Projektbeschreibung: StadtRäume der "Zwischenkriegszeit" im Rheinland und in Europa

Guido von Büren (Jülich) & Michael Gutbier (Leverkusen) & Wolfgang Hasberg (Köln)

Wortmarke des StadtRäume-Projektes. (LA MECHKY PLUS GmbH)

1. Annäherung an die „Zwischenkriegszeit“

Die Jah­re zwi­schen dem En­de des Ers­ten Welt­krie­ges und dem An­fang des Zwei­ten Welt­krie­ges wer­den im deutsch­spra­chi­gen Eu­ro­pa ge­mein­hin als „Zwi­schen­kriegs­zeit“ be­zeich­net. Die Ge­schichts­wis­sen­schaft deu­tet sie ganz un­ter­schied­lich, je nach Blick­win­kel un­ter an­de­rem als „Ur­ka­ta­stro­phe“[1] oder als „Höl­len­stur­z“,[2] ins­ge­samt aber als Pha­se be­son­ders aus­ge­präg­ter po­li­ti­scher und wirt­schaft­li­cher In­sta­bi­li­tät und Kri­sen­haf­tig­keit.[3] 

Der Be­griff „Zwi­schen­kriegs­zeit“ meint je­doch nicht über­all das Glei­che. In ein­zel­nen Län­dern, wie zum Bei­spiel den Nie­der­lan­den, wird als de­ren En­de der Zeit­punkt des Ein­mar­sches deut­scher Trup­pen (1940) an­ge­se­hen. In Ös­ter­reich wird da­ge­gen eher der „An­schlus­s“ 1938 als das En­de die­ser Pha­se be­zeich­net. In Deutsch­land wird der Be­griff we­gen der schar­fen Zä­sur des Jah­res 1933, wel­che die „Zwi­schen­kriegs­zeit“ in ei­ne Zeit der Wei­ma­rer Re­pu­blik und ei­ne Zeit des Na­tio­nal­so­zia­lis­mus teilt, für die Ent­wick­lung in Deutsch­land zwi­schen den bei­den Welt­krie­gen eher sel­ten ver­wen­det.

Wie auf Krie­ge Krie­ge fol­gen, ist im Um­feld der De­bat­ten um den Ers­ten Welt­krieg in den letz­ten Jah­ren viel dis­ku­tiert wor­den. Der Tü­bin­ger Neu­zeit­his­to­ri­ker Die­ter Lan­ge­wie­sche hat 2019 in ei­nem viel be­ach­te­ten Buch die Fra­ge auf­ge­wor­fen, ob die Krie­ge im mo­der­nen Eu­ro­pa nicht ge­ra­de­zu als „ge­walt­sa­me Leh­rer“ zu be­trach­ten sei­en. Die Krie­ge – vor al­lem die des 19. und 20. Jahr­hun­derts – hät­ten Eu­ro­pa so­weit ver­än­dert, dass es qua­si kei­ne Al­ter­na­ti­ve mehr zum Frie­den gab.[4] Das er­öff­net ei­ne hoff­nungs­fro­he Sicht auf die Zu­kunft, die je­doch durch den rus­si­schen An­griffs­krieg ge­gen die Ukrai­ne 2022 mehr als nur ei­nen Dämp­fer er­fah­ren hat. Mit He­gel könn­te dem ent­ge­gen­hal­ten wer­den, dass die ein­zi­ge Ein­sicht, wel­che die Men­schen je aus der Ge­schich­te ge­lernt ha­ben, je­ne sei, dass sie nie­mals aus ihr ge­lernt hät­ten.[5] 

Für die „Zwi­schen­kriegs­zeit“ scheint das zu stim­men. Schlie­ß­lich wur­de in Eu­ro­pa ge­ra­de ein­mal 20 Jah­re nach dem Ers­ten der Zwei­te Welt­krieg ent­facht, und zwar von Men­schen, de­nen die Gräu­el des Ers­ten Welt­krie­ges noch deut­lich vor Au­gen stan­den. Dass sie al­ler­dings ei­nen Zwei­ten Welt­krieg vom Zaun bra­chen, war den meis­ten Be­tei­lig­ten eben­so un­be­wusst wie der Um­stand, dass sie von 1918 bis 1939 in ei­ner „Zwi­schen­kriegs­zeit“ ge­lebt hat­ten. Erst aus der Re­tro­spek­ti­ve her­aus er­scheint uns die­ser Zeit­ab­schnitt – und auch nur für Mit­tel­eu­ro­pa – als ei­ne kriegs­lo­se Zeit zwi­schen zwei Krie­gen. Das aber trifft nicht für al­le eu­ro­päi­schen Staa­ten zu, wie al­lein der Abes­si­ni­en­krieg do­ku­men­tiert, den Ita­li­en 1935 vom Zau­ne brach.  Au­ßer­dem ge­stal­te­te sich das Le­ben in den un­ter­schied­li­chen Län­dern in die­ser Pha­se kei­nes­wegs gleich­för­mig.

