Zu den Kapiteln
Anna Auguste (Änne, auch Aenne) Kaufmann zählt zu den „Pionierinnen im Pfarramt“. Von der Theologie Karl Barths geprägt und zeitlebens an den Barmer Thesen von 1934 orientiert, empfand sie sich selbst keineswegs als Feministin oder Frauenrechtlerin. Dennoch steht sie exemplarisch für die Erfahrungen der ersten Generation von Theologinnen, die bis in die 1970er Jahre hinein für die volle berufliche Gleichberechtigung in der Kirche kämpfen musste.
Anna Kaufmann wurde am 4.9.1903 in Bremen als Tochter des Obertelegraphensekretärs Friedrich Kaufmann und seiner Ehefrau Fanny geborene Stündel (gestorben 1933) geboren. Bereits in der Unterprima hatte sie den Entschluss gefasst, Theologie zu studieren. Die wirtschaftlichen Verhältnisse ihrer Familie und die fehlende Berufsperspektive für Frauen in der Kirche ließen dies jedoch zunächst nicht zu. So nahm sie nach dem Abitur 1923 am heimischen Kippenberg-Lyceum und dem Besuch des Lehrerseminars zunächst eine Tätigkeit als Lehrerin in Mecklenburg auf. Seit 1925 arbeitete sie wieder in Bremen, wo sie mit Blick auf ihren nicht aufgegebenen Berufswunsch 1927 am Alten Gymnasium Latinum und Graecum nachholte. Als in diesem Jahr das Vikarinnengesetz der Kirche der Altpreußischen Union (APU) Theologinnen erstmals überhaupt Berufsfelder in der Seelsorge eröffnete, begann sie das Studium in Marburg, das sie 1929 in Göttingen und 1930 in Bonn fortsetzte. Wie auf viele andere ihrer Generation hinterließ dabei Karl Barth (1886-1968) in Bonn den tiefsten Eindruck, er blieb für sie nach eigener Aussage zeitlebens ihr „Wächter auf der Zinne“.
Das Foto aus der Personalakte gehört zu dem 1932 beim Rheinischen Konsistorium in Koblenz anlässlich der Anmeldung zum ersten theologischen Examen (16.3.1935) eingereichten Lebenslauf. Es zeigt eine ebenso selbstbewusste wie nachdenkliche junge Frau, deren lang gehegter Berufstraum sich nun endlich zu realisieren begann. Während der Weltwirtschaftskrise konnte der Kreisverband der weiblichen Jugend in Essen nicht länger seine hauptamtliche Jugendsekretärin bezahlen. Dessen Vorsitzender Pfarrer Johannes Böttcher (1895-1949) von der Kirchengemeinde Essen-Altstadt bat daraufhin das Konsistorium um Entsendung einer Lehrvikarin, was aus seiner Sicht den unschätzbaren Vorteil bot, dass diese Vikarinnen noch einen Zuschuss auf ihre eigenen Bezüge zahlen mussten. So verschlug es Anna Kaufmann nach Essen, wo sie bis zum Eintritt in den Ruhestand 38 Jahre lang in Dienst stehen sollte.
Vornehmlich oblag ihr die Arbeit mit der weiblichen Gemeindejugend. Zu ihren mannigfachen Aufgabengebieten zählten aber auch der Kindergottesdienst, Konfirmanden- und Katechumenenunterricht, die Krankenhausseelsorge oder die Betreuung des Rotlichtbezirks an der Stahlstraße. Nach der Auflösung beziehungsweise Gleichschaltung der Jugendverbände 1934 wurde in Essen die „Stadtmission. Weiblicher Jugenddienst“ gegründet. Sonntags fand eine Vollversammlung von stets circa 100-120 Mädchen statt, in der Woche führte Kaufmann Bezirkstreffen und Schulungen durch. Eine enge Freundschaft verband sie mit Hilda Heinemann (1896-1979), der Frau des späteren Bundespräsidenten Gustav Heinemann.
Von Beginn an schloss sie sich der Bekennenden Kirche (BK) an. Der Essener Pfarrernotbund wurde in ihrem Arbeitszimmer in der Hochstraße 13 gegründet. Kaufmann erinnerte sich später lebhaft an die Selbstverständlichkeit, mit der sie sich als einzige Frau in die Männerriege integriert fühlte. Bei ihrer Arbeit genoss sie die Entscheidungsspielräume, die ihr Pfarrer Böttcher und sein Amtskollege Wilhelm Busch (1897-1966) einräumten. Nach Ablegung des zweiten Examens vor dem Prüfungsausschuss der BK am 16.3.1935 in Barmen (heute Stadt Wuppertal) durfte sie zu Karfreitag erstmals öffentlich das Abendmahl austeilen.
