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Der gebürtige Kreuzauer Arzt Dr. med. August Bender war in der NS-Zeit als Lagerarzt im KZ Buchenwald tätig und dort an zahlreichen Häftlingsselektionen beteiligt. Der SS-Sturmbannführer untersuchte Häftlinge auf ihre „Arbeitsfähigkeit“ und entschied, wer für Zwangsarbeit tauglich erschien und wer als „unbrauchbar“ zur Ermordung in die Vernichtungslager deportiert werden sollte. In der Nachkriegszeit war er bis 1988 als beliebter Landarzt in Vettweiß-Kelz tätig und unterhielt weiterhin regen Kontakt zu ehemaligen SS-Kameraden.
Heinrich August Bender wurde am 2.3.1909 als Sohn des aus Titz-Rödingen stammenden „Gemeindeempfängers“ Johann Michael Bender (geboren 1877) und seiner Ehefrau Maria Agnes, geborene Kayser (geboren 1885), in Kreuzau geboren. Der Vater war als Amtsrentmeister der Gemeinde Kreuzau Teil der wilhelminischen Beamtenschaft, der Großvater und Namenspate Heinrich August Kayser (1844–1913) gehörte als Papierfabrikant (Papierfabrik Kreuzau-Winden) zum Kreis der vermögenden Dürener Industriellen. In Kreuzau verlebte August Bender seine Kindheit und Jugend in einem gut situierten bürgerlichen Elternhaus, wo er nach katholisch-konservativen Wertevorstellungen erzogen wurde.
Von 1915 bis 1920 besuchte Bender die Volksschule Kreuzau und wechselte dann auf das Realgymnasium in Düren, wo er Ostern 1929 das Abitur ablegte. Anschließend studierte er an den Universitäten Bonn, Köln, Freiburg und Kiel Medizin. In Kiel legte Bender 1935 das medizinische Staatsexamen ab und wurde zum Doktor der Medizin promoviert. Bereits als junger Medizinstudent war er zum 1. 5.1933 in die NSDAP (Mitgliedsnummer 2.087.161) und zum 1.11.1933 in die SS (SS-Nr. 194.671) eingetreten. Im Oktober 1938 bewarb sich August Bender um eine hauptamtliche Anstellung als Sanitätsoffizier in den SS-Verbänden. Als Angehöriger der Sanitätsstaffel der SS-Totenkopfstandarte „Thüringen“ gehörte er ab 1.11.1938 zum medizinischen Personal, das für die SS-Wachmannschaften und die Häftlinge des KZ Buchenwald zuständig war. Bereits 1937 hatte er in Düren seine zukünftige Ehefrau, die mit dem Dürener Hautarzt Hans Röntz (1900–1964) verheiratete Hildegard Röntz, geborene Köppelmann (1914–1985), kennengelernt. Mit ihr unterhielt Bender schon während ihrer ersten Ehe eine Affäre. Nach ihrer Scheidung fand im Februar 1939 in Chemnitz schließlich die standesamtliche Trauung statt. Aus der Ehe gingen zwei Kinder hervor: Walter (geboren 1940) und Ingeborg (geboren 1944).
Von November 1938 bis September 1939 war Bender als Truppen- und Familienarzt in Buchenwald hauptsächlich für die ärztliche Betreuung der SS-Wachmannschaften und deren Familien zuständig. Aushilfsweise übernahm er aber bereits 1938/1939 lagerärztliche Aufgaben. Im Lager traf er dabei die Kreuzauer Heinrich Mayntz (geboren 1906) und Walter Milz (geboren 1907) wieder, die hier von den Nationalsozialisten als sogenannte Arbeitsscheue inhaftiert wurden. Die Zustände im Konzentrationslager vollkommen verklärend, schwärmte Bender noch in seinen Memoiren von 1993 von der hervorragenden Küche unter dem gefürchteten Lagerkommandanten Karl Otto Koch (1897–1945): „Der Chefkoch, natürlich ein Häftling, ehemaliger Chefkoch des „Hotel Adlon“ Berlin. Der Kellner ebenfalls von dort. Erlesene Speisen, zum Teil à la carte, und Getränke bester Güte. Das war dort ein Leben, morgens, mittags, abends.“ Für Ilse Koch (1906–1967), die „Hexe von Buchenwald“, findet Bender nur bewundernde Worte: „Ilse war hochgebildet, eine Schönheit, leicht rötliche lange blonde Locken, schneeweisse Haut, grünliche Augen – sie hätte beim Film Karriere machen können. Und erst die Figur!“ Auch von einer persönlichen Begegnung mit dem Reichsführer SS Heinrich Himmler (1900–1945) berichtet er: „War kein reines Vergnügen. Er stellte eine Frage, sah einen an. Dann musste man reden. Wenn es ihm nicht genügte, wieder ein kurzer Blick – und man redete weiter. Dann kam der nächste dran“. Dass Bender Himmlers Wertschätzung genoss, belegt der ihm 1939 verliehene SS-Ehrendegen, „eingravierte Nr. 98 mit Verleihungs-Urkunde, von Himmler persönlich unterschrieben (Tintenspritzer deutlich sichtbar)“, wie Bender stolz schreibt.
