Tauerei (Seil-Schleppschifffahrt) auf dem Rhein 1871-1905
Zu den Kapiteln
1. Die Idee
Auf den ersten Blick mutete die Vorstellung unzeitgemäß an: Kaum hatte das Aufkommen frei navigierender Dampfboote den Fluss- und Kanalverkehr von den Beschränkungen der traditionellen Treidelschifffahrt befreit, sollte die Einführung der Tauerei (von franz. touage beziehungsweise engl. towing) in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Schlepper wieder ans Seil oder an die Kette legen. Angestoßen wurden derartige Überlegungen durch den Bau der Eisenbahnen. Im Wettbewerb zwischen den beiden Verkehrsträgern - am Rhein besonders augenfällig durch die über weite Strecken an beiden Ufern parallel verlaufenden Linien - holte der Frachtverkehr auf der Schiene schnell auf. Zwischen 1845 und 1860 verzehnfachte sich sein Anteil am gesamten per Binnenschiff oder Bahn bewegten Güteraufkommen in Deutschland. Besonders beim Transport von Ruhrkohle zu den rheinaufwärts liegenden Verbrauchern fand ein aus Sicht der Schiffseigner ruinöser Preiskampf statt: Zwischen 1855 und 1870 senkte zum Beispiel die Rheinische Eisenbahngesellschaft den durchschnittlichen Frachttarif für Kohle und Koks um mehr als 40 Prozent.
Was die Eisenbahn den zeitgenössischen Radschleppern oder Schraubendampfern voraus hatte, war vor allem eine günstigere Umsetzung der Maschinenleistung beim Vortrieb. Während die Räder der Lokomotive die Kraft fast verlustfrei auf die fest installierten Schienen brachten, ging auf Flüssen und Kanälen ein beträchtlicher Teil der Wirkung durch den unvermeidlichen Schlupf verloren. Im nachgiebigen Medium Wasser fanden Radschaufeln oder Schiffspropeller weit weniger Halt als Antriebsräder auf der Schiene oder Pferdehufe auf dem Leinpfad. Ganz ausgeprägt war dieses Phänomen bei Bergfahrten gegen starke Strömung, also im Mittelrheintal, insbesondere dem “Binger Loch”, wo bei Strömungsgeschwindigkeiten von bis zu 3,5 Metern pro Sekunde Schleppschiffe noch lange Zeit Treidelpferde als Vorspann anfordern mussten. Die Idee lag also nahe, an den unbestreitbaren Vorteilen des Wassertransports von Massengütern festzuhalten, jedoch die eingesetzte Energie effizienter zu nutzen, indem die Maschine das Schiff unmittelbar an einem fest verankerten Seil oder einer Kette gegen die Strömung zu Berge zog.
Neben einer Kohleersparnis von bis zu 80 Prozent und einer kleineren Bedienungsmannschaft (Kapitän, je zwei Steuerleute, Maschinisten und Heizer, drei Matrosen) versprach das neue System zwei weitere Vorteile: Als Folge der wesentlich bescheidener dimensionierten Maschinen- und Kesselanlage hatten die Tauer einen deutlich geringeren Tiefgang als ein Radschlepper der 1870er Jahre, der es einschließlich Kohlevorrat auf eine Eintauchtiefe von 1,80 bis 2 Metern brachte. Der Tauer konnte also während periodisch auftretender Niedrigwasserstände auch die noch nicht künstlich vertieften Stromabschnitte befahren, so dass in diesen Zeiten allein die Seilschlepper den Betrieb aufrecht erhielten. Konstruktionsbedingt entfielen bei ihnen zudem die Wellenberge, wie sie die großen Räderboote verursachten. Das machte sie besonders geeignet zum Ziehen jener primitiven Kohlennachen aus Holz, die in den Anfangsjahren der Tauerei noch in großer Zahl den Rhein befuhren. Deren Mannschaften waren dankbar, wenn sie nicht zusätzlich zur anstrengenden Steuerarbeit noch stundenlang eindringendes Wasser abzupumpen hatten.
2. Von Belgien an den Rhein
Im Sommer 1867 gründete der belgische Diplomat Baron Oscar de Mesnil (1836-1897) eine Gesellschaft zur Aufnahme der Seilschleppschifffahrt auf der Maas. Zur Unterstützung in technischen Fragen sicherte er sich die Mitarbeit des Dampfpflugpioniers Max Eyth (1836-1906). Die ersten Probefahrten konnten im darauffolgenden Frühjahr stattfinden. An der im April 1868 gegründeten “Société anonyme de touage de Liège” beteiligte sich Friedrich von Holstein (1837-1909), ein weiterer Diplomat. Für seine Tätigkeit als Schifffahrtsunternehmer unterbrach der Botschaftssekretär, der 1890 bis 1906 als “Graue Eminenz” großen Einfluss auf die wilhelminische Außenpolitik nehmen sollte, mehrere Jahre lang die eingeschlagene Laufbahn im Auswärtigen Dienst. Vor einem internationalen Fachpublikum demonstrierten die Verfechter der Tauerei in Belgien die Zuverlässigkeit des Systems, doch waren die Anhänger der Kettenschifffahrt nicht völlig überzeugt. Eine Übertragung der auf der nahezu geradlinig verlaufenden und strömungsarmen Maas erzielten Ergebnisse auf den schneller fließenden Rhein mit seinen ausgeprägten Flusskrümmungen erschien fragwürdig, und so verlangten auch die preußischen Behörden vor Erteilung einer Konzession an die 1869 gegründete “Société centrale de touage” weitere praktische Versuche an Ort und Stelle.
