­te Kon­ti­nui­täts­li­nie von den gro­ßen In­te­gra­ti­ons­ideo­lo­gi­en des Kai­ser­reichs, von So­zi­al­mi­li­ta­ris­mus und Reichs­na­tio­na­lis­mus, zum Ers­ten Welt­krieg zu zie­hen. Ha­ben nicht die Hoch­schät­zung al­les Mi­li­tä­ri­schen, ja die Apo­theo­se füh­ren­der Mi­li­tärs so­wie die stän­di­ge Be­schwö­rung der ei­ge­nen Na­ti­on ein Den­ken be­för­dert, das zwangs­läu­fig auf Krieg ziel­te? Es ist nach den bis­he­ri­gen Aus­füh­run­gen kaum über­ra­schend, dass auch im Fal­le von Spi­chern sol­che Über­le­gun­gen an­ge­stellt wur­den. In ei­nem Bei­trag über die im­pe­ria­le Kul­tur­po­li­tik im Zei­chen von Spi­chern wur­de et­wa die kri­ti­sche Fra­ge auf­ge­wor­fen, ob der „de­kla­ma­to­ri­sche und pa­the­ti­sche Cha­rak­ter die­ser Bild­zeug­nis­se [es geht um die Spi­chern­dar­stel­lun­gen im al­ten Rat­haus, F.T.]“ da­zu bei­ge­tra­gen ha­be, „daß nach­fol­gen­de Sol­da­ten­ge­ne­ra­tio­nen ih­re ei­ge­ne Leis­tungs­fä­hig­keit über­schätz­ten“[44]. Es wird al­so ei­ne deut­li­che Ver­bin­dung her­ge­stellt zwi­schen den Au­gus­ter­eig­nis­sen von 1870 und dem so­ge­nann­ten ‚Au­gus­t­er­leb­nis‘ 1914, wel­ches am An­fang des de­sas­trö­sen Welt­kriegs stand.

Meh­re­re Punk­te spre­chen ge­gen ei­ne der­ar­ti­ge Kon­ti­nui­täts­li­nie. Im Zu­sam­men­hang mit den Spi­chern­fei­ern wur­de ar­gu­men­tiert, dass der­ar­ti­ge Fes­ti­vi­tä­ten auch den Cha­rak­ter von Mas­sen­un­ter­hal­tun­gen hat­ten, ver­gleich­bar et­wa mit ei­ner Kir­mes oder ei­nem Jahr­markt. Es mag nicht bei der Mehr­heit ei­ne Be­ja­hung der reichs­kon­for­men geis­tig-po­li­ti­schen Dis­po­si­tio­nen den Aus­schlag ge­ge­ben ha­ben, sich an den Fei­ern zu be­tei­li­gen. Ver­gnü­gen, Ab­wechs­lung oder die Be­fol­gung ei­ner so­zia­len Kon­ven­ti­on mö­gen bei vie­len Men­schen viel schwe­rer ge­wo­gen ha­ben. Dem­entspre­chend soll­ten die Teil­neh­mer­zah­len, zu­mal sie oft auch über­trie­ben dar­ge­stellt wur­den, hin­sicht­lich ih­rer men­ta­li­täts­ge­schicht­li­chen Aus­sa­ge­kraft nicht ver­ab­so­lu­tiert wer­den. Auch die Ana­ly­se der Trä­ger­schich­ten, die bei wei­tem noch nicht ab­ge­schlos­sen ist und in künf­ti­gen Ar­bei­ten in­ten­si­viert wer­den soll­te, lässt zu holz­schnitt­ar­ti­ge Fol­ge­run­gen zu­min­dest als zwei­fel­haft er­schei­nen. Es wa­ren letzt­lich die ein­ge­ses­se­nen Apo­lo­ge­ten und Pro­pa­gan­dis­ten des kai­ser­reichs­deut­schen Kon­sen­ses, wel­che die Glo­ri­fi­zie­rung von Mi­li­tär und Na­ti­on be­för­der­ten, näm­lich in ers­ter Li­nie (ge­ho­be­nes) Bür­ger­tum und Kriegs­ve­te­ra­nen. Es lässt sich nicht mit Be­stimmt­heit fest­stel­len, wie weit die Ide­en von 1870 in den Köp­fen der Be­völ­ke­rung ver­an­kert wa­ren und so­mit auch als Sub­strat ei­ner neu­er­li­chen Kriegs­be­geis­te­rung die­nen konn­ten. Oh­ne­hin gilt es längst als Kon­sens, dass die viel be­schwo­re­ne Kriegs­eu­pho­rie 1914 bei wei­tem nicht die gan­ze Be­völ­ke­rung er­fass­te, son­dern dass statt­des­sen ge­ra­de die ein­fa­che Be­völ­ke­rung in Land und Stadt eher mit Ängs­ten auf die nä­he­re Zu­kunft blick­te. Dies gilt ganz ex­pli­zit für die Men­schen in grenz­na­hen Ge­bie­ten, zu de­nen die Saar­brü­cker Be­völ­ke­rung zähl­te[45]. Zu­letzt ist auch noch dar­auf hin­zu­wei­sen, dass zwi­schen ei­nem zi­vi­len Mi­li­tär- und Na­tio­nal­kult auf der ei­nen und ei­ner rea­len Kriegs­si­tua­ti­on auf der an­de­ren Sei­te ein ekla­tan­ter Un­ter­schied be­steht: Auch ein be­geis­ter­ter Teil­neh­mer an ei­ner mi­li­tä­ri­schen Pa­ra­de (et­wa im Zu­ge der Spi­chern­fei­ern) konn­te sehr wohl zwi­schen ei­nem sol­chen Spek­ta­kel und ei­nem tat­säch­li­chen Kriegs­aus­bruch un­ter­schei­den.

