Schach am Mittelrhein

Thomas Bohn (Koblenz)

Erste Mittelrhein-Einzelmeisterschaft nach dem Krieg, 1947.

1. Das Schachspiel am Mittelrhein vor 1800

Seit dem 9. Jahr­hun­dert brei­te­te sich das Schach­spiel über den ara­bi­schen Raum in Mit­tel­eu­ro­pa aus, be­son­ders in der Zeit der Kreuz­zü­ge. Ein frü­hes Sach­zeug­nis aus dem 11. Jahr­hun­dert stellt ein klei­ner Bron­ze­läu­fer aus der un­ter­ge­gan­ge­nen Burg­an­la­ge Har­pel­stein bei Ho­rath (Ver­bands­ge­mein­de Thal­fang) dar. Die­se An­la­ge war seit der Spät­ka­ro­lin­ger­zeit und dann für die Trie­rer Erz­bi­schö­fe von gro­ßer Be­deu­tung. Das auf ei­ner Kle­ri­ker­syn­ode in Trier 1310 er­gan­ge­ne Ver­bot für al­le Geist­li­chen, Schach zu spie­len, zeigt, dass das kö­nig­li­che Spiel nicht nur der hö­fi­schen Sphä­re zu­zu­rech­nen ist, son­dern auch der kle­ri­ka­len.

 

Auch für die Pro­duk­ti­on von Schach­hand­schrif­ten war Köln das Zen­trum am Rhein. Die grund­le­gen­de Um­stel­lung der bis heu­te gül­ti­gen Schach­re­geln um 1500 lässt sich sehr bald auch in rhei­ni­schen Hand­schrif­ten und Früh­dru­cken nach­voll­zie­hen. Aus­druck ei­ner im­mer grö­ße­ren Ver­bür­ger­li­chung des Schach­spiels da­nach ist, dass sich die öf­fent­li­chen Or­te des Spiels haupt­säch­lich in den Kaf­fee­häu­sern der rhei­ni­schen Re­si­denz­städ­te fin­den las­sen.

2. Organisiertes Schachspielen im 19. Jahrhundert – Honoratiorenklubs

Für das rhei­ni­sche Schach­le­ben stellt der Er­werb der Rhein­pro­vinz durch Preu­ßen 1815 ei­nen lang an­dau­ern­den Auf­schwung dar. Frei­lich sind die Zeug­nis­se dar­über auch in die­ser Re­gi­on für die Zeit vor 1860 eher spär­lich. Aus den teils noch pri­va­ten Schach­zir­keln in den bür­ger­li­chen Sa­lons und Le­se­ge­sell­schaf­ten und den Bür­ger- und Mi­li­tär­ka­si­nos ist vor al­lem der für 1819/1820 be­zeug­te Bon­ner „Schach­ver­ein“ von Au­gust Wil­helm Schle­gel her­aus­zu­he­ben. An­ge­sichts die­ser Bin­dung an die Uni­ver­si­tät ist es ver­ständ­lich, dass sich zum Bei­spiel in Bonn erst 1905 ein re­gel­rech­ter Schach­ver­ein end­gül­tig eta­blier­te. In Ko­blenz hat­te die al­te bür­ger­li­che Ca­si­no-Ge­sell­schaft von 1808 dem Schach­spiel in dem 1871 fer­tig­ge­stell­ten Ka­si­no­ge­bäu­de so­gar ei­ge­ne Räum­lich­kei­ten („den Bil­lard-, Schach- und Skat­freun­den“) zur Ver­fü­gung ge­stellt, so dass auch hier erst 1903 end­gül­tig die Grün­dung ei­nes re­gel­rech­ten Schach­klubs er­folg­te. Die groß­bür­ger­li­che Ko­blen­zer Ka­si­no­ge­sell­schaft muss zeit­wei­se ge­ra­de­zu als ein Treff­punkt des rhei­ni­schen Schach­le­bens be­zeich­net wer­den. 1855 spiel­te et­wa der be­kann­te Schach­his­to­ri­ker, der Wies­ba­de­ner Bi­blio­the­kar An­to­ni­us van der Lin­de (1833-1897), im Ka­si­no sei­ne ers­te Schach­par­tie. 1822 war es das Ka­si­no­mit­glied und Stadt­rat Va­len­tin Mos­ler (1786-1850), der sei­ne Über­set­zung der wich­ti­gen schach­theo­re­ti­schen Schrif­ten („Das Schach­spiel nach dem Ita­lie­ni­schen des Au­to­re Mo­de­nese“) des Lo­ren­zo Pon­zia­ni (1719-1796) her­aus­gab. Hier­bei zeig­te sich der Ko­blen­zer Kon­di­tor und Kaf­fee­haus­be­sit­zer in sei­nem Vor­wort als über­aus sach­kun­di­ger und um­fas­sen­der Ken­ner der in­ter­na­tio­na­len Schach­li­te­ra­tur sei­ner Zeit. Bis En­de der 1840er Jah­re sind die­sem Ko­blen­zer ’Kreis’ zeit­wei­se im­mer wie­der zum Teil spiel­star­ke Mit­glie­der der Ber­li­ner Schach­ge­sell­schaft zu­zu­rech­nen, die an den Rhein ver­setzt wur­den: et­wa der ge­hei­me Ober­tri­bu­nal­rat und Mit­ar­bei­ter der Deut­schen Schach­zei­tung Ot­to von Op­pen (1783-1860), der Di­plo­mat und „Welt­klas­se­spie­ler“ Thas­si­lo von Heyde­brand und der La­sa (1818-1899), der (spä­te­re Ge­ne­ral) Her­mann von Han­ne­ken (1810-1886) so­wie der Leut­nant und vor­ma­li­ge Bon­ner Stu­dent Alex­an­der von der Goltz (1819-1858). Letz­te­rer hat­te durch sei­ne Dienst­rei­sen ei­nen gu­ten Über­blick über die Schach­zir­kel der rhei­ni­schen Städ­te vor 1850 er­hal­ten. In sei­nem Auf­satz „Schach­le­ben am Rhei­ne“ zog er den Ko­blenz-Eh­ren­breit­stei­ner Schach­zir­kel, zu dem auch der Schul­rat Dr. Diet­rich Land­fer­man (1800-1882) ge­hört ha­ben dürf­te, so­gar den­je­ni­gen aus Mainz, Worms, Mann­heim oder Köln vor.