Vor der eigentlichen Bewährung im Binger Loch wurde am 27.11.1869 das Zusammenwirken von Seil und Schlepper einem ersten vorsichtigen Test unterzogen. Als Ort wählte man einen kurzen gekrümmten Stromabschnitt zwischen der Kölner Rheinbrücke und der Frohngasse (in Höhe der heutigen Zoobrücke). Das Seil aus verzinktem Eisendraht wies einen Durchmesser von 32 Millimetern aus und stammte aus der Produktion der ortsansässigen Firma Felten & Guilleaume. Lange bevor das neuerbaute “Carlswerk” im damals noch selbständigen Mülheim 1874 den Betrieb aufnahm, hatte sich die ehemalige Hanfseilerei als Hersteller von Grubenseilen und Schlepptrossen für die Binnenschifffahrt erhebliche Marktanteile gesichert. In der aufkommenden Tauerei sah man eine zukunftsträchtige neue Anwendung, die kontinuierlichen Ersatzbedarf versprach.
Der für den ersten Versuch auf dem Rhein ausgewählte Seilschlepper “Die Kathedrale” hatte vor seinem Eintreffen in Köln eine wahre Odyssee hinter sich gebracht: Bei der Überführung aus Lüttich zum Umbau nach Antwerpen war er während der Fahrt durch Kollision gesunken, nach der Hebung und Umrüstung über Rotterdam mittels seiner beiden kleinen Schrauben rheinaufwärts in die Domstadt gefahren. Für den Versuch konnten nur drei Kähne mit zusammen circa 500 Tonnen Belastung angehängt werden, so groß war die Scheu der örtlichen Schiffer, ihre Boote für das Experiment zur Verfügung zu stellen. Bei stark gedrosseltem Dampfzutritt zog der Tauer die Last mühelos über die Teststrecke.
Für den entscheidenden Schleppversuch wählte man die strömungsreiche Strecke zwischen dem Rüdesheimer Trajekt und der Burg Rheinstein. Das Seilschiff, das auf einer hölzernen Ponte 4.000 Meter F&G-Drahtseil mit sich führte, wurde zur Unterstützung der für die Bergfahrt unzureichenden Schraubenleistung von einem Radschlepper rheinaufwärts gezogen. Im Binger Loch spannte man zusätzlich zehn Pferde vor. Nach erfolgreicher Verlegung des Seils machte sich die Mannschaft auf mehreren Probefahrten mit den örtlichen Verhältnissen vertraut. Zum Hauptversuch am 9.12.1869 erschienen zahlreiche Experten, nicht jedoch der für die Aktion verpflichtete Räderdampfer samt Lastzug. Schon hatte man als Ersatz diverse Schiffer angeheuert, als die “Haniel I” mit zwei Kohleschiffen von circa 850 Tonnen Ladung eintraf. Der Kapitän ließ sich überreden, seinen Schleppzug dem Seilschiff anzuvertrauen. Mit circa 2,6 Stundenkilometern zog der Tauer die Last gleichmäßig stromauf. Ein gebrochenes Transmissionsrad im Maschinenraum beendete zwar die bis zu diesem Zeitpunkt erfolgreich verlaufene Demonstration, richtete aber keinen weiteren Schaden an. Das Zugseil hielt das antriebslose Schleppboot problemlos gegen die starke Strömung fest, die ”Haniel I” konnte sich von ihm lösen. Da der Zwischenfall nicht die Tauglichkeit des Systems widerlegte, erteilte das Berliner Handelsministerium im Januar 1870 der “Société centrale de touage“ in Brüssel eine Konzession für die preußische Rheinstrecke. Die entsprechenden Zusagen der Staaten Hessen, Baden und Bayern folgten.
3. Die “Central-Actien-Gesellschaft für Tauerei” in Köln
Der Deutsch-Französische Krieg von 1870/1871 verzögerte die bereits angelaufene Gründung einer eigenen Tauereigesellschaft für den Rhein. Federführend bei den Verhandlungen mit der Brüsseler Gesellschaft (als Inhaberin der Konzession) waren bekannte Kölner Bankiers- und Unternehmerfamilien, unter anderem Wilhelm Deichmann, sein Sohn und Nachfolger Theodor (1837-1895), der Ingenieur und Erfinder Eugen Langen, Mitgründer des Zuckerkonzerns Pfeiffer & Langen, der preußische Bergreferendar und Gutsbesitzer Felix Mallinckrodt (1834-1880) sowie der Bankier und Fabrikant Emil vom Rath (1833-1923). Sitz der Gesellschaft wurde Köln, Heimat der maßgeblich beteiligten Firma Felten & Guilleaume, von der bereits alle in belgischen Flüssen verwendeten Seile stammten. Sie machte ihre Bereitschaft zur Zeichnung eines größeren Aktienpakets von ihrer Stellung als Alleinlieferantin abhängig. Das am 5.12.1871 gegründete und eine Woche später als “Central-Actien-Gesellschaft für Tauerei” ins Handelsregister eingetragene Unternehmen besaß ein Grundkapital von 1,2 Millionen Talern. Die Hälfte der Anteile hielten die Gründungsmitglieder, der Rest der Aktien lag bei Banken in Köln, Duisburg, Koblenz, Mainz, Mannheim, Frankfurt am Main und Straßburg zur Zeichnung auf. 1873 erwarben mehrere Ruhrzechen Anteile, wohl in der Hoffnung, Einfluss auf die Frachttarife nehmen zu können. Erster Vorsitzender des Aufsichtsrates wurde Theodor Deichmann, zu seinem Stellvertreter bestellte man Felix Malinckrodt. Die Geschäftsleitung übernahmen unter Führung des Generaldirektors Theodor Schwarz, eines Jugendfreundes des Erfinders Max Eyth, bewährte Kräfte aus der Brüsseler “Société centrale de touage“.