Als am 2.12.1935 Reichskirchenminister Hanns Kerrl (1887-1941) der Bekennenden Kirche alle eigenen Ordinationen von Kandidaten untersagte, beschloss die rheinische BK als Akt der Renitenz, spontan eigene Ordinationen durchzuführen. Im Personalpool befanden sich zu diesem Zeitpunkt aber nur drei Kandidatinnen, keine Männer. So wurde denn am Freitag, 6.12.1935, Kaufmann informiert, dass sie sonntags ordiniert würde. Einladungen selbst zu einer bescheidenen Feier waren nicht mehr möglich.
Am 8.12.1935 wurde Änne Kaufmann als erste Frau in Deutschland im Beisein mehrerer assistierender Pfarrer im Frühgottesdienst der Essener Marktkirche ordiniert - und damit zwei Stunden früher als ihre beiden Kolleginnen Hanna Klein (verheiratete Schreiber, 1906-1978) und Emilie Bach (verheiratete Mühlen, 1909-2003) in Düsseldorf. Das feierliche Element beschränkte sich auf einen rasch besorgten Blumenstrauß und das Spalier der Gemeinde von der Kirche zum Rathaus. Viel Energie und Tinte ist – in Teilen der Forschung wie auch seitens anderer früher Theologinnen – darauf verwendet worden, die Bedeutung dieser Aktion auf eine bloße Einsegnung hin zu relativieren. Dem steht der unmissverständliche Protokolleintrag des Rheinischen Bruderrates bereits vom 16.11.1935 entgegen: Es wird beschlossen, Aenne Kaufmann zu ordinieren. Da nach 1945 nicht sein konnte, was nicht sein durfte, wurde beim Exemplar ihrer Ordinationsurkunde in der Registratur des Landeskirchenamtes Düsseldorf die Überschrift nachträglich durchgestrichen.
1942 stellte das Presbyterium der Altstadtgemeinde beim Düsseldorfer Konsistorium den Antrag, Kaufmann zu verbeamten. Anlässlich einer persönlichen Anhörung weigerte sie sich standfest, um eine nachträgliche Legalisierung ihrer BK-Prüfungen nachzusuchen. Wider alle Erwartungen kreiste der Antrag noch mehrfach zwischen den kirchenbehördlichen Schreibtischen in Düsseldorf und Berlin und wurde schließlich positiv beschieden. Auch hier bezog sich der Evangelische Oberkirchenrat ausdrücklich auf das Ordinationsdatum 8.12.1935. Damit war Kaufmann die erste verbeamtete Vikarin in der Altpreußischen Union (APU), was für die BK noch den zusätzlichen Charme hatte, dass Kaufmanns Gehalt künftig von der regimetreuen Provinzialkirche bezahlt wurde.
Im letzten Kriegsjahr war Kaufmann mit daran beteiligt, Essensmarken und Lebensmittel für die im Pfarrhaus von Pfarrer Böttcher versteckten jüdischen Mitbürger zu beschaffen. Hierbei lernte sie den Kaufmann Josef Anschel kennen, was den Anstoß für ihre spätere intensive Israel-Arbeit gab. Seit 1959 reiste sie regelmäßig dorthin. Schließlich gründete sie 1970 den Förderkreis für das später errichtete Eben-Ezer-Altenheim in Haifa für messianische Juden. Theologisch gab sie freilich bei allem Engagement und ihrem Verständnis für die deutsche Schuld nie den Missionsanspruch auch gegenüber Juden auf, was dann 1980 durch den wegweisenden Synodalbeschluss der Evangelischen Kirche im Rheinland geschah.
Manch männlicher BK-Kollege ließ es nach 1945 gehörig an Wertschätzung gegenüber der geleisteten Arbeit der Vikarinnen während des Krieges fehlen. Bezeichnend ist hierfür eine dem nunmehrigen Oberkirchenrat Johannes Schlingensiepen (1898-1980) zugeschriebene Äußerung in Bezug auf Kaufmann: Leider ist das Unglück passiert, dass sie verbeamtet worden ist. Gegen den Versuch, das Rad in der Kirche zurückzudrehen und die Frauen vom Verkündigungsdienst wieder auszuschließen, setzten sich die Theologinnen im Verbund mit liberalen Kirchenvertretern schließlich durch. Kaufmann war eine erfahrene Netzwerkerin und bereits seit 1929 Mitglied im Verband Evangelischer Theologinnen. Dennoch kam es hier nach 1945 zu einer gewissen Entfremdung. Kaufmann konzentrierte sich auf ihre gemeindliche Arbeit in Essen und war sicherlich auch weniger profilierungsbedürftig als andere Verbandsvertreterinnen.
