Höfische Musik unter Kurfürst Johann Wilhelm von Pfalz–Neuburg
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1. Johann Wilhelm und Düsseldorf
Johann Wilhelm II. von der Pfalz (1658-1716), der im Volksmund den Namen „Jan Wellem“ trug, brachte während seiner Regierungszeit für mehrere Jahrzehnte den Glanz barocken Hoflebens nach Düsseldorf. Unter seiner Herrschaft zunächst als Herzog von Jülich und Berg und später als Kurfürst begann eine einzigartige Epoche in der Geschichte der Stadt: Als kurfürstliche Residenz wurde sie zu einem kulturellen Zentrum Europas, nahm einen großen wirtschaftlichen Aufschwung und zog Künstler, Händler und Gelehrte aus aller Welt an. Die enorme Prunksucht des Fürsten schlug sich auf vielen Gebieten nieder: Im Zentrum der Stadt – auf dem Gebiet der heutigen Altstadt – wurden bestehende Gebäude saniert und ausgebaut wie beispielsweise das Düsseldorfer Schloss, von dem heute nur noch ein Turm steht. Auch wurden zahlreiche neue Bauten errichtet, so der als besonders prachtvoll beschriebene Marstall, in welchem man die Pferde und Karossen des Fürsten unterbrachte, eine Gemäldegalerie, ein Theater, eine Reitschule und eine Orangerie. Neben katholischen Kirchen und Klöstern, die in dieser Zeit entstanden, wurden mit der Neanderkirche und der Berger Kirche auch die ersten protestantischen Kirchen in der Stadt errichtet, die allerdings - wie seinerzeit im katholischen Rheinland üblich - ein Stück entfernt von der Straße stehen mussten. Auch nutzten nicht wenige Adelige, Beamte und einige reiche Kaufleute die Gunst der Zeit, um für sich selbst imposante Anwesen zu bauen.
Besonders deutlich war der Einfluss des Fürsten im Stadtbild an der neu eingeführten Straßenbeleuchtung zu sehen: Die 1701 aufgestellten 383 Laternen dienten dem Prunk und der Sicherheit der Bevölkerung, kosteten im Unterhalt jedoch ein Vermögen. 1720, einige Jahre nach dem Tod des Fürsten, wurden sie wieder abgebaut. Bis heute sichtbar ist das von dem flämischen Bildhauer Gabriel de Grupello (1644-1730) im Jahr 1711 geschaffene Reiterstandbild Johann Wilhelms auf dem Marktplatz, welches ihn hoch zu Ross in Rüstung mit Allongeperücke, Kurhut und Marschallstab zeigt – eine künstlerische Inszenierung der Person, die bei vielen Fürsten der Zeit sehr beliebt war.
Geboren wurde Johann Wilhelm am 19.4.1658 in Düsseldorf als ältester Sohn des Kurfürst Philipp Wilhelm von der Pfalz (1615-1690) und der Elisabeth Amalia von Hessen-Darmstadt (1635-1709). Seine Erziehung übernahm ein Jesuitenpater. 1674 begann er seine über zwei Jahre dauernde Kavalierstour, wie es für junge Fürsten zu dieser Zeit üblich war. In Paris lernte er Ludwig XIV. (1638-1715) kennen und war beeindruckt von dessen höfischem Leben, zu dem opulente Opern- und Theateraufführungen gehörten.
Im Oktober 1678 heiratete Johann Wilhelm die Erzherzogin Maria Anna Josepha (1654-1689), Tochter des römisch-deutschen Kaisers Ferdinand III. (1608-1657) und seiner dritten Gemahlin Prinzessin Eleonora Magdalena Gonzaga von Mantua-Nevers (1628-1686). Die enge politische Verbindung zum Wiener Hof wurde durch diese Eheschließung weiter gestärkt; geknüpft worden war sie allerdings bereits zwei Jahre zuvor, als Kaiser Leopold I. (1640-1705) Johann Wilhelms Schwester Eleonore Magdalene Therese (1655-1720) geheiratet hatte. Mit seiner ersten Frau hatte Johann Wilhelm zwei Söhne, die jedoch beide am Tag ihrer Geburt starben. 1679 übertrug sein Vater ihm die Regentschaft über die Herzogtümer von Jülich und Berg, den Rang eines Kurfürsten erhielt er elf Jahre später 1690. Ein Jahr zuvor verstarb Herzogin Maria Anna Josepha, so dass eine erneute Eheschließung angebahnt wurde. Ein Jahr nach der Verleihung der Kurfürstenwürde heiratete Johann Wilhelm durch einen Stellvertreter in Florenz die Prinzessin Anna Maria Luisa de’ Medici, Tochter Großherzogs Cosimo III. de’ Medici von Florenz (1642-1723) und seiner Frau Marguerite Louise d’Orléans (1645-1721). Auch diese Ehe blieb kinderlos.
Nach Erlangung des Titels Kurfürst und Johann Wilhelms zweiter Heirat gewann das höfische Leben in Düsseldorf an Glanz und Prunk. Das Leben des Fürstenpaares war nicht nur von politischen Aufgaben, sondern auch von Konzerten, Umzügen, Festen, Feiern zu Geburts- und Namenstagen, Maskenbällen, Schiffsfahrten und Jagden ausgefüllt, wobei nicht selten hunderte von Personen verköstigt werden mussten. Jede Gelegenheit wurde zum Anlass für festliche Inszenierung genommen. Nachdem Johann Wilhelm am 8.6.1716 verstorben war, wurde er in der Hof- und Jesuitenkirche St. Andreas (der heutigen Dominikanerkirche St. Andreas) beigesetzt. Da er keine Nachkommen hatte, wurde sein jüngerer Bruder Karl Philipp (1661-1742) sein Nachfolger.