4. Die technische Erstausstattung
Angesichts der Länge der Strecke - die erworbenen Konzessionen reichten von Emmerich bis Straßburg - und fehlender Erfahrungen im Alltagsbetrieb entschied man sich in Köln, den Schleppbetrieb abschnittsweise aufzunehmen. Um auch jene Strecken bedienen zu können, auf denen noch kein Seil lag, gab man im Februar/April 1872 zwei moderne Räderboote in Auftrag. In der konjunkturellen Überhitzung der Gründerjahre war die gewünschte schnelle Lieferung der benötigten vier Tauer illusorisch. Während ihre eisernen Rümpfe auf den Duisburger Werften Berninghaus und Kriens entstanden, bezog man Kessel und Maschinenanlagen für die ersten beiden Boote von Escher Wyss & Co (Zürich), für die Tauer 3 und 4 von den Gebrüdern Sulzer (Winterthur), welche auch die zweite Serie der wesentlich größeren und antriebsstärkeren Tauer (Nummer 5 bis 8) der Baujahre 1875/1876 ausrüsteten.
Leicht zu erkennen waren die Spezialboote an ihrem an der äußersten Backbordseite angebrachten Seilführungswerk. Anders als die auf einigen europäischen Flüssen verwendeten Ketten konnten die relativ steifen Drahtseile nicht um Winden von kleinem Durchmesser laufen. Die beiden ersten der vier circa 3 Meter hohen Räder dienten lediglich als Führungs- und Leittrommeln. Die Kraft der liegenden Dampfmaschine wirkte allein auf die dritte Scheibe. Sie war in der Rille, in die das Kabel gelegt wurde, mit “Fowlerschen Klappen” versehen, die das Seil selbsttätig einklemmten und ein Durchrutschen verhinderten. Die vierte Seilscheibe des Apparats diente wiederum als Leitrad. Um das Gewicht des Räderwerks von circa 14 Tonnen auszugleichen, saßen Hauptmaschine und Kessel nicht in der Bootsmitte, sondern auf der Steuerbordseite. Im Gegensatz zu Kettenschiffen fuhren die Tauer nur während der Bergfahrt am Seil, benötigten also zwei weitere Dampfmaschinen zum Antrieb der beiden vierflügeligen Schiffsschrauben. Insgesamt lag die für die Talfahrt installierte Maschinenleistung beträchtlich über den Anforderungen zum Antrieb des stromauf benutzten Seilapparats.
Gewichtsersparnis bei gleicher Zugfestigkeit war ein wesentlicher Vorteil der Seilschifffahrt, schränkten doch die schweren Ketten die Manövrierfähigkeit der Schlepper ein. Ein solcher Nachteil war auf wenig befahrenen Flüssen oder Kanälen hinnehmbar, nicht jedoch auf dem Rhein mit seinem beträchtlichen Schiffs- und Floßverkehr. Das Mitte 1872 von Felten & Guilleaume erstmalig ausgelieferte Seilstück mit einem Durchmesser von 36 Millimetern wog 4,9 Kilogramm pro Meter, weniger als ein Drittel des Gewichts einer gleich langen Kette. Um die weiteren Bestellungen fristgerecht ausführen zu können, orderte die Firma im englischen Newcastle moderne Drahtseilmaschinen. Es spricht für die geschäftliche Weitsicht der Unternehmerfamilie, dass sie durch ihre finanzielle Beteiligung an der “Central AG” die Tauerei und damit die weitere Verbreitung von Drahtseilen förderte, also flexibel genug war, den sinkenden Absatzchancen für die traditionellen Hanfleinen rechtzeitig durch Umstellung der Produktion zu begegnen und sich über Jahrzehnte große Liefermengen zu sichern.