In der Nachkriegszeit setzte sie ihre gemeindliche Arbeit in Essen fort. Neue Facetten kamen hinzu. Vorrangig in den ersten Nachkriegsjahren war der Aufbau der „Henriette“, des Mädchenwohnheims in der Henriettenstraße, in dem auch viele Vertriebene Aufnahme fanden. Als im Haus Quellengrund bei Wuppertal, in dem seit 1946 die weibliche Jugend als Evangelisches Mädchenwerk im Rheinland organisiert war, 1960 die Vereinigung evangelischer berufstätiger Frauen gegründet wurde, übernahm Änne Kaufmann das Amt der stellvertretenden Vorsitzenden. Ferner fungierte sie ab 1953 als Vorsitzende des Rheinischen Theologinnenkonvents und gehörte dem Prüfungsausschuss für Vikarinnen im Rheinland an. Zeitweise übernahm sie die theologische Lehre in der Schwesternausbildung in der Essener Huyssens-Stiftung und war bis 1964 „Vertrauensvikarin“ des Konventes Rheinischer Theologinnen gegenüber der Landeskirche.
Rege Kontakte bahnte sie mit Theologinnen in der DDR an. Gescheitert ist sie damals nur in der freilich sekundären Frage der Amtstracht: Die von ihr angeregten modischen Entwürfe eines eigenen weiblichen Talars im Stil von Christian Diors „New Look“ stießen weder bei den Theologinnen noch den männlichen Kollegen auf Resonanz.
Ein neues Kirchengesetz ermöglichte es, dass sie ab 1966 für ihre beiden letzten Amtsjahre bis zum Ruhestand 1968 noch den Titel Pastorin führen durfte. Sie war in dieser Zeit zuständig für die weibliche Berufstätigenarbeit im Kirchenkreis Essen-Mitte.
Kaufmann blieb, wie die überwiegende Mehrzahl der Amtskolleginnen ihrer Generation, zeit ihres Lebens ledig. Dies war nicht zuletzt der sogenannten Zölibatsklausel von 1927 geschuldet, die im Falle einer Eheschließung das Ausscheiden aus dem Amt vorschrieb und bis 1973 (!) in Geltung blieb. Im folgenden Jahr konstatierte Kaufmann daher im Rückblick auf die erlebten Diskriminierungen eines langen Berufslebens: Ich fing an, als es noch kein Gesetz gab, und ich hörte auf, als es kein Gesetz mehr gab, sondern nur das Pfarrerdienstgesetz für Männer und Frauen.

Zug anlässlich des 25. Bestehens der Evangelischen Verbands für die weibliche Jugend im Rheinland, Änne Kaufmann im schwarzen Mantel mit Brille, Essen,Hindenburgstraße 71, Fotograf: R. Triebel, 24.9.1933. (Archiv der Evangelischen Kirche im Rheinland/ Best. 7NL 084 (Änne Kaufmann), Sig. 4096)
Änne Kaufmann verstarb am 18.5.1991 in Essen. 2018 wurde im Rahmen des Kunstprojektes „Kirchenköpfe“ ein wandgroßes Porträt Kaufmanns im Foyer des Landeskirchenamtes Düsseldorf realisiert. Zusammen mit 19 weiteren dargestellten Persönlichkeiten veranschaulicht sie die Vielfalt des rheinischen Protestantismus vom 16. bis 20. Jahrhundert.
Ihr Nachlass befindet sich im Archiv der Evangelischen Kirche im Rheinland in Düsseldorf.
Literatur
Darum wagt es, Schwestern ...". Zur Geschichte evangelischer Theologinnen in Deutschland, Neukirchen-Vluyn 1994.
Gruch, Jochen (Bearb.), Die evangelischen Pfarrerinnen und Pfarrer im Rheinland von der Reformation bis zur Gegenwart, Band 3, Bonn 2018, Nr. 6383.
Härter, Ilse, Anna Kaufmann, in: Erhart, Hannelore (Hg.), Lexikon früher evangelischer Theologinnen. Biographische Skizzen, Neukirchen-Vluyn 2005, S. 205.
Herbrecht, Dagmar/Härter, Ilse/Erhart, Hannelore (Hg.), Der Streit um die Frauenordination in der Bekennenden Kirche. Quellentexte zu ihrer Geschichte im Zweiten Weltkrieg, Neukirchen-Vluyn 1997.
Meyer, Simon, Aenne Kaufmann. Frauen im Pfarramt: Tätigkeitsfelder und Theologie am Beispiel Aenne Kaufmanns, Essen 2015.
Pionierinnen im Pfarramt. 40 Jahre Gleichstellung von Frauen und Männern im Pfarramt in der Evangelischen Kirche im Rheinland, Düsseldorf 2015.
Online
Repertorium des Nachlasses von Aenne Kaufmann im Archiv der EKiR [Online]
Porträt Aenne Kaufmanns im Foyer des Hauses der Landeskirche in Düsseldorf [Online]

Kunstwerk Kirchenkopf "Änne Kaufmann" von Olaf Hanweg in der Entstehung, Düsseldorf, 2018. (Evangelische Kirche im Rheinland)
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Flesch, Stefan, Änne Kaufmann, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/%25C3%2584nne-kaufmann/DE-2086/lido/68079a1398fd74.38176860 (abgerufen am 15.05.2025)
Veröffentlicht am 24.04.2025, zuletzt geändert am 06.05.2025