In der Überlieferung wird oft herausgestellt, wie volksnah der Kurfürst gewesen sei, wofür gern die rheinisch-umgangssprachliche Verfremdung seines Namens in „Jan Wellem“ als Beweis herangezogen wird. Auch wird berichtet, dass man ihn bisweilen beim Gelage in der Altstadt antreffen konnte, dass er 1681 Schützenkönig wurde und die Bürger sogar freiwillig ihr Silberbesteck stifteten, als 1711 der Guss von Grupellos Reiterstandbild aus Mangel an Metall zu scheitern drohte. Überliefert ist diese Anekdote an prominenter Stelle in den Erinnerungen Heinrich Heines an seine Geburtsstadt in seinem Buch „Le Grand.“ Zweifellos brachte die Förderung des Handels, des Handwerks und der Künste neben einem Prestigegewinn Geld in die Stadt und bedeutete für viele Düsseldorfer Arbeitsplätze, doch die Bevölkerung hatte auch in erheblichem Maße unter der Verschwendungssucht des Fürsten zu leiden. Neben den erdrückenden Steuern bedeuteten darüber hinaus die Einquartierungen der Garnison in privaten Häusern eine große Belastung. Abhilfe schuf hier erst 1698 und 1701 der Bau von Kasernen. Alltägliche Ärgernisse wie beispielsweise, dass die adeligen Jagdgesellschaften das Ackerland zertrampelten, kamen hinzu.
Die Haltung Johann Wilhelms gegenüber der Bevölkerung muss jedoch vor dem Hintergrund der Zeit gesehen werden: Als Sohn aus einem Fürstengeschlecht war er in dem Denken erzogen worden, dass einem absolutistischen Herrscher nach dem Vorbild Ludwigs XIV. in Frankreich ein prunkvolles Hofleben auf Kosten der Bevölkerung zustand und dass ein solches für die Erfüllung seiner politischen Aufgaben auch unerlässlich war. In einem absolutistischen Sinne uneingeschränkt herrschen konnte Johann Wilhelm in der Praxis nicht, auch wenn er dies zweifellos gerne getan hätte, denn die Landstände ließen nicht zu, dass ihr Einfluss zu stark beschnitten wurde. Immer wieder kam es zu Spannungen, wenn Johann Wilhelm beispielsweise Gelder einforderte, zu deren Zahlung diese nicht bereit waren.
2. Das Hofleben und die Förderung der Künste
Johann Wilhelm galt als ein ungemein kunstliebender Herrscher und auch seine beiden Gemahlinnen teilten diese Leidenschaft. Insbesondere während seiner zweiten Ehe mit Prinzessin Anna Maria Luisa entwickelte sich das kulturelle Leben am Hofe und gewann Berühmtheit weit über die Stadtgrenzen hinaus. Das wichtigste Betätigungsfeld war dabei die bildende Kunst: Das Herrscherpaar holte bekannte Maler und Bildhauer nach Düsseldorf, zu denen die Niederländer Adriaen van der Werff (1659-1722) und Jan Frans van Douven (1656-1727) gehörten, die als Hofmaler zahlreiche Porträts der beiden schufen. Besonders berühmt wurde Johann Wilhelms Gemäldesammlung, deren Schwerpunkt auf flämischer und italienischer Malerei lag und die während seiner Herrschaft als Kurfürst zu einer der größten im damaligen Europa heranwuchs; zu Spitzenzeiten umfasste sie etwa 1.000 Bilder. 1680 hatte Johann Wilhelm damit begonnen, die Sammlung seines Vaters und Großvaters, die Werke von Peter Paul Rubens (1577-1640) und Anton van Dyck (1599-1641) enthielt, insbesondere durch Ankäufe weiterer Gemälde aus den Niederlanden zu erweitern. Durch den Kontakt nach Italien, der über seine zweite Frau gestärkt wurde, kamen später viele Werke italienischer Künstler hinzu. Zwischen 1710 und 1714 wurde in der Nähe des Schlosses eine prunkvolle Gemäldegalerie erbaut, die eine angemessene Präsentation der Kunstwerke ermöglichte. Nach Johann Wilhelms Tod ließ sein Bruder Karl Philipp einen Teil der Kunstschätze in sein neuerrichtetes Schloss nach Mannheim bringen, wohin Kurfürst Karl Theodor 1753 auch die Antiken überführen ließ. Die Gemäldegalerie verblieb im Wesentlichen bis 1805 in der verlassenen niederrheinischen Residenz und wurde dann nach München verbracht, wo sie heute als Bestandteil der Alten Pinakothek zu bewundern ist. Der Verlust der Sammlung wurde von vielen Düsseldorfern als schmerzlich empfunden. Versuche, über eine Rückgabe der Gemälde zu verhandeln, scheiterten jedoch.
Neben der bildenden Kunst wurde unter Johann Wilhelm auch das Kunsthandwerk gezielt gefördert: So stieg die Zahl der Schmiede, Goldschmiede, Uhrmacher, Schreiner, Elfenbeinschnitzer und anderer spezialisierter Handwerker deutlich an. Diese waren unverzichtbar dafür, das Schloss und all die anderen repräsentativen Bauten der Stadt mit dem gewünschten Prunk auszustatten.
Ähnlich wie bei der Gemäldesammlung hatten die Vorfahren Johann Wilhelms bereits mit dem Aufbau eines geregelten Musiklebens begonnen und sich ihre Hofkapelle durchaus etwas kosten lassen: Johann Wilhelms Großvater Pfalzgraf Wolfgang Wilhelm zeigte bei seinem Regierungsantritt 1614 ein deutlich größeres Interesse an der nur rudimentär vorhandenen Kapelle als zuvor sein Vater und erweiterte diese, indem er immer wieder nach neuen, besseren Musikern suchte. Diese Bemühungen setzte sein Sohn Philipp Wilhelm in seiner Regierungszeit als Pfalzgraf zwischen 1653 und 1690 fort. Das Schaffen und Aufführen von Musik waren dabei nicht wie in späteren Zeiten das Ergebnis eigenständigen künstlerischen Denkens und Handelns, sondern streng in das opulente Hofleben eingebunden und hätten ohne dieses nicht in ihrer überlieferten Form stattfinden können. Auch wenn keineswegs ausgeschlossen ist, dass das Fürstenpaar und seine Gäste an Opern und Konzerten ihre persönliche Freude hatten, war Musik doch primär ein Instrument politischer Repräsentation. So darf es nicht verwundern, dass sich die von Johann Wilhelm gern zur Schau gestellte Volksnähe nicht auf die Musik erstreckte: Die Aufführungen musikalischer Werke waren grundsätzlich dem Hofe vorbehalten und nicht für die Öffentlichkeit gedacht. Die Bevölkerung nahm jedoch trotz dieser Distanz am Hofleben regen Anteil, da viele dort ihren Lebensunterhalt verdienten: So waren 1703 und 1704 von den etwa 8.500 Einwohnern 368 als Künstler, Handwerker oder Bedienstete bei Hofe angestellt, was bedeutete, dass zumindest einige von ihnen bisweilen indirekt Zugang zu Konzerten bekamen, wenn auch nicht als geladene Gäste.