5. Betriebsaufnahme mit Hindernissen
Aus der angestrebten Betriebsaufnahme im Herbst 1872 wurde nichts. Die konjunkturelle Überhitzung (“Gründerboom”) führte zur verzögerten Auslieferung der ersten Tauer. Zudem musste das Problem der zahlreichen Querseilfähren auf der Strecke gelöst werden, zum Beispiel durch deren Umrüstung auf ein Längsseilsystem. Obwohl die Konzessionsbedingungen jeglichen Zwang der Tauereigesellschaft ausschlossen, leisteten die preußischen Aufsichtsbehörden bei solchen Bemühungen immer wieder Hilfe: Schließlich postulierte auch die gerade revidierte Rheinschifffahrtsakte von 1868 das Vorrecht der durchgehenden Berg- und Talfahrt gegenüber dem Quer- und Lokalverkehr. Umso ärgerlicher für das junge Unternehmen war es da, wenn ausgerechnet der Konkurrent Eisenbahn neue Hindernisse aufrichtete. Im Juli 1870 war das Trajekt zwischen Oberkassel (heute Stadt Bonn) und der Bonner Gronau in Betrieb gegangen, dessen 70 Meter lange Fährboote Züge der Rheinischen Eisenbahn über den Strom setzten. Die Lokomotiven verblieben am jeweiligen Ufer. Leitseil und Treibseil verliefen quer zum Strom, so dass für die Tauer eigens eine Haltestelle angelegt werden musste. Eine ähnliche Flussquerung zwischen (Duisburg-)Rheinhausen und Hochfeld wurde 1874 durch den Bau einer festen Brücke entschärft.
Im Frühjahr 1873 wurden die ersten beiden Seilstücke mit einer Gesamtlänge von 77, 5 Kilometern verlegt, so dass am 1.5.1873 der Tauereibetrieb zwischen Emmerich und Duisburg versuchsweise aufgenommen werden konnte. In zwei Monaten wurden 15 Schleppzüge mit einer Ladung von knapp 12.000 Tonnen abgefertigt; die Festigkeit des Seils hätte die doppelte Nutzlast zugelassen. Die errechnete Brennstoffersparnis entsprach den Erwartungen der Initiatoren: Der Kohleverbrauch der Tauer belief sich auf ein Fünftel dessen, was die Räderboote der “Ruhrorter Schleppschiffahrtsgesellschaft” im Durchschnitt benötigten. Ein solcher Wettbewerbsvorteil war für die Profitabilität des Pionierunternehmens unabdingbar, da man um Kunden zu gewinnen die Tarife der Konkurrenz um 20 Prozent unterbot, vor allem zusätzlich zu den Aufwendungen für die Schlepper das teure Seil amortisieren musste. Dieses wurde im Frühjahr 1874 rheinaufwärts nach Köln verlängert und lag im Herbst 1875 bis Oberkassel. Doch während man im Frühjahr 1876 das vorerst letzte Teilstück bis Bingen verankerte, war die Tauerei am Niederrhein bereits Ende 1875 eingestellt worden. Immer wieder hatte starkes Sandgeschiebe die Aufnahme des Seils durch die Schleppboote behindert. Dies führte zu untragbaren Verzögerungen für die Kunden, so dass zuerst der Abschnitt Emmerich-Ruhrort, ein Jahr später auch das Teilstück bis Oberkassel aufgegeben wurde. Die sich rheinaufwärts anschließende Gebirgsstrecke wies dagegen einen festeren, teilweise sogar felsigen Untergrund auf. Gleichzeitig löste der neue Startpunkt auch das Problem der hier verlaufenden Querseile, da die Schleppzüge jetzt erst oberhalb des Bonner Eisenbahntrajekts zusammengestellt wurden.
Es waren indes nicht allein technische Gründe, die zur schnellen Aufgabe der wichtigen Strecke Emmerich-(Bonn-)Oberkassel führten. Die Auswirkungen der 1873 einsetzenden Gründerkrise zwang die kapitalschwache Gesellschaft dazu, ihre Kräfte auf jene circa 120 Rheinkilometer zu konzentrieren, auf denen die höhere Fließgeschwindigkeit den Systemvorteil der Seilschifffahrt gegenüber den frei fahrenden Schleppern am deutlichsten herausbrachte. Das Betriebsjahr 1874 hatte zwar mit einem bescheidenen Überschuss abgeschlossen, doch massiv fallende Kohlepreise erschütterten das Geschäftsmodell gleich in doppelter Hinsicht. Das krisenbedingt geringere Frachtaufkommen erhöhte wegen der Überkapazitäten an Schleppleistung den Druck auf die Tarife, während der größte Wettbewerbsvorteil, die geringeren Brennstoffkosten, durch die von niemandem vorausgesehene Verbilligung dahinschmolz. Die 1872 notierten Höchstpreise für Kohle hatten die Gründer in ihrem Glauben bestätigt, dass sich allen Anfangsschwierigkeiten zum Trotz eine befriedigende Rentabilität einstellen würde. Diese Annahme hatte sich als Illusion erwiesen, mit der Konsequenz, dass unter den veränderten Bedingungen die geplante Verlängerung der Seillinie bis Mannheim sowie den Kauf zusätzlicher Boote nicht zu stemmen waren. Bevor neues Kapital aufgebracht werden konnte, galt es, durch Verständigung mit der Konkurrenz die Auslastung zu erhöhen und die Schlepp-Erlöse auf dem Rhein zu stabilisieren.