Als der Bres­lau­er Ma­the­ma­tik­leh­rer Adolph An­ders­sen (1818-1879) das ers­te Welt­schach­tur­nier in Lon­don 1851 - kurz zu­vor hat­te der Spit­zen­be­am­te von der La­sa noch in Be­tracht ge­zo­gen, die­ses Tur­nier in Aa­chen oder Trier aus­zu­tra­gen - ge­won­nen hat­te, kam es über die deut­sche Schach­welt hin­aus nicht nur zu na­tio­na­len „Auf­wal­lun­gen“, son­dern auch zur ers­ten Grün­dungs­wel­le re­gu­lä­rer Schach­ver­ei­ne im Deut­schen Bund (1851 Bar­men, El­ber­feld, Köln, Kre­feld; 1854 Düs­sel­dorf, 1856 Aa­chen, 1857 We­sel, 1859 Bonn, 1860 Idar-Ober­stein). Die­se Ho­no­ra­tio­ren­ver­ei­ne grün­de­ten am 22.9.1861 in Düs­sel­dorf den West­deut­schen Schach­bund, der bis 1880 jähr­lich glanz­vol­le Schach­kon­gres­se (ins­ge­samt 13) or­ga­ni­sie­ren soll­te. Bei die­sen den ge­sell­schaft­li­chen Ver­kehr be­to­nen­den Kon­gres­sen bil­de­te der Schach­sport nur ei­nen Teil­as­pekt. An den gut do­tier­ten Tur­nie­ren nah­men zu­neh­mend auch (teil­wei­se pro­fes­sio­nel­le) Spit­zen­spie­ler wie der Leip­zi­ger Dr. Max Lan­ge (1832-1899), Gus­tav Neu­mann (1838-1881) aus Ber­lin, der „Welt­meis­ter“ Adolph An­ders­sen, der pol­nisch-deut­sche Jo­han­nes Zu­ker­t­ort (1842-1888) aus Lon­don oder Louis Paul­sen (1833-1891) aus Lip­pe teil. Da sich hier­aus in­ter­na­tio­na­le „Gro­ß­meis­ter“­tur­nie­re ent­wi­ckel­ten (Bar­men 1869), wur­den für die star­ken Ama­teu­re ’Haupt­tur­nie­re’ ein­ge­rich­tet, die bis in die 1930er Jah­re die Ama­teur­meis­ter­ka­te­go­rie blieb.

Spiellokal des ersten Koblenzer Schachvereins von 1883/84 „Zum Münchener Kindl“ in der Schloßstraße, um 1890. (Stadtarchiv Koblenz)

 

Der Deut­sche Schach­bund rich­te­te zwi­schen 1879 und 1943 38 gro­ße Kon­gres­se aus, an de­nen rhei­ni­sche Spie­ler mit be­deu­ten­den Er­fol­gen teil­nah­men. Die Kur­or­te Ba­den-Ba­den, Bad Ems und Wies­ba­den aus dem Nach­bar­be­reich des 1873 ge­grün­de­ten Süd­west­deut­schen Schach­bun­des rich­te­ten sol­che Gro­ß­meis­ter­tur­nie­re ab 1870 häu­fi­ger aus. Da die ge­ra­de vom West­deut­schen Schach­bund be­trie­be­ne Grün­dung des Deut­schen Schach­bun­des schlie­ß­lich 1877 ge­lang, lös­te der 1880 ge­grün­de­te, re­gio­nal en­ger ge­fass­te Ber­gisch-Mär­ki­sche Schach­ver­band (bis 1899) sei­nen West­deut­schen Vor­gän­ger ab. In nörd­li­cher Ab­gren­zung da­zu gab es ab 1887 den West­fä­li­schen Schach­bund. Im nörd­li­chen Rhein­land exis­tier­ten vor 1900 nur in Trier und 1883/84 in Ko­blenz Schach­klubs. Un­ter den Grün­dungs­mit­glie­dern des ech­ten Ho­no­ra­tio­ren­ver­eins SV 03 Ko­blenz be­fan­den sich un­ter an­de­rem der rhei­ni­sche Kä­fer- und Fau­na­for­scher Jus­tiz­rat Karl Rött­gen (1859-1925) und der be­kann­te Tu­ber­ku­lo­se­arzt Os­kar Sa­lo­mon (1875-1933). Der noch äl­te­re SK Trier 1877 war qua­si nur durch die In­itia­ti­ve sei­nes Vor­sit­zen­den ge­grün­det und des­sen 50jäh­ri­ges En­ga­ge­ment fort­be­ste­hen ge­blie­ben.

Der langjährige Vereinsvorsitzende des SV 03 und Gründer des Mittelrheinischen Schachbundes Rudolf Nonne (1890-1936).

