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Der studierte Bergbauingenieur Alfred Mannesmann war mitbeteiligt an der Erfindung des Mannesmann-Verfahrens; er war der technische Leiter des Mannesmannröhren-Werkes im böhmischen Komotau und schließlich der erfolgreiche Pionier einer modernen und nachhaltig betriebenen Landwirtschaft in Marokko.
Alfred Mannesmann wurde am 17.7.1859 als dritter Sohn des Fabrikanten und Mitinhabers der Feilen- und Gussstahlfabrik A. Mannesmann, Reinhard Mannesmann und seiner Frau Klara, geborene Rocholl (1834-1910), in Remscheid-Bliedinghausen geboren. Die Familie war evangelisch. Zwar war der Vater sehr erfolgreich und die von diesem geleitete Fabrik leistete einen entscheidenden Beitrag zum außerordentlichen Erfolg des Unternehmens, aber dennoch lebte er mit seiner Familie einfach und sparsam sowie in Verantwortung gegenüber sich selbst, der Gesellschaft, dem Vaterland und vor Gott. Die Familie wohnte bis 1870 mit schließlich neun Kindern in einem relativ kleinen Haus in unmittelbarer Nähe der Fabrik. Die Kinder wurden schon früh zur Mitarbeit in Haushalt, Garten und Fabrik angehalten.
Alfred erwarb wie alle seine Brüder das Zeugnis der Hochschulreife, obwohl das einen langen Schulweg und schließlich sogar einen auswärtigen Schulbesuch erforderte. Das war für bergische Unternehmersöhne höchst ungewöhnlich; denn diese verließen die Höhere Schule spätestens mit dem Einjährigen und machten eine kaufmännische Ausbildung, vornehmlich im Ausland. Alfred dagegen studierte das Bergbaufach an der Universität in Straßburg/Elsass, an der Bergakademie Freiberg/Sachsen und schließlich an der Technischen Hochschule in Wien. Seinen Dienst als Einjährig-Freiwilliger absolvierte er während seines Studiums in Straßburg.
Ob an einen akademischen Abschluss des Studiums gedacht war, ist nicht bekannt. Da er nicht vorhatte, in den Dienst einer staatlichen oder vom Staat überwachten Einrichtung zu treten, war das auch nicht erforderlich. Jedenfalls wurden er und sein um zwei Jahre jüngerer Bruder Carl (1861-1950) 1884 nach Remscheid zurückbeordert, um die älteren Brüder Reinhard und Max bei ihren vorwiegend nächtlichen Versuchen zur Entwicklung eines Verfahrens zur Herstellung von nahtlosen Rohren aus dem vollen Stahlblock allein durch Walzen, die in die entscheidende Phase getreten waren, zu unterstützen.
Dieses Verfahren, das die technische Welt revolutionierte, sollte auf jeden Fall bis zur Patentanmeldung geheim bleiben; deshalb wurden auch keine Fremden in der hermetisch abgeschlossenen Versuchsecke in der vom Vater geleiteten Feilen- und Stahlfabrik geduldet; die wenigen Arbeiter, die die Dampfmaschine und den Anlassofen betrieben, waren durch eine Bretterwand von der Versuchswalze abgetrennt. Nach der Patentanmeldung Anfang 1885 setzte Alfred sein Studium fort, wurde jedoch vom Vater und den Brüdern Reinhard und Max auf dem Laufenden gehalten sowie an weiteren Versuchen, die sich bis Mitte des Jahres 1886 hinzogen, beteiligt. Der Vater informierte ihn auch über Lizenzvergaben und Gründungsverhandlungen.