6. Die Fusion von 1876
Die 1873 zusammengeführte “Vereinigte Ruhrorter und Mülheimer Dampfschleppschiffahrts-Gesellschaft” betrieb 15 Radschlepper und litt nicht minder unter dem ruinösen Preiskampf zu Wasser und auf der Schiene. Die ausgeschüttete Dividende sank von durchschnittlich 7 bis 8 Prozent auf 1 Prozent (1874) und 1 1/3 Prozent (1875). Der Zeitpunkt für eine Verständigung mit der “Central-AG für Tauerei” war auch in sofern günstig, als zum Ende des Jahres 1875 ein großer Teil der Schleppverträge auslief, darunter auch solche mit Kunden, die inzwischen Aktionäre der Kölner Konkurrenz geworden waren, mit deren baldigem Wechsel zur Seilschifffahrt also zu rechnen war. Die Kontakte zwischen den beiden Unternehmen liefen über den A. Schaaffhausenschen Bankverein sowie den Direktor des Rhein-Ruhr-Kanal-Aktienvereins in Duisburg, Dr. Feodor Goecke (1836-1907). Der Jurist, 1870-1873 als nationalliberaler Abgeordneter Mitglied des Provinziallandtages, war 1874 an Stelle des 1873 ausgeschiedenen Holstein in den Aufsichtsrat der “Central-AG für Tauerei” gewählt worden. Ab 1877 betrieb er als Generalbevollmächtigter die Sanierung der Rheinischen Stahlwerke AG.
Am 8.6.1876 konstituierte sich das fusionierte Unternehmen unter dem Namen “Central-Actien-Gesellschaft für Tauerei und Schleppschiffahrt”. Zum Firmensitz wurde, Tribut an den Hauptumsatzträger Kohle, Ruhrort bestimmt: Zwischen 1875 und 1905, als die Stadt nach Duisburg eingemeindet wurde, verfünffachte sich die im Ruhrorter Hafen abgefahrene Kohlen- und Koksmenge auf über 5 Millionen Jahrestonnen. Nach der Fusion wurden die beiden Altgesellschaften liquidiert, ihre Aktien in Papiere der neuen Firma getauscht. Von den 3,8 Millionen Mark Grundkapital entfielen 2,4 Millionen Mark auf die Aktionäre der Kölner Tauereigesellschaft. Im Vergleich zu deren ursprünglicher Ausstattung (1,2 Millionen Taler = 3,6 Millionen Mark) entsprach dies einem Kapitalschnitt im Verhältnis drei zu zwei. Der erste Aufsichtsrat war paritätisch besetzt, weist aber in der regionalen Zuordnung seiner Mitglieder die Ruhrmündung als neuen Schwerpunkt aus. Von den zehn Mitgliedern stammten Dr. Feodor Goecke sowie der Fabrikant und langjährige Beigeordnete Julius Brockhoff (1825-1898) aus Duisburg. Aus dem benachbarten Ruhrort kamen die Kaufleute und Zechenbesitzer Hugo Haniel (1810-1893), seit 1868 Chef der Firma Franz Haniel und Julius Liebrecht (gestorben 1895) sowie der Fabrikant Gustav Georg Stinnes (1826-1878). In Mülheim waren Hermann Becker und Carl Krabb (1808-1877) ansässig, beide Kaufleute. Theodor Deichmann, Felix Mallinckrodt und Eugen Langen repräsentierten das Kölner Element - letzterer als Ingenieur vorwiegend aus technischem Interesse.
7. Mangelnde Rentabilität
Im Fusionsjahr 1876 wandten die beiden Altgesellschaften zwar einen gemeinsamen Schlepptarif an, wirtschafteten aber ansonsten noch auf eigene Rechnung, so dass sich die Rentabilität der beiden Systeme vergleichen lässt. Den insgesamt größeren Einnahmen der Ruhrort-Mülheimer Räderboote standen höhere Betriebskosten und Abschreibungen gegenüber: Per saldo trugen die Tauer aus dem Bestand der Kölner Gesellschaft mehr zum Gewinn bei. Auch im Folgejahr lagen die Selbstkosten der Seilboote pro Tonnenkilometer um 19 Prozent unter denen der Radschlepper. 1877 ging man endgültig zum arbeitsteiligen Einsatz der Flotte über. Die acht Tauer konzentrierten sich auf den Mittelabschnitt Oberkassel-Bingen. Unter- und oberhalb dieser Kernstrecke operierten die 17 Räderboote. In der Realität lagen wegen des schlechten Kohlegeschäfts meist ein Viertel der Schlepper still. Ein Überangebot an Schleppleistung und die Kampfpreise der Eisenbahn, die zu hohen Rabatten auf den Normaltarif zwangen, ließen die Einnahmen weiter absinken. Die Vorteile des Wasserweges kamen am deutlichsten über die längere Distanz zum Tragen; auf kürzeren Entfernungen profitierte die Schienenkonkurrenz auch davon, dass ein zeitraubendes Umladen zwischen Zeche und Verbraucher entfiel, außerdem das Frachtgut geschont wurde.