 

Ei­nen gro­ßen An­schub für das rhei­ni­sche Schach­le­ben be­deu­te­te der XI. Schach­kon­gress des DSB 1898 in Köln, so dass 1901 in Düs­sel­dorf der Nie­der­rhei­ni­sche Schach­bund (bis 1912) ge­grün­det wur­de, des­sen gut do­tier­te in­ter­na­tio­na­le Haupt­tur­nie­re als „Meis­ter­schaft von Rhein­land und West­fa­len“ gal­ten. Der NS­RV um­fass­te En­de 1904 nur 21 Ver­ei­ne mit 709 Mit­glie­dern im Ge­biet der preu­ßi­schen Rhein­pro­vinz (ein­schlie­ß­lich Trier), der DSB Mit­te 1907 nur 118 Ver­ei­ne mit 3.752 Mit­glie­dern. Ein Ver­ein konn­te ei­nem Lan­des­ver­band an­ge­hö­ren, oh­ne gleich­zei­tig Mit­glied des DSB sein zu müs­sen, wes­halb die Zahl der Ver­ei­ne ins­ge­samt um ei­ni­ges hö­her an­zu­set­zen ist. Die Ver­an­stal­tun­gen die­ses re­gen ho­no­ri­gen Ver­ban­des – ins­be­son­de­re die „Mas­sen­kämp­fe" ge­gen den Nie­der­län­di­schen Schack­bond – wa­ren so at­trak­tiv, dass ne­ben dem SV 1903 Ko­blenz auch SK 1907 An­der­nach, SC 1908 Neu­wied und SC 1909 May­en bei­tra­ten. Um sei­ner wach­sen­den Nord-Ost Aus­deh­nung ge­recht zu wer­den, nann­te sich der NRSV 1912 um in Rhei­nisch-West­fä­li­scher Schach­bund, was aber Per­so­nen et­wa aus Tra­ben-Trar­bach nicht hin­der­te, Ein­zel­mit­glie­der zu wer­den. Wäh­rend des Krie­ges wur­de Schach ge­ra­de in den Gar­ni­sons­städ­ten zur Trup­pen­be­treu­ung be­son­ders ge­pflegt.

3. Der Aufschwung nach 1918 bis 1933 – Bürgertum neben Arbeiterschach

Trotz al­ler Hemm­nis­se durch die fran­zö­si­sche Be­sat­zungs­po­li­tik grün­de­te am 23. 5. 1920 der Ko­blen­zer Kauf­mann und Ver­eins­vor­sit­zen­de (1920-1936) Ru­dolf Non­ne (1890-1936) in Bad Ems den Mit­tel­rhei­ni­schen Schach­ver­band mit den Grün­dungs­mit­glie­dern Aren­berg/Ko­blenz, Darm­stadt, Gie­ßen, Hof­heim, 03 Ko­blenz, Lon­nig/Mo­sel, May­en, Neu­wied, Wies­ba­den. Die deut­lich süd­li­che­re Aus­rich­tung des Ver­ban­des auch über die Gren­zen der Rhein­pro­vinz hin­aus zeigt sich auch beim Haupt­ort Bad Ems, wo – un­ter­stützt durch ortan­säs­si­ge Mä­ze­ne und die Kur­ver­wal­tung – bis 1934 sehr gut or­ga­ni­sier­te Ein­zel­meis­ter­schaf­ten (Mar­mor­saal) aus­ge­rich­tet wur­den. Sei­ne süd­li­che Ab­gren­zung hat­te der MRSV, des­sen Bun­des­ge­biet weit über den Mit­tel­rhein hin­aus bis Frank­furt, Mar­burg und Trier reich­te, in den 1921 ge­grün­de­ten Saar­län­di­schen und Pfäl­zi­schen Schach­ver­bän­den, wo­bei letz­te­rer bis 1939 ei­nen Un­ter­ver­band des Baye­ri­schen Schach­ver­ban­des dar­stell­te.

Schachkongress des Mittelrheinischen Schachbundes 1931 in Bad Ems.

 