Nach der Gründung der Mannesmann-Röhren-Walzwerks-Aktiengesellschaft in Komotau/Böhmen (ab 1889 Mannesmannröhren-Werke A.-G.) mit maßgeblicher Kapitalbeteiligung unter anderem durch Werner (1816-1892) und Friedrich (1826-1904) Siemens sowie Eugen Langen, die Kölner Industriellenfamilie Pfeifer und österreichischer Investoren, übernahm Alfred 1887 die technische Leitung der Gesellschaft und richtete bis Mitte des Jahres 1888 die Röhrenproduktion nach dem Mannesmann-Verfahren ein. Das Werk lag am Fuß des Erzgebirges, in der Nähe der Eisenbahnstrecke nach Annaberg. In Komotau arbeiteten viele Monate lang auch die älteren Brüder Reinhard und Max an der Verbesserung ihrer Erfindung. Zeitweise hielt sich sogar fast die gesamte Familie Reinhard Mannesmann sen. hier auf.
Alfred war maßgeblich an den Anfang der 1890er-Jahre im Werk Komotau durchgeführten Versuchen seiner Brüder Reinhard und Max beteiligt, die auf der Schrägwalze hergestellten dickwandigen Luppen zu marktfähigen Rohren fertig zu walzen. Dabei brachte er auch eigene Ideen ein, die jedoch nicht den erhofften und dringend benötigten Durchbruch brachten. Erst die Erfindung des Pilgerschrittverfahrens durch Max bedeutete die Lösung des einer wirtschaftlichen Nutzung des Schrägwalz-Verfahrens entgegenstehenden Problems.
Komotau war das mit Abstand größte der zunächst vier Mannesmannröhren-Werke; von hier aus wurden vor allem die Märkte in Süd- und Osteuropa beliefert. Wichtige Abnehmer, beispielsweise der Staatssekretär des Reichspostamtes, Heinrich von Stephan (1831-1897), reisten nach Böhmen, um hier die Fabrikation der Wunderrohre kennenzulernen. Dass Alfred praktisch veranlagt und außerdem ein Mann mit gutem Humor war, zeigt eine Begebenheit aus dieser Zeit: Mit den mittels Mannesmannröhren von der Reichstelegrafenverwaltung in den afrikanischen Kolonien gebauten Telegrafenlinien gab es ein Problem. Zwar erwiesen diese sich, wie angenommen, als resistent gegen Termiten, aber die Giraffen blieben an den Drähten hängen und rissen die Masten um. Auf die Frage der Verwaltung „Was tun?“, telegrafierte Alfred zurück: „Größere Masten bestellen!“
Als 1890 die drei kontinentalen Röhrengesellschaften zur Deutsch-Österreichischen Mannesmannröhren-Werke AG, Berlin, vereinigt wurden, blieb Alfred der technische Leiter von Komotau. Das Werk, das 1887 mit 60 Arbeitern den Betrieb aufgenommen hatte, zählte 1890 1.200 Beschäftigte; es umfasste neben der eigentlichen Walzhalle mit zehn, bald zwölf Walzenstraßen eine Gießerei, eine Maschinenfabrik, eine Tiegelstahlschmelze mit Siemens-Regenerativöfen, ein Hammerwerk mit einer Werkzeugfabrikation und eine Granatendreherei; außerdem verfügte es über eigene Kohlegruben in der Nähe. Man fertigte auch Rohre aus Aluminium, aus denen mit hohem Personalaufwand Bleistift- und Federhalter, Blumenvasen und Bücherständer, Serviettenringe, Billard-, Spazier- und Schirmstöcke hergestellt wurden. Die Zahl der Beschäftigten, die auftragsabhängig stark schwankte, stieg in den Jahren, in denen Alfred die Leitung inne hatte, bis auf 1.300 Arbeiter.