Mit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs wurde Bender im Zuge der Aufstellung der SS-Division Totenkopf aus KZ-Wachpersonal zur SS-Kaserne Dachau versetzt. Als Truppenarzt bei der Aufklärungsabteilung, dem Wirtschaftsbataillon und zuletzt der Panzerjägerabteilung nahm er mit der SS-Totenkopfdivision am Frankreichfeldzug und am Ostfeldzug teil. Ihm wurde das Eiserne Kreuz II. Klasse, die Ostmedaille und der Demjanskschild verliehen. Im März 1941 war Bender aus der römisch-katholischen Kirche ausgetreten und bekräftigte als sogenannter Gottgläubiger seine besondere weltanschauliche Bindung zu „Himmlers Quasi-Religion“. Im Januar 1943 wurde er zum SS-Sturmbannführer befördert.
Im Januar 1944 wurde Bender von seiner Einheit in Odessa am Schwarzen Meer zurück nach Buchenwald versetzt. Bis August 1944 war er in Buchenwald als Arzt für die Angehörigen der Divisions-Wachstube der SS-Totenkopfdivision, die Kommandanturangehörigen, die SS-Wachmannschaften, die Zivilarbeiter und -angestellten der Gustloff-Werke und deren Familien und als zuständiger Arzt für Eheberatungen und SS-Heiratsuntersuchungen eingesetzt. Ab August 1944 übernahm er zusätzlich den Posten des zweiten Lagerarztes unter dem Standortarzt und ersten Lagerarzt Gerhard Schiedlausky (1906–1947).
Nach eigener Angabe umfasste Benders Tätigkeit als Lagerarzt vor allem die „Musterung“ von Häftlingen für den Arbeitseinsatz, die mit Transporten in Außenkommandos des KZ Buchenwald gebracht werden sollten. Der Lagerarzt hatte die Häftlinge in diesem Kontext auf ihre Arbeitstauglichkeit hin zu untersuchen, nach Verwendbarkeit einzuteilen sowie Kranke und Schwache zur „Vernichtung“ auszusondern. Bender, der nach eigenen Angaben teilweise bis zu 1.500 Häftlinge täglich musterte, gab später in einer staatsanwaltschaftlichen Vernehmung zu, dass „man dem einzelnen Häftling kaum mehr als einen Blick gönnen“ konnte und nach einem „grobsichtigen Befund die abschließende Entscheidung“ habe treffen müssen. Auch an der Selektion für Transporte von minderjährigen Juden und Sinti und Roma in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau im Herbst 1944 war Bender maßgeblich beteiligt.
Von den in Buchenwald durchgeführten Hinrichtungen, denen stets ein Arzt zur Bescheinigung des Todes beiwohnte, berichtet Bender in seinen Memoiren: „Kurze Gerichtsverhandlung, ab nach Buchenwald: Uniformierte zum Erschiessen, alles andere zum Hängen. Das Erschiessen hatte man dort nicht gerne. Es machte zu viel Aufsehen und Lärm. […] Wehe, wenn so einige alte Wehrmachtreservisten, die Posten standen, dazu befohlen wurden! Keiner wollte es gewesen [sein], und so gab es nur Verletzungen oder auch gar nichts. Für den armen Kerl am Pfahl eine Qual. Er wurde dann vom Kommando Führer durch Genickschuss erlöst.“
Am 11.4.1945 trat Bender nach der Räumung Buchenwalds durch die SS seinen Rückzug in die sogenannte Alpenfestung an. In Hollersbach bei Mittersill geriet er Anfang Mai 1945 in amerikanische Gefangenschaft. In Internierungshaft durchlief Bender verschiedene Internierungslager, im November 1945 wurde er ins „Sonderlager Dachau“ gebracht; ab dem 18.11.1946 durfte er hier wieder als Arzt tätig werden. Im März 1947 wurde Bender schließlich im Dachauer Buchenwald-Hauptprozess angeklagt. Das Urteil vom 14.8.1947 lautete für August Bender auf zehn Jahre Gefängnis für seine Tätigkeit als zweiter Lagerarzt im KZ Buchenwald. Auch aufgrund von entlastenden Zeugenaussagen ehemaliger Funktionshäftlinge erhielt Bender unter allen 31 Angeklagten die geringste Strafe.