Der vor 1924 ge­grün­de­te „Hes­si­sche Tur­nier­ver­ban­d“ und be­son­ders der „Köl­ner Zweck­ver­ban­d“ wa­ren da­ge­gen dem MRSV teil­wei­se eng an­ge­schlos­sen. Dem Mot­to („He­bung und För­de­rung des Schach­spiels am Mit­tel­rhein“) des neu­en Ver­ban­des ge­mäß, be­gann ei­ne vom Ver­bands­vor­stand stark ge­för­der­te, his­to­risch ein­ma­li­ge Grün­dungs­wel­le von Schach­ver­ei­nen, die bis in die 30er Jah­re an­hielt. Ver­eins­mann­schafts­meis­ter­schaf­ten gab es im Rhein­land vor 1927 nur in Form von Freund­schafts-Städ­te­kämp­fen, die im­mer auch ei­nen Fest- und Aus­flug­scha­rak­ter (häu­fig zwi­schen Früh­jahr und Herbst) hat­ten. Das stand in Ein­klang mit der da­mals schon ver­al­te­ten Auf­fas­sung ei­ni­ger äl­te­rer rhei­ni­scher Meis­ter wie der des Köl­ner Ver­bands­vor­sit­zen­den Prof. Dr. Karl Deich­mann (1870-1940) oder des Frank­fur­ter Ma­the­ma­ti­kers Dr. Na­than Mann­hei­mer (ge­bo­ren 1860), dass der neu­ar­ti­ge Sport- und Pro­fi­cha­rak­ter des Spit­zen­schachs ab­zu­leh­nen sei und man wei­ter­hin am „ro­man­ti­schen“ Kunst­cha­rak­ter des Spiels fest­hal­ten soll­te. Die letzt­lich er­folg­rei­che mo­der­ne Auf­fas­sung vom Wett­kampf- und Wis­sen­schaftscha­rak­ter des „Schach­sports“ ver­tra­ten da­ge­gen die jün­ge­ren Meis­ter, et­wa der Düs­sel­dor­fer Dr. Al­fred van Nüß (1896-1961), der ge­gen den spä­te­ren hol­län­di­schen Welt­meis­ter (aber Ama­teur!) Dr. Max Eu­we (1900-1980) im Wett­kampf ein 1-1 er­reich­te. Ne­ben dem Kon­gres­sort Bad Ems wa­ren Köln, wo die Rhei­ni­sche Schach­zei­tung bis 1933 er­schien und die Welt­klas­se­spie­ler Ri­chard Re­ti (1889-1929), Aron Nim­zo­witsch (1886-1935) und Ru­dolf Spiel­mann (1882-1943) zeit­wei­lig wohn­ten be­zie­hungs­wei­se Meis­ter­schu­lun­gen ab­hiel­ten, und Wies­ba­den (in­ter­na­tio­na­le Meis­ter­tur­nie­re, Welt­meis­ter­schaft 1929 Al­je­chin – Bo­gol­ju­bow) auch nach 1933 die wich­tigs­ten Zen­tren im MRSV. Zu­recht kann die ab 1924 (bis 1938) aus­ge­tra­ge­ne hoch do­tier­te Rhein­meis­ter­schaft als west­deut­sche Ama­teur­meis­ter­schaft be­zeich­nen wer­den, da sie von qua­li­fi­zier­ten Spie­lern aus dem Be­reich Ba­dens, Hes­sens, Nord­rheins, Saar­lands und von Rhein­land-Pfalz aus­ge­spielt wur­de. Sie­ger wur­den hier un­ter an­de­rem Dr. Deich­mann, Dr. van Nüß, Wil­helm Or­bach (Of­fen­bach 1894 – Ausch­witz 1944), Ot­to Wal­ter (03 Ko­blenz, 1894-1973), Hu­go Hus­song (Lud­wigs­ha­fen 1902-1943), Lud­wig En­gels (Düs­sel­dorf 1905-1967 Sao Pau­lo), Ger­hard Wei­ß­ger­ber (Saar­brü­cken 1905-1937) und Gün­ther Mi­cha­low­ski (Düs­sel­dorf 1911-1940 Selbst­mord Pa­ris).

Da der MRSV al­so tra­di­tio­nel­ler­wei­se zu­nächst nur Ein­zel­meis­ter­schaf­ten or­ga­ni­sier­te, wur­de am 3.7.1927 in Eh­ren­breit­stein der nicht dem DSB an­ge­hö­ren­de Rhei­nisch-Nas­saui­sche Schach­ver­band nörd­lich der Lahn und Mo­sel und der Um­ge­bung von Ko­blenz und Neu­wied ge­grün­det, … da­mit die so be­lieb­ten Ver­eins­wett­kämp­fe in ge­ord­ne­te Wei­se zum Aus­trag kom­men. Da der RNSV eher dem ’Brei­ten­sport­ge­dan­ken’ na­he stand und der MRSB eher dem des Ama­teur-Spit­zen­sports, kon­kur­rier­ten bei­de Ver­bän­de in den Jah­ren vor 1933 der­art mit­ein­an­der, dass in Ko­blenz zum Bei­spiel zwei Stadt­meis­ter­schaf­ten ne­ben­ein­an­der aus­ge­tra­gen wur­den. Der MRSV zog 1929 in sei­nen des Öf­te­ren um­be­nann­ten Un­ter­ver­bän­den (Frank­furt, Main-Tau­nus, Rhein-Mo­sel, Rhein-Na­he­gau, Rhein-Wes­ter­wald) bei den Mann­schafts­kämp­fen nach. Ge­spielt wur­de in der Re­gel an sechs Bret­tern; ei­nen Auf­stieg zu ei­ner Deut­schen Ver­eins­mann­schafts­meis­ter­schaft, die erst­mals 1938 aus­ge­tra­gen wur­de, gab es noch nicht. 1932 er­reich­te der MRSV mit der Aus­rich­tung des 27. DSB-Kon­gres­ses an Os­tern in Bad Ems sei­nen ab­so­lu­ten Hö­he­punkt (Li­ve-Ra­dio­re­por­ta­ge von Dr. La­ven), ei­ne Vor­rang­stel­lung im deut­schen Schach­le­ben. Es war näm­lich durch die Zu­sa­gen der Bad Em­ser Kur­di­rek­ti­on und von Bau­rat Karl Ot­to (ge­stor­ben 1935) ge­lun­gen, das Auf­stiegs­tur­nier zur Deut­schen Ein­zel­meis­ter­schaft end­gül­tig, al­le zwei Jah­re al­ter­nie­rend nach Ems zu ho­len.

Großmeister und Vizeweltmeister Bogoljubow spielt 1932 Simultan beim SV 03 Koblenz, 4. vorne links stehend Bogoljubow, ganz links unten sitzend der vielfache Koblenzer Stadt- und Rheinlandmeister Armand König.

 

Der all­ge­mei­ne Auf­schwung des Schach­spiels in sei­ner Ver­brei­tung und Mit­glie­der­zahl lässt sich ins­ge­samt nicht nur im „bür­ger­li­chen“ La­ger kon­sta­tie­ren. Wie in den Mas­sen­sport­ar­ten, die nach dem Ers­ten Welt­krieg ei­nen im­mer grö­ße­ren Raum in den Ta­ges­zei­tun­gen ein­nah­men, fin­det sich in der Wei­ma­rer Re­pu­blik ei­ne heu­te schwer ver­ständ­li­che Di­ver­si­fi­zie­rung der Ver­bän­de nach Welt­an­schau­ung und Be­ru­fen auch im Schach.

