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Im Mittelpunkt des vielseitigen Werks von Alfons Paquet steht seine Beschäftigung mit dem Rhein. Er war die zentrale Figur des „Bundes rheinischer Dichter“ und entwarf in den Jahren der Weimarer Republik ein visionäres, europäisch orientiertes Bild des Stromes.
Paquet kam am 26.1.1881 als Sohn des aus Köln stammenden Handschuhfabrikaten Jean Paquet (1852-1913) und seiner Ehefrau Friederike, geborene Burger (1852-1906) in Wiesbaden zur Welt. Die Familie war streng baptistisch. Der Sohn entzog sich allen Versuchen, die elterlichen Handwerker-Traditionen fortzuführen. Der Vater nahm ihn vor dem Abitur aus der Schule, es folgten ein Aufenthalt bei Verwandten in London, eine Lehrzeit als Handschuhmacher und als kaufmännischer Angestellter.
Paquet begann früh zu schreiben und verließ 1900 seine Geburtsstadt in Richtung Berlin. Nach einem Volontariat wurde er Journalist, sein erster Erzählungsband erschien 1901, im folgenden Jahr der erste Gedichtband. Paquet wurde kurzzeitig Sekretär von Wilhelm Schäfers (1868-1952) Zeitschrift „Rheinlande“ in Düsseldorf; mit Schäfer blieb er zeitlebens in Kontakt. Durch die Arbeit für das Pressebüro der Industrie- und Gewerbeausstellung Düsseldorf 1902 konnte er sich ein Studium der Volkswirtschaft finanzieren; ab dem Wintersemester 1902 in Heidelberg, 1904 im Wintersemester in München und anschließend in Jena. Als Journalist bereiste er 1903 auf der erst soeben durchgängig befahrbaren Eisenbahnstrecke durch Sibirien bis Wladiwostock. Im Jahr darauf fuhr er in die USA zur Weltausstellung in St. Louis. 1905 folgte eine Fahrt entlang der im Bau befindlichen Bahnstrecke durch die heutige Türkei. Paquet promovierte 1907/1908 in Jena zum Doktor der Staatswissenschaft mit dem Thema „Das Ausstellungsproblem in der Volkswirtschaft“. In diesen Jahren unterhielt er Kontakte zum Frankfurter Großindustriellen Wilhelm Merton (1848-1916) und seinem „Institut für Gemeinwohl“. Schriftstellerisch folgten Gedichtbände, journalistische Arbeiten für die „Frankfurter Zeitung“ unter anderem als Korrespondent auf zwei weiteren Reisen durch Sibirien und die Mongolei bis nach Japan und China.
Paquet heiratete 1910 in der Frankfurter Paulskirche die Malerin Marie-Henriette Steinhausen (1881-1958), eine Tochter des Malers Wilhelm Steinhausen (1836-1924). Das Paar zog nach Hellerau (heute Stadt Dresden), wo Paquet kurzzeitig als Geschäftsführer des Deutschen Werkbundes tätig wurde. Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs verfasste er eine Reihe Bücher, einen Roman, Erzählungen, Reiseberichte. Während des Ersten Weltkriegs kam Paquet ab 1916 als Korrespondent für die „Frankfurter Zeitung“ nach Stockholm und knüpfte Kontakte zu führenden Bolschewiken. Durch seine Vermittlung fand das erste informelle Treffen zwischen einem Vertreter der neuen revolutionären russischen Regierung und einem deutschen Diplomaten statt. Im Sommer 1918 reiste Paquet in einer Doppelrolle als Korrespondent und Mitarbeiter der deutschen Gesandtschaft nach Moskau. Dort unterhielt er engen Kontakt mit Karl Radek (1885-1939) und in Aufzeichnungen über gemeinsame Gespräche taucht das Thema des Rheins mit dem Wirtschaftsraum des Ruhrgebiets zum ersten Mal auf.