Eine musikalische Ausbildung gehörte unter den Adeligen der Zeit zum guten Ton, so dass auch der Kurfürst selbst über gewisse Kenntnisse und Fähigkeiten verfügte. Er sang und spiele mehrere Instrumente, wobei zu seinen bevorzugten das Cembalo und das Clavichord gehörten.[1] Auch seine beiden Ehefrauen besaßen eine entsprechende musikalische Vorbildung. Für die höfische Repräsentation unentbehrlich war jedoch ein Orchester. Im Jahr 1679, als Johann Wilhelm Herzog von Jülich und Berg wurde, übernahm er die ersten Musiker von der Hofkapelle in Neuburg, wo sein Vater inzwischen residierte.[2] Für einzelne Anlässe allerdings lieh sich der Vater Künstler auch bisweilen zurück. Dieses ‚Verleihen‘ von Musikern war zu der Zeit keineswegs unüblich. So schickte Johann Wilhelm beispielsweise seine Hofkapelle im Winter 1680 auf Wunsch eines reichen Kaufmanns nach Amsterdam, der sie für die Karnevalsfeierlichkeiten benötigte. Für den Herzog, der gerade in einem finanziellen Engpass war, bedeutete es eine Erleichterung, die Kosten für seine Musiker eine Zeit lang nicht tragen zu müssen. Sein Vater allerdings, der die Kapelle in dieser Zeit ebenfalls gerne zu sich geholt hätte, betrachtete deren Abwesenheit als Ärgernis.
Als 1679 die neu entstandene Hofkapelle ihre Arbeit aufnahm, wurde der Komponist und Sänger Sebastiano Moratelli (1640-1706) zu ihrem Leiter bestimmt. Zuvor war er am Wiener Hof der Musiklehrer der Herzogin Maria Anna Josepha gewesen. Als diese nach ihrer Eheschließung mit Johann Wilhelm nach Düsseldorf kam, ging Moratelli mit ihr.[3] Nachdem er 1705 aus gesundheitlichen Gründen sein Amt hatte aufgeben müssen, wurde sein Nachfolger der Komponist Hugo Wilderer (1670-1724), der bereits zuvor Vizekapellmeister gewesen war. Er leitete die Kapelle bis zu ihrer Auflösung nach dem Tode Johann Wilhelms im Jahr 1716.
Im Laufe ihrer Tätigkeit vergrößerte sich die Hofkapelle, bis sie in ihren besten Zeiten etwa 60 Musiker umfasste, was für die Zeit eine stattliche Anzahl war. Die Namen der mitwirkenden Musiker sind leider ebenso wenig erhalten[4] wie eine genaue Liste der vertretenen Instrumente. Eine Aufstellung, die zumindest einen Teil der Besetzung wiedergibt, wird in einem Lexikon-Artikel zitiert: „Am Ende der Regierungszeit dieses Fürsten bestand die Hofmusik aus 13 Hoftrompetern, 3 Heerpaukern, außerdem (nach einer Teilliste) 2 Kpm. [Kapellmeister], 2 Diskantisten, 1 T. [Tenor], 4 V. [Viol(in)en] (davon „1 Violin de Jambis“ [Gambe]), 2 Lautisten, 1 Theorbe, 1 B. [Bass], 1 Ob. [Oboe], 2 Waldhr. [Waldhorn], 2 Fag. [Fagott] und 1 Org. [Orgel].“[5] Auch wenn hier, wie in der Quelle selbst angegeben, nur ein Teil der Instrumente genannt wird – beispielsweise fehlen Angaben über die tiefen Streicher von der Gambe abgesehen komplett –, so fällt doch auf, dass die Anzahl der Hoftrompeten mit 13 relativ hoch ist, was durchaus zu dem Repräsentationsanspruch des Kurfürsten passt. Die Besetzung mit zwei Waldhörnern darf für die Zeit als recht modern gelten. Dass die beiden Hörner neben einer Oboe und zwei Fagotten zur Verfügung standen, bedeutet, dass generell auch die Möglichkeit bestand, draußen unter freiem Himmel eine Jagdmusik zu spielen, was ebenfalls auf die Neigungen des Fürsten zugeschnitten war.
Für die Qualität der Düsseldorfer Hofkapelle spricht neben ihrer fast vollständigen Übernahme nach Johann Wilhelms Tod in die berühmte Mannheimer Hofkapelle die Tatsache, dass sie 1711 bei der Kaiserkrönung Karls VI. (1685-1740) in Frankfurt mitwirkte: Nachdem der Mainzer Kurfürst hatte feststellen müssen, dass er vor Ort auch mit den Musikern vom Hofe des Kurfürsten von Trier keine Kapelle zusammenstellen konnte, die dem feierlichen Anlass würdig gewesen wäre, bat er Johann Wilhelm darum, doch seine „ruhmvolle Hofkapelle“ mitzubringen. Dieser reiste daraufhin mit dem Kapellmeisters Hugo Wilderer und „sämbtliche[n] Churfürstliche[n] Cammer-Musici in Summa 53, mit 15 Bedienten und 4 Calcanten“ sowie „12 Trompeter[n] drei Pauker[n], Undt Obristtrompeter[n]“[6] nach Frankfurt.