Am weit­aus wich­tigs­ten war hier der 1909/1911 ge­grün­de­te Deut­sche Ar­bei­ter­schach­bund, der  trotz ei­ner frü­hen Nach­richt 1913/1914 für Ko­blenz süd­lich von Köln (Ford­wer­ke) im Rhein­land nicht sehr mit­glie­der­stark war und blieb. Im­mer­hin konn­te der Köl­ner Stadt­ver­band (III. Kreis West­deutsch­land) be­reits 1923 Mann­schafts­kämp­fe („Wan­der­bret­t“) aus­tra­gen. Die in Ko­blenz und Köln er­schei­nen­den SPD – Ge­werk­schafts­na­hen „Rhei­ni­sche War­te“  und „Rhei­ni­sche Zei­tun­g“ sorg­ten mit ih­ren wö­chent­li­chen gro­ßen Schach­spal­ten für ei­nen Or­ga­ni­sa­ti­ons­grad, der im „bür­ger­li­chen La­ger“ nie­mals er­reicht wur­de. Im zen­tral ge­steu­er­ten Ar­bei­ter­sport hat­te das geis­tig schu­len­de Schach ei­nen Son­der­sta­tus; der Brei­ten­sport­cha­rak­ter wur­de da­bei be­wusst an­ge­strebt (Ar­bei­ter ler­ne den­ken) und der bür­ger­li­che Leis­tungs­ge­dan­ke ab­ge­lehnt. Im III. Kreis (1927: 3.000 Mit­glie­der in 78 Orts­grup­pen), 2. Be­zirk (Re­gie­rungs­be­zirk Ko­blenz und Trier) ge­lang erst 1927 mit gro­ßen An­stren­gun­gen durch Neu­wied und Val­len­dar die end­gül­ti­ge Grün­dung der Orts­grup­pe Ko­blenz. Grund­le­gen­de Pro­ble­me des Ar­bei­ter­schachs auch im Rhein­land wa­ren die Spal­tungs­ten­den­zen zwi­schen Kom­mu­nis­ten und SPD/Ge­werk­schaf­ten bis in die Orts­grup­pen hin­ein. Die dar­aus re­sul­tie­ren­den Dis­kus­sio­nen über­wu­cher­ten ab 1928 öf­ters den Spiel­be­trieb, so dass spä­tes­tens nach 1933 die stär­ke­ren Spie­ler in das „bür­ger­li­che La­ger“ wech­sel­ten, was zu­vor strikt ver­bo­ten war.

Ge­ra­de im Rhein­land stell­ten der Ka­tho­li­sche Jung­män­ner­ver­band und der Ka­tho­li­sche Ge­sel­len­ver­ein seit der Welt­wirt­schaft­kri­se 1929 ei­ne wei­te­re wich­ti­ge Schach­or­ga­ni­sa­ti­on auf Pfar­rei­ba­sis dar. Hier stand un­ter Lei­tung der Pfar­rer der Ge­dan­ke sinn­vol­ler Be­schäf­ti­gung und geis­ti­ger Schu­lung im Vor­der­grund. Ne­ben Köln mit über 500 Spie­lern ver­füg­te zum Bei­spiel Ko­blenz in al­len Pfar­rei­en über Orts­grup­pen, die sich all­ge­mein bis 1937 in Mann­schafts- und Ein­zel­meis­ter­schaf­ten über Be­zir­ke zu Deut­schen Meis­ter­schaf­ten qua­li­fi­zie­ren konn­ten.

Schlie­ß­lich exis­tier­ten im Rhein­land auch ei­ni­ge Schach­grup­pen des kon­ser­va­tiv-deutsch­völ­ki­schen Deutsch­na­tio­na­len Hand­lungs­ge­hil­fen­ver­bands, was wahr­schein­lich nach 1933 in den Be­trieb­s­chach­grup­pen der Ver­si­che­run­gen (Al­li­anz) in Ko­blenz und Köln sei­nen Nie­der­schlag fand.

Mit dem Auf­kom­men des Rund­funks nach 1920 nutz­ten die oft­mals den Na­tur­wis­sen­schaf­ten na­he­ste­hen­den Schach­spie­ler wie auch spä­ter bei Com­pu­ter und In­ter­net die­se neue Tech­no­lo­gie gleich für ih­re Zwe­cke in Form des so­ge­nann­ten „Funk­schachs“. Das hei­ßt, es konn­ten so Par­ti­en ge­spielt, re­gel­mä­ßig Übungs­aben­de ver­an­stal­tet und über Wett­kämp­fe li­ve be­rich­tet wer­den.

4. Die Nationalsozialistische Zeit – Schach als Sport

Die grund­le­gen­den Ver­än­de­run­gen nach dem 30. 1. 1933 be­tra­fen im Schach be­son­ders die städ­ti­schen Ver­ei­ne und Or­ga­ni­sa­tio­nen. Sehr vie­le äl­te­re – auch nicht­jü­di­sche Funk­tio­nä­re und Spit­zen­spie­ler tra­ten frei­wil­lig „we­gen Er­kran­kun­g“ zu­rück; oft­mals konn­ten die Äm­ter dann über Jah­re hin­weg nicht wie­der­be­setzt wer­den – aus Pro­test (?). Im SV 03 Ko­blenz et­wa trat der jü­di­sche 1. Vor­sit­zen­de - der nach Hol­land ge­flo­he­ne Rechts­an­walt wur­de 1944 mit sei­ner Fa­mi­lie im KZ er­mor­det – zu­rück, wäh­rend der 2. Vor­sit­zen­de als KPD -Stadt­rats­mit­glied gleich ver­haf­tet und schwer miss­han­delt wur­de, wor­an er 1935 in Süd­frank­reich ver­starb. Im Haupt­ort des MRSV Bad Ems wur­den nach Rück­trit­ten des nicht­jü­di­schen und durch­aus deutsch­na­tio­na­len Kur­di­rek­tors und des Bau­rats Ot­to die glanz­vol­len Kon­gres­se be­en­det.