1919 suchte Paquet den „Geist“ der russischen Revolution in Deutschland bekannt zu machen und warb für eine Beteiligung des Bürgertums an der Revolution, um eine Radikalisierung wie in Russland zu verhindern. In der Folge begann Paquet seine rheinische Vision als westeuropäische Antwort auf die Revolution im Osten zu entwerfen. Ein erster konkreter Ansatzpunkt dafür war die Auseinandersetzung mit den besetzten Gebieten im Rheinland und Diskussionen über eine rheinische Selbstverwaltung. Auch räumlich näherte sich Paquet dem Rhein: Die Familie lebte nun dauerhaft in Frankfurt am Main.
Paquet schrieb in den 1920er Jahren weitere Bücher und unzählige Zeitungsartikel. Er deckte damit die verschiedensten literarischen Genres und eine extrem breit gefächerte Themenvielfalt ab, die Gefahr einer Verzettelung war offensichtlich. Sein dramatisches Schaffen fand Mitte des Jahrzehnts mit den beiden politischen Theaterstücken „Fahnen“ und „Sturmflut“ den Höhepunkt; ihre Inszenierung durch Erwin Piscator (1893-1966) an der Berliner Volksbühne war spektakulär – zum ersten Mal wurde nach einer von Paquet mitentwickelten Idee bei „Sturmflut“ der Film als dramaturgisches Mittel auf der Bühne eingesetzt. Zur Auseinandersetzung mit der russischen Revolution gehörte auch sein Roman „Prophezeiungen“. In zwei Essaybänden setze er sich mit Deutschlands Position zwischen Ost und West, der Jugendbewegung und ihrem Verhältnis zur Republik auseinander, auch der Antikolonialismus geriet dabei in sein Blickfeld.
Die Reihe seiner rheinischen Schriften begann 1919/1920 mit der Programmschrift „Der Rhein als Schicksal“. Es folgte 1923 der vielleicht erste wirklich moderne Rheinreisebereicht: „Der Rhein, eine Reise“, der vor dem Hintergrund der Inflationszeit eine Reise von der Quelle bis zur Mündung des Stromes beschreibt. 1928 versammelte er in „Die Ideologie des Rheines“ in überarbeiteter Form zentrale Texte seiner Beschäftigung mit dem Rhein. Paquet entwarf hier ein politisch-kulturelles, historisch grundiertes Bild des Stromes als „Schlagader“ Europas, das metaphysischer Anklänge nicht entbehrte: Der Rhein als voll ausgebaute Wasserstraße würde die westeuropäische Integration über alle nationalen Grenzziehungen hinweg bewirken, die Stromufer waren in diesem Bild verlängerte Küsten im Inneren des Kontinents; schließlich endete er in einer Vision des globalen Strömens und Fließens zwischen multinationalen Handels- und Hafenstädten und Ballungsräumen. Paquets Rheinvision war im Ursprung von einer stark messianisch-endzeitlich geprägten Nachkriegsstimmung mit expressionistischem Beiklang bestimmt, bald aber flossen die aktuellen politischen Debatten über kommunale Expansion und eine vieldiskutierte „Reichsreform“ in sein Rheinbild mit ein. Als Journalist beschäftigte er sich zunehmend mit Landesplanung und Wasserbau, er schrieb über das Ruhrgebiet als „Städtestadt“ und gehörte in Frankfurt zum Kreis um den Oberbürgermeister Ludwig Landmann (1868-1945, Oberbürgermeister 1924-1933), wo neben dem richtungsweisenden Bauen des „Neuen Frankfurt“ für eine Zusammenfassung des Rhein-Main-Gebiets als Ballungsraum geworben wurde. Paquet war mit solchen Themen außer in der „Frankfurter Zeitung“ auch in wichtigen zeitgenössischen Zeitschriften vertreten, hier lag sein eigentliches Wirkungsfeld, während seine meisten Bücher nur geringe Auflagenhöhen erreichten.