Mit dem Pro­jekt „Stadt­Räu­me“ wird das un­ter­sucht. Denn eben­so we­nig wie es ein En­de des Ers­ten Welt­krie­ges gab, hat es ei­ne „Zwi­schen­kriegs­zeit“ ge­ge­ben. Zwar war die Ge­fahr ei­nes kom­men­den Kriegs nach 1919 nicht ge­bannt, aber sein Kom­men auch kei­nes­wegs ge­wiss. All­tags­le­ben und Po­li­tik in den Jah­ren zwi­schen 1918 und 1939 ge­stal­te­ten sich an­ders als die re­tro­spek­ti­ve Klas­si­fi­zie­rung der Nach­ge­bo­re­nen ver­mu­ten lässt.

 

2. Projektidee

Das Pro­jekt „Stadt­Räu­me“ setzt ein in­ter­na­tio­na­les Pro­jekt („Der Ers­te Welt­krieg – Eu­pho­rie und Neu­an­fang. Ent­wick­lun­gen und Wahr­neh­mun­gen in eu­ro­päi­schen Städ­ten 1914 und 1918“) fort, bei dem die Zeit des Ers­ten Welt­krie­ges aus all­tags­ge­schicht­li­cher Per­spek­ti­ve er­kun­det und in zwei Aus­stel­lun­gen so­wie in ei­nem um­fang­rei­chen Buch­pro­jekt do­ku­men­tiert wer­den konn­te.[6] In chro­no­lo­gi­scher Fol­ge schlie­ßt „Stadt­Räu­me“ dar­an an. Ver­glei­chend soll die Stadt­ent­wick­lung in acht eu­ro­päi­schen Städ­ten von 1918 bis 1939 auf­ge­ar­bei­tet wer­den. Nicht nur die äu­ße­re Ent­wick­lung mit ih­rem ma­te­ri­el­len Nie­der­schlag wird in den Blick ge­nom­men, son­dern zu­gleich die men­ta­le Ent­wick­lung der Stadt­be­völ­ke­rung.

An dem vom Jü­li­cher Ge­schichts­ver­ein 1923 e.V. und Op­la­de­ner Ge­schichts­ver­ein von 1979 e.V. Le­ver­ku­sen in­iti­ier­ten Pro­jekt neh­men Ver­ei­ne und Ein­rich­tun­gen aus den Städ­ten Brack­nell (Ver­ei­nig­tes Kö­nig­reich), Vil­le­neuve-d‘Ascq (Frank­reich), Ra­ti­bor/Ra­ci­bórz (Po­len), Ou­lu (Finn­land),  Ljublja­na (Slo­we­ni­en), Jü­lich, Le­ver­ku­sen und Schwedt/Oder (al­le Deutsch­land) teil.[7] Es hat die Lauf­zeit 2021 bis 2023.

Da­bei war – was his­to­risch zu­nächst tri­vi­al er­scheint – die Aus­gangs­la­ge in al­len acht be­tei­lig­ten Städ­ten 1918 ei­ne an­de­re. Aus der Re­tro­spek­ti­ven er­ge­ben sich in­des auch Ge­mein­sam­kei­ten un­ter­schied­lichs­ter Art, die dar­in be­ste­hen, dass Brack­nell, Le­ver­ku­sen und Vil­le­neuve d’Ascq 1918 als ei­gen­stän­di­ge po­li­ti­sche Kom­mu­nen noch gar nicht exis­tier­ten, Schwedt/Oder und Jü­lich als Gar­ni­sons­städ­te vor ähn­li­chen Pro­ble­men der Er­neue­rung stan­den oder Le­ver­ku­sen und Ra­ti­bor in­so­fern in die lang­fris­ti­gen Aus­wir­kun­gen des Ers­ten Welt­krie­ges in­vol­viert blie­ben, als sie von Be­sat­zungs­mäch­ten ver­wal­tet und über­wacht wur­den, was vor­nehm­lich ih­rer to­po­gra­phi­schen La­ge in­mit­ten von Re­gio­nen der Mon­tan­in­dus­trie ge­schul­det war.