Trotz al­ler Un­ter­drü­ckung und Dis­kri­mi­nie­rung gab es auch am Mit­tel­rhein wei­ter­hin jü­di­sche Schach­ver­ei­ne, ja bis 1938 konn­ten gar drei „jü­di­sche Meis­ter­schaf­ten von Deutsch­lan­d“ aus­ge­tra­gen wer­den mit Be­tei­li­gung rhei­ni­scher Spie­ler. Der jün­ge­ren und teil­wei­se schnei­dig na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen DSB-Füh­rung ge­lang es zwar kurz­zei­tig die un­se­li­ge Zer­split­te­rung im Schach­le­ben end­gül­tig zu be­sei­ti­gen, doch ver­lie­ßen so­wohl Spit­zen­spie­ler als auch vie­le frei­gie­bi­ge bür­ger­li­che Funk­tio­nä­re das deut­sche Schach­le­ben. Von dem ver­spro­che­nen qua­li­ta­ti­ven wie auch quan­ti­ta­ti­ven Auf­schwung kann im Schach am Mit­tel­rhein si­cher­lich nicht ge­spro­chen wer­den.

Schachwerbewoche im Großdeutschen Schachbund, Mai 1933.

 

Nach 1933 wur­den die al­ten Rhein­meis­ter­schaf­ten des Öf­te­ren durch die West­deut­schen Zo­nen­tur­nie­re an­nä­hernd er­setzt, die ei­ne ein­deu­ti­ge Qua­li­fi­ka­ti­on zur Deut­schen Ein­zel­meis­ter­schaft dar­stell­ten. Der MRSV war 1936 in fünf Un­ter­ver­bän­de ge­glie­dert, wo­von West sich wie­der­um aus den Be­zir­ken An­der­nach, Ko­blenz, Kreuz­nach, Idar-Ober­stein und Trier zu­sam­men­setz­te.  Z­war be­stand der MRSV trotz sei­ner Über­di­men­sio­niert­heit im Gro­ß­deut­schen Schach­ver­band wei­ter­hin fort, doch ent­wi­ckel­te sich ab 1935 in der durch Go­eb­bels ge­för­der­ten fi­nanz­kräf­ti­gen KdF-Or­ga­ni­sa­ti­on (Amt Fei­er­abend) mit der DSG (Deut­schen Schach­ge­mein­schaft) ei­ne star­ke Kon­kur­renz, die so­gar über hoch­wer­ti­ge ei­ge­ne Mo­nats­zeit­schrif­ten (Schach; Schach­echo) ver­füg­te. Um Ko­blenz her­um grün­de­te sich der ei­ge­ne Schach­kreis „Deut­sches Eck“. Der Nie­der­gang in den Mann­schafts­meis­ter­schaf­ten je­den­falls am Mit­tel­rhein vor 1939 ließ sich da­mit aber nicht stop­pen. Mit Kriegs­be­ginn brach – wie auch sonst in al­len Sport­ar­ten - zu­nächst das or­ga­ni­sier­te Schach­le­ben zu­sam­men. Ab 1941 über­nahm dann die KdF – DSG auf lo­ka­ler Ebe­ne häu­fig im Zu­sam­men­hang von Trup­pen­be­treu­ung die Or­ga­ni­sa­ti­on von Ein­zel- und Mann­schaft­s­tur­nie­ren. Das Ver­eins­le­ben war aber in die­ser Hin­sicht er­lo­schen.

5. Die Bundesrepublikanische Zeit bis 1982

Nach der Stun­de Null schei­ter­ten zu­nächst al­le Ver­eins­mann­schafts­meis­ter­schaf­ten an der ge­ra­de durch die von den Fran­zo­sen re­strik­tiv ge­hand­hab­ten Wie­der­grün­dungs­an­trä­ge der Ver­ei­ne und Ver­bän­de; so­gar die vor­aus­schau­en­de Grün­dung ei­nes „Schach­ver­ban­des Rhein­land-Pfal­z“ wur­de 1946 (!) ab­ge­lehnt. Die Grund­struk­tu­ren des al­ten MRSV blie­ben auch nach der Grün­dung des Hes­si­schen Schach­ver­ban­des 1946 be­ste­hen, da die­ser ei­nen ei­ge­nen (bis heu­te be­ste­hen­den) Un­ter­ver­band Mit­tel­rhein grün­de­te und der Schach­ver­band Nord­rhein-West­fa­len eben­falls über ei­nen sol­chen ver­fügt. Al­ler­dings war die­ser Un­ter­ver­band bis 1978 we­gen sei­nes süd­li­chen Teils (Re­gie­rungs­be­zir­ke Ko­blenz und Trier) we­sent­lich um­fang­rei­cher und über­schritt die Gren­zen des Bun­des­lan­des Rhein­land-Pfalz bei wei­tem. Nach­dem der da­von völ­lig ab­ge­kop­pel­te Pfäl­zi­sche Schach­bund sich be­reits 1973 in „Schach­bund Rhein­land-Pfal­z“ um­be­nannt hat­te, er­folg­te die Grün­dung des re­gel­rech­ten Schach­bun­des Rhein­land-Pfalz mit den drei Un­ter­ver­bän­den Rhein­land, Rhein­hes­sen und Pfalz erst 1982 ge­gen er­heb­li­che Wi­der­stän­de rhei­ni­scher Ver­tre­ter – von ei­ner völ­lig har­mo­ni­schen Ein­heit kann bis heu­te kei­ne Re­de sein.