Als 1877 die Mülheimer Kohlehandlung Friedrich Becker illiquide wurde, verlor die “Central-AG für Tauerei und Schleppschiffahrt” auf einen Schlag circa 30 Prozent ihrer Aufträge und musste 107.000 Mark ausstehender Kredite abschreiben. Große Hoffnungen setzte man in das im Winter 1879/1880 zwischen Oberkassel und Bingen verlegte stärkere (43 Millimeter Querschnitt) F&G-Seil aus Siemens-Martin-Stahl. Mit einem Gewicht von sieben Kilogramm pro Meter wies es eine höhere Bruchfestigkeit und Lebensdauer auf. Statt viereinhalb Jahren rechnete man mit bis zu sechs Jahren Nutzungsdauer. Zwecks gleichmäßiger Abnutzung wurden höher beanspruchte Teilstücke nach einiger Zeit herausgenommen und an Flussstrecken mit weniger Verschleiß weiter verwendet. Ausgemusterte Seile erzielten beim Weiterverkauf noch circa 10 Prozent des Neupreises.
8. Veränderte Bedingungen in der Rheinschifffahrt
In den frühen 1880er Jahren war der hohe Anteil betagter Räderboote (Durchschnittsalter 1885: 24 Jahre) Hauptursache für die unbefriedigende Rentabilität des vereinigten Unternehmens. Zwischen 1876 und 1884 hatte sich die Zahl der Schraubendampfer auf dem Rhein verdreifacht. Billiger in Betrieb und Anschaffung und trotz kleinerer Mannschaft leichter zu manövrierten, waren sie eine Alternative für Kohlekaufleute, die den Transport in Eigenregie betreiben wollten. Auch wenn die neuartigen Fahrzeuge in der Praxis nicht alle Erwartungen erfüllten und einige Reeder wieder vermehrt auf Radantrieb setzten, erhöhte ihre Existenz doch die Schleppkapazitäten auf dem Rhein insgesamt und verstärkte den Druck auf die Tarife, zumal jetzt auch neu eingesetzte Güterdampfer einen Teil des Transportvolumens an sich zogen. Im Geschäftsjahr 1884 lag die Auslastung der “Central AG für Tauerei und Schleppschiffahrt” bei weniger als 60 Prozent. Der Betriebsüberschuss aus einem Umsatz von circa 1 Million Mark deckte gerade die Abschreibungen. Aus Geldmangel fiel die Modernisierung der Flotte bescheiden aus. 1883/1884 wurden die ersten beiden Schraubendampfer bestellt, ältere Räderboote stillgelegt oder mit effizienteren Dampfmaschinen nachgerüstet. In der Bilanz summierten sich die realistische Bewertung des Schiffsbestandes und nachgeholte Abschreibungen auf sonstige Aktiva zu einem Abwertungsbedarf von circa 1 Million Mark, umgesetzt in Form eines drastischen Kapitalschnitts: Das vorher durch Aktienrückkauf und Verzicht der “Société centrale de touage” auf Konzessionsgebühren bereits auf 3,6 Millionen Mark reduzierte Grundkapital wurde auf die Hälfte herabgesetzt.
Auch nach der Sanierung fiel der Lohn für die Aktionäre mager aus. Mehr als 5 Prozent Dividende auf das herabgesetzte Kapital waren auf dem Rhein nicht zu erzielen. Ohne den durch eine Anleihe finanzierten Erwerb von 17 modernen Schleppkähnen wäre das Ergebnis sogar negativ gewesen, denn der Markt zeigte sich Mitte der 1880er Jahre tief gespalten: Einem Überangebot an Schleppkapazität stand ein ausgeprägter Mangel an Laderaum gegenüber. Wollte man an den Steigerungen des Rheinverkehrs teilhaben, musste die Gesellschaft das angestammte Geschäft durch das Angebot ausreichenden Frachtraums ergänzen. Die Folgen des Bergarbeiterstreiks im Ruhrgebiet 1889 konnten nur teilweise durch Transporte von Rotterdam an den Oberrhein kompensiert werden, so dass das Geschäftsjahr wiederum nur eine Kapazitätsauslastung von 60 Prozent aufwies. 1892 bis 1894 stieg die zu Berg geschleppte Frachtmenge auf über 800.000 Jahrestonnen an, bevor ein “zügelloser Wettbewerb” (Geschäftsbericht 1895) zu rückläufigen Umsätzen und einer auf 3 Prozent gekürzten Dividende führte. Insgesamt ging das Umsatzwachstum in den 1890er Jahren vor allem auf Konto der eigenen Kähne, bestätigte also die Richtigkeit der Diversifikation. Die Tauer blieben schlecht beschäftigt: Von den acht Booten waren meist nur fünf zum selben Zeitpunkt im Einsatz.
