Zu den Kapiteln
Reumont gehört zu den bedeutendsten deutschen Experten des 19. Jahrhunderts zur Geschichte und Gegenwart Italiens, mit der er sich als preußischer Diplomat in Florenz und Rom sowie als Buchautor beschäftigte. Darüber hinaus widmete er sich der rheinischen Regionalgeschichte und amtierte als erster Präsident des von ihm mitbegründeten Aachener Geschichtsvereins.
Das Rheinland und Italien bildeten die geographischen Fixpunkte im Leben des Diplomaten und Publizisten Alfred von Reumont. Am 15.8.1808 in der Krönungsstadt Karls und Ottos des Großen als Sohn des Mediziners Dr. Gerhard Reumont (1765-1828) und seiner Ehefrau Lambertine Kraussen (1786-1850) geboren, entwickelte er schon früh eine Affinität für Literatur und Geschichte. Seinen geisteswissenschaftlichen Neigungen konnte er jedoch zunächst nur in der Freizeit nachgehen, denn auf Geheiß des Vaters begann er im Jahr 1826 ein Medizinstudium an der neugegründeten Universität Bonn. Somit befand sich Reumont, wie er später in seinen Jugenderinnerungen schrieb, in einem Zwiespalt zwischen Brotstudium und Neigung. Der plötzliche Tod des Vaters 1828 brachte den jungen Alfred und seine Familie über Nacht in materielle Nöte und machte eine Fortsetzung des Studiums unmöglich. In dieser schwierigen Situation eröffnete sich für den mittellosen Studenten jedoch eine Chance, die sein Leben entscheidend verändern sollte.
Der zeitlebens unverheiratet gebliebene Reumont erhielt eine Empfehlung für eine Anstellung als Hauslehrer in Florenz und trat Ende 1829 seine neue Tätigkeit in der Toskana an. Auf diese Weise kam er in direkten Kontakt mit der italienischen Kultur und der Geschichte der Renaissance. Zudem machte er dort die Bekanntschaft Leopold von Rankes (1795-1886). Anscheinend war es Ranke, der Reumont zur näheren Beschäftigung mit der italienischen Geschichte motivierte. Darüber hinaus freundete er sich mit dem einflussreichen Florentiner Politiker und Intellektuellen Gino Capponi (1792-1876) an, über den er später eine Biographie verfaßte. Im Jahr 1830 erhielt Reumont das Angebot des preußischen Gesandten Friedrich von Martens (1778-1859), die vakante Stelle des Legationssekretärs an der Florentiner Vertretung zu übernehmen. Auf diese Weise eröffnete sich die überraschende Perspektive einer diplomatischen Karriere im Dienste Preußens. Darüber hinaus wurde Reumont 1833 an der Universität Erlangen zum Doktor der Philosophie promoviert, obwohl er „nie ein historisches Seminar oder eine historische Vorlesung besucht“ hat (Jens Petersen). In den geistigen Zirkeln von Florenz war er ein gern gesehener Gast und wuchs zunehmend in eine Rolle als Mittler zwischen Italien und Preußen hinein. So gehörte er zu den ersten Autoren der gesamtitalienisch ausgerichteten Geschichtszeitschrift „Archivio Storico Italiano“. Politisch war Reumont allerdings in den Worten von Gabriele Clemens „kein Befürworter eines italienischen Nationalstaates, dessen Entstehung seiner Auffassung nach nur einen Bruch mit der bestehenden legitimen Ordnung bedeuten konnte.“
Im Jahr 1835 kehrte Reumont vorübergehend nach Deutschland zurück und nahm eine Tätigkeit im Ministerium des Auswärtigen auf. In Berlin machte er auch die Bekanntschaft des preußischen Kronprinzen: Der spätere König Friedrich Wilhelm IV. (Regentschaft 1840-1858) empfing Reumont auf Empfehlung von Außenminister Friedrich Ancillon (1767-1837) zu einer Audienz, die jedoch keine direkten Folgen hatte. Im Jahr 1836 nach Florenz zurückbeordert, verbrachte Reumont fortan die meiste Zeit an der preußischen Vertretung in Rom, an der seine Mitarbeit aufgrund der religionspolitischen Spannungen zwischen Preußen und der katholischen Kirche gefragt war („Kölner Wirren“). Als Katholik fungierte Reumont nicht nur als Mittler auf staatlicher und kultureller Ebene, sondern auch zwischen den Konfessionen. Der Kronprinz zog Reumont nun häufiger als Berater heran und ließ sich von dem Diplomaten Berichte zusenden. In jener Zeit entstand Reumonts vierbändiges Werk „Römische Briefe von einem Florentiner“ über