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Adolph von Hansemann war einer der prägenden und angesehensten deutschen Bankiers in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
Adolph von Hansemann wurde am 27.7.1827 als viertes Kind und ältester Sohn des Kaufmanns David Hansemann und dessen Ehefrau Fanny Fremerey (1801–1876), Tochter eines Eupener Tuchfabrikanten, in Aachen geboren. Er besuchte die höhere Bürgerschule in Aachen, die er 1841 mit dem Reifezeugnis abschloss. Seine kaufmännische Lehrzeit verbrachte Hansemann in Hamburg, Berlin und bei einer Leipziger Textilfirma. Nach dem Abschluss seiner zweijährigen Ausbildung kehrte Hansemann ins Rheinland zurück und trat als Kommanditist – ausgestattet mit vorgestrecktem Kapital seines Vaters – in die Tuchfabrik seines Vetters in Eupen ein, die er mit diesem bis 1857 erfolgreich leitete.
1857 wechselte Adolph von Hansemann auf Wunsch seines Vaters als Miteigentümer in die von diesem 1851 begründete Disconto-Gesellschaft und verlegte seinen Wohnsitz nach Berlin. David Hansemann vertrat die Bank weiterhin nach außen, während sein Sohn für die laufenden Geschäfte verantwortlich war. 1860 heiratete Hansemann in Köln Ottilie Kusserow (1840–1919). Ottilies Mutter Eveline war die Tochter von Salomon Oppenheim, dem Gründer des Bankhauses Oppenheim. Das Ehepaar hatte zwei Kinder, einen Sohn (Ferdinand) und eine Tochter (Davide Eveline). Entgegen den Wünschen des Vaters setzte der Sohn das Werk seines Vaters nicht fort: Ferdinand von Hansemann (1861-1901) studierte Jura und widmete sich anschließend bis zu seinem frühen Tod der Politik und der Landwirtschaft.
Nach dem Tod des Vaters 1864 trat Adolph von Hansemann dessen Nachfolge an und machte die Disconto-Gesellschaft in den folgenden Jahren zur führenden Berliner Großbank. Das Aktienkapital der Bank stieg unter seiner Leitung von 60 Millionen Mark 1872 auf 150 Millionen Mark 1902 und der Umsatz von 840 Millionen Mark 1857 auf 24,7 Milliarden Mark im Jahr 1900. Adolph von Hansemann wurde zu einem der reichsten Männer Deutschlands und zum Inbild des feudalisierten Bürgers: An der Berliner Tiergartenstraße bewohnte die Familie eine prunkvolle Doppelvilla und der passionierte Jäger verfügte über Grundbesitz von mehr als 7.000 Hektar in der Provinz Posen und auf der Insel Rügen, wo er sich in Dwasieden zudem ein Schloss errichten ließ.
Die politischen Ereignisse der Jahre 1866 und 1870/ 1871 führten dazu, dass sich die Disconto-Gesellschaft insbesondere dem Geschäft der öffentlichen Anleihen widmete. Während des Deutsch-Französischen Kriegs trat Adolph von Hansemann als Finanzberater der Regierung auf und erreichte, dass die deutschen Schatzanweisungen auch auf dem englischen Kapitalmarkt platziert wurden. Die Würdigung seiner Verdienste um den preußischen Staat, insbesondere bei der Finanzierung der Kriege 1866 und 1870/ 1871, fand ihren Ausdruck in Gestalt zahlreicher Titel und Ehrungen, in- und ausländischer Orden und in der am 8.2.1872 durch Allerhöchste Kabinettsorder des Königs von Preußen erfolgten Erhebung in den erblichen Adelsstand.
In diesen Jahren entwickelte sich auch die enge Bindung Hansemanns zu Reichskanzler Otto von Bismarck (1815–1898, Amtszeit als Reichskanzler 1871-1890), die auch nach der Entlassung des Kanzlers bestehen blieb. Wie viele Bankiers und Industrielle der Kaiserzeit war Hansemann ein Verehrer Bismarcks und bevorzugte auch politisch die Anhänger des Reichskanzlers, die Freikonservativen, die auf Reichsebene als „Deutsche Reichspartei" auftraten. Im Gegensatz zu seinem Vater trat Adolph von Hansemann in der Politik freilich nicht aktiv hervor.
Neben der Leitung der Bank widmete sich Adolph von Hansemann zahlreichen Geschäften außerhalb des laufenden Betriebs. Von seinem Vater David stammten Pläne zur Neugestaltung des Realkredits in Form eines mit großen Vorrechten ausgestatteten Zentralinstituts. Unter Adolph von Hansemann kam es schließlich 1870 zur Gründung der Preußischen Central-Bodenkredit-Aktiengesellschaft, die zeitweise das größte Realkreditinstitut in Deutschland war und in dem die Disconto-Gesellschaft ohne Unterbrechung im Aufsichtsrat vertreten war. Adolph von Hansemann war zudem an mehreren Bankgründungen in anderen europäischen Ländern und in Übersee beteiligt, unter anderem 1889 an der Deutsch-Asiatischen Bank.