Als Reinhard und Max 1893 im Streit mit den Vertretern der beteiligten Banken die Generaldirektion der Gesellschaft niederlegten und in den Aufsichtsrat wechselten, gab Alfred die technische Leitung des Werkes Komotau ab, kehrte zunächst nach Remscheid zurück und beteiligte sich an der Vermarktung bzw. der Nutzung der im ausschließlichen Familienbesitz befindlichen Auslandspatente für das Mannesmann-Verfahren. Noch im gleichen Jahr reiste er mit seinen Brüdern Reinhard, Carl und Robert in die USA, wo insbesondere die Fahrradhersteller großes Interesse an den Mannesmannröhren zeigten. In Chicago wurde anlässlich der Weltausstellung im Herbst 1893 vor allem durch Alfred das Schrägwalz-Verfahren präsentiert. John Fritz (1822-1913) von der bedeutenden Bethlehem Steel Corporation schenkte Alfred sein Bild mit Widmung und sagte anerkennend, dass er die Erfindung des nahtlosen Rohres für die bedeutendste Erfindung des Jahrhunderts halte. Der berühmte amerikanische Erfinder Thomas A. Edison (1847-1931) äußerte sich nach seinem Besuch ähnlich und nannte die Erfindung: „A masterpiece of Men as Men shoult be!“
Auch an der Ausstellung in San Francisco nahm Alfred mit seinen Brüdern Reinhard, Carl und Robert teil. Die in die USA gesetzten Hoffnungen erfüllten sich jedoch nicht. Schwere wirtschaftliche Erschütterungen der amerikanischen sowie der Weltwirtschaft allgemein, erschwerten es, die technische Überlegenheit des Mannesmann-Verfahrens nachhaltig zu nutzen. Hinzu kamen Patentstreitigkeiten mit einem ehemaligen leitenden Mitarbeiter und die Auseinandersetzungen mit den an der Deutsch-Österreichischen Mannesmannröhren-Werke AG beteiligten Banken. Das alles wirkte sich nachteilig auf die Bereitschaft amerikanischer Investoren aus, sich an der Gründung einer Mannesmannöhren-Gesellschaft im gewünschten und benötigten Umfang zu beteiligen. Zwei nach einander mit großem finanziellem Aufwand seitens der Familie Mannesmann gegründete Gesellschaften hatten technischen, aber keinen wirtschaftlichen Erfolg und mussten schließlich nach einem großen nicht versicherten Brandschaden mit Verlust liquidiert werden. Einige Male musste Max Geld schicken, um das Schlimmste zu verhüten – weil ihnen das Geld fehlte, Feiertagsgeschenke zu kaufen, schickten sie oft lange Gedichte. Auch ein schwerer Unfall, bei der eine Hausangestellte und ein guter Freund ihre Leben verloren und Reinhard schwere Verbrennungen davontrug, die einen längeren Krankenhausaufenthalt nach sich zogen, erschwerten die Verwirklichung der großen Pläne.
Dazu gehörten die Nutzung der Wasserkräfte der Niagarafälle zur Stromerzeugung sowie der Bau von Fernleitungen für die Wasserversorgung von Regionen mit unzureichenden Niederschlägen, jedoch auch die Erschließung von Erdölvorkommen im Kaukasus und den Transport des Erdöls mittels Rohrleitungen. Dabei pflegten Alfred und seine Brüder beste Beziehungen; sie verkehrten sogar im Weißen Haus und verfolgten unter anderem die Rede des Präsidenten anlässlich der Kriegserklärung gegen Spanien am 10.4.1898 (erste Kuba-Krise) von der Senatorenloge aus – Alfred machte sogar, verbotenerweise, einige Fotos. Zwar erhielten die Brüder Mannesmann einen Auftrag vom amerikanischen Kriegsministerium in Höhe von 250.000 Dollar, aber weil ihnen das Geld zur Einrichtung der Produktion fehlte, sahen sie sich gezwungen, die Aufträge zurückzugeben. Anfang 1899 wurde mit der Rückkehr von Reinhard, Alfred, Carl und Robert nach Remscheid das verlustreiche amerikanische Kapitel endgültig abgeschlossen.