3. Das Repertoire
Die meisten der am Hofe von Johann Wilhelm aufgeführten Werke sind bedauerlicherweise nicht erhalten. Lediglich einige Kompositionen, die er zur Abschrift an den Wiener Hof geschickt hatte, sind heute in der Wiener Hofbibliothek zu finden. Die Quellenlage zur Kirchen- und Kammermusik ist sehr dürftig, die Oper als besonders beliebte Kunstform der Zeit ist etwas besser dokumentiert. Grundsätzlich gilt für die höfische Musik der Barockzeit, dass sie entweder von italienischen oder französischen Einflüssen geprägt war und auch in der entsprechenden Sprache aufgeführt wurde. Ein eigener charakteristischer deutscher Stil hatte sich noch nicht entwickelt. Wurden Bühnenwerke in deutscher Sprache gesungen, was eine Ausnahme war, dann handelte es sich dabei um eher volkstümliche und heitere Stücke, nicht um ernsthafte, dramatische Opern.
Die Musikkultur am Düsseldorfer Hof stand ganz im Zeichen der italienischen Musik. Dieser Einfluss verstärkte sich noch nach Johann Wilhelms zweiter Eheschließung mit der italienischen Herzogin Anna Maria Luisa, die neben Gemälden und bildenden Künstlern auch Musiker aus ihrem Heimatland nach Düsseldorf vermittelte. Mit Moratelli war auch der erste Leiter der Hofkapelle ein Italiener. Dieser war 1678 mit Johann Wilhelms erster Frau nach Düsseldorf gekommen, doch fand seine Arbeit so viel Anerkennung, dass er nicht etwa nach ihrem Tod 1689 entlassen wurde, sondern solange es seine Gesundheit erlaubte im Amt blieb. Auch Johann Wilhelms zweite Frau Anna Maria Luisa schätzte den italienischen Künstler sehr. Als er gebrechlich wurde, verschaffte sie ihm ein Kanonikat, wodurch er für seinen Lebensabend finanziell abgesichert war. Während es im deutschsprachigen Raum Fürstenhöfe gab, die sich Frankreich als Vorbild wählten, wie es beispielsweise in Celle der Fall war, orientierte sich Johann Wilhelm ebenso wie sein Vater und Großvater zuvor zielgerichtet und kontinuierlich an der italienischen Kultur.
Um regelmäßig zu Karneval und sonstigen Festlichkeiten Opern, Kantaten und andere Stücke schreiben lassen zu können, beschäftigte Johann Wilhelm mehrere Librettisten an seinem Hofe, die mit den Komponisten oft Hand in Hand arbeiteten. Wie viele andere Künstler auch waren die Hofpoeten Giorgio Maria Rapparini (1660-1726) und Stefano Benedetto Pallavicini (1672-1742) Italiener. Über viele Jahre hinweg verfassten sie Libretti und andere Texte, die dann in Musik gesetzt wurden.
Neben der Strategie, selbst Werke für bestimmte Anlässe in Auftrag zu geben, nutzte Johann Wilhelm auch gern die verwandtschaftlichen Beziehungen zum Hof in Wien, um mit diesem Opernlibretti und Partituren auszutauschen. Darüber hinaus kam es vor, dass Komponisten aus anderen Städten und Ländern ein Werk an den Kurfürsten schickten mit dem ergebenen Angebot, ihm oder seiner Gemahlin dieses zu widmen. Stießen die Stücke auf Gegenliebe, durfte der Verfasser mit einem Honorar rechnen, und die Widmung wurde beim Druck des Werkes mit veröffentlicht.
Neben den beiden Hochzeiten des Kurfürsten, die natürlich mit größtem Aufwand gefeiert wurden, waren seit seinem Regierungsantritt als Herzog 1679 die Karnevalstage alljährlich ein festlicher Anlass für die Aufführung neuer Opern (für die ersten beiden Jahre seiner Herrschaft lassen sich allerdings keine Komponisten bzw. Werktitel anführen). Dieses Vergnügen ließ sich Johann Wilhelm einiges kosten und wich auch nur in wenigen Fällen von der Tradition ab. So war der Tod Karls II. von Spanien (1661-1700), des Schwagers des Kurfürsten, im Jahr 1701 Grund genug, die Festlichkeiten in der Karnevalszeit abzusagen. Und 1704 wurden zu diesem Anlass keine Opern geschrieben, da der Kurfürst in der entsprechenden Zeit in Wien zu Gast war.
1681 wird in der Korrespondenz zwischen Johann Wilhelm und seinem Schwager Kaiser Leopold erwähnt, dass zu Karneval eine „Operette“ von Moratelli erklang – der erste konkrete Nachweis über die Aufführung eines italienischen Bühnenwerkes während der Herrschaft von Johann Wilhelm. Über zehn Jahre lang steuerte Moratelli weitere Opern zu den Karnevalsfeiern bei. Aus späteren Jahren sind auch einige Titel überliefert: 1687 erklangen „Erminia ne‘ boschi“ und 1688 „Didone“ und „Erminia al campo“ nach den Texten des kurfürstlichen Hofdichters Giorgio Maria Rapparini.[7] Da für eine Rekonstruktion der kompletten Spielpläne nicht annähernd genug Daten vorliegen und die meisten bei Hofe aufgeführten Kompositionen, auch die Moratellis – abgesehen von einer Anfang des 21. Jahrhunderts wieder aufgetauchten Opernserenade aus seiner Feder –, nicht erhalten sind, können leider nur solch exemplarische Schlaglichter einen Eindruck des damaligen Musiklebens am Hof vermitteln.