Ebenfalls von seinem Vater übernahm Adolph von Hansemann die Idee der Bildung und Durchführung von Banken-Konsortien zur Unterbringung großer staatlicher oder privater Emissionen. Die wichtigsten waren das Preußen-Konsortium, an dessen Spitze die Königliche Seehandlung (Preußische Staatsbank) stand und in dem die Disconto-Gesellschaft die größte Kapitalkraft hatte, und das Rothschild-Konsortium. Das Rothschild-Konsortium eröffnete Hansemann zum einen weitere geschäftliche Perspektiven, unter anderem in der österreichisch-ungarischen Monarchie und auf dem Balkan, wo es hauptsächlich agierte. Zum anderen entwickelte sich aus dieser Verbindung eine persönliche Freundschaft zur Familie Rothschild. Als 1901 Baron Willy von Rothschild (1828–1901), der Inhaber des Frankfurter Bankhauses M. A. Rothschild & Söhne, starb, ohne männliche Nachkommen zu hinterlassen, wurde das Bankhaus liquidiert. An seine Stelle trat die Frankfurter Filiale der Disconto-Gesellschaft.
Kein anderes Berliner Institut hatte außerhalb Berlins so differenzierte geschäftliche Interessen wie die Disconto-Gesellschaft. An einer räumlichen Ausdehnung war der Bank daher besonders gelegen. Zu diesem Zweck wurde 1871 die Provinzial-Disconto-Gesellschaft gegründet, deren Aufgabe es war, Zweigniederlassungen, Kommanditen und Agenturen im In- und Ausland zu gründen und sich kommanditarisch an anderen Bankhäusern zu beteiligen. Dieses Vorgehen scheiterte freilich nicht zuletzt daran, dass man kein „gesundes Mittelmaß" zwischen ausreichender Freiheit für die Geschäftsführungen der Außenstellen und notwendiger Kontrolle durch das Mutterinstitut fand. 1878 wurde die Provinzial-Disconto-Gesellschaft liquidiert. Erst zwei Jahrzehnte später griff Hansemann das Problem einer geschäftlichen Dezentralisation durch die Errichtung von Depositenkassen und Filialen und die Beteiligung bei anderen Banken erneut auf.
Weitere Chancen für große Finanzgeschäfte eröffneten sich Hansemann auf dem Gebiet des Verkehrswesens und der Industrie sowie im Einsatz für die kolonialen Bestrebungen Deutschlands (unter anderem durch die Gründung der Deutschen See-Handelsgesellschaft und der Neu-Guinea-Compagnie). In Rumänien sanierte Adolph von Hansemann bereits in den 1870er Jahren unter anderem in Zusammenarbeit mit dem Bankhaus Bleichröder, der Seehandlung und M. A. Rothschild & Söhne das Unternehmen des „Eisenbahnkönigs" Bethel Henry Strousberg (1823-1884).
Er trat zudem – wie bereits sein Vater – für den weiteren Ausbau des Eisenbahnnetzes ein und beteiligte sich zu diesem Zweck an der Finanzierung in- und ausländischer Eisenbahnanlagen, zum Beispiel am Bau der Großen Venezuela-Eisenbahn. Neben der Gotthardbahn-Gesellschaft war er auch Mitglied im Verwaltungsrat der Warschau-Wiener-Eisenbahn-Gesellschaft. Die Disconto-Gesellschaft war der Finanzier der wichtigsten großen Eisenbahngesellschaften Deutschlands; mit der 1879 eingeleiteten Verstaatlichung der preußischen Eisenbahnen wurde dieses Finanzgeschäft freilich erheblich eingeengt.
In der Industrie wirkte Hansemann am Aufbau des Montanreviers an der Ruhr mit, sanierte unter anderem 1896 die Mengeder Bergwerks AG, die in eine Gewerkschaft umgewandelt wurde und seinen Namen erhielt, und war seit 1873 Aufsichtsratsvorsitzender der Gelsenkirchener Bergwerks-AG.
Adolph von Hansemann starb am 8.12.1903 in Berlin und wurde im Familiengrab, das er für seine Eltern errichtet hatte, auf dem alten Matthäikirchhof beigesetzt.
Literatur
Däbritz, Walter, David Hansemann und Adolph von Hansemann, Krefeld 1954.
Münch, Hermann, Adolph von Hansemann, München / Berlin 1932.
Online
Achterberg, Erich, "Hansemann, Adolph von", in: Neue Deutsche Biographie 7 (1966), S. 625–626.
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Junggeburth, Tanja, Adolph von Hansemann, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/adolph-von-hansemann/DE-2086/lido/57c826eb516518.59793709 (abgerufen am 10.12.2024)