Nun arbeiteten die Brüder, die allesamt noch unverheiratet waren, wieder gemeinsam im technischen Büro zu Hause. Das vom Vater 1870 errichtete herrschaftliche Haus, in dem das zehnte und elfte Kind geboren wurden, war nun vor allem Werkstatt beziehungsweise Laboratorium und Büro. Es ist manchmal nicht mit Sicherheit auszumachen, wer den größten Anteil an den Erfindungen hatte, die damals gleich dutzendweise gemacht wurden; jeder brachte sich nach Kräften mit ein. Die Schlafzimmertüren blieben meist offen, weil die Brüder sich neue Ideen, die sie im Traum oder im Halbschlaf hatten, gleich mitteilen wollten. Alfred wohnte zeitweise auf der Grube „Laura“ am Rhein, wo er als Leiter der Bergwerke der Familie, Zinnbergwerke in Böhmen und Eisenbergwerke an Sieg und Rhein, zu tun hatte. Im Übrigen feierte man in Remscheid große Feste und verwöhnte die Damenwelt mit Blumen und Geschenken; die Mannesmänner, die allesamt 1,90 Meter und größer waren, erwiesen sich als ebenso gute wie ausdauernde und gesuchte Tänzer; ihre Tanzkarten waren immer gut gefüllt.
1904 heiratete Alfred als zweiter der Brüder Mannesmann, und zwar Elisabeth (Liese) von Mosengeil (1881–1981), die Tochter eines Professors der Medizin an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, der finanziell stark in Kolonialprojekten engagiert war. 1906 gab Alfred die Leitung der Bergwerke ab und richtete seine Interessen in rasch wachsendem Umfang auf Marokko aus, in dem sein Bruder Reinhard seit einiger Zeit mit seiner Frau tätig war. Er gründete die Mannesmann-Land-Compagnie, die sich speziell mit der Einrichtung von Farmbetrieben beschäftigte; kaufte die Tikten- sowie weitere Farmen, die er nach modernen europäischen Methoden bewirtschaftete. Gemeinsam mit seinen Brüdern erwarb er mehr als 50.000 Hektar fruchtbarer Ländereien, außerdem gründeten sie Handelsgesellschaften, die Export- und Import betrieben und große Warenlager unterhielten; sie bauten Straßen, Olivenpressen und Getreidemühlen; zum Fuhrpark gehörten auch aus Deutschland eingeführte Personen- und Lastkraftwagen.
Um die deutsche Regierung zu einem stärkeren Engagement in Marokko zu bewegen, veranlasste man den Sultan, den Außenminister, Sidi Mohamed Ben Asus, und einen weiteren hohen Vertreter mit einer entsprechenden Botschaft nach Berlin zu entsenden. Weil die deutsche Regierung die bestehenden Schwierigkeiten mit Frankreich, die bereits zu diplomatischen Verwicklungen geführt hatten, nicht noch vermehren wollte, konnte das Vorhaben nicht den gewünschten Erfolg haben. Zwar empfingen die Brüder Mannesmann die Delegation in Remscheid und begleiteten sie nach Berlin, wo sie auch im Auswärtigen Amt empfangen wurde, aber das übergebene Schreiben samt zurückhaltender Antwort wurde umgehend der französischen Regierung zugänglich gemacht.
Alfred hatte sich inzwischen mit seiner Familie in Marokko niedergelassen. Er hatte das beachtliche Vermögen seiner Frau in seine landwirtschaftlichen Unternehmungen investiert. Dabei ging er auf seinen Farmen planvoll und umsichtig vor; vor allem ging es ihm um die Urbarmachung und die nachhaltige Bewirtschaftung – auch von brachliegendem und sogar noch unbebautem Land. Er kaufte in den USA und in Deutschland moderne Maschinen für die Bearbeitung des Bodens, die Aussaat und das Einbringen der Ernte; ferner für die Hof- und Lagerwirtschaft; außerdem kreuzte er mitteleuropäisches Zuchtvieh mit einheimischen Arten, um auch unter schwierigen klimatischen Bedingungen einen höheren Ertrag zu erzielen. Er führte den Kartoffel- und Zuckerrübenanbau ein, desgleichen den von Sojabohnen aus der Mandschurei und von zuvor nur weiter südlich gedeihenden Erdnüssen; außerdem machte er erfolgreiche Versuche mit der in Marokko noch unbekannten Baumwolle und der Anpflanzung algerischer, spanischer und kalifornischer Weinstöcke erster Qualität. Bei der Aufforstung der durch Holzraubbau verödeten Hänge machte er gemeinsam mit seinem Bruder Robert gute Erfahrungen mit der schnell wachsenden kalifornischen Tanne, der Akazie und dem Eukalyptusbaum; die Schösslinge wurden in eigenen Baumschulen gezogen. Die Felder wurden mit Rizinusstauden umgeben, die die Äcker vor Erosion schützten, jedoch auch ein kräftiges Unterholz entwickelten, das als Brennmaterial verwendet wurde. Man lehrte die Einwohner, Korkeichen zu ernten, ohne die Bäume zu schädigen. Zu den Farmen gehörten nicht allein Wohnungen für die Belegschaft und deren Familien, sondern auch Schmiede, Stellmacherei und Kalkbrennerei; außerdem führten geschotterte und gewalzte Straßen von den Farmen zur Hauptstraße.