Übersichtskarte mit den am StadtRäume-Projekt beteiligten acht Städten in sechs europäischen Ländern. (LA MECHKY PLUS GmbH)

 

Im Pro­jekt „Stadt­Räu­me“ wird aus­ge­hend von der wis­sen­schaft­li­chen Auf­ar­bei­tung der je­wei­li­gen Stadt­ent­wick­lung der eu­ro­päi­sche Ver­gleich her­ge­stellt, durch den Ge­mein­sam­kei­ten wie Un­ter­schie­de in der äu­ßer­li­chen Ent­wick­lung zum Vor­schein ge­bracht wer­den, die – wie es der zwei­ten Ziel­rich­tung des Pro­jekts ent­spricht – in Kor­re­spon­denz zur kul­tu­rel­len Ent­wick­lung ge­stellt wer­den, die als Aus­druck ei­nes men­ta­len Stadt­be­wusst­seins be­trach­tet wer­den. Auf die­sem We­ge wird das ver­schlun­ge­ne In­ein­an­der von ma­te­ri­el­len Ge­ge­ben­hei­ten und men­ta­lem Be­wusst­sein zum Vor­schein ge­bracht. Da­bei ist ent­schei­dend, dass im Rah­men des Pro­jekts ein kom­mu­na­ler, kein na­tio­na­ler Ver­gleich an­ge­strebt wird. In­so­fern sich die­ser Städ­te­ver­gleich auf die „Zwi­schen­kriegs­zeit“ be­zieht, wer­den durch ihn auch die Kon­ti­nui­tä­ten oder Brü­che auf­ge­deckt, die auf ih­re je un­ter­schied­li­che Wei­se die Vor­aus­set­zun­gen für den Be­ginn und den Ver­lauf des Zwei­ten Welt­krie­ges be­ding­ten. Da­bei wird kei­nes­wegs der Kon­struk­ti­ons­cha­rak­ter der Epo­chen­be­zeich­nung „Zwi­schen­kriegs­zeit“ ver­kannt. Der Zeit­rah­men soll aber nutz­bar ge­macht wer­den, um die Un­ter­schie­de in Stadt­ent­wick­lung und städ­ti­schem Be­wusst­sein zu ver­glei­chen. 

Die in­ter­na­tio­na­le Ko­ope­ra­ti­on im lau­fen­den Pro­jekt hat sich nicht nur in­halt­lich be­währt, son­dern sie ist vor al­lem ein Mo­tor der in­ter­na­tio­na­len Ver­stän­di­gung im Be­reich der Kul­tur. Ju­gend­li­che wer­den be­wusst ein­be­zo­gen. Sie be­ab­sich­tigt, aus der Re­gi­on her­aus die kul­tu­rel­le Zu­sam­men­ar­beit zu för­dern. Ak­teu­re der Ge­schichts­kul­tur in acht eu­ro­päi­schen Städ­ten so­wie kul­tu­rel­le In­sti­tu­tio­nen in der Rhein­re­gi­on ar­bei­ten eng zu­sam­men und ent­wi­ckeln ge­mein­sa­me Pro­duk­te (Film­bau­kas­ten, Pu­bli­ka­tio­nen, Aus­stel­lun­gen, Ver­an­stal­tun­gen, neue For­ma­te etc.), die der ge­gen­sei­ti­gen his­to­ri­schen Ver­stän­di­gung dien­lich sind, oh­ne da­bei das his­to­ri­sche Be­wusst­sein un­ge­bühr­lich zu ver­ein­heit­li­chen.