politische, kulturelle und gesellschaftliche Aspekte Italiens aus der Sicht eines Zeitzeugen. Im Jahr 1843 kehrte der Diplomat in die Berliner Zentrale zurück. Friedrich Wilhelm IV. hatte mittlerweile den preußischen Thron bestiegen und Reumont stand als Italien-Kenner und Publizist in der Gunst des neuen Königs. Im Jahr 1851 wurde ihm die Leitung der preußischen Gesandtschaft in Florenz übertragen. Gleichzeitig gehörte er zum inneren Zirkel des Königs, den er nun häufiger auch auf Reisen begleitete. Als Friedrich Wilhelm IV. 1857 einen Schlaganfall erlitt und zunehmend verwirrt war, wurde Reumont zum ständigen Begleiter des Königs bei dessen wechselnden Aufenthaltsorten zur Rehabilitation. Im diplomatischen Dienst wäre nach dem Florentiner Posten die Führung der Gesandtschaft in Rom die nächste logische Stufe auf der Karriereleiter Reumonts gewesen. Diese Erwartung erfüllte sich jedoch nicht. Die veränderten politischen Verhältnisse in Italien auf dem Weg zur Nationalstaatsgründung, der krankheitsbedingte Einflussverlust seines königlichen Gönners sowie Widerstände in der Berliner Zentrale gegen einen Katholiken auf dem römischen Posten verhinderten seine Berufung. Als Friedrich-Wilhelm IV. schließlich am 2.1.1861 verstarb, geriet Reumont als „Repräsentant der romantisch-christlichen Ära“ (Jens Petersen) ins Abseits und erhielt keine neue diplomatische Verwendung mehr. Seine Erlebnisse in der Umgebung des verstorbenen Monarchen verarbeitete er in dem 1885 erschienenen Spätwerk „Aus König Friedrich Wilhelms IV. gesunden und kranken Tagen.“ Seine Motivation beschrieb Reumont folgendermaßen: Aber nachdem nun fast das Viertel eines Jahrhunderts geschwunden ist, seit Friedrich Wilhelm IV. im Grabe die Ruhe gefunden hat die er im Leben nicht fand, habe ich mich gedrungen gefühlt, ein Zeugnis der Wahrheit, zugleich ein Zeugnis der Dankbarkeit abzulegen. (…) Die nachfolgende Zeit hat zu überwältigende Ereignisse und tiefeingreifende Wechsel gebracht, als daß nicht vieles bereits vergessen sein sollte, was doch zur Charakteristik der Regierungsjahre Friedrich Wilhelms IV. gehört.
Seit den 1860er Jahren widmete sich Reumont ausschließlich der Geschichte und der Literatur. Den neuen Lebensabschnitt verbrachte er vorwiegend in Aachen und in Bonn. Die Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität ernannte ihn 1868 zum Ehrendoktor. Im Auftrag des bayerischen Königs Maximilian II. (Regentschaft 1848-1864) verfasste Reumont eine dreibändige „Geschichte der Stadt Rom“, die in den Jahren 1866 bis 1870 erschien und „eine Art Gegendarstellung“ (Gabriele Clemens) zu der aus protestantisch-kritischer Perspektive verfaßten „Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter“von Ferdinand Gregorovius (1821-1891) war. Gregorovius seinerseits reagierte auf das Konkurrenzwerk mit einer herablassenden Bemerkung: „Die Glocke, die ich gegossen habe, wird noch von manchem Küster geläutet werden.“ Anschließend wandte sich Reumont der Historie Mittelitaliens zu und veröffentlichte 1874 eine Biographie über Lorenzo di Medici (1449-1492) sowie eine zweibändige „Geschichte Toskanas“ (1876/1877). Darüber hinaus beschäftigte er sich mit der Geschichte Aachens und des Rheinlands. Bereits in jungen Jahren hatte er die landeskundlichen Arbeiten „Aachener Liederkranz und Sagenwelt“ (1829) und „Rheinlands Sagen. Geschichten und Legenden“ (1837) publiziert. Seiner 1873 erschienenen „Aachener Liederchronik“ fügte Reumont eine Chronologie zur Geschichte der Stadt bei, um der Leserschaft eine Uebersicht der wichtigsten in der Stadt vorgekommenen oder auf dieselbe sich beziehenden Ereignisse zu geben. Im Jahr 1879 war Reumont Mitbegründer des Aachener Geschichtsvereins, dessen erster Präsident er wurde. Die Gründung war Ausdruck der in der Bürgerschaft verbreiteten Überzeugung, „dass unsere Stadt im Vergleich zu andern weit zurückgeblieben sei in der Kenntniss ihrer grossen Vergangenheit“ (Hugo Loersch). Auch die „Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins“ geht auf seine Initiative zurück.