Die Farmen lagen weit auseinander, und das Land war unsicher. Alfred hatte oft lange Wege zu Pferd zurückzulegen; nicht selten allein oder mit nur einem Begleiter. Mitte des Jahres 1909 war er im Süden, im Gebiet der aufständischen Rifkabylen, in Gefangenschaft geraten. Sein Bruder Reinhard, der in ganz Marokko und insbesondere bei den Kabylen, die ihn sogar zu ihrem Verhandlungsführer mit den Spaniern gewählt hatten, hohes Ansehen genoss, intervenierte und schaffte es bald, seine Freilassung zu bewirken. Seine Frau Liese war oft auf sich alleine gestellt, wusste sich jedoch zu helfen. Wenn ihr das Wissen und die Erfahrung fehlten, zog sie Fachliteratur zu Rate, beispielsweise als zum ersten Mal tausende von Säcken Saatkartoffeln aus Deutschland eintrafen, die in die Erde mussten: Nachdem sie in einem Fachbuch nachgeschlagen hatte, übte sie im Blumenkübel; dann erfolgte das Aussetzen im Großen unter ihrer Anleitung. Es spricht für sie, dass die erste Ernte sehr gut ausfiel.
Als der Erste Weltkrieg ausbrach, hatte man bereits gute Erfolge erzielt, aber das Meiste brauchte noch Zeit, war ja auch auf lange Sicht und Dauer angelegt. Ein Verbleiben in Marokko, nun Feindesland, war unter den gegebenen Verhältnissen nicht möglich. Immerhin schafften es Alfred und seine Brüder, mit ihren Familien der Internierung durch die Franzosen, von der die verbliebenen deutschen Mitarbeiter betroffen waren, zu entgehen. Alfred bezog mit seiner Familie ein Haus in Porz-Westhoven bei Köln und übernahm gemeinsam mit seinem Bruder Carl die kaufmännische Führung der Mannesmann-Mulag, die in Aachen und in Porz-Westhofen Lastwagen und Zugmaschinen baute, der Mannesmann-Licht-Gesellschaft und zusätzlich die der neu gegründeten Mannesmann Waffen- und Munitions-Werke, beide in Remscheid. Außerdem leitete er ein geheimes Projekt, nämlich den Bau eines Riesen-Flugzeuges für die Transatlantiküberquerung, mit dem die britische Seeblockade durchbrochen werden sollte. Als die USA in den Krieg gegen die Mittelmächte eintraten, war das Gerät noch nicht flugbereit; das Imperial War Museum in London verwahrt in seinen Beständen die übermannshohen Räder dieses Ungetüms. Ein Foto zeigt ihn mit seiner Frau und sechs seiner Kinder, darunter eine 1914 geborene Tochter als Baby, in Uniform, so dass angenommen werden kann, dass er zumindest in den ersten Kriegsjahren als Reserveoffizier Dienst geleistet hat.