1926 kam es nicht zuletzt in Reaktion auf die erneut drohende nationalistische Aufladung des Rheintopos im Rahmen der Tausendjahrfeier des Rheinlands 1925 zur Gründung des „Bundes rheinischer Dichter“, deren zentrale Figur Paquet bis zum Ende 1933 blieb. Der Bund manifestierte sich vor allem in großen Treffen, so 1926 und 1927 in Koblenz, 1928 in Frankfurt am Main, 1930 in Duisburg, 1931 in Freiburg und 1932 in Trier. Die inhaltliche Line schwankte dabei zwischen offensiver Bejahung des Rheins als moderner Arbeitslandschaft in Duisburg und völkischen Tendenzen vor dem Hintergrund der Aufladung der politischen Atmosphäre gegen Ende der Weimarer Republik auf den letzten Tagungen. Die gerade von Paquet angestrebte Kontaktaufnahme zu rheinischen Mitstreitern jenseits der Grenzen kam nicht in nennenswerten Umfang zustande. Wichtige, jeweils zeitweise aktive Mitstreiter Paquets im Bund waren Josef Winckler (1881-1966), Adolf von Hatzfeld (1892-1957). Josef Ponten (1883-1940), Jakob Kneip (1881-1958), und René Schickele (1883-1940). Der Bund betonte die europäische Dimension des Rheins und den Ausgleich mit Frankreich. Er suchte sich auch in kulturpolitische Diskussionen einzuschalten, etwa bei der Frage eines rheinischen Standortes für ein projektiertes „Reichsehrenmal“. Die heftigen Idiosynkrasien der beteiligten Schriftsteller brachten den Organisator Paquet zeitweise dazu, das Projekt aufgeben zu wollen. Parallel zum Dichterbund suchte Paquet mit der „Rheingenößischen Vereinigung“ mehrere Jahre lang eine politisch wirksame Organisation für die Beförderung seiner rheinischen Pläne ins Leben zu rufen. Hier sollten Vertreter von kommunalen Verwaltungen und Selbstverwaltungsorganisationen zu einer Art rheinischen Interessenvertretung zusammenfinden, wobei es zu mehreren Vorbereitungstreffen kam, die Umsetzung letztlich aber an der mangelnden Finanzierung scheiterte.
1932, kurz nach seinem 50. Geburtstag, erlebte Paquet mit der Wahl in die Preußische Akademie der Künste den Höhepunkt offizieller Anerkennung und Würdigung. Er sollte der Akademie jedoch nur ein knappes Jahr angehören; nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten versuchte Paquet noch vergeblich die demokratisch gesonnenen Autoren in der Akademie zu organisieren, unterschrieb die geforderte Gleichschaltungserklärung nicht und trat aus. Er musste Verfolgung durch die Nationalsozialisten befürchten, Verdienstmöglichkeiten wie die Arbeit für das Radio fielen weg; 1936 wurde Paquet im Vorfeld einer Auslandsreise kurzzeitig von der Gestapo verhaftet. Alte Freunde oder Kontakte wie Wilhelm Schäfer oder der NS-Literaturfunktionär Hans Friedrich Blunck (1888-1961) setzen sich immer wieder für Paquet ein, da sie ihn nicht zuletzt als Vertreter einer „landschaftlich“ interpretierten, rheinischen Literatur schätzten. Der sechsfache Vater emigrierte nicht, obwohl er als Quäker gute Kontakte nach Amerika und England besaß und für andere Emigranten immer wieder seine Auslandskontakte mobilisierte. Paquet beflog 1934 die wichtigsten neuen innereuropäischen Routen und schrieb darüber ein erstes „Flugreisebuch“. Materielle Sicherheit gewann er in jenen Jahren mit einer Festanstellung bei der „Frankfurter Zeitung“, zu der geplanten Leitung des Feuilletons kam es aufgrund einer schweren Herzerkrankung nicht.