3. Projektbestandteile

Das Pro­jekt glie­dert sich in zwei Teil­pro­jek­te: 

StadtRäume – Eine europäische Kulturgeschichte zwischen 1918 und 1939 als multilingualer und variabler Filmbaukasten für die historisch-politische Bildung (StaR/UrbS)

Das Teil­pro­jekt ba­siert auf zwei Säu­len: Zum ei­nen wird in acht eu­ro­päi­schen Städ­ten die Ge­schich­te der Jah­re 1918 bis 1939 auf der Ba­sis ei­nes kul­tur­raum­se­mio­ti­schen Kon­zepts auf­ge­ar­bei­tet. Da­bei wird die Stadt als so­zia­ler Raum ver­stan­den, der sich in den Be­din­gun­gen der ma­te­ri­el­len Ge­ge­ben­hei­ten (Ar­chi­tek­tur, In­fra­struk­tur, In­sti­tu­tio­nen von Po­li­tik und Wirt­schaft etc.) her­aus­bil­det. Das Agie­ren der Stadt­ge­sell­schaft und ihr Stadt­be­wusst­sein wer­den als re­ak­ti­ve Pro­zes­se ver­stan­den, die nicht nur den so­zia­len Raum oder die Stadt­kul­tur her­aus­bil­den, son­dern si­mul­tan dar­auf zu­rück­wir­ken. Mit an­de­ren Wor­ten: ma­te­ria­le und ide­el­le Stadt­kul­tur ste­hen in ei­nem kom­ple­men­tä­ren Ver­hält­nis.

Auf­grund ih­rer he­te­ro­ge­nen Be­schaf­fen­heit und Ge­schich­te eig­nen sich die acht am Pro­jekt be­tei­lig­ten Städ­te für ei­nen Ver­gleich ih­res je­wei­li­gen Kul­tur­raums wäh­rend der Jah­re 1918 bis 1939. Die da­bei zu er­zie­len­den struk­tu­rel­len Ein­sich­ten kön­nen auf die Ge­gen­wart über­tra­gen wer­den und als sol­che für die his­to­risch-po­li­ti­sche Er­wach­se­nen- und Ju­gend­bil­dung frucht­bar ge­macht wer­den. 

Da­mit ist die zwei­te Säu­le an­ge­spro­chen, die auf dem Fun­da­ment der stadt­ge­schicht­li­chen For­schung fu­ßt; sie steht im Zen­trum von StaR / UrbS. Aus der his­to­ri­schen For­schung her­aus ent­ste­hen zir­ka 100 Film­clips. Die­se Samm­lung kann in un­ter­schied­li­chen For­men kom­bi­niert wer­den, so dass sich mit ihr un­ter­schied­li­che Ge­schich­ten über die stadt­ge­schicht­li­che Ent­wick­lung 1918-1939 fil­misch er­zäh­len las­sen. So­wohl die Stadt­ge­schich­te ei­ner Stadt als auch Stadt­ge­schich­ten im bi- oder mul­ti­la­te­ra­len Ver­gleich oder so­gar ei­ne ge­samt­eu­ro­päi­sche Ent­wick­lung kön­nen durch die Kom­bi­na­ti­on der Clips dar­ge­stellt wer­den. Auf­grund der Mehr­spra­chig­keit der Clips sind bi- oder mul­ti­lin­gua­le Va­ri­an­ten mög­lich.

Die Kom­bi­na­ti­ons­viel­falt lässt un­ter­schied­li­che di­dak­ti­sche Kon­zep­tio­nen zu. Da­mit Fil­me ent­ste­hen, die den Stan­dards der his­to­risch-po­li­ti­schen Di­dak­tik ent­spre­chen, wird si­mul­tan mit dem Di­gi­tal Clip Kit (DCK) ei­ne di­dak­ti­sche Hand­rei­chung ent­wi­ckelt. Es er­läu­tert, wie aus den Clips Fil­me her­ge­stellt und in der Bil­dungs­ar­beit ein­ge­setzt wer­den kön­nen (Clips build His­to­ry = Cb­His). Die Ka­te­go­ri­sie­rung der The­men in die Be­rei­che Po­li­tik, Ge­sell­schaft, Wirt­schaft und Kul­tur bei gleich­zei­ti­ger Per­spek­ti­vie­rung un­ter die As­pek­te In­ter­na­tio­na­li­sie­rung und Mo­der­ni­sie­rung macht die Film­clips un­ter­ein­an­der an­schluss­fä­hig.

Das DCK als auch das Cb­His wer­den im ge­mein­sa­men Pro­zess, der par­al­lel mit der his­to­ri­schen For­schungs­ar­beit läuft, kon­zi­piert und mit der Un­ter­stüt­zung von in­ter­na­tio­na­len Ex­per­ten für Ge­schichts­di­dak­tik und für di­gi­ta­le Me­di­en rea­li­siert. In der End­pha­se des Pro­jekts wer­den sie in ei­ne In­ter­net­prä­senz über­führt, die bei­des per­ma­nent ver­füg­bar macht und so zu ei­nem neu­en In­stru­ment der his­to­risch-po­li­ti­schen Bil­dungs­ar­beit in Eu­ro­pa wer­den kann, das be­lie­big er­wei­ter­bar ist.