Nach dem Krieg war an eine Rückkehr nach Marokko nicht zu denken; und der Versailler Vertrag machte alle etwa in diese Richtung gehenden Gedanken endgültig zunichte. Vom Reichsentschädigungsamt wurde Alfred ein Liquidationsschaden in Höhe von knapp 24 Millionen Goldmark anerkannt. Als das Geld dann schließlich in der Zeit der Hochinflation in (Papier-) Mark ausgezahlt wurde, verfiel sein Wert schneller, als es, den Vorschriften entsprechend, in solide Inlandsprojekte investiert werden konnte. Ein großer Teil des Familienvermögens ging dabei verloren; weitere, gleichfalls bedeutende Teile kosteten die letztlich vergebliche Sanierung der Gesellschaften zur Herstellung von Pkw und Lkw, die Liquidierung der Mannesmannlicht-Gesellschaft und der Mannesmann Chemische Werke GmbH. Weitere Vermögenswerte hat er an einen Erfinder verloren, der behauptete, durch Elementumwandlung Gold herstellen zu können.
Zur Existenzsicherung der Familie Alfreds sowie der seines Bruders Carl diente bis 1945 im Wesentlichen die nach dem Krieg gegründete Mannesmann-Handelsgesellschaft mit Sitz in Sofia. Diese war im Wesentlichen ein Ergebnis der Aktivitäten des Bruders Reinhard während des Krieges und dessen guter Beziehungen zum Zaren und der bulgarischen Regierung. Dieser Gesellschaft wurden sämtliche Auslandsaufträge, unter anderem für den Eisenbahnbau samt Lokomotiven und Waggons, übertragen. 1922 wurde eine Saline erworben und für die Förderung erschlossen. Dieser Betrieb erreichte nach wenigen Jahren eine solche Ausdehnung, dass durch ihn fast der gesamte Salzbedarf des Landes gedeckt werden konnte. 1931 gründete er mit seinem Bruder Carl das Unternehmen Brüder Mannesmann, das Werkzeuge herstellte. Alfred starb, nachdem sein Haus in Westhofen ausgebombt worden war, am 5.3.1944 bei einer seiner Töchter in Barsinghausen bei Hannover, im 85. Lebensjahr. Seine Frau wurde 100 Jahre alt; sie starb am 29.8.1981 in Porz-Westhofen.
Ihre Kinder, zwei Söhne und fünf Töchter, waren technisch begabt. Dr.-Ing. Gert Mannesmann (1910-1945) war einer der bekanntesten U-Boot-Kommandanten im Zweiten Weltkrieg; er ist bei einem Fliegerangriff ums Leben gekommen. Sein Bruder, Dr.-Ing. Dieter Mannesmann, war während des Krieges Schnellboot-Kommandant und hat danach ein Unternehmen für fototechnisches Gerät gegründet; das erste automatische Blitzlichtgerät für Berufsfotografen war der von ihm entwickelte Mannesmann Blitz. Er ist bei einem Sportunfall ums Leben gekommen. Die Schwester Karin hat Maschinenbau studiert und die Ausbildung zur Flugzeugführerin gemacht. Als junge Frau hat sie als Bordingenieurin 1931 an der Nordpolfahrt des vom legendären Luftschiffkapitän Hugo Eckener (1868-1954) teilgenommen. Später hat sie Flugmotoren entwickelt und erprobt.
Quellen
Salzgitter AG Konzernarchiv/Mannesmann-Archiv, Mülheim an der Ruhr.
Literatur
Wessel, Horst A., Die Techniker der Familie Mannesmann, in: Weber, Wolfhard (Hg.), Ingenieure im Ruhrgebiet (Rheinisch-Westfälische Wirtschaftsbiographien, Band 17), Münster 1999, S. 123-148.
Wessel, Horst A., Die Familie Mannesmann, in: Gorißen, Stefan/Sassin, H./Wesoly, Kurt (Hg.), Bergische Geschichte, Band 2, Bielefeld 2016, 373-379.
Wessel, Horst A., Tüchtige Handwerker. Geniale Ingenieure. Wagemutige Unternehmer. Vier Generationen der Familie Mannesmann in Remscheid (1768-1950), Essen 2019.
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Wessel, Horst A., Alfred Mannesmann, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/alfred-mannesmann-/DE-2086/lido/5e130a27e3e508.30031527 (abgerufen am 06.10.2024)