Während der ersten Jahre ihrer Ehe mit Johann Wilhelm musste sich die Kurfürstin Anna Maria Luisa mit Opernaufführungen in den dafür nur unvollkommen ausgestatteten Räumen des Schlosses zufriedengeben. Um hier Abhilfe zu schaffen, plante und finanzierte sie mit nicht geringen Summen aus ihrem eigenen Vermögen den Bau eines neuen Theaters an der Mühlenstraße, das am 12.2.1696 seine Pforten öffnete. In dem Gebäude nach Plänen des venezianischen Architekten Matteo de Alberti (1647-1735), der seit 1695 in Düsseldorf mehrere prestigeträchtige Bauten entworfen hatte, wurden ab sofort Opern, Symphonien, Oratorien und Ballette aufgeführt. Bei der Eröffnung erklang die italienische Oper „Giocasta“ in drei Akten, die ursprünglich von Giovanni Andrea Moniglia (1624-1700) gedichtet worden war. Für die Aufführung in Düsseldorf bearbeitete der Hofpoet Pallavicini das Libretto, indem er es „ein bisschen nach der Mode aufputzte“[8] und ergänzte, anschließend wurde es auf Anweisung des Kurfürsten gekürzt und dann von dem späteren Leiter der Hofkapelle Hugo Wilderer in Musik gesetzt; die Ouvertüre und Ballette stammen von dem Konzertmeister der Kapelle Georg Andreas Krafft (auch Kraft/Crafft, 1660-1726). Die Tänze waren von dem Ballettmeister François Rodier (wohl 1665-1753) arrangiert worden.[9] Am Rande sei noch angemerkt, dass das Werk im September 2008, dem Jahr, in dem in Düsseldorf der 350. Geburtstag des Kurfürsten gefeiert wurde, in der Deutschen Oper am Rhein erneut auf die Bühne gebracht wurde.
„Giocasta“ war die erste Oper Wilderers, die am Düsseldorfer Hof erklang; in den nächsten Jahren folgten weitere aus seiner Feder. Seit dem Jahr der Eröffnung wurden mehrere Opern pro Jahr mit geradezu verschwenderischer Ausstattung, prunkvoller Dekoration und aufwendiger Theatermaschinerie auf die Bühne gebracht.
Neben der Kammermusik und Kirchenmusik, über die wie bereits erwähnt kaum aussagekräftige Quellen vorliegen, sind Auftritte von Musikern auch bei einzelnen Gelegenheiten außerhalb von Schloss, Theater und Kirche dokumentiert. Neben musikalischen Darbietungen bei den beliebten höfischen Jagdgesellschaften wurden beispielsweise anlässlich von Geburtstagen und Namenstagen des Herrscherpaares regelmäßig kleinere Festkantaten geschrieben, von denen man einige im Freien aufführte. Der Verfasser war wohl in vielen Fällen der langjährige Hofpoet Stefano Benedetto Pallavicini, die Namen der Komponisten sind in der Regel nicht überliefert.[10] Über die Aufführung einer solchen Festkantate anlässlich des Namenstages von Anna Maria Luisa im Jahr 1696 wird berichtet, dass der Kurfürst die Musiker eigens in Kostümen auf ein Schiff steigen ließ, damit sie seiner Gemahlin auf dem Rhein eine Serenade singen konnten, die zum Abschluss von einem gewaltigen Feuerwerk gekrönt wurde.[11]
4. Die Künstler am Hofe des Kurfürsten
In der Rückschau auf das höfische Musikleben unter Johann Wilhelm wird über kaum etwas mit so großem Stolz berichtet wie über die Tatsache, dass es ihm gelungen war, den berühmten Komponisten Georg Friedrich Händel (1685-1759) zweimal als Gast nach Düsseldorf geholt zu haben. Anlass für den ersten Besuch im Jahr 1710 war ein Empfehlungsschreiben von Ferdinando de’ Medici (1663-1713), Erbprinz der Toskana, welches Händel als Experten der italienischen Musik auswies, nachdem er 1708 die italienische Oper „Rodrigo“ im Auftrag des Prinzen geschrieben hatte. Da diesem die Oper sehr gefallen hatte, empfahl er Händel nun an seinen Schwager Johann Wilhelm[12], der sich in einem Schreiben vom 13.9.1710 herzlich bedankte. Bei seinem zweiten Besuch 1711 befand sich Händel gerade auf dem Rückweg zu seinem Dienstherrn Kurfürst Georg Ludwig (1660-1727, ab 1714 König Georg I. von Großbritannien) in Hannover, nachdem in London seine Oper „Rinaldo“ aufgeführt und vom Publikum begeistert aufgenommen worden war. Johann Wilhelm hatte Händel bei seinem letzten Besuch nicht nur als Komponisten italienischer Opern, sondern auch als Virtuosen am Cembalo und an der Orgel schätzen gelernt, und bat ihn außerdem darum, ihm seine Einschätzung zu den am Düsseldorfer Hofe vorhandenen Musikinstrumenten mitzuteilen.[13] Händel fürchtete jedoch den Zorn seines Dienstherrn bei einer weiteren Verspätung so sehr, dass er sich von seinem Gastgeber ein hochoffizielles Schreiben erbat, in dem dieser sich bei dem Kurfürsten Georg Ludwig dafür entschuldigte, dass er Händel noch ein paar Tage in Düsseldorf behalten hatte.
Längst nicht so berühmt wie Händel, aber für das Düsseldorfer Musikleben ungleich wichtiger war der bereits erwähnte Komponist und Sänger Sebastiano Moratelli. Nach seiner Ausbildung und dem Beginn seiner musikalischen Laufbahn in Italien wurde er 1660 vom Kaiser an den Wiener Hof geholt, von wo er als Musiklehrer der Erzherzogin Maria Anna Josepha nach Düsseldorf gelangte und zwischen 1679 und 1705 Leiter der Hofkapelle war. Wegen seiner schwachen Gesundheit wurde er ab 1695 von Hugo Wilderer, seinem späteren Nachfolger, unterstützt. Aus der Beschreibung einer seiner in Düsseldorf komponierten und aufgeführten Opern lässt sich ablesen, wie Moratelli es verstand, durch die Wahl des Sujets in Zusammenarbeit mit dem Librettisten ein Werk auf die örtlichen Verhältnisse und auf die Wünsche seines Fürsten zuzuschneiden: In seiner Oper „Il fabro pittore“ von 1695 geht es um das Leben des berühmten niederländischen Malers Quentin Massys (1466-1530), womit auf die Vorliebe Johann Wilhelms für die Gemälde von Peter Paul Rubens angespielt wird.[14]
Johann Hugo Wilderer, der Nachfolger Moratellis, war als Schüler des bedeutenden spätbarocken Komponisten Giovanni Legrenzi (1626-1690) ganz im Stil der Venezianischen Opernschule ausgebildet worden. Legrenzi entwickelte die relativ starre Form der Oper, deren Handlungen bis dahin in der Welt der Götter und Helden verankert war, weiter, indem er Genres in Frage stellte und bestehende Regeln zu ändern begann. Wann Wilderer nach seiner Ausbildung bei Legrenzi an den Düsseldorfer Hof kam, lässt sich nicht genau rekonstruieren, vermutlich war er schon 1687 dort als Organist beschäftigt. Seit 1692 ist seine Tätigkeit als Hof-Organist an der damaligen Hofkirche St. Andreas bezeugt, das Amt bekleidete er noch bis 1697. Nach der Aufführung seiner Oper „Giocasta“ 1695 in Düsseldorf wurde er bereits als Vizehofkapellmeister bezeichnet und seit 1703 als Hofkapellmeister. In Düsseldorf schrieb er nach der „Giocasta“ neun weitere teilweise erhaltene Opern, die sicher nicht zuletzt durch die Prägung seines Lehrers für die Zeit recht modern waren und nicht alle den Anspruch der traditionellen antiken Heldenoper bedienten, sondern auch Stoffe der deutschen Geschichte verarbeiteten. Auch Werke anderer Formen schrieb Wilderer mit großem handwerklichem Geschick, so beispielsweise Oratorien, Kantaten und die in der Barockzeit so beliebten Schäferspiele. Der Kurfürst schätzte ihn offenbar sehr für seine fortschrittlichen Opern und seine vielfältige musikalische Arbeit als Organist und Dirigent. 1705 erhob er Wilderer in den Adelsstand. Unter seiner Leitung als Nachfolger von Moratelli wurde der gute Ruf der Düsseldorfer Hofkapelle weiter gefestigt.