Erste Mittelrhein-Einzelmeisterschaft nach dem Krieg, 1947.

 

Der 1947 ge­grün­de­te Schach­ver­band Rhein­land (Re­gie­rungs­be­zir­ke Ko­blenz und Trier), in dem auch der al­te Rhei­nisch-Nas­saui­sche SV wie­der auf­leb­te und der ab dann auch sei­ne Meis­ter­schaf­ten aus­rich­te­te, wur­de qua­si 1955 durch die Ex­pan­si­on der bei­den Gro­ß­ver­bän­de aus Hes­sen und Nord­rhein-West­fa­len „zer­ris­sen.“ Im ’Brenn­punkt’ wur­de zwar der Schach­kreis Ko­blenz „im Schach­ver­band Mit­tel­rhein“  ge­grün­det, aber der SV 03/25 Ko­blenz und ei­ni­ge Lahn-Ver­ei­ne wa­ren bis 1959 Mit­glie­der im Hes­si­schen Schach­ver­band! Zwi­schen den 50er bis 80er Jah­ren do­mi­nier­ten in der Spit­ze des SVM im SV NRW die Köl­ner Ver­ei­ne und hier ins­be­son­de­re die er­folg­reichs­te deut­sche Nach­kriegs­mann­schaft der SG Porz, die sich als dau­er­haf­ter Sie­ger der Ober­li­gen Mit­tel­rhein und spä­ter der II. Li­ga West/Süd­west zu Deut­schen Mann­schafts­meis­ter­schaf­ten qua­li­fi­zier­te und öf­ters sieg­te. In die­sem Zu­sam­men­hang wa­ren auch am Mit­tel­rhein An­fän­ge ei­ner Pro­fes­sio­na­li­sie­rung zu er­ken­nen, was aber noch durch star­ke Ama­teu­re be­zie­hungs­wei­se „Se­mi­pro­fis“ (häu­fig Stu­den­ten) über­spielt wur­de. Her­aus­zu­he­ben ist hier­bei der er­folg­reichs­te deut­sche Spie­ler seit der Zeit des ein­zi­gen deut­schen Schach­welt­meis­ter Dr. Ema­nu­el Las­ker (1868-1941), der Köl­ner Alt­phi­lo­lo­ge Dr. Ro­bert Hüb­ner (ge­bo­ren 1948) aus Bonn, der 1980 das Kan­di­da­ten­fi­na­le um die Welt­meis­ter­schaft er­reich­te.

6. Die neuesten Entwicklungen – Öffnung des Ostens und „Profischwemme“

Erst nach der Zä­sur von 1982 bil­de­ten sich die Lan­des­ver­bän­de in­ner­halb der Län­der­gren­zen end­gül­tig und in der heu­ti­gen Form her­aus. Im süd­west­li­chen NRW blieb die dem Na­men nach fort­be­ste­hen­de Ober­li­ga Mit­tel­rhein mit ih­ren Un­ter­ver­bän­den. Für Rhein­land-Pfalz und Saar­land gibt es bis heu­te die Ober­li­ga Süd­west. Die obers­ten Schach­spiel­klas­sen blie­ben da­von aber un­be­nom­men. So spiel­te der er­folg­reichs­te rhein­land-pfäl­zi­sche Schach­ver­ein der Nach­kriegs­zeit, der SV 03/25 Ko­blenz, zwi­schen 1982 bis 1994 in der 1981 be­grün­de­ten ein­tei­li­gen I. Bun­des­li­ga. Dort hat­te sich auch das „Schach­dor­f“ Ket­tig (bei Ko­blenz) bis En­de der 80er Jah­re hal­ten kön­nen. Bei­de wa­ren dort­hin auf­ge­stie­gen aus ei­ner der vier II. Bun­des­li­gen (hier Süd­west), die es seit 1974 gab. Erst nach der Wie­der­ver­ei­ni­gung wur­de dar­aus II. Bun­des­li­ga West. Der DSB konn­te nach der po­li­ti­schen Zä­sur von 1990 und der Er­wei­te­rung sei­ner Lan­des­ver­bän­de sei­ne Mit­glie­der­zahl von cir­ca 100.000 hal­ten. Al­ler­dings wur­de so nur das Ab­fla­chen des gro­ßen Schach­booms der 1970/80er (Bob­by Fis­her und Dr. Hüb­ner) im Wes­ten Deutsch­lands kom­pen­siert.

I. Bundesliga 1993, unten von links nach rechts: GM Rozentalis, IM Hammes, IM Seul, GM M. Gurevich, U. Bohn; - mittlere Reihe: FM Dr. T. Bohn, Herbrechtsmeier, IM Reschke, Fritsche, IM Doncevic; oben: Dr. Polster, Thieme-Garmann.