Vom Tag der Urteilsverkündung an saß Bender im US-amerikanischen Kriegsverbrechergefängnis in Landsberg am Lech. Als Arzt im Gefängnishospital leitete Bender die polyklinische Sprechstunde. Zu seinen Kollegen im Hospital gehörten Ärzte wie der Tropenmediziner Gerhard Rose (1896–1992), Hitlers ehemaliger Begleitarzt Karl Brandt (1904–1948) sowie Wilhelm Beiglböck (1905–1963) und Fritz Fischer (1912–2003), die beide grausame Menschenversuche in den Konzentrationslagern durchgeführt hatten. Durch Absprachen mit dem Wachpersonal gelang es Bender nach eigener Aussage, zum Tode Verurteilte vor dem „Hängen“ noch einmal für einige Zeit „aus dem Gitterkäfig heraus zu holen.“ Den Zeitpunkt der Hinrichtung habe er durch Verabreichung von fieberverursachenden intramuskulären Milchinjektionen außerdem häufig hinauszögern können.
Entsprechend des sich verändernden gesellschaftlichen und politischen Klimas wurde Benders Strafmaß am 8.6.1948 von zehn auf drei Jahre Haft reduziert. Bereits am 21.6.1948 wurde er schließlich aus der Landsberger Haft entlassen. Nach seiner Haftentlassung unterhielt Bender regen Briefkontakt zu anderen „Landsbergern“ und ehemaligen SS-Kameraden. Wie umfangreich Benders Bekanntschaftskreis war, bezeugt ein Besuch von Margarete Himmler (1893–1967) bei den Benders in Kelz 1949/1950, von dem Bender in seinen Memoiren berichtet.
Im Oktober 1949 gab Bender per Annonce bekannt, dass er sich in Kelz bei Vettweiß als praktischer Arzt niedergelassen habe. Im zuvor durchlaufenen Entnazifizierungsverfahren hatte er einige Details verschwiegen und den Kirchenaustritt im Jahr 1941 bewusst verleugnet. Im Klima der westdeutschen „Verdrängungsgesellschaft“ der Nachkriegsjahre wurde er trotz ehemaliger SS-Zugehörigkeit und Tätigkeit als KZ-Arzt als „Mitläufer“ entnazifiziert und durfte seine ärztliche Tätigkeit wiederaufnehmen. Im Laufe der Jahre wurde seine Praxis zu einer „Institution“ im ländlich geprägten Kelz und Umkreis. Im Zusammenhang eines von der Staatsanwaltschaft Köln in den 1960er Jahren eröffneten Ermittlungsverfahrens gegen Bender wegen des Verdachts der Beihilfe zum Mord wurde er noch zweimal verhört, wobei er zahlreiche apologetische Falschangaben machte und sich selbst insgesamt für schuldlos befand: „Zusammenfassend erkläre ich, dass ich mich völlig schuldlos fühle.“ Er habe sich zu jeder Zeit getreu dem Eid des Hippokrates verhalten. Das Verfahren wurde 1971 eingestellt.
Zu seinen ehemaligen Kameraden hielt Bender weiterhin regelmäßigen Kontakt: Seit Oktober 1953 gehörte er der „Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der ehemaligen Angehörigen der Waffen-SS“ (HIAG) an, die zeitweise wegen rechtsextremer Tendenzen vom Verfassungsschutz beobachtet wurde. Hier übernahm er bei der umtriebigen Kameradschaft Düren verschiedene Ämter, nahm an den regelmäßigen Kameradschaftsabenden ebenso teil wie an alljährlichen Kranzniederlegungen an Kriegsgräberstätten in Düren. Auch auf überregionaler Ebene war Bender aktiv: Als Mitglied der Truppenkameradschaft der 3. SS-Division Totenkopf nahm er an diversen Treffen und Fahrten teil. Am 5.4.1966 wurde Bender die HIAG-Silbernadel verliehen, am 15.10.1983 folgte die Verleihung der „Ehrennadel in Gold“.
Dass Bender der nationalsozialistischen Weltanschauung – entgegen anderslautender Beteuerungen in den staatsanwaltlichen Vernehmungen – weitgehend verbunden blieb, wird in seinen Memoiren von 1993 deutlich. Ein Konzentrationslager bezeichnet er als „ein in sich lebensfähiges Gebilde“, zu Gaskammern schreibt er gar: „In den Gaskammern wurden tausende vernichtet. Stimmt: Läuse und sonstiges Ungeziefer.“ Wie tief Bender die nach 1945 kolportierten Apologien und Verblendungen der ehemaligen SS-Angehörigen verinnerlicht hatte, bezeugt auch seine Annahme, Himmler sei bei Kriegsende von den Briten „mit einem Sandsack-Schläger das Genick zertrümmert“ worden. Was man in den Memoiren vergebens sucht, sind Worte der Selbstkritik, des Schuldbekenntnisses und der Einsicht.