StadtRäume – rheinische und europäische Städte als Kulturräume in der „Zwischenkriegszeit“ (1918–1939) (StaR/UrbS)

Zen­tra­les Ziel die­ses Teil­pro­jek­tes[8] ist die För­de­rung ei­nes eu­ro­päi­schen Ge­schichts­be­wusst­seins als Ba­sis eu­ro­päi­scher Iden­ti­tät. Ge­meint ist kein ein­heit­li­ches, son­dern ein dy­na­mi­sches und dis­kur­si­ves Ge­schichts­be­wusst­sein, das sich ver­än­dern­den Ver­hält­nis­sen an­pas­sen und im per­ma­nen­ten Ge­spräch über Ge­schichts­deu­tun­gen blei­ben kann. Ein Netz­werk aus 14 In­sti­tu­tio­nen in drei deut­schen und fünf eu­ro­päi­schen Städ­ten un­ter­sucht die Stadt­kul­tur vor Ort. Durch Ver­gleich der Be­fun­de wird Eu­ro­pa als Kon­strukt aus geo­gra­phi­schem und kul­tu­rel­lem Raum er­kenn­bar und die Ein­sicht ge­för­dert, dass un­ter­schied­li­che Vor­aus­set­zun­gen für die eu­ro­päi­sche In­te­gra­ti­on be­ste­hen, wes­halb kein ein­heit­li­ches Ge­schichts­bild an­zu­stre­ben ist. Bil­dungs­ar­beit legt die Ba­sis, dass mög­lichst brei­te Krei­se in Eu­ro­pa da­zu be­fä­higt wer­den, über ihr auf un­ter­schied­li­chen Er­fah­run­gen be­ru­hen­des his­to­ri­sches Be­wusst­sein ins Ge­spräch zu kom­men. Da­für ist die Be­fas­sung mit dem städ­ti­schen Nah­raum durch des­sen Nied­rig­schwel­lig­keit bes­ser ge­eig­net als die na­tio­na­le Ge­schich­te, die zu­dem häu­fig in ho­hem Ma­ße po­li­tisch kon­no­tiert ist.

Al­le Part­ner sind mit his­to­ri­scher Ar­beit seit lan­gem ver­traut. Sie be­schäf­ti­gen und un­ter­stüt­zen His­to­ri­ker, Stu­die­ren­de, al­te und jun­ge ge­schichts­in­ter­es­sier­te Lai­en. StaR/UrbS steht ei­nem brei­ten Kreis of­fen und för­dert die Zu­sam­men­ar­beit von haupt- und eh­ren­amt­li­chen Ex­per­ten der städ­ti­schen Ge­schich­te und Kul­tur. In Form von re­gel­mä­ßi­gen Sym­po­si­en und Work­shops wird am lo­kal­ge­schicht­li­chen Ge­gen­stand ge­ar­bei­tet und sei­ne (ge­schichts-)kul­tu­rel­len Ei­gen­hei­ten her­aus­ge­stellt.[9] 

Die Projektlandschaft StadtRäume. (Anfertigung der Autoren)

 

Die Be­fun­de wer­den durch Vor­trä­ge, Aus­stel­lun­gen, Pu­bli­ka­tio­nen so­wie me­di­al und in­ter­ak­tiv in di­gi­ta­ler als auch ana­lo­ger Form ei­nem brei­ten Pu­bli­kum ver­mit­telt. Die Ent­wick­lung sol­cher For­ma­te ist ex­pli­zi­tes Ziel. Da­zu sind der in­ter­na­tio­na­le Aus­tausch und das in­ter­ge­ne­ra­tio­nel­le Ge­spräch hilf­reich. Un­ab­ding­bar ist es, ein di­dak­ti­sches Kon­zept zu ent­wi­ckeln, das der his­to­risch-po­li­ti­schen Bil­dungs­ar­beit und dem „De­mo­kra­ti­e­ler­nen“ durch his­to­ri­sche Re­fle­xi­on ver­gan­ge­ner und ge­gen­wär­ti­ger Zu­stän­de die­nen kann. Die kon­zi­pier­ten Me­di­en und Me­tho­den sind auf an­de­re Fel­der his­to­risch-­po­li­ti­scher Bil­dung über­trag­bar.