Grob fahr­läs­sig wä­re aber ei­ne schlich­te Leug­nung ir­gend­wel­cher Zu­sam­men­hän­ge zwi­schen ei­ner über Jahr­zehn­te ge­pfleg­ten geis­tig-po­li­ti­schen Dis­po­si­ti­on, wel­che al­les Krie­ge­ri­sche und Na­tio­na­le an­pries, und dem Kriegs­aus­bruch 1914. Wenn der Krieg viel­leicht auch nicht rück­halt­los be­grü­ßt wur­de, so wur­de doch ei­ne brei­te Ak­zep­tanz be­för­dert, sich für das Va­ter­land ge­gen den lan­ge ge­schmäh­ten ‚Erb­feind‘ jen­seits der Gren­ze zu op­fern. Ge­ra­de in Tei­len der jün­ge­ren Ge­ne­ra­ti­on, die 1870 noch nicht ge­bo­ren war, mag durch den mi­li­tä­risch-na­tio­na­len Spi­chern­kult ein ge­wis­ses Be­dürf­nis ent­stan­den sein, sich auch ei­nes Ta­ges, wie die Vä­ter vor den To­ren der Stadt, zu be­wäh­ren. Ein end­gül­ti­ges Ur­teil über die äu­ßerst dif­fi­zi­le Fra­ge nach den Lang­zeit­fol­gen von Spi­chern fäl­len zu wol­len, wä­re an die­ser Stel­le höchst ver­mes­sen und soll ent­spre­chend erst gar nicht an­ge­strebt wer­den. Je­den­falls soll­ten we­der ein­fa­che Kau­sa­li­tä­ten pro­pa­giert, noch jed­we­de Zu­sam­men­hän­ge zwi­schen kul­tur­po­li­tisch ver­mit­tel­ten Men­ta­li­tä­ten und fak­ti­scher His­to­rie ge­leug­net wer­den.

Fest­zu­hal­ten bleibt fer­ner, dass der Kult um die Schlacht von Spi­chern nach dem Un­ter­gang des Kai­ser­reichs kei­nes­wegs ver­schwand. Wäh­rend der Zwi­schen­kriegs­zeit dien­te et­wa das Win­ter­berg­denk­mal als An­lauf­punkt und Kult­stät­te deutsch­na­tio­na­ler Krei­se, die wäh­rend der Völ­ker­bund­ver­wal­tung ei­ne Rück­kehr zu Deutsch­land for­cier­ten. Als die na­tio­nal­so­zia­lis­tisch ge­steu­er­te Deut­sche Front 1935 die An­glie­de­rung an Hit­ler­deutsch­land auf­wen­dig fei­er­te, wur­de das Win­ter­berg­denk­mal mit ei­nem rie­si­gen Ha­ken­kreuz il­lu­mi­niert. Das hin­der­te die neu­en Macht­ha­ber al­ler­dings nicht, die­ses Sym­bol Saar­brü­ckens im Zu­ge der Vor­be­rei­tung auf den Frank­reich­feld­zug zu spren­gen, da es als Ziel­punkt geg­ne­ri­scher Ar­til­le­rie hät­te die­nen kön­nen[46]. Zwei­fels­oh­ne wur­de das Nach­le­ben von Spi­chern über die Kai­ser­reichs­zeit hin­aus bis­lang noch zu we­nig er­forscht.

Quellen

Al­le zi­tier­ten Zei­tun­gen be­fin­den sich im Stadt­ar­chiv Saar­brü­cken.

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'Ankunft König Wilhelms I. in Saarbrücken am 9. August 1870', Gemälde von Anton Werner (1843-1915), Original im Deutschen Historischen Museum, 1877.

 
Anmerkungen
Zitationshinweis

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Trinkaus, Fabian, Die Schlacht von Spichern und ihre kulturpolitische Rezeption in Saarbrücken während des Kaiserreichs, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/Themen/die-schlacht-von-spichern-und-ihre-kulturpolitische-rezeption-in-saarbruecken-waehrend-des-kaiserreichs/DE-2086/lido/5d10c79c98d640.55917809 (abgerufen am 10.12.2024)