Benders NS-Vergangenheit und seine Kontaktpflege zu nationalsozialistisch orientierten Kreisen waren in Vettweiß-Kelz ein offenes Geheimnis. In seinem Sprechzimmer hing nach Berichten eines Pharmavertreters noch Mitte der 1980er Jahre ein Porträt von SS-Oberst-Gruppenführer „Sepp“ Dietrich (1892–1966), im Keller soll Bender ein kleines SS-Privatmuseum betrieben haben, das er Interessierten bereitwillig gezeigt habe. Auf dem Treppenpodest hingegen präsentierte er Besuchern eine jüdische Menora aus der im Novemberpogrom 1938 zerstörten Synagoge in Vettweiß, die er Mitte der 1960er Jahre zur Begleichung einer Arztrechnung von einem Vettweißer Landwirt erhalten hatte. Den siebenarmigen Leuchter übergab Bender kurz vor seinem Tod dem LVR, der ihn heute im LVR-Kulturhaus Landsynagoge Rödingen ausstellt.
Die letzte Zeit vor seinem Tod verlebte er in einem Altenheim in Düren, wo er bei Kaffee und Kuchen bis zuletzt gerne im „Freiwilligen“, dem Kameradschaftsblatt der HIAG, blätterte und vergangenen Zeiten nachsinnte. Am 29.12.2005 verstarb August Bender im Alter von 96 Jahren in Düren. Der Ortsvorsteher von Vettweiß-Kelz nennt ihn in einem Nachruf wertschätzend „unseren Doktor“ und würdigt seine Tätigkeit als Landarzt: „Dr. Bender kannte die Seinen, er sprach ihre Sprache.“ Von ehemaligen Patienten wird vor allem seine unbürokratische und im Zweifel auch unentgeltliche Bereitschaft zu helfen hervorgehoben. Obwohl seine NS-Vergangenheit im Ort bekannt war, widmeten ihm die Kultur- und Naturfreunde Kelz gemeinsam mit zwei anderen verdienten Persönlichkeiten des Ortes eine Gedenktafel im Kulturhaus, die später wieder entfernt wurde.
Quellen
Bundesarchiv Berlin
R 9361 III/516482, SS-Führerpersonalakte/SSO August Bender. R 9361 III/10619, Akte des SS-Rasse- und Siedlungshauptamtes August Bender. VBS 1013 (NS 34)/ZM 0316 A. 01-22, SS-Personalunterlagen August Bender.
Bundesarchiv Koblenz
N 1788, Nachlass August Bender.
Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abteilung Rheinland
NW 1081/4498, Entnazifizierungsakte August Bender. Gerichte Rep. 118 Nr. 2–4, Staatsanwaltliche Ermittlungsakte August Bender.
Persönlichkeiten eine neue Tafel gewidmet, in: Amtsblatt für die Gemeinde Vettweiß 5/2006, S. 14–15.
Wirtz, Karl, „Unser Doktor“ starb im Dezember, in: Amtsblatt für die Gemeinde Vettweiß 3/2006, S. 14.
Zak, Jiri, Der Gesundschreibe-Doktor, in: Hackett, David A. (Hg.), Der Buchenwald-Report. Bericht über das Konzentrationslager Buchenwald bei Weimar, München 1996, S. 257.
Literatur
Biermanns, Nico, Landarzt und SS-Sturmbannführer. Der Kreuzauer Arzt Dr. med. August Bender. Eine kritische Biografie, Düren 2019.
Reuter, Ursula, Der Leuchter aus der Synagoge in Vettweiß. Zur Geschichte eines Objekts und seiner Besitzer, in: Kreisjahrbuch Düren 2015, S. 97–106.
Scherf, Werner, Die Verbrechen der SS-Ärzte im KZ Buchenwald – der antifaschistische Widerstand im Häftlingskrankenbau. 2. Beitrag: Juristische Probleme, Dissertation, Humboldt-Universität Berlin 1987.
Schweda, Claudia, Der Landarzt, der ein KZ-Arzt war, in: Dürener Zeitung vom 25.8.2012.
Stein, Harry, Konzentrationslager Buchenwald 1937–1945. Begleitband zur ständigen historischen Ausstellung, Göttingen 1999.
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Biermanns, Nico, August Bender, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/august-bender/DE-2086/lido/5f92db8c073bc3.62053386 (abgerufen am 06.10.2024)