Ein anderer bekannter italienischer Komponist, der eine Zeit lang als Musiker an Johann Wilhelms Hof wirkte, war ursprünglich nicht in dieser Eigenschaft, sondern als Politiker nach Düsseldorf gekommen: Agostino Steffani (1654-1728) war zuvor als Hoforganist und Hofkapellmeister in anderen Städten aktiv gewesen, hatte außerdem 1680 die Priesterweihe empfangen und war 1692 in diplomatische Dienste getreten. Seine erste Oper stammt aus dem Jahr 1681. Nachdem er 1699 und 1700 beim Kurfürsten zu Gast gewesen war, berief ihn dieser im Winter 1702/1703 von Hannover dauerhaft nach Düsseldorf, übertrug ihm verschiedene Ämter, so 1703 das des Geheimen Rates und des kurpfälzischen Regierungspräsidenten, sandte ihn in politischen Angelegenheiten in andere Länder und schätze ihn darüber hinaus als seinen Ratgeber. Während eines Aufenthaltes in Italien im Jahr 1708 beauftragte er ihn auch, sich vor Ort um die vom Kurfürsten gewünschten Kopien antiker Statuen zu kümmern.[15] Neben all seinen anderen Tätigkeitsfeldern war Steffani aber auch einer der populärsten italienischen Komponisten der Zeit. In seinen Düsseldorfer Jahren schrieb er die Opern „Arminio“ (1707) und „Tassilone“ (1709), aber auch geistliche Werke und Instrumentalstücke.
Mit Steffani hatte sich Johann Wilhelm also einen vielseitigen, berühmten Politiker und Künstler an seinen Hof geholt. Auch wenn dieser selbst seine politische und klerikale Laufbahn über seine musikalische stellte und letztere schließlich aufgab, müssen seine pianistischen Fähigkeiten beeindruckend gewesen sein: So wurde er nach Paris eingeladen, um keinem Geringeren als Ludwig XIV. auf dem Cembalo vorzuspielen, wovon sich dieser sehr beeindruckte zeigte. Als Komponist war Steffani primär der Ästhetik der italienischen Musik verpflichtet, jedoch mit gewissen französischen Einflüssen. Mit seinen Werken bediente er die Wünsche Johann Wilhelms, brachte aber dennoch einen interessanten fremden Einschlag mit an dessen Hof.
Ebenfalls über einen langen Zeitraum wirkte in Düsseldorf Georg Andreas Krafft. Seit dem Beginn von Johann Wilhelms Regierungszeit als Herzog 1679 bis zu dessen Tod 1716 ist Kraffts Aufenthalt dort nachgewiesen. Bis 1713 bekleidete er das Amt des Konzertmeisters der Hofkapelle sprich des ersten Violinisten, was bedeutete, dass er nicht nur bei Aufführungen mitwirkte, sondern auch bei Bedarf Stücke komponierte und bearbeitete sowie für Organisation, die Beschaffung von Noten und die Besetzung der Mitwirkenden verantwortlich war. Damit fiel ihm beim Aufbau der Hofkapelle eine bedeutsame Rolle zu. Angesichts der Tatsache, dass der Kurfürst ihn zu Beginn seiner Tätigkeit in Düsseldorf zu dem Geigenvirtuosen Arcangelo Corelli (1653-1713) zur musikalischen Weiterbildung geschickt hatte, dürften seine Leistungen als Violinist nicht ganz schlecht gewesen sein. Mit Krafft war also auch ein wichtiger Posten sozusagen „in der zweiten Reihe“ des Düsseldorfer Musiklebens erstklassig besetzt.
Zu den Berühmtheiten der Zeit, die Johann Wilhelm über längere Zeit an seinen Hof binden konnte, gehörte der Gamben-Virtuose Johannes Schenck (1660-1712). Er wurde ausschließlich als Instrumentalist verpflichtet, obwohl er zuvor in Holland auch Opern und Instrumentalwerke geschrieben und veröffentlicht hatte. Am Düsseldorfer Hof mit seiner italienischen Prägung jedoch wären holländische Opern wohl nicht geeignet gewesen. Der Kurfürst übertrug Schenck außerdem mehrere Ämter bei Hofe, was bedeutet, dass dieser finanziell sehr gut gestellt war. 1692 widmete er seinem Dienstherrn sein op. VI Scherzi musicali.
Zu den Musikern von außerhalb, die quasi als „Gaststars“ einzelne Auftritte in Düsseldorf hatten, gehörte neben dem bereits erwähnten Händel beispielsweise der Violinist Francesco Maria Veracini (1690-1768), der 1715 in Düsseldorf auftrat und dem vier Jahre zuvor die Ehre zuteil geworden war, bei der Krönung Kaiser Karls VI. in Frankfurt gespielt zu haben.