9. Gescheiterte Konsolidierung
Stimuliert durch die 1895 einsetzende Hochkonjunktur baute die ”Central-AG für Tauerei und Schleppschiffahrt” ihr Transport- und Speditionsgeschäft stärker aus. Das älteste Seilboot und einige Radschlepper wurden modernisiert, zwei PS-starke und verbrauchsgünstige Schlepper sowie mehrere neue Kähne bestellt. Zu Lande investierte die Gesellschaft in den Ausbau von Verladeanlagen und Lagerraum in Ruhrort und Mannheim. Das Geschäftsjahr 1896 schloss mit Rekordzahlen ab: Das zu Berg transportierte Frachtvolumen erreichte knapp eine Million Tonnen, circa 660 Tonnen pro geschlepptem Kahn. Mit 7 Prozent kam die höchste Dividende der Firmengeschichte zur Auszahlung. Eine für 1899 geplante Kapitalerhöhung sollte die Ablösung der aufgenommenen Kredite ermöglichen. Sie scheiterte an der fehlenden Dreiviertelmehrheit in der Generalversammlung. Die Furcht der widerstrebenden Aktionäre vor einer Verwässerung des Kapitals erscheint verständlich, lagen doch die 1892-1899 ausgeschütteten Dividenden mit durchschnittlich 4,5 Prozent deutlich unter den Ergebnissen der Konkurrenz. Auch die Alternative einer großen Anleihe zerschlug sich, da die beteiligten Banken auf einer langfristigen Lösung des Rentabilitätsproblems in der Rheinschifffahrt bestanden. Unter Federführung von Deichmann & Co. (Köln) trieben sie die Vereinigung der größten Unternehmen (mit Ausnahme der Zechenreedereien Franz Haniel und Mathias Stinnes) unter dem Dach einer Trustgesellschaft voran. Als auch dieser Rettungsversuch Ende 1900 scheiterte und für die Geschäftsjahre 1902 und 1903 keine Dividenden erwirtschaftet werden konnten, verloren zahlreich Anteilseigner die Geduld und verkauften ihre Papiere an den Großaktionär Louis Kannengießer (1852-1919). Im April 1904 ging die Aktienmehrheit an dessen “Bergbau AG vorm. Gebr. Kannengießer” in Mülheim an der Ruhr über. Drei Monate später gab der Alleinbesitzer die Selbständigkeit auf und brachte sein umfangreiches Bergbau- und Schifffahrtsunternehmen in die “Harpener Bergbau AG” (Dortmund) ein, für die er weitere zehn Jahre als Generaldirektor tätig war. Mit 26 Dampfern und 75 Schleppkähnen waren die neuen Besitzer die größte Kohlereederei auf dem Rhein. Sie erwarben die restlichen Aktien der “Central-AG”, stellten jedoch den Tauereibetrieb Anfang 1905 ein und ließen das Seil aus dem Rhein entfernen. Die stillgelegten Boote warteten noch jahrelang im Hafen von St. Goar auf eine neue Verwendung, bevor sie endgültig verschrottet wurden.
10. Konflikte mit der übrigen Rheinschifffahrt
Von der Wasseroberfläche in der Regel unsichtbar, irritierte das Seil im Rhein von Anfang an andere Nutzer. Die zahlreichen Zugnetzfischer sahen sich in ihrer Arbeit behindert, ebenso jene Schiffsbesatzungen, deren Anker sich in dem Hindernis verfingen, so dass beim morgendlichen Einholen ein ungleich höheres Gewicht zu heben war. Gleich nach der Betriebsaufnahme kam es zu Sabotageakten: Im Schutze der Dunkelheit trennten unbekannte Täter das Seil einmal vollständig und ein weiteres Mal zu einem Drittel durch. Die als Folge von Verschleiß auftretenden Seilbrüche - pro Jahr bis zu 25 - bedeuteten in jedem Fall lästige Zusatzarbeit für die Besatzung des jeweiligen Schleppers. Lag der Tauer jedoch während des Spleißens stundenlang an einer Engstelle fest, behinderte sein Zwangsaufenthalt auch unbeteiligte Schiffe in diesem Flussabschnitt. Ähnliches galt an schwierig zu passierenden Krümmungen, wo die Tauer gelegentlich auf Grund liefen und von anderen Schleppern wieder ins Fahrwasser bugsiert werden mussten.
Schwere Unfälle waren eher selten. Auch im wohl spektakulärsten Fall, der Kollision des Tauers 4 mit einem Floß im September 1886 hinter dem Binger Loch, war die Besatzung des Seilschiffs schuldlos: Das Floß war mit 63 Metern Breite und 200 Metern Länge eindeutig zu groß dimensioniert, der zur Warnung der Schifffahrt vorausgeschickte Wahrschauernachen zu spät losgefahren, als dass der Tauer mit angehängtem Schleppzug noch hätte ausweichen können. 6.000 Holzstämme trieben auf dem Rhein und rissen vor Niederheimbach ein Badehaus fort. In Koblenz rückten zwei Kompanien Pioniere aus, um die Schiffsbrücke zu schützen.
Mochte die Antipathie vieler Rheinschiffer gegenüber den Tauern auf Konto ihrer sonderbaren Erscheinung, des Brummens und Krächzens ihres Räderwerks oder ihrer ungewöhnlichen Lage zur Fahrtrichtung gehen, so waren die “Hexen” seit den 1890er Jahren auch objektiv zu einem Verkehrshindernis geworden. Besonders bei niedrigem Wasserstand konnten die zahlreichen modernen Schrauben- und Räderboote ihre höhere Fahrgeschwindigkeit nicht entfalten; stundenlang harrten sie mit gedrosselter Motorleistung hinter einem Seilschleppzug aus, bevor eine geeignete Ausweichstelle ihnen ein Überholen ermöglichte. Die preußische Wasserbau-Verwaltung wiederum, die zwischen 1880 und 1900 zur Entschärfung der Engstelle zwischen St. Goar und Bingen fast 7 Millionen Mark aufgewendet hatte, kostete die Existenz des Seils in diesem Abschnitt viel Zeit und Mühe, gefährdete es doch häufig die Verlegung der eingesetzten Baufahrzeuge und deren sichere Verankerung im Strom.