Alfred von Reumont verstarb am 27.4.1887 in Aachen. Er war Ehrenbürger von Rom, Florenz und Aachen. In seiner Heimatstadt erinnert heute ein Denkmal an das Wirken des Diplomaten und Publizisten, der durch seine Tätigkeit in Italien, seine wissenschaftlichen Veröffentlichungen und seine Nähe zum preußischen König als Ratgeber und Autor gefragt war, ohne jemals eine führende Stellung innegehabt zu haben. Die Bedeutung von Reumonts Wirken hat Hermann Hüffer aus zeitgenössischer Perspektive folgendermaßen zusammengefaßt: „Er ist nicht der Gesandte Preußens beim päpstlichen Stuhle geworden; aber lange, ehe ein Deutsches Reich und ein Königreich Italien sich bilden konnten, war er ein Gesandter deutschen Geistes und deutscher Wissenschaft bei der italienischen Nation.“
Werke
Aachener Liederkranz und Sagenwelt, 1829.
Rheinlands Sagen. Geschichten und Legenden, 1837.
Römische Briefe von einem Florentiner, 4 Bände, 1840-1844.
Die Jugend Katharinas de Medici, 2. Auflage, 1854.
Die Gräfin von Albany, 2 Bände, 1860.
Zeitgenossen. Biographien und Charakteristiken, 2 Bände, 1862.
Geschichte der Stadt Rom, 3 Bände, 1866-1870.
Pro Romano Pontifice. Rückblick und Abwehr, 1871.
Geschichte Toskanas seit dem Ende des florentinischen Freistaates, 2 Bände, 1876-1877.
Biographische Denkblätter nach persönlichen Erinnerungen, 1878.
Gino Capponi. Ein Zeit- und Lebensbild 1792-1876, 1880.
Kleine historische Schriften, 1882.
Lorenzo de’ Medici. 2. Auflage, Aachen 1883.
Aus König Friedrich Wilhelms IV. gesunden und kranken Tagen, Leipzig 1885.
Aachener Liederchronik. Mit einer Chronologie der Geschichte Aachens, 2. Ausgabe, Aachen 1885.
Literatur
Clemens, Gabriele B., „(…) essere a noi come anello di comunicazione con la Germania“ – Alfred von Reumont als Vermittler zwischen deutscher und italienischer Historiographie, in: Italien in Preußen - Preußen in Italien. Ein Kolloquium der Winckelmann-Gesellschaft, des Forschungszentrums Europäische Aufklärung und der Philosophischen Fakultät der Universität Potsdam, Stendal 2006, S. 213-225.
Hüffer, Hermann, Alfred von Reumont, in: Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein 77 (1904), S. 5-241 [darin enthalten sind auch die autobiographischen „Jugenderinnerungen“ Reumonts].
Jedin, Hubert, Alfred von Reumont (1808-1887), in: Rheinische Lebensbilder 5, Bonn 1973, S. 95-112.
Lepper, Herbert, Alfred von Reumont. Eine biographische Skizze, in: Stadtbibliothek Aachen (Hg.), Alfred von Reumont (1808-1887). Gelehrter, Diplomat, Ehrenbürger Aachens, Aachen 2008, S. 22-38.
Loersch, Hugo, Zur Erinnerung an Alfred von Reumont, in: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 10 (1888), S. 1-21.
Petersen, Jens, Alfred von Reumont und Italien, in: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 94/95 (1987/88), S. 79-107.
Online
Inhaltsverzeichnis des Nachlasses von Alfred von Reumont in der Universitäts- und Landesbibliothek Bonn. [Online]
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Rosin, Philip, Alfred von Reumont, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/alfred-von-reumont/DE-2086/lido/57cd1dbf707e53.34744956 (abgerufen am 12.12.2024)