1938 fuhr Paquet auf Einladung der Quäker nach Amerika, eine für 1940 bereits bestätigte Anstellung an einem Quäkerkolleg in den USA kam durch den Kriegsausbruch nicht mehr zustande. Paquet schrieb bis zu ihrer Schließung 1943 für die „Frankfurter Zeitung“. In den Kriegsjahren erschienen noch zwei Bücher über den Rhein, einmal die persönlich gefärbte „Botschaft des Rheins“ 1941, sowie der erfolgreiche Bildband „Der Rhein. Vision und Wirklichkeit“ mit Aufnahmen der Kleinbildpioniere Paul Wolff (1887-1951) und Alfred Tritzschler (1905-1970) im neusachlichen Stil. Durch den Tod eines Sohnes in Russland im Herbst 1943 gebrochen, protokollierte Paquet noch die Bombenkriegszerstörungen am Rhein, zumal in Köln. Zu der Stadt hatte Paquet eine besondere emotionale Nähe, hier wohnten auch gute Freunde wie der Fabrikant und Sammler Josef Feinhals (1867-1947).
Alfons Paquet starb am 8.2.1944 während eines Bombenalarms im Keller seines Wohnhauses am Frankfurter Schaumainkai, nun der Standort des Museums Angewandte Kunst. Er ist auf dem Frankfurter Hauptfriedhof beerdigt.
Nachlass
Der Hauptteil des umfangreichen Nachlasses befindet sich in der Handschriftenabteilung der Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt am Main.
Schriften (Auswahl)
Der Rhein als Schicksal oder Das Problem der Völker, München 1920.
Der Rhein, eine Reise, Frankfurt am Main 1923.
Rom oder Moskau, München 1923.
Die Neuen Ringe, Frankfurt am Main 1924.
Antwort des Rheines. Eine Ideologie, Augsburg 1928.
Fluggast über Europa. Ein Roman der langen Strecken, München 1935.
Der Rhein. Vision und Wirklichkeit, Düsseldorf 1940.
Die Botschaft des Rheines. Erlebnis und Gedicht, Ratingen 1941.
Gesammelte Werke, 3 Bände, hg. von Hans Martin Elster, Stuttgart 1970.
Kamerad Fleming, hg. und mit einem historisch-biographischen Essay ergänzt von Oliver M. Piecha, Frankfurt am Main 2004.
Tagebücher
Baumgart, Winfried (Hg.), Von Brest-Litovsk zur deutschen Novemberrevolution. Aus den Tagebüchern, Briefen und Aufzeichnungen von Alfons Paquet Wilhelm Groener und Albert Hopman März bis November 1918, Göttingen 1971.
Bibliographie
Paquet, Marie-Henriette/Klingmüller, Henriette/Paquet, Sebastian/ Paquet, Wilhelmine Woeller (Hg.), Alfons Paquet. Bibliographie, Frankfurt am Main 1958.
Literatur
Brenner, Sabine/Cepl-Kaufmann, Gertrude/Thöne, Martina, Ich liebe nichts so sehr wie die Städte ... Alfons Paquet als Schriftsteller, Europäer, Weltreisender, Frankfurt am Main 2001.
Cepl-Kaufmann, Getrude (in Verbindung mit Dietmar Lieser unter Mitarbeit v. Sabine Brenner, Carola Spiess u. Franz Steinfort), Der Bund rheinischer Dichter 1926-1933, Paderborn [u.a.] 2003.
Piecha, Oliver M./Brenner, Sabine (Hg.), „In der ganzen Welt zu Hause“. Tagungsband Alfons Paquet, Düsseldorf 2003.
Piecha, Oliver M., Alfons Paquets Städtestadt. Das Ruhrgebiet als Metropole eines rheinischen Utopias, in: Barbian, Jan-Pieter/Palm, Hanneliese (Hg.), Die Entdeckung des Ruhrgebiets in der Literatur, Essen 2009, S. 119-140.
Piecha, Oliver M., Der Weltdeutsche. Eine Biographie Alfons Paquets, Wiesbaden 2016.
Thöne, Marina, Zwischen Utopie und Wirklichkeit: das dramatische Werk von Alfons Paquet, Frankfurt am Main [u.a.] 2005.
Online
Koßmann, Bernhard, "Paquet, Alfons" in: Neue Deutsche Biographie 20 (2001), S. 59-60. [Online]
Informationen auf der Website von Jean Paquet. [Online]
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Piecha, Oliver, Alfons Paquet, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/alfons-paquet/DE-2086/lido/5f902f99d43c17.29684809 (abgerufen am 10.12.2024)