Neben den Instrumentalisten wurden in Düsseldorf auch zahlreiche Sänger gebraucht, um die beliebten Opern auf die Bühne zu bringen. Neben Tenören und Bassisten wurden für viele Rollen Vertreter der Stimmfächer Sopran und Alt verlangt, welche nach der Gepflogenheit der Zeit alle mit Männerstimmen und meist mit Kastraten besetzt wurden. Auch Falsettisten (männliche Sänger, die mit ihrer Kopfstimme singen) konnten diese Partien übernehmen, doch Kastraten, von denen einige wegen ihrer brillanten und technisch gut ausgebildeten Stimmen regelrechte Opernstars der Zeit geworden waren, wurden bevorzugt. Die Praktik, Jungen vor dem Einsetzen der Pubertät zu kastrieren, um Soprane oder Altisten mit einer Knabenstimme, aber dem Stimmapparat eines erwachsenen Mannes zu erzeugen, war besonders im 17. Jahrhundert gerade unter der armen Landbevölkerung verbreitet, da den wenigen, die Karriere machten, üppige Honorare winkten. Die katholische Kirche verbot zwar im 18. Jahrhundert offiziell diese Barbarei, beschäftigte jedoch noch bis ins 20. Jahrhundert hinein Kastratensänger als Mitglieder der Sixtinischen Kapelle. Auf der Opernbühne wurden deren Sopran- und Alt-Partien etwa seit dem 18. Jahrhundert zunehmend von Frauen übernommen.
Einstein erwähnt in seinem Artikel mehrere Namen von Sängern, die am Düsseldorfer Hof beschäftigt wurden, über die jedoch keine Lebensdaten und kaum relevante Informationen zu finden sind. So werden genannt[16] : der Sänger Giorgio Stella, der Bassist Abbate Bellini, der in den 1690er Jahre nach Düsseldorf kam, der Kontraaltist Antonio Tosi und die Sopranisten Benedetto Baldassarri, Alessandro Mori aus Viadana und Lorenzo Santorini, der 1699 nach Düsseldorf kam. Der Sopranist Valeriano Pellegrini (1663?-1746) war sehr populär zu seiner Zeit, so dass ein paar Angaben über seine Biographie erhalten sind: Nachdem er zeitweise in der Sixtinischen Kapelle und 1699 am Wiener Hof gesungen hatte, wirkte er 1712/1713 in London bei zwei Uraufführungen von Opern aus der Feder von Georg Friedrich Händel mit, wobei er von allen Beteiligten die höchste Gage erhielt. Pellegrini war einer der besonderen Lieblinge Johann Wilhelms und nur widerwillig gestattete dieser ihm, gelegentlich zu Konzerten in seine Heimat Verona zu reisen. Eine Honorarliste aus der Zeit der Herrschaft von Johann Wilhelms Vater Philipp Wilhelm von 1663[17] sowie Korrespondenz von diesem über Anwerbebemühungen neuer Sänger lässt im Vergleich mit damals üblichen Honoraren der großen Berühmtheiten unter den Kastratensängern tendenziell erkennen, dass Philipp Wilhelm durchaus gute Honorare zahlte, aber sich die ganz großen Stars nicht hätte leisten können. Auch wenn sein Sohn Johann Wilhelm keine Hemmungen hatte, hohe Steuern von der Bevölkerung einzufordern und seine zweite Frau eine stattliche Mitgift mit in die Ehe brachte, dürften auch für ihn die besonders berühmten Kastratensänger der Zeit schlichtweg zu teuer gewesen sein.
Am Rande sei noch angemerkt, dass bisweilen auch Musiker, die nie oder wenn, dann nur kurz in Düsseldorf waren, in der Geschichte der städtischen Musikkultur eine Spur hinterlassen haben. Zu ihnen gehört Arcangelo Corelli, der als Komponist und vor allem als Virtuose auf der Geige Berühmtheit erlangt hatte. Er war ein Vertreter der damals für ihre virtuose Violinmusik berühmten Bologneser Schule und schrieb Musikgeschichte dadurch, dass er die Form des concerto grosso mit prägte. Hinterlassen hat er anspruchsvolle Instrumentalwerke. Eine seiner letzten Kompositionen 12 Concerti grossi, op. 6, schickte er am 3.12.1712 mit einer Widmung versehen an den Kurfürsten Johann Wilhelm, der diese erfreut annahm. 1715 verlieh er Corelli posthum noch einen Adelstitel, von dem dieser natürlich nicht mehr selbst, wohl aber seine Erben profitierten. Corellis Biographie ist nur lückenhaft dokumentiert; eine Reise nach Düsseldorf, die bisweilen erwähnt wird, lässt sich nicht eindeutig belegten. Für das Angebot einer Widmung wäre eine persönliche Begegnung mit dem Kurfürsten allerdings auch nicht nötig gewesen. Obwohl der künstlerische Schwerpunkt des Musiklebens in Düsseldorf zu dieser Zeit klar auf der Oper lag, nahm Johann Wilhelm einzelne Instrumentalwerke von berühmten Künstlern gerne in die Programme an seinem Hofe auf. Diese Form der Abwechslung von allseits Bekanntem sah er offenbar als tauglich an, einen Prestigegewinn zu erzielen.
5. Auflösung des Orchesters und die Zeit nach Johann Wilhelm
Der Tod Johann Wilhelms am 8.6.1716 ließ den Glanz des barocken Hoflebens mitsamt seiner Musik rasch erlöschen. Seine Witwe Anna Maria Luisa kehrte im September 1717 in ihre italienische Heimat zurück. Da sie ihren Gemahl kinderlos überlebt hatte, musste die stattliche Mitgift, die sie bei ihrer Hochzeit mitgebracht hatte, wieder zurückgezahlt werden. Für viele Düsseldorfer Bürger bedeutete der Tod des Kurfürsten den Verlust ihres Arbeitsplatzes; zahlreiche Handwerker, Händler und Künstler verließen darum die Stadt. Da Johann Wilhelm keine Nachkommen hatte, wurde sein jüngerer Bruder Karl III. Philipp zum Nachfolger, der sich alles andere als volksnah gab. Er begab sich nicht einmal in das Herzogtum Berg, forderte aber von dort nun jährlich Steuern ein, um sein Schloss in Mannheim zu finanzieren. Während Mannheim prachtvolle Residenzstadt wurde, versank Düsseldorf in Bedeutungslosigkeit. Es ist also nicht verwunderlich, dass die Erinnerung an den Barockfürsten trotz der enormen Steuerlast während seiner Regentschaft bald verklärt wurde.