 

Zwei we­sent­li­che Ver­än­de­run­gen, die auch das rhei­ni­sche (Spit­zen)Schach be­tra­fen und be­tref­fen, sol­len noch dar­ge­stellt wer­den. Zum ers­ten das ganz be­son­ders im Schach­sport an­zu­tref­fen­de so­zio­lo­gi­sche und leis­tungs­re­le­van­te Phä­no­men der „Ost-Pro­fi­schwem­me“ nach dem Fall des Ost­blocks. Dort wur­de schon lan­ge ge­mäß kom­mu­nis­ti­scher Tra­di­ti­on (Ar­bei­ter­schach) nicht nur in der So­wjet­uni­on, son­dern über­all das Schach­spiel staat­lich enorm ge­för­dert, et­wa flä­chen­de­ckend mit haupt­amt­li­chen Schach­trai­nern und teil­wei­se kom­plet­ter Ver­schu­lung. Die­se nun ar­beits­lo­sen Pro­fis sie­del­ten ent­we­der nach West­eu­ro­pa über oder konn­ten/kön­nen als Gast­ar­bei­ter hier mit Vi­sum ih­ren Le­bens­un­ter­halt im Os­ten be­strei­ten. Auf die­se sehr „preis­wer­te“ Art und Wei­se ent­stan­den und ent­ste­hen in ei­ni­gen Klein­städ­ten oder so­gar Dör­fern, die bis da­hin ganz oh­ne Tra­di­ti­ons­ver­ein wa­ren, Mann­schaf­ten, die voll­stän­dig von der wech­sel­haf­ten Gunst ih­res Pri­vat­mä­zens ab­hän­gen – ei­ne dau­er­haf­te Un­ter­stüt­zung durch Wirt­schafts­un­ter­neh­men kommt we­gen der ge­rin­gen Me­di­en­wirk­sam­keit des Spiels kaum je in Fra­ge, ob­wohl fast je­der zwei­te er­wach­se­ne Deut­sche die Re­geln kennt. Hin­zu kam nach dem ei­gent­lich für den Fuß­ball be­stimm­ten Bos­man-Ur­teil, das die freie Be­rufs­wahl in der EU vor­schreibt, nun­mehr die Mög­lich­keit für die so­zi­al „ab­stiegs­be­droh­ten“ west­li­chen Halb-Pro­fis, in ver­schie­de­nen Schach­li­gen in ganz Eu­ro­pa ih­ren Le­bens­un­ter­halt zu ver­die­nen. So sind et­wa die heu­ti­gen Erst­li­ga-Mann­schaf­ten aus Trier und Re­ma­gen mit Halb/Pro­fis aus ganz Eu­ro­pa be­setzt, wäh­rend der al­te Re­kord­meis­ter Porz auf Wei­sung sei­nes Mä­zens mit ei­ner aus hol­län­di­schen Na­tio­nal­spie­lern und an­de­ren rus­si­schen Spit­zen­spie­lern be­ste­hen­den Mann­schaft in der II. Li­ga West als Dau­er­meis­ter „ver­harr­t“, weil sich ihr Mä­zen mit dem Mo­dus der I. Li­ga nicht an­freun­den konn­te. Der klei­ne Tra­di­ti­ons­ver­ein SV 03/25 Ko­blenz ver­sucht da­ge­gen als „Fahr­stuhl­mann­schaf­t“ zwi­schen Ober­li­ga Süd­west und II. Li­ga eben­falls im Wes­ten wie schon seit je­her mit ei­ner Mann­schaft, die nur aus hei­mi­schen be­rufs­tä­ti­gen Spie­lern be­steht, den An­schluss zu hal­ten.

Ei­ne zwei­te Ver­än­de­rung, die so­wohl das Brei­ten- wie auch Spit­zen­schach nach­hal­tig be­ein­fluss­te, war die Aus­brei­tung des In­ter­nets und die Ent­wick­lung hoch­leis­tungs­fä­hi­ger Com­pu­ter ab Mit­te der 90er Jah­re. Dass das In­ter­net nun­mehr je­dem Spie­ler den Zu­gang zu un­zäh­li­gen Spiel­part­nern welt­weit mög­lich mach­te, hat­te auf die Ent­wick­lung der Mit­glie­der­zah­len der Ver­ei­ne si­cher­lich kei­ne po­si­ti­ve Aus­wir­kung, er­mög­lich­te aber die enorm gut be­such­ten Li­ve-Über­tra­gun­gen der Gro­ße­reig­nis­se. Hin­zu kommt, dass die tat­säch­li­che Un­schlag­bar­keit des Com­pu­ters und sei­ne in ge­wis­sen Gren­zen Un­fehl­bar­keit dem Schach­spiel ei­ni­ges an Zau­ber nahm. Der Trend im Pro­fi- wie auch Spit­zena­ma­teur­schach hin zu im­mer ef­fek­ti­ve­rem Trai­ning und Er­öff­nungs­vor­be­rei­tung ist eben­falls dem Com­pu­ter als Da­ten­bank zu ver­dan­ken. Da­mit geht vor al­lem bei den Spit­zen­ju­gend­spie­lern viel­fach auch ein Wan­del in der Spiel­auf­fas­sung ein­her – weg vom aus Lehr­bü­chern er­lern­ten Spie­len nach klas­si­schen Prin­zi­pi­en hin zum rein op­tisch auf­ge­fass­ten Me­mo­rie­ren von Er­öff­nungs­bil­dern und Va­ri­an­ten ein­her­ge­hend mit „prin­zi­pi­en­lo­se­m“ Spie­len nach Be­rech­nung.

Online

Bohn, Tho­mas, Ge­schich­te des SV 03/25 Ko­blenz e. V. und des Schach­spiels am Mit­tel­rhein (1808-2010), Ko­blenz 2010. [On­line]

Die I. Mannschaft des SV 03 in der II. Bundesliga West, 2010, von links nach rechts: FM Dr. Bohn, IM Doncevic, Schlick, FM Dr. Stewart, Koch, IM Hammes, GM Dizdar, Fritsche.

 
Zitationshinweis

Bitte geben Sie beim Zitieren dieses Beitrags die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Bohn, Thomas, Schach am Mittelrhein, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/Themen/schach-am-mittelrhein/DE-2086/lido/57d12d780b3cb1.14738010 (abgerufen am 19.03.2024)