Regionale und lokale Umsetzung des Teilprojektes in der Rheinschiene, Leverkusen und Jülich: „1923 – Wendejahr der Weimarer Republik im Westen“

Die bei­den oben ge­nann­ten Teil­pro­jek­te wer­den in den be­tei­lig­ten Städ­ten durch die dort an­säs­si­gen Ko­ope­ra­ti­ons­part­ner und lo­ka­len Netz­wer­ke ei­gen­stän­dig durch­ge­führt. Hier­bei wur­de aus­ge­hend von der Städ­te­part­ner­schaft Le­ver­ku­sen – Ra­ci­bórz ein zu­sätz­li­ches Teil­pro­jekt ent­wi­ckelt, in dem die Rhein-Ruhr-Re­gi­on und Ober­schle­si­en im Hin­blick auf die kri­sen­haf­te Si­tua­ti­on der frü­hen 1920er-Jah­re mit­ein­an­der ver­gli­chen wer­den.[10] 

Neuseeländischer Soldat der britischen Besatzungstruppen vor dem Opladener Aloysianum, um 1920. (Stadtarchiv Leverkusen, 6006.01.014)

 

Für das auf das Rhein­land be­zo­ge­ne Teil­pro­jekt steht das Jahr 1923 als „Wen­de­jahr der Wei­ma­rer Re­pu­blik im Wes­ten“ im Mit­tel­punkt der Über­le­gun­gen: Die frü­hen 1920er-Jah­re be­deu­ten­den für den rhei­ni­schen Raum ei­ne Zeit gro­ßer Her­aus­for­de­run­gen. Nach dem Ers­ten Welt­krieg wur­den wei­te Tei­le des Rhein­lands un­ter Be­sat­zung der Sie­ger­mäch­te Groß­bri­tan­ni­en, Frank­reich, Bel­gi­en und die Ver­ei­nig­ten Staa­ten ge­stellt. An­fang 1923 es­ka­lier­te die Si­tua­ti­on, als bel­gi­sche und fran­zö­si­sche Trup­pen das Ruhr­ge­biet als Zwangs­maß­nah­me ge­gen das Deut­sche Reich be­setz­ten, das sich un­ter an­de­rem an­ge­sichts ei­ner ga­lop­pie­ren­den In­fla­ti­on nicht mehr in der La­ge sah, die auf­er­leg­ten Re­pa­ra­ti­ons­zah­lun­gen zu be­die­nen. In der Fol­ge kam es zu ei­nem Ge­ne­ral­streik, den die Be­sat­zungs­trup­pen mit Waf­fen­ge­walt ver­hin­dern woll­ten. Hin­zu trat ein se­pa­ra­tis­ti­scher Auf­stand, der ei­ne vom Deut­schen Reich un­ab­hän­gi­ge Rhei­ni­sche Re­pu­blik zum Ziel hat­te. Nur durch das be­son­ne­ne Ein­grei­fen der wei­te­ren Sie­ger­mäch­te konn­te die Ge­samt­si­tua­ti­on ent­schärft wer­den. Es mu­tet wie ein Wun­der an, dass sich die Wirt­schaft im Wes­ten bald wie­der er­hol­te. Auch das Be­sat­zungs­re­gi­ment wur­de kon­zi­li­an­ter. Zwei Jah­re nach der kom­ple­xen und kri­sen­haf­ten Si­tua­ti­on 1923 be­ging man im Rhein­land mit gro­ßem Auf­wand die so­ge­nann­te Jahr­tau­send­fei­er. An­lass war die ver­meint­lich 1000jäh­ri­ge Zu­ge­hö­rig­keit der Rhein­lan­de zum mit­tel­al­ter­li­chen deut­schen Reich. Rhein­land­weit fan­den Ver­an­stal­tun­gen statt, die die­ses Ju­bi­lä­um als Mo­ment na­tio­na­ler Selbst­ver­ge­wis­se­rung nutz­ten.[11] Aus der Be­trach­tung lo­ka­ler Bei­spie­le er­gibt sich ein fa­cet­ten­rei­ches Ge­samt­bild, das ei­ne Be­völ­ke­rung zeigt, die hin und her ge­ris­sen war zwi­schen den spür­ba­ren Nach­wir­kun­gen des ver­lo­re­nen Ers­ten Welt­krie­ges mit den ent­spre­chen­den ma­te­ri­el­len wie im­ma­te­ri­el­len Ver­lus­ter­fah­run­gen so­wie den sich er­ge­ben­den Mög­lich­keits­räu­men ei­ner sich teil­wei­se ra­sant er­neu­ern­den Ge­sell­schaft in der De­mo­kra­tie der Wei­ma­rer Re­pu­blik.[12]