Der überwiegende Teil der Düsseldorfer Musiker fand nach Johann Wilhelms Tod einen Platz in der Hofkapelle in Mannheim, was als Nachweis ihres großen Könnens angesehen werden kann, galt diese Kapelle doch als eine der bedeutendsten im deutschsprachigen Raum. Die Komponisten, die dort wirkten – Johann Stamitz (1717-1757), Franz Xaver Richter (1709-1789), Ignaz Holzbauer (1711-1783), Christian Cannabich (1731-1798) und andere – wurden musikhistorisch unter dem Oberbegriff der „Mannheimer Schule“ zusammengefasst, welche stilbildend für die spätere „Wiener Klassik“ geworden ist (aus heutiger Perspektive der Inbegriff der „klassischen Musik“). Die Musiker der Mannheimer Hofkapelle wurden weit über die Grenzen der Stadt hinaus für ihre Virtuosität und spieltechnischen Fähigkeiten geschätzt. Orchestereffekte wie die „Mannheimer Rakete“ (sprich ein Crescendo), Tremoli und Vorhalte sind geradezu sprichwörtlich geworden.
Kurfürst Johann Wilhelm wird aus historischer Sicht nicht primär als großer Politiker und Staatsmann wahrgenommen, sondern eher als Kenner und Mäzen der Künste und als Landesvater.[18] Bis heute ist er durch das Reiterstandbild auf dem Marktplatz und den 1955 nach ihm benannten Jan-Wellem-Platz im Düsseldorfer Stadtbild präsent, mit Musik assoziierte Spuren sind dort heute nicht mehr zu finden. Das Opernhaus auf der Mühlenstraße, von dem bedauerlicherweise keinerlei Abbildungen erhalten sind, verwaiste; 1738 wurde es zur Kaserne umfunktioniert. Jahrelang fand in Düsseldorf kein Spielbetrieb mehr statt. Erst unter dem Fürsten Karl Theodor wurde wieder ein Theater eröffnet, wofür man das alte Gießhaus des Künstlers Grupello am Marktplatz herrichtete. 1747 baute eine kleine Gruppe von Bürgern das Gebäude um und begann es für Aufführungen zu nutzen, bei denen zumeist reisende Theatergruppen auftraten und zu denen nun auch die Bevölkerung Zutritt hatte. Damit war ein Grundstein dafür gelegt, dass sich Anfang des 19. Jahrhunderts ein vom Bürgertum getragenes Musikleben in Düsseldorf etablieren konnte.
Literatur
Einstein, Alfred, Italienische Musiker am Hofe der Neuburger Wittelsbacher (1614-1716). Neue Beiträge zur Geschichte der Musik am Neuburg-Düsseldorfer Hof im 17. Jahrhundert, in: Sammelbände der Internationalen Musik-Gesellschaft (E.V.) 9 (1907-1908), S. 336-424.
Kühn-Steinhausen, Hermine, Johann Wilhelm, Kurfürst von der Pfalz, Herzog von Jülich-Berg (1658-1711). Düsseldorf 1958.
Meinardus, Wolfdieter, Düsseldorf, in: Musik in Geschichte und Gegenwart, Band 3, Berlin 2004 [elektronische Ausgabe der ersten Auflage], S. 872-873.
Müller, Klaus, Jan Wellem – ein Barockfürst in Düsseldorf, Düsseldorf 2008.
Müller, Klaus, Unter pfalz-neuburgischer und pfalz-bayerischer Herrschaft (1614-1896), in: Düsseldorf. Geschichte von den Ursprüngen bis ins 20. Jahrhundert, Band 2: von der Residenzstadt zur Beamtenstadt (1614-1900), Düsseldorf 1988, S. 7-312.
Paduch, Arno, Festmusiken zu Frankfurter Kaiserwahlen und Krönungen des 17. und 18. Jahrhunderts, in: Die Musikforschung 59/Heft 3 (2006), S. 211-232.
Wirtz, Otto, Jan Wellem. Geliebter Verschwender, Erfurt 2004.
- 1: Vgl. Kühn-Steinhausen, S. 44.
- 2: Vgl. Einstein, S. 382.
- 3: Vgl. Kühn-Steinhausen, S. 39.
- 4: Vgl. Einstein, S. 398.
- 5: Zitiert nach Meinardus, S. 872-873.
- 6: Vgl. Paduch, S. 225.
- 7: Kühn-Steinhausen, S. 44-45.
- 8: Zitiert nach Einstein, S. 402.
- 9: Vgl. Kühn-Steinhausen, S. 74.
- 10: Vgl. Einstein, S. 405.
- 11: Vgl. Müller, S. 36.
- 12: Vgl. Kühn-Steinhausen, S. 70.
- 13: Vgl. Wirtz, S. 76.
- 14: Vgl. Meinardus, S. 872.
- 15: Vgl. Gerhard Croll, Steffani, Agostino. In: Musik in Geschichte und Gegenwart, Band 12, Berlin 2004 [elektronische Ausgabe der ersten Auflage], S. 1210-1211.
- 16: Vgl. Einstein, S. 406-409.
- 17: Vgl. Einstein, S. 364.
- 18: Vgl. Müller, S. 22.
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Sträter, Nina, Höfische Musik unter Kurfürst Johann Wilhelm von Pfalz–Neuburg, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/Themen/hoefische-musik-unter-kurfuerst-johann-wilhelm-von-pfalz%25E2%2580%2593neuburg/DE-2086/lido/6231c1549b1d86.57231344 (abgerufen am 06.10.2024)