11. Fazit
30 Jahre ununterbrochener, weitgehend unfallfreier Tauereibetrieb am Mittelrhein untermauern die prinzipielle Tauglichkeit des Systems und bewiesen die Haltbarkeit der von Felten & Guilleaume gelieferten Zugseile. Das Kölner Unternehmen profitierte von diesem Beweis seiner Leistungsfähigkeit, doch den übrigen Aktionären hat die Seilschifffahrt nicht den erhofften finanziellen Gewinn eingebracht, so dass die Tauerei als Sonderform des Gütertransports auf dem Rhein nur eine Episode blieb. Bei der Suche nach den Ursachen stößt man an erster Stelle auf die chronische Unterkapitalisierung des Unternehmens. Die Gründer hatten ihre Planungen für den Mittelbedarf auf das Preisniveau von 1870 abgestellt. Die Verzögerungen durch den deutsch-französischen Krieg und die Kostensteigerungen des kurzen, aber heftigen Gründerbooms strapazierten das aufgebrachte Kapital, so dass keine ausreichenden Reserven für die naturgemäß schwierigen Anfangsjahre blieben. Als dann die ersten Kunden überzeugt werden konnten und der erfolgreich aufgenommene Schleppbetrieb Einnahmen erzielte, waren diese durch die Krise dermaßen gedrückt, dass die ursprüngliche Kalkulation nicht aufging. Dagegen konnte die Konkurrenz, sofern sie schon 1871 im Geschäft war, auf die in den Boomjahren gebildeten Reserven zurückgreifen. Bei Börsenkursen von unter 30 Prozent für die Altaktien war der Weg einer Kapitalerhöhung nicht gangbar. Die daraufhin ausgegebene fünfprozentige Anleihe stellte mit einem Disagio von 5 Prozent und einem Rückzahlungskurs von 105 Prozent eine ausgesprochen teure Art der Finanzierung dar.
Die Fusion mit der Ruhrort-Mülheimer Konkurrenz nach nur kurzer Selbständigkeit produzierte eine Mischform aus Tauerei und konventioneller Schleppschifffahrt, in der der Seilbetrieb zunehmend an Gewicht verlor. Obwohl Vergleichskalkulationen den Tauern eine bessere Rentabilität bescheinigten und diese auch in langen Niedrigwasserperioden das Rückgrat des Schleppbetriebs am Mittelrhein bildeten, erwies sich die Strecke Oberkassel-Bingen schlicht als zu kurz, um die Vorteile ausspielen zu können. Theoretisch hätten hier 20 Seilschiffe gleichzeitig unterwegs sein können. Im täglichen Geschäft waren noch nicht einmal die vorhandenen acht Tauer ausgelastet, denn der zweimalige Wechsel der Schlepper bei Oberkassel und hinter Bingen war aufwändig und zeitraubend. Der Seilabschnitt stellte in den allermeisten Fällen ja lediglich den Mittelteil einer viel längeren Fahrstrecke dar, so dass sich alternativ eine durchgängige Bedienung durch frei fahrende Schlepper anbot. Im Geschäftsjahr 1884 hatten zum Beispiel 36 Prozent der von Duisburg-Hochfeld oder Ruhrort ausgehenden Frachten der Gesellschaft Ziele bis hinauf nach Mannheim, nur 17 Prozent waren für Orte bis Mainz bestimmt. 22 Prozent der transportierten Güter gingen von den Niederlanden über Duisburg rheinaufwärts, legten also eine lange Strecke auf dem Niederrhein zurück, wo schon lange kein Seil mehr lag.
Während die acht Tauer der “Central AG für Tauerei und Schleppschiffahrt” seit 1873 nur leicht modifiziert worden waren, übertrafen die über 700 sonstigen Rheinschlepper des Jahres 1901 hinsichtlich Motorisierung, Geschwindigkeit, Zugkraft und Brennstoffeffizienz die Leistungen jener 50 deutschen und acht holländischen “Remorqueure”, die 1870 die Strecke Rotterdam-Straßburg befahren hatten. Gleichzeitig verbesserten umfangreiche Regulierungsmaßnahmen der Rheinanliegerstaaten das Fahrwasser, auch im berüchtigten Binger Loch. Die ursprüngliche Überlegenheit der Seilschifffahrt verschwand. Beträchtlichen Anteil an dieser Entwicklung hatte die veränderte Zusammensetzung der geschleppten Fahrzeuge. 1901 erreichte die Zahl der auf dem Rhein verkehrenden Eisenkähne (4.057) fast die der hölzernen; mit durchschnittlich 526 Tonnen lag ihre Tragfähigkeit mehr als dreimal so hoch. Zudem wiesen sie gegenüber den Holzschiffen einen geringeren Wasserwiderstand auf. Die schleppstarken modernen Rad- und Schraubenboote waren mit solchem Anhang ohne Einschränkung selbst dem strömungsreichen Mittelrhein gewachsen.
Quellen
Central-Actien-Gesellschaft für Tauerei und Schleppschiffahrt zu Ruhrort. Geschäftsberichte.
Central-Actien-Gesellschaft für Tauerei und Schleppschiffahrt zu Ruhrort. Bericht für die außerordentliche General-Versammlung am 11. März 1985.
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