Auf der Ba­sis his­to­ri­scher Re­cher­chen, die an­ge­sichts des skiz­zier­ten raum­se­mio­ti­schen For­schungs­an­sat­zes teil­wei­se den Cha­rak­ter von Grund­la­gen­ar­beit hat­ten, er­folgt die ge­mein­sa­me Ent­wick­lung und Durch­füh­rung von Ver­an­stal­tungs­an­ge­bo­ten im Rhein­land im Prä­sen­ta­ti­ons­jahr 2023, das sich nicht nur auf his­to­ri­sche As­pek­te kon­zen­triert, son­dern die Kul­tur der Zeit ei­nem brei­ten Pu­bli­kum öff­net. Ge­plant sind Aus­stel­lun­gen, Pu­bli­ka­tio­nen, Vor­trä­ge, Le­sun­gen so­wie Ex­kur­sio­nen und Work­shops. Hier­bei bil­det ei­ne Dop­pel­aus­stel­lung in Jü­lich und Le­ver­ku­sen das zen­tra­le An­ge­bot. Die Dop­pel­aus­stel­lung, die im Sep­tem­ber 2023 er­öff­net, wird das Er­geb­nis der in­ter­kom­mu­na­len Zu­sam­men­ar­beit zwi­schen Jü­lich und Le­ver­ku­sen sein, wo­bei die Pro­jekt­trä­ger­schaft bei den bei­den ört­li­chen Ge­schichts­ver­ei­nen (Jü­li­cher und Op­la­de­ner Ge­schichts­ver­ein) liegt. Die Aus­stel­lung wird so ge­stal­tet, dass sie in der his­to­risch-po­li­ti­schen Bil­dungs­ar­beit ge­ne­ra­tio­nen­über­grei­fend an­schluss­fä­hig ist. Da­für wer­den spe­zi­el­le in­ter­ge­ne­ra­ti­ve Ver­mitt­lungs­an­ge­bo­te ent­wi­ckelt, die über die be­grenz­te Lauf­zeit der Aus­stel­lung hin­aus ver­wend­bar sein wer­den.[13] 

Aus­ge­hend vom Kri­sen­jahr 1923 be­rück­sich­tigt die Aus­stel­lung im Be­son­de­ren Fra­gen hin­sicht­lich des Zu­sam­men­hangs von Kul­tur- und Stadt­ent­wick­lung so­wie städ­ti­schem Be­wusst­sein in den Jah­ren 1918 bis 1939. Was för­dert ei­ne Über­prü­fung der Epo­chen­be­zeich­nung „Zwi­schen­kriegs­zeit“ aus stadt­ge­schicht­li­cher Sicht zu­ta­ge? Die Aus­stel­lung möch­te dar­über hin­aus ei­nen Bei­trag leis­ten für die eu­ro­pa­weit mit­ein­an­der ver­netz­te Ver­mitt­lung kul­tur- und stadt­his­to­ri­scher Ar­beit.

4. Cluster im Portal Rheinische Geschichte

Da­zu dient auch die­ses The­men­clus­ter in­ner­halb des Por­tals Rhei­ni­sche Ge­schich­te, wel­ches vom LVR-In­sti­tut für Lan­des­kun­de und Re­gio­nal­ge­schich­te be­treut wird. Be­reits vor­han­de­ne Au­to­ren­tex­te zur Ge­schich­te rhei­ni­scher Kom­mu­nen und Per­sön­lich­kei­ten in der „Zwi­schen­kriegs­zeit“ wer­den mit ei­gens im Rah­men von „Stadt­Räu­me“ ent­stan­de­nen Bei­trä­gen ver­knüpft. So wird ein neu­ar­ti­ger Zu­gang zur rhei­ni­schen Ge­schich­te zwi­schen den bei­den Welt­krie­gen ge­schaf­fen.[14] 

Gruppenbild zur Eröffnung der Heimat-Schau im Jülicher Rathaus anlässlich der Jahrtausendfeier 1925. (Stadtarchiv Jülich)

 
Anmerkungen
  • 1: Kennan, George F., The Decline of Bismarck’s European Order, Princeton 1979, S. 3.
  • 2: Kershaw, Ian, Höllensturz. Europa 1914 bis 1949, München 2016.
  • 3: Vgl. etwa Hobbsbawm, Eric, Das Zeitalter der Extreme. Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts, Darmstadt 2019, insb. S. 37–281, der die Zeit 1918–1945 aus einer globalen Perspektive als „Katastrophenzeitalter“ behandelt.
  • 4: Langewiesche, Dieter, Der Gewaltsame Lehrer. Europas Kriege in der Moderne, München 2019.
  • 5: Hegel, Georg Wilhelm Friedrich, Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte (Werkausgabe, Bd. 12), Frankfurt a. M. 1970, S. 17.
  • 6: Vgl. Büren, Guido von/Gutbier, Michael D./Hasberg, Wolfgang (Hg.), Kriegsenden in europäischen Heimaten. Bracknell, Haubourdin, Jülich, Leverkusen, Ljubljana, Racibórz, Schwedt, Villeneuve d’Ascq, Neustadt an der Aisch 2019.
  • 7: Die Städte sind – außer Jülich – die europäischen Partnerstädte Leverkusens.
  • 8: Förderung u. a. durch das EU-Programm „Europa für Bürgerinnen und Bürger“, Regionale Kulturpolitik NRW, Regionale Kulturförderung LVR, Heimat-Fonds NRW und die NRW-Stiftung
  • 9: Projekt-Workshops fanden 2021 in Ljubljana und Leverkusen/Jülich statt, 2022 in Potsdam/Schwedt (Oder), Villeneuve d’Ascq und Racibórz sowie 2023 in Brüssel und Oulu (geplant für Mai 2023). Angedacht ist noch ein Abschluss-Workshop im Oktober 2023 in Bracknell. Zwei Workshops im Jahr 2020 in Kooperation mit der Thomas-Morus-Akademie Bensberg haben die Projektarbeit des Gesamtprojektes sowie der beiden Teilprojekte konstituiert und strukturiert: 10. bis 12. Juli 2020: „StadtRäume – kulturgeschichtliche Annäherungen an die ‚Zwischenkriegszeit‘ im Rheinland (und Europa)“ und 30. Oktober bis 1. November 2020: „Aufbruch, Neugestaltung und Kontinuitäten. Europäische Stadtentwicklung in der Zwischenkriegszeit (1918–1939)“.
  • 10: Am 2. und 3. Juni 2023 findet am Oberschlesischen Landesmuseum Ratingen die wissenschaftliche Konferenz „Konkurrierende Grenzräume im historischen Vergleich (I). Die Rheinprovinz und die Provinz Oberschlesien nach dem Ersten Weltkrieg“ statt.
  • 11: Vgl. Cepl-Kaufmann, Gertrud (Hg.): Jahrtausend- und Befreiungsfeiern im Rheinland, Essen 2009.
  • 12: Zu den Möglichkeitsräumen vgl. etwa Cepl-Kaufmann, Gertrud: 1919 – Zeit der Utopien. Zur Topographie eines deutschen Jahrhundertjahres, Bielefeld 2019.
  • 13: Alle Veranstaltungsangebote sind auf der Projekthomepage https://star-urbs.eu abrufbar.
  • 14: Zur Konturierung des Clusters diente eine virtuelle vierteilige Vortragsreihe „Weimar in der Region“ im Jahr 2021 und der Studientag „Modernisierung und Internationalisierung? Landesgeschichtliche Perspektiven auf rheinische Kommunen im regionalen und internationalen Umbruch 1918–1933“ am 13.8.2022 in Leverkusen.
Zitationshinweis

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von Büren, Guido, Gutbier, Michael, Hasberg, Wolfgang, Projektbeschreibung: StadtRäume der "Zwischenkriegszeit" im Rheinland und in Europa, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/Themen/projektbeschreibung-stadtraeume-der-%2522zwischenkriegszeit%2522-im-rheinland-und-in-europa/DE-2086/lido/63f4975c046e56.00310403 (abgerufen am 26.09.2023)